Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.09.2021 geändert.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2020 verurteilt, ab dem 01.01.2022 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen iHv 43 % der Bezugsgröße zu übernehmen.
Die Beklagte hat der Klägerin in beiden Instanzen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Altersvorsorgebeiträge für ihre Pflegeperson, die Beigeladene, ab dem 01.01.2022.
Die 1933 geborene Klägerin ist verwitwet. Sie bezieht von der Beklagten Grundsicherung nach dem SGB XII. Über anzurechnendes Einkommen und Vermögen verfügt sie nicht. Die Klägerin ist nicht pflegeversichert, bei ihr liegen seit dem 09.11.2015 die Voraussetzungen der Pflegestufe I und ab dem 10.04.2019 die des Pflegegrades 3 vor. Die Beklagte bewilligt der Klägerin entsprechendes Pflegegeld. Pflegeperson ist die durch den Senat beigeladene Tochter, sie pflegt die Klägerin täglich zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Abend. Ein Pflegedienst ist nicht im Einsatz.
Die 1959 geborene Beigeladene bezieht eine Rente aus Moldawien iHv monatlich ca. 45 €. Sie ist nicht erwerbstätig und nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Bei der DRV besteht eine Rentenanwartschaft. Die Regealtersrente hieraus wird am 01.06.2025 voraussichtlich monatlich 175 € betragen. Der Ehemann der Beigeladenen arbeitete zunächst in Vollzeit als Industrie-Elektroniker. Er bezieht seit dem 02.05.2022 eine Rente aus Moldawien iHv monatlich ca. 90 € und ab dem 01.10.2022 eine Rente von der DRV iHv monatlich 598,33 €. Der Ehemann arbeitet jetzt nur noch in Teilzeit und verdient ca. 1.500 € netto. Die Beigeladene ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Eigentümerin einer schuldenfreien Eigentumswohnung. Eine weitere Altersvorsorge haben die Eheleute nicht.
Den Antrag der Klägerin auf Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen für die Beigeladene vom 25.04.2018 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2019 ab. Es handele sich nicht um angemessene Beiträge iSd § 64f Abs. 1 SGB XII. Die Beigeladene erreiche das Rentenalter im Juni 2025. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt noch Anwartschaften erwerben könne, mit denen sie – auch unter Berücksichtigung der Rente des Ehemannes – ihren Lebensunterhalt unabhängig von Leistungen der Sozialhilfe bestreiten könne. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2020 zurück. Es sei nicht angemessen, aus Mitteln der Sozialhilfe wenige Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Aufstockung zu der geringen Rentenanwartschaft der Beigeladenen zu leisten.
Die Klägerin hat am 27.01.2020 Klage erhoben. Es sei keine Voraussetzung für die Übernahme von Beiträgen, dass dadurch eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus erreicht werde.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2020 zu verurteilen, die Aufwendungen für die Beiträge ihrer Pflegeperson H. Q. für eine angemessene Alterssicherung zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht hat die Beigeladene und ihren Ehemann als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 09.10.2020 und 17.09.2021 verwiesen.
Mit Urteil vom 17.09.2021, der Klägerin zugestellt am 27.09.2021, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es bestehe bereits eine angemessene Alterssicherung der Beigeladenen. Insoweit seien auch die Ansprüche des Ehemanns zu berücksichtigen. Beide zusammen hätten Rentenanwartschaften iHv knapp 1.000 €, dem stehe ein Bedarf iHv 1.192 € gegenüber. Die Deckungslücke könne mit der moldauischen Rente des Ehemannes und ggfs. mit Wohngeld geschlossen werden. Darüber hinaus entspreche die Übernahme von Rentenbeiträgen auch nicht dem Sinn und Zweck des § 64f SGB XII, der darin liege, Personen zu unterstützen, die aufgrund ihrer Pflegetätigkeit nicht mehr bzw. nur noch in geringerem Umfang erwerbstätig sein könnten. Die Beigeladene sei keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, obwohl ihr dies möglich gewesen sei.
