L 1 KR 250/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 938/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 250/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Mai 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen. 
 

T a t b e s t a n d

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten ambulant durchgeführter Liposuktionen. Streitig ist, ob die Beklagte aufgrund einer Genehmigungsfiktion zur Kostenerstattung verpflichtet ist.

Bei der 1992 geborenen und bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin wurde erstmals im August 2015 ein Lipödem (Grad 2-3) an Armen und Beinen diagnostiziert. 

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2015, welches bei der Beklagten am 21. Dezember 2015 eingegangen war, beantragte sie die Übernahme der Kosten von Liposuktionen im Bereich der Arme und Beine in Form der Liposculptur nach Prof. Cornely™. Dem Antragsschreiben war ein Attest der Dr. C. vom Venen- und Lymphzentrum Mainz vom 18. September 2015 beigefügt. Darin war ausgeführt: „Als Therapie der Wahl zur Verhinderung der Chronizität gilt bei Frau A. eine lymphologische Liposculptur nach Cornely (1998), die stationär durchgeführt werden kann und erfolgsversprechend ist.“ Außerdem waren beigefügt: Hilfsmittelverordnung über Kompressionsstrümpfe vom 21. September 2015, Heilmitteverordnung vom 21. September 2015 über manuelle Lymphdrainage, Arztbrief des medizinischen Versorgungszentrums Mainz vom 17. September 2015 (Diagnose: Hashimoto-Thyreoiditis). In einem Telefonvermerk der Beklagten vom 11. Januar 2016 (Bl. 229 der Gerichtsakte) heißt es: „Telefonat mit Frau A.: wegen Antrag auf stationäre Liposuktion mitgeteilt, dass MDK eingeschaltet werden muss, eingereichte Unterlagen aber nicht sehr aussagekräftig sind. Stationäre Behandlung wird nicht im Lymph- und Venenzentrum in Mainz durchgeführt, von dort wurde nur die ärztliche Bescheinigung ausgestellt. Fr. A. hat im März einen weiteren Untersuchungstermin bei einem Spezialisten, wo auch nähere Angaben zu Absaugmenge usw. gemacht werden können. Mit Fr. A. vereinbart, dass der aktuelle Antrag heute noch per Mail zurückgenommen wird und ein neuer Antrag gestellt wird, wenn weitergehende med. Informationen vorliegen, vermutlich im März d.J.“ Nachfolgend nahm die Klägerin weder ihren Antrag schriftlich bzw. per Mail zurück, noch beschied die Beklagte den Antrag vom 19. Dezember 2015.

Die Klägerin stellte sich am 23. März 2016 in der privatärztlichen Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ bei Prof. Dr. E. vor. In einem Schreiben vom 19. April 2016 bestätigte diese Praxis die vereinbarten OP-Termine für den 16. August 2016, 27. September 2016 und 25. Oktober 2016. Die Klägerin unterzeichnete am 16. April 2016 eine Einverständniserklärung zur Abrechnung durch die H. Bank GmbH und am 19. April 2016 einen Operationsaufklärungsbogen, eine Honorarvereinbarung mit dem Anästhesisten Dr. K., abweichende Honorarvereinbarungen mit der Praxis „D.- Praxis für Operative Lymphologie“ sowie eine Zustimmungserklärung zur Datenweitergabe (Bl. 58 bis 66 der Gerichtsakte). 

