L 8 R 446/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 R 1271/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 446/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 21.04.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

 

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).

 

Der 1966 geborene Kläger, der bis zu einem 2006 erlittenen Herzinfarkt als Staplerfahrer arbeitete, stellte nach einer ihm aufgrund Vergleichs im Klageverfahren (Sozialgericht Detmold, S 22 R 1149/15) im Zeitraum von September 2015 bis Oktober 2016 bewilligten Erwerbsminderungsrente im August 2017 erneut einen entsprechenden Antrag.

 

Die Beklagte bewilligte ihm zunächst eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der C.-Klinik. Dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 04.02.2018 ist zu entnehmen, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung im Umfang von mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne.

 

Mit Bescheid vom 05.06.2018 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da es an den medizinischen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung fehle.

 

Auf den Widerspruch des Klägers vom 14.06.2018, den dieser damit begründete, wegen der bestehenden Schmerzen im Rücken, in den Händen und der linken Schulter unter erheblichen Schlafstörungen zu leiden und in seiner Gehstrecke stark eingeschränkt zu sein, holte die Beklagte ein Gutachten der Fachärztin für Psychosomatische Medizin L. vom 09.05.2019 ein. Diese hielt den Kläger für in der Lage, einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mehr als sechs Stunden täglich mit im Gutachten genannten qualitativen Einschränkungen nachzugehen. Eine nochmalige Absolvierung einer teilstationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation werde empfohlen. Der anschließend beauftragte Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie Dr. R. sah sich in seinem Gutachten vom 09.07.2019 nicht in der Lage, die Leistungsfähigkeit des Klägers ausreichend sicher zu beurteilen. Im Vordergrund stünden die orthopädischen Beschwerden. Er empfehle ebenfalls die Absolvierung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

 

Die Beklagte bewilligte dem Kläger darauf eine ambulante Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik N., die vom 28.01.2020 bis 02.03.2020 durchgeführt wurde. Die behandelnden Ärzte stellten eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Agoraphobie ohne Angabe einer Panikstörung, eine nicht näher bezeichnete kardiale Arrhythmie, eine benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise sowie eine Adipositas Grad III fest und gelangten nach Abschluss der Maßnahme zur Einschätzung, dass der Kläger arbeitsfähig sei und leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne (Entlassungsbericht vom 02.03.2020).

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2020 zurück.

 

Am 04.12.2020 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Detmold (SG) Klage erhoben und die Auffassung vertreten, er sei nicht in der Lage, mehr als drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Zur Begründung hat er eine (entsprechende) Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie P. vom 16.02.2021 sowie eine solche des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie E. vom 20.01.2021 beigefügt, der davon ausging, dass das Rehaverfahren nicht zu einer wesentlichen Linderung geführt habe.

 

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme Befundberichte der Ärzte P. und E. vom 11.05.2011 und 10.06.2021, des Facharztes für Innere Medizin und Allgemeinmedizin F. vom 06.05.2021 und der Fachärztin für Innere Medizin V. vom 03.08.2021 eingeholt. Anschließend ist ein Gutachten beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie O. und ein Zusatzgutachten beim Facharzt für Orthopädie Dr. W. in Auftrag gegeben worden. Die Sachverständigen haben in ihren Gutachten vom 15.12.2021 bzw. 08.01.2022 eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine ängstlich depressive Entwicklung mit Panikattacken, eine Traumafolgestörung, Funktionsstörungen der Wirbelsäule, beider Schultergelenke, des rechten Ellenbogengelenks, der Hände sowie des linken Kniegelenks, eine koronare Herzkrankheit, ein Vorhofflimmern, eine Adipositas per magna und einen arteriellen Hypertonus festgestellt. Die verschiedenen Gesundheitsstörungen wirkten sich wechselseitig ungünstig aus, was bei der Feststellung des Leistungsvermögens beachtet werden müsse. Berücksichtigte man konkret genannte qualitative Leistungseinschränkungen, könne der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten regelmäßig an fünf Tagen pro Woche mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich, die Wegefähigkeit nicht deutlich eingeschränkt. Die rentenrechtlich relevanten Wegstrecken von viermal täglich 500 m könne er jeweils innerhalb von weniger als 20 Minuten zurücklegen und sei in der Lage, zumindest zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel auch zu den Hauptverkehrszeiten zu benutzen sowie als Fahrer einen Pkw zu führen. Es sei von einer durchschnittlichen Umstellungsfähigkeit auszugehen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens werde nicht für erforderlich gehalten. Die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet könnten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit mit beurteilt werden. Sie seien selbst bei einer weiteren fachärztlichen Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geeignet, das Leistungsvermögen des Klägers noch weitergehend relevant einzuschränken als festgestellt.

