Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. März 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente.
Der 1969 geborene Kläger erlitt am 29. März 2001 als Busfahrer einen unverschuldeten Verkehrsunfall, als ihm ein PKW die Vorfahrt nahm. Die Unfallgegnerin verstarb an den Folgen des Unfalls und ihre beiden mit im PKW befindlichen (damals vier- und fünf Jahre alten) Kinder wurden schwer verletzt. Der D1 diagnostizierte beim Kläger am Unfalltag eine Thoraxprellung links und eine Flankenprellung links.
Der Kläger nahm nach eigenen Angaben bereits nach drei Tagen seine Tätigkeit als Busfahrer wieder auf. Er arbeitete anschließend bei wechselnden Arbeitgebern bis September 2014 weiter als Busfahrer. Seither ist er arbeitsunfähig und sein letztes Arbeitsverhältnis wurde im Jahr 2016 gekündigt.
Auf Basis einer einmaligen ambulanten psychiatrischen Untersuchung des Klägers am 27. April 2001 diagnostizierte der T1 in seinem Befundbericht vom 30. April 2001 eine reaktive depressive Störung. Die Arbeit habe der Kläger aber bereits wiederaufgenommen. Körperliche unfallbedingte Verletzungsfolgen seien von dem Kläger nicht berichtet worden.
Der P1 äußerte bei der Vorstellung des Klägers am 12. August 2004 den Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In der Folge übernahm die Beklagte die Kosten zunächst für 5 probatorische Sitzungen bei dem B1, der in seinem Bericht vom 3. Januar 2005 vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausging.
Die Beklagte holte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des F1 ein. Dieser führte am 28. Februar 2005 aus, dass er zwar die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht teile, aber von einer unfallbedingten depressiven, länger anhaltenden Anpassungsstörung mit Schuldproblematik ausgehe. Er empfahl, umgehend eine Therapie durchzuführen, die zu einer völligen Rückbildung der Symptomatik führen könne. Er rechne nicht mit einer bleibenden MdE. Die Beklagte bewilligte sodann die Kostenübernahme für 25 Sitzungen.
In seinem Befundbericht vom 18. Juni 2005 berichtete der B1 von einer sich abzeichnenden stabilisierenden Verbesserung der psychischen Befindlichkeit des Klägers. Die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung würden sich durch die multimodale Psychotherapie minimieren und der Kläger bewerte seine Arbeit als eine gelingende Aufgabe, der er sich gewachsen fühle.
Nachdem der Kläger sich im Juni 2014 wegen orthopädischer Beschwerden wieder an die Beklagte gewandt hatte, gab diese ein orthopädisches Gutachten in Auftrag. L1 führte in seinem Gutachten vom 17. Juli 2015 aus, die degenerative Veränderung im Bereich des linken Schenkelhalses am linken Hüftgelenk sei nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 29. März 2001 zurückzuführen. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet lägen keine durch den Unfall wesentlich verursachten Gesundheitsstörungen mehr vor. Die MdE betrage 0 vH.
Am 17. November 2015 stellte sich der Kläger ambulant in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums E1 (S1 und N1) vor. Dem dortigen Befundbericht vom 9. Dezember 2015 sind die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode mittelgradiger Ausprägung und eines Labrumabrisses der linken Hüfte bei Zustand nach Operation mit psychischer Überlagerung zu entnehmen. Durch die unmittelbar eingeleitete Therapie habe der Kläger das Unfallereignis eigentlich gut verwunden, sei auch wieder als Berufsbusfahrer tätig gewesen. Nach seiner Hüft-OP sei alles wieder hochgekommen. Seit dem 5. September 2014 sei er krankgeschrieben. In der Zeit von 4. Januar 2016 bis zum 24. März 2016 befand sich der Kläger in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums E1 in teilstationärer Behandlung.
Der von der Beklagten erneut hinzugezogene F1 führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15. Mai 2016 aus, nach wie vor sei bei einer so langen Latenz die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nachzuvollziehen. Möglicherweise sei durch die Hüftoperation wieder eine leichte depressive Auslenkung eingetreten. Ein Kausalzusammenhang zum Unfallereignis sei nach über zehn Jahren meistens abzulehnen.
