L 5 P 11/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 3 P 227/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 11/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 8/23 AR
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.11.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt die Zahlung von Pflegegeld für die Zeit von 2002 – 2016.

 

Die Beklagte bewilligte dem am 00.00.1964 geborenen, bei ihr pflegeversicherten Kläger auf dessen im Februar 2017 gestellten Antrag hin (in Ausführung des in dem vor dem Sozialgericht Dortmund geführten Verfahren S 54 P 183/17 angenommenen Anerkenntnisses vom 25.07.2018) ab dem 01.02.2017 Pflegegeld unter Zugrundelegung des Pflegegrades 3 (Bescheid vom 22.08.2018).

 

Der Kläger hat am 07.01.2019 vor dem Sozialgericht Dortmund (erneut) Klage erhoben und zunächst eine Pflegegeldnachzahlung für die Zeit von 2000 – 2016 begehrt. Die Beklagte habe ihm lediglich „die letzten 2 Jahre nachgezahlt“. Der restliche Betrag sei noch offen. Die Beklagte habe „telefonisch zugegeben das der Antrag schon 2000 gestellt“ worden sei. Der Kläger hat Bezug genommen auf eine „Stellungnahme zur Notwendigkeit der Heimaufnahme“ der Beklagten vom 05.12.2002 sowie eine „Mitgliedschaftsbestätigung „der Beklagten vom 23.02.2001. Der Kläger hat vorgetragen, er sei am 05.12.2002 vom sozialmedizinischen Dienst (SMD) untersucht worden und habe am 15.12.2002 in der Geschäftsstelle der Beklagten in D. einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt.

 

Der Kläger hat (in der Antragsfassung des Sozialgerichts) beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld für die Jahre 2000 – 2016 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Sie hat vorgetragen, Verwaltungsvorgänge betreffend Leistungen der Pflegeversicherung aus dem Jahr 2000 lägen nicht mehr vor. Bei ihr seien erstmalig am 08.02.2017 Leistungen der Pflegeversicherung beantragt worden; das entsprechende Anerkenntnis sei umgesetzt worden (Bescheid vom 22.08.2018). Zu dem vorliegenden Sachverhalt sei kein Bescheid ergangen und kein Vorverfahren durchgeführt worden. Die Beklagte nimmt Bezug auf ein Schreiben vom 22.01.2019, in dem mitgeteilt wird, dass eine „Nachzahlung für die Zeit ab dem Jahr 2000“ nicht erfolgen könne.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit dem Kläger am 31.12.2020 zugestelltem Urteil vom 26.11.2020 abgewiesen. Die als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage sei unzulässig, weil über die Gewährung von Pflegegeld im Subordinationsverhältnis zwischen Pflegekasse und pflegeversicherter Person durch Verwaltungsakt zu entscheiden sei.  Legte man das Vorbringen des Klägers zu seinen Gunsten so aus, dass eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) gewollt sei, führe dies ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Klage. In diesem Fall fehlte es bereits am Vorliegen eines Verwaltungsaktes. Der Kläger habe die Frage des Gerichts, ob auf den (angeblich) im Jahr 2000 gestellten Antrag ein Bescheid ergangen sei, nicht beantwortet. Nach den Angaben der Beklagten könne ein Antrag aus dem Jahr 2000 nicht mehr nachvollzogen werden; nach den dortigen Unterlagen sei ein Erstantrag im Jahr 2017 gestellt worden. Die Nichterweislichkeit der Antragstellung bei der Beklagten im Jahr 2000 und der Bescheidung gehe nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung zulasten des Klägers. Die Klage sei daher auch nicht als Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) zulässig. Eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens (analog § 114 Abs. 2 SGG) zur Nachholung des Vorverfahrens komme mangels ergangenen Verwaltungsakt und Widerspruch nicht in Betracht.

 

Gegen das Urteil hat der Kläger am 13.01.2021 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführt, das Pflegegeld müsse ihm vom 05.12.2002 an (verzinst) nachgezahlt werden. Er nimmt erneut Bezug auf die „Stellungnahme zur Notwendigkeit der Heimaufnahme“ der Beklagten vom 05.12.2002. Ergänzend führt er aus, Zeugen seien bei der Beklagten namentlich bekannt.

 

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

 

das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 26.11.2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm (auch) in der Zeit vom 05.12.2002 bis zum 31.01.2017 Pflegegeld zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die aus ihrer Sicht überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils und auf ihren bisherigen Vortrag.

