Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 21.09.2022 geändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller Grundsicherung nach dem SGB XII von August 2022 bis einschließlich Juli 2023 ohne Anrechnung eines russischen Rentenanspruchs des Antragstellers in gesetzliche Höhe zu zahlen.
Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt E., K., beigeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Grundsicherung nach dem SGB XII im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1947 in Russland geborene Antragsteller bezog seit August 2012 laufend Grundsicherung nach dem SGB XII. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ehefrau bezieht eine Altersrente, die ab Juli 2022 977,56 € (netto) betrug. Der Antragsteller bezog 2022 eine Regelaltersrente iHv monatlich 22,28 €.
Erstmals im Dezember 2021 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass er seit Oktober 2014 eine russische Altersrente beziehe. Der Antragsteller legte eine russische Rentenbezugsbescheinigung sowie einen Auszug des Rentenkontos vor. Die Rentenhöhe beträgt ab November 2021 umgerechnet ca. 330 € monatlich. Der Antragsteller machte geltend, eine Direktüberweisung seiner russischen Rente nach Deutschland sei nicht möglich und beanspruchte Unterstützung durch die Antragsgegnerin bei der Einschaltung eines Dienstleisters zur Organisation der Rentenüberweisung. Bisher stehe ihm die Rente nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Die Antragsgegnerin bewilligte mit Bescheid vom 04.01.2022 Kosten für die Einschaltung des Dienstleisters „V. GmbH“ (V.-GmbH). Mit Schreiben vom 05.05.2022 teilte der bevollmächtigte Sohn des Antragstellers mit, er habe kein Vertrauen mehr in die V.-GmbH und sei nicht weiter bereit, deren Dienste in Anspruch zu nehmen. Es sei ihm gelungen, die Auszahlung der russischen Rente „an eine dritte Person“ zu stoppen und die Rente für März 2022 und April 2022 auf ein Konto des Antragstellers bei der Sberbank in Russland zu erreichen. Wegen der kriegsbedingten Sanktionen seit dem 07.04.2022 gelinge es ihm aber nicht, die Rente nach Deutschland zu überweisen. Sobald das Geld freigegeben werde, sei er bereit, es der Antragsgegnerin zu überwiesen.
Mit Schreiben vom 24.05.2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Hinweis auf Mitwirkungspflichten nach § 66 SGB I auf, die Zusammenarbeit mit der V.-GmbH fortzusetzen „um russische Rentenansprüche nach Deutschland zu realisieren“. In einem Telefongespräch mit der Mitarbeiterin der Antragsgegnerin vom 21.06.2022 teilte der Bevollmächtigte mit, die Rente in Russland sei bislang von dem in Russland verbliebenen Bruder zur Unterstützung der ebenfalls in Russland lebenden Mutter verwendet worden. Der Bruder sei 2021 verstorben, seither könne die Rente vom Antragsteller genutzt werden. Allerdings sei ein Transfer nach Deutschland nicht möglich. Der Geschäftsführer der V.-GmbH F. teilte der Antragsgegnerin am 27.06.2022 telefonisch mit, eine Rentenübertragung nach Deutschland sei durch seine Firma unter Einschaltung eines Mittelsmannes in Russland möglich. Ohne eine solche Einschaltung sei nach seiner Einschätzung ein Rententransfer nicht erfolgreich. Ein Risiko für den Auftraggeber sei mit der Einschaltung des V.-GmbH nicht verbunden. Mit Schreiben vom 30.06.2022 wiederholte die Antragsgegnerin die Mitwirkungsaufforderung. Der Antragsteller habe nach §§ 60 ff SGB I iVm § 2 SGB XI alles Erforderliche zu veranlassen, um seinen „Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln (hier russisches Renteneinkommen) sicherzustellen“. Der Antragsteller erteilte die gewünschte Vollmacht weiterhin nicht.
