L 4 U 379/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 675/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 379/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 8/23 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

TatbestanDer Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens das Ereignis vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm wegen der Folgen dieses Ereignisses Verletzten­rente zu gewähren. Der 1957 geborene Kläger war im Jahr 1999 als freier Mitarbeiter u.a. des S. als Reporter, insbesondere auch für die Z.-Sportschau, im Einsatz und bei diesen Einsätzen gemäß öffentlich-rechtlicher Vereinbarung zwischen dem S. und der Beklagten bei dieser gesetzlich unfallversichert. Am 20.08.1999 war er zur Produktion einer Sportschau-Reportage auf der Rennstrecke in H./Italien tätig, wo die Formel 1-Fahrer G. und W. vor dem Großen Preis von Belgien für Ferrari ihre Rennwagen testeten.

Mit am 05.06.2000 bei der Beklagten eingegangener Unfallanzeige des S. teilte der Kläger mit, er habe bei dem Einsatz in H. am 20.08.1999 einen Hörschaden auf dem rechten Ohr erlitten; jetzt verspüre er neben der Hörminderung ein lautes Pfeifen im rech­ten Ohr.

Der HNO-Arzt Dr. V. führte in einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 07.06.2000 aus, der Kläger habe über ein beidseitiges Ohrgeräusch geklagt und mitge­teilt, dieses bestehe seit Mitte August 1999; er sei damals beim Training für ein Formel 1 - Rennen in Italien gewesen. Trotz Hörschutz sei die Lärmeinwirkung so hoch gewesen, dass er anschließend Missempfindungen im Sinne von Ohrgeräuschen und Hörminde­rungen verspürt habe. Zunächst habe er dem nicht so viel Bedeutung beigemessen, die Tinnitus-Symptomatik sei jedoch geblieben und er fühle sich nun in seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Audiometrisch sei am 27.04.2000 rechtsseitig ein Hörverlust bei 4 kHz auf 30 dB festzustellen, linksseitig liege nur ein mi­nimaler Hörverlust vor. Auf Nachfrage der Beklagten teilte Dr. V. mit Schreiben vom 28.06.2000 unter Beifügung von Tonaudiogrammen vom 27.04.2000 weiter mit, die Laut­stärke bei einem Formel 1-Rennen sei in jedem Fall dazu geeignet, einen Hörschaden bzw. einen Tinnitus bei dem Kläger auszulösen. Dieser habe sich bei ihm erstmals am 15.10.1999 vorgestellt und angegeben, seit dem Formel 1-Rennen bestehe ein rechtssei­tiger Tinnitus. Da er nicht berichtet habe, dass er sich dienstlich dort aufgehalten habe, sei die Erkrankung nicht berufsgenossenschaftlich behandelt worden. Eine subjektive Hörminderung habe der Kläger damals nicht angegeben, so dass bei dieser Untersu­chung kein Ton-Audiogramm erstellt worden sei. Im Vordergrund habe auch eine Kopf­schmerzsymptomatik gestanden, so dass ein Cervical-Syndrom in Erwägung gezogen worden sei. Bei einer Kontrolluntersuchung am 27.04.2000 hätten sich dann die neueren Aspekte bzgl. einer berufsgenossenschaftlichen Behandlung ergeben.

Die Beklagte holte ein beratungsärztliches Gutachten nach Aktenlage des HNO-Arztes Dr. C. (vom 12.07.2000) ein; dieser regte an, arbeitstechnisch zu ermitteln, ob eine Lärmeinwirkung während eines Formel 1-Rennens geeignet sei, die festgestellte Hörmin­derung und die Ohrgeräusche zu verursachen. Sofern dies so sei, sei eine ausgiebige medizinische Begutachtung erforderlich. Die Beklagte befragte den Kläger schriftlich, der am 06.03.2001 angab, er habe sich am 20.08.1999 von etwa 15:00 Uhr bis 19:00 Uhr im unteren Bereich der Zuschauertribüne in etwa 20 Metern Entfernung zur Zielgeraden auf­gehalten. Während dieser Zeit hätten die Wagen 73 Runden und zusätzlich unzählige weitere Starts absolviert. Die Fahrtrichtung der Wagen sei von rechts nach links gewe­sen, so dass er seinen Kopf ständig reflexartig von rechts nach links gedreht und haupt­sächlich sein rechtes Ohr unerträglicher Lärmbelastung ausgesetzt habe. Die Teststrecke sei rundherum von Hügeln umgeben, was die Lärmbelastung zusätzlich erhöhe. Er habe dabei keine Ohrstöpsel getragen. Nach kurzer Zeit sei die Lärmbelastung so groß gewe­sen, dass sie physische Schmerzen verursacht und er sich instinktiv beim Vorbeifahren der Wagen die Ohren mit den Händen zugehalten habe. Das Pfeifen im Ohr habe er be­reits in den nächsten Tagen bewusst wahrgenommen, wenn es keine anderen Geräusche gegeben habe, er habe dem aber keine allzu große Bedeutung beigemessen und ge­dacht, das Pfeifen stelle sich von selbst wieder ab. Erst nachdem die Beschwerden ange­halten hätten, habe er die HNO-Ärzte aufgesucht. Vorher habe er keine Probleme mit den Ohren gehabt. Zu dem permanenten Pfeifen im Ohr seien nun auch Probleme psycholo­gischer Natur hinzugekommen, die zu innerer Unruhe, Schlaf- und Konzentrationsstörun­gen sowie verminderten Antrieb führten, diesbezüglich sei er in psychotherapeutischer Behandlung gewesen (Angaben vom 06.03.2001). Der S. teilte auf Nachfrage mit, Un­terlagen oder Messergebnisse über die Lärmeinwirkung bei Formel 1-Rennen lägen dort nicht vor. Ob der Kläger Gehörschutz getragen habe, sei nicht bekannt; freie Mitarbeiter kümmerten sich selbst um diesen Schutz (Schreiben vom 05.04.2001).

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten, Dipl.-Ing. M., führte am 27.07.2001 bei dem Training zum Formel 1-Rennen auf dem Hockenheim-Ring Lärmmes­sungen im Tribünenbereich und an der Boxengasse durch, dabei wurde insbesondere auch der Spitzenwertpegel von einzelnen Fahrzeugen während der Vorbeifahrt im Tribü­nenbereich gemessen. Im Ermittlungsbericht vom 30.07.2001 wurde ausgeführt, der Beur­teilungspegel sei für diesen Arbeitstag (15:00 bis 18:30 Uhr) mit 101 dB(A) zwar über­schritten, was im Regelfall als Einzelereignis nicht zu einem Gehörschaden führe. Ein Höchstwert des nicht bewerteten Schalldruckpegels von 140 dB(A) sei bei einem Spit­zenwert von 129 dB(A) nicht erreicht; bei Schalldruckpegeln oberhalb von 120 dB(A) könnten akute Gehörschäden aber schon nach Geräuscheinwirkungen über Minuten auf­treten.

