L 4 AS 122/23 B ER

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 30 AS 10/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 122/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Der Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist grundsätzlich eng auszulegen. Die Inanspruchnahme von Bürgergeld bzw Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, begründet nicht per se einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts.

2. Für die Annahme der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bleibt daher jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf vollständig decken kann (LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2019, L 6 AS 528/19 B ER, juris RN 43).

 

Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 16. März 2023 wird abgeändert.

 

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 10. bis zum 31. Januar 2023 in Höhe von 236,65 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. bewilligt.

 

Der Antragsgegner hat den Antragstellern ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Weiteren: Antragsteller) machen im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) geltend. Zugleich wenden sie sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau.

 

Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 1. ist im März 1994 geboren und hat nach dem Schulabschuss den Beruf des Kochs erlernt. Gemeinsam mit seiner im Juli 2000 geborenen Ehefrau, der Antragstellerin zu 2., ist er im Jahr 2017 erstmals nach Deutschland eingereist. Ihre gemeinsamen Kinder, die Antragsteller zu 3. bis 6., sind in den Jahren 2018, 2019, 2020 und 2022 geboren. Sie bezogen von März 2018 bis Februar 2020 (ergänzend) Leistungen vom Antrags- und Beschwerdegegner (im Weiteren: Antragsgegner). In der Folgezeit hielten sie sich in B. und Bulgarien auf.

 

Spätestens im Februar 2022 begab sich die Familie anlässlich der bevorstehenden Geburt des Antragstellers zu 6. nach Bulgarien und reiste dann am 14. Juni 2022 erneut nach Deutschland ein.

 

Sie lebten zunächst in einer Wohnung in der G-Straße in J., die ihnen K. vermietete. In der Zeit vom 15. August bis zum 31. Oktober 2022 lebten sie in einer Wohnung1 A-Straße  in A.. Ausweislich des Mietvertrags vom 27. Februar 2023 leben sie seit dem 1. November 2022 in einer 60 m² großen Wohnung2 A-Straße in A., für die monatlich eine Kaltmiete von 270 €, eine Betriebskostenvorauszahlung von 25 € sowie eine Vorauszahlung für Heizkosten und Warmwassererzeugung von 55 € anfallen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Mietvertrag (Blatt 262 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

 

Die Antragstellerin zu 2. bezog ab dem 24. Juni 2022 Elterngeld in Höhe von monatlich 300 € (Bescheid des Landkreises Wittenberg vom 12. Dezember 2022). Die Antragsteller zu 3. bis 6. beziehen seit August 2022 erneut Kindergeld (Bescheid der Familienkasse vom 20. Oktober 2022).

 

Am 1. August 2022 schloss der Antragsteller zu 1. einen Arbeitsvertrag mit  S., Inhaber des B. Imbiss, über eine geringfügige Beschäftigung als Auslieferungsfahrer. Arbeitsvertraglich waren eine monatliche Arbeitszeit von 41 Stunden und ein Bruttostundenlohn in Höhe von 10,45 € vorgesehen. Der monatliche Bruttoverdienst sollte dementsprechend bei 428 €, der Nettoverdienst bei 413,03 € liegen.

 

Die Antragsteller beantragten sodann am 11. August 2022 beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Antragsteller gaben an, in Bulgarien auf die Fertigstellung des Reisepasses für den Antragsteller zu 6. gewartet zu haben. Zwischenzeitlich habe ihnen ein Bekannter eine Wohnung in J. besorgt, sodass sie am 14. Juni 2022 nach Deutschland zurückgekehrt seien. Der Antragsteller zu 1. habe sich bei vielen Firmen beworben und habe dann am 1. August 2022 den Arbeitsvertrag bei der Firma B. Imbiss unterzeichnet. Gleichwohl sei er weiterhin auf der Suche nach auskömmlicher Arbeit.