 

Auch in Kenntnis der Gutachten hat der Kläger an seinem Klagebegehren festgehalten und beantragt,

 

den Bescheid vom 05.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung auf den Antrag vom 11.08.2017 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.04.2022 abgewiesen. Diese sei zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 05.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2020 sei rechtmäßig. Der Kläger habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung, da er noch in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit von mindestens 6 Stunden pro Tag nachzugehen. Die Kammer folge insoweit insbesondere den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen O. und Dr. W.. Der Kläger sei sowohl durch psychische als auch durch orthopädische Erkrankungen in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Diesen Erkrankungen komme allerdings kein rentenrechtlich relevantes Ausmaß zu. So habe der Sachverständige O. neben den benannten Leiden auch ganz wesentliche gesunde Anteile im psychischen Befund feststellen können, so dass bei dem Kläger von ausreichenden Kompensations- und Bewältigungsmöglichkeiten ausgegangen werden könne, um mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Die Erkrankungen auf dem orthopädischen Fachgebiet hätten qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit zur Folge, bedingten aber keine rentenrechtlich relevante Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens.

 

Gegen das ihm am 04.05.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.06.2022 Berufung eingelegt und zur Begründung geltend gemacht, dass das SG seine Beschwerden und die daraus resultierenden Einschränkungen in ihrer Gesamtheit nicht richtig bewertet und eingeordnet habe. Dass er neben seinen Erkrankungen erfreulicherweise auch über gesunde Anteile verfüge, ändere nichts daran, dass erhebliche Einschränkungen vorhanden seien, die seine Teilhabe am Arbeitsleben deutlich minderten. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention lasse sich die Schwere einer Behinderung nicht nur anhand von Diagnosen identifizieren, sondere bilde sich vornehmlich durch den Grad der Teilhabebeeinträchtigungen ab. Außer Acht werde gelassen, wie sich die vielfältigen orthopädisch bedingten Einschränkungen im Zusammenwirken mit denjenigen auf psychiatrischem Fachgebiet gegenseitig negativ verstärkten und nachteilig für ihn u.a. auch in den praktischen Gestaltungsmöglichkeiten seines Lebens auswirkten. Offen bleibe außerdem, wie realitätsnah es sei, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und zu den dort üblichen Arbeitsbedingungen in seiner Region zu erlangen der es ihm trotz seiner Einschränkungen ermögliche, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine regelhafte Tätigkeit auszuüben sei für ihn in der derzeitigen Situation unvorstellbar. Als Folge seiner Schlafstörungen könne er den Tag nicht konzentriert bis zum Abend durchstehen. Die Herzrhythmusstörungen reduzierten seine Belastbarkeit massiv und wegen der orthopädischen Beschwerden in den Fingern sei die Feinmotorik so eingeschränkt, dass er kleine Dinge nicht mehr greifen könne. Auch die Arthrose im Knie und die Spinalkanalstenose schränkten seine Reichweite beim Gehen auf kurze Strecken ein. Selbst im Sitzen habe er Schmerzen. Wegen der Spinalkanalstenose und der Schulterbeschwerden sei es ihm auch nicht möglich, Gegenstände zu heben. Daneben müssten seine psychischen Belastungen durch eine posttraumatische Belastungsstörung berücksichtigt werden. Er könne sich nicht in geschlossenen Räumen aufhalten und benötige ständig die Sicherheit der Nähe seiner Frau oder der Kinder. Unbekannte Situationen bereiteten ihm großen Stress bis hin zur Panik. Die bei ihm bestehende posttraumatische Belastungsstörung sei in der Urteilsbegründung jedoch gar nicht beachtet worden. Das SG habe seine Beurteilung in erster Linie auf die Gutachten und den Entlassungsbericht über die Rehabilitationsmaßnahme gestützt. Dabei werde jedoch übersehen, dass die Gutachter ihn nur kurz untersucht und ihre Einschätzung auf die Aktenlage gestützt hätten. Auch die hohe Bedeutung, die dem Ergebnis der teilstationären Reha beigemessen werde, könne er nicht nachvollziehen, weil er dort aufgrund seiner Einschränkungen kaum etwas habe machen können. Im Schnitt seien es jeweils nur vier Anwendungen pro Tag gewesen, die ihn ca. drei Stunden gefordert hätten. Es sei unklar, wie daraus eine mögliche Tätigkeit von 6 Stunden täglich abgeleitet werden könne.

