Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. Januar 2023 abgeändert.
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2020 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 8. April 2019 einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 1. April 2020 sowie einen Grad der Behinderung von 60 seit dem 13. Januar 2022 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die höhere Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 40.
Er ist 1960 geboren, hat nach der mittleren Reife eine Ausbildung zum Maschinenschlosser absolviert und sich nach 10-jähriger Tätigkeit in dem Beruf zum Maschinentechniker weitergebildet. Anschließend ist er einer Vollzeittätigkeit als LKW-Fahrer im Holzhandel nachgegangen. Zuletzt war als er Fachkraft für Abwassertechnik bei der Stadtverwaltung beschäftigt und ist seit April 2021 arbeitsunfähig. Er ist verheiratet, die beiden Kinder wohnen nicht mehr mit im Eigenheim (vgl. Anamnese K3).
Am 3. August 2012 beantragte er bei dem Landratsamt G1 (LRA) erstmals die Feststellung des GdB. Vorgelegt wurde unter anderem der Befundbericht des B1 über die ambulante Untersuchung vom 28. Mai 2010. Danach habe sich nach durchgeführter Arthroskopie am rechten Knie bei viertgradiger Chondromalazie ein diskreter Erguss am rechten Knie mit noch endgradig eingeschränkter Beweglichkeit gezeigt. Im radiologischen Befund des Netzwerks für Radiologie über die Kernspintomographie (MRT) der Halswirbelsäule (HWS) vom 24. September 2010 wurde ein mediolateraler Bandscheibenvorfall C6/7 und eine ausgeprägte Fehlhaltung der HWS beschrieben.
Zur Akte gelangte weiter der Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik K1 vom 9. August bis 7. September 2011. Die gestellten Ziele hätten während der Maßnahme erreicht werden können, bei Abschluss habe sich im Bereich der HWS und der linken Schulter eine durchgehend freie Beweglichkeit gezeigt.
L1 bewertete versorgungsärztlich die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die Knorpelschäden am rechten Kniegelenk je mit einem Teil-GdB von 20 und sah einen Gesamt-GdB von 30, den das LRA mit Bescheid vom 16. August 2012 seit dem 3. August 2012 feststellte.
Am 5. Dezember 2017 beantragte der Kläger zum ersten Mal die Neufeststellung des GdB. Vorgelegt wurde der Befundbericht des S1 – Schmerztherapeutisches Zentrum – vom 24. Januar 2017. Dieser beschrieb anamnestisch eine seit dem 40. Lebensjahr beim Kläger bestehende Migräne ohne Aura. Im Durchschnitt bestünden vier bis sechs Kopfschmerztage pro Monat, daneben auch Verspannungen im Schulter-/Nackenbereich mit Schmerzausstrahlung in die Schulter. Sumatriptan und NSAR würden eingesetzt, der Kläger habe jedoch den Eindruck, dass die Wirkung immer weniger effektiv sei.
Nachdem H8 versorgungsärztlich an der bisherigen Bewertung festhielt, insbesondere die Migräne als nicht nachgewiesen erachtete, lehnte das LRA die Neufeststellung des GdB mit Bescheid vom 2. Januar 2018 ab.
Am 22. Januar 2019 beantragte der Kläger zum zweiten Mal die Neufeststellung des GdB und legte neben einer Kopie seines „Migränetagebuches“ Befundberichte des H7 vor. Dieser gab am 26. September 2018 an, dass in den letzten Monaten die Migräneattacken häufiger geworden seien und 10 bis 15-mal im Monat starke Kopfschmerzen aufträten. Der Kläger müsse dann Sumatriptan 100 mg einnehmen, wobei sich die Kopfschmerzen nur manchmal besserten. Die am 31. Juli 2018 durchgeführte MRT des Schädels sei unauffällig gewesen. Er gehe von vaskulären Kopfschmerzattacken aus und habe zu einer medikamentösen Prophylaxe geraten.
H8 führte versorgungsärztlich aus, dass die Angaben im Migränetagebuch auf Selbstangaben des Klägers beruhten, diese aber durch die Verordnungszahlen von Sumatriptan und Topiramat nachvollziehbar seien, die erhoben werden müssten. Der H3 gab daraufhin an, dem Kläger am 14. Mai, 11. Juli und 23. Oktober 2018 je 12 Stück Sumatriptan 100 mg verordnet zu haben. Dies auswertend wies H8 darauf hin, dass die angegebene Anzahl von Migräneanfällen nicht zu den aktenkundigen Verordnungszahlen von Sumatriptan passe. Das Migräneleiden könne daher mit keinem höheren Teil-GdB als 30 bewertet werden.
Mit Bescheid vom 8. April 2019 hob das LRA den Bescheid vom 16. August 2012 auf und stellte einen GdB von 40 seit dem 22. Januar 2019 fest.
Im Widerspruchsverfahren wurde der Befundbericht des H7 vom 7. Mai 2019 vorgelegt. Danach beschreibe der Kläger einen Leistungsknick mit gedrückter Stimmung und einem Antriebsdefizit sowie Migräneattacken, die derzeit zwei- bis dreimal die Wochen aufträten. Dieser sei dann gezwungen, Sumatriptan 100 einzunehmen und dies manchmal bis zu fünfmal die Woche. Psychisch sei die Stimmung gedrückt, die affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt. Es bestünden kein Anhalt für Suizidalität oder inhaltliche Denkstörungen. Es liege eine mittelgradige depressive Episode vor, wobei differentialdiagnostisch an eine depressive Anpassungsstörung im Rahmen eines chronischen Schmerzsyndroms zu denken sei. Er habe jetzt Escitalopram, niedrig dosiert, verordnet. Hinsichtlich der Migräne habe er eine medikamentöse Prophylaxe versucht, die wegen der Nebenwirkungen habe abgesetzt werden müssen. Eine solche mit einem Betablocker sei wirkungslos gewesen.