 

Mit Bescheid vom 7. Oktober 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag unter Verweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab: Zwar sei davon auszugehen, dass es sich bei der Tätigkeit bei der Firma B. Imbiss um eine echte und tatsächliche Beschäftigung handele und demnach grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vorliege. Der Antragsteller zu 1. berufe sich jedoch rechtsmissbräuchlich auf das Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die geringfügige Beschäftigung reiche bei weitem nicht aus, um die Existenz einer sechsköpfigen Familie auch nur ansatzweise zu sichern. Nach Wertung der Gesamtumstände sei die Tätigkeit nur aufgenommen worden, um formal Arbeitnehmerfreizügigkeit geltend machen zu können und - damit verbunden - (aufstockende) Sozialleistungen zu beziehen. Nach Aktenlage könne davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zu 1. und seine Ehefrau von Beginn an nicht die Absicht gehabt hätten, Erwerbstätigkeiten auszuüben, die ihrer Familie ausreichende Existenzmittel sicherten. Erkennbares Ziel sei es stattdessen, mit möglichst geringem Arbeitseinsatz möglichst umfassende staatliche Hilfsleistungen zu erlangen.

 

Am 14. Oktober 2022 schloss der Antragsteller zu 1. einen geänderten Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitgeber über eine Beschäftigung als Auslieferungsfahrer ab 15. Oktober 2022 ab. Arbeitsvertraglich waren nunmehr eine monatliche Arbeitszeit von 74 Stunden und ein Bruttostundenlohn von 12 € vereinbart. Der monatliche Bruttoverdienst sollte bei 888 €, der Nettoverdienst bei 827,19 € liegen.

 

Die Einreichung des neuen Arbeitsvertrags am 17. Oktober 2017 wertete der Antragsgegner als Überprüfungsantrag zum Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2022 und lehnte diesen mit Bescheid vom 17. November 2022 mit der Begründung ab, die monatlich vereinbarte Arbeitszeit von 74 Stunden reiche nicht aus, um die rechtsmissbräuchliche Nutzung der Arbeitnehmereigenschaft für die Zukunft auszuräumen, da der Antragsteller zu 1. auch mit dieser Beschäftigung den Lebensunterhalt seiner sechsköpfigen Familie nicht ansatzweise decken könne.

 

Die anwaltlich vertretenen Antragsteller legten am 22. November 2022 sowohl gegen den Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2022 als auch gegen den Überprüfungsbescheid vom 17. November 2022 Widerspruch ein.

 

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 mahnte der Vermieter die Antragsteller wegen eines Mietrückstands in Höhe von 1.400 € für die Wohnung1 A-Straße in A..

 

Am 7. Dezember 2022 schloss der Antragsteller zu 1. einen geänderten Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitgeber über eine Beschäftigung als Küchenhilfe und Auslieferungsfahrer mit Beginn ab dem 15. Dezember 2022 bei einer monatlichen Arbeitszeit von 140 Stunden zu einem Bruttostundenlohn von 12 € ab. Der monatliche Bruttoverdienst sollte nunmehr bei 1.680 €, der Nettoverdienst bei 1.261,33 € liegen.

 

Am 5. Januar 2023 sprach der Antragsteller zu 1. erneut beim Antragsgegner vor und teilte mit, dringend auf die Gewährung von Leistungen angewiesen zu sein. Den geänderten Arbeitsvertrag vom 7. Dezember 2022 habe er schon vor vier Wochen in der Eingangszone des Antragsgegners abgegeben.