Die Beklagte holte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage bei Dr. C. ein, der am 28.08.2001 ausführte, ein akutes Trauma scheide aus, weil die da­für notwendigen Schallpegel von wenigstens 130 dB(A) nicht erreicht worden seien. Es bleibe daher ein akustischer Unfall übrig, bei dem durch Lärmeinwirkung mittlerer Intensi­tät (90-120 dB[A]) ein akuter Hörverlust auf einem Ohr auftrete; bei Zwangshaltungen des Kopfes während der Lärmarbeit könne es zu einem Hörsturz kommen. Dies passe zwar nicht genau auf den vorliegenden Fall; durch die ständige Bewegung des Kopfes, um das Rennen verfolgen zu können, und die mittlere Lärmintensität bei fehlendem Lärmschutz sei ein akustischer Unfall aber ausreichend wahrscheinlich. Der Beurteilungspegel von 101 dB(A) sei daher rechtlich wesentlich dazu geeignet, die Hörminderung und die Ohr­geräusche zu verursachen. Auch der Spitzenwert von 129 dB(A) sei bei ständigen Bewe­gungen und Drehungen geeignet, die Beschwerden des Klägers zu verursachen.

Die Beklagte, die die Stellungnahme nicht für überzeugend hielt, veranlasste eine Begutachtung durch den HNO-Arzt Prof. Dr. L., der nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 27.11.2001 ein Gutachten vom 21.01.2002 erstellte. Darin führte er aus, es bestehe beidseits eine volle Funktionsfähigkeit des Innenohres im gesamten funktionell relevanten Frequenzspektrum. Rechts werde ein störendes Ohrgeräusch angegeben, dass bei atypischen Angaben nicht typisierbar nach Feldmann sei. Ausgeschlossen wer­den könnten ein Knalltrauma sowie ein Explosionstrauma. Es komme auch kein akusti­scher Unfall in Betracht, da bereits keine messbare Hörstörung vorliege; ein akustischer Unfall mit völliger Normakusis und alleinigem Tinnitus sei in der Literatur nicht beschrie­ben. Ferner habe die Hörstörung augenblicklich nach der Entstehung bemerkt werden müssen, nicht erst in den nächsten Tagen. Ein akuter Schaden sei ebenfalls nicht ersicht­lich, da hierfür Schallpegel über 130 dB(A) erforderlich seien, die hier nicht vorlägen. Darüber hinaus handele es sich um Ereignisse, die für den Betroffenen unvorhersehbar seien und denen er ungeschützt ausgeliefert sei; auch hier sei die Hörstörung in jedem Fall sofort vorhanden. Es handele sich weder um eine Berufskrankheit der Nr. 2301 noch um einen Arbeitsunfall. Tinnitus sei eine inzwischen so weit verbreitete Wahrnehmung, dass das Neuauftreten ohne äußeren Anlass die wesentlich wahrscheinlichere Möglich­keit sei.

Mit Bescheid vom 10.04.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungs­leistungen aus Anlass des Ereignisses vom 20.08.1999 ab. Nach Auswertung aller Beur­teilungskriterien habe die Lärmeinwirkung vom 20.08.1999 die festgestellten Ohrgeräu­sche rechts rechtlich nicht wesentlich verursacht, sodass der erforderliche Kausalzusam­menhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der festgestellten Gesundheitsstö­rung nicht gegeben sei. Es handele sich daher bei dem Ereignis nicht um einen Arbeits­unfall. Es handele sich ferner nicht um eine zu entschädigende Berufskrankheit der Nr. 2301. Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien somit nicht zu gewähren.