Nachdem H8 versorgungsärztlich an der bisherigen Bewertung festhielt, wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 29. Mai 2019 zurück.
Am 1. April 2020 beantragte der Kläger zum dritten Mal die Neufeststellung des GdB. Vorgelegt wurde der Befundbericht des H7, der unveränderte Beschwerden mit starken Migräneattacken, teilweise bis zu drei Tage ununterbrochen anhaltend, beschrieb. Die Migräneattacken gingen mit Übelkeit, Erbrechen und ab und zu auch einem Flimmerskotom einher. Im Anschluss an die schweren Migräneattacken benötige der Kläger eine Erholungsphase von ein bis zwei Tagen. Psychisch sei die Stimmung gedrückt, die affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt, es habe kein Anhalt für Suizidalität bestanden.
Das LRA zog den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K1 über die neurologische Rehabilitation vom 30. Januar bis 5. März 2020 bei. Dort berichtete der Kläger, dass schmerzhafte Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, bewegungsabhängige Schmerzen im Schultergelenk rechts sowie seit Jahren bestehende Rückenschmerzen und Schmerzen im rechten Kniegelenk bei einer Wegstrecke von mehr als 30 km bestünden.
Psychisch sei der Kläger wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Es bestünden keine Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen. Die Stimmung sei zum depressiven Pol bei reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit verschoben. Beim leichtgradigem Antriebsdefizit bestünden keine psychomotorischen Störungen.
Die Koordination in den Zeige- und Halteversuchen sei ebenso wie die Gang- und Standprüfung sicher. Orthopädisch zeige sich ein aufrechtes Gangbild sowie eine rechtskonvexe Skoliose der Wirbelsäule bei ausgeprägter Kyphose der Brustwirbelsäule (BWS). Es bestehe eine eingeschränkte Beweglichkeit in der HWS und in der Lendenwirbelsäule (LWS). Der Zehen-, Fersen- und Einbeinstand seien beidseits sicher ausführbar. Die großen Gelenke seien frei beweglich gewesen, Thorax und Becken stabil.
Auf neurologischem Fachgebiet imponiere eine sehr häufig auftretende Migräne, die medikamentös mit Sumatriptan eingestellt sei. Auf orthopädischem Fachgebiet werde über Nackenschmerzen ohne subjektiv empfundene sensomotorische Ausfälle geklagt. Die Beweglichkeit der HWS habe für die Rechts-/Linksrotation bei 70-0-75°, für die Rechts-/Linksseitneigung bis 20-0-20° und für die Rotation in der Atlasebene bei 40-0-40° gelegen. Psychisch bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom mit depressiver Stimmungslage. Die Medikation sei angepasst worden, eine Erhöhung möglich. Ein erneuter Prophylaxe-Versuch hinsichtlich der Migräne solle überdacht werden.
O3 legte versorgungsärztlich dar, dass der Teil-GdB für die Migräne auf 40 angehoben werden könne. Die orthopädischen Beschwerden begründeten nur leichtgradige Funktionseinbußen, Überschneidungen zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und dem Kopfschmerzsyndrom blieben zu diskutieren. Dementsprechend werde die Schwerbehinderteneigenschaft weiterhin nicht erreicht.
Den Neufeststellungsantrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 25. Juni 2020 ab.
Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2020 zurück. Von Ausnahmefällen abgesehen führten leichtere Gesundheitsstörungen, die nur mit einem GdB von 10 zu bewerten seien, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnten, auch dann nicht, wenn mehrere derartige Gesundheitsstörungen nebeneinander bestünden. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 sei es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Über den GdB sei letztmals mit Bescheid vom 8. April 2019 entschieden worden. In den Verhältnissen, die diesem Bescheid zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung, die eine Erhöhung des bisherigen GdB rechtfertigen könne, nicht eingetreten. Zwar habe als weitere Funktionsbeeinträchtigung eine „depressive Verstimmung, Anpassungsstörung“ mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigt werden können, die neu festgestellte Funktionsbeeinträchtigung führe jedoch zu keiner wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und damit zu keinem höheren GdB. Die Migräne sei mit einem Teil-GdB von 40 leidensgerecht bewertet, häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend, seien dabei berücksichtigt. Bezüglich der orthopädischen Beschwerden seien nur leichtgradige Funktionseinbußen belegt. Neurologische Auffälligkeiten bestünden nicht.
Am 5. Oktober 2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und den Befundbericht des H7 vom 28. Januar 2021 vorgelegt. Danach sei die Symptomatik unverändert. Der Kläger leide derzeit zweimal die Woche unter starken Migräneattacken, die bis zu 3 Tage ununterbrochen anhielten und sich manchmal nach Einnahme von Sumatriptan 100 mg besserten. Nach wie vor beklage er einen Leistungsknick einhergehend mit einer depressiven Symptomatik und sehe als Auslöser die häufigen Migräneattacken an. Psychisch sei die Grundstimmung gedrückt, die affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt. Eine Migräneprophylaxe sei erfolgt, habe aber die Häufigkeit der Attacken nicht verringern können. Die Appetitlosigkeit habe bereits zu einer Gewichtsabnahme geführt, die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz sei erheblich eingeschränkt. Es liege eine schwere Verlaufsform einer Migräne und eine depressive Anpassungsstörung (mittelgradige depressive Episode) vor.