 

Am 10. Januar 2023 haben die Antragsteller beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die Gewährung einer Soforthilfe von mindestens 1.600 € sowie von 900 € ab dem Monat Januar 2023, hilfsweise als Darlehen, geltend gemacht. Mündlich habe der Antragsgegner dem Antragsteller zu 1. mitgeteilt, bei einer Beschäftigung von monatlich mindestens 140 Stunden habe er einen Leistungsanspruch. Er habe sich mehrfach um Arbeit bemüht und am 8. Dezember 2022 den geänderten Arbeitsvertrag über 140 Stunden beim Antragsgegner eingereicht. Er müsse seine Mietschulden bis zum 15. Januar 2023 begleichen, sonst werde ihm die Wohnung gekündigt und er stehe mit seiner Frau und vier kleinen Kindern auf der Straße. Die Antragsteller seien nicht mehr in der Lage, die Kosten der Lebensführung alleine zu tragen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2023 hat der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2022 als unzulässig verworfen. Den Widerspruch gegen den Überprüfungsbescheid vom 17. November 2022 hat er mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen letzteren haben die Antragsteller am 27. Februar 2023 Klage beim SG (S 30 AS 145/23) erhoben, über die bislang nicht entschieden worden ist.

 

Auf die gerichtliche Nachfrage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zum Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit haben die Antragsteller am 24. Januar 2023 vorgetragen, ihr ehemaliger Vermieter, Herr K., habe dem Antragsteller zu 1. vor der Einreise im Juni 2022 eine Beschäftigung bei seiner Firma S. mit einem Verdienst von monatlich 1.500 € netto in Aussicht gestellt. Einen schriftlichen Vertrag habe es - wie in Bulgarien üblich - jedoch nicht gegeben. Nachdem das Beschäftigungsverhältnis jedoch nicht zustande gekommen sei, habe sich der Antragsteller zu 1. bemüht, eine andere Beschäftigung zu finden und sodann die Tätigkeit als Auslieferungsfahrer angenommen.

 

Nachdem dem Antragsteller zu 1. mit Schreiben vom 15. Februar 2023 zum 15. März 2023 gekündigt wurde, beantragten die Antragsteller am 17. Februar 2023 erneut beim Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II.

 

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16. März 2023 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie hätten kein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Zwar sei der Antragsteller zu 1. bisher als Arbeitnehmer grundsätzlich freizügigkeitsberechtigt gewesen. Zu Recht gehe der Antragsgegner jedoch davon aus, dass das Berufen auf den Arbeitnehmerstatus vorliegend rechtsmissbräuchlich sei. Denn die bei der Firma B.  aufgenommene Berufstätigkeit des Antragstellers zu 1. sei bei weitem nicht ausreichend gewesen, um den Lebensunterhalt der Antragsteller zu sichern. Das Arbeitsverhältnis habe der Antragsteller zu 1. demnach allein zu dem Zweck, Sozialleistungen zu erhalten, aufgenommen und ausgeübt. Soweit die Antragsteller darauf verweisen, wegen einer Zusage des Herrn K. auf ein Arbeitsverhältnis mit einem Lohn von 1.500 € netto nach Deutschland gekommen zu sein, halte das SG diese Behauptung nicht für glaubhaft. Selbst wenn es diese Zusage gegeben haben sollte, sei die Einreise nach Deutschland ohne rechtlich verbindliche Zusage auf den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses rechtsmissbräuchlich. Denn dann könne der Lebensunterhalt in Deutschland nicht sichergestellt werden, sodass die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zwangsläufige Folge sei. Dies gelte erst recht bei einer Familie mit vier Kindern, denn dann bedürfe es eines wesentlich höheren Verdienstes, um den Lebensunterhalt für alle Familienmitglieder sicherzustellen. Zugleich hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH für das einstweilige Rechtsschutzverfahren mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

 

Mit Bescheid vom 30. März 2023 hat der Antragsgegner eine Leistungsgewährung ab Februar 2023 erneut abgelehnt. Dagegen haben die Antragsteller Widerspruch erhoben, über den bislang noch nicht entschieden wurde.

 

Gegen den ihnen am 17. März 2023 zugestellten Beschluss des SG haben die Antragsteller am 4. April 2023 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt (L 4 AS 122/23 B ER). Zur Begründung wiederholen sie ihr bisheriges Vorbringen. Zugleich haben sie auch gegen die Ablehnung von PKH Beschwerde eingelegt (L 4 AS 127/23 B).

