L 8 KR 54/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 45/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 54/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 25/23 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für zwei in der Türkei durchgeführte Liposuktionsbehandlungen (Liposuktion Beine; Liposuktion Arme und Bauchstraffung/Fettschürzen-OP) in Höhe von insgesamt 13.591,44 Euro.

Die 1954 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin begehrte in der Vergangenheit die Versorgung mit Liposuktionen. Einen ersten Antrag auf Liposuktion lehnte die Beklagte im Juli 2016 ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig. 

Unter dem 18. Mai 2017 stellte die Klägerin einen erneuten Sachleistungsantrag auf Liposuktion der Beine mit anschließender Oberschenkelstraffung, dem sie u.a. beifügte: einen ärztlichen Bericht des Universitätsklinikums Göttingen (UKG), Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie vom 11. April 2017, eine fachärztliche gutachterliche Stellungnahme der Hanse-Klinik GmbH Lübeck (HK Lübeck) vom 15. Februar 2017, einen Befundbericht des Scin Center Cassel (SCC) vom 9. Februar 2017, Befundberichte des DRK-Krankenhauses Kassel vom 24. Juni 2016 und vom 10. März 2014 sowie schließlich einen Entlassungsbericht der vitos Orthopädischen Klinik Kassel, in der die Klägerin vom 8. bis 18. Januar 2014 im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie in stationärer Behandlung war. Der Klägerin wurde hierbei durchgehend das Vorliegen von Lipödemen bescheinigt, teils beschränkt auf die Beine, teils auch bezogen auf den Rumpf und/oder die Arme. Die HK Lübeck gab dabei ein Lipödem an den Beinen im Stadium II-III, das UKG demgegenüber im Stadium III an. Ein Lymphödem wurde nicht erwähnt oder sogar ausdrücklich verneint (HK Lübeck und UMG); eine Ausnahme hierzu bildet die Bescheinigung der SCC (gesichertes Lymphödem und gesicherte Lymphabflussstörung). Der Einsatz von Lymphdrainagen und Stützstrümpfen wird indes berichtet (DRK; HK Lübeck, jeweils unter Berufung auf Angaben der Klägerin) bzw. empfohlen (SCC). Seitens des DRK-Krankenhauses Kassel wird anamnestisch eine ausgeprägte Druckschmerzhaftigkeit beschrieben, außerdem eine therapieresistente Schwellung der Beine, zunehmend zum Abend hin und eine Schwere der Beine mit funktioneller Einschränkung im Alltag. Auch die HK Lübeck schildert eine ödembedingte Beschwerdesymptomatik mit ausgeprägtem Ruhe- und Berührungsschmerz und Schwere- und Spannungsgefühl in den unteren Extremitäten wie auch der Oberarme, teilweise mit Taubheitsgefühl und Kraftverlust verbunden, sowie damit einhergehend Schwellungen und Neigung zu Blutergüssen bei besonderer Ausprägung der Symptomatik zum Ende des Tages hin sowie im Sommer. Im Untersuchungszeitpunkt sei palpatorisch geringer Druckschmerz an den Oberschenkeln innen oben und außen angegeben worden, im Bereich des distalen inneren Oberschenkels, des Knies und gesamten Unterschenkels sei dieser jedoch stark ausgeprägt gewesen. Prätibial hätten deutlich dellbare Ödeme vorgelegen. Durchgängig angegeben wird zudem eine Adipositas (bei unterschiedlichen Werten; DRK: 157 cm/96 kg, BMI 38,9 kg/m²; UMG: 163 cm/92 kg, BMI 34,6 kg/m²; HK Lübeck: BMI 37,0 kg/m²), außerdem eine Kniegelenksoberflächenprothesen-Implantation links und Knieschmerzen rechts, eine rezidivierende depressive Störung (bei Dauermedikation in 2017 mit Tavor, Lisinopril, Mirtazapin, Metadura), außerdem Lumboglutealgien und Cervicobrachialgien, eine generalisierte Angststörung, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, arterielle Hypertonie, Psoriasis [Schuppenflechte], Stenokardien [Verengung koronarer Blutgefäße] mit Herzrasen, rezidivierende Gastritiden und zahlreiche zurückliegende Unterbauchoperationen. Die Indikation zur Liposuktion wurde durchgängig gestellt. Die HK Lübeck lehnte eine Operation im eigenen Haus ab unter Verweis darauf, dass angesichts der bestehenden Vorerkrankungen (nicht befriedigend eingestellte arterielle Hypertonie, ausgeprägte Varikosis [Krampfadern], Anämie [Blutarmut bzw. Blutfarbstoffmangel], Z.n. TVT [tiefe Venenthrombose] der unteren Extremitäten bds.) eine Operation „unter stationären Bedingungen und unter Ausnutzung anästhesiologischer Möglichkeiten“ angezeigt sei. Das UKG, in dem die Klägerin die Operation ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Telefonvermerks die Operation durchführen lassen wollte, empfahl im Bericht vom 11. April 2017 als „Therapieempfehlung: Gewichtreduktion; gefäßchirurgische Abklärung des Claudikatio intermittens; Liposuktion am Bein bds. 4x, ggf. mit anschließender Oberschenkelstraffung“ und bat um Wiedervorstellung mit der Kostenübernahmezusage der zuständigen Krankenkasse.

