Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.03.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Versorgung der Klägerin mit einer stationären Liposuktionsbehandlung der Beine im Streit.
Die am 00.00.1976 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. In der Vergangenheit wurden bei der Klägerin stationäre Aspirationslipektomien an beiden Unter- und Oberschenkeln (2002 bis 2004) und an den Armen (2006, 2009) sowie eine Lymphosuktion an beiden Ober- und Unterschenkeln (2011) durchgeführt. Einen Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine erneute stationäre Aspirationslipektomie (Liposuktion) lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.07.2011, Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012); eine insoweit bei dem Sozialgericht Köln erhobene Klage (S 34 KR 677/12) nahm die Klägerin zurück (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2014). Einen weiteren Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine ambulante Aspirationslipektomie beider Oberschenkel und Oberarme sowie Oberarmhautstraffung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 30.07.2014, Widerspruchsbescheid vom 02.12.2014). Eine insoweit vor dem Sozialgericht Köln erhobene Klage (S 34 KR 1019/14) wies das Sozialgericht ab (Gerichtsbescheid vom 23.05.2015). Eine hiergegen bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erhobene Berufung (L 16 KR 465/16) endete durch gerichtlichen Vergleich vom 01.06.2017 (Sitzungsniederschrift vom 01.06.2017):
„Vergleich:
1. Die Beklagte wird überprüfen, ob die Klägerin Anspruch auf eine stationäre Behandlung ihrer Erkrankung mittels Liposuktion erhalten kann.
2. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit damit in vollem Umfang für erledigt.“
Nach Zustellung der Sitzungsniederschrift vom 01.06.2017 (am 08.06.2017) beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) mit der Begutachtung, ob eine Liposuktion im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sozialmedizinisch indiziert sei (Schreiben vom 29.06.2017). Mit sozialmedizinischem Gutachten nach Aktenlage vom 03.08.2017 gelangte der MDK (Dr. J.) zu der Einschätzung, dass sowohl ein Lipödem als auch eine Adipositas per magna bei der Klägerin vorlägen. Es seien keine validen Studien bekannt, die einen Nutzen des Verfahrens einer Liposuktion belegten. Auch gebe es hierzu bislang keine neuen Hinweise oder Empfehlungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Vielmehr handele es sich im Wesentlichen um eine symptomatische Therapie; die Liposuktion falle nicht in den Leistungskatalog der GKV. Nach Vorlage weiterer Unterlagen (Befundbericht der MVZ K., Fotodokumentation) durch die Klägerin blieb der MDK (Dr. R.) mit sozialmedizinischem Gutachten nach Aktenlage vom 03.05.2018 bei seiner Auffassung, dass bei der Klägerin sowohl ein Lipödem als auch eine Adipositas per magna vorlägen, jedoch die beantragte Liposuktionsbehandlung weder im stationären noch im ambulanten Bereich zu begründen sei. Die Klägerin sei weiterhin auf konservative Behandlungsmaßnahmen zu verweisen. Sofern diese nicht ausreichend seien, bestehe die Möglichkeit der Rehabilitation in einer Spezialklinik. Dem folgend lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 09.05.2018, Widerspruchsbescheid vom 21.08.2018).
Mit ihrer am 07.09.2018 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass der ablehnende Bescheid der Beklagten ca. ein Jahr nach dem am 01.06.2017 geschlossenen Vergleich und damit deutlich außerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a SGB V ergangen sei. Zwar habe der Entscheidung der Beklagten kein ausdrücklicher Antrag der Klägerin, sondern der gerichtliche Vergleich zugrunde gelegen, jedoch ziele die Vorschrift gerade auf die Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens ab, um Leistungsansprüche zeitnah zu klären. Insofern könne es auch nicht darauf ankommen, ob der Prüfung ein Vergleich oder ein konkreter Antrag zu Grunde gelegen habe. Durch den Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a SGB V gelte die im Rahmen des Vergleichs zu überprüfende Leistung daher als genehmigt. Darüber hinaus handele es sich bei der Erkrankung der Klägerin um einen besonders schweren Fall, bei dem die Beschwerden weiter fortschritten. Dieser schnelle Fortschritt sei nicht typisch für ein Lipödem, sondern sei nach Einschätzung der behandelnden Ärzte mutmaßlich die Folge der Grunderkrankung (frühkindlicher Hirnschaden), aufgrund derer sich das Lipödem bei der Klägerin so extrem habe entwickeln können und eine baldige Bettlägerigkeit der Klägerin nicht auszuschließen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2018 (richtig wohl: 21.08.2018) aufzuheben und der Klägerin die beantragte Kostenübernahme für eine Liposuktion der Beine unter stationären Bedingungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten. Ergänzend hat sie ausgeführt, ein Anspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V komme nicht in Betracht, da mit dem gerichtlichen Vergleich kein eigenständiger Antrag gestellt worden sei. Vielmehr habe die Beklagte lediglich den gerichtlichen Vergleich umgesetzt, so dass auf die damit einhergehende Prüfung des Anspruchs auf eine stationäre die Liposuktion die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V keine Anwendung finde. Insbesondere sei die Regelung auch nicht analog anzuwenden. Sofern die Klägerin der Auffassung gewesen wäre, dass die Beklagte den Vergleich nicht hinreichend umgesetzt habe bzw. umsetze, hätte ihr die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung aus dem geschlossenen Vergleich offen gestanden.
