L 12 U 2297/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 498/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 2297/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.05.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Tatbestand

Streitgegenständlich ist die Gewährung von Heilbehandlung, Verletztengeld und Rente über den 26.04.2017 hinaus wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.10.2015.

Der 1974 geborene Kläger erlitt am 08.10.2015 gegen 16:00 Uhr im Rahmen der bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Straßenbauer den hier streitgegenständlichen Unfall, bei dem er, arbeitend an einer Straßenbaustelle, von einem vorbeifahrenden PKW-Fahrer gestreift wurde. Nach seinen Angaben im Rahmen der Beschädigtenvernehmung gegenüber der Polizei am 13.10.2015 stand er an dem Fertiger, einer Baumaschine, die Teer aufträgt, und schaufelte abfallenden Teer zurück in die Schütte dieser Maschine. Plötzlich sei er von hinten von einem PKW angefahren, am rechten Bein, der rechten Hüft- und Rückenseite erfasst und gegen den Fertiger gedrückt worden. Er sei leicht versetzt gestanden, so dass der rechte Fuß überrollt worden sei. Er habe jedoch zunächst nur geringe Schmerzen gespürt. Der Fahrer habe angehalten und sich entschuldigt. Man habe Telefonnummern ausgetauscht. Er habe zunächst weitergearbeitet, nach ca. 1 Stunde aber starke Schmerzen am Rücken und dem Ellenbogen verspürt und sein rechter Fuß sei taub gewesen. Er habe daher die Arbeit beendet. Demgegenüber machte der Pkw-Fahrer in seiner Stellungnahme gegenüber der Polizei geltend, der Kläger sei unerwartet rücklings mit 2, 3 Schritten gelaufen und dann mit dem rechten Hinterrad seines Autos kollidiert.

Noch am selben Abend stellte sich der Kläger in der Notaufnahme der Kliniken R1 vor. Folgender Befund wurde erhoben: Druckschmerz rechter Ellenbogen, keine Rötung, keine Schwellung, periphere Durchblutung, Motorik, Sensibilität Hand intakt, Druckschmerz rechter Trochanter/rechter lateraler Oberschenkel, pelziges Gefühl, keine Prellmarke sichtbar, Schmerzen im Bereich Metatarsale II-IV, keine Rötung, keine Schwellung, periphere Durchblutung, Motorik, Sensibilität Fuß intakt, Laufen mit Schmerzen möglich. Auch bei der Nachuntersuchung durch K1 am Folgetag bestanden noch starke Schmerzen im rechten Fuß bei freier Beweglichkeit. Arbeitsunfähigkeit wurde zunächst bis 20.10.2015 bescheinigt.

Am 15.10.2015 stellte sich der Kläger notfallmäßig bei der Fachärztin H1 vor. Diese diagnostizierte eine Anpassungsstörung nach Arbeitsunfall.

Am 18.10.2015 stellte sich der Kläger in der Zentralen Notaufnahme der Kliniken R1 mit immobilisierenden Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte/des rechten Oberschenkels vor. Laufen sei aufgrund der Schmerzen kaum möglich. Eine Kernspintomographie (MRT) der Wirbelsäule erbrachte keine Fraktur und keine Spinalkanaleinengung. Der Kläger konnte unter physiotherapeutischer Betreuung mobilisiert werden. Im rechten Oberschenkel wurde ein altes Hämatom beschrieben. Der Kläger erhielt eine umfangreiche Schmerzmedikation. Frau H1 berichtete am 12.11.2015 über 2 weitere ambulante Behandlungen des Klägers und stellte die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode nach Arbeitsunfall.

Nachdem der Kläger auch in der Folgezeit nur mit Unterarmgehstützen laufen konnte und über psychische Probleme klagte, erfolgte vom 15.12.2015 bis 20.01.2016 eine komplex-stationäre Rehabilitation (KSR) in der BG-Klinik T1, im Zuge derer eine neurologisch-psychiatrische konsiliarische Untersuchung durch L1 veranlasst wurde. L1 erhob einen regelrechten klinisch-neurologischen wie auch psychischen Untersuchungsbefund, insbesondere ohne Hinweise für eine krankhafte Unfallfehlverarbeitung. Im Befund- und Entlassbericht der BG-Klinik T1 vom Februar 2016 wurden nach umfangreicher diagnostischer Abklärung morphologische Unfallfolgen verneint und aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht die Arbeitsfähigkeit als wieder gegeben beurteilt. Aufgrund der starken Schmerzsymptomatik bei fehlendem morphologischem Korrelat bestehe weiterhin auf psychologischem und psychiatrischem Fachgebiet eine Arbeitsunfähigkeit.

Es schloss sich eine stationäre psychiatrisch-psychosomatische Behandlung vom 15.03.2016 bis 19.04.2016 in der Klinik R2, O1, an. Dort wurden im orthopädischen Befundbericht vom 01.04.2016 für das unfallchirurgisch-orthopädische Fachgebiet objektivierbare Hinweise für organische Verletzungsfolgen nach dem Unfall vom 08.10.2015 sowie die Notwendigkeit einer diesbezüglichen weiterführenden Therapie und Einschränkungen der Leistungs- und Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen. Im ausführlichen Entlassungsbericht vom 19.04.2016 wurde eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom bei Zustand nach Prellung bzw. Quetschung der rechten Körperhälfte diagnostiziert.

In ihrem Folgebericht vom 16.06.2016 diagnostizierte die K2 beim Kläger, gestützt auf 5 probatorische verhaltenstherapeutische Sitzungen, eine PTBS und eine mittelgradige depressive Episode. Der Kläger habe berichtet, besonders schlimm sei das „Kopfkino", in dem er sich sehe, wie er in den glühenden Asphalt falle und bei lebendigem Leibe verbrenne. Nur die Schaufel, mit deren Hilfe er sich wegdrehen konnte, habe ihm das Leben gerettet.

Im Juli 2016 erfolgte eine kernspintomografische Untersuchung des rechten Fußes. Dabei wurde ein Knochenmarködem mit in erster Linie posttraumatischer Reizung am vorbestehenden Os tibiale externum und angrenzenden Os naviculare festgestellt.

Nach Erschöpfung der Entgeltfortzahlung zum 19.11.2015 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 20.11.2015 Verletztengeld.