 

Der Kläger beantragt sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 21.04.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2020 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe auf seinen Antrag vom 11.08.2017 zu bewilligen.

 

Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Kläger ist mit gerichtlichen Schreiben vom 26.10.2022 und nach Senatswechsel mit weiterem Schreiben vom 27.02.2023 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg biete und beabsichtigt sei, diese gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Die Beklagte hat der beabsichtigten Vorgehensweise zugestimmt, der Kläger sich nicht weiter geäußert.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung des Senats gewiesen ist.

 

 

II.

 

Die zulässige Berufung des Klägers wird durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG zurückgewiesen. Zur Möglichkeit einer solchen Entscheidung sind die Beteiligten durch den erkennenden Senat mit Schreiben vom 27.02.2023 angehört worden (§ 153 Abs. 4 S. 2 SGG).

 

Gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG kann der Senat die Berufung außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen liegen vor.

 

Im Klageverfahren hat das SG nach mündlicher Verhandlung entschieden. Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine weitere mündliche Verhandlung wird nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht für erforderlich gehalten. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt, eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung nicht mehr erforderlich. Das erstmalige Vorbringen noch nicht vorgetragener Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte in einem Verhandlungstermin ist nicht zu erwarten. Schließlich ist ein weiteres Vorbringen vom Kläger nicht angekündigt worden. Auf die Anhörungsschreiben des Gerichts hat er sich nicht mehr zur Sache geäußert. Andere Aspekte, die nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.

 

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2020 beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, da er nicht rechtswidrig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem SGB VI.

 

Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 SGB VI haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 und Abs. 2, je Nr. 2 und 3 SGB VI) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind bzw. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI) und voll erwerbsgemindert – neben weiteren, hier nicht gegebenen besonderen Voraussetzungen – Versicherte, denen dies nicht mindestens drei Stunden täglich möglich ist (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 SGB VI müssen im Vollbeweis, d.h. mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, feststehen (vgl. z.B. Senatsurt. v. 04.05.2022 – L 8 R 945/12 ZVW – juris Rn. 35 m.w.N.).

 

Diese Voraussetzungen eines Rentenanspruchs wegen Erwerbsminderung liegen nicht vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die Würdigung durch das SG Bezug und macht sich diese nach Prüfung zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

 

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das SG die bei ihm vorliegenden erheblichen Beschwerden nicht verkannt. Hieraus resultieren jedoch vorwiegend (lediglich) qualitative und nur in geringem Umfang zeitliche Einschränkungen, die in ihrer Ausprägung, wie im Urteil ausdrücklich und im Einklang mit den Sachverständigengutachten aufgeführt, keine hinreichende rentenrechtliche Relevanz erreichen.