Das SG hat das nervenärztliche Sachverständigengutachten des L3 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 4. Mai 2021 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, mehrfach pro Woche unter massiven Kopfschmerzen, verbunden mit Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen zu leiden. Vielfach müsse er sich hinlegen, fühle sich reizbar und habe sich in den vergangenen Jahren zunehmend zurückgezogen. Nacken-Hinterkopf-Schmerzen und eine Nackensteifigkeit lägen vor, dabei hätten die Nacken-Hinterkopf-Schmerzen einen dumpf-drückender Charakter, den er von den pulsierenden, stechenden Migräneattacken abgrenzen könne. Die paravertebrale Muskulatur sei insbesondere entlang der HWS druckschmerzhaft und verspannt, die Beweglichkeit sei abgesehen von einer gelegentlichen schmerzhaften Gegenspannung nicht eingeschränkt. Das Stehen und Gehen seien jeweils frei.
Psychiatrisch sei der Kläger offen, aber nur in Grenzen kooperationsfähig. Die gestellten Fragen würden zögernd, mit erkennbarer emotionaler Belastung beantwortet. Die Persönlichkeit sei eher einfach strukturiert, wenig flexibel, er verfüge über reduzierte verbale Konfliktlösestrategien. Das Krankheitsverständnis sei dominierend somatisch. In Belastungs- und Einengungssituationen würden körperlich im Ansatz vorhandene Beschwerden verstärkt erlebt. Die Introspektionsfähigkeit sei gering, es bestünden keinerlei Hinweise auf bewusste Simulation oder plumpe Aggravation von Beschwerden. Die Stimmung sei mittelschwer depressiv ausgelenkt. Affektiv bestehe eine nahezu aufgehobene Schwingungsfähigkeit, die Psychomotorik sei gebunden, der Affekt eingeschränkt. Es werde nur schwer Blickkontakt gehalten, Angst bestehe und sei im Zuge der Exploration verbunden mit einer inneren Unruhe und Anspannung. Thematisiert werde wiederholt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im Kontext wiederholter Arbeitsunfähigkeitszeiten. Depressionstypische Schlafstörungen seien vorgebracht worden.
Diagnostisch habe sich ein komplexes Kopfschmerzgeschehen vor dem Hintergrund vertebragener Kopfschmerzen bzw. Muskelverspannungskopfschmerzen, analgetikainduzierter Kopfschmerzen und einer Migräne, weitergehend eine aktuell mittelschwere Depression und Angst gezeigt.
Bei dem komplexen Kopfschmerzgeschehen spielten einerseits eine Migräne, andererseits ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden bzw. Spannungskopfschmerzen und ein analgetikainduzierter Kopfschmerz eine Rolle. Mit Blick auf den bestehenden Triptane-Abusus spiele dabei der analgetikainduzierte Kopfschmerz eine besondere Rolle und sei letztendlich auch besonders gefährlich. Analgetikainduzierte Kopfschmerzen seien unter Kopfschmerzpatienten recht häufig. Notwendig sei ein Stopp der Schmerzmitteleinnahme und dann die Therapie der ggf. vorliegenden dominierend HWS-assoziierten Schmerzen mittels krankengymnastischer und physikalischer Maßnahmen oder der zugrundeliegenden Migräne mit vorbeugend wirkenden Substanzen. Ein Teil-GdB von 30 für das komplexe Kopfschmerzgeschehen sei durchaus gerechtfertigt. Es sei dringend geboten, eine strikte Analgetika-Abstinenz einzuhalten und insbesondere auf Triptane zu verzichten. In Kombination mit einer adäquaten Migräneprophylaxe und einer effektiven Behandlung der bestehenden Depressivität sei in einem Zeitraum von 1 bis 2 Jahren mit einer Besserung zu rechnen.
Vor dem Hintergrund einer positiven Familienanamnese bestehe eine rezidivierend depressive Störung und Angst, die aktuell durchaus mittelschwer ausgeprägt sei. Es finde zwar eine Mirtazapin-Medikation statt, diese reiche aber offensichtlich nicht aus, das Beschwerdebild ausreichend zu behandeln. Ersichtlich sei es bei dem Kläger bislang nicht gelungen, die bestehende Depressivität nachhaltig zu bessern. Eine nicht effektiv behandelte psychische Störung werde langfristig zu einem zunehmenden Rückzug führen. Dies gelte insbesondere dann, wenn in der Persönlichkeit eine nur eingeschränkte Flexibilität oder Introspektionsfähigkeit, also eine einfache Struktur festzustellen sei. Zur Prognose sei auszuführen, dass diese nicht schlecht sein müsse. Eine angepasste Therapie sei durchaus geeignet, mittelfristig zu einer Stabilisierung beizutragen. Die durchaus mittelschwere depressive Störung sei mit einem GdB von 30 zu bewerten.
In der Gesamtschau mit dem Knorpelschaden am rechten Kniegelenk, der mit einem GdB von 20 beurteilt worden sei, müsse von einem Gesamt-GdB von 50 ausgegangen werden.