In der Zeit vom 28. Juni 2016 bis zum 15. Juli 2016 befand sich der Kläger in der R1-Klinik in stationärer Behandlung.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls kein Anspruch auf eine Rente bestehe, da keine MdE von wenigstens 20 vH verblieben sei. Der Arbeitsunfall habe zu Verletzungsfolgen nach Flanken- und Thoraxprellung links sowie vorübergehender Anpassungsstörung geführt, die vollständig behoben seien. Unabhängig von dem Arbeitsunfall lägen eine posttraumatische Belastungsstörung, eine chronische Schmerzstörung mit psychischen Faktoren sowie degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke, der Halswirbelsäule und des rechten Schultergelenkes vor. Die weitere psychiatrische Behandlungsbedürftigkeit bestehe aufgrund der unfallunabhängigen chronischen Schmerzstörung mit psychischen Faktoren und nicht aufgrund von Unfallfolgen.
Am 1. August 2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er habe große Schuldgefühle, obwohl er im rechtlichen Sinne für den Verkehrsunfall keine Schuld trage. Der Unfall sei seinerzeit nicht verarbeitet worden, bereits nach drei Tagen habe er weitergearbeitet. Seit diesem Zeitpunkt leide er unter depressiven Episoden und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zudem habe er chronische Schmerzsyndrome und funktionelle Organbeschwerden.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens bei D2. In seinem Gutachten vom 5. Dezember 2017 hat dieser dargelegt, auf unfallchirurgisch-orthopädischem Fachgebiet lägen beim Kläger funktionell keine Gesundheitsstörungen mehr vor.
Nach Befragung des B1 als sachverständigen Zeugen hat das SG zudem bei der E2 ein psychiatrisches Gutachten eingeholt. In ihrem Gutachten vom 20. Januar 2019 sowie ergänzender Stellungnahme vom 28. Mai 2019 hat diese ausgeführt, bei dem Kläger liege das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Kontrollzwängen, überdauernden negativen Gefühlen und veränderten Einstellungen, insbesondere ausgeprägten Ängsten und Schuldgefühlen, vor. Ferner beständen eine rezidivierende, mittelgradige depressive Episode und eine chronifizierte Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Anteilen. Diese drei Störungsbilder seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit, d.h. es spreche mehr dafür als dagegen, durch den Arbeitsunfall vom 29. März 2001 verursacht worden.
F1 hat in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2019 Kritik an diesem Gutachten geäußert. In einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme hat sich auch der S2 sehr ausführlich mit dem Gutachten der Sachverständigen E2 auseinandergesetzt. Er hat ausgeführt, der Kläger habe zwar bei dem Unfallereignis eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten, die aber nach Behandlung im Juni 2005 ausgeheilt gewesen sei. Eine messbare unfallbedingte MdE liege seit Juni 2005 nicht mehr vor.
Mit Urteil vom 10. März 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen den aktuellen Gesundheitsstörungen des Klägers auf orthopädischem und psychiatrisch/schmerztherapeutischem Fachgebiet und dem Arbeitsunfall vom 29. März 2001 sei nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen. Das erneute Auftreten psychischer und schmerztherapeutischer Beschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit der (unfallunabhängigen) Hüftgelenksoperation des Klägers im September 2014 könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden. Vielmehr seien bei dem Kläger unfallunabhängige Faktoren in den Vordergrund getreten. Mit der Frage der Kausalität habe sich die Gutachterin E2 in ihrem Gutachten nicht hinreichend befasst. Sie habe zwar die (zwischenzeitliche) Kündigung des Arbeitsplatzes als konkurrierenden Faktor kurz thematisiert, habe sich aber mit der Krankschreibung und der damit verbundenen fehlenden Tagesstruktur, dem Selbstverständnis des Klägers als Ernährer und Versorger der Familie sowie der vom Kläger aufgrund der Kündigung empfundenen ungerechten Behandlung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber nicht hinreichend auseinandergesetzt.
Gegen das seinem damaligen Prozessbevollmächtigten am 28. April 2021 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Mai 2021 die vorliegende Berufung eingelegt und zu deren Begründung mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022 insbesondere auf das Gutachten der Sachverständigen E2 Bezug genommen. Wenn das SG deren Ausführungen zur Frage der Kausalität nicht als ausreichend betrachtet habe, so hätte es weiter ermitteln müssen. Zudem hat der Kläger eine Bescheinigung des behandelnden M1 vom 11. Mai 2021, vorgelegt wonach der Kläger seit 2014 wegen einer posttraumatische Belastungsstörung krankgeschrieben sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. März 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2017 zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 50 vH ab dem 1. Mai 2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihre bisherigen Ausführungen und die Gründe des angefochtenen Urteils.
Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand am 28. Januar 2022 mit den Beteiligten erörtert.
Der Senat hat weiteren Beweis erhoben in Form eines nervenärztlichen Gutachtens durch S3 (Klinik Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I Psychiatrisches Zentrum N2). Dieser hat in seinem Gutachten vom 21. November 2022 folgenden Diagnosen auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet gestellt: 1. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. 2. Somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren und oberen Verdauungstraktes 3. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert. Weder die somatoformen Störungen noch die rezidivierende depressive Störung seien mit Wahrscheinlichkeit als unfallbedingt zu bewerten. Es bestünden keine Unfallfolgen auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet. Eine MDE sei dementsprechend nicht feststellbar. Die Voraussetzungen für die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung seien nicht erfüllt. Das Gutachten der Sachverständigen orientiere sich sehr an den erhobenen eigenanamnestischen Angaben des Klägers. Eine kritische Auseinandersetzung und Hinterfragung dieser Angaben fehle.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG), insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10. März 2021 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat aufgrund des Unfalls vom 29. März 2001 keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente.
Nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 vH, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente; die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII).
Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs. 1 S. 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 - B 2 U 13/13 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 31; Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R = SozR 4-2700, § 8 Nr. 43; Urteil vom 29. November 2011 - B 2 U 10/11 R = SozR 4-2700, § 8 Nr. 42; Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 9/10 R = BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr. 17 Rn. 10; Urteil vom 18. November 2008 - B 2 U 27/07 R = SozR 4-2700, § 8 Nr. 30, Rn. 10, m.w.N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserstschaden“ bzw. (evtl.) „Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103 45).
Mit dem streitigen Bescheid vom 13. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2017 hat die Beklagte den Unfall des Klägers vom 29. März 2001 zutreffend und für den Senat bindend als Arbeitsunfall anerkannt. Beim Kläger sind infolge dieses Arbeitsunfalls jedoch keine Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß, d.h. mit einer MdE von mindestens 20 vH, verblieben, sodass die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente zu Recht abgelehnt hat.
Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalls, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das „objektive“, d.h. aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters gegebene Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Da der Gesundheitserstschaden (Gesundheitsbeeinträchtigung, Tod oder Krankheit) eine den Versicherungsfall selbst begründende Tatbestandsvoraussetzung und damit keine Folge des Arbeitsunfalls ist, muss er grundsätzlich bei der Feststellung des Versicherungsfalls benannt werden. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte - konkrete und klar definierte (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196-209, SozR 4-2700, § 8 Nr. 17) - Gesundheitsstörung müssen i.S. eines Vollbeweises erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 30. April 1985 - 2 RU 43/84 - SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.).
Beim Klägers sind weder auf orthopädisch/unfallchirurgischen Fachgebiet (hierzu unter 1) noch auf psychiatrisch/neurologischem Fachgebiet (hierzu unter 2) unfallbedingte Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß, d.h. mit einer MdE von mindestens 20 vH, feststellbar.
1.)
Auf orthopädisch/unfallchirurgischen Fachgebiet steht auf Basis der im Ergebnis übereinstimmenden Gutachten des L1 und D2 fest, dass funktionell keine auf den Unfall zurückzuführenden Gesundheitsstörungen mehr vorliegen. Durch den Arbeitsunfall vom 29. März 2001 kam es mit Wahrscheinlichkeit zu einer folgenlos verheilten Prellung des linken Hüftgelenkbereichs und zu einer Prellung der rechten Brustkorbhälfte. Demgegenüber liegen keine sekundären Gesundheitsstörungen (Dauerschäden) vor, die mit Wahrscheinlichkeit in wesentlicher Weise durch den Arbeitsunfall verursacht oder verschlimmert worden sind.
2.)
Auch auf psychiatrisch/neurologischem Fachgebiet sind jedenfalls seit 1. Mai 2016 keine relevanten, durch den Unfall bedingten Gesundheitsstörungen mehr festzustellen. Hierbei stützt sich der Senat auf das ausführliche und überzeugend begründete Gutachten des S3. Soweit demgegenüber die Sachverständige E2 in ihrem Gutachten angenommen hat, beim Kläger liege als Unfallfolge eine posttraumatische Belastungsstörung vor, ist diese bereits nicht im Vollbeweis gesichert (hierzu unter a.). Die nachweisbaren somatoformen Störungen und die rezidivierende depressive Störung sind nicht mit Wahrscheinlichkeit als unfallbedingt zu bewerten (hierzu unter b.).
