L 10 U 1055/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1156/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1055/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zur Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge (Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung).

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.03.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls im Segment L4/L5 als Unfallfolge.

Der 1991 geborene Kläger war - jedenfalls noch zum Unfallzeitpunkt - bei der A1 GmbH als Prüfungsingenieur tätig. Im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeit rutschte er am 01.08.2017 während einer beruflich bedingten Probefahrt mit einem Motorrad in der Kurve plötzlich weg, bremste das Motorrad sodann bis zum Stillstand ab und kippte schließlich im Stand mit dem Motorrad auf die rechte Seite um (s. Angaben des Klägers, Bl. 112 SG-Akte, und Angaben des Arbeitgebers, Bl. 31 VA), wobei sein Oberkörper und die rechte obere Extremität direkt auf die rechte Seite stürzten und sein rechtes Bein unter dem Motorrad eingeklemmt wurde (s. Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen C1, Bl. 133 SG-Akte). Aufgrund daraufhin auftretender Rückenschmerzen stellte er sich anschließend bei dem) L1 vor, der einen Druckschmerz im Bereich des lumbosakralen Übergangs, ohne Prellmarke mit lediglich diskretem Muskelhartspann und frei beweglichen Extremitäten beschrieb, aufgrund des unauffälligen Röntgenergebnisses eine Fraktur ausschloss und eine Lendenwirbelsäulen(LWS)-Prellung diagnostizierte und ab dem 02.08.2017 Arbeitsfähigkeit bescheinigte (Bl. 2 VA). Die bestehenden Beschwerden bildeten sich zunächst zurück (s. Auskunft L1, Bl. 54 SG-Akte).

Am 13.09.2017 stellte sich der Kläger mit erneuten Schmerzen im Bereich der LWS und seit zwei Tagen bestehender Ausstrahlung ins linke Bein bei L1 vor (s. Bl. 54 SG-Akte) und begab sich am 16.09.2017 wegen bestehenden Rückenschmerzen mit Schmerzausstrahlung ins linke Bein zur Notfallbehandlung ins S1 G1, das eine Lumboischialgie mit Radikulopathie S1 links diagnostizierte, eine Analgesie mit Würzburger Tropf durchführte, Ibuprofen 400 mg und Novaminsulfon 500 mg verordnete und eine MRT-Abklärung empfahl (Bl. 28 SG-Akte).

Am 20.09.2017 wurde eine MRT der LWS gefertigt, die einen linksseitig ausgeprägten Prolaps des Nucleus pulposus auf Höhe L4/5 mit konsekutiv mittel- bis hochgradiger Spinalkanalstenose sowie initiale Degenerationen mit geringfügiger Extrusion der Bandscheibe L3/4 ergab (Bl. 40/RS VA).

L1 führte anschließend eine medikamentöse Schmerztherapie mittels Ibuprofen und Tilidin durch und verordnete dem Kläger die Durchführung einer Erweiterten Ambulanten Physiotherapeutischen Behandlung (EAP), wodurch es bis zum Behandlungsabschluss am 14.11.2017 zu einer Rückbildung der Beschwerden kam (Bl. 53 ff. SG-Akte und Bl. 10/RS VA).

Mit Email vom 22.10.2018 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er im Zuge seines Wechsels von der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung u.a. eine Bestätigung dafür benötige, dass es sich bei seinem Bandscheibenschaden um die Folge des Unfalls vom 01.08.2017 handele (Bl. 32 VA).

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des P1 vom 07.12.2018 (Bl. 39 VA), der einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenvorfall verneinte, erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2018 das Ereignis vom 01.08.2017 als Arbeitsunfall und eine Prellung der LWS als Unfallfolge an und verfügte, dass ein Anspruch auf Heilbehandlung bis zum 14.11.2017 und ein Anspruch auf Verletztengeld bis zum 22.10.2017 bestehe (Bl. 38 f. VA). Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 42 VA) wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2019 als unbegründet zurück (Bl. 44 ff. VA).