Am 1. Juni 2017 lehnte die Beklagte den Antrag telefonisch sowie mit schriftlichem Bescheid vom selben Tag ab. An den Kosten der Liposuktion der Beine mit anschließender Oberschenkelstraffung könne sie sich nicht beteiligen. Bei der Liposuktion handele es sich grundsätzlich um eine ambulante Behandlungsmethode, deren Wirksamkeit vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bislang nicht abschließend geprüft und bewertet worden sei, so dass eine Kostenübernahme insoweit nicht möglich sei. Auch bei einer Durchführung im stationären Bereich komme die Kostenübernahme nicht in Betracht. Die Behandlungsmethode entspreche derzeit in Bezug auf Qualität und Wirksamkeit nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Die Notwendigkeit einer stationären Behandlung ergebe sich nicht allein daraus, dass die Behandlungsmethode ambulant nicht abrechenbar sei. 

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Vorlage kam ein ärztliches Attest ihres behandelnden Hausarztes Doktor D. vom 19. Juni 2017, mit dem dieser ein schmerzhaftes Lipödem Grad I-II bescheinigte und zur Liposuktion riet.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagten ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Hessen (MDK) vom 16. August 2017 ein. Dieser stellte fest, dass eine ambulante Behandlung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V in Ermangelung einer entsprechenden positiven Empfehlung des GBA grundsätzlich nicht in Betracht komme. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sei auf Grund des Krankheitszustands der Klägerin nicht gegeben. Es werde die weitere konservative Behandlung in Form von regelmäßigen Lymphdrainagen und konsequenter Kompressionsbestrumpfung sowie Gewichtsabnahme empfohlen.

Gestützt auf dieses Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2018 als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 14. Februar 2018 Klage zum Sozialgericht Kassel. Am 26. März 2018 ließ sie in der Türkei eine Liposuktion an beiden Beinen einschließlich Oberschenkelstraffung durchführen (Rechnung über 42.500 Türkische Lira [TL]). Am 24. Dezember 2018 ließ die Klägerin zudem, wiederum in der Türkei, eine Bauchstraffung/Fettschürzen-OP sowie eine Liposuktion der Arme („amputation abdominoplasty and brachial cutaneous exision in the inner part of upper arms“ – Entfernung überschüssigen Fetts und Haut am Abdomen und an den inneren Oberarmen) vornehmen. Hierfür fielen weitere 40.000 TL, umgerechnet damit insgesamt 13.591,44 € an, deren Erstattung die Klägerin nunmehr geltend machte. Der Anspruch auf Kostenerstattung stehe ihr zu, weil die chirurgische Behandlung des Lipödems durch die stationäre Liposuktion medizinisch notwendig gewesen sei.