 

Der Senat hat am 26. Juni 2023 einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Antragsteller zu 1. hat im Termin einen weiteren Arbeitsvertrag mit S. vom 22. Juni 2023 vorgelegt, nach dem er ab diesem Zeitpunkt erneut als Auslieferungsfahrer bei einer monatlichen Arbeitszeit von 80 Stunden zu einem Bruttostundenlohn von 12 € im B Restaurant beschäftigt werde. Der monatliche Bruttoverdienst solle demnach bei 960 € liegen. Ferner hat der Antragsteller zu 1. den Mietvertrag vom 27. Februar 2023 vorgelegt und dazu ergänzend vorgetragen, er habe sich mit seinem Vermieter bezüglich der bestehenden Mietschulden dahingehend geeinigt, dass diese in Raten abgezahlt würden und die Familie die Wohnung2 A-Straße in A. beziehe. Zudem haben die Antragsteller ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf den Zeitraum vor der erneuten Antragstellung - also bis Ende Januar 2023 - begrenzt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Die Antragsteller beantragen nunmehr sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 16. März 2023 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form einer Soforthilfe von 1.600 € sowie für die Zeit vom 10. bis zum 31. Januar 2023 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

 

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen. Diese haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

 

II.

 

1.

 

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Der Wert von 750 € gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist überschritten. Die Antragssteller wenden sich gegen die Ablehnung der von ihnen begehrten Soforthilfe von 1.600 € und laufender Leistungen ab Januar 2023 in Höhe von 900 €.

 

2.

 

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Antragsgegner ist für die Zeit vom 10. Januar bis zum 31. Januar 2023 vorläufig zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten.

 

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet.

 

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 27, 41). Soweit mit einer einstweiligen Anordnung zugleich eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache verbunden ist, sind erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrunds zu stellen, weil der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Verlagerung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen darf. Erforderlich ist das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen, bzw., wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischer Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, juris).

 

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt auch dann in Betracht, wenn die Antragsteller einen Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts im Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) geltend machen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O. § 86b Rn. 29c m.w.N.). Dabei sind bei Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids allerdings strengere Anforderungen an den Anforderungsgrund zu stellen. Vorliegend gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass der Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2022 bei Einreichung des geänderten Arbeitsvertrags am 17. Oktober 2022 noch nicht bestandskräftig war, der Antragsgegner dies jedoch als Überprüfungsantrag gewertet und diesen abgelehnt hat.

 

a)

 

Für den Zeitraum vor dem 10. Januar 2023 kommt eine einstweilige Anordnung nicht in Betracht, es fehlt an einem Anordnungsgrund.

 

Da in der Regel erst mit der Stellung eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz eine Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht wird, beginnt der Regelungszeitraum auch erst mit der Stellung des Antrags, soweit nicht explizit auch die Nachholung der Leistung begehrt wird und ein entsprechendes Nachholbedürfnis glaubhaft gemacht wird. Denn bei der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist grundsätzlich nur auf eine aktuelle Notlage abzustellen. Für die Vergangenheit besteht regelmäßig kein Anordnungsgrund. Vorliegend haben die Antragsteller am 10. Januar 2023 einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gestellt. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Nachholung der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vor Eingang des Antrages auf einstweilige Anordnung beim SG besonders dringlich sein soll. Weder wurde vorgetragen, dass konkret bezeichnete Rechtsnachteile drohen und Eingriffe unmittelbar bevorstehen, wenn nicht die Leistungen auch für die Vergangenheit bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gewährt werden, noch wurden hierzu entsprechende Unterlagen zur Glaubhaftmachung eingereicht.