Hiergegen hat der Kläger am 15.03.2019 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, die er nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen (Bl. 16 und 52 SG-Akte) auf die Feststellung des Bandscheibenvorfalls L4/L5 als Unfallfolge beschränkt hat (s. Bl. 30 und 70 SG-Akte).

Das SG hat - teils bereits aktenkundige - medizinische Unterlagen (Bl. 20 ff. und 27 f. SG-Akte) und ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK (Bl. 49 f. SG-Akte) beigezogen und die behandelnden Ärzte L1 (Bl. 53 ff. SG-Akte), S2 (Bl. 61 f. SG-Akte) und den M1 (Bl. 72 SG-Akte) schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt M1 hat mitgeteilt, dass die beim Kläger durchgeführte MRT-Untersuchung keinen Nachweis knöcherner Verletzungen oder abgrenzbarer Bandverletzungen ergeben habe und keine Hinweise für eine traumatische Schädigung der Bandscheibe am 01.08.2017 vorgelegen hätten. Vielmehr spreche der Umstand, dass die Bandscheiben L3/L4 und L4/L5 im T2-Signal und in der Höhe gemindert seien für eine chronisch-degenerative Vorschädigung. Außerdem hätten sich altersuntypisch zumindest geringe Degenerationen der Facettengelenke der unteren LWS gefunden.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ein Gutachten bei dem U1 eingeholt (Bl. 89 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 20.05.2021). Als Unfallhergang ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass der Kläger bei einer Kurvenfahrt mit dem Motorrad wegrutschte und auf dem Gesäß auf der Straße landete. Auf seinem Fachgebiet hat er eine Osteochondrose im LWS-Segment L3/L4, eine aktivierte Osteochondrose im LWS-Segment L4/L5 mit nahezu komplettem Kollaps der Bandscheibe und konsekutive degenerative Veränderungen der dazugehörigen segmentalen kleinen Wirbelgelenke L3/L4 und L4/L5 diagnostiziert und kausal auf den Unfall vom 01.08.2017 zurückgeführt. Hierbei ist er u.a. davon ausgegangen, dass eine traumatische Bandscheibenschädigung auch ohne knöcherne Begleitschäden des Wirbelsäulenbewegungssegments auftreten könne und die gegenteilige Einschätzung von der Wissenschaft bereits vor vielen Jahren aufgegeben worden sei.

Die Beklagte hat daraufhin eine (erneute) beratungsärztliche Stellungnahme des P1 vorgelegt (Bl. 107 f. SG-Akte), in der dieser an seiner bisherigen Auffassung festgehalten und einen Kausalzusammenhang zwischen dem im MRT vom 20.09.2017 gesicherten linksseitigen Prolaps L4/L5 mit Spinalkanalstenose und geringer Einengung der Nervenwurzelaustrittstellen und dem Unfall am 01.08.2017 verneint hat.

Das SG hat daraufhin ein Sachverständigengutachten von Amts wegen bei dem C1 eingeholt (Bl. 123 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 24.01.2022). Der Sachverständige hat unter Hinweis auf die unfallmedizinische Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 459 ff.) ausgeführt, dass - entgegen der Auffassung des U1 - die aktuelle Lehrmeinung sehr wohl davon ausgehe, dass traumatische Bandscheibenvorfälle stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen im betroffenen Segment ausgehe. Da derartige Verletzungen beim Kläger nicht vorgelegen hätten, auf dem MRT vom 20.09.2017 hingegen degenerative Veränderungen in den betroffenen Segmenten sichtbar gewesen seien, der Kläger erst ca. fünf Wochen nach dem stattgehabten Unfall über eine Schmerzausstrahlung in das linke Bein geklagt habe, weshalb eine ab dem Unfall bestehende lückenlose Brückensymptomatik nicht vorgelegen habe, und zudem bereits der Unfallhergang - namentlich der Sturz auf den rechten Oberkörper und die rechte obere Extremität und das Einklemmen des rechten Beines durch das Motorrad - nicht geeignet gewesen sei, eine axiale Stauchung der LWS, die zu dem stattgehabten Bandscheibenvorfall hätte führen können, zu verursachen, hat C1 einen Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 01.08.2017 und dem linksseitigen Bandscheibenvorfall sowie der geringgradigen Verlagerung des Nucleus pulposus bei Einriss des Anulus fibrosus verneint.