Bereits mit Bescheid vom 24.06.2022 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Grundsicherung nach dem SGB XII von Februar 2022 bis Juli 2022 iHv zuletzt monatlich 652,53 € unter Berücksichtigung einer Regelleistung iHv 404 € und von Unterkunfts- und Heizkosten iHv 309,84 €. Die Antragsgegnerin rechnete zuletzt eine monatliche Rentenzahlung iHv 22,28 € an. Die Ehefrau des Antragstellers erhielt wegen eines Einkommensüberschusses iHv monatlich 39,12 € keine Grundsicherung.
Mit Bescheid vom 26.07.2022 stelle die Antragsgegnerin die Leistungen „vorläufig“ ein, da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten „nach §§ 60 ff SGB I“ nicht nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin bezog sich auf das Schreiben vom 30.06.2022. Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller am 08.08.2022 Widerspruch.
Am 19.08.2022 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Weiterzahlung der Grundsicherung zu verpflichten und Prozesskostenhilfe für das Verfahren zu bewilligen. Er sei nicht in der Lage, ohne die Leistungen der Antragsgegnerin seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Weg zur Erlangung seiner russischen Rente sei ihm nicht zumutbar. Die der Fa. V.-GmbH zu erteilende Vollmacht ermächtige diese, in seinem Namen bei fast allen russischen Behörden aufzutreten. Die Überweisung der Rente erfolge über Konten, die mit seiner Vollmacht von völlig unbekannten Personen eröffnet würden. Der Antragsteller hat ein richterliches Hinweisschreiben des Sozialgerichts Düsseldorf aus dem Verfahren S 42 SO 315/16 vom 14.03.2019 vorgelegt. Das SG Düsseldorf habe hierin darauf hingewiesen, dass einem Antragsteller die Zusammenarbeit mit den hinter der Fa. V.-GmbH stehenden Personen nicht zumutbar sei.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, ein eigenständiger Rententransfer durch den Bezugsberechtigten selbst nach Deutschland gelinge derzeit nicht. Für den Rententransfer müsse eine Überweisung einer Person im russischen Inland getätigt werden. Hierfür könne die V.-GmbH mit dem russischen Kooperationspartner zusammenarbeiten. Dieser benötige für die erforderlichen Handlungen eine entsprechende Vollmacht. Der Rententransfer durch die V.-GmbH sei derzeit garantiert. Es sei dem Antragsteller zumutbar, wenigstens der V.-GmbH eine Vollmacht zu erteilen, die diese ermächtige, zumindest Kontoauszüge des russischen Kontos zu erhalten. Je nach Wechselkurs und Verbrauch könne der Antragsteller über Einkommen und Vermögen in Russland iHv ca. 40.000 € verfügen.
Mit Bescheid vom 26.08.2022 hat die Antragsgegnerin die Leistungen erneut „vorläufig“ ab September 2022 eingestellt.
Mit Beschluss vom 21.09.2022 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Mit der Rente der Ehefrau könne der Regelbedarf auch des Antragstellers gedeckt werden. Hinsichtlich der Unterkunftskosten habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ohne die einstweilige Anordnung Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage – etwa eine Sperre der Strom- oder Heizungsversorgung - drohe.
Gegen den am 28.09.2022 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 27.10.2022, mit der er begehrt, den Antragsgegner zur Weiterzahlung von Grundsicherung zu verpflichten und ihm für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der Antragsteller legt ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen eine Mahnung seines Vermieters zur Begleichung eines Mietrückstandes iHv 791,71 € vor. Der Mietrückstand resultiere aus der Zahlungsverweigerung der Antragsgegnerin. Hieraus ergebe sich ein Anordnungsgrund. Nach der Rechtsprechung des BGH (Bezugnahme auf BGH Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20) sei bei einem Zahlungsverzug jedenfalls eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zulässig, weshalb die Unterkunft des Antragstellers ohne Zahlung der Grundsicherung nicht gesichert sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2022 hat die Antragsgegnerin die Widersprüche des Antragsstellers gegen die Bescheide vom 26.07.2022 und 26.08.2022 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragssteller mit Schriftsatz vom 14.12.2022 Klage erhoben.