Mit Urteil vom 29.03.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Anspruch folge nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der am 01.06.2017 geschlossene Vergleich stelle keinen Antrag im Sinne des § 13 Abs. 3a SGB V dar, denn es fehle jedenfalls an der einseitigen Erklärung der Klägerin, mit der ihr Leistungsbegehren in Form eines Antrags konkretisiert werde. Mithin sei nicht ein eigenständiger Antrag auf stationäre Krankenhausbehandlung gestellt, sondern zwischen den Beteiligten eine Prüfung dieses Leistungsanspruchs im Sinne eines Vergleichs vereinbart worden. Diese zweiseitig getroffene Abrede sei – auch im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit der Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich – nicht mit einem Antrag im Sinne des § 13 Abs. 3a SGB V gleichzusetzen. Es bestehe auch kein Anspruch auf Versorgung nach §§ 27 Abs. 1, 12 SGB V. Im Hinblick auf die weiteren Vorgaben und Voraussetzungen in Bezug auf die Versorgung mit einer stationären Liposuktion hat das Sozialgericht auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG vom 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R Rn. 11-26) verwiesen. Ein Anspruch auf Versorgung der Klägerin mit einer stationären Liposuktionsmaßnahme bestehe, unabhängig von der tatsächlich für das Lipödem ursächlichen oder auslösenden Erkrankung, nicht. Auch aus der Richtlinie des G-BA zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem vom 18.01.2018 folge kein darüberhinausgehender Anspruch auf Durchführung der Liposuktion im Rahmen der Studienteilnahme nach § 137e SGB V. Nach § 3 Abs. 2 der Erprobungs-Richtlinie zählten eine allgemeine Adipositas ohne Disproportion (wobei Grenzwerte oder andere Maße zur Operationalisierung durch die unabhängige wissenschaftliche Institution festzulegen seien), andere ödemverursachende Erkrankungen, Fettverteilungsstörungen anderer Genese sowie eine Ablehnung der konservativen Therapie zu den Ausschlussgründen. Vorliegend sei bei der Klägerin durch den MDK eine Adipositas per magna diagnostiziert worden. Auch werde durch die behandelnden Ärzte als Ursache für das bestehende Lipödem ein frühkindlicher Hirnschaden in Betracht gezogen, wobei vergleichbare Fälle den behandelnden Ärzten nicht bekannt seien. Letztlich sei danach jedenfalls ein Ausschlussgrund für die Durchführung der Erprobung bei der Klägerin gegeben, so dass auch im Rahmen der durchzuführenden Studie kein Anspruch auf Teilnahme nach der hierzu bislang erlassenen Erprobungs-Richtlinie bestehe.
Gegen das der Klägerin am 05.04.2019 zugestellte Urteil hat sie am 30.04.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen. Vertiefend führt sie aus, die bei ihr bestehende Fettverteilungsproblematik sei Folge eines frühkindlichen Hirnschadens; dem sei bislang nicht nachgegangen worden. Überdies liege eine erbliche Komponente vor. Sie sei dringend auf Hilfestellungen angewiesen, da sie bereits erhebliche Sekundärstörungen erleide. Es sei absehbar, dass wegen des erheblichen Übergewichts sämtliche Gelenke (insbesondere die Knie- und Hüftgelenke) in überschaubarer Zeit behandlungsbedürftig geschädigt würden. Auch eine vollständige Bettlägerigkeit sei aufgrund des Übergewichtes mehr als wahrscheinlich. Die begehrten Leistungen könnten kurzfristig und in erheblichem Umfang zu einer Linderung der Beschwerden beitragen. Sie sei vor ca. drei Jahren in einer auf Lymphe spezialisierten Klinik in H. 10 Tage lang stationär behandelt worden. Darüber hinaus trage sie Kompressionsstrümpfe und es erfolge Lymphdrainage sowohl zweimal wöchentlich manuell als auch darüber hinaus geräteunterstützt durch sie selbst.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.03.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2018 zu verurteilen, ihr die beantragte Kostenübernahme für eine Liposuktion der Beine unter stationären Bedingungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und nimmt im Wesentlichen darauf, sowie auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug. Ergänzend führt sie aus, soweit die Klägerin meine, das bei ihr bestehende Lipödem sei Folge eines frühkindlichen Hirnschadens, sei dies eine medizinisch nicht belegte Vermutung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Verfahrensakte des Sozialgerichts Köln S 34 KR 1019/14 Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht Köln hat die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) der Klägerin zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2018 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten stationären Liposuktionsbehandlung der Beine (Sachleistung) zu Lasten der GKV. Ein Anspruch der Klägerin besteht insoweit nicht aus § 27 SGB V (dazu unter 1.); ein Anspruch besteht auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V (dazu unter 2.).
1. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V). Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, stationsäquivalent, tagesstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht; sie umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach § 137c Absatz 1 getroffen hat und die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre, stationsäquivalente oder tagesstationäre Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dabei bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Versicherte haben aufgrund des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) keinen Anspruch auf ungeeignete Leistungen (vgl. BSG vom 19.04.2016 – B 1 KR 28/15 R Rn. 13 m.w.N.). Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben.
a) Nach § 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V in der seit dem 01.01.2020 geltenden Fassung überprüft der G-BA auf Antrag Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, insbesondere, weil sie schädlich oder unwirksam ist, erlässt der G-BA eine entsprechende RL, wonach die Methode nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf (Satz 2). Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, beschließt der G-BA eine Erprobungs-Richtlinie nach § 137e (Satz 3). Aufgrund einer solchen Richtlinie wird die Untersuchungs- und Behandlungsmethode in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenhausbehandlung zu Lasten der Krankenkassen erbracht (§ 137e Abs. 1 Satz 2 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Berücksichtigung beim Auswahlverfahren für die Teilnahme an einer Erprobungs-Richtlinie nach § 137e SGB V (vgl. BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20R Rn. 13 m.w.N.; BSG vom 26.04.2022 – B 1 KR 20/21 R Rn. 9; LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 28).
