S 7 SF 158/20 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 7 SF 158/20 E
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Hinsichtlich der Auswirkungen der in der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG bestimmten Anrechnung von 1/2 der Geschäftsgebühr auf die Verfahensgebühr ist auf § 15a RVG abzustellen (Hessisches LSG, Beschluss v. 13.05.2019 - L 2 AS 241/17 B).

2. Die am Verfahren beteiligte Behörde ist Dritter im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG

3. Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung berufen, wenn beide Gebühren im gleichen Verfahren – etwa in der Kostenfestsetzung – gegen ihn geltend gemacht werden.

4. Dies gilt gleichermaßen im Fall der Kostenquotelung, auch wenn die tatsächlichen Zahlungen des Dritten den abstrakten Gesamtbetrag nicht übersteigen. Der Dritte ist zur Zahlung der Quote unter Berücksichtigung des Gesamtbetrages verpflichtet, den der Rechtsanwalt maximal gegenüber seinem Auftraggeber geltend machen kann.
 


In Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 05.08.2020 werden die in dem Verfahren S 26 AS 1311/15 vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 217,18 Euro festgesetzt.

Kosten für das Erinnerungsverfahren sind nicht zu erstatten.


Gründe

I. 

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbem. 3. Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG.

Das zugrundeliegende Verfahren S 26 AS 1311/15, für das die Klägerbevollmächtigte bereits im Widerspruchsverfahren tätig war, endete durch übereinstimmende Erledigungserklärung am 18.12.2018. Durch Beschluss vom 03.04.2020 wurden dem Beklagten ¼ der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Den mit Klageerhebung am 01.11.2013 erhobenen Antrag auf Prozesskostenhilfe hatte die Klägerbevollmächtigte am 07.10.2014 zurückgenommen.

Die Klägerbevollmächtigte machte am 08.04.2020 gegenüber dem Beklagten folgende außergerichtliche Kosten geltend:

I. Widerspruchsverfahren

Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG          240,00 €                                         
Pauschale, Nr. 7002 VV RVG            20,00 €
Zwischensumme          260,00 €
Hiervon 1/4            65,00 €
MwSt. 19 %, Nr. 7008 VV RVG            12,35 €
Gesamtbetrag            77,35 €


II. Klageverfahren

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG          300,00 €                                            
Anrechn. Vorben. 3 Abs. 4 VV RVG         - 30,00 €
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG          270,00 €
Pauschale, Nr. 7002 VV RVG            20,00 €
Zwischensumme           560,00 €
Hiervon ¼           140,00 €
MwSt. 19 %, Nr. 7008 VV RVG            26,60 €
Gesamtbetrag          166,60 €


Insgesamt: 234,95 Euro

Nach der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (Beschluss v. 17.06.2019 – L 2 AS 241/18 B) sei lediglich ½ der vom Beklagten gezahlten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

Der Urkundsbeamte des Gerichts setzte die vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.08.2020, wie von der Klägerseite beantragt, fest. 

Der Beklagte – Erinnerungsführer – führt an, die Ausführungen im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss seien widersprüchlich, berufe sich dieser einerseits auf die Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts und des SG Marburg (Beschluss vom 02.11.2018 – S 10 SF 53/17 E), welche von einer Anrechnung der gezahlten und nicht der entstandenen Geschäftsgebühr ausgingen und andererseits auf die Rechtsprechung des SG Gießen (Beschluss vom 15.03.2018 – S 23 SF 13/17 E) und des LSG NRW (Beschluss vom 01.02.2017 – L 19 AS 1408/16 B), die umgekehrt auf die entstandene Geschäftsgebühr abstellten. Das Bayerische Landessozialgericht, (Beschluss vom 22.05.2019 – L 12 SF 282/14 E) komme zu dem Ergebnis, das im PKH-Festsetzungsverfahren lediglich ½ der gezahlten Geschäftsgebühr anzurechnen sei, führe aber weiter aus, außerhalb des PKH-Verfahrens sei § 15a Abs. 1 RVG nicht anwendbar. Der Beklagte könnte sich damit auf eine Anrechnung von ½ der entstandenen Gebühr, d.h. eine Anrechnung von 120,00 Euro berufen. Die Konstellation unterscheide sich von derjenigen, die das Hessische Landessozialgericht im PKH-Verfahren entschieden habe. 