Mit Urteil vom 10.03.2022 hat das SG - in erster Linie gestützt auf das Sachverständigengutachten des C1, die sachverständigen Zeugenauskünfte von L1 und dem M1 sowie die beratungsärztlichen Stellungnahmen des P1 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 01.08.2017 und dem geltend gemachten Bandscheibenvorfall L4/L5 nicht vorliege, da keine wesentlichen Indizien für eine traumatische Ursache sprächen. Vielmehr überwögen die für eine degenerative Schädigung sprechenden Indizien deutlich. Zwar habe sich der Kläger noch am Unfalltag aufgrund von Schmerzen im LWS-Bereich bei dem
 L1 vorgestellt. Dieser habe jedoch keinen Primärbefund erhoben, der für eine traumatische Schädigung der Bandscheiben anlässlich des in Rede stehenden Arbeitsunfalls spreche. Er habe lediglich einen Druckschmerz im Bereich des lumbosakralen Übergangs und einen diskreten Muskelhartspann beschrieben. Auch hätten weder Prellmarken, noch Bewegungseinschränkungen im Bereich der Extremitäten und vor allem auch keine Auffälligkeiten in Bezug auf Durchblutung, Motorik und Sensibilität bestanden. Da auch die röntgenologische Untersuchung der LWS keine Fraktur ergeben habe, habe L1 folgerichtig lediglich eine LWS-Prellung diagnostiziert. Ein erstmaliger Hinweis auf eine ischialgieforme Beschwerdesymptomatik habe erst anlässlich der am 13.09.2017 stattgehabten Untersuchung durch L1 bestanden, in deren Rahmen der Kläger über seit dem 11.09.2017 bestehende - und damit eineinhalb Monate nach dem Unfallereignis - in das linke Bein ausstrahlende Beschwerden geklagt habe. Im Übrigen könne der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn auch nicht rein zeitlich begründet werden, sondern müsse sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dies sei jedoch gerade nicht der Fall. Das im MRT vom 20.09.2017 dargestellte strukturelle Schadensbild spreche gegen eine traumatische Schädigung der Bandscheibe. Nach gängiger unfallmedizinischer Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 460 f.) erschienen Bandscheibenvorfälle als Unfallfolge stets mit begleitenden, wenn auch minimalen, knöchernen oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment. Laut C1, P1 und dem M1 seien derartige Verletzungen auf dem MRT vom 20.09.2017 jedoch gerade nicht ersichtlich, sondern vielmehr chronisch degenerative Schädigungen der Bandscheibe. Soweit der Sachverständige U1 behauptet habe, die Auffassung, dass traumatische Bandscheibenschädigungen nur im Zusammenhang mit knöchernen Begleitschäden des Wirbelsäulensegments aufträten, sei schon vor vielen Jahren aufgegeben worden, treffe dies nicht zu und entspreche insbesondere nicht der gängigen unfallmedizinischen Literatur, worauf C1 hingewiesen habe. Die vom Kläger insoweit zitierte Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG, L 10 U 3840/10), die auch ohne knöcherne oder ligamentäre Begleitverletzungen am betroffenen Wirbelsäulensegment von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und Bandscheibenvorfall ausgegangen sei, habe vor dem Bundessozialgericht (BSG) keinen Bestand gehabt (BSG 24.07.2012, B 2 U 9/11 R). Letztlich sei - worauf C1 zutreffend hingewiesen habe - darüber hinaus auch der Unfallmechanismus nicht geeignet gewesen, eine traumatische Schädigung der Bandscheibe zu verursachen. Als Voraussetzung für die unfallbedingte Verursachung werde - so C1 zutreffend - nach der unfallmedizinischen Literatur ein axiales Stauchungstrauma der LWS mit kyphosierender Komponente gefordert, so dass hierdurch der Nucleus pulposus nach hinten in Richtung auf den Spinalkanal und die Nerven gedrückt werde. Seinen eigenen Angaben entsprechend (Bl. 112 SG-Akte) - die auch mit den Angaben seines Arbeitgebers übereinstimmten (Bl. 31 VA) - sei der Kläger jedoch aus dem Stand mit dem Motorrad auf die rechte Seite gekippt. Ein irgendwie gearteter direkter Sturz auf das Gesäß mit entsprechender axialer Stauchung der LWS lasse sich daraus nicht ableiten, weshalb bereits unter biomechanischen Gesichtspunkten ausgeschlossen sei, dass der geschilderte Sturz auf die rechte Seite einen ausgeprägten linksseitigen Bandscheibenvorfall verursacht habe. U1 sei insoweit von einem falschen Unfallhergang ausgegangen.