b) Die Klägerin kann die begehrte Behandlung nicht gestützt auf § 137e SGB V verlangen. Der G-BA hatte mit Beschluss vom 22.05.2014 ein Beratungsverfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem eingeleitet, dieses ist jedoch bislang nicht abgeschlossen (vgl. BSG vom 26.04.2022 – B 1 KR 20/21 R Rn. 9). Der G-BA hat mit Beschluss vom 20.07.2017 die laufende Bewertung der Methode wegen der problematischen Studienlage bis zur Erstellung einer Studie zur Verbesserung der Erkenntnislage ausgesetzt. Am 18.01.2018 hat er mit Wirkung zum 10.04.2018 eine Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems (Erprobungs-Richtlinie Liposuktion – Erp-RL – BAnz AT 09.04.2018 B1) erlassen. Die Klägerin nimmt an dieser Erprobungsstudie nicht teil (ein Anspruch auf Teilnahme hätte auch nicht gegen die Krankenkasse geltend gemacht werden können, weil nach den festgelegten Rahmenbedingungen die gesetzlichen Krankenkassen nicht in die Auswahl der Teilnehmer an der Erprobungs-Richtlinie involviert sind <vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 31 m.w.N.>); eine Teilnahme ist auch nicht mehr möglich, weil die für die Studie erforderliche Anzahl von Teilnehmerinnen erreicht ist und eine Interessenbekundung nur bis 31.12.2019 möglich war (vgl. den „Liposuktion (Studienregistrator)“, Stand: 17.06.2022, Version: 1.25, abrufbar unter: https://www.erprobung-liposuktion.de).
c) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Behandlung aufgrund der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung des G-BA. Durch Beschluss des G-BA vom 19.09.2019 ist die Anlage I der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus geändert worden. Der G-BA hat mit Beschluss vom 19.09.2019 die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III befristet bis zum 31.12.2024 in die Anlage I „Methoden, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich sind“ (Nr. 14) aufgenommen. Ebenfalls durch Beschluss vom 19.09.2019 ist die Liposuktion bei Lipödem Stadium III befristet bis zum 31.12.2024 im Rahmen der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in die Liste anerkannter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufgenommen worden (RL Methoden Krankenhausbehandlung i.V.m. RL über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III – QS-RL Liposuktion vom 19.09.2019 – BAnz AT 06.12.2019 B4). Diese Änderung trat mit Wirkung zum 07.12.2019 in Kraft und gilt ex nunc ab dem Tag nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger (vgl. BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 16; LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 32 m.w.N.). Die Voraussetzungen der QS-RL Liposuktion sind im Falle der Klägerin jedoch nicht erfüllt.
aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 QS-RL Liposuktion darf die Methode zur Behandlung des Lipödems zu Lasten der Krankenkassen eingesetzt werden, wenn das Vorliegen eines Lipödems im Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion gestellt wurde. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 QS-RL Liposuktion liegt ein Lipödem gemäß ICD-10 GM bei einer lokalisierten schmerzhaften symmetrischen Lipohypertrophie der Extremitäten mit Ödem, mit ausgeprägter Umfangsvermehrung und großlappig überhängenden Gewebeteilen von Haut und Subkutis vor.
Für eine Diagnose des Lipödems im Stadium III müssen alle folgenden Kriterien erfüllt sein (§ 4 Abs. 2 QS-RL Liposuktion):
a) Disproportionale Fettgewebsvermehrung (Extremitäten-Stamm) mit großlappig überhängenden Gewebeanteilen von Haut und Subkutis.
b) Fehlende Betroffenheit von Händen und Füßen.
c) Druck- oder Berührungsschmerz im Weichteilgewebe der betroffenen Extremitäten.
Nach Diagnosestellung kann die Indikationsstellung zur Liposuktion erfolgen, wenn ärztlicherseits festgestellt wurde, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind (§ 4 Abs. 3 QS-RL Liposuktion):
a) Trotz innerhalb der letzten sechs Monate vor Indikationsstellung kontinuierlich durchgeführter, ärztlich verordneter konservativer Therapie konnten die Krankheitsbeschwerden nicht gelindert werden.
b) Bei Patienten mit einem Body-Mass Index (BMI) ab 35 kg/m² findet eine Behandlung der Adipositas statt.
Gemäß § 4 Abs. 4 QS-RL Liposuktion soll bei einem BMI ab 40 kg/m² keine Liposuktion durchgeführt werden. Das Vorliegen der in den Absätzen 2 und 3 aufgeführten Kriterien ist in der Patientenakte zu dokumentieren (§ 4 Abs. 5 QS-RL Liposuktion).
Nach den „Tragenden Gründen“ zum Beschluss des G-BA dienen die in § 4 Abs. 2 a-c QS-RL Liposuktion aufgeführten Kriterien als verbindliche Grundlage für eine abgesicherte Diagnose und müssen daher zur Stellung der Diagnose sämtlich erfüllt sein (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 44).
bb) Es mag dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 QS-RL Liposuktion vorliegen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei der Klägerin ausweislich des Berichtes der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017 für den Bereich beider Beine ein Lipödem III. Grades mit massiver Wulstbildung diagnostiziert wurde. Ob dies auch für die Arme der Klägerin Geltung hat, mag offenbleiben. Das Vorliegen eines Lipödems III. Grades jedenfalls im Bereich der Beine ist – auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Fotodokumentation – für den Senat nachvollziehbar.