Mit Schreiben vom 22. April 2016, eingegangen bei der Beklagten am 26. April 2016, beantragte die Klägerin (erneut) die Kostenübernahme der Liposuktionen und verwies u.a. auf die beigefügten Kostenvoranschläge zu den „geplanten Operationen“; im Übrigen war das Schreiben inhaltsgleich mit dem vorangegangenen Antragsschreiben vom 19. Dezember 2015. Neben dem - bereits mit Schreiben vom 19. Dezember 2015 vorgelegten - Attest des Venen- und Lymphzentrums Mainz vom 18. September 2015 und dem Arztbrief des medizinischen Versorgungszentrums Mainz vom 17. September 2015 legte die Klägerin (neu) ein Attest der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ vom 11. April 2016, Kostenvoranschläge dieser Praxis über jeweils 4.540,89 € für „Beine außen“, „Beine innen“ und „Arme“ (ohne Datum) sowie ein Informationsschreiben über die Abrechnungsmodalitäten vom 19. April 2016 vor.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. Juni 2016 den Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 ab. Bei einer „Lymphologischen Liposculptur“ handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehöre, denn eine entsprechende Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss liege nicht vor. Auch die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) aufgestellten Kriterien seien zu verneinen. Die Klägerin widersprach am 8. Juni 2016 diesem Bescheid und legte ergänzend Fotos der Arme und Beine vor. In einem durch die Beklagte veranlassten Gutachten vom 22. Juni 2016 gelangte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) zu dem Ergebnis, dass funktionelle Einschränkungen nicht nachvollzogen werden könnten; therapiefraktäre Hautreizungen bestünden nicht vor; bei einer Adipositas Grad I liege ein regelwidriger Körperzustand nicht vor; kosmetische Gesichtspunkte stünden im Vordergrund. Mit weiterem (gleichlautenden) Bescheid vom 7. Juli 2016 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten der beantragten Liposuktionen unter Verweis auf das MDK-Gutachten erneut ab. Die Klägerin widersprach auch diesem Bescheid und verwies auf die Schmerzen infolge des Lipödems. Am 16. August 2016 ließ die Klägerin ambulant Liposuktionen im Bereich der Beine (Außenseite) mittels sog. Liposculptur in der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ durchführen. In einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 22. August 2016 verwies der MDK darauf, dass ein Lipödem nicht ausreichend belegt sei, sondern eine Lipohypertrophie vorliege; unabhängig davon sei vorrangig eine konservative Behandlung mittels Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung durchzuführen. Am 27. September 2016 und am 25. Oktober 2016 ließ die Klägerin weitere Liposuktionen ambulant durchführen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2016 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. Januar 2017 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben, unter Bezugnahme auf eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Band V - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hinsichtlich ihres Antrages vom 22. April 2016 Kostenerstattung in Höhe von 15.969,37 € geltend gemacht und die Vereinbarungen mit der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ sowie die Rechnungen über die ambulanten Liposuktionen vom 18. August 2016, 29. September 2016 und 27. Oktober 2016 vorgelegt.

Das Sozialgericht Darmstadt hat mit Beschluss vom 31. Januar 2018 vor dem Hintergrund verschiedener beim Bundessozialgericht anhängiger Revisionsverfahren zur Problematik „Genehmigungsfiktion und Liposuktion“ das Ruhen des Verfahrens angeordnet. 

Nach Wiederaufruf des Verfahrens am 9. August 2019 hat die Klägerin zur Klagebegründung ergänzend vorgetragen: Das Bundessozialgericht habe die Rechtsauffassung der Klägerin insbesondere mit Urteil vom 26. Februar 2019 (B 1 KR 21/17 R) vollumfänglich bestätigt. Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 erst am 7. Juni 2016 und damit nicht innerhalb der in § 13 Abs. 3a SGB V vorgesehenen Frist beschieden; die beantragten Leistungen hätten auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung gelegen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Rechnungen der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung gemäß GOÄ nicht entsprächen. Steigerungssätze (9-fach) seien nicht nachvollziehbar; es fehlten schriftliche Vereinbarungen über Überschreitung von Gebührensätzen. Zudem sei von einer verdeckten Pauschalabrechnung auszugehen. Ergänzend werde auf die Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 2017 und vom 3. April 2018 mit den Aktenzeichen L 11 KR 28/16 und L 11 KR 480/17 verwiesen. 

Das Sozialgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 25. Mai 2020 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin die Kosten der Liposuktionen in Höhe von 15.969,37 € zu erstatten. Rechtsgrundlage sei § 13 Abs. 3a SGB V. Danach habe die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt werde, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich halte, habe sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nehme innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Könne die Krankenkasse Fristen nicht einhalten, teile sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolge keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gelte die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschafften sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, sei die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V lägen vor: Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin vom 22. April 2016, eingegangen am 26. April 2016, erst mit Bescheid vom 7. Juni 2016 und damit nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen beschieden. Der Antrag sei hinreichend bestimmt gewesen und die Klägerin habe angesichts der Atteste von Dr. C. und der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ auch davon ausgehen dürfen, dass die beantragte - privatärztliche - Leistung in Form ambulanter Liposuktionen erforderlich sei. Die beantragte Leistung habe auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch lägen nicht vor (BSG, Urteile vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R; vom 26. Februar 2019, B 1 KR 24/18 R; vom 6. November 2018, B 1 KR 20/18 R; vom 11. Juli 2017, B 1 KR 1/17 R). Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Rechnungen der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ auch fällig gewesen. Die Überschreitung der Gebührensätze sei hinreichend schriftlich durch den Arzt begründet. Im Übrigen finde eine materiell-rechtliche Prüfung des Behandlungsvertrages nebst Honorarvereinbarung nach Auffassung des Gerichts nicht statt. Die insoweit entgegenstehenden Bescheide seien daher aufzuheben. Die zwischenzeitliche Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile des Bundessozialgerichts vom 26. Mai 2020 und 18. Juni 2020 führe zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage, da sich die Klägerin insoweit auf ein Vertrauen in eine gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen könne. 

Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. Juli 2020 zugestellte Urteil am 18. August 2020 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben und zur Begründung vorgetragen: Ein Erstattungsanspruch auch nach § 13 Abs. 3a SGB V komme nur in Betracht, wenn die Leistung „nach Ablauf der Frist“ beschafft werde. Eine Leistung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst beschafft, wenn zwischen Versichertem und Leistungserbringer bezogen auf die Leistung ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft zustande gekommen sei und sich der Versicherte damit einer endgültigen rechtlichen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt habe (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R). Das sei hier am 19. April 2016 der Fall gewesen. Mit Schreiben vom 22. April 2016 - bei der Beklagten eingegangen am 26. April 2016 - habe die Klägerin die Übernahme der Kosten ambulanter Liposuktion bei der Beklagten beantragt. Mit Bescheid vom 7. Juni 2016 habe die Beklagte den Antrag abgelehnt. Es fehle folglich an der Kausalität zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung. Demnach scheitere der Anspruch schon an der Nichteinhaltung des Beschaffungsweges. Am 19. Dezember 2015 sei die Kostenübernahme einer stationären Behandlung beantragt worden; diesen Antrag habe die Klägerin nicht weiterverfolgt. Darüber hinaus entsprächen die Rechnung der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ nicht einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung: Die immer gleiche Begründung „Entfernung von Fettgewebe, erschwerte Präparation subdermaler Fibrosierung, Faktor gemäß abweichender Honorarvereinbarung“ bzw. „Operation des Lymphödems, Faktor gemäß abweichender Honorarvereinbarung“ könne einen über den 2,3-fachen Steigerungsfaktor liegenden Gebührensatz nicht rechtfertigen. In den Rechnungen vom 18. August 2016, 29. September 2016 und 27. Oktober 2016 werde die Gebührenziffer 491 der GOÄ jeweils 46-mal aufgelistet. Laut GOÄ dürfe der Arzt nur eine Ziffer für eine Leistung in Ansatz bringen. Es wäre nachvollziehbar, wenn eine Ziffer für eine Leistung pro Körperteil in Ansatz gebracht würde. Die hohe Anzahl der Wiederholungen einer einzelnen Gebührenziffer entspreche jedoch in keiner Weise der Konzeption der GOÄ, da die GOÄ zur Bemessung eines erhöhten Aufwandes verschiedene Steigerungsfaktoren vorsehe. Die Gebührenpositionen GOÄ 2454 und 2453 würden in den o.g. Rechnungen mit dem 9,0-fachen Steigerungsfaktor angesetzt. Eine auf den Einzelfall bezogene, die jeweilige ärztliche Leistung betreffende Begründung für die Steigerungsfaktoren fehle. Es fehlten ebenso in den Rechnungen vom 18. August 2016 und 27. Oktober 2019 die Angaben, welche Extremität/Körperregion behandelt und mit den Ziffern vergütet werden solle. Die Anästhesiekosten würden doppelt berechnet. Es lägen drei Rechnungen des Anästhesisten K. vor (17. August 2016, 28. September 2016 und 26. Oktober 2016). Prof. Dr. E. (Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie) rechne in seinen Rechnungen zusätzlich jeweils die Gebührenziffer 491 (nebst Material/Arznei) ab. Außerdem werde in den Rechnungen vom 18. August 2016, 29. September 2016 und 27. Oktober 2016 der gleiche Betrag liquidiert, und dies unabhängig von den Lipödemstadien der behandelten Regionen. Insgesamt scheine hier eine „verdeckte Pauschalabrechnung“ vorzuliegen. 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Mai 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren darauf verwiesen, dass sie bereits am 19. Dezember 2015 einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt habe, über den die Beklagte bisher nicht entscheiden habe. Erst nach Ablauf der hinsichtlich dieses Antrages einschlägigen Fristen habe die Klägerin Kostenvoranschläge eingeholt und einen Behandlungsvertrag mit der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ geschlossen. Aufgrund der Genehmigungsfiktion des Antrages vom 19. Dezember 2015 seien daher die Kosten der ambulanten Liposuktionen zu erstatten. Aus dem Antrag vom 19. Dezember 2015 gehe auch nicht hervor, dass eine stationäre Behandlung beantragt werde. Lediglich Dr. C. habe in ihrem Attest erwähnt, dass die Liposuktion auch stationär durchgeführt werden könne, aber letztlich obliege dem Operateur die Entscheidung, ob ambulant oder stationär behandelt werde. Das Bundessozialgericht habe entschieden, dass im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V ein Antrag ohne eine Eingrenzung auf eine ambulante oder stationäre Leistungserbringung ausreichend bestimmt sei, sofern sich der Versicherte nicht festlege, sich nur ambulant oder nur stationär behandeln lassen zu wollen (BSG, Urteil vom 26. Februar 2019, B 1 KR 20/18 R). Entsprechendes gelte für den Antrag der Klägerin vom 19. Dezember 2015. Die Rechnungen entsprächen ordnungsgemäßer Rechnungslegung und erfüllten die Fälligkeitsvoraussetzungen nach GOÄ.

