Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Potsdam vom 9. März 2021 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren
nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Mitgliedschaft des Klägers bei den Beklagten; dabei ist umstritten, ob der Kläger mit Beginn einer abhängigen Beschäftigung am 3. April 2018 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung geworden ist und ob die Beklagten eine Mitgliedschaft rechtmäßig „storniert“ haben.
Der 1963 geborene Kläger (55. Geburtstag: 2018) war vom 1. Januar 2013 bis zum 31. März 2018 bei der A Krankenversicherung privat kranken- und pflegeversichert. Bis dahin war er als Handwerker ausschließlich selbständig tätig („ Heizung-Sanitär“).
Mit Schreiben vom 12. März 2018 beantragte der Kläger die Mitgliedschaft bei den Beklagten „als Arbeitnehmer“ aufgrund einer Beschäftigung ab 1. April 2018 bei dem Dachdeckermeister A. Zugrunde lag dem ein Arbeitsvertrag als Dachdeckerhelfer über 30 Stunden wöchentlich zu einem Stundenlohn von 12,20 Euro. Angaben zu einer selbständigen Tätigkeit machte der Kläger in der auf dem Formular dafür vorgesehenen Zeile nicht, obwohl er seine selbständige Tätigkeit parallel zu der Beschäftigung fortführte.
Hierauf übersandten die Beklagten der Firma Dachdecker A eine „Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V“ vom 20. März 2018 für die Zeit ab 1. April 2018. In einer weiteren Mitgliedsbescheinigung vom 1. Juni 2018 teilten die Beklagten dieser Firma einen Beginn der -Mitgliedschaft am 3. April 2018 mit, da die Meldung bei der Einzugsstelle erst zu diesem Datum erfolgt war.
Im Juli 2018 erzielte der Kläger in seiner abhängigen Beschäftigung bei 132 Arbeitsstunden Einkünfte in Höhe von 1.610,40 Euro brutto bzw. 1.179,66 Euro netto.
Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Juli 2018. Am 16. August 2018 beantragte der Kläger bei den Beklagten seine freiwillige Weiterversicherung. Er gab an, ab 1. August 2018 als Handwerker selbständig tätig zu sein mit monatlichem Bruttoeinkommen von 2.215,50 Euro. Beigefügt war der Einkommenssteuerbescheid für 2016, aus dem sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 29.443 Euro ergaben (entspricht 2.453 Euro monatlich).
Mit Schreiben vom 17. August 2018 dankten die Beklagten für die Änderungsmitteilung. Weil aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen hervorgehe, dass er sein Gewerbe auch während der Beschäftigung vom 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 fortgeführt habe, sei zu ermitteln, ob die abhängige Beschäftigung oder die selbständige Tätigkeit im Vordergrund gestanden hätten. Der Kläger wurde insoweit um weitere Angaben gebeten.
Am 21. August 2018 teilte der Kläger hierauf mit, im fraglichen Zeitraum habe das Beschäftigungsverhältnis den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit dargestellt. Mit Schreiben vom 22. August 2018 baten die Beklagten um genauere Angaben zu dem Zusammentreffen der beiden Tätigkeiten im Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018. Dem kam der Kläger mit Schreiben vom 3. September 2018 nach. Er teilte mit, in der Zeit vom 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 aus der abhängigen Beschäftigung bei einer Arbeitszeit von tatsächlich etwa 33 Stunden wöchentlich Bruttoeinkünfte in Höhe von 6.539,20 Euro erzielt zu haben. Für das Jahr 2018 betrügen die geschätzten Bruttoeinkünfte aus selbständiger Tätigkeit bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von ca. 20 Stunden ca. 26.500 Euro.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 erfolgte eine „Anhörung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung“ für die Zeit vom 3. April 2018 bis 31. Juli 2018. Aus den Angaben des Klägers ergebe sich, dass er aus selbständiger Tätigkeit laufend monatlich 2.208,33 Euro brutto erziele, aus der abhängigen Beschäftigung aber nur Einkünfte in Höhe von 1.622,46 Euro brutto monatlich gehabt habe. Hieraus sei zu schließen, dass die selbständige Tätigkeit hauptberuflich ausgeübt worden sei. Als freiwillig versicherter Selbständiger, der aus der privaten Krankenversicherung komme, habe der Kläger aber kein Zugangsrecht in die gesetzliche Krankenversicherung. Wenn er die Annahme der Hauptberuflichkeit seiner Selbständigkeit nicht bis zum 26. Oktober 2018 widerlege, werde man den Beginn der -Mitgliedschaft rückwirkend ab 3. April 2018 stornieren und den Arbeitgeber hierüber informieren.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 legte der Kläger (schon) hiergegen Widerspruch ein und bat um nochmalige Prüfung seiner Mitgliedschaft. Hierauf gaben die Beklagten dem Kläger Gelegenheit zur Mitteilung bis 9. November 2018 spätestens, welche Einkünfte er genau im Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt habe.