cc) Ebenfalls dahinstehen mag, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Lit. a QS-RL Liposuktion erfüllt sind. Angegeben wird die frustrane Durchführung konsequenter Entstaungstherapie mittels Tragens medizinischer Kompressionsstrümpfe der Klasse II/III (flachgestrickt) sowie manueller Lymphdrainagebehandlungen (Bericht der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017). Darüber, ob nach 2000 (vgl. dazu MDK-Gutachten vom 16.09.2009) eine stationäre Rehabilitationsbehandlung durchgeführt wurde, bestehen keine belastbaren Erkenntnisse; der Bericht der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017 verhält sich hierzu nicht, der MDK verneint dies (Gutachten vom 03.05.2018). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin selbst. Diese hat angegeben, sie sei vor ca. drei Jahren (2019/2020) in einer auf Lymphe spezialisierten Klinik in H. (D. Spital H.) 10 Tage lang stationär behandelt worden. Dazu, ob und ggf. mit welchem Ergebnis dort eine stationäre Rehabilitationsbehandlung durchgeführt wurde, liegen keine Erkenntnisse vor. Hierauf kommt es jedoch zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht an.
dd) Denn jedenfalls sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Lit. b QS-RL Liposuktion nicht erfüllt. Nach den „Tragenden Gründen“ zu § 4 Abs. 3 Lit. b QS-RL Liposuktion geht das Lipödem in einer hohen Anzahl der Fälle mit einer Adipositas einher, die zugleich als Risikofaktor für das Auftreten und Voranschreiten des Lipödems gilt (S1 Leitlinie-Lipödem). Eine Adipositas ist nach den „Tragenden Gründen“ vorrangig bzw. begleitend zu behandeln, als Obergrenze wird z.T. sogar ein BMI von 32 kg/m² empfohlen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 50). Unter Berücksichtigung verschiedener Einschätzungen und Empfehlungen, wonach eine das Lipödem begleitende Adipositas vor Indikationsstellung zur Liposuktion in einem entsprechenden Therapiekonzept Berücksichtigung finden muss, hat der G-BA dies bei einer Adipositas ab Grad II (BMI > 35 kg/m²) als Voraussetzung für die Indikationsstellung festgelegt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 50). Dr. G. (MVZ K. GmbH) hat die Diagnose einer Adipositas durchgehend (vgl. z.B. schon seinen Bericht vom 22.07.2015) nicht gestellt. Eine Behandlung der Adipositas ergibt sich aus seinen Ausführungen (Bericht der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017) nicht. Dahingegen diagnostiziert der MDK – jedenfalls seit 2009 durchgehend (Gutachten vom 28.04.2009, Gutachten vom 21.10.2009, Gutachten vom 04.11.2009 und Gutachten vom 02.07.2010) das Vorliegen einer Adipositas per magna mit einem BMI von zuletzt 44 kg/m² (MDK-Gutachten vom 03.08.2016). Ausgehend von den Angaben der Klägerin (Körpergröße: 165 cm und Gewicht: 135 kg) dürfte dieser zuletzt weiter angestiegen sein. Das Vorliegen einer Adipositas bestätigte auch Dr. M. (Interdisziplinäres Lymphzentrum des N.-Hospitals P.; Bericht vom 26.08.2010 und Bericht vom 31.03.2011).
Dass eine konsequente Behandlung der langjährigen Adipositas stattfand bzw. ausgeschöpft ist, ist weder aus den vorgelegten Berichten ersichtlich, noch dokumentiert (§ 4 Abs. 5 QS-RL Liposuktion) und auch sonst nicht nachgewiesen; etwas Derartiges behauptet nicht einmal die Klägerin selbst. Jedenfalls seit 2009 wurden diätische Maßnahmen empfohlen (MDK-Gutachten vom 21.10.2009, vom 06.07.2011, vom 03.08.2017 und vom 03.05.2018). Diese wurden jedoch – soweit erkennbar – bislang nicht – jedenfalls weder ärztlich noch ernährungstherapeutisch begleitet – durchgeführt.
d) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Behandlung aus § 137c SGB V. Nach § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V (in der seit 01.01.2020 geltenden Fassung) dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der G-BA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen der Krankenhausbehandlung angewandt und von den Versicherten beansprucht werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also medizinisch indiziert und notwendig sind. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach § 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach § 137c Abs. 1 SGB V noch nicht abgeschlossen ist (§ 137c Abs. 3 Satz 2 SGB V).
aa) Das Bundessozialgericht (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R) hat seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, soweit es außerhalb von Erprobungs-Richtlinie für den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlungen auch nach Inkrafttreten des § 137c Abs. 3 SGB V für die dabei eingesetzten Methoden den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute verlangt (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 23). Der Gesetzgeber habe hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei § 137c SGB V um eine partielle Einschränkung des allgemeinen Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) für den Bereich der Krankenhausbehandlung handelt (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 26). Soweit die Krankenhäuser Potentialleistungen erbringen dürfen, korrespondiert dies auch mit einem Rechtsanspruch des Versicherten (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 27). § 137c Abs. 3 SGB V formt den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 39 SGB V) näher aus und modifiziert bereichsspezifisch zugleich das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 28). Ausreichend ist nunmehr, dass die begehrte stationäre Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten muss, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die begehrte Leistung medizinisch indiziert und notwendig ist, nach dem jeweiligen Behandlungsziel eine Standardtherapie nicht (mehr) zur Verfügung steht und eine stationäre Behandlung Versicherter erforderlich ist (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 29, 31-42). Nach dem Wortlaut der Regelung dürfen Krankenhäuser für Versicherte auch Leistungen erbringen, die nur das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative haben, das heißt, Leistungen, deren Methoden noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Krankenhäuser dürfen die Potentialleistungen auch dann erbringen, wenn die Versicherten nicht an einer Erprobungs-Richtlinie teilnehmen, ja sogar dann, wenn eine solche noch nicht existiert oder nicht einmal ein Bewertungsverfahren nach § 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeleitet wurde (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 23). Der Anwendungsbereich von Potentialleistungen ist zur Gewährung des Patientenschutzes für den Fall eines noch nicht existierenden Erprobungsverfahrens wegen des auf eine abschließende Klärung gerichteten Methodenbewertungsverfahrens allerdings eng auszulegen (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R; BSG vom 26.04.2022 – B 1 KR 20/21 R Rn. 16 ff.).