M1 vertrat bei seiner im Auftrag der Beklagten durchgeführten ambulanten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung am 06.06.2016 die Auffassung, die Symptome einer PTBS seien nicht eruierbar. Der Kläger sei komplett fixiert auf körperliche Ursachen seiner Erkrankung. Es würde eine Konversionsstörung mit anhaltender somatoformer Schmerzstörung ganz im Vordergrund stehen, daneben eindeutig depressive Symptome. Die Schilderung von Symptomen einer PTBS seien dagegen ausgesprochen vage; viel auffälliger sei eine massive Verbitterungs- und Kränkungsreaktion. Immer wieder hätten sich in der Untersuchung auch Hinweise auf eine Aggravation bei sehr bewusstseinsnahen Inhalten ergeben.

Vom 12.01.2017 bis 24.01.2017 befand sich der Kläger zur schmerztherapeutischen und psychosomatischen Behandlung in der BG-Klinik L2.

Die Beklagte holte das neurologisch-psychiatrische Zusammenhangsgutachten von S1 vom 09.03.2017 (mit ambulanter Untersuchung des Klägers am 03.03.2017). Aufgrund der Exploration des Klägers, eines psychologischen Zusatzgutachtens sowie der Aktenlage kam S1 zu der Beurteilung, dass auf neurologischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörung bestehe. Die an verschiedenen Körperteilen geäußerten Schmerzen seien objektiv nicht nachzuvollziehen. Insbesondere bestehe keine schmerztypische Funktionseinschränkung. Auch auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe keine Gesundheitsstörung. Der Kläger schildere diffuse Beschwerden, die allenfalls entfernt einer PTBS ähneln würden. Bei systematischer Erhebung der PTBS-Kriterien zeige sich, dass diese Störung schon nach den subjektiven Angaben nicht vorliege. Objektiv würden sich für eine Fehlverarbeitung des Ereignisses gar keine Hinweise finden. Der Kläger habe sehr eingehend über den Unfall berichten können, ohne dass es zu einer abnormen körperlichen oder psychischen Reaktion gekommen sei. In der psychologischen Untersuchung zeige sich eine ganz ausgeprägte Beschwerdeübertreibung. Der Kläger sei offensichtlich bestrebt, die Krankenrolle einzunehmen, obwohl keine entsprechende Krankheit vorliege.

Im ausführlichen Krankheitsbericht vom 24.04.2017 teilten die Ärzte der BG-Klinik L2 mit, bei der aktuellen Vorstellung seien keine Unfallfolgen mehr verifizierbar gewesen. Das Heilverfahren ende daher nun, ohne dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) verblieben sei.

Mit Bescheid vom 26.04.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, da sowohl die Ärzte der BG-Klinik L2 als auch der Gutachter S1 festgestellt hätten, dass keine Unfallfolgen mehr vorliegen würden, sei eine weitere Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit zulasten der Beklagten nicht gerechtfertigt. Es bestehe ab dem 26.04.2017 Arbeitsfähigkeit. Bei erforderlicher weiterer Behandlung und/oder Arbeitsunfähigkeit sei dies zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführen. Mit Bescheid vom 26.05.2017 nahm die Beklagte den Bescheid vom 26.04.2017 insoweit zurück, als abweichend hiervon das Verletztengeld bis einschließlich 26.04.2017 gewährt werde.

Mit Bescheid vom 02.06.2017 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 08.10.2015 ab, weil die Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund bewilligte dem Kläger ab dem 01.04.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalls vom 08.10.2015.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26.05.2017 als unbegründet zurück. Über den 26.04.2017 hinaus bestehe keine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und mangels unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit auch kein Anspruch auf Verletztengeld.

Hiergegen hat der Kläger am 26.02.2018 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, mit der er die Übernahme von Kosten der Heilbehandlung und Gewährung von Verletztengeld über den 26.04.2017 hinaus begehrt hat (S 6 U 498/18).

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2018 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.06.2017 über die Ablehnung von Rente als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 14.05.2018 Klage beim SG erhoben und die Zahlung einer Verletztenrente nach Ablauf der 26. Woche nach dem Arbeitsunfall begehrt (S 6 U 1175/18).

Mit Beschluss vom 19.06.2018 hat das SG die Rechtstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 6 U 498/18 verbunden.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Die Ärztin H1 hat mit Schreiben vom Juni 2018 über die Behandlung des Klägers seit dem Oktober 2015, zuletzt etwa alle 8 bis 12 Wochen, berichtet. Während der Behandlung habe sie eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers festgestellt. Es hätten sich recht bald die Symptome einer PTBS mit Flashbacks, Hypervigilanz und Intrusionen gezeigt.
Aus ihrer Sicht sei die bestehende Symptomatik mit höchster Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 08.10.2015 zurückzuführen.

Der F1 hat in seiner Stellungnahme vom Juli 2018 über die Behandlung des Klägers von 2016 bis Anfang 2018 berichtet. Es liege ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, rechtsseitig betont, vor. Bei der klinischen Untersuchung zeige sich kein spezifischer Gelenkbefund, weder im Bereich der Knie noch der Hüfte noch der Wirbelsäule. Nach dem Stand der Dinge sei es durch das Unfallereignis selbst zu keinem somatischen Körperschaden gekommen.

Der H2 hat im Juli 2018 über die regelmäßige orthopädisch-neurochirurgische Behandlung seit Mai 2017 berichtet. Im September 2017 sei eine operative Exstirpation des symptomatischen Os tibiale externum rechts (Entfernung eines Überbeins) durchgeführt worden. Eine solche entzündliche Aktivität könne durch ein Trauma hervorgerufen werden, so dass die Erkrankung noch auf den Unfall vom 08.10.2015 zurückgeführt werden könne.

Die E1 hat im August 2018 berichtet, sie behandele den Kläger seit Januar 2018 in ca. 2- bis 3-wöchentlichen Abständen. Sie hat eine PTBS, eine rezidivierende depressive Störung, eine Störung der Impulskontrolle und einen Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Sie hat berichtet, es sei nachvollziehbar, dass der Kläger bei dem Unfall unter Todesbedrohung geraten sei. Dieser habe gedacht, er würde durch das Unfallfahrzeug in den 180 Grad heißen Asphalt geschoben. Für ihn stehe fest, dass er nur unter Aufbietung all seiner Kraft und dank einer Schaufel, die er in der Hand hatte, diesem Unglück entgehen konnte.