Mit Urteil vom 7. Januar 2021 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung nicht zu. Die Voraussetzungen der insofern allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht gegeben. Die Beklagte habe die Liposuktion als Sachleistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Dies gelte unabhängig davon, ob – was nicht abschließend feststehe – die Operationen ambulant oder stationär durchgeführt worden seien. Die Liposuktion habe, da sie im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gelistet gewesen sei, eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dargestellt. Eine solche könne im Rahmen der vertragsärztlichen (ambulanten) Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V nur erbracht werden, wenn – was bei der Liposuktion nicht der Fall sei – der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Nichts anderes gelte für die Liposuktion im Rahmen einer Krankenhausbehandlung. Der Anspruch Versicherter auf stationäre Krankenhausbehandlung unterliege gleichermaßen nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative ergebe sich für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch nicht aus § 137c Abs. 3 SGB V, und zwar weder in der zum Zeitpunkt der Liposuktionen geltenden noch in der zum 18. Dezember 2019 geänderten Fassung der Norm (unter Verweis auf die im Urteilszeitpunkt vorliegende Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 24. April 2018 - B 1 KR 13/16 R -; Urteil vom 28. Mai 2019 - B 1 KR 32/18 R -). Die Anforderungen des Qualitätsgebots würden (nur) gewahrt, wenn die „große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Behandlungsmethode befürworte und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit Konsens bestehe. Dies setze im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden könnten. Der Erfolg müsse sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie müsse in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Die von der Klägerin begehrten Liposuktionen erfüllten auch unter stationären Bedingungen diese Voraussetzungen nicht. Nach dem Gutachten „Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des MDK vom 6. Oktober 2011 nebst seiner Aktualisierung vom 15. Januar 2015 (www.mds-ev.de/richtlinien-publikationen/gutachten-nutzenbewertungen.html) gewährleiste diese Versorgungsform die in §§ 2 und 12 SGB V geforderten Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht. Aus diesem Grund könne eine Liposuktion auch unter stationären Bedingungen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Dies entspreche der Beurteilung des GBA in den „Tragenden Gründen zum Beschluss des GBA über eine Änderung der Richtlinie ‚Methoden Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom 20. Juli 2017‘“ (BAnz AT 17. Oktober 2017 B3), wo die Voraussetzungen für einen hinreichenden Nutzenbeleg der Liposuktion bei Lipödem als nicht erfüllt angesehen würden. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V, weil ein Lipödem weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung sei. 

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 8. Januar 2021 zugegangene Urteil hat die Klägerin am 22. Januar 2021 Berufung eingelegt. In ihrem Fall habe eine schwerwiegende Erkrankung vorgelegen, wobei alternative Behandlungsmaßnahmen nicht bzw. nicht mehr verfügbar bzw. ausgeschöpft gewesen seien. Zudem sei ausreichend belegt, dass die Liposuktionsbehandlungen medizinisch indiziert und notwendig gewesen seien. Präoperativ sei die Klägerin in ihrer Mobilität so enorm eingeschränkt gewesen, dass viele alltägliche Erledigungen ohne Fremdhilfe nicht mehr möglich gewesen seien. Jegliche Bewegung sei für die Klägerin extrem schmerzhaft gewesen. Sich beispielsweise nach etwas zu bücken sei undenkbar gewesen. Hinzugetreten seien mangelnde Vitalität, Depressionen, zunehmende Erschöpfung und Frustration. Postoperativ sei die Klägerin wieder zunehmend beweglicher und selbständiger geworden. 

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 7. Januar 2021 und des Bescheides der Beklagten vom 1. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2018 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die durchgeführten Liposuktionsoperationen in Höhe von insgesamt 13.591,44 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, 
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die in der Richtlinie des GBA über Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III (Qualitätssicherungs-Richtlinie zur Liposuktion bei Lipödem im Stadium III/QS-RL Liposuktion) geregelten Voraussetzungen. Diese seien vorliegend nicht nachvollziehbar. So sei schon unklar, ob überhaupt eine stationäre oder ambulante Behandlung medizinisch notwendig gewesen sei. Insofern gelte, dass ein Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung ausgeschlossen sei, wenn zur Erreichung des Behandlungsziels auch eine ambulante Behandlung – ggf. in mehr Behandlungsschritten und über einen längeren Zeitraum – in Betracht komme. Auch finde sich in den Antragsunterlagen keine gesicherte Diagnose „Lipödem Stadium III“; die Angaben hierzu variierten vielmehr. Die Liposuktion an den oberen Extremitäten stelle im Übrigen nach wie vor keine Kassenleistung dar. Im Übrigen komme eine Erstattung bereits deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin die Liposuktion in der Türkei habe vornehmen lassen, ohne dass die diesbezüglichen Voraussetzungen (insbesondere in § 13 Abs. 4, 5 SGB V) erfüllt gewesen seien.