Das Bundessozialgericht hat bestätigt (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R; BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 38/21 R), dass Versicherte auch nach Erlass einer Erprobungs-Richtlinie Anspruch auf die Versorgung mit Potentialleistungen grundsätzlich nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs haben, wenn es 1. um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar ist und 3. die einschlägigen Regelungen der Verfahrensordnung des G-BA für die Erfüllung einer erforderlichen Behandlungsalternative erfüllt sind (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 19).
bb) Es mag dahinstehen, ob die Klägerin hieraus bereits deshalb keinen Anspruch herleiten kann, weil der G-BA „Entscheidungen“ i.S. von § 137c Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 SGB V getroffen hat (so LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 56; a.A. Knispel in jurisPR-SozR 22/2022 Anm. 6; Roters in: BeckOGK SGB V, § 137c Rn. 17).
cc) Denn jedenfalls bietet die begehrte stationäre Leistung nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative (vgl. dazu BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 29, 31-42).
aaa) Das Potentialstadium einer Behandlungsmethode ist im Hinblick auf die im Gesetz angelegte Klärung bis zu einer endgültigen Etablierung oder aber eines Ausschlusses aus der Versorgung transitorisch (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 36). Die gesetzlichen Regelungen zur Erprobung neuer Behandlungsmethoden ermöglichen den Versicherten die Teilhabe an medizinischen Innovationen, räumen dabei aber auch dem Patientenschutz einen breiten Raum ein. Dem ist bei der Auslegung des § 137 c Abs. 3 SGB V angemessen Rechnung zu tragen (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 32). Während des Erprobungsverfahrens wird der Patientenschutz sogar noch weiter verstärkt. An das Erprobungsverfahren werden besondere personelle, sachliche und sonstige qualitätssichernde Anforderungen gestellt (§ 137e Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V), die den teilnehmenden Versicherten ein „geschütztes Setting“ einschließlich einer wissenschaftlichen Begleitung bieten. Dies eröffnet erweiterte therapeutische Handlungsspielräume und es besteht die Möglichkeit, bei sich abzeichnenden Gefährdungen schnell zu intervenieren, etwa, wenn Komplikationen bei einzelnen Teilnehmern auftreten (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 33). Zur Gewährleistung ausreichenden Versichertenschutzes sind deshalb die Regelungen über Ansprüche auf Leistungen, die – wie hier – außerhalb der Teilnahme an einer Erprobungs-Richtlinie erbracht werden, restriktiv auszulegen (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 23). Dies wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dadurch erreicht, dass Potentialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens nur dann in Anspruch genommen werden dürfen, wenn der Versicherte schwer erkrankt ist und keine andere bereits standardisierte Behandlungsmethode zur Verfügung steht (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 40, 42).
bbb) Voraussetzung für einen Anspruch außerhalb der Teilnahme an einer Erprobungs-Richtlinie ist zunächst das Vorliegen einer schwerwiegenden, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 41; BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn 19; BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 38/21 R Rn. 17).
(1) Die Regelung des § 137c SGB V war vordringlich für schwerer erkrankte Versicherte mit einem besonderen Bedarf an innovativen Behandlungsalternativen gedacht (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 41; BT-Drucks 18/4095 S. 121). Der Gesetzgeber hatte bei der Neuregelung des § 137c SGB V die schwer und schwerst erkrankten Versicherten in den Blick genommen, deren Versorgung auch durch Methoden unterhalb ausgewiesenen Studien gestärkt, d.h. verbessert werden soll (vgl. BT-Drucks 18/5123 S. 135; 17/6906 S. 86; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 60 m.w.N.).
(2) Das Bundessozialgericht hat den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung in seinen Entscheidungen zum off-label-use entwickelt (BSG vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00) und damit die Erheblichkeitsschwelle der betroffenen Erkrankungen umrissen (BSG vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R Rn. 26). Es hat eine schwerwiegende Erkrankung als eine solche Erkrankung definiert, die lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.02.2019 – L 11 KR 240/18 B ER Rn. 60) bzw. vergleichbare Erkrankungen wie etwa eine akut drohende Erblindung (vgl. BSG vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R) bzw. als eine Erkrankung, die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (BSG vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R Rn. 26; BSG vom 26.09.2006 – B 1 KR 14/06 R Rn. 10; BSG vom 30.06.2009 – B 1 KR 5/09 R Rn. 31; BSG vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R Rn. 24). Es reicht allerdings nicht jede Erkrankung, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, sondern es muss sich um eine solche handeln, die sich durch ihre Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (vgl. BSG vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R Rn.18; Knispel, GesR 2018, 273, 274). In der Gesetzesbegründung zu § 35c Abs. 2 SGB V, der ebenfalls das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung voraussetzt, wird insoweit auf onkologische Erkrankungen Bezug genommen (BT-Drucks 16/4247 Art. 1 Nr. 20a S. 33).
Zuletzt mit einer Entscheidung zu § 31 Abs. 6 SGB V hat das Bundessozialgericht den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung weiterentwickelt. Es führt aus (BSG vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R Rn. 11):
„Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl BSG vom 19.3.2002 B 1 KR 37/00 R BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3 2500 § 31 Nr 8 S 36 und vom 25.3.2021 B 1 KR 25/20 R BSGE 132, 67 = SozR 4 2500 § 137c Nr 15, RdNr 40).“
Weiter führt es aus (BSG vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R Rn. 12):
„[…] die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankungen in dem Sinne, dass die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs nach allgemeiner Erkenntnis oder nach der Beurteilung im konkreten Einzelfall innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums drohen würde (vgl BSG vom 14.12.2006 B 1 KR 12/06 R SozR 4 2500 § 31 Nr 8 RdNr 19).“
Zur dauernden Beeinträchtigung der Lebensqualität führt das Bundessozialgericht aus (BSG vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R Rn. 13 - 19):
„Von einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität ist in Anlehnung an entsprechende Regelungen in §§ 43, 101 Abs 1 SGB VI, § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX, § 14 Abs 1 Satz 3 SGB XI, § 30 Abs 1 Satz 3 BVG ab einem Zeitraum von (voraussichtlich) sechs Monaten auszugehen. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich nicht aus der gestellten Diagnose, sondern aus den konkreten Auswirkungen der Erkrankung (dazu a). Diese müssen den Betroffenen überdurchschnittlich schwer beeinträchtigen, wofür die GdS (Grad der Schädigungsfolgen) Tabelle aus Teil 2 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin Verordnung (VersMedV) als Anhaltspunkt dienen kann (dazu b). Die beim Kläger bestehende ADHS, zu deren Behandlung Cannabis eingesetzt werden soll, ist danach in der Regel nur dann eine schwerwiegende Erkrankung, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt, in das öffentliche Leben und in das häusliche Leben ohne Unterstützung nicht gelingt (dazu c).
a) Die Lebensqualität wird im Wesentlichen nicht durch die Diagnose einer Erkrankung beeinflusst, sondern durch die Auswirkungen der Erkrankung auf das Leben der Betroffenen. Lebensqualität umschreibt das Vermögen, die Befriedigung von Grundbedürfnissen selbst zu gewährleisten, soziale Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten sowie am Erwerbs und Gesellschaftsleben teilzunehmen. Ob und inwieweit eine erkrankte Person noch dazu in der Lage ist, hängt von der Art und Schwere der durch die Erkrankung verursachten Gesundheitsstörungen ab. Die dauerhafte und nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich deshalb nicht allein aus einer ärztlich gestellten Diagnose. Entscheidend sind die durch die Erkrankung hervorgerufenen Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, welche die Lebensqualität beeinträchtigen.
b) Die Auswirkungen der Krankheit mit den sich aus dieser ergebenden Beeinträchtigungen müssen sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Nur dann liegt auch eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität vor. Insoweit hält es der Senat für gerechtfertigt, sich an die Bewertung der Auswirkungen von Krankheiten in Teil 2 der Anlage zu § 2 VersMedV anzulehnen. Diese dient zur Beurteilung des GdS (§ 30 Abs 1, Abs 16 BVG) sowie des Grades der Behinderung (GdB) als Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe an der Gesellschaft (§ 2 Abs 2, § 153 Abs 2, § 241 Abs 5 SGB IX) und stellt einen sozialrechtlichen Maßstab für die Schwere krankheitsbedingter Beeinträchtigungen dar. Sowohl GdS als auch GdB stellen auf die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in der Gesellschaft ab (§ 30 Abs 1 Satz 1 BVG; § 2 Abs 1 SGB IX). Davon sind neben Arbeit und Beruf auch die Stellung des Betroffenen in der Gesellschaft und seine sozialen Beziehungen umfasst (vgl Oppermann in Knickrehm, Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 2 SGB IX RdNr 14; Götze in Hauck/Noftz, § 2 SGB IX, RdNr 8, 9). Dies deckt sich mit dem medizinisch geprägten Begriff der Lebensqualität, der die Wahrnehmung des Betroffenen zu seiner Position im Leben im Blick hat.
Entsprechen die Auswirkungen nach der GdS Tabelle bereits allein ohne Einbezug weiterer Erkrankungen einem GdS von 50, kann im Regelfall von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Die mit einem GdS/GdB von mindestens 50 definierte Schwerbeschädigten bzw Schwerbehinderteneigenschaft (§ 31 Abs 2 BVG, § 2 Abs 2 SGB IX) eröffnet den Zugang zu besonderen Leistungen oder Nachteilsausgleichen. Sie markiert eine Zumutbarkeitsschwelle, ab welcher der Gesetzgeber die Beeinträchtigungen als derart schwerwiegend angesehen hat, dass zum Ausgleich übermäßiger Nachteile weitere Leistungen, Vergünstigungen und Schutzvorschriften geboten sind.
Die Heranziehung eines GdS von 50 ist weder im Sinne eines starren Grenzwertes zu verstehen, noch ist eine formelle Feststellung eines GdS oder GdB erforderlich, um einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis zu begründen. Entscheidend sind vielmehr die in der GdS Tabelle enthaltenen Kriterien zur Schwere der Beeinträchtigung der Lebensqualität aufgrund der Auswirkungen einer Erkrankung. Das gilt in besonderem Maße für die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch psychische Erkrankungen, für die sich der GdS Tabelle die Orientierung an der Fähigkeit zur Integration in den Arbeitsmarkt sowie das öffentliche und häusliche Leben entnehmen lässt (so LSG Berlin Brandenburg vom 27.4.2022 – L 9 KR 233/20 – juris RdNr 30 ohne Rückgriff auf die VersMedV). Bei multimorbiden Patienten, bei denen Cannabis zur Behandlung mehrerer Erkrankungen eingesetzt werden soll, ist auf die Gesamtauswirkungen dieser Erkrankungen abzustellen. Schränken deren sich ggf überschneidende und sich wechselseitig verstärkende Auswirkungen die Lebensqualität in einer einem Einzel GdS von 50 vergleichbaren Schwere ein, kann grundsätzlich auch vom Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden.
