L 3 R 912/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 34 R 455/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 912/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 13.09.2021 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Verfahren in der ersten Instanz nicht zu erstatten. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 53.857,06 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Streitig ist die teilweise Aufhebung eines Witwenrentenbescheides und die Erstattung überzahlter Witwenrente für den Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 in Höhe von 53.857,06 Euro.

Die Klägerin ist die Erbin der am 00.06.1932 geborenen und am 00.02.2017 verstorbenen früheren Klägerin V. (im Folgenden: Witwe). Die Witwe hatte den am 00.05.1917 geborenen und am 00.07.1990 verstorbenen U. (im Folgenden: Versicherten) am 00.04.1986 geheiratet. Sie beantragte am 13.08.1990 die Gewährung von Hinterbliebenenrente und gab dabei an, ab 29.08.1990 über kein Einkommen zu verfügen. Mit Bescheid vom 27.09.1990 gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Witwe Witwenrente ab dem 01.08.1990 in Höhe von 1.055,53 DM. Der Bescheid enthielt unter anderem folgende Hinweise:

„Der Bezug einer Leistung wegen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit oder einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung oder der Rentenversicherung (ggf. auch von einem ausländischen Versicherungsträger oder einem Versicherungsträger in der Deutschen Demokratischen Republik) sowie jede Veränderung derselben kann zu einer Änderung der Rentenhöhe – auch zu Ihren Ungunsten – führen.

Sie sind daher verpflichtet, uns die Beantragung sowie den Bezug oder die Änderung solcher Leistungen umgehend mitzuteilen.“ (…).

„Trifft eine Hinterbliebenenrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ruht die Rente in Höhe von 40 v.H. des Betrages, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt (§ 58 Abs. 1 [des Angestelltenversicherungsgesetzes] AVG).

Nähere Einzelheiten ergeben sich aus den beiliegenden Erläuterungen zum Rentenbescheid.

Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Erhöhung oder das Hinzutreten von Einkommen unverzüglich mitzuteilen.

Zu Unrecht gezahlte Beträge sind zu erstatten (§ 50 [des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz] SGB X).“

Für den Zeitraum vom 01.08.1990 bis zum 28.08.1990 ruhte die Witwenrente aufgrund bezogenen Erwerbsersatzeinkommens nach § 58 AVG in Höhe von 382,88 DM (Anlage 3a des Bescheides vom 27.09.1990).

Die Witwe beantragte bei der BfA am 09.03.1992 Altersrente für Frauen und gab an, von dieser Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten zu beziehen. Mit Bescheid vom 02.07.1992 gewährte die BfA der Witwe ab dem 01.07.1992 Altersrente für Frauen, zunächst in Höhe von 2.076,77 DM monatlich.

Die Witwenrentenakte wurde am 08.07.1992 aus dem Archiv angefordert und ein Kontospiegel erstellt. Neuberechnungen der Witwenrente wegen Änderungen des Beitragssatzes zur Krankenversicherung erfolgten am 04.06.2004 und 20.02.2007.

Am 17.06.2015 erfolgte eine interne Mitteilung bei der Beklagten, dass die Witwe Altersrente für Frauen beziehe unter Übermittlung der Zahlbeträge ab dem 01.07.1992. Daraufhin berechnete die Beklagte die Witwenrente am 23.06.2015 unter Berücksichtigung des anzurechnenden Einkommens der Witwe und ermittelte eine Überzahlung in Höhe von 53.267,35 €.

