S 11 BA 59/23 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 11 BA 59/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zur Abwägung des Aufschubinteresses gegenüber dem Vollzugsinteresse bei einem Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Eine drohende Insolvenzgefahr für das Unternehmen des Antragstellers steht dem Vollzugsinteresse zur Durchsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Geschäftsbetrieb inzwischen eingestellt wurde.


I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.


II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.


III. Der Streitwert wird auf 14.682,27 EUR festgesetzt.


G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid vom 14.12.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2022.

Die Antragsgegnerin erließ nach Anhörung der Antragstellerin im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV für den Prüfzeitraum 01.01.2014 - 31-12.2017 einen Beitragsbescheid mit einer Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von 59.107,76 EUR. Die Antragsgegnerin führte aus, verschiedene Personen hätten im Prüfzeitraum gegen Rechnung als Trainer bzw. Kursleiter gearbeitet, teilweise nach festen Stundensätzen und häufig für 0,47 EUR pro Minute. Sie seien von der Antragstellerin als freie Mitarbeiter behandelt worden, sodass keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Gleiches gelte für Rezeptionsdienste verschiedener Personen sowie für eine Promoterin. Nach der Betriebsprüfung sei festzustellen, dass die Tätigkeiten der Kursleiter/innen und Trainer/innen nicht im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausgeführt wurden. Sie seien nach einem fest vereinbarten Stunden- oder Minutensatz unabhängig von der Teilnehmerzahl bezahlt worden. Die Arbeitsmittel seien von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellt worden. Die Dienste der Kursleiter/innen, Trainer/innen würden nach allem das typische Bild von Beschäftigten vermitteln. Auch die Rezeptionisten seien in einen fremdbestimmten Betriebsablauf eingebunden gewesen. Auch ein unternehmerisches Verlustrisiko sei nicht erkennbar. Die Rezeptionisten hätten einen festen Stundenlohn erhalten, eigener Kapitaleinsatz sei auch für die Promoterin nicht erforderlich gewesen. Diese habe auch keine eigenen Geschäftsräume bzw. eigenes Personal unterhalten. Werbemittel wie Flyer habe die Antragstellerin zur Verfügung gestellt. Insgesamt seien daher Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

Die Antragstellerin legte gegen den Bescheid vom 14.12.2020 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde mitgeteilt, dass der Widerspruch gegen die Nachforderung bzgl. der Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge zurückgenommen werde. Der Widerspruch wurde dann mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2022 zurückgewiesen.

Am 05.12.2022 hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht München erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 11 BA 247/22 anhängig ist.

Mit Schreiben vom 12.03.2023 wurde Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gestellt und zur Begründung u.a. ausgeführt, zum einen seien die im streitgegenständlichen Bescheid genannten Personen als Selbständige tätig gewesen. Zum anderen würde die sofortige Vollziehung eine unbillige Härte gegenüber der Antragstellerin darstellen. Die Antragstellerin sei im Falle der sofortigen Vollziehung der Beitragsforderung unverzüglich zur Anmeldung der Insolvenz gezwungen, da das vorhandene Vermögen der Antragstellerin nicht zur Begleichung der Forderung ausreiche. Im Übrigen habe die Antragstellerin den Geschäftsbetrieb im Jahre 2017 eingestellt, sie existiere lediglich noch als Rechtssubjekt zur Abwicklung der streitgegenständlichen Betriebsforderung. Zwar sei mit der Einzugsstelle T. Krankenkasse eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen worden. Durch die Gewährung von Stundungen durch die Einzugsstellen würde lediglich ein rechtlicher Schwebezustand eintreten, der jederzeit dazu führen könne, dass die Antragstellerin wieder Vollstreckungsmaßnahmen und daraus folgender Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wäre. Im Übrigen würden Teilzahlungsvereinbarungen unweigerlich zu Insolvenzverfahren führen. Die Antragsgegnerin hat hierzu u.a. ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin durch die Vollziehung der Beitragsforderung Nachteile entstehen könnten, die über die eigentliche Zahlung hinausgingen und nicht oder nur noch schwer wiedergutgemacht werden könnten. Soweit eine drohende Insolvenz im Falle der sofortigen Vollziehung der Beitragsforderung geltend gemacht würde, könne sich die Antragstellerin mit der jeweiligen Einzugsstelle um geeignete Zahlungsmodalitäten bemühen.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Bescheides vom 14.12.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2022 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Beigezogen waren die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

II.