Zur Akte gelangt ist der Befundbericht des H7 vom 30. April 2021. Danach berichte der Kläger über eine Zunahme der Migräneattacken. Er führe ein Kopfschmerztagebuch und leide unter 15 Migräneattacken im Monat. Die gängigen Prophylaktika hätten sich als unwirksam erwiesen, das gelte auch für die angesetzte Prophylaxe mit Aimovig 70 mg, die wieder abgesetzt worden sei. Zudem liege eine mittelgradige depressive Episode vor, wobei differentialdiagnostisch an eine depressive Anpassungsstörung im Rahmen von chronischen Kopfschmerzen zu denken sei. Er habe jetzt Mirtazapin verordnet, wobei die Dosis bei guter Verträglichkeit gesteigert werden könne.
Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten unter Vorlage der Stellungnahme der G2 entgegengetreten. L3 sehe ein komplexes Kopfschmerzgeschehen und eine mittelschwere Depressivität, es bestehe aber eine massive Überlagerung zwischen den Diagnosen, sodass ein Teil-GdB von 40 weiterhin ausreichend hoch bemessen sei. Hinsichtlich der Wirbelsäule fänden sich im Rehabilitationsentlassungsbericht keine relevanten Funktionseinschränkungen, solche beschreibe L3 ebenfalls nicht. Ein Teil-GdB von 20 lasse sich überhaupt nicht überzeugend rechtfertigen, das Schmerzsyndrom sei unter Punkt 1 berücksichtigt. Am rechten Kniegelenk bestehe ein Zustand nach operativem Eingriff im Mai 2020. Seinerzeit sei ein Knorpelschaden nachgewiesen worden. Ein aussagekräftiger aktueller orthopädischer Befundbericht liege nicht vor. Im aktuellen Rehabilitationsentlassungsbericht von 2020 sei eine Funktionseinschränkung oder ein Reizzustand nicht aufgeführt. Eine MRT-Untersuchung oder ein Röntgenbefund mit Nachweis einer relevanten Arthrose liege ebenfalls nicht vor. Es könne nur ein (schwacher) Teil-GdB von 20 angenommen werden. Hinsichtlich der linken Schulter liege ein aktueller orthopädischer Befundbericht mit Nachweis einer relevanten Funktionseinschränkung nicht vor. Der Teil-GdB sei mit 10 zu bewerten, der Gesamt-GdB weiter mit 40.
Anschließend hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des K3 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 13. Januar 2022 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, zwei- bis viermal die Woche unter massiven Kopfschmerzen zu leiden, die mit Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen einhergingen. Es seien Schlafstörungen mit daraus folgendem Schlafdefizit und Konzentrationsstörungen tagsüber beschrieben worden. Es bestünden Schmerzhaftigkeiten im Bereich der HWS, z. T. in den Hinterkopf ausstrahlend, sowie Schmerzen im Bereich des rechten Kniegelenks. Die Belastbarkeit sei reduziert, joggen nicht mehr möglich. Die Gehstrecke sei auf circa 1 Kilometer begrenzt. Beim Heben des linken Armes über die Horizontale bestehe eine Schmerzhaftigkeit, dessen Einsatz sei eingeschränkt.
In der Untersuchungssituation sei das An- und Auskleiden selbstständig mit Verzögerung erfolgt. Beim Gehen zu ebener Erde zeige sich ein leicht rechtsseitiges Verkürzungshinken, der Einbeinstand und das monopedale Hüpfen sei beidseits vorzuführen und nicht krankhaft verändert gewesen.
Die seitliche Hals- und Nackenmuskulatur sei bei der Aufforderung, den Kopf vor- und rückzuneigen seitengleich angespannt. Im zwanglosen Stand sei die Nackenmuskulatur verspannt. Das Vor- und Rückneigen des Oberkörpers sei mit mäßiger Einschränkung aktiv vorgeführt worden, das Zeichen nach Ott liege bei 30:33 cm. Die Seitneigefähigkeit der LWS sei seitengleich, das Zeichen nach Schober betrage 10:15 cm.
Die linksseitige Schultergelenksbeweglichkeit sei im Seitenvergleich eingeschränkt, die rechtsseitige physiologisch. Nacken- und Schürzengriff seien beidseits vorgeführt worden, linksseitig seien Schmerzen angegeben worden.
Beim Stand zu ebener Erde habe ein leichter Beckentiefstand rechts infolge der relativen Beinverkürzung wegen des Streckdefizits des rechten Beines bestanden. Das rechte Kniegelenk habe im Seitenvergleich etwas verdickt gewirkt, die Umrisszeichnungen im Bereich des Beckens, beider Ober- und Unterschenkel sowie der Füße seien seitengleich und altersentsprechend physiologisch ausgebildet. Die Muskulatur beider unteren Extremitäten sei seitengleich und altersentsprechend normal kräftig ausgebildet. Die Bewegungsfähigkeit im Bereich des rechten Kniegelenks sei bezüglich Streck- und Beugefähigkeit im Seitenvergleich eingeschränkt. Die aktive und passive Beweglichkeit aller übrigen Gelenke der unteren Extremitäten sei altersentsprechend normal und seitengleich ausgebildet. Die Seitenbandhaft beider Kniegelenke sowie die Kreuzbandhaft seien fest gewesen. Meniskuszeichen hätten sich keine auslösen lassen. Das Zohlenzeichen als Zeichen einer Schädigung des patellofemoralen Gelenks sei beidseits negativ. Rechtsseitig habe sich der Befund der „tanzenden Patella“ als Ausdruck einer Ergussbildung im Bereich des rechten Kniegelenks (Reizerscheinung) gezeigt. Die grobe Kraft sei seitengleich und nicht eingeschränkt gewesen, die Sensibilität habe sich verglichen an den korrespondierenden Stellen der unteren Extremität seitengleich normal gezeigt.