Der Kläger legte dagegen fristwahrend Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, der Unfall habe sich nicht auf dem Hockenheimring, sondern auf der Teststrecke H. ereignet, wo die für ein Knalltrauma vorliegende Schalldruckwelle von 160 -190 dB(A) durchaus vorhanden sei, jedenfalls habe sie an der Stelle, an der er sich aufgehalten ha­be, über 140 dB(A) gelegen. Die Teststrecke habe gerade aufgrund dieser Tatsache nicht die Zulassung als Formel 1 Rennstrecke erhalten. Dr. V. und auch Dr. C. sähen zutreffend einen Kausalzusammenhang zwischen dem Knalltrauma und dem permanen­ten Ohrgeräusch im rechten Ohr. Eine nachweisbare Hörstörung als Indikator eines akus­tischen Unfalls sei zudem gegeben, das folge aus dem Befund von Dr. V. vom 27.04.2000. Die medikamentöse Behandlung habe zu einer Verbesserung der Hörfähigkeit geführt. Der erste Arztbesuch sei exakt 56 Tage nach dem Ereignis erfolgt, weil dies früher wegen seiner Tätigkeit als Korrespondent in Italien nicht möglich gewesen sei. Auf die Bitte der Beklagten, zu den in der Begründung des Widerspruchs erwähnten Mess­werten für die Teststrecke H. entsprechende Unterlagen und Nachweise vorzule­gen, verwies der Kläger darauf, es handele sich um Informationen aus Insiderkreisen. Die Beklagte möge sich entweder an den Internationalen Automobilverband U. oder an die Leitung der Teststrecke wenden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2002 zurück. Leistungen seien nicht zu erbringen, weil ein Versicherungsfall nicht vorliege. Die festge­stellten Messwerte der Lärmeinwirkung seien für die gutachterliche Beurteilung verwend­bar und maßgeblich, auch wenn die Messung nicht auf derselben Strecke durchgeführt worden sei. Die Messwerte auf dem Hockenheimring seien insgesamt und im Einzelnen für die verschiedenen Rennteams (insgesamt 22 Wagen) erhoben worden, die Messgerä­te seien zudem in ähnlicher Position aufgestellt, wie der Kläger zur Fahrbahn in H. gestanden habe. Die erhobenen Messwerte aller 22 Rennwagen hätten nicht die Min­destschallschutzstärke von 130 dB(A) überschritten, insbesondere sei auch für das Team Ferrari einzeln kein darüberhinausgehender Wert gemessen worden. Entgegen seiner Ankündigung habe er keine Messwerte beibringen können. Die Beiziehung weiterer Messwerte sei nicht erforderlich, da die erhobenen Beweismittel vom Hockenheimring zur Klärung der Kausalitätsfrage geeignet seien.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund (S 23 U 110/02) legte der Kläger Unterlagen in italienischer Sprache zu Lärmmessungen auf der Teststrecke H. vor. Außerdem wurde ein - im parallel geführten Klageverfahren über die Feststellung eines Grades der Behinderung (S 7 SB 110/01) eingeholtes - HNO- ärztliches Gutachten von Dr. I. vom 18.10.2002 (ambulante Untersuchung am 12.09.2002) beigezogen; darin führte der Sachverständige u.a. aus, der Kläger habe nach den Lärmereignissen vom 20.08.1999 keine Gleichgewichtsstörungen oder anderen neurologischen Ausfälle angegeben, so dass der Tinnitus als alleiniges Symptom nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge zu werten sei. Die Tinnitussymptomatik könne eine in der Persönlichkeit des Versicherten begründete Reaktionsweise sein und den wesentlichen Faktor für die Ausgestaltung des Beschwerdebildes darstellen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erstattete Prof. Dr. F. ein HNO-ärztliches Gutachten am 04.08.2003. Dort gab der Kläger im Rahmen der ambulanten Untersuchung am 27.06.2003 an, das Ohrgeräusch erstmals in geräuschfreier Kulisse am Schreibtisch drei Tage später (am Montag) festgestellt zu haben. Am Wochenende sei er abgelenkt gewesen, da er in T. mit Freunden und Bekannten aus gewesen sei, außerdem habe er Musik gehört und sei Auto gefahren, daher habe er den Pfeifton noch nicht hören kön­nen. Der Sachverständige führte aus, das audiometrische Bild mit einer Hochtonsenke und Hochtonohrgeräusch entspreche dem eines Lärmschadens. Untersuchungen über Gehörschäden durch überlaute Unterhaltungsmusik zeigten, dass Gehörschäden mit und ohne Tinnitus, aber auch ein Tinnitus allein, auch nach mehrstündiger Lärmbelastung im Nahbereich einer Lärmquelle auftreten könnten, auch wenn der Grenzwert unter 130 dB(A) liege. Der Kläger sei einer ausreichend hohen Lärmbelastung ausgesetzt gewesen, auch wenn die klassischen Grenzwerte für die verschiedenen Typen akuter Schallschä­den unterschritten seien. Dennoch spreche eindeutig gegen einen Zusammenhang zwi­schen Lärmbelastung am 20.08.1999 und den aktuellen Beschwerden, dass der Kläger anschließend keine Beschwerden gehabt habe. Er sei zwei Tage beschwerdefrei gewe­sen, erst am dritten Tag habe er das rechtsseitige Ohrgeräusch bemerkt. Auch wenn er zunächst normale Freizeitaktivitäten entfaltet habe, habe er sicher auch geräuschfreie Momente erlebt; spätestens in diesem Moment wäre ein unfallbedingtes Ohrgeräusch aufgefallen. Dass er das Ohrgeräusch erst am darauffolgenden Montag, dem dritten Tag nach dem Ereignis, bemerkt habe, schließe ein unfallbedingtes Ohrgeräusch aus. Unfall­bedingte Ohrgeräusche seien dadurch gekennzeichnet, dass sie sofort auftreten bzw. bemerkt würden. Würde man dennoch einen Unfallzusammenhang annehmen, sei aber nur von einem minimalen Schaden auszugehen; die später aufgetretenen psychovegetativen Reaktionen seien auf eine Fehlverarbeitung zurückzuführen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege nicht vor. Abschließend sei aber darauf hinzuweisen, dass Ohrgeräusche ein sehr häufiges Symptom unterschiedlicher Ursache seien, die auslö­senden Momente könnten vielfältig sein, z.B. lokale Durchblutungsstörungen, Stoffwech­selerkrankungen, Virusinfektionen des Innenohrs usw.. Im Einzelfall lasse sich die Ursa­che meist nicht feststellen.

Der Kläger trug hierzu weiter vor, die Beschwerdeproblematik sei sofort und unmittelbar nach dem Probetraining aufgetreten, er habe allerdings gehofft, dass sie nach kurzer Zeit wieder verschwinde. Erst nachdem er drei Tage Beschwerden gehabt habe und die Schmerzen nicht besser geworden sein, habe er einen Zusammenhang zu den Lärmbe­lastungen am Renntag festgestellt.

Auf seinen weiteren Antrag nach § 109 SGG erstattete am 17.03.2004 Dr. A. ein nervenärztliches Gutachten. Dort gab der Kläger an, sofort nach der Rückkehr nach Hause (in T.) ein Pfeifen auf dem rechten Ohr verspürt zu haben, das er wegen viel­fältiger Ablenkung am Wochenende aber nicht realisiert habe. Erst am Montag bei der Arbeit am Schreibtisch sei er darauf aufmerksam geworden. Als Diagnosen stellte die Sachverständige einen Tinnitus aurium sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstö­rung mit gastrointestinalen Symptomen, Schlafstörungen und leichtgradigen depressiven Symptomen fest. Unterstelle man das Vorhandensein eines Lärmtraumas, müsse sowohl der vorhandene Tinnitus als auch die begleitende, dadurch bedingte Somatisierungsstö­rung als Folge dieses Traumas angesehen werden. Die Wahrscheinlichkeit eines ursäch­lichen Zusammenhangs der bestehenden Gesundheitsstörungen mit dem Trauma vom 20.08.1999 sei allein von nervenfachärztlicher Seite nicht zu beantworten. Regelmäßig spielten sogenannte Stressoren im Sinne von Ärger, Überforderung oder Stressbelastung in der Entstehung dieses Syndroms eine große Rolle; es müsse festgehalten werden, dass es neben der Lärmbelastung am Unfalltag auch Ärger und Erregung über den kurz­fristigen Termin, die ungünstige Unterbringung der Journalisten, die Vertretungssituation für einen kurzfristig ausgefallenen Kollegen und Ärger über fehlende Namensnennung im S.-Bericht gegeben habe. Diese Stressoren stünden inhaltlich und zeitlich mit dem Un­fallereignis in unmittelbarem Zusammenhang. Es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sowohl eine hohe Lärmbelastung am Unfallort als auch somati­sche und weitere Stressfaktoren gemeinsam als Ursache für den chronischen Tinnitus und die leichtgradige Somatisierungsstörung anzusehen seien. Die psychischen Stressoren seien allerdings primärpersönliche Faktoren, die auch in einem anderen Zusammen­hang ebenfalls zu einer psychischen Folgestörung hätten führen können. Es sei von einer MdE um 10 v.H. seit 1999 und fortlaufend auszugehen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 28.06.2004 ab. Der ohnehin nur geringfügige Hoch­tonschaden sowie das hochfrequente Ohrgeräusch rechts mit den einhergehenden Be­gleiterscheinungen seien nicht Folge eines akuten Schalltraumas. Eine ausreichend hohe Lärmeinwirkung oberhalb des Grenzwertes von mehr als 130 dB(A) könne nicht festge­stellt werden. Eine weitere Testung der Lärmeinwirkung sei nicht erforderlich, da die erst einige Zeit nach dem Ereignis angegebenen Hörstörungen allein von der Zeitabfolge ge­gen einen Zusammenhang mit der Lärmeinwirkung sprächen.

