Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB).
Bei der im Jahr 1961 geborenen Klägerin, die sich wegen eines beidseitigen Mammakarzinoms im Dezember 2007 und im Januar 2008 in stationärer Behandlung befand, wurde eine Ablatio mammae der rechten Brust durchgeführt. Auf ihren Antrag stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 2008 bei ihr einen Gesamt-GdB von 80 fest. Hierbei berücksichtigte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen:
- Erkrankung der Brust rechts und links im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB von 80),
- Bluthochdruck (Einzel-GdB von 10).
Auf der Grundlage des im Nachprüfungsverfahren eingeholten Befundberichts der behandelnden Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe B vom 29. Juli 2016 und des Ultraschallbefundes vom 4. Juli 2016 setzte der Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 28. Februar 2017, der am folgenden Tag zur Post gegeben wurde, mit Wirkung ab dem 4. März 2017 den Gesamt-GdB auf 30 herab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Nach Auswertung des Befundberichts des MVZ St vom 3. April 2017 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2017 zurück, wobei er zuletzt von folgenden GdB-relevanten Gesundheitsbeeinträchtigungen ausging:
- Verlust der Brust rechts und Teilverlust der Brust links bei erreichter Heilungsbewährungszeit (Einzel-GdB von 30),
- Bluthochdruck (Einzel-GdB von 10).
Mit ihrer Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat sich die Klägerin gegen die Entscheidung des Beklagten gewandt. Neben Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. H vom 10. November 2018 mit ergänzender Stellungnahme vom 14. April 2019 eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung der Klägerin den Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt hat. Hierbei hat der Sachverständige die von ihm ermittelten Gesundheitsstörungen bei der Klägerin wie folgt bewertet:
- Zustand nach operiertem, chemotherapiertem und bestrahltem Mamma-karzinom beidseitig im Jahre 2008 (Einzel-GdB von 30),
- essentieller Bluthochdruck, medikamentös ausreichend kompensierbar, kein Hinweis auf hypertensive Folgekrankheiten (Einzel-GdB von 10),
- nicht gänzlich korrekturfähige Minderung der Sehkraft (Visus beidseitig 0,6), diskreter Geradeausblick-Nystagmus ohne daraus abzuleitende Beeinträchtigung (Einzel-GdB von 10).
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne gegen den Beklagten über die in den angegriffenen Bescheiden getroffene Feststellung hinaus ab dem 4. März 2017 keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 30 herleiten.
Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, die Funktionseinschränkungen seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Der Gesamt-GdB betrage mindestens 50. Insbesondere der Schweregrad der Auswirkungen der Brustkrebserkrankung sei verkannt worden. Sie leide an erheblichen Nebenwirkungen der verordneten Medikamente wie Hautausschlag, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen sowie dünnerem und lückenhaftem Haar sowie an erheblichen psychischen Beeinträchtigungen und Ängsten. Ihre verminderte Sehfähigkeit sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Keine Berücksichtigung habe ihre Darmerkrankung gefunden. Darüber hinaus bestehe bei ihr der Verdacht auf Diabetes.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2019 und den Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Die Berufung der Klägerin wird nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückgewiesen, da der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Herabsetzung des GdB auf 30 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für einen Absenkungsbescheid bildet § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Vorliegend handelt es sich bei diesem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Bescheid vom 7. Februar 2008, mit dem bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 80 festgesetzt worden war. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen hatten, trat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten eine wesentliche Änderung ein, die eine Herabsetzung des Gesamt-GdB auf 30 rechtfertigte.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) heranzuziehen.
Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils vom 19. Dezember 2019 und sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Bewertung der Brustkrebserkrankung mit einem Einzel-GdB von 30 ab dem 4. März 2017 nicht zu beanstanden. Die fünfjährige Heilungsbewährung, während derer ein Einzel-GdB von 80 zu vergeben war (vgl. A 1c und B 14.1 VMG), war zu diesem Zeitpunkt erfolgreich abgelaufen, da keine Rezidive oder Metastasen aufgetreten waren. Für den Verlust der rechten Brust war nach B 14.1 VMG ein GdB von 30 vorgesehen.