Es bestehe eine schmerzhaft eingeschränkte Bewegungsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Kniegelenks nach rechtsseitiger Kniegelenksarthroskopie 2010 mit Knorpelglättung bei dritt- bis viertgradiger Chondropathie sowie nun bestehender Gonarthrose Typ Kellgren 3 mit Reizerscheinung (Kniegelenkserguss) sowie rechtsseitigem Beckentiefstand wegen relativer Beinverkürzung rechts infolge eines Kniestreckdefizits und dadurch hervorgerufenem Verkürzungshinken rechts. Weiter lägen eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Schultergelenks und eine schmerzhaft eingeschränkte Bewegungsfähigkeit und Belastbarkeit der HWS bei Osteochondrose C5/6 und C6/6 sowie mediolateralem Bandscheibenvorfall C5/6 links, C6/7 links und C4/5 rechts vor.
Eine Bandinstabilität am Kniegelenk habe nicht bestanden, ein Streckdefizit im Kniegelenk von 5° werde beim Gehen weitgehend kompensiert, ab 10° komme es zu einer mäßigen Beeinträchtigung der Gangabwicklung mit funktioneller Beinverkürzung und Problemen bei der Kraftübertragung mit vermehrter Muskelarbeit. Die Gelenkflächen seien bei dem Kläger verändert gewesen, diese Veränderungen führten zu belastungsabhängigen Beschwerden. Eine längere Schonung oder Entlastung habe anhand des seitengleichen Muskelmantels ausgeschlossen werden können. Ein Reizzustand habe festgestellt werden können, ebenso ein vermehrter Kniegelenksumfang rechts. Da die gonarthrotischen Veränderungen nur rechtsseitig vorlägen, könne eine Kompensation durch die schmerzfrei belastbare linke untere Extremität erfolgen. Die Bewegungs- und Funktionseinschränkung sei als mittelschwer, die Knorpelschäden seien als sehr schwer zu bewerten. Hieraus resultiere ein Teil-GdB von 30. Die Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Knies seien bislang nur unzureichend gewürdigt worden.
Die Belastbarkeit und die Leistungsfähigkeit der HWS sei wegen der festgestellten Aufbraucherscheinungen eingeschränkt. Aus der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit resultiere eine verminderte rasche Orientierung im Raum, weshalb zahlreiche Tätigkeiten eingeschränkt seien. Die Bewegungs- und Funktionseinschränkung sei als geringgradig zu klassifizieren und mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten.
An den Schultergelenken habe sich eine nur geringgradige Bewegungseinschränkung links gezeigt, die mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sei.
L3 habe in seinem Sachverständigengutachten präzise das komplexe Schmerzgeschehen wie die mittelschwere Depressivität und Angst beschrieben und gutachterlich jeweils mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Eine wesentliche Überlagerung habe dieser nicht gesehen, sodass unklar bleibe, weshalb versorgungsärztlich von einer massiven Überlagerung ausgegangen werden. Eine Begründung fehle gänzlich.
Die Einschätzung der G2 das rechte Kniegelenk betreffend, sei nicht nachvollziehbar. Die dritt- bis viertgradigen Knorpelschäden im femoralen Gleitlager und medialen Kniegelenkskompartiment seien arthroskopisch und radiologisch im Vollbeweis dokumentiert, ferner könne ein Streck- und Beugedefizit mit Reizerscheinungen (Kniegelenkerguss, „tanzende Patella“) festgestellt werden.
Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten durch Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des H2 entgegengetreten. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ könne weiterhin nur ein Teil-GdB von 40 angenommen werden. Es würden keine Antidepressiva regelmäßig eingenommen und die Gesundheitsstörungen auf diesem Fachgebiet überlagerten sich.