Gegen das - seinem Prozessbevollmächtigten am 25.03.2022 zugestellte - Urteil hat der Kläger am 08.04.2022 Berufung beim LSG eingelegt und ausgeführt, dass das SG die Angaben des behandelnden D-Arztes widerspruchslos angenommen und nicht berücksichtigt habe, dass in der Wissenschaft der „schleichende Bandscheibenvorfall“ anerkannt sei, der durch eine Krafteinwirkung infolge eines Unfalls ausgelöst werde. Außerdem habe das SG den Unfallhergang verkannt. Entgegen der Auffassung des SG sei er nicht zum Stillstand und erst dann in einer „zweiten Sequenz“ zum Kippen gekommen. Vielmehr habe es sich um eine „durchgehende Sequenz“ gehandelt. Er habe zwar die vom Ausrutschen ausgehende „Fluchtbewegung“ bis zum Stillstand abbremsen, jedoch nicht kontrollieren können. Die gegen seinen Körper wirkende Kraft sei daher geeignet gewesen, eine traumatische Schädigung auszulösen. U1 habe in seinem nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten sowohl die Kausalität als auch die Wesentlichkeit des Unfalls festgestellt.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.03.2022 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 10.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2019 festzustellen, dass der Bandscheibenvorfall L4/L5 Folge des Arbeitsunfalls vom 01.08.2017 ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der Akten, insbesondere auf die Darstellung von Sach- und Rechtslage im Widerspruchsbescheid vom 19.02.2019 sowie im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat die Beteiligten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung im Beschlussweg ohne mündliche Verhandlung angehört (s. S. 33 und 35 Senatsakte).