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (zum Beispiel ICD-10 bzw. seit ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 2022 ICD-11, DSM IV bzw. ggfs. DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erforderlich, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, a.a.O.).
a.)
Das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist bereits nicht im Vollbeweis gesichert. Eine absolute Sicherheit ist auch bei dem Erfordernis des Vollbeweises nicht notwendig. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 128, Rn. 3b m.w.N.). Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 -, juris, Rn. 14). Diese Überzeugung konnte sich der Senat vorliegend nicht bilden.
Die posttraumatische Belastungsstörung war nach der von der Weltgesundheitsorganisation her-ausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der Ausgabe ICD-10, Version 2017 (ICD-10) als F43.1 kodiert und wird nunmehr in der seit 1. Januar 2022 geltenden ICD-11 unter dem Code 6B40 wie folgt beschrieben: Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann sich entwickeln, wenn man einem extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen ausgesetzt war. Sie ist durch alle der folgenden Punkte gekennzeichnet: 1) Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder der traumatischen Ereignisse in der Gegenwart in Form von lebhaften aufdringlichen Erinnerungen, Rückblenden oder Albträumen. Das Wiedererleben kann über eine oder mehrere Sinnesmodalitäten erfolgen und wird typischerweise von starken oder überwältigenden Emotionen, insbesondere Angst oder Entsetzen, und starken körperlichen Empfindungen begleitet; 2) Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis bzw. die Ereignisse oder Vermeidung von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das Ereignis bzw. die Ereignisse erinnern; und 3) anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten aktuellen Bedrohung, die sich z. B. durch Hypervigilanz oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwartete Geräusche zeigt. Die Symptome halten mindestens mehrere Wochen lang an und verursachen erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (Quelle für Code 6B40 ICD-11: https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html).
Zur Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung wird auch das von der American Psychiatric Association in den Vereinigten Staaten von Amerika herausgegebene Diagnostische und statistische Manual (DSM-5) herangezogen. Nach diesem, im Jahr 2013 veröffentlichten Diagnosesystem der amerikanischen Fachgesellschaften, das den Vorgänger DSM-IV ersetzt und vielen wichtigen Punkte geändert hat (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 154), ist im Vergleich zum DSM-IV das subjektive Element der Bedrohung weggefallen (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 18. April 2018 - L 2 U 62/13 -, Rn. 41, juris). An dem Diagnosesystem des DSM-5 wird in Rechtsprechung und Literatur vermehrt die fehlende Validität bemängelt (eine Validität der DSM-5 ausdrücklich verneinend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2015 - L 6 VG 4685/14 -, juris, m.w.N.) und kritisiert, dass die dortige Trauma-Klassifikation nicht kompatibel mit dem Begriff des Arbeitsunfalls sei (Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O.). Ob es der DSM-5 an der erforderlichen Validität fehlt, um die exakte psychische Diagnose zur Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung nachvollziehbar zu machen, kann jedenfalls vorliegend dahinstehen, da nach beiden Diagnosesystemen, also nach ICD-11 und DSM-5, die im Vollbeweis (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Juni 2022 - L 6 VG 2740/21 -, Rn. 84 - 85, juris) nachzuweisenden Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorliegen.
Zwar kann der streitige Unfall grundsätzlich ein traumatisches Ereignis darstellen, nach dem überzeugenden Gutachten des S3 fehlt es jedoch an dem für den überzeugenden Vollbeweis einer posttraumatischen Belastungsstörung erforderlichen Wiedererlebenskriterium, dem spezifischen Vermeidungsverhalten, einer Hypersensivität und auch am zeitlichen Zusammenhang der psychischen Probleme zum Unfall.