Der Kläger hat weitere ärztliche Befundunterlagen, unter anderem den Arztbrief des S2 vom Februar 2017 vorgelegt, in welchem eine freie Funktion des rechten Fußes und des rechten Sprunggelenks beschrieben wurde.
Vorgelegt worden sind auch die Pflegegutachten vom Mai 2017 (Pflegegrad 1 seit März 2017) und vom Februar 2018 (Pflegegrad 3 seit Januar 2018), der Entlassungsbericht vom Mai 2018 der orthopädischen Universitätsklinik U1 über den dortigen stationären Aufenthalt sowie den Bericht des Universitätsklinikums U1, Klinik für Anästhesiologie, vom Juni 2018 mit der Diagnose eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) Grad I im Bereich des rechten Fußes.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des S3 vom Dezember 2018 vorgelegt. Danach sei auch unter Berücksichtigung der weiteren Unterlagen und Auskünfte der Beurteilung von S1 zuzustimmen, dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis maximal 25.04.2017 vorgelegen habe. Tatsächlich sei ausweislich des nervenärztlichen Berichts von L1 schon im Dezember 2015 die kurzzeitige psychiatrische Reaktion folgenlos ausgeheilt gewesen und habe zu diesem Zeitpunkt keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit mehr bestanden. Die Diagnose einer PTBS sei anhand von Selbstauskunftsbögen gestellt worden, ohne dass eine Beschwerdevalidierung stattgefunden habe.

Zuletzt hat das SG noch den M2 als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom Dezember 2018 ein CRPS am rechten Fuß aufgrund des Unfalls diagnostiziert und eingeräumt,
der zeitliche Verlauf der Entwicklung des CRPS sei zumindest ungewöhnlich. Selbst wenn ein primäres CRPS zunächst unfallnah übersehen worden wäre und durch den Folgeeingriff am 04.09.2017 nochmals getriggert worden wäre, hätten sich die Symptome deutlich früher als erst nach einem Jahr zeigen müssen. Auch das unauffällige Röntgenbild des Fußes würde eher gegen eine schon länger bestehende Störung sprechen.

Die Beklagte hat hierzu die Stellungnahme des T2 vom 10.03.2019 vorgelegt. Dieser hat eine Unfallursächlichkeit für die Gesundheitsschäden und medizinischen Eingriffe auf chirurgischen und unfallchirurgischen Fachgebiet, insbesondere für die Entfernung des Überbeins, die Leistenbruchoperation und für das CRPS, verneint.

Das SG hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) B1, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T1, mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens beauftragt. B1 hat beim Kläger in seinem Gutachten vom 20.10.2020, beruhend unter anderem auf einer ambulanten Untersuchung, eine PTBS mit sehr ausgeprägter Veränderung der Primärpersönlichkeit, eine schwere depressive Episode reaktiver Art, eine Panikstörung und, sofern man organische Ursachen für die körperlichen Beschwerden verneine, eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und daneben deutliche Hinweise auf eine Opiat- und Benzodiazepinabhängigkeit festgestellt. Diese Gesundheitsstörungen seien auch mit Sicherheit bzw. zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen und mit einer MdE um 80 v.H., bzw. bezogen auf die PTBS allein, mit einer MdE um 50 v.H., zu bewerten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum S1 den Kläger als einen Simulanten erachte. Soweit die ergänzend durchgeführte testpsychologische Zusatzbegutachtung durch den M3 klare Hinweise auf deutliche Aggravationstendenzen und auf negative Antwortverzerrungen bei der Beschwerdeschilderung ergeben hätte, dürfe eine psychiatrische Begutachtung sich nicht allein auf Instrumente zur Beschwerdevalidierung stützen.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme von S3 vom November 2020 vorgelegt, wonach das Gutachten nicht nachvollziehbar sei. Die negativen Antwortverzerrungen im psychologischen Gutachten seien nicht weiter diskutiert worden. Die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung könne nur gestellt werden, wenn Simulation auszuschließen sei, was hier nicht der Fall sei. Die Diagnose einer PTBS sei unkritisch unter Zugrundelegung des subjektiven Beschwerdevortrages gestellt worden.

Das SG hat hierzu die ergänzende Stellungnahme von B1 vom Februar 2021 eingeholt, welcher dargelegt hat, es mache keinen Sinn, Testergebnisse isoliert vom sonstigen Befund, wonach sich der Kläger für einen Simulanten ausgesprochen ungeschickt verhalten habe, und von der rekonstruierten Krankengeschichte zu betrachten. Die Beurteilung werde daher beibehalten.

Mit Urteil vom 27.05.2021 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom selben Tag hat das SG die Klagen, zuletzt gerichtet auf die Gewährung von Verletztengeld über den 26.04.2017 hinaus sowie einer Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H., abgewiesen.
Die Klagen seien nicht begründet. Das Gericht komme bei sorgfältiger und kritischer Prüfung der zahlreichen vorliegenden ärztlichen Unterlagen unter Berücksichtigung der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu der Überzeugung, dass die bei dem Kläger bestehende Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderung und Pflegebedürftigkeit jedenfalls ab 27.04.2017 nicht mehr unfallbedingt sei und Ansprüche auf Geldleistungen gegen die Beklagte daher nicht mehr bestehen würden. Zunächst sei festzuhalten, dass der Kläger bei dem Unfall keine nachweisbaren bleibenden körperlichen Verletzungen erlitten habe. Trotz umfangreicher Diagnostik hätten sich keine eindeutig dem Unfall zuzuordnenden körperlichen Verletzungen, weder im Bereich des Fußes, noch der Hüfte, der Wirbelsäule oder des Ellbogens, feststellen lassen. Bei dem Kläger bestehe allerdings eine komplexe psychiatrische Störung, die sich, soweit sich dies aus den Unterlagen ergibt, in zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall entwickelt habe. Das SG folge aber der Beurteilung von S3, wonach die Verschlechterung der Symptomatik, die Persönlichkeitsveränderung und die Medikamentenabhängigkeit spätestens ab 27.04.2017 nicht mehr in rechtlich wesentlichem Ursachenzusammenhang mit dem Unfall gestanden habe.

Gegen das dem Kläger am 07.06.2021 zugestellte Urteil hat dieser am 07.07.2021 beim SG Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, seine andauernden psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere die PTBS, seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtlich wesentliche Unfallfolgen anzusehen. So hätten die behandelnden Ärzte überwiegend eine PTBS diagnostiziert, die auch auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.05.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26.05.2017 sowie des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2018 sowie des Bescheids vom 02.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2018 zu verurteilen, ihm über den 26.04.2017 hinaus Verletztengeld sowie Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie verweist auf die aus ihrer Sicht überzeugende Begründung des angefochtenen Urteils sowie ergänzend auf ihr erstinstanzliches Vorbringen sowie die Begründung in ihren Bescheiden.