 

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt. Insbesondere sei auch nach dem im Berufungsverfahren erfolgten Vorbringen nicht erkennbar, dass der behauptete Antrag aus 2000 bzw. aus Dezember 2002 tatsächlich gestellt und durch die Beklagte beschieden worden wäre. Dies stehe dem Erfolg der Klage auch bei Auslegung des Klagebegehrens als Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) entgegen. Aus dem vorgelegten Schreiben vom 05.12.2002 ergebe sich insbesondere auch nicht die Antragstellung hinsichtlich der hier begehrten Pflegeleistung (Pflegegeld).

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Der Senat konnte in der Sache ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 Satz1 SGG). Denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten hatten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

II. Die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Insoweit nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Urteils und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Berufungsvorbringen des Klägers, mit dem er sein Begehren zulässig auf die Zeit ab dem 05.12.2002 begrenzt hat. Soweit der Kläger ausführt, der Beklagten seien Zeugen für seinen Vortrag namentlich bekannt, musste sich der Senat nicht zu weiterer Beweiserhebung veranlasst sehen. Unterstellt, der Kläger könnte (durch den angebotenen Zeugenbeweis) nachweisen, dass er – wie dargelegt – bereits im Jahr 2002 einen Antrag auf die hier begehrten Pflegeleistungen (Pflegegeld) gestellt hat, fehlte es für die Zulässigkeit einer im wohlverstandenen Interesse des Klägers angenommenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weiterhin an einer Bescheidung dieses Begehrens durch die Beklagte. Dass eine solche erfolgt sei, hat der Kläger bislang nicht einmal vorgetragen. Eine in diesem Fall grundsätzlich zulässige Untätigkeitsklage wäre verwirkt. Insoweit ist anerkannt, dass das Rechtsschutzbedürfnis für eine grundsätzlich unbefristet zulässige (vgl. § 89 SGG analog) Untätigkeitsklage unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung entfallen kann (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 88 Rn. 5c m.w.N.). Dies setzt voraus, dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt, etwa weil der Berechtigte sich verspätet auf das Recht beruft (Zeitmoment) und unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment), so dass auch ein an sich unbefristeter Antrag deshalb nicht nach Belieben hinausgezögert oder verspätet gestellt werden kann, ohne unzulässig zu werden (vgl. BVerfG vom 04.03.2008 – 2 BvR 2111/07 Rn. 25 m.w.N.). Das öffentliche Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens kann in derartigen Fällen verlangen, die Anrufung des Gerichts nach langer Zeit untätigen Zuwartens als unzulässig anzusehen (BVerfG, a.a.O.). Hinsichtlich des Zeitmoments ist insoweit zu beachten, dass zwischen der behaupteten Antragstellung (im Mai 2002) und der gerichtlichen Geltendmachung (im Januar 2019) 200 Monate (16 Jahre und 8 Monate) vergangen sind. Insoweit ist zu beachten, dass umso geringere Anforderungen an das Vorliegen des Umstandsmoments zu stellen sind, je länger die Untätigkeit andauert. Soweit das Vorliegen eines Umstandsmoments voraussetzt, dass dem Beteiligten eine frühere bzw. rechtzeitige Geltendmachung des Rechts möglich, zumutbar und von ihm auch zu erwarten gewesen wäre (vgl. BVerfG vom 27.12.2012 – 1 BvR 2862/11 Rn. 3), ist etwas Gegenteiliges weder vorgetragen, noch erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger daran gehindert gewesen sein könnte, zeitnah nach der behaupteten Antragstellung (im Mai 2002) Untätigkeitsklage zu erheben. Das für einen Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses erforderliche Umstandsmoment folgt schließlich auch daraus, dass der Kläger noch im Juli 2018 ausgeführt hat, mit einer Nachzahlung ab 01.02.2017 einverstanden zu sein (Schreiben vom 24.07.2018). Dies stand in sachlichem Zusammenhang zum gegenständlichen Verfahren (Anspruch auf Pflegegeld für vergangene Zeiträume). Insbesondere war dieser Umstand auch geeignet, bei der Beklagten das Vertrauen darauf, dass vor den 01.02.2017 zurückreichende Ansprüche auf Pflegegeld nicht (mehr) geltend gemacht werden, zu begründen.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

IV. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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