S3 hat in seinem Gutachten zunächst mit ausführlicher Begründung herausgearbeitet, dass er bereits das für die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung erforderliche Wiedererlebenskriterium nicht als erfüllt feststellen kann, da die Angaben des Klägers angesichts des Fehlens entsprechender beobachtbarer Verhaltensäquivalente als unplausibel zu werten waren. Er hat überzeugend angemerkt, dass die geltend gemachten Flashbacks im Straßenverkehr weder mit dem realen Pkw-Fahrvermögen des Klägers noch mit der beschriebenen Pkw-Fahrleistung auf dem Weg zur Begutachtung (einfach 100 km) in Einklang zu bringen sind. Des Weiteren hat er anschaulich und zutreffend darauf hingewiesen, dass beim Kläger kein traumaassoziiertes, klinisch relevantes Vermeidungsverhalten zu eruieren war. Voraussetzung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowohl nach ICD-10/ICD-11 als auch nach DSM IV / DSM-5 ist, dass Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, tatsächlich oder möglichst vermieden werden (sog. C-Kriterium), wobei sich nach DSM-5 sowie der ICD 11 die anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, nicht nur in der Vermeidung externer Reize, sondern auch durch die Vermeidung belastender Erinnerungen, Gedanken oder Gefühlen ergeben kann. Der Kläger hat demgegenüber - was er im Erörterungstermin auf Nachfrage bestätigt hat - bereits drei Tage nach dem Unfall seine Arbeit als Busfahrer wiederaufgenommen und über Jahre hinweg bis zur dauerhaften Arbeitsunfähigkeit im September 2014 weiter als Busfahrer gearbeitet. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der überzeugenden Bewertung des S3, wonach hier kein auf den streitigen Verkehrsunfall gerichtetes spezifisches, traumaassoziiertes Vermeidungsverhalten vorliegt. Dieser hat zudem ebenfalls schlüssig begründet dargelegt, dass sich auch keine Anhaltspunkte für das Hypersensitivitäts-/Amnesiekriterium der posttraumatischen Belastungsstörung objektivieren ließen und es auch am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zum Unfallereignis fehlt, so dass insgesamt eine posttraumatische Belastungsstörung nicht festgestellt werden kann.
Soweit demgegenüber die Sachverständige E2 in ihrem Gutachten die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung als gesichert annimmt, hat sie diese Diagnose für den Senat nicht überzeugend begründet. Insbesondere vermisst der Senat eine argumentativ überzeugende Würdigung der Tatsache, dass der Kläger bis September 2014 weiterhin als Busfahrer beruflich tätig war, ohne dass es zu einem nachvollziehbaren spezifischen, traumaassoziierten Vermeidungsverhalten kam. Die Sachverständige E2 hat weder die fehlende Spezifik des von ihr ohne plausible Begründung postulierten Vermeidungsverhaltens kritisch hinterfragt, noch hat sie die jahrelange Fortsetzung der Tätigkeit als Busfahrer und auch jetzt mittels PKW erfolgende Teilnahme am Straßenverkehr bei ihrer diagnostischen Zuordnung überzeugend gewürdigt. Aufgrund der fehlenden Reflektion des allenfalls unspezifischen Vermeidungsverhaltens, bei gleichzeitig demonstrierter spezifischer Berufstätigkeit, vermag der Senat der Bewertung der Gutachterin E2 nicht zu folgen. Gleiches gilt für die weiteren Befundberichte, in denen eine posttraumatische Belastungsstörung als Diagnose aufgeführt wurde, wobei ergänzend hierzu anzumerken ist, dass die dortige Diagnose posttraumatische Belastungsstörung rein im therapeutischen Kontext und nicht mit der kritischen Distanz eines Gutachters gestellt wurde. S3 hat zutreffend darauf hingewiesen, dass insoweit die Wiedergabe von (subjektiven) Beschwerdeangaben und eigentlichen Befunde unzulässig vermengt wurden und gerade keine gesicherte Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung zulassen.
Ergänzend ist, den Ausführungen des S3 folgend, darauf hinzuweisen, dass insbesondere auch der zeitliche Verlauf und ein Wiederauftreten von unwillkürlichen Erinnerungen an den Unfall gut 13 Jahre nach dem Schädigungsereignis und gut 9 Jahre nach der letzten, als erfolgreich dokumentierten ambulanten Psychotherapie mit dem zu erwartenden regredienten Verlauf der Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung nicht in Einklang zu bringen sind. Er hat zutreffend angemerkt, dass ein solches Wiederauftreten ohne neuerliche traumatische oder sonstige erhebliche psychosoziale Belastung als unplausibel zu bewerten ist, da progrediente Entwicklungen dem zu erwartenden degressiven Charakter einer posttraumatischen Belastungsstörung widersprechen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S 154).
b.)