Der Senat hat weitere Unterlagen der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ beigezogen und die behandelnden Ärzte Dr. S. und Dr. K. ergänzend befragt; auf die Bl. 204 - 208 und 215 - 223 der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Außerdem hat die Berichterstatterin des Senats am 10. Juni 2021 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt und die präsente Zeugin F. A., die Mutter der Klägerin, vernommen; auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2021 (Bl. 245 – 247 der Gerichtsakte) wird verwiesen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind. 


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Entscheidung konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 25. Mai 2020 der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der am 16. August 2016, 27. September 2016 und 25. Oktober 2016 durch die Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ durchgeführten Liposuktionen in Höhe von 15.969,37 €. Der Bescheid vom 7. Juni 2016 in Gestalt des Bescheides vom 7. Juli 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine Genehmigungsfiktion ist weder aufgrund des Antrages vom 19. Dezember 2015 noch aufgrund des Antrages vom 22. April 2016 eingetreten. 

Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, insbesondere des § 13 Abs. 3a SGB V, wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids verwiesen.

Die Klägerin hat keinen Kostenerstattungsanspruch aufgrund einer fingierten Genehmigung ihres Antrages vom 19. Dezember 2015 nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V, denn mit dem neuen Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 auf Kostenübernahme ambulanter Liposuktionen hat sich der Antrag vom 19. Dezember 2015 auf Durchführung stationärer Liposuktionen erledigt. 

Grundsätzlich lagen die Voraussetzungen des Eintritts der Fiktion der Genehmigung hinsichtlich des Antrages vom 19. Dezember 2015 vor. Der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ist eröffnet: Die Regelung erfasst u. a. Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen eine Krankenkasse, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind. Die Klägerin verlangt demgegenüber die Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften Krankenbehandlung.

Die Klägerin beantragte grundsätzlich auch hinreichend bestimmt die Gewährung von stationär durchzuführenden Liposuktionen zur Behandlung ihres Lipödems. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (grundlegend BSG, Urteil vom 8. März 2016, B 1 KR 25/15 R, juris, Rn. 23)

Der Antrag der Klägerin vom 19. Dezember 2015 genügte diesen Anforderungen. Nach Auffassung des Senats richtete sich der Antrag auf die Versorgung mit medizinisch indizierten - stationär durchzuführenden - Liposuktionen in Form der lymphologichen Liposcultptur nach Cornely an beiden Armen und Beinen. Die Klägerin untermauerte ihr Begehren mit dem ihrem Antrag beigefügten Attest der Dr. C. vom 18. September 2015. Aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers wurde ihr Antragsschreiben, in dem die Klägerin (lediglich) ihren Leidensweg, ihre Beschwerden und vergeblichen Therapien schilderte, erst in Zusammenschau mit dem Attest der Dr. C. dahingehend konkretisiert, dass „eine lymphologischen Liposcultptur nach Cornely, die stationär durchgeführt werden kann“, beantragt wird. Durch die Einschränkung „… stationär durchgeführt werden kann…“ war der Antrag gerade nicht auf eine ambulante Liposuktion oder ganz allgemein auf eine Liposuktion gerichtet. Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin vom 19. Dezember 2015 auch als Antrag auf stationäre Liposuktionen verstanden: In dem Telefonvermerk vom 11. Januar 2016 heißt es ausdrücklich „Telefonat mit Fr. A. wegen Antrag auf stationäre Liposuktion“ und „… Stationäre Behandlung wird nicht im Lymph- und Venenzentrum durchgeführt“. Schließlich wurde mit Eingang des Antrages vom 22. April 2016 ausweislich eines internen Vermerks der Beklagten („Antrag umgehängt - Stationäre Behandlung beantragt …. lt. Attest … nach GOÄ abgerechnet, es handelt sich hier also um eine ambulante Behandlung. Daher wieder umgehängt.“) eine andere Zuordnung von ursprünglich stationär zu ambulant vorgenommen (Bl. 20 der Verwaltungsakte). 