Im anschließenden Berufungsverfahren (L 15 U 222/04) - in dem der Kläger ausdrücklich die Feststellung beantragte, dass ein bei ihm bestehender Tinnitus sowie Hörschaden rechts mit nachfolgenden Somatisierungsstörungen und depressivem Syndrom Folge ei­nes Arbeitsunfalls oder einer BK nach Nr. 2301 und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu zahlen sei - rügte er insbesondere, das SG habe die Tal­lage der Teststrecke nicht hinreichend gewürdigt; dadurch hätten sich die Schallwellen nicht einseitig ausgebreitet, sondern seien auf die Quelle des Lärms zurückgeschlagen, sodass sich ein mehrfacher Schalleffekt gebildet habe. Wie bereits in der Anamnese des Gutachtens von Dr. I. vom 18.10.2002 angegeben, habe er zudem bereits am Abend des 20.08.1999 die Ohrgeräusche rechts verspürt. Er legte eine Übersetzung von Unter­lagen der Regionalagentur der Toskana für den Umweltschutz zu Lärmmessungen an der Rennstrecke in H. (Protokoll Nr. 10.24501AF vom 30.12.2002) vor. Mit Urteil vom 07.06.2005 wies das LSG die Berufung zurück; die Beschwerde gegen die Nichtzulas­sung der Revision verwarf das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 15.11.2005 als unzulässig (B 2 U 290/05 B).

Mit Schreiben vom 08.06.2016 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und beantragte, das Verfahren wieder aufzunehmen sowie ihm eine Rente zu zahlen. Neue Aspekte hätten sich insoweit ergeben, als er aufgrund der mit der Tinnituserkrankung einhergehenden Konzentrationsstörungen nicht mehr in der Lage sei, in seinem Beruf als Journalist zu arbeiten. Nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass er sich bereits in den Abendstunden des 20.08.1999 bei seiner Ehefrau über belastende Ohrgeräusche bzw. einen Pfeifton beklagt habe. Darüber hinaus liege inzwischen eine Datei vor, die die Filmaufnahmen im Original zeige, die er am 20.08.1999 gemacht habe. Darauf sei zu erkennen, dass er ein Interview führe und dabei unmittelbar an der Rennstrecke stehe, der Interviewpartner registriere einen herannahenden Sportwagen und halte sich mit beiden Fingern die Ohren zu, er selbst führe das Gespräch zunächst weiter und bemerke die Geräuschentwicklung offenbar zu spät. Aufgrund dieser Filmaufnahmen könnten die Geräuscheinwirkungen vor Ort eingeschätzt werden. Eine realistische Ermittlung der tatsächlich auftretenden Dezibel-Belastungen könne zudem erreicht werden, indem die italienische staatliche Unfallversicherungsanstalt INAIL um Amtshilfe ersucht werde. Es seien neue Ermittlungen aufzunehmen.

Mit Bescheid vom 06.03.2017 führte die Beklagte aus, eine Rücknahme des Bescheides vom 10.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erfolge nicht. Das Vorbringen des Klägers biete keine Veranlassung, in eine neue Sachprüfung einzutreten. Entgegen seiner Einschätzung bestehe keine Mög­lichkeit, aus einer Filmaufnahme die Feststellung der Schallbelastung in der aufgenom­menen Situation herbeizuführen. Die Beurteilung des Schallpegels sei bereits im Gutach­ten von Prof. Dr. F. eingehend erörtert und im sozialgerichtlichen Verfahren gewürdigt worden. Die weiteren Ausführungen stellten keine neuen Aspekte dar. Mit den besonde­ren örtlichen Verhältnissen in H. und der tatsächlichen Schallmessung dort habe sich bereits das LSG in seinem Urteil vom 07.06.2005 vom auseinandergesetzt, ebenso habe es die unterschiedlichen Aussagen zum erstmaligen Bemerken der Ohrgeräusche berücksichtigt und beweisrechtlich gewürdigt. Eine erneute Sachprüfung werde daher ab­gelehnt.

Der Kläger legte am 16.03.2017 Widerspruch ein, in dem er sich hinsichtlich der Aussage, bereits am gleichen Abend über Ohrgeräusche gegenüber seiner Ehefrau geklagt zu haben, auf deren Zeugnis berief. Darüber hinaus ließen die Filmaufnahmen mit Ton Rückschlüsse auf die Lärmeinwirkung zu. Der Zeuge D. R., ebenfalls Sportreporter, könne über die Lärmbelastung Auskunft geben, da er auch beim Training zugegen gewesen sei. Er legte zudem ein für die Deutsche Rentenversicherung zur Feststellung der Erwerbsminderung erstelltes HNO-ärztliches Gutachten von Dr. P. vom 09.01.2015 vor, in dem eine Schallempfindungsschwerhörigkeit im Hochtonbereich beidseits, rechts größer als links, sowie ein Tinnitus aurium rechts festgestellt worden sei; aus der Hörminderung folge keine MdE, der Tinnitus sei mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten. Der Gutachter sehe die Leistungsminderung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Arbeitsunfall verursacht an. Am 12.07.2017 übersandte der Kläger eine eidesstattliche Erklärung seiner Ehefrau vom 30.06.2017, wonach er bei seiner Ankunft in T. nach Mitternacht ihr gegenüber ein starkes Pfeifen und dumpfe Geräusche auf beiden Ohren geklagt habe, die er eindeutig auf den „Höllenlärm" auf der H.-Teststrecke zurückgeführt habe. Er habe auch gesagt, dass die Lärmbelastung auf den Tribünen unerträglich gewesen sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2017 zurück. Die übersandten Unterlagen und vorgebrachten Erwägungen böten keine neuen Ge­sichtspunkte, die annehmen ließen, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht un­richtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als un­richtig erwiesen habe und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens werde ein abgestuftes Prüf­verfahren gefordert: Ergebe sich im Rahmen des Antrags auf Erlass eines Zugunstenbe­scheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, dürfe sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Be­scheides berufen.