Der Senat hat eine Auskunft des BMAS zum aktuellen Sachstand hinsichtlich eines Transfers russischer Renten nach Deutschland eingeholt. Auf den Inhalt der entsprechenden Auskunft des BMAS vom 19.12.2022 – Vb4_50240-5 nebst Anlagen wird verwiesen. Der Antragsteller hat auf Aufforderung durch den Senat Auszüge seines Girokontos für das Jahr 2022 vorgelegt.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt. Der Antragsgegner ist einstweilen zur Leistungszahlung ab August 2022 zu verpflichten.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Die Entscheidung kann entweder auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache oder eine Folgenabwägung gestützt werden. Dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte ist Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfG Beschluss vom 13.04.2010 – 1 BvR 216/07). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (BVerfG Beschlüsse vom 26.06.2018 - 1 BvR 733/18, vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 und vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG Beschluss vom 14.03.2019 – 1 BvR 169/19).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf Auszahlung der Grundsicherung ab August 2022 ohne Anrechnung der russischen Rente glaubhaft gemacht.
Die vom Antragsteller mit einer Klage angefochtenen, nicht bestandskräftigen Versagungsbescheide vom 26.07.2022 und 26.08.0222 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2022 stehen einem Anordnungsanspruch nicht entgegen, denn diese sind offensichtlich rechtswidrig. Gem. § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Die Versagung einer Sozialleistung nach dieser Vorschrift stellt eine Ermessensentscheidung dar, die Entscheidung ist nur rechtmäßig, sofern der Leistungsträger sein Entschließungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessenspielraumes eingehalten hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) und seine Entscheidung hinreichend begründet (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) hat (Voelzke in JurisPK SGB I § 66 Rn. 67). Die Antragsgegnerin hat weder in den Ausgangsbescheiden noch in dem Widerspruchsbescheid Ermessen ausgeübt. Aber auch die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 SGB I liegen nicht vor. Die Vorschrift setzt voraus, dass derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Einschaltung eines Dienstleisters zur Realisierung einer Rente im Ausland ist in den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht erwähnt und die Versagung der Leistung erfolgte auch nicht, weil der Antragsteller die Aufklärung des Sachverhalts erschwert habe, sondern weil die Antragsgegnerin meint, aufgrund des Nachranggrundsatzes gem. § 2 Abs. 1 SGB XII habe der Antragsteller keinen Leistungsanspruch. Eine Mitwirkungspflicht bei der Vorlage von Kontoauszügen, die von § 60 Abs. 1 SGB I gedeckt wäre, hat die Antragsgegnerin dem Kläger in den Schreiben vom 24.05.2022 und 30.06.2022, auf die ein Versagungsbescheid vorliegend allein gestützt werden könnte, nicht auferlegt.
Der Antragsteller erfüllt die grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 SGB XII. Er ist z.Zt. nicht in der Lage, seinen notwendigen Lebensunterhalt aus Einkommen und Vermögen zu bestreiten (§§ 41 Abs. 1, 43 SGB XII).
Anspruchsmindernd kommt nach Aktenlage – über die Anrechnung der deutschen Rente hinaus – nur eine Anrechnung des russischen Rentenanspruchs in Betracht.
