S 11 KA 739/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 739/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 7/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 9/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil


1. Die Klage wird abgewiesen. 

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 

3. Die Berufung wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höhere vertragsärztliche Honorarzahlungen für das Quartal IV/15.

Sie nahm in diesem Zeitraum an der vertragsärztlichen Versorgung im Zuständigkeitsbereich der Beklagten teil. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Berufsausübungsgemeinschaft, deren Gesellschafter Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin sind. Der Gründung der Gesellschaft lag der Beginn eines Job-Sharing-Verhältnisses zwischen den beiden Ärzten zum 01.01.2015 zugrunde. In diesem Zusammenhang verpflichteten sich die Partner, den Umfang der früheren Einzelpraxis von Herrn B. nicht wesentlich zu überschreiten. Dazu wurde der Praxisumfang durch Festlegung eines quartalsbezogenen Gesamtpunktzahlvolumens für das 1. Leistungsjahr beschränkt. Auf dieser Grundlage erteilte der Zulassungsausschuss der früheren Sicherstellungsassistentin, Frau Dr. A., eine vinkulierte Zulassung.

Am 03.04.2016 erließ die Beklagte den Honorarbescheid für das Quartal IV/15 und erkannte der Klägerin ein Gesamthonorar in Höhe von 69.738,48 Euro zu. Bei der Berechnung der Zusatzpauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags nach der GOP 04040 berücksichtigte sie 1.179 Behandlungsfälle von Frau Dr. A. und 89 von Herrn B. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin fristgerecht Widerspruch. Sie wandte sich u.a. gegen die hälftige Aufteilung der Gesamtfallzahl auf beide Ärzte. Da die Klägerin als Job-Sharing-Praxis einer einheitlichen Leistungsbegrenzung unterliege, müsse sie wie eine Einzelpraxis behandelt werden. Dann sei aber ein Aufschlag von 14 Punkten auf die GOP 04040 vorzunehmen. Dieser sei im EBM für Praxen mit mehr als 1.200 Behandlungsfällen je Arzt vorgesehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2016 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch als unbegründet zurück. Der angefochtene Honorarbescheid sei rechtmäßig. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Aufschlags auf die GOP 04040 seien nicht erfüllt. Bei dem Grenzwert sei auf den einzelnen Arzt abzustellen.

Dagegen hat die Klägerin am 21.11.2016 Klage zum Sozialgericht Marburg bezüglich aller Quartale des Jahres 2015 erhoben (Az. S 16 KA 686/16). Die ursprünglich für den Rechtsstreit zuständige 16. Kammer des Gerichts hat das Verfahren mit Beschluss vom 29.11.2016 u.a. hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Quartals IV/15 abgetrennt und separat unter dem o.g. Aktenzeichen fortgeführt.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe infolge der Leistungsbegrenzung nur einen einzigen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Nach der Anmerkung zur GOP 04040 komme es bei der Bestimmung der Anzahl der Ärzte gerade auf den Umfang der Tätigkeit an. Dieser sei bei der Klägerin in der Weise beschränkt, dass er demjenigen der früheren Einzelpraxis von Herrn B. entspreche.

Die Klägerin beantragt,

den Honorarbescheid der Beklagten für das Quartal IV/15 vom 03.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.10.2016 insoweit aufzuheben, als die Beklagte darin den Aufschlag von 14 Punkten auf die GOP 04040 nicht berücksichtigt hat, sowie die Beklagte zu verpflichten, diesen der Klägerin nachträglich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid. Ergänzend stützt sie sich auf den Umstand, dass die Ausgestaltung der Klägerin als BAG mit zwei Ärzten auch zu vergütungsrechtlichen Vorteilen führe. Dagegen habe das Job-Sharing-Verhältnis nur bedarfsplanungsrechtliche Bedeutung. Auf dieser Grundlage habe Frau Dr. A. zwar eine vinkulierte Zulassung erhalten; sie teile sich aber nicht eine Zulassung mit Herrn B.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 03.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.10.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Er war daher nicht wie beantragt teilweise aufzuheben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf höheres Honorar für das Quartal IV/15 unter Berücksichtigung des Aufschlags von 14 Punkten auf die GOP 04040. 