Am rechten Kniegelenk liege nur eine minimale Funktionseinschränkung mit einer Beugefähigkeit von 130° und einem Streckdefizit von 10° vor. Außerdem werde auf die Verdickung des rechen Kniegelenks hingewiesen, die aber bei einer vergleichenden Umfangs-Messung nur 1 cm betrage. Ansonsten bestehe eine vollkommen seitengleiche Bemuskelung beider Beine. Dies spreche dagegen, dass das rechte Bein wegen der Probleme von Seiten des rechten Kniegelenks anhaltend geschont werden müsse. Die durchgeführte Arthroskopie sei erfolgreich gewesen, es fänden sich keine Osteophyten. Die einzige Auffälligkeit sei, dass die Gelenkspaltweiten rechts gegenüber links reduziert gewesen seien. Damit sei der bisherige GdB von 20 für die Belastungseinschränkung des rechten Kniegelenks weiterhin völlig ausreichend, sogar großzügig. Die minimale Einschränkung der Beugefähigkeit auf 130° und das leichte Streckdefizit von 10° stellten keine wesentliche Beeinträchtigung dar. Hinweise auf eine Bandinstabilität fänden sich am rechten Kniegelenk nicht.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2023 abgewiesen. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei nicht nachgewiesen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ seien mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten.. L3 habe ein komplexes Kopfschmerzgeschehen sowie eine mittelschwere Depression und Angst diagnostiziert und hierfür jeweils einen Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen. Zwar sei für das komplexe Kopfschmerzgeschehen ein Einzel-GdB von 30 nachvollziehbar, für die Depression und Angst aber ein solcher von 20 ausreichend. Wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seien nicht nachgewiesen, die beiden Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet überlagerten sich, weshalb ein Teil-GdB von 40 zu bilden sei. Im Funktionssystem „Beine“ sei ein Teil-GdB von 20 angemessen. Versorgungsärztlich sei nachvollziehbar ausgeführt worden, dass der bisherige GdB von 20 für die Belastungseinschränkung des rechten Kniegelenks völlig ausreichend, sogar großzügig sei. Die minimale Einschränkung der Beugefähigkeit auf 130° und das leichte Streckdefizit von 10° stellten keine wesentliche Beeinträchtigung dar. Hinweise auf eine Bandinstabilität fänden sich nicht. Es liege nur eine minimale Funktionseinschränkung vor und bei der von K3 beschriebenen Verdickung des rechten Kniegelenks habe die Umfangsdifferenz nur 1 cm betragen. Im Rehabilitationsentlassungsbericht habe der Kläger nur über Knieschmerzen bei einer Wegstrecke von mehr als 30 km berichtet, ein Teil-GdB von 20 daher mehr als ausreichend. Dass sich die Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Knies verschlechtert hätten, habe der Kläger nicht vorgetragen. Im Funktionssystem „Rumpf“ sei ein Teil-GdB von 10 ebenso ausreichend, wie im Funktionssystem „Arme“. Der Gesamt-GdB betrage damit 40, der Teil-GdB von 20 im Funktionssystem „Beine“ wirke sich nicht erhöhend aus, da es sich nur um eine leichte Funktionsbeeinträchtigung handele.
Am 6. Februar 2023 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Das Kopfschmerzgeschehen und die Depressivität seien als mittelschwer bis schwer einzuordnen, wie auch L3 ausgeführt habe. Daneben begründeten die von K3 festgestellten Einschränkungen am rechten Knie einen Teil-GdB von 30, sodass die festgestellten Gesundheitsstörungen zu einem Gesamt-GdB von 50 führten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. Januar 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2020 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 8. April 2019 einen GdB von mindestens 50 seit dem 1. April 2020 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG), auch im Übrigen zulässig und überwiegend begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 11. Januar 2023, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 10. September 2020 sowie sinngemäß unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 8. April 2019 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.
Die teilweise Begründetheit der Berufung folgt aus der teilweisen Begründetheit der Klage. Der Bescheid vom 25. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Dieser kann die höhere Neufeststellung des GdB beanspruchen, nachdem weder die im Verwaltungsverfahren durchgeführte Sachaufklärung die Ablehnung des Neufeststellungsantrages trägt, noch die eingeholten Sachverständigengutachten im Klageverfahren eine Abweisung der Klage rechtfertigen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigstens 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt, nachdem durch den Rehabilitationsentlassungsbericht über die stationäre Rehabilitation vom 30. Januar bis 5. März 2020 eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid vom 8. April 2019 objektiviert worden ist, die die Neufeststellung des GdB schon zum Antragszeitpunkt gerechtfertigt hat. Daneben liegt eine wesentliche Änderung im orthopädischen Befund vor, die während des erstinstanzlichen Klageverfahrens durch das Sachverständigengutachten des K3 objektiviert worden ist und zu einer weiteren Anhebung des Gesamt-GdB ab dessen Untersuchungszeitpunkt führt.
Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Gesamt-GdB schon zum Zeitpunkt des Neufeststellungsantrages 50 betragen hat und seit der Begutachtung durch K3 60 beträgt.
Die vorwiegenden Funktionseinschränkungen des Klägers liegen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, werden durch die Migräne und die depressive Störung bedingt und sind mit einem Teil-GdB von 50 zu bewerten.
Nach den VG, Teil B, Nr. 2.3 ist die echte Migräne je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie Ausprägung der Begleiterscheinungen bei einer leichten Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) mit einem GdB von 0 bis 10, eine mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) mit einem GdB von 20 bis 40 und eine schwere Verlaufsform (lang andauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen, Anfallspausen von nur wenigen Tagen) mit einem GdB von 50 bis 60 zu bewerten.
Hiervon ausgehend ist bei dem Kläger eine mittelgradige Verlaufsform der Migräne objektiviert, die die Ausschöpfung des Bewertungsrahmens rechtfertigt, wie dies auch versorgungsärztlich von O3 schon im Verwaltungsverfahren gesehen worden ist. Bei dem Kläger bestehen zwischenzeitlich bis zu drei Tage ununterbrochen anhaltende starke Migräneattacken, die mit Übelkeit, Erbrechen und teilweise einem Flimmerskotom einhergehen, wie der Senat dem mit dem Neufeststellungsantrag vorgelegten Befundbericht des H7 entnimmt. Dessen Feststellungen sind von der Rehabilitationsklinik bestätigt worden, die auf eine sehr häufig auftretende Migräne, die medikamentös mit Sumatriptan eingestellt ist, verweist. Häufigere Anfälle, die jeweils einen oder mehrere Tage anhalten, sind somit ebenso objektiviert wie die medikamentöse Behandlungsnotwendigkeit. Daneben ist einerseits in Rechnung zu stellen, dass H7 zunächst nur 4 bis 6 Kopfschmerztage pro Monat angegeben hat, während nunmehr über 10 bis 15 Tage berichtet werden, mithin die Anfallspausen deutlich weniger geworden sind, sich die Anfallsdauer aber verlängert hat, was bereits die Grenze zu einer schweren Verlaufsform erreicht. Andererseits sind von H7 mehrfach erfolglos durchgeführte Prohylaxe-Versuche mit unterschiedlichen Medikationen beschrieben, was eine gewisse Therapieresistenz belegt und ebenfalls auf die Ausprägung der Symptomatik hindeutet.