Nachdem der Kläger sich nicht weiter geäußert hatte, teilten die Beklagten ihm mit Bescheid vom 16. November 2018 mit, man werde seine Mitgliedschaft rückwirkend ab dem 3. April 2018 stornieren.
Im Nachgang teilten die Beklagten dem Arbeitgeber des Klägers mit, dass dieser im Ergebnis der versicherungsrechtlichen Prüfung im Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig sei, dass jedoch keine Versicherungspflicht in der Kranken- und in der Pflegeversicherung bestehe. Die erforderlichen Korrekturmeldungen und Beitragskorrekturen seien bitte durchzuführen.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2019 reichte der Kläger diverse Unterlagen nebst „Umsatzerrechnungen“ zu seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit im streitigen Zeitraum ein. Auf die Anlagen zum Schreiben des Klägers vom 16. Januar 2019 im Verwaltungsvorgang der Beklagten wird insoweit Bezug genommen (Umsatzerrechnung April bis Juli 2018 mit einem „Ergebnis“ von insgesamt 7.339,95 Euro; Rechnungen vom 16. April 2018 [4.716,76 Euro], vom 11. Mai 2018 [20.696,73 Euro], vom 10. Juli 2018 [4.658,22 Euro] und vom 20. Juli 2018 [5.657,37 Euro], insgesamt Rechnungen über 35.729,08 Euro).
Den (gegen das Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2018 gerichteten) Widerspruch des Klägers wiesen die Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2019 zurück. Die selbständige Tätigkeit sei als hauptberuflich anzusehen, weshalb auf der Grundlage von § 5 Abs. 5 SGB V keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung eingetreten sei. Die selbständige Erwerbstätigkeit übersteige in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung die abhängige Beschäftigung, denn das monatliche Einkommen sei insoweit deutlich höher (2.208,33 Euro gegenüber 1.622,46 Euro). Aus den im Januar 2019 eingereichten Unterlagen ergebe sich für den Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 keine wesentliche Änderung in der Durchführung der selbständigen Tätigkeit. Demzufolge sei die Versicherungspflicht zu Recht rückwirkend storniert worden. Alle Verwaltungsakte, die die hkk zum Versicherungsverhältnis oder zur Beitragshöhe erlassen habe, seien von Anfang an rechtswidrig und nach § 45 SGB X rücknehmbar. Der Kläger habe das Fortbestehen seiner Selbständigkeit bewusst verschwiegen.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben (S 15 KR 102/19). Im Verlauf dieses Klageverfahrens haben die Beklagten den Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2019 aufgehoben, weil dieser fälschlich auf den Widerspruch gegen das Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2018 hin ergangen sei. Hierauf hat der Kläger das Klageverfahren für erledigt erklärt.
Am 17. Januar 2020 erließen die Beklagten einen weiteren Bescheid. Mit diesem erklärten sie erneut die Stornierung der Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 aufgrund hauptberuflicher Selbständigkeit.
Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wiesen die Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2020 zurück. Die Begründung entspricht derjenigen des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2019.
Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht Potsdam mit Gerichtsbescheid vom 9. März 2021 stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2020 aufgehoben. Die „Stornierung der Mitgliedschaft“ seitens der Beklagten sei als Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X anzusehen. Die insoweit geltende Jahresfrist aus § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei nicht beachtet worden. Die Jahresfrist beginne regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung zu laufen, welche hier durch das Schreiben der Beklagten vom 8. Oktober 2028 in Gang gesetzt worden sei, das um Übersendung weiterer Unterlagen bis 26. Oktober 2018 gebeten habe. Danach sei die Jahresfrist am 26. Oktober 2019 abgelaufen. Die Einreichung von Unterlagen durch den Kläger am 21. Januar 2019 ändere daran nichts. Die Aufhebung der Mitgliedschaft könne auch nicht auf das Schreiben der Beklagten vom 16. November 2018 gestützt werden, denn dieses stelle keinen Verwaltungsakt dar. Dieses Schreiben enthalte weder eine Regelung noch eine Rechtsmittelbelehrung.