Die Beklagte beschied den Antrag der Klägerin nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V; hier: 11. Januar 2016). Ausweislich des Telefonvermerks vom 11. Januar 2016 erging auch telefonisch keine ablehnende Entscheidung. Die im Erörterungstermin am 10. Juni 2021 gehörte Zeugin konnte sich indes nicht mehr an die Einzelheiten der Telefonate mit der Beklagten erinnern. Vor diesem Hintergrund trat grundsätzlich eine Genehmigungsfiktion mit der Folge ein, dass die Klägerin berechtigt war, sich die beantragte stationäre Liposuktion (bei Gutgläubigkeit) selbst zu beschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2020, B 1 KR 9/18 R). 

Ob die Klägerin bei Durchführung der Liposuktionen im Sommer bzw. Herbst 2016 noch gutgläubig war (vgl. zu den Anforderungen: BSG, Urteil vom 26. Mai 2020, B 1 KR 9/18 R, juris, Rn. 22 f.; Bay. LSG, Urteil vom 26. Februar 201, L 4 KR 675/19, juris, Rn. 43 ff.; Knispel, Kein Sachleistungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion, NZS 2021, 222-224), kann vorliegend dahinstehen. Denn nach Auffassung des Senats hat sich mit dem neuen Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 auf ambulante Liposuktion der „alte“ Antrag auf stationäre Liposuktion erledigt mit der Folge, dass sich auch das aufgrund des Antrages vom 19. Dezember 2015 bestehende Recht auf Selbstbeschaffung infolge der Genehmigungsfiktion endete.

Das Bundessozialgericht hat einen grundlegenden Kurswechsel bei der Auslegung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V durch Urteil vom 26. Mai 2020 (B 1 KR 9/18 R) vorgenommen. Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (in geänderter Besetzung) entschieden, dass eine fingierte Genehmigung keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch begründe. Eine Genehmigungsfiktion vermittle dem Versicherten vielmehr nur eine vorläufige Rechtsposition, die es ihm erlaube, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Das Selbstbeschaffungsrecht bestehe, solange der Versicherte gutgläubig sei, und ende erst, wenn über den Leistungsanspruch bindend entschieden worden sei oder sich der Antrag anderweitig erledigt habe. Der erkennende Senat schließt sich den Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem Urteil vom 26. Mai 2020 (B 1 KR 9/18 R) sowie in den entsprechenden nachfolgenden Urteilen des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 18. Juni 2020, B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R) ausdrücklich an und verweist insoweit auch auf die entsprechende Entscheidung des erkennenden Senats bereits vom 10. Dezember 2015 (L 1 KR 413/14). Konsequenz der mit Urteil vom 26. Mai 2020 (B 1 KR 9/18 R) geänderten Rechtsprechung zur dogmatischen Einordnung der Genehmigungsfiktion ist auch, dass die Krankenkasse weiterhin berechtigt und verpflichtet ist, über den gestellten Antrag zu entscheiden. Erst mit dieser Entscheidung wird das laufende Verwaltungsverfahren abgeschlossen. Ist über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden oder hat sich der Antrag anderweitig erledigt, endet das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht der Versicherten auf Selbstbeschaffung der beantragten Leistung auf Kosten der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020, juris, Rn. 30).

Im vorliegenden Fall hat sich nach Auffassung des Senats der Antrag vom 19. Dezember 2015 auf stationäre Liposuktion mit dem Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 auf ambulante Liposuktion - auf eine andere Weise (als Bescheidung) - erledigt. Die Klägerin hat mit dem Schreiben vom 22.04.2016 etwas anderes, etwas neues beantragt: Sie wollte statt einer stationären Liposuktion nunmehr eine ambulante Liposuktion, wie aus den dem Antrag beigefügten Kostenvoranschlägen der Privatpraxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ und deren Attest hervorgeht. Sie hielt nicht mehr am alten Antrag vom 19. Dezember 2015 fest und verfolgte diesen nicht weiter, sondern beantragte eine andere Leistung. Bei dem Antrag der Klägerin vom 22. April 2016 handelt es sich insbesondere auch nicht um einen „Nachtrag“ oder eine Ergänzung zum „Haupt-Antrag vom 19. Dezember 2015 (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 27. August 2019, B 1 KR 14/19 R, juris, Rn. 14). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Klägerin ihren „alten“ Antrag vom 19. Dezember 2015 am 22. April 2016 wortgleich, aber mit geändertem Datum neu gestellt, die bereits eingereichten Atteste und Verordnungen erneut eingereicht und zum Beleg der Notwendigkeit einer ambulanten Liposuktion Attest, Kostenvoranschläge und Operationsplanung der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ vorgelegt hat. Im Antragsschreiben selbst ist außerdem angefügt: „Mir ist durchaus bewusst, dass eine Operation nicht zu unterschätzen ist und ich auch postoperativ noch eine Zeit mit den Nachwirkungen zu kämpfen haben werde. Allerdings sehe ich in dieser Operation den lang ersehnten Hoffnungsschimmer auf ein schmerzfreies, leichteres Leben, in dem ich mich nicht wegen meines Körpers schämen und verstecken muss. … In der Anlage finden Sie alle Berichte und Atteste sowie Kostenvoranschläge zu den geplanten Operationen.“ Für einen objektiven Empfänger des Antrages vom 22. April 2016 geht aus dem Antragsschreiben nebst Anlagen hervor, dass die Klägerin nunmehr konkret die Durchführung einer ambulanten Liposuktion und keine stationäre Behandlung wünscht. Auch die Klägerin stellte im anschließenden Klageverfahren ausschließlich auf ihren Antrag vom 22. April 2016 ab; der „alte“ Antrag vom 19. Dezember 2015 auf stationäre Liposuktion fand keine Erwähnung mehr. Erstmals im Berufungsverfahren nach einem entsprechenden Hinweis des Senats auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 27. Oktober 2020 zur Frage der Vorfestlegung (B 1 KR 3/20 R) berief sich die Klägerin auf eine Genehmigungsfiktion im Hinblick auf den „alten“ Antrag vom 19. Dezember 2015. 

Die Klägerin kann sich insoweit auch nicht auf ein Vertrauen in eine gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine Rechtsprechungsänderung ist unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen. Eine rückwirkende Änderung ist nur dann ausgeschlossen, wenn im konkreten Einzelfall nach einer Gesamtwürdigung besondere Umstände für ein über die allgemeinen Grundsätze hinausgehendes besonderes Vertrauen besteht, wobei Dispositionen in Erwartung einer bestimmten richterlichen Entscheidung für sich gesehen grundsätzlich nicht ausreichend sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. November 2015, 1 BvR 1667/15; BSG, Urteil vom 19. September 2019, B 12 R 25/18 R, juris, Rn. 20 m.w.N.). Das Bundessozialgericht hat erstmals am 8. März 2016 (B 1 KR 25/15 R) ein Urteil zur Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V erlassen; weitere Urteile folgten ab 2017, nachdem die Klägerin die streitgegenständlichen Liposuktionen durchgeführt hatte. Vor diesem Hintergrund ist bis zur Durchführung der Liposuktionen im Sommer/Herbst 2016 weder eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion anzunehmen, noch bestand seitens der Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen in diese Rechtsprechung, die sie zu einem Vertragsschluss mit der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ hätte veranlassen können: Die Frage der Genehmigungsfiktion war weder Gegenstand des Verwaltungs- noch des Widerspruchsverfahrens, so dass die Klägerin gerade nicht im Hinblick auf eine entsprechende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Dispositionen getroffen hat. 

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Darmstadt liegen die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs aufgrund einer Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a, Satz SGB auch nicht hinsichtlich des Antrages der Klägerin vom 22. April 2016 vor. Zwar hat die Beklagte den die beantragte Liposuktion ablehnenden Bescheid nicht innerhalb der durch § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V vorgegebenen Bescheidungsfrist, sondern erst am 7. Juni 2016 erlassen. Die Klägerin war jedoch infolge ihrer Unterschrift unter verschiedene Vertragsunterlagen bereits am 19. April 2016, d.h. noch vor Antragstellung am 22. April 2016 auf die von ihr dann auch in Anspruch genommene Behandlung in der Praxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ vorfestgelegt. 

Ein Versicherter, der schon vor Ablauf der maßgeblichen Entscheidungsfristen nach § 13 Abs. 3a SGB V auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse aufgrund einer Genehmigungsfiktion. Das Bundessozialgericht hat hierzu mit Urteil vom 27. Oktober 2020, B 1 KR 3/20 R, juris, Rn. 12 - 18) entschieden:

§ 13 Abs. 3a SGB V normiert einen eigenen Fall eines "Systemversagens", in welchem abweichend vom in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geltenden Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung verlangt werden kann. Das Sachleistungsprinzip, an das auch § 13 Abs. 1 SGB V anknüpft, verlangt, dass Krankenkassen medizinische Sach- und Dienstleistungen grundsätzlich als Naturalleistungen zur Verfügung stellen. Der Gesetzgeber hat zunächst nur in § 13 Abs. 3 und mit Wirkung vom 26. Februar 2013 auch in § 13 Abs. 3a SGB V demgegenüber Fälle definiert, in welchen er dieses System als gescheitert ansieht und sich der Versicherte daher ausnahmsweise Leistungen gegen Kostenerstattung selbst beschaffen kann. Fälle des Systemversagens liegen aber nicht vor, wenn sie für die Selbstbeschaffung des Versicherten gar nicht ursächlich werden. Dies hat das Bundessozialgericht zum Fall des Systemversagens nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V schon mehrfach entschieden. Die Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse "eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Voraussetzung der Kostenerstattung ist danach, dass zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl. BSG vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12, RdNr 12; BSG vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 RdNr 15 mwN). Daran fehlt es, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (vgl. zur Vorfestlegung als den Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V ausschließendes Verhalten BSG vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 9 f; BSG vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 20 RdNr 29 mwN). 

Das mit einer Entscheidung der Krankenkasse (KK) abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt keinen "Formalismus" dar, und zwar weder in dem Sinne, dass es ganz entbehrlich ist (vgl. dazu BSG vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12, RdNr 12), noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte dennoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen. Andererseits will das Gesetz die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen. Mit Hilfe dieser Informationen kann sie zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der GKV gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die KK, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (vgl. BSG vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12, RdNr 12). Diese Zwecke der Vorbefassung der KK mit dem Leistungsbegehren des Versicherten werden durch dessen Vorfestlegung vereitelt (BSG vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 10). Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht dann nicht; der Versicherte bewegt sich außerhalb der von § 13 SGB V vorgegebenen Abwicklung von Leistungen.

Ein Kostenerstattungsanspruch wird im Falle einer solchen Vorfestlegung auch nicht dadurch "wiedereröffnet", dass die Krankenkasse die in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V geregelte Entscheidungsfrist verstreichen lässt. Schon der Wortlaut der Norm spricht für einen Kausalzusammenhang zwischen Fristversäumnis und Kostenerstattung. Wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Diese Formulierung spricht - wie die des § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V - dafür, dass zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (Fristablauf) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen muss. Dafür sprechen ferner die systematische Einordnung des § 13 Abs. 3a SGB V als Kostenerstattungsanspruch in das Regelungsregime des § 13 SGB V sowie Sinn und Zweck der Regelung. Mit § 13 Abs. 3a SGB V hat der Gesetzgeber einen zusätzlichen Fall des Systemversagens geschaffen, wenn eine Krankenkasse unzumutbar lange für eine Entscheidung braucht. Dann erhält der Versicherte auch ohne Entscheidung der Krankenkasse einen Rechtsstatus sui generis, aufgrund dessen er sich die Leistung selbst beschaffen darf und die dafür aufgewandten Kosten erstattet erhält (vgl. dazu BSG vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R). Die gesetzlich vorgesehene Vorbefassung der Krankenkasse in Form eines Verwaltungsverfahrens wird dadurch jedoch nicht entbehrlich, vielmehr soll dieses Verfahren über die beantragte Leistung zugunsten des Versicherten beschleunigt werden. Die Vorschrift dient der schnellen Klärung von Leistungsansprüchen (vgl BT-Drucks 17/10488 S 32). Die im SGB V geregelten Rechte der Versicherten gegenüber den Krankenkassen sollen gestärkt werden, indem Versicherte sich eine Leistung selbst beschaffen können, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb einer bestimmten Frist über den Antrag entscheidet und diese Verzögerung nicht hinreichend begründet (BT-Drucks 17/11710 S 18; inhaltlich gleich auch S 29 f).

Das Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) und der oben genannte Zweck der Vorbefassung der Krankenkasse würden insgesamt infrage gestellt, räumte man dem Versicherten im Rahmen von § 13 Abs. 3a SGB V "das Recht" ein, sich schon vor dem Fristablauf auf die Selbstbeschaffung der - als Sachleistung - beantragten Leistung festzulegen.