Der Berichterstatter hat von Amts wegen den S4 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 10.07.2022, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers, hat der Sachverständige eine hypochondrische Störung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie ein depressives Syndrom diagnostiziert, wobei ihm eine Schweregradeinschätzung aufgrund des in der Begutachtung klar zutage getretenen Aggravationsverhaltens des Klägers mit demonstrativer Darstellung körperlicher Einschränkungen nicht möglich gewesen sei. Eine PTBS liege dagegen nicht vor.
Der Unfall habe weder zu körperlichen noch zu anhaltenden psychischen Unfallfolgen geführt. Weder sei eine MdE festzustellen, noch habe Arbeitsunfähigkeit über den 26.10.2015 hinaus bestanden.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom Oktober 2022 hat sich der Sachverständige mit den Einwendungen des Klägers gegen sein Gutachten auseinandergesetzt und an seiner Beurteilung festgehalten.


Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 14.10.2022 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis 25.11.2022 eingeräumt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen nicht vor. Solche Gründe haben auch die Beteiligten nicht vorgebracht.

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist das Urteil des SG vom 27.05.2021, mit welchem
der Bescheid der Beklagten vom 02.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2018, mit welchem die Gewährung einer Rente abgelehnt worden ist, sowie der Bescheid der Beklagten vom 26.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26.05.2017 und des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2018 über die Ablehnung weiteren Verletztengelds über den 26.04.2017 hinaus bestätigt worden sind. Das Urteil des SG ist aber nicht zu beanstanden, weil der Kläger weder Anspruch auf Verletztenrente (1.) noch auf weiteres Verletztengeld (2.) hat.

1.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren. Dies ergibt sich aus § 56 in Verbindung mit §§ 72 und 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VII).

Renten werden an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet oder, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, der Versicherungsfall eingetreten ist (§ 72 Abs. 1 SGB VII). Versicherungsfälle, aufgrund derer eine Rente in Betracht kommt, sind unter anderen Arbeitsunfälle (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für einen Arbeitsunfall im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang) ist sowie diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat (BSG, Urteil vom 31.01.2012, B 2 U 2/11 R, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 10/11 R, juris; BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 9/10 R, juris; BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris). Für die Gewährung einer Verletztenrente ist erforderlich, dass aufgrund des Gesundheitserstschadens länger andauernde und mit einer rentenberechtigenden MdE zu bewertende Unfallfolgen – Gesundheitsdauerschaden – entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität).

Hier ist zwischen den Beteiligten – zu Recht – unstreitig, dass der Kläger am 08.10.2015 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Damit ist aber nicht zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass nach dem Arbeitsunfall festgestellte weitere Gesundheitsschäden ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind.

Ausgangsbasis für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge ist in einer ersten Prüfungsstufe die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer 2. Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden beziehungsweise denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der „Gelegenheitsursache“ durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens – aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war –, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung, dass die Gesundheitsschäden im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich; die bloße Möglichkeit genügt insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 26/10 R; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R;  BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, alle juris). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris). Insbesondere bei psychischen Gesundheitsstörungen darf nicht aus einem rein zeitlichen Zusammenhang und der Abwesenheit konkurrierender Ursachen automatisch auf die Wesentlichkeit der einen festgestellten naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache geschlossen werden. Angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren, die unter Umständen noch nicht einmal dem Kläger bewusst sind, würde dies zu einer Beweislastumkehr führen, für die keine rechtliche Grundlage zu erkennen ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris). 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze können beim Kläger keine über die 26. Woche hinaus vorliegenden Unfallfolgen, welche die Gewährung einer Rente rechtfertigen könnten, festgestellt werden.

a)
Der Kläger hat bei dem Unfall keine nachweisbaren bleibenden körperlichen Verletzungen, insbesondere keine Frakturen, erlitten, was er im Berufungsverfahren auch nicht mehr geltend macht.

Trotz umfangreicher klinischer und bildgebender Diagnostik zeitnah zum Arbeitsunfall – unter anderem direkt am Unfalltag in den Kliniken R1, am Folgetag durch den K1, 10 Tage später mit kernspintomografischen Untersuchungen in den Kliniken R1, im Zuge der stationären umfangreichen KSR in der BG-Klinik T1 im Dezember 2015, im Zuge der orthopädischen Befunderhebung in der stationären psychiatrisch-psychosomatischen Behandlung in der Klinik R2 im März 2016, bei der schmerztherapeutischen Behandlung in der BG-Klinik L2 im Januar 2017 sowie bei der Vorstellung im April 2017 in der BG-Klinik L2 – konnte kein morphologischer Befund erhoben werden.
Auch der F1 hat in seiner Stellungnahme vom Juli 2018 über die Behandlung des Klägers von 2016 bis Anfang 2018 einen somatischen Körperschaden explizit verneint. Die Operationen der beidseitigen Leistenbrüche und des Überbeins im Bereich des rechten Fußes erfolgten zu Recht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Einzig das im Juli 2016 kernspintomografisch festgestellte Knochenmarködem mit in erster Linie posttraumatischer Reizung kann, die Angaben des Klägers über den Unfallhergang im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen als zutreffend unterstellt, als unfallbedingter Strukturschaden angesehen werden. Auf dieses Knochenmarködem kann mit Wahrscheinlichkeit dann für einen Zeitraum von wenigen Wochen ein Teil der im Bereich des rechten Fußes beklagten Beschwerden und Funktionsstörungen zurückgeführt werden, so T2 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme. Allerdings klingt die klinische Symptomatik eines Knochenmarködem deutlich früher ab, als der bildgebende Befund. Unabhängig davon, dass die klinische Symptomatik keine MdE von wenigstens 10 v.H. erreicht hat, war sie daher jedenfalls am 27.04.2017 als dem 1. Tag nach Ende des Anspruchs auf Verletztengeld und damit eines möglichen Rentenbeginns (vergleiche § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) längstens abgeklungen. Das symptomatisch gewordene Os tibiale externum und dessen Entfernung im September 2017 kann dagegen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Bei dem sogenannten Überbein handelt es sich um einen akzessorischen Knochen der mit einer Häufigkeit von etwa 10 % in der Bevölkerung anzutreffen ist und der gelegentlich durch Schuhdruck Druckbeschwerden verursachen kann, so T2. Sowohl T2 wie auch H2 haben es für lediglich möglich erachtet, dass die entzündliche Aktivierung durch das Unfalltrauma hervorgerufen worden ist, was aber nach den oben dargelegten Grundsätzen für eine rechtlich wesentliche Ursächlichkeit des Unfallgeschehens nicht ausreicht. Daher kann auch die im September 2017 ohne ausreichende medizinische Notwendigkeit, so T2, vorgenommene Entfernung des Os tibiale externum nicht auf den Arbeitsunfall zurückführt werden. Im Übrigen ist die Aktivierung des Os tibiale externum nicht mit einer relevanten Funktionseinschränkung, die eine MdE rechtfertigen könnte, einhergegangen, wie sich unter anderem dem Arztbrief des S2 vom Februar 2017, in welchem eine freie Funktion des rechten Fußes und des rechten Sprunggelenks beschrieben wurde, entnehmen lässt.

b)
Auch die beim Kläger vorliegenden psychischen Erkrankungen lassen sich nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 08.10.2015 zurückführen, wie der Senat insbesondere den Gutachten des M1, S1 und S4 entnimmt.