 

Soweit der Kläger geltend macht, dass für die Beurteilung des Leistungsvermögens nicht allein die Diagnosen entscheidend seien, sondern der Grad der Teilhabebeeinträchtigung, ist dies zunächst zutreffend, da Rentenbegutachtung im Wesentlichen Funktionsbegutachtung ist (vgl. z.B. BSG Beschl. v. 28.02.2017 – B 13 R 37/16 BH – juris Rn. 15). Eine durch die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen bedingte Erwerbsminderung im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung hat sich in der durchgeführten Beweisaufnahme zulasten des Klägers jedoch gerade nicht bestätigt. Vielmehr sind die im Verfahren gehörten sachverständigen Ärzte L., O. und Dr. W. übereinstimmend von einer hinreichenden Leistungsfähigkeit ausgegangen. Dabei haben gerade auch letztere ausdrücklich auf das Zusammenwirken von orthopädischen und psychischen Leiden hingewiesen, jedoch auch unter dessen Berücksichtigung (lediglich) die von ihnen genannten, jedoch eben gerade keine darüberhinausgehenden Einschränkungen des Klägers abgeleitet.

 

Auch der weitere Hinweis des Klägers, es sei nicht realitätsnah, dass er mit seinen Leistungseinschränkungen einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalte, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. So ist davon auszugehen, dass Versicherten, die (jedenfalls) noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen – wenigstens 6 Stunden täglich verrichten können, Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und sie daher regelmäßig in der Lage sind, „erwerbstätig zu sein“ (sog. „offener“ Arbeitsmarkt). Arbeitsplätze, auf denen ungelernte körperlich leichte Tätigkeiten zu erbringen sind, sind auch heute nicht generell "unüblich" (vgl. ausführlich BSG Urt. v. 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 26 f.). Ohne Relevanz ist dabei, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich finden konnte bzw. kann (vgl. z.B. BSG Urt. v. 19.10.2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rn. 26), da die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes nicht Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung ist, sondern in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit bzw. der Jobcenter fällt.

 

Soweit es der Kläger im Hinblick auf von ihm noch einmal einzeln benannte Einschränkungen für unvorstellbar hält, in der derzeitigen Situation eine regelhafte Tätigkeit auszuüben, stellt dies lediglich eine subjektive eigene Einschätzung dar, die im Ergebnis der Beweiserhebung keine Stütze findet. Die vom Kläger geltend gemachten massiven Einschränkungen des Konzentrationsvermögens und der kognitiven Funktionen gehen aus dem in den Gutachten beschriebenen psychischen Befunden nicht hervor. Ein Unvermögen, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, wurde von den Sachverständigen nicht festgestellt und erscheint anhand der Untersuchungsbefunde von Herrn O. auch nicht plausibel. Dass der Kläger auf Grund der festgestellten psychischen Erkrankungen qualitativen Leistungseinschränkungen unterliegt, ist ausdrücklich berücksichtigt worden. Nachvollziehbar hat Herr O. auch darauf hingewiesen, dass die Traumafolgestörung keine andere Beurteilung gebietet und eine „posttraumatische Belastungsstörung“ mangels ausreichend erfüllter diagnostischer Kriterien nicht zu diagnostizieren sei. Die Belastungen des Klägers durch die bestehenden kardiologischen Beschwerden sind von Herrn O. bei der zumutbaren Arbeitsschwere einbezogen worden. Im Hinblick auf die orthopädischen Leiden ist der Gerichtssachverständige Dr. W. ausdrücklich zu der Einschätzung gelangt, dass diese leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegenstehen. Schließlich hat Herr O. zur Einordnung der Schwere der Schmerzerkrankung des Klägers zudem darauf hingewiesen, dass lediglich bedarfsweise ein Analgetikum der Stufe I der WHO eingenommen wird; ein höhergradiges Schmerzerleben ist von ihm daher schlüssig verneint worden.

 

Schließlich vermag der Kläger auch nicht mit seiner Kritik durchzudringen, das SG sei der Beurteilung der Sachverständigen und der Reha-Klinik statt derjenigen seiner behandelnden Ärzte gefolgt, obwohl letztere ihn besser kennen würden.

