Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren der Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten einer stationär durchzuführenden Liposuktion an beiden Armen und Beinen einschließlich Hüften sowie am Nacken streitig.
Am 15. Juni 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Liposuktion an den streitigen Körperbereichen unter Vorlage eines Kostenvoranschlags einer ambulanten Behandlung in Höhe von 15.900,00 €. Sie leide an Lipödem im Stadium III und Multipler Sklerose (MS). Zur Behandlung der MS benötige sie dringend Injektionen des Medikaments Interferon (Rebif). Jedoch dürften Ödempatienten zur Vermeidung von Verletzungen der Lymphbahnen an Armen und Beinen nicht gespritzt werden. Auch könnten die unerträglichen, durch das Lipödem bedingten Schmerzen nur noch durch die beantragte Maßnahme gelindert werden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Juni 2018 die Übernahme der Kosten einer ambulanten Liposuktion ab. Es handele es sich hierbei um eine sogenannte neue Behandlungsmethode, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehöre. Solange der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine neue Behandlungsmethode nicht anerkannt habe, sei eine Kostenübernahme nicht möglich. Dies sei bereits mehrfach vom Bundessozialgericht (BSG) bestätigt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2015, 1 BvR 347/98) könne ein Leistungsanspruch bestehen, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bestehe oder akut eine schwere, irreversible Behinderung oder Pflegebedürftigkeit drohende und eine allgemein anerkannte, dem medizinische Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, da das Lymphödem keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung sei. Zudem stünden konservative Therapien (Komplexe Physikalische Entstauungsbehandlung - KPE, ergänzend Kompressionsbinden und entstauende Bewegungstherapie, manuelle Lymphdrainagen, apparative intermittierende Kompressionsbehandlung – AIK) zur Verfügung.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Ohne die beantragte Liposuktion drohe ein größerer Pflegebedarf, da die MS ansonsten immense Ausmaße annehmen werde. Auch bestätigten die vorgelegten ärztlichen Atteste eindeutig das Vorliegen eines Ausnahmefalls. Die beantragten Maßnahmen seien in ihrem Falle alternativlos.
Die Beklagten holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 2. August 2018 nach Aktenlage ein. Der MDK kam nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestehe ein Lipödem im Stadium II mit erheblicher Schmerzsymptomatik, MS mit motorischen Beeinträchtigungen und Schmerzsymptomatik bei schubförmigem Verlauf, Adipositas Grad II und Neigung zu Rötungen und entzündlichen Prozessen sowie teilweise Bildung von Nekrosen im Bereich der Einstichstellen der Injektionsbehandlung mit Interferon. Dies habe zusätzlich zu einem umfassenden Schmerzmittelkonsum geführt, der auch Opioide und Opiate umfasse. Entsprechend der Leitlinie werde zur Behandlung des Lymphödems Bewegungstherapie, Kompressionsbehandlung, manuelle Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung, komplexe Entstauungstherapieverfahren und ggf. eine stationäre Rehabilitation empfohlen. Darüber hinaus sei eine Gewichtsreduktion durchzuführen, um die negativen Risikofaktoren von Übergewicht/Adipositas auf das Lipödem zu reduzieren. Im Fall der Klägerin sollten neben der Schmerzreduktion auch die Voraussetzungen für weitere subkutane Injektionen zur Vermeidung weiterer Schübe der bekannten MS geprüft werden durch eine differenzierte Stellungnahme der betreuenden Neurologen zu den Möglichkeiten eines Wechsels des Therapieregimes. Auch sollte eine komplexe interdisziplinäre Behandlung erprobt und überprüft werden. Die Übernahme der streitigen Kosten könne nicht empfohlen werden. Auch liege keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Ob ein positiver Effekt der Liposuktion auf Schmerzen oder Reduktion der Lokalreaktion im Zusammenhang der Injektionsbehandlung zu erwarten sei, sei durch Studien nicht belegt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2018 den Widerspruch zurück gestützt auf das Gutachten des MDK. Ergänzend führte sie aus, der GBA habe eine Erprobungsstudie zur Liposuktion zur Behandlung von Lipödem beschlossen, eine abschließende Entscheidung des GBA liege noch nicht vor.
Die Klägerin hat am 12. Oktober 2018 bei dem Sozialgericht in Kassel Klage erhoben.
Am 7. November 2018 hat die Klägerin eine Reha-Maßnahme in der Fachklinik für Medizinische Rehabilitation Klinik G. begonnen, die vorzeitig am 12. November 2018 aufgrund eines akuten MS-Schubs im Einvernehmen mit der Einrichtung beendet worden ist.