Dabei ist letzteres Gutachten trotz der Einwendungen des Klägers, er habe sich bei der Begutachtung unwohl und teilweise in die Ecke gedrängt gefühlt und sei deshalb nicht in der Lage gewesen, auf die Frage des Sachverständigen ausreichend einzugehen, auch uneingeschränkt verwertbar.
Die mangelnde Auskunftsbereitschaft und Bereitschaft zur Mitarbeit des Klägers ist hinlänglich aktenkundig und bei dem vom Kläger im Rahmen der Begutachtung durch S4 gezeigten Verhalten handelt es sich um ein identisches Gebaren wie bei der Begutachtung durch S1, M1 und B1. Auch bei B1 stand die Begutachtung aufgrund des Verhaltens des Klägers mehrfach unmittelbar vor dem Abbruch, wie im dortigen Gutachten ausdrücklich dokumentiert worden ist. Die vom Kläger behauptete Panikattacke während der Begutachtung durch S4 hat dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme klar ausschließen können. Denn eine Panikattacke ist, so der Sachverständige, wenn sie sich ereignet, für den Arzt beobachtbar. Es ist sind klare körperliche, psychovegetative Auffälligkeiten wie eine verstärkte Atmung, eine Pulsbeschleunigung, Schwitzen, ein trockener Mund (sofort hörbar), massiv erweiterte Pupillen, Zittern, Fahrigkeit, massive Herzangst (so gut wie jeder fasst sich an die Brust) zu beobachten. Darüber hinaus dauern Panikattacken im Mittel 8 bis 12 Minuten. Keines dieser Symptome konnte indes vom Sachverständigen beim Kläger erfasst werden. Die psychiatrische Exploration war zum Zeitpunkt, zu dem der Kläger die Begutachtung abgebrochen hat, im Übrigen bereits abgeschlossen. Infolge der vorzeitigen Beendigung der Begutachtung durch den Kläger konnte lediglich kein allgemein-körperlicher und neurologischer Befund erhoben werde. Somit ist das Gutachten im Hinblick auf die dort einzig angestellten Überlegungen und Feststellungen zu den seelischen Erkrankungen des Klägers ohne Einschränkungen verwertbar.

aa)
Das SG hat zu Recht entschieden, dass beim Kläger das Vollbild einer PTBS nicht nachgewiesen ist. Dabei ist zu beachten, dass eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet nicht bereits deshalb im Vollbeweis nachgewiesen ist, weil sie von einem behandelnden oder begutachtenden Arzt oder Therapeuten genannt wird. Dies stellt für das Gericht zunächst nur einen Anhaltspunkt dafür dar, dass diese Gesundheitsstörung vorliegen könnte. Bei der Prüfung, ob die jeweils in Rede stehende Erkrankung tatsächlich mit dem erforderlichen Vollbeweis nachweisbar ist, sind folgende Grundsätze zu beachten: Zur Berücksichtigung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (z. B. ICD-10 = 10. Revision der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahr 1989; DSM-5 = Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, das in der aktuellen Fassung 2013 in den USA veröffentlicht wurde und seit 2014 in der deutschen Fassung vorliegt) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erforderlich, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 150).

Die PTBS, die nach der mittlerweile anzuwendenden ICD-10-GM 2023 in F43.1 codiert ist, bezeichnet eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Gerichte wenden zur Feststellung der PTBS auch das diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen – Textversion – (DSM-IV-TR) an. Nach dessen DSM-IV-TR 309.81 ist das sogenannte Traumakriterium (A-Kriterium) eingängiger gefasst. Danach ist Hauptmerkmal der PTBS die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet u.a. das direkte persönliche Erleben einer Situation, welche mit dem Tod oder Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen vergleichbaren Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Das zwischenzeitlich seit Mai 2013 als Nachfolger des DSM-IV-TR nunmehr in deutscher Sprache vorliegende diagnostische und statistische Manual 5. Auflage (DSM-5) formuliert das Traumakriterium (A-Kriterium) wie folgt (F43.10): Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf eine (oder mehrere) der dort näher bestimmten Arten.

Danach kommt die Feststellung einer PTBS bereits deshalb nicht in Betracht, weil das A-Kriterium nicht festgestellt werden kann. Der konkrete Ablauf des Unfalls vom 08.10.2015, insbesondere dessen Eignung als A-Kriterium, konnte von keinem der mit dem Kläger befassten Ärzte und Sachverständigen sicher exploriert werden,
da die klägerischen Darstellungen, wie insbesondere vom Sachverständigen S4 ausführlich herausgearbeitet worden ist und worauf verwiesen wird, erheblich gewechselt haben. Die Bandbreite reicht von den ursprünglichen Angaben zeitnah zum Unfall, beispielsweise gegenüber den Ermittlungsbehörden, bei denen der Kläger das Überrollen des rechten Fußes und den Anstoß an der Hüfte betont hat, über die Angaben im Rahmen der stationären psychiatrischen Behandlung in der Klinik R2, wonach er vom Gefühl her „ein Überlebender eines Krieges“ sei und um sein Leben gekämpft und nur dank einer Schaufel, mit deren Hilfe er sich habe abstützen können, verhindert habe, in den flüssigen Asphalt zu fallen, über die im Rahmen eines Aufenthalts im Krankenhaus F2 getätigte Darstellung, wonach seine komplette rechte untere Körperhälfte vom Auto überrollt worden sei, bis hin zu seiner Darstellung gegenüber S4, wonach er vom Unfall verursachenden Auto über 3 m an der Teermaschine entlang mitgeschleudert worden sei. Es bleibt insbesondere unklar, ob der Kläger dergestalt gegen die Wanne des Teerfahrzeugs gedrückt worden ist, dass tatsächlich Gefahr bestanden hat, dass er in den an sich –ausweislich der vom Kläger zu den Akten gereichten Lichtbilder– nicht allzu großen „Bunker“ (die mit Teer gefüllte Wanne) fällt, was stets als Grund für Todesangst und als eigentliches Trauma eingeordnet wurde. Weder im Rahmen der Begutachtung durch B1 noch durch M1 noch durch S4 war eine klare Schilderung zu erhalten. Es fällt aber die zunehmend dramatischere Darstellung, je weiter das eigentliche Unfallereignis zurückliegt, auf.