Die Klägerin hat am 06.10.2021 Berufung eingelegt. Eine Auslegung des § 64f SGB XII dahingehend, dass mit den Beiträgen einerseits eine Rente über Sozialhilfeniveau erzielt werden müsse, andererseits aber eine anderweitige Bedarfsdeckung dem Beitragsanspruch entgegenstehe, führe dazu, dass die Vorschrift praktisch keinen Anwendungsbereich habe, was nicht im Sinne des Gesetzgebers sei. Zudem sei es nicht gerechtfertigt, Personen, die Pflegebedürftige ohne Pflegeversicherung pflegen, schlechter zu behandeln, als Personen, die Pflegebedürftige mit einer Pflegeversicherung pflegen und bei denen die Altersvorsorgebeiträge ohne weitere Voraussetzungen übernommen würden. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, ihr Pflegerisiko durch die gesetzliche Pflegeversicherung abzusichern, da sie erst im Rentenalter nach Deutschland gekommen sei.
Die Klägerin hat den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens im Hinblick auf die Frist zur Annahme freiwilliger Beiträge durch die gesetzliche Rentenversicherung gem. § 197 Abs. 2 SGB VI auf den Zeitraum ab dem 01.01.2022 beschränkt. Für den Zeitraum ab der Antragstellung haben sich die Klägerin und die Beklagte einer rechtskräftigen Entscheidung in diesem Verfahren unterworfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.09.2021 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 07.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2020 zu verurteilen, ab dem 01.01.2022 die Aufwendungen für die Beiträge ihrer Pflegeperson H. Q. für eine angemessene Alterssicherung zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Ein Anspruch auf Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen bestehe nicht.
Der Senat hat die Tochter der Klägerin mit Beschluss vom 16.02.2023 gem. § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 07.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2020 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der Beiträge für die angemessene Alterssicherung der Beigeladenen.
Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Beigeladenen, den die Beklagte mit dem Bescheid vom 07.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2020 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den Streitgegenstand des Verfahrens auf den Zeitraum ab dem 01.01.2022 beschränkt. Sie macht ihren Anspruch zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) geltend.
Der Anspruch ist auf die Zahlung von freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung gerichtet. Über eine andere Altersvorsorgeform verfügt die Beigeladene nicht, ihr Antrag war von Beginn an auf eine Aufstockung der Rentenanwartschaft bei der DRV gerichtet. Die Beigeladene ist zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB VI berechtigt, Ausschlussgründe liegen nicht vor. Gem. § 197 Abs. 2 SGB VI können Beiträge zur freiwilligen Versicherung noch für Zeiten ab dem 01.01.2022 gezahlt werden. Ob für frühere Zeiten – ggfs. wegen unzureichender Beratung der Beigeladenen durch die Beklagte – noch Beiträge nachgezahlt werden können, ist nach Abschluss eines Unterwerfungsvergleichs und der Beschränkung des Klageantrags auf Zeiten ab dem 01.01.2022 nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Beiträge für eine Altersvorsorge der Beigeladenen gem. § 64f Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift sind zusätzlich zum Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Es handelt sich um einen Anspruch der hilfebedürftigen gepflegten Person selbst und nicht der Pflegeperson, diese ist lediglich im Sinne eines Rechtsreflexes Nutznießer der gesetzlichen Regelung (BSG Urteil vom 02.02.2012 – B 8 SO 15/10 R). Die Klägerin verfügt nicht über anzurechnendes Einkommen oder Vermögen iSd § 19 Abs. 3 SGB XII.
Voraussetzung ist weiterhin, dass die pflegebedürftige Person zumindest den Pflegegrad 2 hat. Dies ergibt sich aus § 63 Abs. 1 Nr. 1f SGB XII. Nach dieser Vorschrift umfasst die Hilfe zur Pflege für Pflegebedürftige, die mindestens den Pflegegrad 2 aufweisen, auch das Pflegegeld nach § 64a SGB XII. Die hier streitigen Aufwendungen für eine angemessene Alterssicherung werden nach § 64f Abs. 1 SGB XII „zusätzlich zum Pflegegeld“ bewilligt, setzen also einen Anspruch auf Pflegegeld, mithin den Pflegegrad 2 voraus (so auch Meßling in: jurisPK-SGB XII § 64f Rn. 16). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Bei der Klägerin liegen im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für den Pflegegrad 3 vor. Sie bezieht Pflegegeld nach § 64a SGB XII und die Beigeladene ist ihre einzige Pflegeperson.