Hiergegen hat der Kläger am 24.07.2017 Klage vor dem SG Dortmund erhoben und die Überprüfung des Bescheides vom 10.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei­des vom 18.09.2002 sowie letztlich die Feststellung einer rentenrelevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund des Vorfalles vom 20.08.1999 begehrt. Er habe bereits am Abend des 20.08.1999 gegenüber seiner Ehefrau über belastende Ohrgeräusche und ei­nen Pfeifton geklagt. Dieser neue Gesichtspunkt sei von ihm im vorangehenden Verfah­ren nicht vorgetragen worden und rechtfertige eine erneute Überprüfung der Sachlage. Darüber hinaus habe er dargelegt, inzwischen über Originalfilmaufnahmen zu verfügen, die die Situation an der Rennstrecke zeigten. Sie ermöglichten eine genauere Bewertung der Lärmexpositionspegel am Vorfalltag. Auch diesem Aspekt habe die Beklagte nachge­hen müssen. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs sei durch diese neuen Aspek­te genauer zu beurteilen. Der Kläger hat eine CD mit der Original-Filmaufnahme vorge­legt, außerdem sei der Zeuge D. R. zu vernehmen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2017 in der Gestalt

des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 zu verurteilen, ihm Verletzten­rente zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat weiterhin keine neuen Aspekte gesehen, die Anlass zu einer erneuten Sachprü­fung geben würden. Die als neu angebotenen Beweismittel seien nicht geeignet, die richterlichen Entscheidungsgründe aus dem Urteil vom 07.06.2005 zu widerlegen. Der Voll­beweis für das sofortige Auftreten des Tinnitus nach dem Rennen könne aufgrund der abweichenden Aussagen bei diversen Terminen nicht erbracht werden, auch die nach­träglich angebotene Erklärung der Ehefrau stelle einen solchen Vollbeweis nicht dar. Aus einer Original-Filmaufnahme ließen sich keine verwertbaren Aussagen über den Grad der Lärmeinwirkung im Sinne einer Dezibel-Messung entnehmen. Die Ablehnung des Versi­cherungsfalles lasse auch eine Berücksichtigung der psychischen Störungen hinfällig werden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.06.2021 abgewiesen. Die medizinischen Ermitt­lungen im vorangegangenen Verfahren hätten nicht das Ergebnis erbracht, dass der Klä­ger eine unfallbedingte MdE aufweise. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass das Gutachten von Dr. P. zutreffend sei, auch dieser komme jedoch nicht zu einer ren­tenberechtigenden MdE. Es bestehe auch keine Erforderlichkeit einer gerichtlichen Be­weisaufnahme. Auch wenn die Ehefrau eine erhebliche Lärmbeeinträchtigung bestätige, habe dies keinen Bezug zu einer etwaig vorhandenen MdE. So könne nicht einmal der Nachweis eines Erstschadens erbracht werden, denn eine spontane Hörminderung nach hochdosierter Beschallung liege in der Natur der Sache, ohne zu bedeuten, dass dieses Phänomen nicht regelmäßig sehr bald abklinge. Die Ehefrau sei auch keine Medizinerin und nicht zuständig für die Entgegennahme der Schilderung pathologischer Symptome. Ebenfalls ungeeignet sei eine Vernehmung von an der Teststrecke anwesenden Perso­nen, da diese an einer exakten Lautstärkemessung nicht teilgenommen hätten; dadurch könne auch kein Schaden nachgewiesen werden, da der Kläger nach den HNO-ärztlichen Befundunterlagen noch nicht einmal eine Trommelfellperforation erlitten habe. Entspre­chendes gelte für ein Video, hier sei nicht deutlich geworden, inwieweit dadurch der Ein- tritt eines später medizinisch nicht bestätigten Schadens nachgewiesen werden solle. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genom­men.

Gegen das am 28.06.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.07.2021 Berufung ein­gelegt. Er verweist weiter darauf, noch am Abend des Unfalltages gegenüber seiner Ehe­frau über belastende Ohrgeräusche und einen Pfeifton geklagt zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass sich diese Geräusche normalisieren würden und habe sie zeitweilig nicht als so massiv störend empfunden, insbesondere weil er sich im Kreise seiner Fami­lie befunden habe bei Ablenkung und geräuschvollem Umfeld. Weil die Ohrgeräusche bei ruhiger Umgebung massiv störend gewesen seien, habe ihn das nach seiner Rückkehr nach Deutschland dazu veranlasst, einen HNO-Arzt aufzusuchen. Die Annahme, er sei unmittelbar nach dem Ereignis nicht von Ohrgeräusche geplagt gewesen und habe kei­nen Tinnitus verspürt, sei somit falsch. Das SG habe insoweit die Zeugin hören müssen. Das SG habe sich ebenfalls nicht mit der Auffassung des HNO-Arztes Dr. P. ausei­nandergesetzt, der das Lärmereignis als geeignet für die Verursachung eines Innenohr­schadens angesehen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2021 abzuändern und die Be­klagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2017 in der Gestalt des Wi­derspruchsbescheides vom 13.07.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 10.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002 aufzu­heben, das Ereignis vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm we­gen der Folgen dieses Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, zu Recht von einer erneuten Überprüfung des Ablehnungsbe­scheides abgesehen zu haben, weil die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgetragenen Erwägungen nicht geeignet gewesen seien, Zweifel an der Richtigkeit der Ent­scheidung zu begründen. Die angebotenen Beweismittel seien nicht geeignet, die ge­troffenen Entscheidungen infrage zu stellen. Bereits im Rahmen des Verwaltungsverfah­rens sowie des sich anschließenden Klageverfahrens seien der Schallpegel und dessen mögliche Auswirkungen auf das Gehör gutachterlich beurteilt worden, die Frage des erstmaligen Auftretens der Ohrgeräusche sei ausreichend diskutiert worden.

