Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der Beklagte hatte bei dem 1963 geborenen Kläger 2015 einen Gesamt-GdB von 40 festgestellt. Den Neufeststellungsantrag vom 1. Dezember 2016 lehnte er mit Bescheid vom 29. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 ab. Dem legte er zuletzt folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Bypass, Koronardilatation/Stent, künstliche Herzklappe, Antikoagulantientherapie.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger einen GdB von mindestens 50 begehrt. Neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. H vom 5. November 2018 eingeholt, der den Gesamt-GdB mit 40 bewertet hat. Hierzu hat der Sachverständige folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:
- koronare 3-Gefäßerkrankung mit Zustand nach Herzinfarkt, nachfolgend ACVB-Operation und Aortenkunstklappenersatz, Notwendigkeit einer Antikoagulantientherapie (Einzel-GdB von 40),
- degenerativ bedingte unteres Wirbelsäulensyndrom mit leichtgradigem Funktionsdefizit (Einzel-GdB von 10).
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2019 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es, dem Gutachten folgend, ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 40.
Mit der Berufung gegen die sozialgerichtliche Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist insbesondere der Ansicht, sein Wirbelsäulenleiden und seine psychischen Störungen seien nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch vom 1. Oktober 2020. Nach Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige den Gesamt-GdB mit 40 bewertet. Hierzu hat er folgende GdB-relevante Funktionsbehinderungen ermittelt:
- Bluthochdruck, abgelaufener Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen des Herzkranzgefäße, Aufweitung der Herzkranzgefäße, Bypass, Aortenklappe, Herzrhythmusstörungen bei ständigem Vorhofflimmern, Notwendigkeit der Einnahme gerinnungshemmender Medikamente, Herzleistungsminderung (Einzel-GdB von 40),
- Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden, Nervenreizungen (Einzel-GdB von 10).
Der Kläger hat einen Bericht über die CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 29. April 2021 vorgelegt.
Ferner hat der Senat das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 5. Oktober 2022 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 16. September 2022 eine Dysthymie festgestellt und mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat. Den Gesamt-GdB hat der Sachverständige mit 40 eingeschätzt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juli 2019 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 29. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2016 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juli 2019 ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger kann nicht erfolgreich die Feststellung eines Gesamt-GdB von mehr als 40 beanspruchen.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) heranzuziehen.
Die Funktionsstörungen des Klägers im Funktionssystem Herz/Kreislauf bedingen nach den Vorgaben in der VMG einen Einzel-GdB von 40. Neben dem Bluthochdruck (siehe B 9.3 VMG) sind bei dem Kläger operative Eingriffe am Herzen (B 9.1.2 Satz 1 VMG), ein abgelaufener Herzinfarkt (B 9.1.3 VMG) sowie Rhythmusstörungen (B 9.1.6 VMG) zu berücksichtigen, deren Bewertung sich nach der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung richtet, wobei nach B 9.1.2 Satz 2 VMG bei Herzklappenprothesen der GdB nicht niedriger als 30 zu bewerten ist; dieser Wert schließt die Antikoaglulantienbehandlung ein. Die danach maßgebliche Herzleistungsminderung des Klägers eröffnet bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt nach B 9.1.1 Nr. 1 VMG einen GdB-Rahmen von 20 bis 40. Der Senat hält nach einer Gesamtschau der Funktionsstörungen in diesem Funktionssystem die Bewertung mit 40, also am oberen Rand dieses Rahmens, für angemessen.
Die Wirbelsäulenschäden des Klägers sind mit einem Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Vor dem Hintergrund der Vorgaben in B 18.9 VMG ist ein höherer Einzel-GdB nicht zu rechtfertigen. Nach den gutachterlichen Feststellungen leidet der Kläger an Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, der Lendenwirbelsäule. B 18.9 VMG sieht hierfür einen GdB von 10 vor. Außergewöhnliche Schmerzsyndrome haben die Sachverständigen bei dem Kläger nicht feststellen können. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem CT-Befund vom 29. April 2021, in dem von gering zunehmenden Bandscheibenprotrusionen berichtet wird. Maßgebend sind, was in B 18.1 VMG betont wird, nicht mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen, sondern Funktionsbeeinträchtigungen, die sich auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken (siehe § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Für das Vorliegen von Funktionsbeeinträchtigungen, die für das Wirbelsäulenleiden einen höheren Einzel-GdB als 10 rechtfertigten, ergeben sich aus dem genannten Bericht keine Anhaltspunkte. Im Vergleich zu der 2018 durchgeführten Voruntersuchung sind nur gering zunehmende Bandscheibenprotrusionen in Höhe L4/S1 festgestellt worden.
Im Funktionssystem Nervensystem und Psyche beträgt der Einzel-GdB bei dem Kläger 10. Er leidet nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B an leichteren psychischen Beschwerden, für die nach B 3.7 VMG ein GdB-Rahmen von 0 bis 20 vorgesehen ist. Entgegen dem Vorschlag des Gutachters ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die psychischen Leiden mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Denn die gutachterlichen Feststellungen rechtfertigen keine Bewertung am oberen Rand des GdB-Rahmens, da aus den psychischen Belastungen keine nennenswerte Beeinträchtigung von Antrieb und psychischer Vitalität bei dem Kläger resultieren und dessen kognitive Leistungsfähigkeit im Wesentlichen intakt ist.
Der Einzel-GdB von 40 im Funktionssystem Herz/Kreislauf bildet auch den Gesamt-GdB ab, da sich das Wirbelsäulenleiden und das psychische Leiden, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, nicht erhöhend auswirken. Denn nach A 3d ee VMG führen – von hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Im Übrigen würde sich an der Höhe des Gesamt-GdB nichts ändern, wenn die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von 20 gewertet würde. Denn im Rahmen der Bemessung des jeweiligen Einzel-GdB für die bei dem Kläger festgestellten körperlichen Erkrankungen sind die üblichen seelischen Begleiterscheinungen bereits berücksichtigt (vgl. A 2i Satz 2 VMG). Eine unabhängig von seinen körperlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu sehende psychische Erkrankung oder Störung ist bei dem Kläger, was der Sachverständige Dr. B überzeugend darlegt hat, nicht festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.