Die Klägerin hat ihre Auffassung, es sei von einer besonderen, individuellen Fallgestaltung auszugehen, vertieft und ergänzend vorgetragen, die vorzeitige Beendigung der Reha sei auf die konservative Behandlung des Lipödems durch das Bandagieren von Armen und Beinen zurückzuführen.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2019 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit einer ambulanten oder stationären Liposuktionsbehandlung. Die Liposuktion sei eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode und werde von der Leistungspflicht der GKV im ambulanten Bereich nicht umfasst, da der GBA bislang eine positive Empfehlung über deren diagnostischen und therapeutischen Nutzen nicht abgegeben habe. Auch habe die Klägerin keinen Anspruch auf Durchführung einer Liposuktion im stationären Bereich, da auch die für den stationären Bereich geltenden Anforderungen an die notwendige Qualität der Behandlungsmethode nicht erfüllt seien. Dementsprechend habe der GBA eine Erprobungsrichtlinie für die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems beschlossen. Auch seien trotz der von der Klägerin aufgezeigten besonderen Umstände die Voraussetzungen für eine Leistungserbringung über den Leistungsrahmen der GKV in besonderen Notfällen nicht erfüllt. Der auf Teilnahme an der Erprobungsstudie Liposuktion des GBA gerichtete Hilfsantrag sei unzulässig.
Die Klägerin hat gegen den 15. Februar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 28. Februar 2019 Berufung eingelegt mit dem Hinweis, das Lipödem habe das Stadium III erreicht. Ein Anspruch auf Teilnahme an der Erprobungsstudie des GBA zur Behandlung des Lipödems mittels Liposuktion werde nicht mehr geltend gemacht.
Die Beklagte hat im Rahmen eines von der Klägerin parallel zum Berufungsverfahren gestellten Leistungsantrags ein weiteres Gutachten des MDK vom 22. November 2019 auf der Grundlage einer Untersuchung der Klägerin eingeholt. Danach bestehe bei der Klägerin ein Lipödem im Stadium II. Wie bereits im November 2018 von der Rehabilitationsklinik empfohlen sei ein Therapieversuch in einer lymphologischen Fachklinik dringlich anzuraten, um die spezielle Beschwerdeproblematik und die Möglichkeit der Durchführung einer KPE zu besprechen, individuell Kompressionsmaterial anzupassen oder ggf. zu variieren, auch in Bezug auf die neurologische Erkrankung. Wissenschaftliche Belege bestünden weder für die Auslösung eines MS-Schubs durch Kompressionsbehandlung noch für eine Interferonunverträglichkeit durch Lipödem.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten bei Dr. med. D. (Facharzt für Orthopädie) vom 2. November 2020 eingeholt. Danach besteht bei der Klägerin ein Lipödem im Stadium II im Bereich der Unter- und Oberschenkel. Ein Lipödem im Stadium III sei nicht festzustellen und es bestehe keine Indikation für eine Liposuktion. Aus lymphologischer Sicht sei eine reine manuelle Lymphdrainage mit zusätzlicher häuslicher Lymphomatbehandlung nicht ausreichend, eine individuelle Kompressionsbehandlung nach jeder manuellen Lymphdrainage/Lymphomatbehandlung sei dringend anzuraten und könne auch bei der Klägerin bei bestehender MS erfolgen. Es werde eine erneute stationäre Reha in einer lymphologischen Reha-Klinik sowie eine strukturiertes und edukatives Therapiekonzept bzgl. des Übergewichts empfohlen.
Des Weiteren hat der Senat ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem Arzt K. (Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie) vom 16. Juni 2021 eingeholt. Morphologisch bestehe ein Lipödem im Stadium II. Nach den Qualitätsrichtlinien bestehe keine Indikation für eine Liposuktion. Aus seiner Sicht bestehe eine Indikation, wenn die konservativen Maßnahmen (Bewegung, Physiotherapie, Kompressionstherapie, Lymphdrainage) nach sechs Monaten ausgeschöpft worden seien.