Durch das Gutachten des S3 im Vollbeweis gesichert sind hingegen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren und oberen Verdauungstraktes sowie rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig remittiert. S3 hat jedoch mit überzeugender Begründung nachgewiesen, dass weder die somatoformen Störungen noch die rezidivierende depressive Störung mit Wahrscheinlichkeit kausal auf den Unfall zurückzuführen sind. Der erlittene Verkehrsunfall war keine wesentliche Bedingung für das Entstehen der genannten Erkrankungen.
Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zu-rechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274 = SozR 4-2700, § 11 Nr. 1, Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen (und kein Ereignis ist monokausal), die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden. Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. "Wesentlich" (zurechnungsbegründend) ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des BSG gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O., m.w.N.).
Für somatoforme Störungen gilt entsprechend den ausführlichen Erläuterungen des S3 nach gegenwärtigem wissenschaftlichen Kenntnisstand, dass es bei betroffenen Personen durch multiple Faktoren zu einer Krankheitsdisposition, Störungsauslösung und -aufrechterhaltung kommen kann. Als wirksame Faktoren werden genetische Veranlagung, Persönlichkeitsmerkmale, biographische Belastung, somatische Erkrankungen, erhöhte Krankheitsaufmerksamkeit sowie soziokulturelle Einflüsse angenommen. S3 hat hierzu überzeugend dargelegt, dass, sofern beim Kläger jetzt noch Beschwerden - Schmerzen im Bewegungsapparat - vorliegen und diese einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zuzuordnen sind, insoweit letztlich spezifische Ausformungen eines multifaktoriellen, nicht unfallbedingten, vielmehr persönlichkeitsinnewohnenden Wahrnehmungs- und Verhaltensmusters vorliegen. Auch bei Anwendung der in der einschlägigen Begutachtungsleitlinie entwickelten Anknüpfungstatsachen (siehe AWMF 2019, Teil III, S. 42 ff.) scheidet nach der gutachterlichen Würdigung des S3 die Annahme einer Unfallbedingtheit somatoformer Störungen aus.
Für die Ätiopathogenese depressiver Erkrankungen gilt nach den Erläuterungen des S3 grundsätzlich, dass nach gegenwärtigem fachwissenschaftlichem Kenntnisstand depressive Störungen aus einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht resultieren, wobei verschiedene, im Einzelfall spezifisch zu gewichtende Faktoren disponierend, auslösend und aufrechterhaltend wirken. Dabei kommt regelmäßig genetischen Belastungen, frühkindlichen Bindungserfahrungen sowie der Entwicklung der Primärpersönlichkeit eine wesentliche disponierende Funktion zu. Für die Depressionsauslösung können später anhaltende psychosoziale Belastungsmomente, auch gravierende körperliche Erkrankungen, von Bedeutung sein. S3 hat vor diesem Hintergrund ausführlich und plausibel begründet dargelegt, dass zwar für die bestehende depressive Symptomatik ab Dezember 2004 ein wahrscheinlicher Unfallzusammenhang bestand, hingegen für die fast 10 Jahre später festgestellte Depressivität ab November 2015 ein Unfallzusammenhang nicht mehr wahrscheinlich zu machen ist, da zwischenzeitlich andere gesundheitliche und psychosoziale Belastungsmomente (Belastung durch Arbeitslosigkeit und dadurch wegfallender Verstärkerverlust; in der Folgezeit Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber wegen Abfindung, mit dem Rentenversicherungsträger wegen beantragter Erwerbsminderungsrente und mit der BG wegen verweigerter Therapieleistung) auf den Kläger eingewirkt haben. Als organischer Faktor war spätestens ab 2011 eine (unfallunabhängige) Schlafapnoe wirksam, die nach überzeugender Darlegung des Sachverständigen einen psychovegetativ belastenden und auch depressiogen wirksamen körperlichen Belastungsfaktor darstellt. Ebenfalls als depressionsfördernd hat S3 die ihrerseits nicht unfallbedingten somatoformen Störungen gewertet und schloss vor diesem Hintergrund bei Zusammenschau der einwirkenden psychosozialen und somatischen Belastungsmomente einen Unfallzusammenhang für die ab Ende 2015 wieder manifeste depressive Symptomatik als nicht hinreichend wahrscheinlich aus.
Die zuvor genannten Aspekte wurden von der Sachverständigen E2 hingegen nicht in dieser Ausführlichkeit und Tiefe bei der Bewertung des Kausalzusammenhangs berücksichtigt und überzeugend erörtert, so dass sich der Senat auch in diesem Punkt deren Bewertung nicht anschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 U 4340/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1894/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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