Eine angemessene Alterssicherung der Beigeladenen ist nicht anderweitig sichergestellt. Diese Voraussetzung bezieht sich auf eine anderweitige Altersvorsorge während der Pflegetätigkeit. Eine anderweitige Sicherstellung iS dieser Vorschrift ist nur gegeben, wenn während der Pflegetätigkeit ein anderweitiger Aufbau einer Alterssicherung, beispielsweise aufgrund einer Beschäftigung, eines Dienstverhältnisses als Beamter/Beamtin oder durch Kindererziehungszeiten, stattfindet. Nicht relevant ist – insoweit entgegen der Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG (BVerwG Urteil vom 10.09.1992 – 5 C 25/88) –, ob die Pflegeperson bereits vor der Pflegetätigkeit eine anderweitige Alterssicherung aufgebaut hatte. Diese Rechtsprechung ist zu einer Zeit ergangen, in der die gesetzliche Pflegeversicherung noch nicht eingeführt war und Altersvorsorgebeiträge für Pflegepersonen – ebenso wie das Pflegegeld selbst – ausschließlich aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert wurden. Mittlerweile ist § 44 SGB XI in Kraft. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI erfolgt zur Förderung von Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegen (§ 19 Satz 1 SGB XI), eine Übernahme von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Zweck der Übernahme der Altersvorsorgebeiträge besteht im Fall des § 44 SGB XI darin, die Pflegebereitschaft im häuslichen Bereich zu fördern und den hohen Einsatz der Pflegepersonen anzuerkennen (Behrend in JurisPK SGB XI § 44 Rn. 31 mwN). Auch der Zweck von § 64f Abs. 1 SGB XII liegt darin, einen Anreiz für die nicht erwerbsmäßige Pflege im häuslichen Bereich durch Personen aus dem persönlichen Umfeld zu geben (LSG Hessen Urteil vom 05.07.2017 – L 4 SO 139/16). Für die soziale Schutzbedürftigkeit der Pflegeperson, die Anreizwirkung zur Übernahme einer nicht erwerbsmäßigen Pflegetätigkeit und die mit der Beitragszahlung verbundene notwendige Anerkennung ist es unerheblich, ob die pflegebedürftige Person das Pflegegeld aus Mitteln der Pflegeversicherung oder der Sozialhilfe erhält. Deshalb ist diese Begünstigung auch Pflegebedürftigen zukommen zu lassen, die keinen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Pflegversicherung begründet haben. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BVerwG ist durch die Einführung von § 44 SGB XI als überholt anzusehen. Der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) wird dadurch gewahrt, dass es sich bei dem Anspruch auf Übernahme der Altersvorsorgeaufwendungen um einen Anspruch der pflegebedürftigen Person selbst handelt, die ihrerseits bedürftig sein muss.
Der angestrebte Anreiz erfordert, dass aus Sicht der Pflegeperson die Pflegetätigkeit für die Alterssicherung relevant ist und nicht auf deren Kosten geht. Die Anreizwirkung ist nur dann obsolet, wenn unabhängig von der Pflegetätigkeit eine anderweitige Alterssicherung aufgebaut wird, diese der Alterssicherung also nicht schadet. Auch nach der Regelung in § 44 Abs. 1 SGB XI wird eine Beitragsübernahme nur dann ausgeschlossen, wenn die Pflegeperson regelmäßig mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Dadurch lässt der Gesetzgeber erkennen, dass er eine Absicherung der Pflegeperson immer für erforderlich hält, wenn diese nicht bereits in einem gewissen Umfang aufgrund einer anderweitigen Versicherungspflicht besteht. Das ist bei der Beigeladenen im streitigen Zeitraum nicht der Fall.