Gegen den am 17. März 2021 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Beklagten am 31. März 2021 Berufung eingelegt. § 45 SGB X könne im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts nicht zum Tragen kommen, denn es sei gar kein begünstigender Bescheid ergangen, der der Aufhebung bedurft hätte. Eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Klägers sei nicht getroffen worden. Die Anmeldung des Klägers bei den Beklagten sei elektronisch durch den Arbeitgeber vorgenommen worden. Eine Prüfung der Versicherungspflicht des Klägers sei nicht veranlasst gewesen, da der Kläger im Aufnahmeantrag Angaben zu seiner selbständigen Tätigkeit verschwiegen habe. In der Durchführung der Mitgliedschaft liege reines Verwaltungshandeln. In der Ausstellung der Mitgliedsbescheinigung oder in einem Begrüßungsschreiben liege kein Verwaltungsakt (Hinweis auf B 12 KR 11/10 R); Versicherungspflicht sei insoweit nicht geprüft worden. Eine Statusfeststellung sei erstmals erfolgt, nachdem der Kläger am 16. August 2018 einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung gestellt habe. Zudem liege in dem Schreiben vom 16. November 2018 ein Verwaltungsakt, denn man habe dem Kläger nach erfolgter Anhörung mitgeteilt, seine Mitgliedschaft rückwirkend zum 3. April 2018 beenden zu werden. Zwar sei die Verwendung der Zukunftsform unglücklich, doch der Erklärungsgehalt dieses Schreibens sei für den Kläger eindeutig gewesen. Dass keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden sei, sei für die Einordnung als Verwaltungsakt unerheblich und verlängere nur die Widerspruchsfrist. Soweit es das Schreiben vom 17. August 2018 betreffe, liege auch hierin im Gegensatz zur Auffassung des Klägers kein Verwaltungsakt. Vielmehr handele es sich um ein Anhörungsschreiben mit dem Ziel einer Klärung des Sachverhalts ab 3. April 2018. Klärungsbedürftig sei gewesen, ob die erst im August zutage getretene selbständige Tätigkeit des Klägers etwas an der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ändere. Damit sei bis zum 16. November 2918 keine Entscheidung zur Versicherungspflicht des Klägers getroffen worden.
Die Beklagten beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 9. März 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Mit ihrem Schreiben vom 17. August 2018 hätten die Beklagten die bisherige Mitgliedschaft des Klägers bestätigt und festgestellt. Hierin liege ein feststellender Verwaltungsakt. Das Schreiben der Beklagten vom 16. November 2018 enthalte nur die Ankündigung einer Regelung. Dass in Zusammenhang mit der Begründung der Mitgliedschaft Verwaltungsakte ergangen seien, räume selbst der Widerspruchsbescheid sinngemäß ein.
Mit Beschluss vom 15. März 2023 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Mit Beschluss vom 24. Mai 2023 hat der Berichterstatter es den Beteiligten gestattet, sich während des Verhandlungstermins am 7. Juni 2023 an einem anderen Ort als im Sitzungssaal des Landessozialgerichts aufzuhalten.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 15. März 2023 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.
Auf der Grundlage des Beschlusses vom 24. Mai 2023 und nach § 110a SGG durfte der Senat die Sitzung als Videokonferenz durchführen.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Recht haben die Beklagten die Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 storniert, denn der Kläger war in dieser Zeit hauptberuflich selbständig im Sinne von § 5 Abs. 5 SGB V, so dass er nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterlag und damit auch in der sozialen Pflegeversicherung versicherungsfrei war (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI).
1. Rechtsgrundlage für die feststellende Entscheidung der Beklagten über die Versicherungspflicht des Klägers ist § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Danach entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid. Die Feststellung des (Nicht-)Bestehens von Versicherungspflicht einer Beschäftigung kann unabhängig davon ergehen, ob die in Frage stehende Beschäftigung noch ausgeübt wird oder das sie begründende Rechtsverhältnis im Zeitpunkt der Entscheidung noch besteht (vgl. Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28h SGB IV, Stand: 14. März 2023).
2. Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts und des Klägers ist insoweit schon entscheidungserheblich, dass der Bescheid der Beklagten vom 16. November 2018 bestandskräftig geworden und damit abschließend bindend ist. Dieser Bescheid entfaltet zur Überzeugung des Senats für jeden verständigen Empfänger Bindungswirkung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X, denn er enthält eine verbindliche und gestaltende Regelung zur „Stornierung“ der Mitgliedschaft des Klägers für den Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018. Das Schreiben resümiert das Ergebnis des Anhörungsverfahrens, teilt dem Kläger mit, er habe die Annahme die Hauptberuflichkeit nicht widerlegt, so dass man die hkk-Mitgliedschaft ab dem 3. April 2018 stornieren werde. Dass hier das Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2018 irrig als „Bescheid“ bezeichnet wird, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, dass der Bescheid, sprachlich wenig geglückt, die Stornierung in der Zeitform des Futur mitteilt. Dem Empfänger musste klar sein, dass mit Abschluss des Anhörungsverfahrens nun eine verbindliche Verwaltungsentscheidung zur Versicherungspflicht gefallen war; das konnte keinem Zweifel begegnen, selbst wenn dem Bescheid – was ihn verwaltungstechnisch in kein besseres Licht stellt – die Rechtsbehelfsbelehrung fehlt. Konsequent haben die Beklagten dann auch unmittelbar im Nachgang dem Arbeitgeber durch Schreiben vom 26. November 2018 mitgeteilt, dass der Kläger im Ergebnis der versicherungsrechtlichen Prüfung im Zeitraum 3. April 2018 bis 31. Juli 2018 renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig sei, dass jedoch keine Versicherungspflicht in der Kranken- und in der Pflegeversicherung bestehe; die erforderlichen Korrekturmeldungen und Beitragskorrekturen seien durchzuführen.
Da gegen den Bescheid vom 16. November 2018 kein Widerspruch eingelegt wurde, ist er bindend. Der zuvor erhobene Widerspruch vom 12. Oktober 2018 bezog sich nur auf das Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2018 und war unzulässig; den gleichwohl eine Sachentscheidung treffenden Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2019 haben die Beklagten im nachfolgenden Klageverfahren zu Recht aufgehoben.
3. Unabhängig davon begegnet der Bescheid, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist – der Bescheid vom 17. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2020 – keinen rechtlichen Bedenken. Ob der Bescheid vom 17. Januar 2020 im Verhältnis zum bestandskräftigen Bescheid vom 16. November 2018 als Zweitbescheid oder wiederholende Verfügung anzusehen ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls ist die von den Beklagten als Einzugsstelle getroffene Entscheidung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Auch während der Zeit seiner abhängigen Beschäftigung bei dem Dachdeckermeister A dominierte die hauptberufliche Selbständigkeit des Klägers in seiner Tätigkeit für die eigene Firma Heizung-Sanitär.
§ 5 Abs. 5 SGB V bestimmt, dass keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eintritt, wenn hauptberuflich eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass ein versicherungsfreier Selbständiger durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Nebenbeschäftigung versicherungspflichtig wird und damit umfassenden Schutz in der GKV erhält. Es tritt folglich auch dann keine Versicherungspflicht ein, wenn die neben der selbständig ausgeübten hauptberuflichen Tätigkeit ausgeübte Beschäftigung grundsätzlich Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründen würde (vgl. Wiegand in v. Koppenfels-Spies, Wenner, SGB V, 2022, Rdnr. 157 zu § 5 SGB V, mit Hinweis auf die Motive des Gesetzgebers in BT-Drs. 11/2237, S. 159).
Eine hauptberufliche Tätigkeit im Sinne von § 5 Abs. 5 SGB V liegt vor, wenn diese Tätigkeit von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrem zeitlichen Aufwand her in einer Gesamtschau die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 2015, B 12 KR 4/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
In diesem Zusammenhang fällt schon maßgeblich ins Gewicht, dass das Arbeitseinkommen des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit im maßgeblichen Zeitraum (2.208,33 Euro monatlich) das Arbeitsentgelt aus seiner abhängigen Beschäftigung (1.622,46 Euro monatlich) deutlich überstieg. Das ist schon hinreichend aussagekräftig. Dass zur Erzielung dieser Einkünfte mehr Zeit für die abhängige Beschäftigung aufgewendet wurde (33 Stunden wöchentlich) als für die selbständige Tätigkeit (nach Angaben des Klägers 20 Stunden wöchentlich), tritt demgegenüber im Rahmen der freien Beweiswürdigung in den Hintergrund; eine feste zeitliche Grenze ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das Bundessozialgericht ist selbst im Fall einer abhängigen Beschäftigung im Umfang von 38,5 Stunden pro Woche nicht ohne Weiteres davon ausgegangen, dass eine daneben ausgeübte Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer nicht hauptberuflich sei (vgl. Urteil vom 29. April 1997, 10/4 RK 3/96).