Der Senat hat die Beteiligten auf die mit Urteil vom 25. März 2021 (B 1 KR 25/20 R) geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Leistungserbringung im stationären Bereich (§ 137c Abs. 3 SGB V) hingewiesen, außerdem auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erstattungsfähigkeit zu Unrecht abgelehnter und anschließend im Ausland in Anspruch genommener Leistungen (Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 1/18 R –).

Die Beklagte hat einen computergestützten Auszug vorgelegt, nach dem die Klägerin vom 1. Januar 2013 bis zum 13. Januar 2019 keine Therapien in Anspruch genommen hat, die auf eine konventionelle (Heilmittel-)Behandlung der Lympherkrankung schließen lassen. Belegt sind lediglich einige Einheiten Physiotherapie (zwischen dem 15. Dezember 2015 und dem 26. Februar 2016 insg. 19 Termine „KG, auch Atemgymnastik, auch auf neurophysiologischer Grundlage“).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung des Senats gewesen ist. 


Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. 

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. Januar 2021 ist im Ergebnis aufrechtzuerhalten. Die Klägerin besitzt gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die am 26. März 2018 und am 24. Dezember 2018 vorgenommenen Operationen. Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht dargelegt, dass die Voraussetzungen des insofern allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V nicht gegeben sind.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.  

Für die von der Klägerin am 24. Dezember 2018 in Anspruch genommene Operation (Liposuktion der Arme und Entfernung Fettschürze am Bauch) kommt ein Kostenerstattungsanspruch danach bereits deswegen nicht in Betracht, weil diese Leistungen im Verwaltungsverfahren von der Klägerin nicht beantragt und von der Beklagten nicht abgelehnt wurden. 

Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -, juris, Rn. 6 m.w.N.) aus, wenn sich der Versicherte die Leistung beschafft hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn – wie hier in Bezug auf die Operation an Armen und Rumpf – die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. auch LSG Hessen, Urteil vom 4. Dezember 2008 – L 1 KR 213/06 –, juris). 

Hinsichtlich der von der Klägerin beantragten und von der Beklagten abgelehnten Liposuktion der Beine (Operation am 26. März 2018) scheidet ein Kostenerstattungsanspruch demgegenüber aus, weil die Beklagte diese Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V geht nicht weiter, als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch des Versicherten ginge. Die Klägerin hatte weder im Zeitpunkt der Antragstellung noch im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung einen Anspruch auf die streitgegenständlichen Operationen als Naturalleistungen.  

Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem ambulante Behandlungen wie auch stationäre Krankenhausbehandlungen. Dabei kann vorliegend offenbleiben, ob es sich bei den streitgegenständlichen Operationen um ambulante oder stationäre Behandlungen handelte. Denn ein Sachleistungsanspruch bestand in keinem Fall. 

Ein Erstattungsanspruch ist allerdings nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin die Operationen in der Türkei hat durchführen lassen. Versicherte, denen die Krankenkasse rechtswidrig Leistungen verwehrt, sind nicht prinzipiell auf die Selbstbeschaffung der Leistungen bei zugelassenen Leistungserbringern verwiesen. Sie müssen sich nur eine der vorenthaltenen Naturalleistung entsprechende Leistung verschaffen, dies aber von vornherein privatärztlich außerhalb des Leistungssystems. Erzwingt eine rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstverschaffung des Versicherten außerhalb des Leistungssystems der GKV, ist kein Grund ersichtlich, diese auf Leistungserbringer im Inland oder zumindest innerhalb des Anwendungsgebiets des koordinierenden Sozialrechts nach der Verordnung (EG) 883/2004 (Verordnung Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl EU, Nr L 166, 1 - VO <EG> 883/2004) – also im Geltungsbereich der EU, des EWR-Abkommens und in der Schweiz – zu beschränken. Ebenso wenig müssen diese Versicherten diejenigen Regelungen einhalten, denen GKV-Versicherte sonst unterworfen sind, wenn sie eine Auslandsbehandlung in Anspruch nehmen wollen (vgl. etwa § 13 Abs. 4 S. 2 SGB V zum Kreis der möglichen ausländischen Leistungserbringer sowie zum Erfordernis einer Zustimmung der zuständigen Krankenkasse zu einer Auslandsbehandlung nach § 13 Abs. 5 SGB V bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens <Abkommen vom 30.4.1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit, BGBl II 1965 S 1169, 1170 i.d.F. des Zusatzabkommens vom 2.11.1984, BGBl II 1986, 1038, 1140>; zu allem BSG, Urteil vom 11. September 2018 - B 1 KR 1/18 R -, juris, Rn. 34 f.).

Dennoch kam der Klägerin ein Sachleistungsanspruch auf die beantragte Liposuktion der Beine nicht zu.

Die Klägerin hatte zunächst bei Erlass des Bescheides der Beklagten vom 1. Juni 2017 und des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2018 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Berücksichtigung beim Auswahlverfahren für die Liposuktion im Rahmen der Teilnahme an einer Erprobungsrichtlinie (Erp-RL) nach § 137e SGB V, da es an einer solchen Richtlinie zu diesem Zeitpunkt noch fehlte. Der GBA hat seine nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Bundeanzeiger bekanntzugebende Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems erst am 18. Januar 2018 mit Wirkung zum 10. April 2018 erlassen (Erprobungs-Richtlinie Liposuktion – Erp-RL Liposuktion, BAnz AT 9.4.2018 B1).

Ein Anspruch auf ambulante (Krankenhaus-)Behandlung scheidet darüber hinaus deswegen aus, weil die Liposuktion im Behandlungszeitpunkt nicht Gegenstand des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen war (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021 - B 1 KR 25/20 R -, juris, Rn. 43). Zwar hat der G-BA mit Beschluss vom 19. September 2019 für einen Übergangszeitraum (zwischenzeitlich verlängert bis zum 31. Dezember 2024) bestimmt, dass ambulante Liposuktionen bei Vorliegen eines Lipödems im Stadium III im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in den Leistungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung fallen (Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Liposuktion bei Lipödem im Stadium III, Banz AT vom 6.12.2019 B3). Diese Regelung trat jedoch erst mit Wirkung vom 7. Dezember 2019, mithin nach der Inanspruchnahme der Leistungen durch die Klägerin in Kraft und findet damit vorliegend keine zeitliche Anwendung. Auf den Ausprägungsgrad des Lipödems der Klägerin kommt es insofern nicht mehr an.

Aus demselben Grund kommt auch ein Sachleistungsanspruch in Form einer stationären Behandlung auf Grundlage der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung des GBA nicht in Betracht. Auch hier änderte der GBA mit Beschluss vom 19. September 2019 die Anlage I der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus, dahin, dass gemäß Nr. 14 nunmehr für einen begrenzten Zeitraum die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III zu den Methoden gehört, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich sind. Auch diese Änderung trat jedoch erst mit Wirkung vom 7. Dezember 2019 in Kraft und findet vorliegend somit zeitlich keine Anwendung (vgl. auch BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R -, juris, Rn. 16).

Ein Anspruch auf Liposuktion als stationäre Behandlung kam der Klägerin auch sonst nicht zu. 

Die durchgeführten Liposuktionen entsprachen, wie schon das Sozialgericht ausführlich und zutreffend dargelegt hat, nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V (vgl. auch BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R – juris, Rn. 17 f.). 

Ein Anspruch auf Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung kam vorliegend auch nicht auf Grundlage von § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V in seiner am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen und vorliegend anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl. I S. 1211) dürfen allerdings neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA noch keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat – wie vorliegend zur Liposuktion – im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere im Einzelfall medizinisch indiziert und notwendig ist. Mit der Einführung der Regelung des § 137c Abs. 3 SGB V hat der Gesetzgeber eine partielle Einschränkung des in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots eingeführt (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R -, juris, Rn. 23-29). Die Regelungen nach § 137c Abs. 3 SGB V über Ansprüche auf Leistungen, die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative haben, eröffnen dem Versicherten einen vom allgemeinen Qualitätsgebot abweichenden Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach einem abgesenkten Qualitätsgebot, dem Potentialmaßstab. Nicht mehr erforderlich ist danach die Erbringung des vollen Nutzennachweises im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute. Vielmehr dürfen Krankenhäuser für Versicherte auch Leistungen erbringen, die nur das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative haben, das heißt Leistungen, deren Methoden noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 23). Krankenhäuser dürfen die Potentialleistungen auch dann erbringen, wenn die Versicherten nicht an einer Erp-RL teilnehmen, ja sogar dann, wenn eine solche noch nicht existiert oder noch nicht einmal ein Bewertungsverfahren nach § 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeleitet wurde (BSG, a.a.O., Rn. 25). 

Zugleich gilt im Spannungsfeld zwischen einer Teilhabe der Versicherten an der medizinischen Innovation und dem weiterhin zu gewährleistenden Patientenschutz, dass der Anwendungsbereich von Potentialleistungen für den Fall einer noch nicht existierenden Erp-RL wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen ist. Versicherte haben danach vor Erlass einer Erp-RL Anspruch auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dann, wenn die Abwägung von Chancen und Risiken zugunsten der Potentialleistung ausfällt. Dies ist (nur) dann der Fall, wenn im einzelnen Behandlungsfall eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, für die nach dem jeweiligen Behandlungsziel eine Standardbehandlung nicht oder nicht mehr verfügbar ist (BSG, a.a.O., Rn. 30, 40). 

Jedenfalls letztere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die durchgeführten Behandlungen der Klägerin genügen nicht, um von einer erfolglosen Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Standardbehandlungen ausgehen zu können. 

Die S1-Leitlinie Lipödem der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF-Registernummer 037-012, z.Zt. in Überarbeitung) erachtet die Liposuktion zur dauerhaften Reduktion des krankhaften Unterhautfettgewebes an Beinen und Armen dann als angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestehen bzw. wenn eine Progredienz von Befund (Unterhautfettvolumen) und/oder Beschwerden (Schmerzen/Ödeme) auftritt. Speziell bei einem Lipödem mit begleitender Adipositas wird die Liposuktion erst nach Gewichtsreduktion empfohlen; ein BMI von über 30 kg/m² stellt eine Indikation zur Gewichtsreduktion als Voraussetzung einer Liposuktion dar, wobei Grundlage eine Kombination aus ernährungs-, bewegungs- und ggf. verhaltenstherapeutischen Maßnahmen sein soll. Darüber hinaus sieht die Leitlinie als Therapieoptionen für das Lipödem – gerade auch zur Schmerzlinderung – neben der Liposuktion die Kompressionsbehandlung, manuelle Lymphdrainage (MLD) und apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) vor. Zur Ödem- und Schmerzreduktion wird die Möglichkeit physikalischer Maßnahmen in Form der kombinierten physikalischen Entstauungstherapie (KPE) dargestellt, die manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Bewegungstherapie und Hautpflege umfasst und sich in eine initiale Entstauungs- und eine nachfolgende Erhaltungsphase gliedert. Die Kompressionstherapie solle dabei – vor allem bei zu erwartender Umfangsreduktion unter entstauenden Maßnahmen - in der Entstauungsphase mit Verbänden, in der Erhaltungsphase mit Kompressionsstrümpfen erfolgen. Die KPE müsse konsequent angewandt werden. Intensität und Frequenz der Maßnahmen richten sich nach der Akuität, dem Ausprägungsgrad und der Dauer der Beschwerden, v.a. Schmerzhaftigkeit und Grad der Ödematisierung. Falls ein Therapieerfolg ambulant nicht zu erzielen ist, sollte eine stationäre Behandlung erfolgen. 

All dies ist im Fall der Klägerin nicht erfolgt. Selbst wenn die ihr in 2015/2016 über einen Zeitraum von drei Monaten verschriebene Physiotherapie auf die Behandlung der Lipödeme abzielte – was nicht nachgewiesen ist –, erfüllte dies in keiner Weise die von der Leitlinie aufgestellten Anforderungen. Sonstige Behandlungsansätze sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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