Aber auch, wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – zur Prüfung der anderweitigen angemessenen Alterssicherung auf die bisher erworbene Alterssicherung abstellen würde, wäre diese für die Beigeladene nicht sichergestellt. Mit der Rente aus Moldawien iHv monatlich ca. 45 € und der zu erwartenden Rente von der DRV iHv monatlich 175 € kann die Beigeladene ihren notwendigen Lebensunterhalt im Alter nicht bestreiten, da noch nicht einmal der monatliche Regelbedarf nach § 27a Abs. 2 SGB XII gedeckt wird. Die Renteneinkünfte des Ehemannes sind – auch insoweit abweichend von der erwähnten Rechtsprechung des BVerwG – bei der Beurteilung einer anderweitigen Absicherung im Alter in keinem Fall zu berücksichtigen. Für die anderweitige Absicherung im Alter kommt es nur auf die eigenen Einkünfte bzw. das eigene Vermögen der Pflegeperson an. Da es sich bei Pflegepersonen überwiegend um Frauen handeln dürfte, dürfte ein Ausschluss von der Beitragszahlung im Hinblick auf eine Absicherung durch den Ehemann eine unzulässige mittelbare Diskriminierung von Frauen (dazu eingehend BSG Urteil vom 15.11.1995 – 7 Rar 106/94) darstellen. Denn eine de facto typischerweise von Frauen ausgeübte Tätigkeit würde unter Zugrundelegung der überkommenen Rechtsprechung des BVerwG – anders als abhängige Beschäftigungen – nicht zu einer eigenständigen, vom Partner unabhängigen Alterssicherung führen. Abschließend brauchte der Senat die diesen Überlegungen zugrunde liegende statistische Annahme nicht zu klären, da es – wie dargelegt – nach seiner Auffassung ohnehin nicht auf die bereits aufgebaute Altersversorgung ankommt.
Nicht erforderlich ist zudem, dass durch die Zahlung der Beiträge eine Altersvorsorge erreicht wird, die im Alter die Inanspruchnahme von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung) überflüssig macht (so aber auch insoweit abweichend BVerwG Urteil vom 22.03.1990 – 5 C 40/86, dem folgend LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19.04.2010 – L 20 SO 44/08; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.07.2022 – L 7 SO 3983/20; Meßling in: jurisPK-SGB XII § 64 Rn. 21). Der Wortlaut der Vorschrift enthält eine entsprechende Einschränkung nicht. Der Sinn und Zweck von § 64f Abs. 1 SGB XII besteht nicht darin, zu vermeiden, dass die Pflegeperson wegen der von ihr übernommenen Pflege und der möglicherweise dadurch versäumten Altersvorsorge im Alter in die Sozialhilfeabhängigkeit fällt (so aber LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.07.2022 – L 7 SO 3983/20). Die Klägerin macht zu Recht geltend, dass § 64f Abs. 1 SGB XII weitgehend leerlaufen würde, wenn eine Beitragszahlung sowohl dann ausscheiden würde, wenn eine bedarfsdeckende Altersvorsorge bereits anderweitig gesichert ist als auch dann, wenn mit der Beitragszahlung Sozialhilfebedürftigkeit nicht vermieden würde.