 

Soweit die Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren noch auf Mietschulden für die Wohnung1 A-Straßein A. in Höhe von 1.600 € verwiesen haben, so haben sie im Erörterungstermin vom 26. Juni 2023 den neuen Mietvertrag vom 27. Februar 2023 vorgelegt, wonach sie seit dem 1. November 2022 in der Wohnung 2 A-Straße in A. wohnen. Sie haben vorgetragen, wegen der bestehenden Mietschulden umgezogen zu sein und sich mit dem (gleichen) Vermieter auf eine Ratenzahlung geeinigt zu haben. Eine Abmahnung oder ein Kündigungsschreiben des Vermieters für die neue Unterkunft haben sie nicht vorgelegt.

 

b)

 

Für die Zeit vom 10. bis zum 31. Januar 2023 liegen die Voraussetzungen für die begehrte einstweilige Anordnung vor.

 

Ausgehend von den o.g. Maßstäben ist zunächst ein auf §§ 7 ff., §§ 19 ff. SGB II (in der ab dem 1. Januar 2023 gültigen Fassung) gestützter Anordnungsanspruch der Antragsteller auf die vorläufige Gewährung von Bürgergeld glaubhaft gemacht.

 

Für den Senat ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Der Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. haben das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, sind mangels entgegenstehender Anhaltspunkte wohl entsprechend § 8 Abs. 1 und 2 SGB II erwerbsfähig und halten sich, jedenfalls seit dem 14. Juni 2022, dauerhaft mit zukunftsoffenem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland auf. Es ist daher von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners auszugehen. Die mit ihnen in einem Haushalt lebenden Antragsteller zu 3. bis 6. gehören als minderjährige und unverheiratete Kinder dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ihrer Bedarfsgemeinschaft an. Die Antragsteller sind hilfebedürftig, weil sie mit ihrem Einkommen und Vermögen ihren Bedarf nicht decken können.

 

Nach Auffassung des Senats liegt auch ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II jedenfalls mit der Arbeitsaufnahme des Antragstellers zu 1. am 1. August 2022 und der Änderung des Arbeitsvertrags zum 15. Oktober 2022 nicht vor, da dieser seither als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt ist und ein darauf beruhendes Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung kann weder dem Antragsteller zu 1. selbst noch seinen Familienangehörigen die missbräuchliche Berufung auf den Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds und die daran anknüpfende Freizügigkeitsberechtigung auch der anderen Familienmitglieder entgegengehalten werden.

 

Der Antragsteller zu 1. ist als Arbeitnehmer im Sinne der europarechtlichen Vorgaben anzusehen. Sein Arbeitsverhältnis bei der Firma B. Imbiss ist als „tatsächlich und echt“ - und damit umgekehrt nicht als „völlig untergeordnet und unwesentlich“ - im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu qualifizieren (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Begründung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH Urteil vom 6. November 2003, C-413/01, RS Ninni-Orasche, juris Rn. 26; vgl. auch Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. September 2018, B 14 AS 18/17 R, juris Rn. 19 m.w.N.). Die Motive für den Abschluss eines Arbeitsvertrags sowie der Suche von Arbeit in einem Mitgliedstaat sind für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft unerheblich (EuGH, Urteil vom 23. Februar 1982, C-53/81, RS Levin, juris Rn. 22).

 

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Zwar stehen die europarechtlichen Verbürgungen grundsätzlich unter einem Vorbehalt des Missbrauchs (vgl. allgemein EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000, C-110/99, RS Emsland-Stärke, juris Rn. 51; EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, C-303/08, RS Bozkurt, juris Rn. 47 sowie EuGH, Urteil vom 12. März 2014, C-456/12, juris Rn. 58). Die Annahme eines Missbrauchs setzt dabei zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2012,C-364/10, RS Ungarn/Slowakei, juris Rn. 58; EuGH, Urteil vom 12. März 2014, C-456/12, juris Rn. 58; zu Beispielen für ein missbräuchliches Berufen auf Rechte aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU im Aufenthaltsrecht OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2017, 18 B 274/17, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. September 2016, 7 B 10406/16, 7 D 10407/16, juris).