Die Klägerin sieht sich durch das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen K. bestätigt und legt ergänzend einen Arztbrief des Diagnostischen Zentrums Göttingen vom 18. November 2021 zur Diagnose einer Schilddrüsenerkrankung vor.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 2019 und den Bescheid vom 19. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer stationären Liposuktion an beiden Armen, beiden Beinen einschließlich der Hüften sowie am Nacken zu übernehmen,
hilfsweise,
ein Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen, dass bei ihr eine Kompressionsbehandlung wegen der vorliegenden MS aus medizinischen Gründen nicht durchgeführt werden kann.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Entscheidung des Sozialgerichts mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid werde durch die Gutachten des MDK und das Gutachten von Dr. med. D. bestätigt. Dem Gutachten des Arztes K. könne nicht gefolgt werden.
Der Senat hat die in der EDV der Beklagten hinterlegten Daten zu den von der Klägerin ab 1. Januar 2019 in Anspruch genommenen Heil- und Hilfsmittel beigezogen. Des Weiteren hat der Senat mit Beschluss vom 9. November 2021 die zuvor erfolgte Übertragung der Berufung auf die Berichterstatterin (Beschluss vom 22. Oktober 2019) aufgehoben. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte (drei Bände) und der Verwaltungsakte der Beklagte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 2019 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 19. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2018 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin besitzt nicht den im Berufungsverfahren allein noch geltenden gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten einer stationären Liposuktion an beiden Armen, beiden Beinen einschließlich der Hüften sowie am Nacken.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung ist § 39 Abs. 1 SGB V. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Dies setzt hier voraus, dass die Liposuktionen dem maßgeblichen Qualitätsgebot entsprechen, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich ist (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs. 1 SGB V) erbracht werden.
Die Liposuktion als Behandlungsmethode ist aktuell nicht durch einen Beschluss des GBA vom GKV-Leistungskatalog ausgenommen. Der GBA überprüft auf Antrag Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, darauf, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind (§ 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V). Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder unwirksam ist, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie, wonach die Methode nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf (§ 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V). Eine solche - negative - Richtlinie hat der GBA zur Liposuktionsbehandlung bislang nicht erlassen.
Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf die Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung des GBA stützen. Der GBA änderte mit Beschluss vom 19. September 2019 Anlage I der Richtlinie Methoden der Krankenhausbehandlung zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus. Nr. 14 der Anlage I dieser Richtlinie sieht vor, dass die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III zu den Methoden gehört, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich ist (siehe dazu BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R -, juris Rn. 16). Die Klägerin leidet indes nicht an einem Lipödem im Stadium III, sondern an einem Lipödem im Stadium II. Damit sind die Voraussetzungen dieser Richtlinie nicht erfüllt.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf das Gutachten des MDK vom 2. August 2018, welches durch das Gutachten des MDK vom 22. November 2019, das im Berufungsverfahren von Amts wegen eingeholte Gutachten bei Dr. med. D. vom 2. November 2020, aber auch durch das auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholte Gutachten bei dem Arzt K. vom16. Juni 2021 bestätigt wird.
Wie der MDK in seiner Stellungnahme vom 2. August 2018 ausführt, handelt es sich nach der fotografischen Dokumentation um ein Lipödem mit Hautveränderungen im Stadium II; nach der fotografischen Dokumentation lägen keine grob deformierenden Lappenbildungen vor. Dies wird durch das Gutachten des MDK vom 22. November 2019 nach Untersuchung der Klägerin und durch das Gutachten von Dr. med. D. vom 2. November 2020 (ebenfalls nach Untersuchung) bestätigt. Dr. med. D. grenzt in seinem Gutachten zudem die Ausdehnung des Lipödems dahingehend ein, dass morphologisch ein Lipödem im Stadium II im Bereich der Unterschenkel und im Bereich der Unterschenkel bestehe. Im Bereich der Arme, des Nackens und der Bauchschürze handele es sich um ein Übergewichtsproblem, da dort keine Ödembildung diagnostiziert werden könne. Ein Lipödem im Stadium III konnte er bei der Untersuchung nicht festzustellen. Wie auch zuvor der MDK in seinen beiden Gutachten kommt Dr. med. D. zu dem Ergebnis, dass es für ein Lipödem im Stadium III an überhängenden Hautanteilen fehlt. Dies entspricht der S1-Leitlinie Lipödem. Danach ist das Stadium III gekennzeichnet von einer ausgeprägten Umfangsmehrung mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung).
Zu keinem anderen Ergebnis kommt das auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholte Gutachten bei dem Arzt K. vom16. Juni 2021. Danach liege ein Lipödem im Stadium II vor, da am Abdomen eine deutliche Fettschürzenbildung mit deutlicher Fetthypertrophie des gesamten Rumpfbereichs bestehe; überlappende Hautanteile an den Extremitäten bestünden nicht, morphologisch bestehe ein Lipödem im Stadium II. Für ein Lipödem im Stadium III fehle es an überhängenden Hautanteilen.
Auch besitzt die Klägerin keinen Anspruch auf eine Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung auf der Grundlage von § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V. Nach § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V in der zuletzt zum 18. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2494) geänderten und vorliegend anzuwendenden Fassung dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA noch keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat – wie vorliegend zur Liposuktion – im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt und von den Versicherten beansprucht werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternativen bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Mit der Einführung der Regelung des § 137c Abs. 3 SGB V hat der Gesetzgeber eine partielle Einschränkung des in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots eingeführt (siehe BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R -, juris Rn. 24 – 29 unter Aufgabe seiner früheren Rsprg, dass für den Leistungsanspruch auch im Zeitraum der Erprobung im Rahmen einer Erprobungsrichtlinie der volle Nutzungsnachweis der Behandlungsmethode im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute zu verlangen sei). Dementsprechend dürfen Krankenhäuser die Potentialleistungen auch dann erbringen, wenn die Versicherten nicht an einer Erprobungsrichtlinie teilnehmen, ja sogar dann, wenn eine solche noch nicht existiert oder noch nicht einmal ein Bewertungsverfahren nach § 137c Abs 1 Satz 1 SGB V eingeleitet wurde (BSG aaO Rn. 25).
Ein auf § 137c Abs. 3 SGB V gestützter Leistungsanspruch setzt allerdings voraus, dass die begehrte Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative im Sinne von § 137c Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V bietet (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R –, juris Rn. 31). Im Spannungsfeld zwischen einer Teilhabe der Versicherten an der medizinischen Innovation und dem Patientenschutz hat der Gesetzgeber in § 137c SGB V die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Erbringung von Potentialleistungen nicht normiert, gleichwohl kann auf Qualifikationsanforderungen nicht weitgehend verzichtet werden, da auch Potentialleistungen in einem strukturierten System der Qualitätssicherung eingebettet sind (BSG, a. a. O., Rn. 35, 36). Diese Sicherung hat der Gesetzgeber im Erlass einer Erprobungs-Richtlinie (Erp-RL) durch den GBA gesehen. Gem. § 137e Abs. 2 SGB V regelt der GBA im Falle der Erprobung einer neuen Behandlungs- und Diagnostikmethode im Sinne einer Potentialleistung nach Abs. 1 in der Erp-RL die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung während der Phase der Erprobung (siehe BSG, a.a.O. Rn. 37ff. in Falle einer Potentialleistung für die Zeit vor Erlass einer Erp-RL). Der GBA hat mit Erlass der am 18. Januar 2018 auf der Grundlage von § 137e SGB V beschlossenen Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung von Lipödem im Stadium I, II und III (Erp-RL Liposuktion) das Potential diese Behandlungsmethode anerkannt.
Nach dem Wortlaut des § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V muss für einen Anspruch der Versicherten die neue Methode mit entsprechenden Potential eine „erforderliche“ Behandlungsmethode sein. Daran fehlt es, wenn eine Standardtherapie zur Verfügung steht und Risiken existieren, die sich aus dem Einsatz innovativer Methoden (nur) mit dem Potential, nicht aber mit der Gewissheit einer erforderlichen Behandlungsalternative ergeben können. So, wenn sie nicht hinreichend durch eine vorläufige Einschätzung des GBA sowie durch besondere Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität abgesichert sind. § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V spricht das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V an und fordert bei mehreren zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen den Weg des gesicherten Nutzens. In dieser Weise korrespondieren das individuelle Interesse des Versicherten (wirkungsvolle und qualitätsgesicherte Behandlung sowie Vermeidung von Gesundheitsgefahren) mit dem öffentlichen Interesse (verantwortungsvoller Umgang mit den beschränkten Mitteln der Beitragszahler). Eine andere Standartmethode ist dann nicht verfügbar, wenn alle in Betracht kommenden Standardbehandlungen kontraindiziert sind oder sich als nicht wirksam erwiesen haben (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R –, juris Rn, 42).