Weiterhin war initial keine seelische Erschütterung zu fassen, wie sich aus dem Weiterarbeiten nach dem Unfall ergibt. In den ersten Berichten aus den Kliniken R1 wie auch bei der polizeilichen Vernehmung sind keine Auffälligkeiten festgehalten worden, die ansonsten bei tiefer gehender seelischer Erschütterung – nach dem Diagnosesystem ICD-10 wäre eine psychische Erstreaktion in Form von einer psychopathologisch nachweisbaren subjektiven Beeindruckung durch das Ereignis in Form von intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen zu erwarten – gemeinhin auch oder Polizisten auffallen und von diesen festgehalten werden, so S4 und ebenso S3. Am 15.10.2015 hat die H1 auch lediglich eine leichtere psychische Reaktion in Gestalt einer Anpassungsstörung diagnostiziert. Sie ist auch am 10.12.2015 noch nicht von einer PTBS ausgegangen. Bemerkenswert ist auch, dass L1 im Zuge seiner konsiliarischen Untersuchung des Klägers Ende Dezember 2015 einen regelrechten psychischen Untersuchungsbefund, insbesondere ohne Hinweise einer krankhaften Unfallfehlverarbeitung, erhoben hat.

Auch lassen sich beim Kläger nicht die charakteristischen Symptome einer PTBS feststellen. Bereits M1 hat auf eine ausgesprochen vage Schilderung von Symptomen einer PTBS durch den Kläger hingewiesen, während eine massive Verbitterungs- und Kränkungsreaktion viel auffälliger gewesen sei. Der Kläger hat danach zwar ein Wiedererinnern, Albträume und Tagträume an das Unfallereignis bejaht; diese konnten aber von M1 nicht exploriert werden. Dies hat auch S1 bestätigt, dem gegenüber der Kläger diffuse Beschwerden geschildert hat, die allenfalls entfernt den Symptomen einer PTBS geähnelt haben. Bei systematischer Erhebung der PTBS-Kriterien hat S1 eine solche Störung schon nach den subjektiven Angaben des Klägers ausdrücklich verneint.
Gleiches gilt für die beiden Gutachten in 1. und 2. Instanz. Der Kläger hat gegenüber S4 plakativ seine Störungen geschildert, wie beispielsweise, dass er Bilder vom Unfall vor Augen habe. Auf Nachfragen konnte der Sachverständige dann keinesfalls ein Bilderleben erfragen; der Kläger war nicht imstande, diese Bilder zu konkretisieren. Auch im Rahmen der Begutachtung durch B1 war das eigentliche traumatische Ereignis nur in Ansätzen zu explorieren und blieb es bei schlagwortartigen, plakativen Angaben des Klägers.

Soweit dennoch von den behandelnden Ärzten teilweise eine PTBS diagnostiziert worden ist, ist darauf hinzuweisen, dass diese Diagnose zum Teil unkritisch und inflationär festgestellt wird (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 153) und die zu fordernde (siehe vorstehend) exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme von keinem dieser Ärzte und Therapeuten vorgenommen worden ist.

Die Diagnose einer PTBS durch B1 wiederum kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil der Sachverständige trotz der ganz unterschiedlichen klägerischen Sachverhaltsdarstellungen und der (in dem von B1 in Auftrag gegebenen testpsychologischen Zusatzgutachten) festgestellten Aggravation ohne weitere Begründung von der klägerischen Schilderung, wonach dieser es nur knapp geschafft habe, sich davor zu bewahren, in den heißen Asphalt zu stürzen, ausgegangen ist. Darüber hinaus hat sich der Sachverständige auch nicht mit den fehlenden pathologischen Befunden am Unfalltag und in der Folgezeit, so insbesondere bei der nervenärztlichen Untersuchung Ende Dezember 2015 durch L1, und der nicht dem typischen Verlauf einer PTBS entsprechenden Symptomausweitung mit zunehmenden Abstand zum Unfallereignis auseinandergesetzt, worauf bereits S3 hingewiesen hat.

bb)
Beim Kläger liegen dagegen somatoforme Störungen in Gestalt einer hypochondrischen Störung bezüglich einer Erkrankung am rechten Bein und am rechten Fuß und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie ein depressives Syndrom vor. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des S4, dass auch insoweit im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der Einschätzung des M1 und des S3 steht.

Der Kläger ist der festen Überzeugung, dass er einen organischen Schaden am rechten Bein und Fuß erlitten hat und es sich dabei um eine schwere Erkrankung mit zunehmenden Schmerzen und Beschwerden (somatoforme Schmerzstörung) handelt, ohne dass es einen organischen Befund gibt. Vielmehr hat der Kläger durch den Unfall vom 08.10.2015, wie bereits dargestellt, zwar zahlreiche, aber größtenteils banale Prellungen erlitten die keine besonderen Behandlungsmaßnahmen erforderlich gemacht haben und nach kurzer Zeit folgenlos ausgeheilt waren. Deshalb ist nicht von einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zu sprechen, da somatische Faktoren nie vorgelegen haben, so S4. Die im Vordergrund stehenden somatoformen Störungen (hypochondrische Störung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung) haben in der Folgezeit dann dazu geführt, dass der Kläger mittlerweile deutliche Bewegungsstörungen gezeigt hat, die zum einen zwar an dissoziative Bewegungsstörungen erinnern, gleichzeitig aber ausgesprochen bewusstseinsnah wirkten, so bereits M1. Insofern ist die Diagnose einer zusätzlichen dissoziativen oder Konversionsstörung nicht gerechtfertigt. S4 macht dies schlüssig und nachvollziehbar an seinen Beobachtungen in der Begutachtung fest, beispielsweise dem Verhalten des Klägers nach dem Ende der Begutachtung: Der Kläger hat sich zunächst kleinschrittig mit einem linksgehaltenen Gehstock fortbewegt, um dann zügig die Stufen zum Praxisausgang hinabzuschreiten, ohne nach dem vorhandenen Lift zu fragen oder diesen zu benutzen und ist dann mit großen Schritten und kraftvoll zum Auto geschritten, welches die Ehefrau des Klägers vor der Praxis geparkt hatte, wobei er den Gehstock in der rechten Hand wie eine Attrappe gehalten hat. Während der Begutachtung hat der Kläger ruhig dagesessen und zu keinem Zeitpunkt schmerzgeplagt oder leidend gewirkt. Bereits M1 hat über die Aggravation des Klägers bei sehr bewusstseinsnahen Inhalten berichtet und S1 eine ganz ausgeprägte Beschwerdeübertreibung festgestellt.