 

Hierbei gilt es zu beachten, dass der Europäische Gerichtshof den Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, soweit ersichtlich, nur zur Anwendung gebracht hat, wenn die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit im Zielstaat erkennbar darauf zielte, sich Zugang zu Leistungen mit einem deutlich anderen Förderziel (konkret: Studienbeihilfen) zu verschaffen und eine mehr als ganz kurzzeitige Integration unmittelbar in den Arbeitsmarkt daher von vornherein nicht angestrebt war (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988, C-39/86, RS Lair, juris; EuGH, Urteil vom 6. November 2003, C-413/01, RS Ninni-Orasche, juris Rn. 36). Eine Übertragung dieser Überlegungen auf Sozialleistungen, die gerade der Integration in den Arbeitsmarkt dienen und aufstockend zu Einkünften aus einem - tatsächlichen und echten - Arbeitsverhältnis gezahlt werden, erscheint dem Senat bereits zweifelhaft (ebenso LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2019, L 6 AS 528/19 B ER, juris Rn. 39). Zudem fällt der Bezug aufstockender existenzsichernder Leistungen bzw. der Bezug von Leistungen nach unfreiwilliger Arbeitslosigkeit gerade in den Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und wird unter anderem von Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 garantiert. Das gilt jedenfalls, sofern die Arbeitsaufnahme nicht mehr oder weniger zum Schein erfolgt ist, wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen.

 

Der Senat geht daher davon aus, dass der Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit grundsätzlich eng auszulegen ist und die Inanspruchnahme von Bürgergeld bzw. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, nicht per se einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts begründet.

 

Für die Annahme der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bleibt daher nach Auffassung des Senats jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene - wie hier - durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf vollständig decken kann (LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2019, L 6 AS 528/19 B ER, juris Rn. 43). Der Antragsteller zu 1. hat für den hier streitigen Zeitraum ab Januar 2023 einen Regelbedarf von 451 € monatlich (nach der Regelbedarfsstufe 1 wäre, wenn man ihn zunächst isoliert betrachten wollte, von einem Regelbedarf in Höhe von 502 € auszugehen). Hinzu kommen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, wenn man von dem aktuellen Wohnverhältnissen ausgeht, also von 58,34 € monatlich. Weitere grundsicherungsrechtlich relevante Bedarfe sind nicht ersichtlich. Das arbeitsvertraglich vorgesehene Entgelt im Januar 2023 von 1.680 € brutto bzw. von 1.261,33 € netto ist damit zur Deckung des Bedarfs allein des Antragstellers zu 1. vollkommen ausreichend. Da die Antragstellerin zu 2. Elterngeld in Höhe von monatlich 300 € und die Antragsteller zu 3. bis 6. jeweils Kindergeld in Höhe von 250 € beziehen, verbleibt ein ungedeckter Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von monatlich 322,70 € bzw. von 236,65 € für die Zeit vom 10. bis 31. Januar 2023.

 

Nach Auffassung des Senats kann es die Reichweite der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs nicht beeinflussen, wenn das deutsche Existenzsicherungsrecht zumindest im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Zusammenfassung einer Familie zu einer Bedarfsgemeinschaft und die damit einhergehende horizontale Verteilung von Einkommen und Vermögen dafür sorgt, dass rechnerisch auch der Bedarf eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft mit eigenem Arbeitseinkommen erst dann vollständig gedeckt ist, wenn dies auch für alle anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gilt (ebenso LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2019, L 6 AS 528/19 B ER, juris Rn. 44).

 

Die an den Arbeitnehmerstatus eines Familienmitglieds anknüpfende Freizügigkeit der anderen Familienmitglieder (§ 3 Abs. 1 FreizügG/EU) ist allein von dem Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds abgeleitet, ohne dass insoweit Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, dass ihre Inanspruchnahme wegen des Bezugs von Sozialleistungen im Wohnsitzstaat missbräuchlich sein könnte.