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Ungeachtet der Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion, um den negativen Risikofaktor von Übergewicht auf das Lipödem zu reduzieren - womit die Klägerin nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits erfolgreich begonnen hat -, genügt die bisherige Behandlung der Klägerin nicht, um von einer erfolglosen Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Standardbehandlungen ausgehen zu können. Nach den Gutachten des MDK vom 2. August 2018 und vom 22. November 2019 beinhaltet eine leitlinienbasierte Behandlung des Lipödems im Stadium II den Einsatz einer komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE), die sich aus Bewegungstherapie, Kompressionsbehandlung, manueller Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung zusammensetzt. Vorliegend ist nach den Gutachten des MDK und dem Gutachten von Dr. med. D. davon auszugehen, dass eine solche umfassende Therapie bisher nicht stattgefunden hat. Die von der Klägerin nach dem Leistungsverzeichnis der Beklagten seit Beginn des Jahres 2020 regelmäßig in Anspruch genommene manuelle Lymphdrainage und die häusliche Nutzung des Lymphomats sind nicht ausreichend, ausschlaggebend ist die Kompressionstherapie. Sowohl nach den Angaben der Klägerin anlässlich ihrer Untersuchungen beim MDK und bei Dr. med. D. als auch nach den Daten der Beklagten wird eine Kompressionstherapie seit 2019 nicht mehr durchgeführt.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Arztes K. vom 16. Juni 2021, in dem er ausführt, nach den Qualitätsrichtlinien bestehe im Falle eines Lipödem im Stadium II keine Indikation für eine Liposuktion; nach seiner gutachterlichen Sicht bestehe eine Indikation, wenn konservative Maßnahmen ausgeschöpft seien. Wie ausgeführt, ist eine konsequente Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen gerade nicht nachgewiesen.
Der Senat folgt den Stellungnahmen des MDK und dem Gutachten von Dr. med. D. vom 2. November 2020. Das Gutachten von Dr. med. D. beruht auf einer eigenen Befunderhebung und Auswertung der Krankenunterlagen und lässt keinen Widerspruch zwischen Befunderhebung und Beurteilung erkennen. Auch die Stellungnahme des MDK ist ausführlich und nachvollziehbar begründet.
Der Senat sah sich nicht veranlasst, entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin ein Gutachten von Amts wegen zu der Behauptung einzuholen, bei der Klägerin sei eine Kompressionsbehandlung wegen der vorliegenden MS aus medizinischen Gründen nicht möglich. Nach den vorliegenden umfangreichen ärztlichen Unterlagen besteht weder im Allgemeinen noch im vorliegenden Einzelfall Grund für diese Annahme. Während das Gutachten des MDK vom 2. August 2018 bei bekannter MS und Schmerzsymptomatik eine stationäre Reha zur Erprobung der KPE empfiehlt, weist der MDK im Gutachten vom 22. November 2019 - zusätzlich zur Empfehlung eines erneuten Therapieversuchs (nach Reha-Abbruchs im November 2018) in einer lymphologischen Fachklinik - auf das Fehlen eines wissenschaftlichen Belegs für das von der Klägerin vermutete Auslösen eines MS-Schubs durch Kompressionstherapie hin. Dr. med. D. hat sich nach Untersuchung der Klägerin am 6. Oktober 2020 und nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen in seinem Gutachten vom 1. November 2020 dem angeschlossen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Arztes K. vom 16. Juni 2021, der ausführt, ein Zusammenhang zwischen Kompressionstherapie und dem Auslösen eines MS-Schubs sei möglich, wissenschaftlich jedoch nicht nachweisbar. Auch aus den übrigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Klinik G. zu der vom 7. bis zum 12. November 2018 durchgeführten Reha-Maßnahme ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die die Klägerin behandelnden Ärzte ihre Auffassung teilen.
Ein Leistungsanspruch der Klägerin kommt auch nicht auf der Grundlage der vom BVerfG (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -, juris) entwickelten und zwischenzeitlich durch § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich normierten Voraussetzungen der grundrechtsorientierten Auslegung des SGB V in Betracht. Danach besteht ein Anspruch auf Übernahme einer neuartigen Behandlungsmethode zulasten der GKV, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98; BSG, Urteile vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 26/12 R – und vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R – jeweils juris). In einem Lipödem ist keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung zu sehen (zum Lipödem: BSG Urteil vom 28. Mai 2019 – B 1 KR 32/18 R -, juris). Zudem stehen zur Behandlung weitere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, wie von Dr. med. D. in seinem Gutachten vom 2. November 2020 ausgeführt (individuelle Kompressionsbehandlung nach jeder manuellen Lymphdrainage/Lympfomatbehandlung und beschwerdeadaptierende Kompressionsbandagierung, strukturiertes und edukatives Therapiekonzept zur Gewichtsabnahme).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.