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß, 
unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 05.08.2020 die in dem Verfahren S 26 AS 1311/15 vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Höhe von 217,18 Euro festzusetzen. 

Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 17.06.2019 – L 2 AS 241/18 B und die Ausführungen in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der Gerichtsakte S 26 AS 1311/15 verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Die nach § 197 Abs. 2 SGG zulässig erhobene Erinnerung ist begründet. 

Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Rahmengebühren. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt innerhalb des vorgegebenen Gebührenrahmens im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG), wobei ihm ein Toleranzrahmen von 20 % zusteht (BSG vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R; BGH vom 31.10.2006 - VI ZR 261/05).
Die nach diesen Kriterien zu bestimmende Höhe der Geschäftsgebühr (240,00 €) und der Verfahrensgebühr (300,00 €) hat der Urkundsbeamte des Gerichts angemessen festgesetzt – die Gebührenhöhe ist, ebenso wie die entstandene Terminsgebühr (270,00 €) zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Uneinigkeit besteht allein um die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbem. 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG. Diese war in Höhe von 120,00 €, d.h. in Höhe von 1/2 der entstandenen Geschäftsgebühr, auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. 

Nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG wird eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, soweit sie wegen desselben Gegenstandes entsteht. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 €.

Da die Klägerbevollmächtigte den Kläger bereits im Widerspruchsverfahren wegen desselben Gegenstandes vertreten hat, ist die Voraussetzung für die Anrechnung erfüllt. Für die Tätigkeit im vorausgegangenen Widerspruchsverfahren ist nach Nr. 2302 VV RVG eine Geschäftsgebühr in Höhe von 240,- € entstanden. Die gesetzliche Regelung stellt nicht darauf ab, ob die Geschäftsgebühr in dieser Höhe tatsächlich gezahlt oder von der Klägerbevollmächtigten gefordert worden ist. Aus den tatbestandlichen Voraussetzungen folgt die grundsätzliche Anrechnung von ½ der Geschäftsgebühr auf die im Klageverfahren entstandene Verfahrensgebühr, begrenzt auf einen Anrechnungsbetrag von maximal 175,- €. 

Hinsichtlich der Auswirkung dieser Anrechnung ist auf § 15a RVG abzustellen (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 03.02.2015 – L 2 AS 605/14 B), wobei Abs. 1 der Vorschrift die Wirkung im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber regelt und Abs. 2 die Wirkung im Verhältnis zu Dritten bestimmt. 

Für das Verhältnis zwischen der Staatskasse und dem Rechtsanwalt ist § 15a Abs. 1 RVG maßgebend (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Aufl. 2021, RVG § 15a Rn. 11-21, § 3 RVG Rn. 166). Danach kann der Rechtsanwalt beide Gebühren bis zur vollen Höhe geltend machen und frei bestimmten, welchen Schuldner er in welcher Höhe in Anspruch nimmt, soweit er nicht mehr als den Betrag verlangt, der sich aus der Summe der beiden Gebühren abzüglich des anzurechnenden Betrages ergibt (Hessische Landessozialgericht, Beschluss vom 13.05.2019 – L 2 AS 241/18 B; Bayerische Landessozialgericht, Beschluss vom 22.05.2019 – L 12 SF 282/14 E). Tatsächliche Zahlungen weiterer Kostenschuldner werden bei der Gegenüberstellung mit dem Gesamtbetrag berücksichtigt. Der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten besteht zwar grundsätzlich unabhängig von einer Verpflichtung Dritter in voller Höhe, dies gilt indes nicht, wenn der Rechtsanwalt bereits tatsächliche Zahlungen erhalten hat. Im Verhältnis zur Staatskasse ergibt sich die Anrechnung von ½ der gezahlten Geschäftsgebühr aus § 58 Abs. 2 RVG, wonach Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Die erhaltenen Zahlungen sind zu berücksichtigen; der Rechtsanwalt kann die Summe bis zum abstrakten Gesamtbetrag nur einmal fordern. Dementsprechend muss die Staatskasse keine Zahlungen erbringen, die über dem errechneten Gesamtbetrag liegen, kann sich aber auch nicht auf eine direkte Anrechnung nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG berufen (Hessische Landessozialgericht, Beschluss vom 13.05.2019 – L 2 AS 241/18 B). 