Grundsätzlich sind die russischen Rentenansprüche, soweit es sich um laufende Zahlungen in dem jeweiligen Bewilligungsmonat handelt, als Einkommen iSd §§ 41 Abs.1, 43 Abs.1, 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anzusehen, das zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen ist und insoweit gem. § 2 Abs. 1 SGB XII einem Sozialhilfeanspruch entgegensteht. Es ist jedoch nicht zulässig, einen Betroffenen auf fiktive, nicht aktuell zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehende, nicht „bereite“ Mittel zu verweisen (BSG Urteil vom 29.08.2019 – B 14 AS 42/18 R). Zwar handelt es sich bei Geldbeträgen, die sich auf einem Konto befinden, das dem Hilfebedürftigen gehört oder auf das er Zugriff hat, grundsätzlich um bereite Mittel. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um ein ausländisches Konto handelt und ein Transfer des Geldes nach Deutschland, um damit hier seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nicht möglich ist. Dies trifft derzeit auf die russische Rente des Antragstellers zu. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des BMAS vom 19.12.2022, die insoweit im Ergebnis mit dem Rundschreiben des BMAS an die obersten Landesbehörden vom 04.03.2022 – Vb4-50240 übereinstimmt, sind aufgrund der aktuellen Lage in Russland derzeit keine belastbaren und nachhaltigen Empfehlungen zur Realisierung russischer Renten möglich. Nach dem Rundschreiben vom 04.03.2022 empfiehlt das BMAS aufgrund der nach dem russischen Angriff auf die Ukraine bestehenden „Schwierigkeiten bei der Realisierung von russischen Rentenansprüchen für heute in Deutschland lebende Personen“, die Rente nicht mehr als Einkommen anzurechnen. Diese Einschätzung des zuständigen Bundesministeriums begründet zumindest die für die einstweilige Anordnung ausreichende Glaubhaftmachung der fehlenden Eigenschaft der russischen Rente als für die Bestreitung des Lebensunterhalts „bereite Mittel“. Die vom Senat angeforderten Kontoauszüge bestätigen, dass dem Antragsteller derzeit keine Zahlungen aus Russland zufließen.
Sollte auf dem russischen Rentenkonto ein Geldbetrag angespart worden sein, kommt dessen Berücksichtigung als Vermögen in Betracht (BSG Urteile vom 16.02.2022 – B 8 SO 17/20 R und vom 19.05.2009 – B 8 SO 35/07 R). Jedoch trägt der Antragsteller vor, die Rentenbeträge seien vom verstorbenen Bruder abgehoben und der Mutter zugewandt worden. Abschließend ist im Hinblick darauf im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob noch verwertbares Vermögen vorhanden ist, das oberhalb der gesetzlichen Freibeträge (§ 90 SGB XII iVm Verordnung zur Durchführung von § 90 Abs. 2 Nr. 9 in der jeweils gF) liegt und wie sich ggfs. die Übergangsregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie (§ 141 Abs. 2 SGB XII) auf den Leistungsanspruch auswirkt.
Die Antragsgegnerin fordert allerdings zu Recht, dass der Antragsteller alle zumutbaren Maßnahmen ergreift, um eine Auszahlung seiner russischen Rente nach Deutschland zu erreichen. Aus der Aktenlage ergeben sich keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Einschaltung der V.-GmbH (oder eines anderen Dienstleisters) hierfür nicht zumutbar sein könnte. Aus dem von dem Antragsteller vorgelegten Hinweisschreiben der 42. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.03.2019 ergibt sich nicht, weshalb das Sozialgericht in dem dortigen Verfahren zu dem Ergebnis gekommen ist, die Einschaltung des V.-GmbH sein der dortigen Klägerin nicht zumutbar gewesen. Rechtsfolge der evtl. Verletzung einer entsprechenden Obliegenheit ist aber – wie dargelegt – nicht, dass die Leistung nach § 66 SGB I versagt werden kann, sondern dass ein Regressanspruch nach § 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs setzt aber u.a. voraus, dass die Antragsgegnerin nachweisen kann, dass zwischen der Nichteinschaltung des Dienstleisters und der ungekürzten Auszahlung der Grundsicherung ein Kausalzusammenhang besteht (Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII § 103 Rn. 10), die Einschaltung eines Dienstleisters hinsichtlich der Auszahlung der Rente also erfolgreich gewesen wäre.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Abweichend von der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts kann er nicht darauf verwiesen werden, seinen Regelbedarf aus der Rente seiner Ehefrau auf Kosten der von ihm und seiner Ehefrau zu entrichtenden Unterkunftskosten zu decken.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.) ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden. Als Grundrecht ist die Norm nicht nur ein Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwürde positiv schützen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Mit dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die die physische Existenz des Menschen umfasst. Zu dieser physischen Existenz gehört nach ausdrücklicher Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/90 u.a.) auch die Gewährleistung von Unterkunft und Heizung. Der elementare Lebensbedarf eines Menschen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zudem grundsätzlich in dem Augenblick zu befriedigen, in dem er besteht (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a). Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung führt damit unmittelbar und sogleich zu einer Bedarfsunterdeckung, die bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B und vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15; in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.01.2015 - L 11 AS 261/14 B; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER, L 10 AS 1394/ B ER PKH). Die prozessuale Konsequenz der Anerkennung eines im Moment der Bedarfsentstehung bestehenden verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG: Es muss sichergestellt sein, dass gegen eine Versagung der existenznotwendigen Mittel effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Ein Vertrösten des Antragstellers auf Rechtsschutz zu einem späteren Zeitpunkt - nach Kündigung des Wohnraums oder Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter - ist hiermit nicht vereinbar.