Erreichen die Auswirkungen der Erkrankung(en) nicht die Schwere, die einem Einzel GdS von 50 vergleichbar sind, ist die Annahme einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht ausgeschlossen. Sie kommt im Einzelfall in Betracht, etwa wenn ihre Auswirkungen aufgrund weiterer Erkrankungen schwerer wiegen oder die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen Bereich besonders einschränken.“
(3) Eine lebensbedrohliche oder seltene Erkrankung liegt bei der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen – ungeachtet der Frage, ob die bei der Klägerin bestehende Fettverteilungsstörung Folge eines frühkindlichen Hirnschadens ist – nicht vor. Auch eine sich durch Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt abhebende Erkrankung liegt nicht vor.
(4) Es spricht zur Überzeugung des Senats Überwiegendes dafür, dass bei der Klägerin eine schwerwiegende Erkrankung im oben benannten Sinne vorliegt; letztlich mag dies indes dahinstehen (dazu unter ccc). Bei der Klägerin besteht jedenfalls an den Beinen ein Lipödem Grad III, daneben ein Morbus Madelung (nicht gesichert) und eine Adipositas per magna (BMI > 44 kg/m²). Als Ausprägung des Lipödems besteht bei der Klägerin nach den Feststellungen von Dr. G. (Bericht der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017) eine „extreme Schmerzhaftigkeit“ im Bereich beider Beine und eine die bestehende Beeinträchtigung der Mobilität (aufgrund einer Hemiparese nach frühkindlichem Hirntrauma) verstärkende Wirkung durch das Lipödem der Beine. Dabei handelt es sich zweifellos um die Klägerin beeinträchtigende und sie belastende Krankheitserscheinungen. Es spricht auch vieles dafür, dass es sich dabei um eine schwerwiegende Erkrankung im o.g. Sinne handelt. Das insoweit streitgegenständliche Leiden der Klägerin (Lipödem III. Grades der Beine) betrifft das Funktionssystem Stoffwechsel und innere Sekretion. Es besteht eine erhebliche (mehr als 3 cm) Umfangsvermehrung und eine erhebliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit. Hierfür hält das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 03.12.2014 – L 7 SB 69/09 Rn. 44) einen Einzel-GdB von 50 – 70 für leidensgerecht. Es nimmt die Einordnung des Lipödems in den Katalog der der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) gemäß der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl I 2412) analogen Bewertungen vor, da für das Funktionssystem Stoffwechsel und innere Sekretion im Teil B 15 VmG keine klaren Vorgaben für diese Erkrankung existieren (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 03.12.2014 – L 7 SB 69/09 Rn. 44).
In Teil B 15.3 VmG findet sich lediglich die Formulierung:
„15.3 Fettstoffwechselkrankheit
Der GdS ist grundsätzlich abhängig von dem Ausmaß der Folgekrankheiten.
Bei Notwendigkeit einer LDL-Apherese ...30“
Vor diesem Hintergrund hält es das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt für erforderlich, Wertungskriterien für das in seinen Auswirkungen mit dem Lipödem vergleichbare Lympödem aus dem Funktionssystem Herz und Kreislauf im Teil B 9 VmG ergänzend heranzuziehen, um dem Leidensbild dieser Erkrankung gerecht werden zu können (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 03.12.2014 – L 7 SB 69/09 Rn. 48).
In Teil B 9.2.3 VmG „Unkomplizierte Krampfadern“ ist für das Lymphödem geregelt:
„Lymphödem an einer Gliedmaße
ohne wesentliche Funktionsbehinderung, Erfordernis einer Kompressionsbandage ... 0 – 10
mit stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) je nach Funktionseinschränkung ... 20 – 40
mit erheblicher Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße, je nach Ausmaß ... 50 – 70
bei Gebrauchsunfähigkeit der ganzen Gliedmaße ... 80
Entstellungen bei sehr ausgeprägten Formen sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen.“
Bei einem Lipödem der Beine, das die Gehfähigkeit erheblich einschränkt, hält das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt den Bewertungsrahmen von 50 bis 70 für eröffnet. Dabei sei der Mittelwert von einem Einzel-GdB von 60 für das Lipödem sachgerecht, wenn das Vollbild der Erkrankung vorliege und ein völlig unproportioniertes Volumen entstanden sei, das eine gravierende Gehstörung zur Folge habe (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 03.12.2014 – L 7 SB 69/09 Rn. 55). Bei der Klägerin besteht jedenfalls im Bereich der Beine zur Überzeugung des Senats gesichert das Vollbild der Erkrankung. Überdies bestehen hier erhebliche Gehstörungen – die Klägerin kann sich hier nur noch mit Hilfe eines Rollators fortbewegen – die jedenfalls auch auf das Lipödem der Beine zurückgeführt werden (Bericht der MVZ K. GmbH vom 02.10.2017). Insoweit spricht mehr dafür als dagegen, dass das bei der Klägerin jedenfalls im Bereich der Beine bestehende Lipödem III. Grades eine schwerwiegende Erkrankung darstellt. Letztlich kommt es hierauf nicht an, weil die Klägerin die weitere Voraussetzung, wonach zur Behandlung der Erkrankung keine andere bereits standardisierte Behandlungsmethode zur Verfügung stehen darf (BSG vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R Rn. 40, 42; BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 19), nicht erfüllt.
