Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 09.02.2023 geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für die Zeit vom 18.11.2022 bis zum 31.05.2023 zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt N., J., beigeordnet.
Gründe:
Gegenstand des Eilverfahrens ist die von der Antragstellerin begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe des kopfteiligen Anteils an den Unterkunftskosten und ohne eine Absenkung ihres Regelbedarfs gemäß § 20 Abs. 3 SGB II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (st. Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG., Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05;st. Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER).
Die am 00.00.2000 geborene Antragstellerin, die mit ihrem am 00.00.1996 geborenen Lebensgefährten Y. U. und dem gemeinsamen, am 00.00.2022 geborenen Sohn Q. U. in W., B.-straße 6 wohnt, hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie hat nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf Unterkunftskosten, d.h. den auf sie entfallenden Kopfteil für die für einen Haushalt von drei Personen angemessenen Unterkunftskosten glaubhaft gemacht. Zudem steht der Antragstellerin monatlich der sich aus § 20 Abs. 4 SGB II ergebende Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 zu.
Eine hiervon abweichende Feststellung der Bedarfe der Antragstellerin, insbesondere ein Wegfall des Anspruchs auf die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 5 SGB II sowie ein nach § 20 Abs. 3 SGB II abgesenkter Regelbedarf findet nicht statt.
Nach § 22 Abs. 5 SGB II werden für den Fall, dass Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn (1.) die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann, (2.) der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder (3.) ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt. Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen.
Die Vorschrift will verhindern, dass junge Erwachsene aus dem Elternhaus ausziehen, d.h. alleine umziehen. Der Gesetzgeber hat damit eine ebenso umstrittene wie nicht nur unter Freiheits- (Art. 2 Abs. 1 GG) und Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) problematische Sonderregelung zu § 22 Abs. 4 SGB II eingefügt, die eng auszulegen ist. § 22 Abs. 5 SGB II erfasst nur den erstmaligen Umzug, d.h. den Auszug aus dem Elternhaus. Vermieden werden soll der kostenträchtige Erstbezug einer eigenen Wohnung (Berlit in LPK, 7. Aufl. 2021, § 22 Rn. 194). Das folgt aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs 16/688, 14 f.) und dem Sinn und Zweck der Regelung, einen unkontrollierten Anstieg der Bedarfsgemeinschaften zu verhindern (vgl. zum Meinungsstand Luik in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 22 Rn. 243 ff.; offen gelassen BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 14 AS 21/17 R, Rn. 22).
Nach summarischer Prüfung erfasst § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II die vorliegende Fallgestaltung nicht. Die Antragstellerin ist im September 2020 von J. in die Wohnung der Eltern ihres Freundes Y. U. gezogen; dies war der erstmalige Umzug im Sinne eines Auszuges. Zum einen musste sie sich dort nicht an den Unterkunftskosten beteiligen. Zum anderen ist die Antragstellerin nicht aus dem Haushalt der Eltern, sondern aus dem Haushalt der Großeltern ausgezogen. Der Folgeumzug der Antragstellerin in die derzeitige Unterkunft wird von der Regelung nicht erfasst.
Zudem weist der Senat ergänzend darauf hin, dass eine vor Abschluss des Mietvertrages notwendige Zustimmung auch nach § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB II entbehrlich sein könnte. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats vom 01.03.2023 Bezug genommen. Soweit der Antragsgegner entgegnet, dass auch unter Berücksichtigung der detaillierten Schilderungen des Y. U. und der Antragstellerin vom 19.02.2021 zu der familiären Situation und der Eskalation des Konfliktes mit den Eltern von Y. U. keine schwerwiegenden Gründe für einen Auszug vorlagen, sondern vielmehr nur „ein Generationenkonflikt“ bestand und die Wohnung zudem nach den Richtlinien für zwei Personen unangemessen war, vermag dies zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Denn die tatsächliche, der rechtlichen Beurteilung zugrundeliegende Situation hatte sich im Zeitpunkt des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im November 2022 eklatant geändert. Durch die Geburt des gemeinsamen Kindes Q. im Oktober 2022 bestand eine Berechtigung zum Auszug. Der Gesetzgeber hat keine Regelung für die Fälle, in denen im Zeitpunkt des Umzugs keine schwerwiegenden Gründe vorlagen, nachfolgend jedoch eine derartige Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, dass der Auszug nunmehr berechtigt wäre, getroffen. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung der §§ 22 Abs. 5, 20 Abs. 3 SGB II und der gebotenen engen Auslegung von § 22 Abs. 5 SGB II ist es bei summarischer Prüfung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechtfertigt, die Leistungen der Antragstellerin zu kürzen. Eine für die Antragstellerin jahrelang bestehende Leistungsreduzierung würde gegen das Übermaßverbot verstoßen.
Die Voraussetzungen für eine Absenkung des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 3 SGB II liegen somit ebenfalls nicht vor.
Ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit liegt vor, denn die Antragsteller können ohne die von ihnen begehrten Leistungen nicht ihr Existenzminimum sichern.
Der Zeitraum der Verpflichtung des Antragsgegners orientiert sich an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.
Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, weil die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).