Hinzu tritt, dass der Kläger auch im streitigen Zeitraum April bis Juli 2018 und ohne maßgeblichen Unterschied zur Zeit davor oder danach weiter ununterbrochen werbend am Markt aufgetreten ist und Umsätze in erheblicher Höhe generierte; auf der Grundlage der am 16. Januar 2019 bei den Beklagten eingereichten Unterlagen werden Umsätze mit einem Ergebnis von 7.339,95 Euro errechnet bei gleichzeitig erstellten (auch Materialkosten umfassenden) Rechnungen im Gesamtwert von 35.729,08 Euro. In Würdigung dessen kann der Senat nicht erkennen – und vom Kläger wurde insoweit auch nichts vorgetragen – dass die vorübergehende abhängige Beschäftigung irgendetwas an der hauptberuflichen, den Mittelpunkt seiner Erwerbstätigkeit darstellenden gewerblichen Tätigkeit des Klägers änderte. Er war nach wie vor selbständig im Bereich Heizung und Sanitär und wickelte in spürbarem Umfang Aufträge ab.
Um der vom Gesetzgeber mit § 5 Abs. 5 SGB V verfolgten Absicht Rechnung zu tragen, verfährt der Senat in der Abgrenzung und der Gewichtung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit eher streng. Es ist nämlich zu vermeiden, dass zuvor versicherungsfrei selbständig Tätige über die vorübergehende Konstruktion einer abhängigen Beschäftigung in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung gelangen, wenn sie sich zuvor dauerhaft der Solidargemeinschaft entzogen und privat krankenversichert waren, um dann – wie der Kläger – denkbar kurz vor Vollendung des 55. Lebensjahres (vgl. § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V) in die GKV zurückzukehren. Dies gilt umso mehr, wenn, wie vorliegend, schon im Antrag auf Aufnahme bei der gesetzlichen Krankenkasse falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht wurden und die durchweg aufrecht erhaltene selbständige Tätigkeit verschwiegen wurde.
Aus den „Grundsätzlichen Hinweisen“ des GKV-Spitzenverbandes zum „Begriff der hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit“ vom 20. März 2019 ergibt sich insoweit nichts anderes. Diese Hinweise entfalten für die gerichtliche Überprüfung schon keine Bindungswirkung. Unabhängig davon wird auch dort (S. 13) betont, dass eine „Gesamtschau“ vorzunehmen sei.
b) Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts unterlag die Entscheidung der Beklagten zur (nicht bestehenden) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung auch nicht den einschränkenden Regularien des § 45 SGB X, insbesondere nicht der Jahresfrist aus § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Denn offensichtlich war mit der Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht kein entgegen stehender anders lautender begünstigender Verwaltungsakt aufzuheben, da ein solcher zur Überzeugung des Senats nicht ergangen war.
Es entspricht gesicherter und ständiger Rechtsprechung, dass in einer schlichten Mitgliedsbescheinigung (hier vom 20. März 2018 bzw. 1. Juni 2018) kein Verwaltungsakt mit Regelungswirkung liegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom, B 12 KR 11/10 R). Auch sonst haben die Beklagten keine Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X zur Mitgliedschaft des Klägers getroffen. Das gilt insbesondere für das wiederholt vom Kläger angeführte Schreiben vom 17. August 2018, denn dieses leitet ausschließlich die Ermittlungen der Beklagten zum Sachverhalt ein, nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, inzwischen nur noch selbständig tätig zu sein. Einen eigenständigen Verfügungssatz, der eine Mitgliedschaft begründen könnte und der der späteren Aufhebung bedürfte, enthält das Schreiben nicht; das wäre auch widersinnig, weil sich der Sachverhalt offensichtlich geändert hatte und nun zukunftsgerichtet zu ermitteln war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).