Das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit erfordert eine angemessene Relation zwischen dem der Pflegeperson entstehenden Aufwand und der dadurch erarbeiteten Alterssicherung. Die Höhe des Anspruchs folgt damit aus einer analogen Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (so auch LSG Hessen Urteil vom 05.07.2017 – L 4 SO 139/16). Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Beitragszahlung gem. § 64f Abs. 1 SGB XII ist geboten. Das SGB XII enthält insoweit eine unbeabsichtigte Regelungslücke, da eine Regelung zur Beitragshöhe im SGB XII nicht vorhanden ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zu schließen. Zwar ist es verfassungsrechtlich aus Gleichheitsgründen (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht geboten, das auf Sozialversicherungsbeiträgen beruhende System des SGB XI vollständig auf das SGB XII zu übertragen. Es liegt vielmehr in der grundsätzlichen sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, steuerfinanzierte Existenzsicherungssysteme anders zu regeln (BSG Urteil vom 02.02.2012 – B 8 SO 15/10 R). Eine Analogiefähigkeit folgt jedoch daraus, dass der Gesetzgeber die Höhe des Pflegegeldes im Rahmen der Hilfe zur Pflege so festgelegt hat wie im SGB XI, indem § 64a Abs. 1 SGB XII auf § 37 SGB XI verweist. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber festgelegt, welche Beitragshöhe für die Pflegetätigkeit als angemessen anzusehen ist. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, aus Mitteln der Sozialhilfe zwar das gleiche Pflegegeld, nicht aber gleichhohe Beiträge zur Alterssicherung der Pflegeperson zuzubilligen, ist nicht ersichtlich. Auch die durch die Vorschrift beabsichtigte Anreizwirkung spricht für eine analoge Anwendung, da nicht anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber einen stärkeren Anreiz setzen wollte, pflegeversicherte Personen zu pflegen, als bloß sozialhilfeberechtigte Personen. Gleichzeitig dient die Vorschrift der Verwaltungsvereinfachung, indem nicht der tatsächliche Zeitaufwand der Pflege für die Bemessung der Beiträge zugrunde gelegt wird, sondern je nach Pflegegrad ein pauschalierter Anteil der Bezugsgröße (LSG Hessen Urteil vom 05.07.2017 – L 4 SO 139/16). Wenn man den Zeitaufwand zugrunde legen wollte, wäre dies für die Behörden mit einem erheblichen Aufwand verbunden. denn die Sozialhilfeträger müssten den Zeitaufwand der Pflege allein für die Bemessung der Beiträge zur Alterssicherung separat ermitteln.
Gegen die entsprechende Anwendung des § 44 SGB IX spricht nicht, dass es aus sozialhilferechtlicher Sicht schwer erklärbar wäre, warum verschiedene Pflegegrade – bei möglicherweise kaum unterscheidbarem Zeitaufwand – unterschiedliche Altersrentenbeiträge nach sich ziehen sollen und das Anknüpfen an die Stundenzahl und der Vergleich mit einer professionellen Pflegekraft sachgerechter erscheine (so aber Meßling in: jurisPK-SGB XII§ 64f Rn. 12; dem folgend Palsherrn in LPK-SGB XII, 12. Aufl. § 64f Rn. 11). Der Leistungsbewilligung nach dem SGB XII werden in vielen Fällen Pauschalen zugrunde gelegt, so zB beim Regelsatz (§ 27a Abs. 3 SGB XII), den pauschalierten Mehrbedarfen (§ 30 SGB XII), der Möglichkeit, die Unterkunftskosten zu pauschalieren (§ 35 Abs. 4 SGB XII) und nicht zuletzt bei dem Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII, das ebenfalls um eine Pauschalleistung darstellt. Offen bleiben kann, ob etwas anderes gilt, wenn die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB XI nicht erfüllt sind, etwa weil die Pflegeperson nicht mindestens zehn Stunden/ Woche pflegt oder nicht die Möglichkeit hat, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung einzuzahlen. Im vorliegenden Fall erfüllt die Pflegeperson die Voraussetzungen, denn sie pflegt die Klägerin im Umfang von 28 Stunden/Woche, ist nicht erwerbstätig und hat bereits eine Rentenanwartschaft erworben, die sie durch freiwillige Beiträge aufstocken kann.
Die Klägerin hat daher ab dem 01.01.2022 einen Anspruch auf Übernahme der Beiträge ihrer Pflegeperson zur gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage von beitragspflichten Einnahmen iHv 43% der Bezugsgröße. Es handelt sich um einen gebundenen Anspruch, ein Ermessen des Beklagten besteht nicht. Der Umstand, dass die für die Beigeladene während der Pflegtätigkeit bislang noch keine Beiträge gezahlt worden sind, steht ungeachtet der Verwendung des Begriffs „erstatten“ in § 64f Abs. 1 SGB XII einem Anspruch nicht entgegen (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.07.2022 – L 7 SO 3983/20; Meßling in: jurisPK-SGB XII § 64f Rn. 26).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).