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und nach den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 10.12.2018 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2019, allerdings - nach einer Beschränkung des Streitgegenstandes durch den Kläger - nur (noch) insoweit, als die Beklagte darin lediglich eine Prellung der LWS als Unfallfolge anerkannt und einen Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 (konkludent) abgelehnt hat.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung des im Segment L4/L5 vorliegenden Bandscheibenvorfalls (konkludent) als Unfallfolge ablehnenden Verwaltungsaktes, weil dieser andernfalls der Feststellung von (weiteren) Unfallfolgen entgegenstünde. Rechtsgrundlage für das Feststellungsbegehren ist § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Danach kann mit der Klage u.a. die gerichtliche Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls begehrt werden.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 10.03.2022 die rechtlichen Grundlagen der geltend gemachten Feststellung von (weiteren) Unfallfolgen sowie die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend dargestellt und gestützt auf das Sachverständigengutachten C1, die sachverständigen Zeugenauskünfte von L1 und dem Facharzt M1, die beratungsärztlichen Stellungnahmen des P1 sowie unter Heranziehung der auch regelmäßig vom Senat seinen Entscheidungen zugrunde gelegten unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.) überzeugend dargelegt, dass der beim Kläger im September 2017 im Segment L4/L5 diagnostizierte Bandscheibenvorfall nicht in Folge des Arbeitsunfalls vom 01.08.2017 aufgetreten ist. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den diesbezüglichen überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Vorbringen im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, das SG sei von einem falschen Unfallhergang ausgegangen, vermag der Senat diese Kritik nicht nachzuvollziehen. Sowohl der Kläger selbst als auch sein Arbeitgeber haben im Rahmen des laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens dargetan, dass er „beim (Still-)Stand“ mit dem Motorrad „umgekippt“ sei. Im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen C1 hat der Kläger zudem angegeben, dass er hierbei auf den rechten Oberkörper und die rechte obere Extremität gestürzt und sein rechtes Bein unter dem Motorrad eingeklemmt gewesen sei. Diese Darstellung ist auch für den Senat plausibel und nachvollziehbar. Ein gleichzeitiges „Landen auf dem Gesäß“ - wie vom Wahlsachverständigen U1 angenommen - ist damit ausgeschlossen und auch für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar. Insoweit spielt es auch keine Rolle, ob es sich bei dem Unfallgeschehen um eine durchgehende oder um zwei „Sequenzen“ gehandelt hat.

Soweit der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung behauptet, dass beim Kläger ein „schleichender“ Bandscheibenvorfall vorliege, der durch eine Krafteinwirkung infolge eines Unfalls ausgelöst werde und sich erst später herausstelle, vermag sich der Senat dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Soweit der Senat in seinen Entscheidungen vom 22.12.2010 (L 10 U 3840/10, juris) und vom 18.06.2015 (L 10 U 221/13 ZVW, juris) die Auffassung vertreten hat, dass ein traumatischer Bandscheibenschaden im Einzelfall auch ohne Begleitverletzungen möglich sein kann, hält er hieran nicht fest. Die - auch vom SG und vom Sachverständigen C1 zitierte - aktuell herrschende unfallversicherungsrechtliche Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 459 f.) geht davon aus, dass traumatische Bandscheibenvorfälle grundsätzlich mit knöchernen oder Bandverletzungen im betroffenen Segment einhergehen. Überdies hat auch der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 18.06.2015 (a.a.O.) - wie auch der Sachverständige C1 in seinem Gutachten - klargestellt, dass ein „isolierter“ Bandscheibenvorfall überhaupt nur dann ursächlich auf einen Unfall zurückgeführt werden kann, wenn auch eine unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehende klinische Symptomatik vorliegt. Eine solche ist vorliegend jedoch gerade nicht gegeben. Der vom L1 am Unfalltag erhobene Befund ergab - wie vom SG zutreffend ausgeführt - lediglich einen Druckschmerz im Bereich des lumbosakralen Übergangs und einen diskreten Muskelhartspann, ohne Prellmarke bei freier Beweglichkeit der Extremitäten und unauffälliger peripherer Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Die zunächst bestehenden Schmerzen besserten sich - laut der sachverständigen Zeugenauskunft des L1 - zunächst. Erstmals am 13.09.2017 und somit knapp sechs Wochen nach dem stattgehabten Unfall beschrieb L1 dann - seit zwei Tagen bestehende - in das linke Bein ausstrahlende LWS-Schmerzen. Somit liegt ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten der für einen Bandscheibenvorfall typischen klinischen Symptomatik und dem Unfallereignis gerade nicht vor. Überdies hat C1 zu Recht darauf hingewiesen, dass der auch vom Senat zugrunde gelegte Unfallhergang - nämlich Sturz auf die rechte Seite aus dem Stand - nach der herrschenden unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S 460) nicht geeignet war, eine axiale Stauchung im Bereich der LWS hervorzurufen. Somit liegt bereits - wie vom SG zutreffend ausgeführt - ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenvorfall nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



 

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