Der Senat hat eine HNO-fachärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. F. eingeholt, die dieser am 10.03.2022 erstellt hat. Darin hat Prof. Dr. F. ausgeführt, dass eine Mes­sung des Spitzenschalldruckpegels in einem Fall mit 129 dB(A) nicht bedeute, dass der Kläger die 3,5 Stunden ständig einer solchen Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen sei, sondern nur während der kurzen, schnellen Vorbeifahrt. Ein akutes Lärmtrauma könne zwar auch bei einer Lärmeinwirkung von gering weniger als 130 dB(A) auftreten, dies set­ze aber voraus, dass der Betreffende über mehrere Stunden hintereinander einem so ho­hen Lärmwert ausgesetzt sei, z.B. wenn ein Diskothekenbesucher viele Stunden neben einem Lautsprecher gestanden habe. Von einer solchen Situation sei aber nicht auszu­gehen, da es sich bei dem Messwert von 129 dB(A) (worst case) um einen Spitzenpegel handele, nicht aber um einen Dauerschallpegel. Ein akuter Gehörschaden durch Lärm bei hohem Schalldruck oberhalb von 120 dB(A) könne nach der VDI Richtlinie 2058 Blatt 2 nach Geräuscheinwirkungen über Minuten hervorgerufen werden, der Lärm eines vorbei­fahrenden Rennwagens wirke jedoch nur sekundenweise auf das Gehör ein. Die Ergeb­nisse des Messberichtes erklärten daher nicht, dass eine ausreichende Lärmbelastung bezüglich der rechtsseitigen Hochtonsenke und des rechtsseitigen Tinnitus vorgelegen habe. Der äquivalente Dauerschallpegel sei mit 100 bzw. 102 dB(A) festgestellt worden, also weit unter dem sogenannten Grenzwert von 130 dB(A). Insofern bleibe er bei der Auffassung, dass die Lärmeinwirkung am 20.08.1999 nicht geeignet gewesen sei, den rechtsseitigen Gehörschaden mit Ohrgeräuschen hervorzurufen. Es entspreche zudem weiterhin dem Stand der aktuellen medizinischen Wissenschaft, dass die Annahme eines Zusammenhangs zwischen einer hohen Lärmbelastung und Schädigung eine sofortige Beschwerdesymptomatik erfordere. Der Kläger habe seine Angaben damals so gemacht, wie im Gutachten niedergelegt. Beharre er nun darauf, der Tinnitus sei am Ereignistag aufgetreten, könne er dies nicht kommentieren. Ein unfallunabhängiger Hörsturz mit oder ohne Tinnitus sei in der Bevölkerung allerdings sehr häufig und gegenüber den ange­schuldigten Ereignissen abzugrenzen. Auch die Sachverständige Dr. A. habe auf weitere Stressoren in der Anamnese hingewiesen. Der rechtsseitigen Tinnitus sei so­mit nicht Folge einer Berufskrankheit und auch nicht Folge eines Arbeitsunfalles.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge­richtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen, der insgesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

  1. Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 144 Abs. 1 SGG) und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
  1.  Die zulässige Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, (doppelte) Verpflichtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 56 SGG) statthaft, denn der Kläger begehrt - unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 06.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 - die Verpflichtung der Beklagten zur Rück­nahme des gemäß § 77 SGG bestandskräftigen Bescheides vom 10.04.2002 in der Ge­stalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002, ihre Verpflichtung, das Ereignis vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die Gewährung von Leistungen in Form einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. (vgl. Keller in: Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rn. 20c m.w.N).
  2.  Die Klage ist unbegründet. Der streitige (Überprüfungs-)Bescheid vom 06.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, auf Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des zugrundeliegenden Bescheides vom 10.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002 und Anerkennung des Ereignisses vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall sowie auf die Gewährung einer Verletztenrente.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzel­fall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sach­verhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozial­leistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. § 44 Abs. 2 SGB X bestimmt, dass im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwal­tungsakt (im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen ist; er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Hiervon ausgehend ist die Berufung bereits unbegründet, weil aufgrund des vorangegan­genen Verfahrens zwischen den Beteiligten bindend feststeht, dass die geltend gemach­ten Gesundheitsstörungen nicht Folge eines Arbeitsunfalls vom 20.08.1999 sind und dem Kläger auch keine Verletztenrente zusteht; einer Überprüfung ist dies nicht mehr zugäng­lich (dazu unter 1.). Die Berufung ist aber auch unabhängig davon unbegründet, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall anzu­erkennen (dazu unter 2.).

  1. Die Anwendbarkeit von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X an sich setzt voraus, dass die Be­standskraft eines Verwaltungsaktes über einen bestimmten Anspruch durchbrochen wer­den soll. Hier geht es indes nicht (allein) um einen bindend gewordenen (feststellenden oder eine Feststellung ablehnenden) Verwaltungsakt, sondern (auch) um die Rechtskraft des gerichtlichen Feststellungsurteils im Vorprozess vom 07.06.2005 (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.2020 - B 2 U 2/18 R -, juris, Rn. 17; vgl. Spellbrink/Karmanski, Sozialgerichts­barkeit 2021, S. 548, 549, die die Überwindbarkeit eines gerichtlichen Feststellungsurteils im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 179 SGG thematisieren; vgl. Landes­sozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2020 - L 12 U 3510/19 -, ju­ris, Rn. 20 ff., das auf den Geltungsvorbehalt des Fortbestehens der bei Erlass des rechtskräftigen Urteils zugrunde gelegten Sach- und Rechtslage abstellt, was nur bei ver­änderter Sachlage nach Erlass des rechtskräftigen Urteils eine erneute Entscheidung über das Rechtsverhältnis ermögliche).

Hier hatte der Kläger mit dem im Berufungsverfahren L 15 U 222/04 in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 07.06.2005 gestellten Antrag ausdrücklich die gerichtliche Feststellung begehrt, dass ein bei ihm bestehender Tinnitus sowie Hörschaden rechts mit nachfolgenden Somatisierungsstörungen und depressivem Syndrom Folge eines Arbeits­unfalls oder einer BK nach Nr. 2301 und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu zahlen sei. Mit Urteil vom 07.06.2005 hat das LSG NRW die Beru­fung zurückgewiesen; mit der Verwerfung der gegen dieses Urteil eingelegten Nichtzulas­sungsbeschwerde durch das BSG (Beschluss vom 15.11.2005) ist das Urteil des LSG NRW rechtskräftig geworden. Eine veränderte Sachlage nach Erlass des rechtskräftigen Urteils ist nicht ersichtlich. Der zur Begründung des Überprüfungsantrags vorgebrachte Vortrag des Klägers enthält nichts wesentlich Neues. Er wiederholt die seinerzeitigen Ar­gumente und wertet sie anders als die Beklagte; dies betrifft einerseits die Höhe des Schallpegels und andererseits das erstmalige Auftreten des Ohrgeräuschs. Sämtliche Messwerte der Schallpegel lagen aber bereits damals vor, auch hat der Kläger seinerzeit teilweise - insbesondere gegenüber dem Sachverständigen I. - angegeben, das Ohr­geräusch sei bereits unmittelbar am Tag des Ereignisses aufgetreten. Hierzu lag bereits eine eidesstattliche Versicherung seiner jetzt als Zeugin benannten Ehefrau vor.

