S 22 AL 410/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 22 AL 410/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 105/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

T a t b e s t a n d :


Der Rechtsstreit wird um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches wegen Entlassungsentschädigung streitig.

Die am XX.XX.XXXX geborene Klägerin war seit 01.08.1988 zunächst bei der Firma  P. GmbH, später - nach Betriebsübergang - bei der Firma D. GmbH beschäftigt. Wegen eines vom bisherigen Arbeitgeber angekündigten Personalabbaus suchte sie frühzeitig nach einer neuen Arbeitsstelle. Am 23.12.2019 schloss sie einen Arbeitsvertrag beim I. e.V., wonach sie zunächst ab dem 01.01.2020 im Rahmen einer Nebentätigkeit von 8 Stunden pro Woche eingearbeitet werden sollte. Zum 01.04.2020 sollte dieser Arbeitsvertrag nach den mündlichen Absprachen vereinbarungsgemäß auf Vollzeit aufgestockt werden und die Vergütung entsprechend der verabredeten Bereichsleiterposition angehoben werden. Am 06.02.2020 schloss die Klägerin mit ihrem bisherigen Arbeitgeber gegen Entlassungsentschädigung in Höhe von 187.603,92 EUR einen Aufhebungsvertrag zum 30.09.2020 bei sofortiger Freistellung von der Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt betrug die ordentliche Kündigungsfrist für den Arbeitgeber sieben Monate zum Monatsende. Der Aufhebungsvertrag enthielt unter § 3 eine sogenannte "Turbo-Klausel". Danach kann der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auch vor Ablauf des vereinbarten Zeitpunktes beenden. Er erhält dann zusätzlich zur Abfindung noch 50% derjenigen Bruttovergütung, die er bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hätte beanspruchen können.

Die Klägerin vereinbarte mit ihrem bisherigen Arbeitgeber wegen der vom neuen Arbeitgeber mündlich zugesagten Bereichsleiterstelle unter Berufung auf die "Turbo-Klausel" eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrages bereits zum 31.03.2020. Sie erhielt dadurch insgesamt eine Entlassungsentschädigung in Höhe von 207.303,290 EUR. Im zeitlichen Kontext der beginnenden Corona-Pandemie sprach der neue Arbeitgeber jedoch sodann noch während der Probezeit die Kündigung der Nebentätigkeit zum 30.04.2020 aus. Die mündlich zugesagte Erhöhung auf eine Vollzeitstelle erledigte sich dadurch ebenfalls.

Am 01.04.2020 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld bei der Beklagten. Dieses wurde ab 01.10.2020 mit kalendertäglich 64,66 EUR vorläufig bewilligt.

Mit Bescheid vom 08.06.2020 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruches vom 01.04.2020 bis 30.09.2020 fest. Die Klägerin habe eine Entlassungsentschädigung erhalten und die ordentliche Kündigungsfrist sei verkürzt worden.

Im dagegen erhobenen Widerspruch berief sich die Klägerin darauf, dass sie bei Abschluss des Aufhebungsvertrages bzw. bei Inanspruchnahme der "Turbo-Klausel" nicht damit habe rechnen können, dass sie arbeitslos werde. Außerdem hätte sie im vorliegenden Fall die Entlassungsentschädigung auch dann erhalten, wenn die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten worden wäre.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf die Gründe, aus denen das Arbeitsverhältnis beendet worden sei, komme es nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht an. Es sei auch unerheblich, ob die Klägerin auf eine neue Beschäftigung vertraut habe. Bei Einhaltung der Kündigungsfrist hätte das Arbeitsverhältnis mit dem vormaligen Arbeitgeber noch bis zum 30.09.2020 gedauert. Der Aufhebungsvertrag habe diese Frist verkürzt.

Am 22.12.2020 hat die Klägerin beim Sozialgericht Nürnberg Klage erhoben. Sie begehrt die Aufhebung des Ruhens und Arbeitslosengeld auch im Zeitraum 01.04.2020 bis 30.09.2020 nebst Zinsen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass es Zweck der Regelung in § 158 SGB III sei, Doppelleistungen und Manipulationsmöglichkeiten zu vermeiden. Die Abfindung habe sie - anders als vom Gesetz vorgesehen - nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erhalten. Vielmehr hätte sie unabhängig von der verkürzten Kündigungsfrist eine Entlassungsentschädigung erhalten. Dieser Fall sei nicht von § 158 SGB III erfasst.