Der Gesetzgeber baut mit § 13 Abs. 3a SGB V auf das in § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V zum Ausdruck kommende Entscheidungsprärogativ der Krankenkasse auf. Solange die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V noch nicht abgelaufen ist, hat die Krankenkasse nach wie vor die Pflicht und das Recht, über die begehrte Leistung eine Entscheidung zu treffen. Erst wenn sie davon ungebührlich lange Zeit keinen Gebrauch macht, wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um, soweit Leistungen dann tatsächlich in Anspruch genommen werden (vgl. dazu BSG vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R - juris). Erst dann ist ein Fall des Systemversagens entstanden, der darin besteht, dass die Krankenkasse den Versicherten zu lange im Unklaren gelassen hat. Hat ein Versicherter dagegen schon zuvor eigenmächtig das Sachleistungsprinzip infolge Vorfestlegung "verlassen", ist auch der Anwendungsbereich des in § 13 Abs. 3a SGB V normierten Systemversagens nicht gegeben. Die Vorabentscheidung des Versicherten, nicht dagegen die verstrichene Frist, ist dann ursächlich für die dem Versicherten entstandenen Kosten. Der Versicherte kehrt nicht - im Sinne einer "überholenden Kausalität" - in das durch §§ 2, 13 SGB V vorgesehene Leistungssystem zurück.“

Der Senat schließt sich dieser Einschätzung des Bundessozialgerichts aus eigener Überzeugung an. Die Klägerin war auf die von ihr selbst beschaffte Liposuktionsbehandlung in Form der Liposculptur und auf den nicht in das GKV-System einbezogenen Leistungserbringer, die Privatpraxis „D. – Praxis für Operative Lymphologie“ vorfestgelegt. Die Klägerin hat am 16. April 2016 und am 19. April 2016, d.h. noch vor Eingang ihres Antrages am 26. April 2016 mit der privatärztlichen Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ verschiedene Vereinbarungen zur Durchführung der Liposuktionsbehandlung am 16. August 2016, 27. September 2016 und 25. Oktober 2016 geschlossen: In einem Schreiben vom 19. April 2016 bestätigte diese Praxis die bereits vereinbarten OP-Termine für den 16. August 2016, 27. September 2016 und 25. Oktober 2016. Die Klägerin unterzeichnete am 16. April 2016 eine Einverständniserklärung zur Abrechnung durch die H. Bank GmbH und am 19. April 2016 einen Operationsaufklärungsbogen, eine Honorarvereinbarung mit dem Anästhesisten Dr. K., abweichende Honorarvereinbarungen mit der Praxis „D. - Praxis für Operative Lymphologie“ sowie eine Zustimmungserklärung zur Datenweitergabe (Bl. 58 bis 66 der Gerichtsakte). Mit ihren Unterschriften hat die Klägerin klar zu erkennen gegeben, dass sie die Behandlung unabhängig von der Entscheidung der Krankenkasse durchführen wollte. 

Die Klägerin kann sich auch insoweit nicht auf ein Vertrauen in eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung berufen, die das Bundessozialgericht mit Urteilen vom 26. Mai 2020 (B 3 KR 14/18 R; B 3 KR 14/18 R; B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R) aufgegeben hat. Es besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung; auf die Ausführungen zuvor wird verwiesen. Das Bundessozialgericht hat im Übrigen schon in verschiedenen Entscheidungen zum § 13 Abs. 3a SGB V noch vor dem hier zitierten Urteil vom 27. Oktober 020 (B 1 KR 3/20 R) in einzelnen Obiter dicta bestätigt, dass ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen sei, wenn sich der Versicherte die Leistung bereits vor dem Ablauf der maßgeblichen Entscheidungsfrist selbst beschafft habe (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R, juris, Rn. 42; BSG, Beschluss vom 7. März 2019, B 1 KR 21/18 B; so auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Februar 2018, L 11 KR 2991/17). Eine gefestigte Rechtsprechung bestand insoweit jedenfalls nicht. 

Ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 SGB V. Danach gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist demnach nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Bestehen eines Primärleistungsanspruchs des Versicherten und dessen rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch die Krankenkasse, Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten, Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung, Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung und (rechtlich wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R). Mit Unterzeichnung der Vertragsunterlagen am 19. April 2016 und damit vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids am 7. Juni 2016 fehlt es vorliegend an einem Kausalzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Kostenlast. 

Der Berufung war daher stattzugeben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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