Mit rechtskräftiger Abweisung einer auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichte­ten Klage steht das Gegenteil der begehrten Feststellung, nämlich das Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses fest (Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 16.01.2008 - XII ZR 216/05 -, juris, Rn. 9ff.,; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Beschluss vom 22.12.2011 - 2 B 71/10 -, juris, Rn. 6). Dies gilt im sozialgerichtlichen Verfahren in glei­cher Weise. Auch hier binden gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Ein sozialgerichtli­ches Urteil über eine Klage auf Feststellung eines Versicherungsfalles in der gesetzlichen Unfallversicherung ist deshalb ebenfalls nicht nur der formellen, sondern auch der mate­riellen Rechtskraft fähig. Mit der rechtskräftigen Abweisung einer auf gerichtliche Feststel­lung gerichteten Klage ist somit auch im sozialgerichtlichen Verfahren das Gegenteil der begehrten Feststellung festgestellt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2020 - L 12 U 3510/19 -, a.a.O. und Urteil vom 21.06.2018 - L 10 U 2893/16 -, juris, Rn. 28; Thüringer LSG, Beschluss vom 07.01.2019 - L 1 U 619/18 B -, juris, Rn. 20).

Steht allein aufgrund der Rechtskraftwirkung dieses Urteils zwischen den Beteiligten bin­dend fest, dass die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht Folge ei­nes Arbeitsunfalls vom 20.08.1999 sind, ist dies einer Überprüfung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht zugänglich.

  1. Die angefochtenen Bescheide sind aber auch abgesehen von der Bindungswirkung des Feststellungsurteils rechtmäßig. Die Beklagte hat es im Rahmen des Überprüfungs­antrages zu Recht abgelehnt, die bestandskräftigen Bescheide zurückzunehmen.
  1.  Dabei ist sie bereits nicht in eine Sachprüfung eingetreten. In der Rechtsprechung wird in Fällen eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X von einem dreistufigen Prü­fungsaufbau ausgegangen: Zunächst sei darüber zu entscheiden, ob die Behörde in eine sachliche Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eintritt oder den Antrag ohne eine solche Sachprüfung zurückweist. Falle diese Entscheidung für eine Sachprüfung aus, so seien die Rechtswidrigkeit des Ausgangsverwaltungsakts und gegebenenfalls weitere Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 SGB X zu prüfen. Sei der Verwaltungsakt danach aufzuheben, erfolge dann auf der dritten Stufe eine neue Sachentscheidung (BSG, Urteil vom 03.04.2001 - B 4 RA 22/00 R -, juris, Rn. 28ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.08.2019 - L 8 R 617/17 -, juris, Rn. 31; vgl. auch Baumeister in: Schlegel/Voelzke, ju- risPK-SGB X, 2. Auflage, Stand 02/2022, § 44 SGB X Rn. 136 m.w.N.). Der für das Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung zuständige 2. Senat des BSG hat dies hingegen ausdrücklich offengelassen und entschieden, dass mangels neuen Tatsachenvortrags gemäß Abs. 1 S. 1 Alt. 1 („das Recht unrichtig angewandt") SGB X eine umfassende Prü­fung von Amts wegen nötig sei (BSG Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, juris, Rn. 12; vgl. auch Schütze in: ders., SGB X, 9. Auflage 2020, § 44 Rn. 43 m.w.N.).
  2.  Welcher Auffassung zu folgen ist, kann hier offenbleiben; denn selbst bei umfassender Prüfung der Rechtmäßigkeit des bestandskräftig gewordenen Bescheides ist dieser nicht gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Er­eignis vom 20.08.1999 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicher­te Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfall­ereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; ständige Rechtsprechung <st. Rspr.>, zuletzt BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 9/18 R -, juris, Rn. 18; BSG Urteil vom 07.05.2019 - B 2 U 31/17 R -, juris, Rn. 10).

aa) Der Kläger hat am 20.08.1999 zwar eine versicherte Tätigkeit ausgeübt; dabei ist es in Form von Schallwellen auch zu Einwirkungen von außen auf seinen Körper gekommen. Es liegt auch eine Gesundheitsstörung in Form von Ohrgeräuschen rechts und leichtgradiger Hochtonschwerhörigkeit rechts vor.

bb) Nicht feststellbar ist indes, dass das Ereignis vom 20.08.1999 den Gesundheitserst- schaden in Form eines rechtsseitigen Ohrgeräuschs und der leichtgradigen Hochton­schwerhörigkeit objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat. Dies folgt insbesondere aus dem im Vorverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. F. sowie aus dessen im Berufungsverfahren eingeholter ergänzenden Stellungnahme, sowie aus dem im Ver­waltungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. L..

Grundsätzlich für einen Zusammenhang zwischen dem am 20.08.1999 erlittenen Lärm und den bestehenden Gesundheitsstörungen spricht, dass der bei Prof. Dr. F. am 27.11.2000 erhobene akustische Befund mit beidseitiger angedeuteter Hochtonsenke, rechts stärker als links, und Hochtonohrgeräusch rechts in das Bild eines Lärmschadens bzw. Schallschadens der Innenohren passt. Darüber hinaus hat Prof. Dr. F. ausge­führt, dass auch kurzzeitige hohe Lärmbelastungen zu einem isolierten Tinnitus führen können; hierzu hat er auf Studien bei Diskotheken-Besuchen verwiesen.

Entsprechend dem von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. F. dargelegten medizinisch­wissenschaftlichen Erkenntnisstand können Gesundheitsstörungen, wie der Kläger sie geltend macht, durch akuten Schall aber nur in der Form eines Knall- oder Explosions­traumas, eines akuten Lärmschadens oder eines sog. akustischen Unfalls ausgelöst wer­den. Diese möglichen Ursachen lassen sich jedoch hier sämtlich nicht feststellen.