Für eine Ausschöpfung des Bewertungsrahmens spricht darüber hinaus, wie von L3 unter Auswertung der Vorbefunde überzeugend herausgearbeitet worden ist, dass bei dem Kläger neben der Migräne noch Verspannungen in der HWS-Muskulatur bestehen, die zu einer neben der Migräne bestehenden Kopfschmerzsymptomatik führen. Der Aktenlage ist zu entnehmen, dass radiologisch bereits 2010 degenerative Veränderungen an der HWS gesichert worden sind (vgl. den Befundbericht des Netzwerks für Radiologie vom 24. September 2010) und während der Rehabilitation ist festgehalten worden, dass eine eingeschränkte Beweglichkeit der HWS bestanden hat. Der eingeschränkte Funktionsbefund wird aus der nur mit 20-0-20° möglichen Rechts-/Linksseitneigung deutlich. Ebenso hat der K3 die Beweglichkeit der HWS für Streckung/Beugung mit 50-0-30° (Norm: 40 bis 50°-0-50 bis 70°), die Rechts-/Linksseitneigung mit 20-0-20° (Norm: 30 bis 40°-0-30 bis 40°) und die Rotation mit 50-0-50° (Norm: 60 bis 80°-0-60 bis 80°) befundet. Somit sind in mehreren Bewegungsrichtungen mehr als hälftige Bewegungseinschränkungen befundet. Jedoch überzeugen die versorgungsärztlichen Ausführungen des O3, dass Überschneidungen mit der Kopfschmerzsymptomatik bestehen und die Funktionseinschränkungen daher im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ mitzubewerten sind, aber keine eigenständige Berücksichtigung im Funktionssystem „Rumpf“ (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.9) rechtfertigen. Dies korrespondiert im Übrigen mit der Einschätzung des K3, der die Beeinträchtigungen der HWS nur mit einem Teil-GdB von 10, und damit in nicht Gesamt-GdB erhöhend wirkendem Umfang bewertet hat. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass K3 keine Bewegungseinschränkungen im Bereich der BWS und LWS objektivieren konnte, sondern freie Beweglichkeiten erhoben hat, also auch hieraus kein Teil-GdB im Funktionssystem „Rumpf“ folgt.
Daneben ist bei dem Kläger eine depressive Symptomatik beschrieben, deren Ausmaß eine erhöhende Berücksichtigung rechtfertigt.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).
Nach diesen Maßstäben entnimmt der Senat dem Befundbericht des H7 vom 7. Mai 2019, dass die Stimmung des Klägers als gedrückt und die affektive Schwingungsfähigkeit als eingeschränkt beschrieben worden sind. Nachdem die medikamentöse Behandlung seinerzeit erst begonnen worden ist, erweist es sich als nachvollziehbar, dass H8 versorgungsärztlich im damaligen Widerspruchsverfahren noch keine GdB-Relevanz angenommen hat. Indessen ist im Neufeststellungsverfahren von H7 die Stimmung weiterhin als gedrückt und die affektive Schwingungsfähigkeit als eingeschränkt befundet worden, sodass die Einschränkungen ersichtlich fortbestanden haben. Dies wird dadurch unterstrichen, dass Anfang 2020 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung durchgeführt worden ist. Dem Rehabilitationsentlassungsbericht entnimmt der Senat insoweit, dass sich weiterhin eine zum depressiven Pol verschobene Stimmung bei reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit zeigte und die diesbezügliche Medikation angepasst worden ist. Korrespondierend hierzu hat der Sachverständige L3 die Stimmung des Klägers als mittelschwer depressiv ausgelenkt beschrieben und die affektive Schwingungsfähigkeit als nahezu aufgehoben. Eine fortgesetzte medikamentöse Behandlung ist ihm gegenüber vom Kläger ebenso angegeben worden wie gegenüber K3. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt der stationären Rehabilitation ist die depressive Störung mit keinem niedrigeren GdB als 20 zu bewerten, der sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt.. L3 hat weitergehend sogar eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gesehen und den GdB mit 30 eingeschätzt, wobei er zum Tagesablauf des Klägers aber nur erhoben hat, dass dieser von der beruflichen Tätigkeit geprägt sei, hinsichtlich derer es immer wieder zu Phasen der Arbeitsunfähigkeit komme.