Zudem weist der Antragssteller zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB erfolgter Ausgleich des Mietrückstands beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung einer öffentlichen Stelle lediglich Folgen für die auf § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise auf § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung hat (BGH Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20), weshalb eine Übernahme der Mietverpflichtung durch einen Sozialleistungsträger nach der Kündigung nicht zuverlässig zu einem Erhalt der Wohnung führt.
Soweit das BVerfG zur Frage eines Anordnungsgrundes zur Zahlung von Unterkunftskosten ausführt (BVerfG Beschluss vom 01.08.2017 - 1 BvR 1910/12 Rn. 16): "daher ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte", hält der Senat es bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung für nicht weiter begründungsbedürftig und grundsätzlich glaubhaft gemacht, dass der Verlust einer Wohnung immer Nachteile mit sich bringt, die - bei Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs - vom Betroffenen nicht hingenommen werden müssen. So hat auch das BVerfG in seiner Rechtsprechung zu den Unterkunftskosten (BVerfG Beschluss vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14) betont, dass es sich bei den Kosten für Unterkunft und Heizung um eine der "grundrechtsintensivsten Bedarfspositionen" handelt. Ausnahmen von dieser Annahme sind etwa möglich, wenn es sich bei der Wohnung um eine „Schrottimmobilie“ handelt oder der Wohnbedarf von Kindern in der bislang bewohnten Unterkunft nicht hinreichend gesichert ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 06.12.2017 – L 7 AS 139/15 B ER).
Ausnahmen von dem Grundsatz, dass es für die Annahme eines Anordnungsgrundes weder einer Räumungsklage noch einer "Kündigungslage" bedarf, sind möglich, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte belastbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vertraglichen Pflichten des Antragstellers jedenfalls während der Nichtzahlung von Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs gestundet sind, etwa weil es sich um ein Mietverhältnis unter Verwandten handelt oder eine sonstige Nähebeziehung zwischen dem Vermieter und dem Anspruchsteller besteht. Gleiches gilt, wenn feststeht, dass das Mietverhältnis trotz Zusprechens der Leistungen nicht erhalten werden kann und es daher nur noch darum geht, Ansprüche des Vermieters zu sichern. Zweifeln an der Ernsthaftigkeit eines Mietzinsverlangens ist im Rahmen der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs nachzugehen. Derartige Umstände sind indes vorliegend nicht ersichtlich.
Der Senat hat den Zeitraum der Zahlungsverpflichtung in Anlehnung an den regelmäßigen Bewilligungszeitraum der Grundsicherung (§ 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) auf zwölf Monate festgesetzt. Zwar wird der Zahlungszeitraum im einstweiligen Rechtsschutz in Anlehnung an § 44 Abs. 3 Satz 2 SGB XII regelmäßig auf sechs Monate begrenzt. Vorliegend ist aber eine Verlängerung dieses Zeitraums geboten, weil das einstweilige Rechtsschutzverfahren bereits seit einigen Monaten anhängig ist und zu erwarten ist, das eine Auszahlung der Rente nach Deutschland auch bei Einschaltung eines Dienstleisters zumindest noch einige Monate in Anspruch nehmen wird.
Die Beschwerde hat auch hinsichtlich der Prozesskostenhilfe Erfolg, weil die Rechtsverfolgung von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte und der Antragsteller die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe erfüllt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 114 ff ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).