 

Die Klägerin beantragt:

1. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 08.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 15.06.2020 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.09.2020 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe samt Zinsen nach § 44 SGB I zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Widerspruchsbescheid bereits gegebene Begründung.
Das Gericht hat die Beteiligten unter Fristsetzung zu der beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört. Die Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.

 


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach vorheriger Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt durch Beiziehung der Verwaltungsakte geklärt ist.

Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 08.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020, mit dem die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruches bei Erhalt einer Entlassungsentschädigung festgestellt hat.

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 SGG). Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

Die Klage ist nicht begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Der Arbeitslosengeldanspruch hat im Zeitraum 01.04.2020 bis 30.09.2020 geruht.

Rechtsgrundlage für das Ruhen ist § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Danach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte, wenn die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist.

Die Klägerin hat unstreitig eine Entlassungsentschädigung in Höhe von 207.303,290 EUR von ihrem bisherigen Arbeitgeber erhalten. Sie hat die ordentliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende dadurch verkürzt, dass sie am 17.02.2020 von der "Turbo-Klausel" Gebrauch gemacht und das eigentlich noch bis 30.09.2020 laufende Arbeitsverhältnis bereits zum 31.03.2020 beendet hat. Damit sind die Voraussetzungen von § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt.

Die Klägerin kann dem nicht entgegenhalten, dass § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei. Nach Auffassung der Kammer ruht der Leistungsanspruch auch dann, wenn die Entlassungsentschädigung nicht (alleine) wegen der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsvertrages, sondern - aus sozialen Gründen - auch bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ebenfalls gezahlt worden wäre. Zum einen hätte die Klägerin nach der Vereinbarung im Aufhebungsvertrag bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nur eine Entlassungsentschädigung in Höhe von 187.603,92 EUR und damit deutlich weniger erhalten. Damit ist zumindest ein Teil der Entlassungsentschädigung nur wegen der vorzeitigen Beendigung angefallen. Zum anderen beschränkt sich die Kausalität in § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht auf die Frage, ob die Abfindung nur wegen der vorzeitigen Beendigung zu zahlen war. Anknüpfungspunkt für die Erfüllung des Ruhenstatbestandes ist vielmehr allein die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers (vgl. BSG, Urteil vom 21. September 1995 - 11 RAr 23/95 -, juris zur Vorgängerreglung in § 117 AFG in der Fassung vom 23.07.1996). Es sind somit auch Abfindungszahlungen zu berücksichtigen, die bei Einhaltung der Kündigungsfrist gezahlt worden wären (so auch Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 158 SGB III, Stand: 15.01.2019, Rn. 23 unter Verwies auf Siefert in: Mutschler/Schmidt-De Calue/Coseriu, SGB III, § 158 SGB III Rn. 24 f.; Brand/Düe, 8. Aufl. 2018, SGB III § 158 Rn. 15). Soweit in der rechtswissenschaftlichen Literatur vor vielen Jahren auch eine abweichende Meinung vertreten worden ist (so z.B. Gagel/Bender, 81. EL Februar 2021, SGB III § 158 Rn. 41 f.), ist das BSG dem in der o.g. Entscheidung nicht gefolgt. Die Kammer schließt sich dem BSG an, denn Hauptgrund für das Ruhen nach § 158 SGB III ist die unwiderlegbare Unterstellung des Gesetzgebers, dass ein Teil der gezahlten Entlassungsentschädigung wegen der verkürzten Kündigungsfrist Arbeitsentgelt enthält. Dies war hier im Übrigen ohne Zweifel der Fall, denn die Entlassungsentschädigung enthielt wegen der vorzeitigen Beendigung einen Anteil für das nicht mehr in Anspruch genommene Arbeitsentgelt.

Hinsichtlich der Ruhensdauer (die nicht streitig war) wird auf die richtigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid verwiesen, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 136 Abs. 3 SGG von einer Darstellung in den Entscheidungsgründen abgesehen wird.

Im Ergebnis hatte die Klage keinen Erfolg und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gegen diesen Gerichtsbescheid findet gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrung statt.

 

 

Rechtskraft
Aus
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