Für das Verhältnis zum Beklagten ist jedoch nicht § 15a Abs. 1 RVG einschlägig, sondern Abs. 2, der die Anrechnung im Verhältnis zu Dritten betrifft, die nicht am Mandatsverhältnis beteiligt sind, sondern etwa für entstandene Gebühren Schadensersatz zu leisten oder sie nach prozessrechtlichen Vorschriften zu erstatten haben. Auch in diesem Fall ist zu beachten, dass die Anrechnung die entstandenen Gebühren im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber unberührt lässt, so dass sich die Anrechnung auch Dritten gegenüber nicht auswirkt (BT-Drs. 16/12717, S. 58). In der Kostenfestsetzung muss also etwa eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn eine Geschäftsgebühr entstanden ist, die auf sie angerechnet wird. Sichergestellt werden soll jedoch, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen wird, den der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber verlangen kann. Insbesondere ist zu verhindern, dass insgesamt mehr als dieser Betrag gegen Dritten tituliert wird (BT-Drs. 16/12717, S. 58). Danach kann sich auch ein Dritter auf die Anrechnung berufen, wenn beide Gebühren im gleichen Verfahren – etwa in der Kostenfestsetzung – gegen ihn geltend gemacht werden (Hartung/Schons/Enders/Enders, 3. Aufl. 2017, RVG § 15a Rn. 52-54). In gleicher Weise ist die Anrechnung zu berücksichtigen, wenn und soweit der Anspruch auf eine der Gebühren bereits gegen den Dritten tituliert oder von ihm selbst bereits beglichen worden ist (BT-Drs. 16/12717, S. 59). 

Im Ergebnis ist der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts, der bereits die Vertretung im Widerspruchsverfahren übernommen hatte, durch die Anrechnung von ½ der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr begrenzt. Ein Dritter kann sich nach § 15a Abs. 2 RVG, wie der Auftraggeber, auf diese Anrechnung berufen. Gleiches hat im Falle der Kostenquotelung zu gelten, obgleich insgesamt die Zahlung des Beklagten nicht über dem abstrakten Gesamtbetrag liegt. Der Beklagte ist zur Zahlung von ¼ der Summe verpflichtet, die der Rechtsanwalt maximal gegenüber seinem Auftraggeber geltend machen kann. 

Damit verbleibt es bei der nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG normierten Anrechnung von ½ der (entstandenen) Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. 

Zu erstatten sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers, wie folgt: 

I. Widerspruchsverfahren

Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG          240,00 €                                         
Pauschale, Nr. 7002 VV RVG            20,00 €
Zwischensumme          260,00 €
MwSt. 19 %, Nr. 7008 VV RVG            49,40 €
Gesamtbetrag           309,40 €
Kostenquote 1/4             77,35 €


II. Klageverfahren

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG           300,00 €                                          
Anrechn. Vorben. 3 Abs. 4 VV RVG        - 120,00 €
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG           270,00 €
Pauschale, Nr. 7002 VV RVG            20,00 €
Zwischensumme           470,00 €
MwSt. 19 %, Nr. 7008 VV RVG            89,30 €
Gesamtbetrag          559,30 €
Kostenquote 1/4          139,83 €


Insgesamt: 217,18 Euro

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG

Dieser Beschluss ist nach § 197 Abs. 2 SGG endgültig.
 

Rechtskraft
Aus
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