L 27 AS 314/23 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 108/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 AS 314/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 22. März 2023 geändert.

 

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragstellerinnen vorläufig für die Zeit ab dem 7. März 2023, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache, jedoch nicht über den 31. August 2023 hinaus, Bürgergeld in Gestalt der Regelbedarfsleistungen unter Anrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes und der tatsächlich gezahlten Unterhaltskostenvorschüsse zu gewähren.

 

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

 

Den Antragstellerinnen wird mit Wirkung vom 4. April 2023 Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gewährt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.

 

 

 

 

Gründe

 

Die Beschwerde der Antragstellerinnen ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 172 SGG, sie hat auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

 

Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 22. März 2023 war zu ändern, soweit er die Gewährung der Regelbedarfsleistungen an die Antragstellerinnen unter Anrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes und der tatsächlich gezahlten Unterhaltskostenvorschüsse betrifft. Insoweit war dem Antragsgegner aufzugeben, vorläufig Leistungen an die Antragstellerinnen zu erbringen.

 

Zwar ist nach gegenwärtigem Sachstand zweifelhaft, ob die hier betroffene Bedarfsgemeinschaft allein aus den beiden Antragstellerinnen besteht oder ob darüber hinaus auch der hier nicht am Verfahren beteiligte I S als weiteres Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen ist. Die hier zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten sind von erheblicher Komplexität und lassen sich voraussichtlich erst in einem Verfahren der Hauptsache abschließend klären und beurteilen. Vor diesem Hintergrund haben die Antragstellerinnen nach den geltenden allgemeinen Regeln einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können.

 

Andererseits besteht im Hinblick auf die Gewährung der Regelbedarfsleistungen an die Antragstellerinnen potentiell eine erhebliche Dringlichkeit, weil diese Leistungen, sofern eine Bedarfsgemeinschaft im Endergebnis nicht bestehen sollte, für die Antragstellerinnen von existenzieller Bedeutung wären. In dieser Lage ist nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Folgenabwägung vorzunehmen. Auf der einen Seite sind die Folgen zu betrachten, die eintreten würden, wenn den Antragstellerinnen die begehrte Leistung nicht gewährt würde und sich später im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Antragstellerinnen tatsächlich anspruchsberechtigt gewesen wären. Auf der anderen Seite sind die Folgen zu betrachten, die eintreten würden, wenn umgekehrt den Antragstellerinnen vorläufig Leistungen zugebilligt würden, sich aber im Verfahren der Hauptsache später herausstellen würde, dass materiell-rechtliche Ansprüche tatsächlich nicht bestanden.

 

Diese Folgenabwägung führt dazu, dass im Hinblick auf die Regelbedarfsleistungen die Gewährung aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes an die Antragstellerinnen erforderlich ist. Denn wenn sich später im Verfahren der Hauptsache herausstellen sollte, dass tatsächlich Ansprüche der Antragstellerinnen bestanden hätten, so wären ihnen äußerst bedeutsame Leistungen der Existenzsicherung vorenthalten worden. Demgegenüber muss das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen Durchführung der Leistungsgewährung im Einzelfall zurücktreten. Es muss im Rahmen dieser Folgenabwägung hingenommen werden, dass möglicherweise für einen vorübergehenden Zeitraum an die Antragstellerinnen vorläufig Leistungen erbracht werden, die diesen nach endgültiger Prüfung nicht zustehen und die von diesen dann zurückzufordern wären.

 

Im Übrigen jedoch war die Beschwerde zurückzuweisen.

 

So war zunächst im Hinblick auf die Regelbedarfsleistungen eine Begrenzung sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht vorzunehmen. Dies betrifft zum einen den Umstand, dass Leistungen durch den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens der Hauptsache zu begrenzen sind. Darüber hinaus erscheint auch eine vorläufige Begrenzung der Bezugsdauer auf den Zeitraum etwa eines halben Jahres für diese vorläufigen Leistungen angemessen. Sofern die Antragstellerinnen auch für die Zeit ab September 2023 Leistungen begehren, wären diese gegebenenfalls bei dem Antragsgegner erneut zu beantragen. Im Streitfalle wäre ungeachtet des Ausganges des hiesigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls ein erneutes Verfahren des gerichtlichen Rechtsschutzes zu eröffnen. Dies ändert indessen nichts daran, dass im vorliegenden Verfahren die zeitliche Begrenzung sachgerecht ist.

 

Im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung sowie auf gegebenenfalls Sonderbedarfe wegen der Warmwasseraufbereitung führt die Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass insoweit auch vorläufig keine Leistungen zu erbringen sind. Insoweit droht nicht eine mögliche Existenzgefährdung zum Nachteil der Antragstellerinnen, insbesondere droht ihnen kein Wohnungsverlust. Im Hinblick auf diese Teilbereiche der Leistungen ist – jedenfalls nach gegenwärtigem Sachstand - effektiver Rechtsschutz für die Antragstellerinnen dadurch erreichbar, dass das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abgewartet wird. Sollten insoweit Änderungen in den tatsächlich oder rechtlichen Verhältnissen eintreten, wäre darüber gegebenenfalls in gesonderten Verfahren zu entscheiden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens unter Berücksichtigung des wechselseitigen Unterliegens.

 

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerinnen war mit Wirkung vom 4. April 2023, dem Tag des Eingangs der Beschwerde bei Gericht, auszusprechen, weil die Voraussetzungen des § 114 Zivilprozessordnung vorliegen.

 

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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