 

Hiergegen spricht bereits der bisherige Verlauf der Erwerbsbiografie des Antragstellers zu 1. Allein der Umstand, dass die Erwerbstätigkeit in der Vergangenheit nicht von Dauer und durch Zeiten der Arbeitslosigkeit und Auslandsaufenthalten unterbrochen war, kann aus sich heraus keinen Missbrauch begründen, ebenso wenig, wie die jeweils nicht existenzsichernde Entlohnung (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 9. Oktober 2019, L 4 SO 160/19 B ER, juris Rn. 44). Selbst wenn man davon ausginge, dass die nach erneuter Einreise anfangs ausgeübte geringfügige Beschäftigung des Antragstellers zu 1., mit welcher dieser schon nicht seinen eigenen Bedarf zur Existenzsicherung decken konnte, den Anschein für die Annahme von rechtsmissbräuchlicher Berufung auf den Arbeitnehmerstatus zulasse, so zeigt gerade der weitere Beschäftigungsverlauf, dass die Antragsteller nicht die Absicht hatten, sich durch diese Beschäftigung lediglich Zugang zu Sozialleistungen zu verschaffen. Vielmehr hat sich der Antragsteller zu 1. fortlaufend um die Ausweitung seiner Beschäftigung bemüht. So ist es ihm gelungen, ab dem 15. Oktober 2022 eine höhere (den eigenen Bedarf deckende) Beschäftigung von 888 € brutto bzw. 827,19 € netto auszuüben. Ab dem 15. Dezember 2022 hat sich sein Verdienst unter Anhebung der Arbeitszeit auf 1.680 € brutto bzw. 1.261,33 € erhöht. Selbst nach Verlust der Erwerbstätigkeit zum 15. März 2023 ist es dem Antragsteller zu 1. gelungen, zeitnah (seit dem 22. Juni 2023) erneut einer seinen Bedarf deckenden Beschäftigung nachzugehen. Dementsprechend vermag sich der Senat auch bei einer Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls der Bewertung, die Berufung auf den europarechtlichen Status als Arbeitnehmer sei rechtsmissbräuchlich, nicht anzuschließen.

 

Nach allem ist der Senat jedenfalls nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Auffassung, dass die Berufung auf den Arbeitnehmerstatus seitens des Antragstellers zu 1. und nachfolgend auf die Freizügigkeit als Familienangehörige seitens der übrigen Antragsteller nicht als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden kann. Dementsprechend greift der Ausnahmetatbestand aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aller Voraussicht nach nicht ein, so dass ein Anordnungsanspruch als glaubhaft gemacht anzusehen ist.

 

Hinsichtlich der Berechnung des Leistungsanspruchs wird auf die vom Antragsgegner am 19. Januar 2023 vorgelegte Berechnung (Blatt 92 der Gerichtsakte), der sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, verwiesen. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner für die vorangegangenen und nachfolgenden Monate eine Neuberechnung der den Antragstellern zustehenden Leistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vornehmen wird.

 

c)

 

Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Insofern sind angesichts der hohen Erfolgsaussichten in der Hauptsache von vornherein keine übermäßigen Anforderungen zu formulieren. Hinzu kommt, dass das verfassungsrechtlich über Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Antragsteller an der nur aktuell zu verwirklichenden Sicherung ihrer Existenz den ausschließlich finanziellen Interessen des Antragsgegners gegenübersteht und diese deutlich überwiegt. Die Antragsteller haben ihre Mittellosigkeit durch Vorlage von Kontoauszügen glaubhaft gemacht.

 

3.

 

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH zu Gunsten der Antragsteller unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff., § 121 Abs. 2 ZPO) liegen für das gesamte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Auch insofern war der Beschluss des SG vom 16. März 2023 abzuändern.

 

4.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt zum einen dem anteiligen Obsiegen der Antragsteller in der Sache. Zudem war eine Abweichung von der rein erfolgsquotenmäßigen Betrachtung unter Veranlassungsgesichtspunkten vorzunehmen.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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