Das seelische Leiden der Klägerin infolge der Brustkrebserkrankung bedingte keinen eigenständigen Einzel-GdB. Denn die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen. Ausdrücklich nennt A 2 lit. i Satz 2 VMG in diesem Zusammenhang den Verlust der weiblichen Brust. Nach A 2 lit. i Satz 3 VMG ist ein höherer GdB nur dann gerechtfertigt, wenn die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher sind als aufgrund der organischen Veränderungen zu erwarten wäre. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass im maßgeblichen Zeitraum vom 4. März 2017, der Bekanntgabe des Absenkungsbescheides vom 28. Februar 2017, bis zum 22. Juli 2017, der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2017, eine derart schwere psychische Erkrankung bei der Klägerin vorgelegen hätte. Im Gegenteil hat die behandelnde Gynäkologin B im Befundbericht vom 19. Dezember 2017 angegeben, die Klägerin habe an den üblichen Beschwerden durch die Mastektomie gelitten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 22. Januar 2018, die von der Klägerin am 13. Oktober 2017 und am 1. Dezember 2017, d.h. nach Klageerhebung, aufgesucht wurde. Bei der – hier gegen die Absenkung gerichteten – Anfechtungsklage können Änderungen des Gesundheitszustandes der Klägerin, die erst nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums eingetreten sind, keine Berücksichtigung finden. Zudem haben sich bei der gutachterlichen Untersuchung der Klägerin am 2. November 2018 durch den Sachverständigen Dr. H keine Hinweise auf psychische Alterationen im Sinne einer Anpassungsstörung, einer Depressivität oder Affektstörung von funktioneller Relevanz gezeigt. Das Vorliegen eines Fatigue-Syndroms (B 18.4 VMG) hat der Gutachter ausdrücklich verneint.
Der Bluthochdruck ohne Organbeteiligung bedingte nach B 9.3 VMG einen Einzel-GdB von 10.
Der Einzel-GdB im Funktionssystem der Augen betrug 10. Für die Minderung der korrigierten Sehschärfe bei einem beidseitigen Visus von 0,6 sieht die nach B 4.3 VMG einschlägige MdE-Tabelle der DOG einen GdB von 10 vor. Dieser GdB ist nicht mit Rücksicht auf den diskreten Geradeausblick-Nystagmus anzuheben, da nach den Feststellungen des Sachverständigen hiermit keine Beeinträchtigungen der Klägerin verbunden sind.
Der Umstand, dass die Klägerin im Hinblick auf eine Erkrankung an Diabetes mellitus Diät hält, begründete, wie B 15.1 VMG zeigt, keinen GdB.
Im Funktionssystem der Verdauung (vgl. A 2 lit. e Satz 2 VMG) war kein GdB festzustellen. Die im Rahmen der von der Klägerin wahrgenommenen Vorsorgeuntersuchung vom 18. September 2017 im Sigma festgestellte Divertikel rechtfertigten nach B 10.2.2 VMG mangels Funktionsbeeinträchtigung keine Zuerkennung eines GdB, da sich bei subjektiver Beschwerdefreiheit keine Hinweise auf entzündliche oder neoplastische Veränderungen zeigten.
Die VMG sehen keinen eigenständigen GdB dafür vor, dass die Haare der Klägerin dünner und am Hinterkopf lückenhaft nachwuchsen. Diese Behandlungsfolgen waren als solche nicht mit Teilhabebeeinträchtigungen verbunden.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben betrug bei der Klägerin der Gesamt-GdB 30.
Dem Einzel-GdB von 30 für den Verlust der rechten Brust war nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf den Bluthochdruck und die Minderung der Sehschärfe, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, kein Punktwert von 10 oder mehr hinzuzufügen. Diese Behinderungen wirkten sich bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht aus. Denn leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtauswirkung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte (vgl. 3 lit. d ee VMG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.