Die Voraussetzungen eines Knall- oder Explosionstraumas sind nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen nicht ersichtlich; entsprechend hohe Lärmpegel (mehr als 150 dB[A]) sind weder den Messungen der Beklagten am Hockenheimring, noch aus den Unterlagen der italienischen Behörden, die an der Strecke in H. - und damit unter den dortigen geographischen Gegebenheiten - zu entnehmen.

Die Voraussetzungen eines akuten Lärmschadens sind ebenfalls nicht ersichtlich. Nach der im Berufungsverfahren eingeholten aktuellen ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. F. ist Voraussetzung dafür eine hochgradige Lärmexposition (auch unter 130 dB[A]) über einen anhaltenden Zeitraum von wenigstens einigen Minuten. Bei der bloßen wiederholten Vorbeifahrt der Rennautos betrug die Dauer der Einwirkung aber nur maxi­mal einige Sekunden, bevor sie wieder beendet war und bei der nächsten Durchfahrt ei­nige Minuten später erst wieder auftrat. Dies ist nach der aktuellen fachlichen Einschät­zung von Prof. Dr. F., der dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren als äußerst erfahrener und ausgewogener Sachverständiger bekannt ist, nicht ausreichend, um die rechtsseitige Hochtonsenke und den rechtsseitigen Tinnitus zu erklären.

Zudem scheidet auch eine Verursachung der Gesundheitsstörungen durch einen sog. akustischen Unfall aus. Voraussetzung hierfür ist zum einen eine extreme Zwangshaltung des Kopfes, z.B. verdreht in einer schwierigen Haltung. Eine solche Zwangshaltung ist nicht beschrieben; allein das Drehen des Kopfes bei der Vorbeifahrt der Rennwagen reicht hierfür nach der überzeugenden Einschätzung von Prof. Dr. L. nicht aus. Hiervon abgesehen entsteht bei einem akustischen Unfall zudem immer ein pancochleärer oder wannenförmiger Hörkurvenverlauf, selten sogar eine vollständige Ertaubung. Ei­ne Hörminderung direkt im Anschluss an das Ereignis ist aber weder dokumentiert, noch vom Kläger selbst vorgetragen. Direkt nach dem Ereignis hat er sich nicht in HNO- ärztliche Behandlung ergeben, obwohl das für den muttersprachlichen Kläger auch in Ita­lien möglich gewesen wäre. Der behandelnde HNO-Arzt Dr. V. hat mitgeteilt, der Klä­ger habe bei der Vorstellung am 15.10.1999 keine subjektive Hörminderung angegeben, so dass auch kein Tonaudiogramm erstellt worden sei; das Audiogramm vom 27.04.2000 zeigte lediglich rechtsseitig bei 4 kHz einen Hörverlust auf 30 dB und damit keine C5- Senke (vgl. das Gutachten des Sachverständige Dr. I.). In der Unfallanzeige vom 05.06.2000 ist lediglich davon die Rede, „jetzt" bestehe eine Hörminderung und ein lautes Pfeifen im rechten Ohr. Noch bei der Untersuchung durch Prof. Dr. L. am 27.11.2001 wurde auf beiden Ohren ein prozentualer Hörverlust von 0% festgestellt. Der Kläger selbst hat nicht behauptet, unmittelbar nach dem Ereignis an einem Hörverlust gelitten zu haben, er hat vielmehr auf ein Pfeifen im Ohr verwiesen. Andere pathologische Befunde, z.B. Gleichgewichtsstörungen oder andere neurologische Ausfälle, sind eben­falls nicht berichtet worden. Auch wenn später ein Hörverlust insbesondere rechts einge­treten ist, ist nicht nachgewiesen, dass dies unmittelbar im Anschluss an das Ereignis be­reits der Fall war. Ein Zusammenhang zwischen dem akuten Schall, dem der Kläger am 20.08.1999 ausgesetzt war, und den bestehenden Gesundheitsstörungen, lässt sich demnach unter Berücksichtigung des medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herstellen. Prof. Dr. F. hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass ein unfallunabhängiger, schicksalhafter Hörsturz mit anschlie­ßendem Tinnitus in der Bevölkerung sehr häufig ist.

Wann genau der Kläger das Ohrgeräusch bemerkt hat, kann danach letztlich offenblei­ben, weshalb es auch einer Vernehmung seiner Ehefrau nicht bedurfte. Ihre Angabe in der eidesstattlichen Versicherung steht zwar den Angaben entgegen, die der Kläger bei Prof. Dr. F. und auch gegenüber Dr. A. sowie gegenüber dem TAD ge­macht hat; dort hat er jeweils eindeutig auf konkrete Nachfrage geäußert, das Ohrge­räusch erst am Montag bzw. einige Tage nach dem Testrennen bemerkt zu haben. Dies wird dadurch untermauert, dass er erst am 15.10.1999 einen HNO-Arzt aufgesucht hat. Eine zeitliche Verzögerung des Auftretens von Ohrgeräuschen spricht - auch nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft - gegen einen Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Gesundheitsschaden. Dies kann aber dahinstehen, denn selbst dann, wenn ein Ohrgeräusch direkt am Abend des 20.08.1999 unterstellt wird, ist nach den zuvor ge­machten Ausführungen ein Zusammenhang insbesondere mangels feststellbarer unmit­telbarer Hörminderung nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Zum Beweis für eine schon am 20.08.1999 bestehende Hörminderung ist die Ehefrau des Klägers aber nicht als Zeugin benannt worden.

Die am 20.08.1999 in H. erstellten Film-Aufnahmen des Testrennens sind schließ­lich unerheblich, da daraus keine Rückschlüsse auf die konkrete Höhe des tatsächlichen Schallpegels und ggf. Abweichungen zu den bereits vorliegenden (Vergleichs­Messungen gezogen werden können. Dasselbe gilt für die beantragte Vernehmung des Zeugen R.. Dass die Angabe des Klägers, die Vorbeifahrt eines Formel 1- Rennwagens in etwa 10 bis 20 Meter Entfernung müsse als äußerst laut empfunden wer­den, zutreffend ist, unterstellt der Senat.

 

  1. Ist damit ein Zusammenhang zwischen dem akuten Lärm, dem der Kläger am 20.08.1999 ausgesetzt war, und seinen Gesundheitsstörungen nicht hinreichend wahr­scheinlich zu machen, liegen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Ar­beitsunfalls gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII nicht vor. Mangels Versicherungsfalls besteht auch kein Anspruch auf eine Verletztenrente (§ 56 SGB VII).
  2.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
  3.  Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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