Der streitgegenständliche Aufschlag auf die Zusatzpauschale zu den GOP 04000 und 04030 für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags gem. § 73 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ist im fünften Absatz der Anmerkung zur GOP 04040 im EBM vorgesehen. Er kommt Praxen zugute, in denen ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin vertragsärztliche Leistungen durchführt und berechnet. Das trifft auf die Klägerin zu. Entscheidende Voraussetzung ist sodann, dass die Praxis im Quartal auf mehr als 1.200 „Behandlungsfälle je Arzt“ kommt. Die Berechnung dieses Quotienten ist in der Anmerkung zur GOP 04040 selbst vorgegeben. Zu dividieren ist die Gesamtzahl der Behandlungsfälle einer Praxis durch die Anzahl der Ärzte, wobei deren „Umfang der Tätigkeit laut Zulassungs- bzw. Genehmigungsbescheid zu berücksichtigen“ ist.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich die Vorgehensweise der Beklagten als rechtmäßig. Sie hat zutreffend die Zahl der Behandlungsfälle beider Gesellschafter der Klägerin addiert und sodann durch zwei geteilt. Der so gebildete Quotient liegt deutlich unter 1.200, so dass die Klägerin die für den Aufschlag vorausgesetzte Anzahl von „Behandlungsfällen je Arzt“ nicht erreicht hat.

Entgegen der Ansicht der Klägerin bietet das ihrer Berufsausübungsgemeinschaft zugrundeliegende Job-Sharing-Verhältnis keine hinreichende Grundlage, um die Gesamtzahl der Behandlungsfälle der Praxis nur durch eins zu dividieren. In der Anmerkung zur GOP 04040 findet sich zu diesem speziellen Fall keine Sonderregelung. Daher ist von der allgemeinen Vorgabe auszugehen, dass der Umfang der Tätigkeit laut Zulassungsbescheid maßgebend ist. Sowohl Frau Dr. A. als auch Herr B. sind zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ihre Zulassungsbescheide enthalten keine Regelung über einen reduzierten Umfang der Tätigkeit. Daher ist jeder der beiden Ärzte mit einem Zulassungsumfang von 1,0 zu berücksichtigen. Daran ändert auch die vinkulierte Zulassung von Frau Dr. A. als Job-Sharing-Juniorpartnerin nichts.
Irrelevant für den vorliegenden Fall ist damit, dass sich die Job-Sharing-Partner verpflichtet haben, den Umfang der früheren Einzelpraxis von Herrn B. nicht wesentlich zu überschreiten. Zwar ist der Praxisumfang der Klägerin zur Durchsetzung dieser Leistungsbegrenzung im streitgegenständlichen Zeitraum durch Festlegung eines quartalsbezogenen Gesamtpunktzahlvolumens für das 1. Leistungsjahr beschränkt gewesen. Darauf kommt es aber nach dem oben Gesagten nicht an. Denn Rechtsfolge dieser Leistungsbegrenzung ist ja gerade, dass dadurch ausnahmsweise die „Zulassung“ eines Arztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, erreicht werden kann (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V). Zwar ist diese Zulassung nach Maßgabe von § 101 Abs. 3 SGB V beschränkt. Dort ist aber auch geregelt, wann die Beschränkung und die Leistungsbegrenzung enden. Da es sich demnach um vorübergehende Belastungen handelt, die zudem bewusst in Kauf genommen werden, um trotz einer Überversorgung eine Zulassung zu erlangen, erscheint es der Kammer vertretbar, dass im EBM an dieser Stelle nur nach dem Umfang der Tätigkeit laut Zulassungsbescheid differenziert wird und weitere Besonderheiten außer Betracht bleiben. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liegt darin nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Kammer hat die Berufung gegen ihr Urteil zugelassen, da sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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