Die These des H2, dass sich zwischen der Migräne und der depressiven Symptomatik weitreichende Überschneidungen zeigten, ist in keiner Weise nachvollziehbar und von ihr im Übrigen nicht begründet worden. Hierauf hat K3 in seinem Sachverständigengutachten schlüssig hingewiesen. Worauf sich ihre Erkenntnis gründet, dass keine Antidepressiva eingenommen würden, bleibt ebenfalls offen, in der Aktenlage dokumentiert ist vielmehr das Gegenteil. Aus der Formulierung des L3 „einmal am Abend sei auch Mirtazapin“ eingesetzt, kann nicht auf eine nur unregelmäßige Einnahme geschlossen werden, vielmehr bezieht sich diese erkennbar auf die Dosis, was aus der zusammenfassenden Würdigung des L3, dass diese Dosis wohl noch steigerungsfähig ist, deutlich wird. Daneben hat H7 differentialdiagnostisch für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass die Migräne als Auslöser der depressiven Symptomatik anzusehen ist, also gerade keine Überschneidung vorliegt, sondern die depressive Symptomatik durch die Migräne hervorgerufen bzw. verstärkt wird, was bei der Gesamt-GdB-Bildung zu berücksichtigen ist (vgl. auch VG, Teil A, Nr. 3 d dd). Der Beklagte hätte daher bereits auf den Neufeststellungsantrag einen GdB von 50 feststellen müssen, sodass sich schon die Ablehnung der Neufeststellung als rechtswidrig erweist.
Daneben ist hinsichtlich des Funktionssystems „Beine“ dokumentiert, dass bereits 2010 viertgradige Knorpelschäden am rechten Knie des Klägers gesichert worden sind (vgl. den Befundbericht des B1 vom 28. Mai 2010), die versorgungsärztlich damals schon mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurden (vgl. die versorgungsärztliche Stellungnahme der L1). Nachdem sich der Aktenlage indessen keine weiteren Befunde entnehmen lassen und auch während der stationären Rehabilitationsmaßnahme keine solchen pathologischer Art beschrieben wurden, kann der G2 darin gefolgt werden, dass es an tragfähigen Anknüpfungstatsachen gemangelt hat, sodass sich eine Höherbewertung des Gesamt-GdB aufgrund der Knorpelschäden nicht rechtfertigte. Vor diesem Hintergrund hat das SG indessen das orthopädische Sachverständigengutachten des K3 erhoben, der eine umfassende Befunderhebung durchgeführt hat und schlüssig zu einem Teil-GdB von 30 gekommen ist. Die gegen seine Einschätzung versorgungsärztlich vorgebrachten Einwände überzeugen nicht und verkennen die rechtlichen Bewertungsmaßstäbe der VG, was das SG ebenfalls übersehen hat.
Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 werden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) einseitig mit einem GdB von 0 bis 10 und beidseitig mit einem GdB von 10 bis 20 bewertet. Ein höherer GdB (einseitig 20 und beidseitig 40) wird erst bei Bewegungseinschränkungen mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90°) erreicht.
Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen werden einseitig ohne Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 20 bis 40 bewertet. Unter anhaltenden Reizerscheinungen sind sichtbare Veränderungen an den Kniegelenken in Form von Überwärmungen, Schwellungen oder Ergüssen zu verstehen, die zumindest längerfristig vorhanden sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2011 – L 13 SB 161/10 –, juris, Rz. 28).
Aus den rechtlichen Vorgaben der VG ergibt sich damit deutlich, dass es bei ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke keiner Bewegungseinschränkungen bedarf, um einen Teil-GdB von 10 bis 30 annehmen zu können, was H2 versorgungärztlich übersieht, wenn sie nur auf die bis 130° mögliche Beugefähigkeit verweist. Gefordert werden neben den Knorpelschäden lediglich anhaltende Reizerscheinungen, die. K3 überzeugend deshalb bejaht hat, da er eine „tanzende Patella“ als Zeichen einer Ergussbildung befundet hat und daneben den Umfang des Kniegelenks als um 1 cm gegenüber der Gegenseite verdickt beschreibt. Der Kniegelenkserguss war mithin nicht nur radiologisch sichtbar, sondern sogar klinisch tastbar, was für dessen Ausprägung spricht. Weiterhin hat K3 ausführlich dargelegt, dass die befundete Streckhemmung von 10° zu einer mäßigen Beeinträchtigung der Gangabwicklung mit funktioneller Beinverkürzung und Problemen bei der Kraftübertragung mit vermehrter Muskelarbeit führt, die beim Kläger einen leichten Beckenschiefstand bedingt. Vor diesem Hintergrund lassen sich Bewegungseinschränkungen zum einen nicht gänzlich verneinen, zum anderen kann ihnen, entgegen H2, nicht allein deshalb jegliche Relevanz abgesprochen werden, weil K3 eine längere Schonung oder Entlastung verneint hat. Hierfür bieten die VG, die nicht einmal eine Bewegungseinschränkung voraussetzen (vgl. oben), keinen Anhalt. Hinsichtlich des radiologischen Befundes hat er ausführlich begründet, weshalb nunmehr von einer Gonarthrose Typ Kellgren 3 auszugehen ist, also den Nachweis einer relevanten Arthrose, den die G2 bemängelt hat, führen konnte.
Hat somit der Teil-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zunächst ab Antragstellung dem Gesamt-GdB entsprochen, ist dieser ab der Untersuchung bei. K3 aufgrund der Funktionsbehinderungen im Funktionssystem „Beine“, die mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten sind, auf 60 zu erhöhen.
Die Berufung des Klägers hatte somit überwiegend Erfolg und war lediglich hinsichtlich eines höheren GdB als 50 bzw. 60 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger sein erkennbar vorrangiges Prozessziel, die Schwerbehinderteneigenschaft, vollumfänglich erreicht hat und die Zurückweisung der Berufung im Übrigen vor diesem Hintergrund nicht erheblich ins Gewicht fällt.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.