Insgesamt ist festzuhalten, dass bei der Begutachtung durch S1 und M1 wie auch bei der Begutachtung durch S4 ein ausgeprägtes Aggravationsverhalten des Klägers zu erkennen war, welches auch in den Testuntersuchungen bei S1, bei denen keine erkennbare Anstrengungsbereitschaft bei Leistungstests oder eine Bereitschaft zur adäquaten Mitarbeit bestand, zum Ausdruck gekommen ist. Dies fiel testpsychologisch auch bei der Begutachtung durch B1 auf. Der M3 hat angesichts deutlich positiv ausgefallener Ergebnisse in den Verfahren zur Überprüfung von Anstrengungsbereitschaft und Aggravation klare Hinweise auf das Vorliegen einer eingeschränkten Testmotivation bzw. eines suboptimalen Leistungsverhaltens festgestellt. Auch die Ergebnisse der eingehenden Beschwerdevalidierung mithilfe verschiedener spezifischer Verfahren fiel auffällig aus, so dass auch keine zuverlässige Beschwerdeschilderung durch den Kläger ermittelt werden konnte und sich, so M3, klare Hinweise auf eine negative Antwortverzerrung bei der Beschwerdeschilderung ergeben haben. Die (ergänzende) Stellungnahme des B1 zu diesen Hinweisen auf Aggravation und Simulation, wonach die testpsychologisch festgestellte Aggravation in der gutachtlichen Bewertung bereits berücksichtigt sei und angesichts des aus dortiger Sicht ungeschickten Verhaltens des Klägers in der Begutachtung, die aufgrund dessen Benehmens kurz vor dem Abbruch stand und als Ausdruck des Klägers, psychosoziale Anerkennung zu erreichen, nicht als Aggravation zu werten sei, überzeugt nicht. Die von M3 angewandten, gut validierten psychometrischen Tests und Indizes belegen vielmehr einen eindeutigen Verdacht auf das Vorliegen einer Simulation bzw. Aggravation, so S3, der weiter zu Recht ausgeführt hat, es sei angesichts der Ergebnisse der Beschwerdevalidierungsverfahren sowie aufgrund der bereits im Gutachten von   B1 gezeigten Inkonsistenzen unwahrscheinlich, dass der Kläger die Beschwerden und Beeinträchtigungen in der jeweils angegebenen Qualität und Ausprägung aufweise. Vor allem aber vor dem Hintergrund der in den 3 weiteren Begutachtungen seitens M1, S1 und   S4 im Rahmen der klinischen Untersuchung und zusätzlich testpsychologisch im Rahmen der Begutachtung durch S1 festgestellten ausgeprägten Anzeichen für Aggravation sind die Erklärungsversuche im Gutachten des B1 wenig überzeugend und möglicherweise seiner Rolle als Gutachter des Vertrauens des Klägers geschuldet. Zusammenfassend ist bei allen Begutachtungen eine Ablehnung der Untersuchung mit verminderter Auskunftsbereitschaft und ein klares Aggravationsverhalten mit auch demonstrativer Darstellung körperlicher Einschränkungen (des Gehvermögens) deutlich geworden. Andrerseits haben M1 und S4 auch unter Berücksichtigung des aggravatorischen Verhaltens des Klägers und abweichend von der Einschätzung des S1 somatoforme Störungen als echten Beschwerdekern herausgearbeitet.

Daneben hat S4, wie bereits M1 und die behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten, ein depressives Syndrom diagnostiziert.
Der Kläger wirkte bei der Begutachtung zunächst mittelschwer bis schwer depressiv gestimmt. Dazu hat jedoch die dann beobachtbare Antriebslage nicht gepasst; denn es wurden bei ihm ausgesprochen energievolle Anteile, beispielsweise bei der Schilderung des Unfallhergangs, deutlich. Vor dem Hintergrund des ausgeprägten Aggravationsverhaltens kann eine Betonung des Schweregrads der Depression nicht ausgeschlossen werden. Eine sichere Schweregradeinschätzung war S4 daher nicht zuverlässig möglich. Er ist jedoch von einem depressiven Syndrom als tatsächlich vorhandenem Beschwerdekern ausgegangen; ebenso wie M1, der eindeutig depressive Symptome festgestellt hat.

Diese beiden psychischen Erkrankungen können aber auch in ihrem nachgewiesenen Beschwerdekern nicht auf den Arbeitsunfall vom 08.10.2015 zurückgeführt werden.
Psychiatrisch ist kein Erstschaden fassbar. Zwar ist Tage später eine Anpassungsstörung, also eine leichtere psychische Reaktion diagnostiziert worden, die sich im Weiteren, folgt man den Angaben der H1, vorübergehend hin zu einer mittelgradigen depressiven Störung verschlechtert zu haben scheint. Diese erste psychische Reaktion in Gestalt einer depressiven Anpassungsstörung ist dann indes im Dezember 2015 wieder abgeklungen, wie aus den Feststellungen von L1 vom 23.12.2015 hervorgeht und worauf S4 und S3 zutreffend verweisen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat ein normaler neurologisch-psychiatrischer Untersuchungsbefund bestanden und sind möglicherweise stattgehabte Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet ausgeheilt gewesen.

Die sich dann später einstellende Verschlechterung der psychischen Situation mit einer immer weitergehenden Ausprägung der somatoformen Störungen (hypochondrische Störung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung) wie auch der Depressivität hat sich vor dem Hintergrund der Nichtanerkennung von Unfallfolgen und der ausbleibenden Entschädigungen entwickelt, so übereinstimmend M1,   S4 und   S3. Bereits   M1 hat beim Kläger eine massive Verbitterungs- und Kränkungsreaktion in Gestalt einer tiefen Verletzung über die Nichtanerkennung der organischen Unfallfolgen sowie über die ausbleibenden Entschädigungen festgestellt. S1 hat zusätzlich den Aspekt eines sekundären Krankheitsgewinns herausgearbeitet, wonach der Kläger offensichtlich bestrebt ist, die Krankenrolle einzunehmen, obwohl keine entsprechende Krankheit vorliegt. Zuletzt hat auch   S4 mit schlüssiger und nachvollziehbarer Argumentation die seelischen Erkrankungen des Klägers in ihrem nachweisbaren Kern als verstärkte psychische Reaktion auf ausbleibende Entschädigungen und das tief wurzelnde Gefühl, dass körperlich empfundene Unfallfolgen nicht ausreichend anerkannt wurden, eingeordnet. Die psychischen Störungen beruhen auf dieser Verbitterung und Kränkung und wurden nicht rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall hervorgerufen, so zu Recht   M1, S1,   S3 und   S4. Die gegenteilige Auffassung, die von   B1 vertreten wird, lässt jede Begründung für einen Kausalzusammenhang missen und setzt sich insbesondere nicht mit der bereits von   M1 beschriebenen massive Verbitterungs- und Kränkungsreaktion aufgrund der Nichtanerkennung der organischen Unfallfolgen sowie der ausbleibenden Entschädigungen auseinander.