Das Sozialgericht München ist als das Gericht der Hauptsache örtlich zuständig. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 14.12.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2022 ist gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 86a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch im Übrigen zulässig.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen der Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen und ob die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG verlagert das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten. Es können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend hierfür ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids spricht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.07.2016 - L 8 R 977/15 B ER m.w.N., BayLSG, Beschluss vom 17.09.2020 - L 14 BA 78/20 B ER). Das Interesse der Antragsgegnerin an einer sofortigen Vollziehung ihrer Beitragsforderung ist dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung bis zur endgültigen Klärung des Rechtstreits gegenüber zu stellen. Dabei hat das Gericht nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gebotenen pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage nach dem Inhalt der Akten zu entscheiden und eine Interessenabwägung zu treffen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen nur, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, da eine gerichtliche Entscheidung das Regel-Ausnahme-Verhältnis und die darin zum Ausdruck kommende gesetzliche Risikoverteilung zu Lasten der Betroffenen unterliefe, würde das Gericht die Vollziehung bereits dann aussetzen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. BayLSG, Beschluss vom 18.03.2020 - L 14 BA 20/20 B ER m.w.N.). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss daher eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Auflage 2020, § 86b RdNr. 12c).

Nach summarischer Prüfung und Berücksichtigung des Akteninhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass nach der derzeitigen Klage der Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2022 nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid nach Auswertung der Fragebögen zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der im Bescheid genannten Personen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung dargelegt, aus welchen Gründen sie die im Bescheid genannten Personen als abhängig Beschäftigte bei der Antragstellerin ansieht. Nach summarischer Prüfung ist eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Nachforderungsbescheides nicht zu erkennen.

Im Übrigen wird das Gericht im Hauptsacheverfahren S 11 BA 247/22 die Argumente der Antragstellerin prüfen und würdigen.

Bei der Interessenabwägung sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin, insbesondere eine unbillige Härte, zu prüfen. Eine unbillige Härte liegt dann vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können (BayLSG vom 18.03.2020 - L 14 BA 20/20 B ER).

Allein die mit einer Zahlung auf eine Beitragsforderung verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht grds. zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung der gesetzlich auferlegten Pflichten sind (BayLSG vom 17.09.2020 - L 14 BA 78/20 B ER).

Die Antragstellerin hat hierzu vorgetragen, durch eine Vollziehung des Beitragsbescheides müsse sie Insolvenzantrag stellen. Hierzu ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin vorgetragen hat, den Geschäftsbetrieb bereits 2017 eingestellt zu haben. Die Geltendmachung einer unbilligen Härte wegen drohender Insolvenz erfordert die Darlegung und Glaubhaftmachung des Beitragsschuldners, etwa bei der Fortsetzung seines Geschäftsbetriebes und Einhaltung aller rechtlichen Bestimmungen in der Lage zu sein, derart rentabel zu wirtschaften, dass die noch offene Beitragsforderung in überschaubarer Zeit beglichen werden kann (vgl. LSG NRW vom 22.02.2022 - L 8 BA 161/20 B ER m.w.N.). Da der Geschäftsbetrieb ruht, ist nicht ersichtlich, inwieweit die Antragstellerin zukünftig in der Lage sein soll, derart rentabel zu wirtschaften, dass die noch offene Beitragsforderung in überschaubarer Zeit beglichen werden kann.

Mit einer Einzugsstelle, der T. Krankenkasse, wurde bereits eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen. Ggf. können auch mit den anderen Einzugsstellen Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen werden.

Unter Abwägung der Erfolgsaussichten einerseits und den Interessen der Antragstellerin andererseits kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

Eine Beiladung war für das Antragsverfahren nicht erforderlich. Zwar sind grundsätzlich auch die im Bescheid genannten Personen sowie auf Antrag die Einzugsstellen am Verfahren zu beteiligen, im Antragsverfahren ist jedoch nach herrschender Meinung eine Beiladung nach § 75 SGG nicht geboten (vgl. auch BayLSG vom 30.07.2012 - L 5 R 267/12 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 HS. 1 Alternative 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 4 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 5. Auflage 2017, A Abs. III, Nr. 10.2. Bei der Festsetzung des Streitwertes orientiert sich das Gericht an der Rechtsprechung, wonach im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes regelmäßig ein Streitwert in Höhe von 1/4 des Wertes der Hauptsache (1/4 von 58.729,08 EUR) anzusetzen ist (vgl. BayLSG vom 18.03.2020, L 14 BA 20/20 B ER).

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved