L 2 AS 88/20 NZB

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 2523/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 88/20 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Die zu erstattenden Gebühren bei einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren. Die Festsetzung der Gebühren durch die Behörde hat bei der gerichtlichen Überprüfung nur insofern Bedeutung, als es nicht im Ergebnis zu einer Verböserung kommen darf.

2. Bei dem Mandat des Widerspruchs gegen eine Mahngebühr wirkt es sich auf die zu erstattende Geschäftsgebühr aus, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten bereits in den noch laufenden Klageverfahren gegen die zugrundeliegenden Erstattungsbescheide vertritt. Diese kann im Einzelfall dann auch bei der doppelten Mindestgebühr (100 Euro) liegen.

 

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts vom 23. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts (SG) H. vom 23. Januar 2020. In der Sache geht es um höhere Erstattung von Kosten im Vorverfahren gem. § 63 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

 

Die Klägerin stand im Leistungsbezug beim Jobcenter Mansfeld-Südharz.  

 

Mit Bescheid vom 7. August 2017 hob das Jobcenter Mansfeld-Südharz die Leistungen für August 2017 in Höhe von 715,23 € gegenüber der Klägerin auf. Mit weiterem Bescheid vom 11. August 2017 forderte sie von der Klägerin die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für Januar bis April 2015 in Höhe von 629,40 €. Gegen beide Bescheide legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, in zwei Schreiben am 23. August 2017 Widerspruch ein (W 1323/17 und W 1324/17). Die Verwaltungsverfahren wurden mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 25. April 2018 abgeschlossen. Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, jeweils Klage vor dem SG erhoben (unter den Aktenzeichen S 6 AS 1574/18 und S 6 AS 1575/18). 

 

Die Beklagte erstellte am 4. Juni 2018 eine Mahnung im Auftrag des Jobcenters Mansfeld-Südharz und forderte die Klägerin zur Zahlung von 1.276,15 € bis zum 18. Juni 2018 auf. Mit der Mahnung des noch ausstehenden Betrages in Höhe von 1.269,15 € wurden Mahngebühren in Höhe von 7 € festgesetzt. Diese Forderung resultiere aus den oben genannten Erstattungsbescheiden vom 7. und vom 11. August 2017, die teilweise noch nicht beglichen worden seien.

 

Gegen die Festsetzung der Mahngebühren legte die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 19. Juni 2018 Widerspruch ein und verwies darauf, dass die benannten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 7. und 11. August 2017 nicht bestandskräftig seien. Insofern seien jeweils Klageverfahren beim SG anhängig. Aus diesem Grund sei die Festsetzung von Mahngebühren unrechtmäßig. Eine weitergehende Begründung enthielt der Widerspruch nicht. Die Beklagte hob die festgesetzten Mahngebühren wieder auf und erklärte sich bereit, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten zu übernehmen (Bescheid vom 3. Juli 2018). Kurz darauf legte die Klägerin persönlich ebenfalls Widerspruch ein, weil die Forderung zu Unrecht ergangen sei. Hierbei bezog sie sich auf ein Telefonat mit dem Forderungsmanagement vom 21. Juni 2018. 

 

Die Prozessbevollmächtigte stellte am 9. Juli 2018 einen Kostenfestsetzungsantrag über 229,08 € bei der Beklagten. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Geschäftsgebühr in Höhe von 172,50 €, der Pauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 20 € sowie der Umsatzsteuer in Höhe von 36,58 €.

 

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 31. Juli 2018 die zu erstattenden Kosten auf 202,30 € fest. Hierbei setzte sie eine Geschäftsgebühr in Höhe von 150 €, 20 € Pauschale für Post und Telekommunikation und 32,30 € Umsatzsteuer an. Der zeitliche Umfang und die objektive Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien im vorliegenden Fall als unterdurchschnittlich zu bewerten, die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin als allenfalls durchschnittlich und das anwaltliche Haftungsrisiko als äußerst gering. Nach alledem sei eine dreifache Mindestgebühr angemessen.

 

Hiergegen legte die Klägerin, anwaltlich vertreten, am 9. August 2018 Widerspruch ein. Die Herabsetzung der Gebühren sei rechtswidrig. Die von einem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr sei noch verbindlich, wenn sie bis zu 20 % von der Gebühr abweiche, die ein Dritter für angemessen halte. So müsse eine zu korrigierende Gebühr deutlich unbillig zu hoch sein. Mit diesen Grundsätzen sei es nicht vereinbar, die Geschäftsgebühr von 172,50 € auf 150 € zu kürzen. In vergleichbaren Fällen habe die Beklagte sogar eine Geschäftsgebühr in Höhe von 180 € akzeptiert. Es komme neben der hälftigen Schwellengebühr nur eine Ausdehnung der festzusetzenden Gebühr auf einen um maximal 20 % erhöhten Betrag in Betracht.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Umfang sei als unterdurchschnittlich zu beurteilen. Hierbei sei der Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben und den er objektiv auch auf die Sache verwenden musste. Eine Einarbeitung in einen komplexen Sachverhalt sei hier nicht erforderlich gewesen. Es sei nicht so, dass eine zwanzigprozentige Überschreitung in jedem Fall im Rahmen der Billigkeit bleibe. Der Gedanke des Spielraumes sei nur in den Fällen hilfreich, in denen mit der Mittelgebühr-Methode kein fester Betrag ermittelt werden könne.

 

Hiergegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 18. September 2018 Klage vor dem SG erhoben und auf die bisherige Begründung verwiesen. Es existiere auch kein fester Anhalt, dass für Verfahren gegen die Festsetzung von Mahngebühren regelmäßig nur eine Gebühr in Höhe von 150 € festzusetzen sei. Ausführungen zu den einzelnen Bemessungskriterien seien entbehrlich, da die Beklagte selbst eine Geschäftsgebühr von 150 € im Kostenfestsetzungsbescheid anerkannt habe, so dass ihre Gebührenbestimmung noch innerhalb des Toleranzrahmens von 20 % liege. 

 

Mit Urteil vom 23. Januar 2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Klägerin stehe kein weiterer Aufwendungsersatz nach § 63 SGB X zu. Es komme kein Toleranzzuschlag von 20 % in Betracht. Dieser stehe der Rechtsanwältin nur zu, wenn ein solcher Spielraum bestehe. Eine Bestimmung sei nicht hinzunehmen, wenn ein Ermessensfehlgebrauch – wie im vorliegenden Fall – vorliege. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen. 

 

Die Klägerin hat gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 30. Januar 2020 zugestellte Urteil am 24. Februar 2020 durch diese Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung führt sie aus: Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung. So sei nicht grundsätzlich geklärt, ob der von der Rechtsprechung entwickelte, bei der Bestimmung der Gebührenhöhe zu berücksichtigende Toleranzrahmen von 20 %, auch in Verfahren mit Bezug zur Festsetzung einer Mahngebühr anzuwenden sei, wenn eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr abgerechnet werde, und ob die Ausschöpfung des Toleranzrahmens um bis zu 20 % unbillig und damit nicht verbindlich sei. Diese Fragen seien für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung. Hierzu führt die Klägerin Entscheidungen der Sozialgerichte B. und Nordhausen an. Anders als in dem vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fall zur Mittelgebühr fehle eine entsprechende gefestigte Rechtsprechung für Verfahren in Bezug auf die Festsetzung einer Mahngebühr. Die Rechtsfrage sei auch für den Ausgang des Verfahrens relevant. 

 

Zudem weiche die Entscheidung von zwei Entscheidungen des BSG ab und beruhe hierauf. Das SG habe in seiner Entscheidung ausgeführt, der Toleranzrahmen von 20 % sei nicht zu berücksichtigen, wenn ein Ermessensfehlgebrauch vorliege. Dies widerspreche den Ausführungen zum Toleranzrahmen in den Entscheidungen des BSG (Urteile vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R und 12. Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R). Dort habe das BSG, die Anwendung des Toleranzrahmens nicht eingeschränkt.

 

Es liege außerdem ein Verfahrensmangel vor. Die Entscheidung stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Der Gesichtspunkt des Ermessensfehlgebrauches sei zuvor nicht erörtert worden. Bei einem entsprechenden Hinweis hätte die Klägerin darauf verwiesen, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nicht weit unterdurchschnittlich gewesen sei, sondern allenfalls leicht unterdurchschnittlich. Es seien mehrere Bescheide zu überprüfen gewesen und eine Besprechung mit der Klägerin habe erfolgen müssen. Darüber hinaus werde gerügt, dass die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei. Denn die Urteilsurschrift sei durch den Kammervorsitzenden lediglich mit einer Paraphe unterzeichnet worden. Es seien weder Buchstaben noch Buchstabenfragmente zu erkennen. Insofern liege ein absoluter Revisionsgrund vor.

 

Die Beklagte sieht keine Zulassungsgründe für die Berufung. Eine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreites sei nicht zu erkennen. Auch eine Divergenz oder ein Verfahrensfehler lägen nicht vor.

 

Der Berichterstatter hat die Beteiligten dazu angehört, dass es bei der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde auf die diskutierten Rechtsfragen in Bezug auf den Toleranzrahmen nicht ankommen könnte, weil schon die Geschäftsgebühr in Höhe von 150 € von der Beklagten objektiv zu hoch angesetzt worden sein dürfte. Insoweit hat er den Beteiligten mit Schreiben vom 27. August 2020 mitgeteilt, dass sich aus der beigezogenen Verwaltungsakte des Jobcenters Mansfeld-Südharz aus dem Berufungsverfahren L 2 AS 883/17 bzw. einem Telefonat vom 27. August 2020 mit dem Jobcenter Mansfeld-Südharz ergebe, dass sowohl die Widerspruchsverfahren W 1323/17 und W 1324/17 als auch die nachfolgenden Klageverfahren S 6 AS 1574/18 und S 6 AS 1575/18 vor dem SG jeweils von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertreten worden seien. Hierauf haben sich die Beteiligten nicht geäußert.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Daneben wurden die Verwaltungsakten des Jobcenters Mansfeld-Südharz aus dem Gerichtsverfahren L 2 AS 883/17 beigezogen. Diese haben vorgelegen und ihr Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

II.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Berufung gegen das Urteil vom 23. Januar 2020 nicht zugelassen.

 

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,01 € nicht erreicht, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin begehrt die Übernahme höherer Aufwendungen in Höhe von 26,78 € für ein Widerspruchsverfahren.

 

Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn

 

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

 

das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

 

ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

 

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 144 Rn. 28). Zudem muss die Rechtsfrage auch konkret für die Lösung des Falles erheblich sein (nach der Terminologie des BSG: klärungsfähig, vgl. statt anderer: BSG, Beschluss vom 23. Februar 2011 – B 4 AS 170/10 B –, juris). 

 

Solche ungeklärten Rechtsfragen, die für das Ergebnis des Verfahrens relevant sind, wirft der Rechtsstreit nicht auf. Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen, insbesondere ob die Ausschöpfung des Toleranzrahmens durch einen Rechtsanwalt verbindlich ist, ungeklärt sind. Jedenfalls kommt es auf diese Fragen für die Lösung des Rechtsstreites nicht an. Denn die Beklagte hat unabhängig dieser Frage jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin unrichtig entschieden. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin festgesetzten Gebühr war unbillig, weil sie mehr als 20 % oberhalb der gesetzlich zustehenden Gebühr lag.

 

Der Anspruch der Klägerin auf Freistellung vom Vergütungsanspruch ihrer Anwältin durch Erstattung folgt aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Widerspruch der Klägerin ist vollständig erfolgreich gewesen. Die Beklagte hat mit ihren Bescheiden vom 3. Juli und 31. Juli 2018 bindend entschieden, dass sie die der Klägerin im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren ihrer Bevollmächtigten dem Grunde nach zu erstatten hat.

 

Bei den nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstattenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X handelt es sich nur um die gesetzlichen Gebühren (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R –, juris). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist bei der Bestimmung der Rahmengebühr deshalb nicht die von der Beklagten angenommene Höhe der Rahmengebühr von 150 € „gesetzt“ und vom Gericht ungeprüft zugrunde zu legen. Es darf nur im Ergebnis nicht zu einer Verböserung kommen. Die Anfechtung eines Kostenfestsetzungsbescheides durch die Erstattungsberechtigten darf nicht zu einer insgesamt niedrigeren Festsetzung führen. Bei der Prüfung, ob der geltend gemachte höhere Anspruch zusteht, sind jedoch die gesetzlich zustehenden Gebühren zu ermitteln. Diese Vergütung bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG). Hiernach entstehen in sozialrechtlichen Angelegenheiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, für die - wie hier - bei Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden wäre, sogenannte Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 2 RVG). Deren Rahmen wird durch das Vergütungsverzeichnis (VV) in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG vorgegeben. Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Es ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG).

 

Unter Beachtung dieser Kriterien ist der Ansatz einer Geschäftsgebühr in Höhe von 172,50 € nicht verbindlich, weil er unbillig ist.

 

Nach Nr. 2302 VV RVG in der maßgeblichen Fassung bei Erteilung des Mandates fällt in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, eine Geschäftsgebühr in Höhe von 50 € bis 640 € an. Eine Gebühr von mehr als 300 € kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich und schwierig war (sog. Schwellengebühr). Die Gebühr ist im Wege der Gesamtwürdigung aller gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG maßgeblichen Umstände des Einzelfalles zu bestimmen. Diese stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander. Die Aufzählung der Bemessungskriterien ist nach dem Wortlaut der Vorschrift („vor allem“) nicht abschließend, so dass weitere unbenannte Kriterien mit einbezogen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R –, juris). Die Mittelgebühr (Addition von Mindest- und Höchstgebühr dividiert durch 2) stellt dabei in Normalfällen die billige Gebühr des Anwaltes dar.

 

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war vorliegend weit unterdurchschnittlich. Hierbei ist der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache getrieben hat und den er objektiv auch auf die Sache verwenden musste. Es stellt dabei einen wesentlichen zu berücksichtigenden Umstand dar, ob der Rechtsanwalt vorbefasst war oder nicht; dies kann darüber entscheiden, ob der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als unterdurchschnittlich oder weit unterdurchschnittlich zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 5/15 R –, juris, Rn. 18). Vorliegend war die Rechtsanwältin konkret befasst mit den Klageverfahren gegen die Erstattungsbescheide, die Gegenstand der durch die Beklagte beizutreibenden Forderung waren. So hat sie die Klägerin neben zahlreichen anderen Verfahren auch in den Widerspruchsverfahren W 1323/17 und W 1324/17 und den nachfolgenden Klageverfahren S 6 AS 1574/18 und S 6 AS 1575/18 vertreten. Daher konnte sie den Widerspruch aus eigener Kenntnis darauf stützen, dass die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wegen anhängiger Klageverfahren noch nicht bestandskräftig seien. Auf diese Aussage beschränkte sich ihre wenig mehr als drei Zeilen umfassende Begründung des Widerspruchs. Einer Besprechung mit der Klägerin bedurfte es dazu objektiv nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin gleichwohl auf einer solchen bestanden hätte. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar in ihrer Beschwerdeschrift angedeutet, dass eine solche stattgefunden habe („eine Besprechung habe erfolgen müssen“). Doch selbst wenn dies zutreffen sollte, könnte sich eine objektiv nicht erforderliche und von der Mandantin nicht eingeforderte Besprechung nicht gebührenerhöhend auswirken. Im Übrigen erscheint es wenig plausibel, dass eine solche Vorsprache konkret wegen des hier in Rede stehenden Widerspruchs tatsächlich stattgefunden hat. Dies lässt sich nur schwer damit in Einklang bringen, dass sich die Klägerin selbst veranlasst gesehen hat, wenige Tage nach dem Widerspruch ihrer Rechtsanwältin eigenständig Widerspruch gegen die Mahngebühr einzulegen und dabei auf ein eigenes Telefonat mit dem Forderungsmanagement vom 21. Juni 2018 zu verweisen. Dieses Verhalten erscheint wenig nachvollziehbar, wenn sie mit ihrer Anwältin kurz zuvor bei einer Vorsprache über die Einlegung des Widerspruches durch diese gesprochen hätte.

 

Auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist deutlich unterdurchschnittlich. Die vom Umfang zu unterscheidende Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit meint die Intensität der Arbeit. Ausgehend von einem objektiven Maßstab ist auf einen Rechtsanwalt abzustellen, der sich bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken kann und darf, den Fall mit den einschlägigen Rechtsvorschriften, gegebenenfalls unter Heranziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur, zu bearbeiten (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R –, juris). Es bedarf keiner besonderen sozialrechtlichen Fachkenntnisse, um zu erkennen, dass eine bereits angegriffene Erstattungsforderung keine Grundlage für eine Mahngebühr sein kann. Die Rechtsanwältin musste sich nicht mit der Rechtmäßigkeit der Bewilligung von SGB II-Leistungen befassen, sondern nur mit der Auswirkung, die eine nicht bestandskräftige Forderung auf die Berechtigung der Mahngebühr hat. So hat sie darauf vertraut, dass bereits der bloße Hinweis auf die Klagen gegen die Erstattungsbescheide ausreicht, um die Mahngebühr entfallen zu lassen. Insoweit hat sie ausweislich ihrer Kurzbegründung – zu Recht – keine weiteren juristischen Ausführungen für nötig gehalten. Auch die Intensität der Befassung mit der Sache war daher für einen Rechtsanwalt gering.

 

Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin war leicht unterdurchschnittlich. Vorliegend ging es primär um die Berechtigung der Mahngebühr in Höhe von 7 €. Grundsätzlich ist beim Vorgehen gegen eine Mahnung die zugrunde liegende Forderung (hier: 1.269,15 €) als gebührenerheblicher Umstand zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 5/15 R –, juris). So wurde in dem vom BSG entschiedenen Fall die Höhe der Zahlungsaufforderung mitberücksichtigt, weil es sich bei ihr zusammen mit der Mahnung um eine untrennbare Angelegenheit handelt. Hier liegen jedoch Umstände im Einzelfall vor, die bei der Beurteilung der Bedeutung der Mahnung für die Klägerin zu berücksichtigen sind. Dass solche relativierenden Umstände bestehen können, hat auch das BSG in der vorgenannten Entscheidung angeführt (BSG, a. a. O. Rn. 23 a. E.) Hierzu hat das BSG ausgeführt, dass im dortigen Fall keine nur unterdurchschnittliche Bedeutung vorliege, werde nicht dadurch relativiert, dass über den Bestand der der Mahnung zugrunde gelegte Rückforderungsbescheide bereits in anderen Verfahren zu entscheiden und daher über die Durchsetzbarkeit der Forderung nicht im Wesentlichen im Rahmen des Mahnverfahrens zu befinden gewesen wäre. Die Klägerin hat hier den Rückforderungs- bzw. Erstattungsbescheid gerichtlich angegriffen. Ihr drohte daher zurzeit keine Vollstreckung der Forderung, bzw. sie konnte diese mit einem einfachen Hinweis auf die laufenden Klageverfahren gegen die Rückforderungsbescheide beenden. Aus diesem Grund kommt dem Widerspruch gegen die Mahnung und Mahnforderung eine geringere Bedeutung zu, als wenn die Forderung nicht eigenständig angegriffen worden wäre.

 

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin sind weit unterdurchschnittlich. Die Klägerin war Bezieherin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

 

 

 

Ein Haftungsrisiko der Rechtsanwältin, welches als „besonderes“ Risiko allenfalls die Gebühr erhöhen könnte, ist vorliegend weder zu erkennen noch von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend gemacht.

 

Unter Berücksichtigung eines weit unterdurchschnittlichen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit, einer deutlich unterdurchschnittlichen Schwierigkeit, weit unterdurchschnittlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse, einer leicht unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit und dem Nichtvorliegen eines erhöhten Haftungsrisikos ist eine Geschäftsgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr, also in Höhe von 100 €, gerechtfertigt.    

 

Es besteht auch keine Divergenz zu anderen Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte. Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, nicht übereinstimmen (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2002 – B 7 AL 142/02 B –, juris). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalles bezogener rechtlicher Aussage vor. Dabei muss es im Ansatz um dieselbe Rechtsfrage gehen, zu der das abweichende Gericht eine die Entscheidung tragende andere Rechtsansicht entwickelt hat. Das angefochtene Urteil muss auf dieser Abweichung beruhen, d. h. es ist erforderlich, dass die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem abgewichen ist, anders hätte ausfallen müssen (BSG, Beschluss vom 26. Januar 2005 – B 12 KR 62/04 BSozR 4-1500 § 160a Nr. 6). Unabhängig davon, ob das SG einen abweichenden Rechtssatz zu der Anwendbarkeit des Toleranzrahmens aufgestellt hat, kann die Entscheidung jedenfalls darauf nicht beruhen. Sie wäre - wie oben dargelegt - auch ohne diesen Rechtssatz nicht anders ausgefallen.

 

Schließlich liegt auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, nicht vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Dabei bezieht sich der Mangel nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, sondern auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 32). Dies können auch Mängel der Entscheidung selbst sein. So kommen Verfahrensmängel in Betracht bei einem Verstoß gegen Denkgesetze, soweit allein der Tatsachenbereich und nicht die rechtliche Subsumtion berührt ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 18/04 R – zitiert nach juris). Für die Geltendmachung des Verfahrensmangels müssen die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, angegeben werden, und aus den Tatsachen muss sich schlüssig ergeben, welcher Mangel gerügt werden soll, wobei die verletzte Verfahrensvorschrift nicht ausdrücklich genannt werden muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 36). Erst dann ist überhaupt zu prüfen, ob ein solcher Fehler tatsächlich vorgelegen hat. 

 

  

 

Die Klägerin hat einen Mangel gerügt, der als absoluter Revisionsgrund erheblich wäre. Dies betrifft die fehlende Unterschrift unter dem Urteil innerhalb der Fünfmonatsfrist, weshalb dieses als nicht mit Gründen versehen gelten würde. Dies ist gem. § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 6 der Zivilprozessordnung ein absoluter Revisionsgrund. Allerdings liegt ein solcher Mangel nicht vor. Denn das Urteil ist von dem Vorsitzenden der Kammer des Sozialgerichts unterschrieben worden. Mit dem Begriff Unterschrift verbindet der Sprachgebrauch ein Gebilde aus Buchstaben einer üblichen Schrift, d. h. eines Schriftzuges, der sich – ohne lesbar sein zu müssen – als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Erforderlich, aber auch genügend ist das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechende charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 2016 – B 5 R 45/16 B –, juris). Es muss die ursprüngliche Schrift in Buchstaben zumindest andeutungsweise zu erkennen sein. Dies ist bei der Unterschrift des Kammervorsitzenden der Fall. So handelt es sich erkennbar nicht nur um eine kurze Paraphe, sondern einen längeren Schriftzug, bei der ein „P“ als Anfangsbuchstabe und weitere Buchstaben erkennbar sind, auch wenn die weiteren Buchstaben einem starken Abschleifungsprozess unterliegen. Es handelt sich um eine charakteristische Unterschrift des Namens "P.".

 

Ein Verfahrensfehler in Form einer „Überraschungsentscheidung“ kommt nicht in Betracht, weil es auf den weiteren von der Klägerin im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Vortrag nicht ankommt. 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde – wie dargelegt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. 

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

gez.                                               gez.                                             gez.

 

Dr. Harks                                       Wulff                                           Dr. Schmidt

 

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