ccc) Es stehen zur Überzeugung des Senats zur Behandlung der Klägerin noch Standardtherapien zur Verfügung. Insbesondere ist für den Senat nicht erkennbar, dass die Klägerin (jedenfalls nach dem Jahr 2000) eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Behandlung des Lipödems in Anspruch genommen hätte. Hierauf hat der MDK die Klägerin bereits seit 2017 (Gutachten vom 03.08.2017 und Gutachten vom 03.05.2018) ebenso verwiesen, wie auf konservative Behandlungsmaßnahmen, die optimiert werden könnten. Für den Senat ist insoweit auch nicht erkennbar, dass eine Behandlung der begleitend bestehenden Adipositas (Ernährungsumstellung) ausgeschöpft wäre. Auf die Wechselwirkungen zwischen der bestehenden Adipositas per magna und dem Lipödem wies der MDK ebenfalls bereits seit 2017 (Gutachten vom 03.08.2017 und Gutachten vom 03.05.2018) hin. Der bislang fehlenden Therapie der bestehenden Adipositas per magna kommt auch deshalb besonderes Gewicht zu, weil gemäß § 3 Abs. 2 Erp-RL Liposuktion eine allgemeine Adipositas (ohne Disproportion) einen Ausschlussgrund darstellt und gemäß § 4 Abs. 4 QS-RL Liposuktion bei einem BMI ab 40 kg/m² keine Liposuktion durchgeführt werden soll. Zwar geht der Potentialmaßstab des § 137c Abs. 3 SGB als lex specialis dem allgemeinen Qualitätsgebot vor (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 19) und die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Potentialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens gelten auch für die Zeit nach Erlass einer Erprobungs-Richtlinie weiter (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 20), wobei sich Begrenzungen für Ansprüche auf Potentialleistungen aus den Erprobungs-Richtlinie i.V.m § 137e Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V und dem jeweiligen Studiendesign selbst nur für an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser ergeben (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 25), jedoch kommt diesen Regelungen (Erprobungs-Richtlinie), soweit sie Anforderungen an Struktur- und Prozessqualität aufstellen, zumindest im tatsächlichen Sinn eine indizielle Bedeutung hinsichtlich der die Fragen, ob die Methode auch für von der Erprobungs-Richtlinie nicht erfasste Indikationen Potential hat und ob und in welchem Umfang die in der Erprobungs-Richtlinie und dem Studiendesign vorgegebene Struktur- und Prozessqualität nach dem Maßstab des gesicherten Nutzens auch außerhalb des Erprobungsverfahrens zu beachten ist, zu (BSG vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R Rn. 25). Jedenfalls eine vergleichbare indizielle Bedeutung kommt auch der QS-RL Liposuktion zu. Der darin geregelte Ausschluss der Liposuktion bei einem BMI ab 40 kg/m² bietet Anhalt zu Zweifeln an dem Potential der Methode jedenfalls dann, wenn ein frustraner Versuch zur Reduktion der Adipositas bislang noch nicht erfolgt ist. Aus keiner vorliegenden medizinischen Unterlage lässt sich das (frustrane) Ausschöpfen der aufgezeigten Standarttherapien nachvollziehen. Der vorgelegte Bericht der MVZ K. GmbH (Bericht vom 02.10.2017) beschreibt zwar eine Schmerzhaftigkeit trotz konsequenter Entstauungstherapie; die durch den MDK aufgezeigten Therapieformen finden indes keine Erwähnung, obgleich auch Dr. G. ein Gesamtkonzept für erforderlich erachtet.
e) Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V berufen. Hiernach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Bei einem Lipödem handelt es sich zwar – wie bereits ausgeführt – um eine schmerzhafte (im Fall der Klägerin ggf. sogar um eine schwerwiegende), eindeutig aber nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung. Gemeint ist insoweit eine notstandsähnliche Lage mit einer sehr begrenzten Lebensdauer (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.09.2022 – L 16 KR 61/21 Rn. 65 m.w.N.). Das Lipödem ist auch nicht wertungsmäßig mit einer solchen Erkrankung vergleichbar. Mit diesem Kriterium ist noch eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa – wie oben ausgeführt – mit dem Erfordernis einer „schwerwiegenden“ Erkrankung formuliert ist (BSG vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R Rn. 15). Einen solchen Schweregrad erreicht ein Lipödem nicht (BSG vom 28.05.2019 – B 1 KR 32/18 R; BSG vom 24.04.2018 – B 1 KR 13/16 R Rn. 8; BSG vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R Rn. 15).
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Sachleistung (stationäre Liposuktionsbehandlung der Beine) aus § 13 Abs. 3a SGB V.
a) Nach § 13 Abs. 3a SGB V (in der Fassung vom 20.02.2013 – a.F.) hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 1 bis 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 5 bis 7).
b) Es mag dahinstehen, ob die bei der Beklagten versicherte und damit „leistungsberechtigte“ Klägerin einen „Antrag auf Leistungen“ im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V a.F. gestellt hat. Es mag dabei insbesondere dahinstehen, ob schon Ziffer 1 des Vergleichs vom 01.06.2017 (Sitzungsniederschrift vom 01.06.2017) einen derartigen „Antrag auf Leistungen“ darstellt, was die Klägerin meint.
c) Jedenfalls hat sich die Klägerin die begehrte Leistung bislang nicht selbst beschafft. Dies steht dem geltend gemachten Anspruch aus § 13 Abs. 3a SGB V entgegen. Denn § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V vermittelt keinen eigenständigen Anspruch auf Versorgung mit einer Naturalleistung, sondern nur ein Recht auf Selbstbeschaffung bei Ablauf der in § 13 Abs. 3a SGB V genannten Fristen mit Anspruch auf Erstattung der Beschaffungskosten (vgl. BSG vom 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R Rn. 9). Das Bundessozialgericht hat insoweit seine entgegenstehende Rechtsprechung (BSG vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R Rn. 25; zuletzt BSG vom 27.08.2019 – B 1 KR 36/18 R Rn. 16) aufgegeben (BSG vom 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R Rn. 10 ff.).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
III. Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach Erlass der QS-Richtlinie des G-BA vom 19.09.2019 ein Anspruch aus § 137c Abs. 3 SGB V auf Versorgung mit Potentialleistungen bestehen kann, von grundsätzlicher Bedeutung und bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist. Ein entsprechendes Revisionsverfahren ist unter dem Aktenzeichen B 1 KR 27/22 R anhängig.