 

Bereits grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, dem Urteil gerichtlicher Sachverständiger in freier Beweiswürdigung (§ 128 SGG) einen höheren Beweiswert zuzumessen als Bescheinigungen der behandelnden Ärzte. Zu beachten ist dabei zunächst, dass Sachverständige den zu begutachtenden KlägerInnen neutral gegenüberstehen, wohingegen das dauerhafter angelegte Arzt-PatientInnen-Verhältnis häufig von einer persönlichen Vertrauensbindung sowie der beabsichtigten therapeutischen Unterstützung geprägt wird. Darüber hinaus liegt der Konsultation von behandelnden Ärzten eine gänzlich andere Zielrichtung zugrunde als der Begutachtung durch ärztliche Sachverständige im Rahmen eines Verwaltungs- bzw. gerichtlichen Verfahrens. So soll die haus- und fachärztliche Behandlung Leiden der Patientin bzw. des Patienten feststellen, um diese kurativ zu lindern bzw. zu beseitigen oder deren Verschlimmerung präventiv zu begegnen. Entsprechend sind Anamnese, Befundung und Diagnostik (allein) selektiv auf eine etwaige Therapie gerichtet. Die Sachverständigenbegutachtung hingegen dient der umfassenden (fach-)ärztlichen Aufklärung des gesamten Gesundheitszustandes und der anschließenden Beurteilung im Hinblick auf die konkrete sozialversicherungsrechtliche Fragestellung. So obliegt es den Sachverständigen nicht nur, die bestehenden Leiden genau und vollumfänglich zu ermitteln, sondern darüber hinaus in einem zweiten Schritt, diejenigen hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen, denen im jeweiligen sozialversicherungsrechtlichen Kontext Relevanz zukommt. Schließlich ist dann – nach Konsistenzprüfung – in einer Gesamtschau aller vorhandenen ärztlichen Berichte und der eigenen Befunde eine präzise den vorgegebenen beweisrechtlichen Fragen folgende, begründete sozialversicherungsrechtliche Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Hierfür bedarf es neben der allgemeinen ärztlich-medizinischen Kompetenz noch zusätzlicher Spezialkenntnisse, über die behandelnde Ärzte regelmäßig nicht verfügen.

 

Vorliegend sind auch weder die aktenkundigen Bescheinigungen der behandelnden Ärzte des Klägers noch deren Berichte hinreichend geeignet, ein aufgehobenes oder eingeschränktes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu einem Zeitpunkt, in dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch vorlagen, mit dem notwendigen Vollbeweis zu belegen. So haben die vom Sachverständigen Dr. W. erhobenen Befunde die Einschätzung des Orthopäden P. gerade nicht bestätigt. Hinzu kommt, dass Herr P. eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers in seinem Befundbericht vom 11.05.2021 erst ab 2020 bejaht hat. Zu diesem Zeitpunkt lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch nicht mehr vor. Auch die Befundberichte und Bescheinigungen des Hausarztes F. und des behandelnden Neurologen und Psychiaters E. genügen nicht, die umfangreichen und methodisch überzeugenden Gerichtsgutachten zu widerlegen. Ihre Befunde sind von den Sachverständigen berücksichtigt worden. Schließlich sind die behandelnden Ärzte der Reha-Klinik, die die Möglichkeit hatten, sich über mehrere Wochen vom Gesundheitszustand des Klägers ein Bild zu machen, zur gleichen Leistungsbeurteilung wie die Gerichtssachverständigen gelangt. Auch wenn die dortigen Behandlungen pro Tag – wie der Kläger angibt – nur drei Stunden gedauert haben sollten, geht der Senat davon aus, dass die Klinikärzte auf Grund ihrer Sachkunde in der Lage sind, eine zuverlässige Einschätzung zum gesamten täglichen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu treffen.

 

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Beweisaufnahme und des Umstandes, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der beantragten Rente wegen Erwerbsminderung letztmalig am 30.11.2018 erfüllt waren, nicht notwendig. Der medizinische Sachverhalt ist hinreichend aufgeklärt. Liegen mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten im Sinne von § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 412 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde der Gutachter geben (vgl. BSG Beschl. v. 27.01.2021 – B 13 R 123/20 B – juris Rn. 7; Senatsbeschl. v. 05.01.2022 – L 8 R 752/16 – juris Rn. 63). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 S. 1 i.V.m. § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

 

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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