Im Übrigen kommt, ohne dass es hierauf nach dem Vorstehenden noch ankommen würde, eine Rente auch deshalb nicht in Betracht, weil nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden kann, ob die seelischen Störungen eine MdE um wenigstens 20 v.H. erreichen. Eine Ermittlung einer konkreten Schweregradeinschätzung der zumindest in einem Beschwerdekern anzuerkennenden Depression und somatoformen Störung wird durch das zuvor beschriebene ausgeprägte aggravatorische Verhalten des Klägers ausgeschlossen, so zu Recht   S4.

c)
Ein seit Mitte 2018 wiederholt diskutiertes CRPS des rechten Fußes kann, unabhängig davon, ob es möglicherweise zwischenzeitlich tatsächlich vorliegt, jedenfalls nicht auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden.

Im Zuge seiner ausführlichen klinischen Untersuchung hat M1 keinerlei Auffälligkeiten im Hinblick auf den rechten Fuß feststellen können und folgerichtig kein CRPS diagnostiziert. Auch S1 hat ein CRPS bei seiner Untersuchung unter Berücksichtigung der Budapest-Konsensuskriterien ausgeschlossen. Im ausführlichen Befundbericht der BG-Klinik T1 vom April 2017 ist bei freier Funktion des rechten Fußes und der Sprunggelenksregion ebenfalls kein auffälliger Befund dokumentiert. Erstmalig ist ein für ein CRPS sprechender Befund im Juni 2018 im Zuge der Vorstellung des Klägers im Universitätsklinikum U1 (damaliger Befund: deutliches Ödem im Seitenvergleich des rechten Fußes, geringgradige Überempfindlichkeit für Berührungsreize, seitendifferentes Kolorit, Sudomotorik und Trophik, palpatorische Temperaturdifferenz) erhoben und ein CRPS entsprechend den Budapest-Kriterien festgestellt worden. Dies hat auch der Arzt M2 in seiner sachverständigen Zeugenaussage bestätigt.

Zu Recht weist T2 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme darauf hin, dass sich ein CRPS regelmäßig bereits wenige Wochen nach der Einwirkung manifestiert, weshalb trotz topographischer Übereinstimmung mit dem Trauma vom 08.10.2015 (unterstellt, der rechte Fuß des Klägers ist tatsächlich überrollt worden) im Hinblick auf das lange zeitliche Intervall von weit über 2,5 Jahren ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfallereignis mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Auch der Arzt M2 räumt ein, dass der zeitliche Verlauf im vorliegenden Fall, wenn man das CRPS auf den Arbeitsunfall zurückführen wollte, zumindest ungewöhnlich sei. Selbst wenn ein primäres CRPS nach dem Unfall übersehen worden wäre und durch den Eingriff im September 2017 nochmals getriggert worden wäre, so hätten sich die Symptome, deutlich früher als erst nach einem Jahr zeigen müssen. Auch verweist er darauf, dass das unauffällige Röntgenbild des Fußes ohne CRPS-typische gelenknahe Entkalkungen eher gegen als für eine schon länger bestehende trophische Störung spricht. Soweit er dann dennoch eine Ursächlichkeit für nicht ausgeschlossen und abschließend sogar es für wahrscheinlicher erachtet, dass die aktuell erhobenen Befunde auf den Unfall vom 08.10.2015 zurückgeführt werden können als auf eine unfallunabhängig hinzugetretene Erkrankung, muss dem, so zu Recht   T2, mit Nachdruck widersprochen werden, da diese Kausalitätserwägungen nicht plausibel zu begründen sind und im Widerspruch zu den vorherigen Ausführungen, auch des Arztes M2, stehen. Vielmehr schließen die wiederholten Feststellungen darüber, dass ein CRPS nicht vorliege, wie auch die zahlreichen Vorberichte, in denen ein CRPS-Befund nicht beschrieben wird, bei fehlender Brückensymptomatik und angesichts der weiteren, gegen ein bereits länger vorliegendes CRPS sprechenden Indizien, wie das unauffällige Röntgenbild, einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 08.10.2015 aus, so T2.

Soweit unter anderem  S3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Dezember 2018 den operativen Eingriff vom September 2017 als auslösendes Ereignis für das CRPS diskutiert, ist dem T2 gleichfalls mit überzeugender Begründung entgegengetreten. Denn auch hier lässt der lange Zeitraum zwischen Eingriff und erstmaliger Feststellung eines CRPS einen Ursachenzusammenhang zumindest für wenig wahrscheinlich erscheinen, worauf ausdrücklich auch der Arzt M2 hinweist. So lassen sich noch im Entlassungsbericht der orthopädischen Universitätsklinik U1 über die dortige stationäre multimodale Schmerztherapie vom Mai 2018, also 8 Monate nach dem operativen Eingriff, keinerlei Hinweiszeichen auf ein CRPS feststellen. Ohnedies kann der im September 2017 vorgenommene Eingriff, wie bereits dargelegt, nicht auf den Arbeitsunfall rechtlich wesentlich zurückgeführt werden.

Damit lagen über den Dezember 2015 hinaus keine auf den Arbeitsunfall vom 08.10.2015 zurückführbaren Gesundheitsstörungen mehr vor. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus als Voraussetzung einer Rente ist damit aus ausgeschlossen.

2.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 26.04.2017 hinaus.

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als der einzigen hier in Betracht kommenden Variante wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können. Verletztengeld wird erbracht bis zum letzten Tag der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder Hinderung durch eine unfallbedingte Heilbehandlungsmaßnahme (§ 46 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII).

Es kann dahingestellt bleiben, ob, wovon  S4 ausgeht, bereits mit Abschluss der Akutversorgung der Unfallfolgen in den Kliniken R1 im November 2015 keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mehr bestanden hat, weil die von der Ärztin H1 diagnostizierte Anpassungsstörung nicht mehr mit einer Arbeitsunfähigkeit einhergegangen ist. Wie dargestellt kann jedenfalls über den Dezember 2015 hinaus keine der klägerischen Gesundheitsstörungen mehr auf den Arbeitsunfall vom 08.10.2015 zurückgeführt werden, weshalb dem Kläger ab diesem Zeitpunkt kein Verletztengeld mehr zugestanden hat.


Nach alledem erweisen sich die angefochtenen Bescheide des Beklagten als rechtmäßig und war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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