Mit Bescheid vom 14.10.2015 erfolgte durch die Beklagte die Neuberechnung der bisherigen großen Witwenrente ab dem 01.07.1992. Die laufende Zahlung ab dem 01.11.2015 wurde mit 547,70 Euro berechnet. Die Beklagte führte aus, für die Zeit vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 53.857,06 €. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Der Rentenbescheid vom 27.09.1990 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.1992 nach § 48 SGB X aufgehoben. Nach § 48 Abs. 1 SGB X sei ein Bescheid aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die wesentliche Änderung ergebe sich daraus, dass sich das auf die Rente der Witwe gemäß § 97 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) anzurechnende Einkommen geändert habe und somit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 27.09.1990 vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Hätten sich die Verhältnisse wesentlich geändert, sei der Bescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zukunft aufzuheben. Bereits für die Vergangenheit, d.h. ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, solle der Bescheid aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben seien. Danach sei eine rückwirkende Aufhebung zulässig, wenn nach Erlass des Bescheides Einkommen erzielt worden sei, das zur Minderung der Rentenhöhe führe. Die bekannten Umstände, die der Aufhebung des Bescheides entgegenstehen könnten, seien bei der Prüfung der genannten Voraussetzungen beachtet worden. Diese seien jedoch nicht geeignet, von der Aufhebung des Bescheides für die Zukunft abzusehen, da in Fällen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen sei. Aufgrund der gegebenen Informationen (siehe Seite 3 des Bescheides vom 27.09.1990) hätte die Witwe den Bezug der Versichertenrente melden müssen und erkennen können, dass das Einkommen zur Anrechnung auf die Hinterbliebenenrente führe und es dadurch zu einer Kürzung, zum Wegfall bzw. Ruhen kommen könne. In der Anlage zum Bescheid erfolgte eine Berechnung der Rente für die Zeit ab dem 01.07.1992 unter Berücksichtigung des anzurechnenden Einkommens.

Dagegen legte die Witwe am 06.11.2015 Widerspruch ein und übermittelte eine Altersvorsorgevollmacht als Generalvollmacht und Betreuungsverfügung mit Weisung vom 21.03.2013, in der die Witwe durch den Notar G., T. als uneingeschränkt geschäftsfähig beschrieben wurde. Weiterhin machte sie geltend, dass die Verjährung zu prüfen sei. Gegebenenfalls werde um Neuberechnung der Überzahlung sowie um Mitteilung des Rückzahlungszeitraums gebeten.

Hierauf erwiderte die Beklagte, dass eine Verjährung im vorliegenden Fall nicht zum Zuge kommen könne. Mit dem angefochtenen Bescheid sei eine Bescheidaufhebung und Rückforderung der Überzahlung nach den Vorschriften der §§ 48 und 50 SGB X erfolgt. Verjährungsvorschriften (Fristen) nach § 44 SGB X seien nicht zu berücksichtigen, da kein Fall des § 44 SGB X, sondern ein Fall des § 48 SGB X vorliege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die Witwe sei zur Erstattung des Überzahlungsbetrages in Höhe von 53.857,06 Euro nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet. Neben der zwingenden Aufhebung für die Zukunft erfordere die Änderung der Verhältnisse grundsätzlich eine Prüfung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X dahingehend, ob die Korrektur bereits vom Zeitpunkt der Änderung an, also ab dem 01.07.1992 zu erfolgen habe. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X seien im Fall der Witwe gegeben. Es sei ab dem 01.07.1992 Einkommen in Form einer Versichertenrente erzielt worden, die auf die Witwenrente anzurechnen sei. Aufgrund der in dem zuvor erteilten Rentenbescheid vom 27.09.1990 enthaltenen Informationen sei der Witwe bekannt gewesen bzw. hätte ihr bekannt sein müssen, dass der Bezug von Einkommen Auswirkungen auf die Höhe der Rentenzahlung im Rahmen der Einkommensanrechnung habe. Die Witwe sei im Rentenbescheid vom 27.09.1990 auf Seite 3 darauf aufmerksam gemacht worden, dass die gesetzliche Verpflichtung bestehe, jede Einkommensänderung unverzüglich dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen. Positive Kenntnis habe die Beklagte im Juni 2015 im Rahmen eines internen maschinellen Bestandsabgleichs erhalten. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Zeit vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 sei fristgerecht am 14.10.2015 erteilt worden. Die Ausführungen in der Widerspruchsbegründung vom 01.03.2016 seien berücksichtigt worden, könnten jedoch nicht zu einer anderen Bewertung des Sachverhaltes und damit zu einem Verzicht auf die Rückforderung der Überzahlung führen. Das Vorbringen sei nicht geeignet, im Wege des Ermessens von einer Bescheidaufhebung abzusehen. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Es sei nicht von einem atypischen, sondern von einem Regelfall auszugehen, so dass eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Witwe nicht zu treffen sei.

Mit am 27.04.2016 bei der Beklagten eingegangenen Schriftsatz wurde der Widerspruch ergänzend dahingehend begründet, dass kein Fall des § 48 SGB X vorläge. Die Witwe sei an Demenz erkrankt und könne zur Aufklärung des Sachverhaltes nichts mehr beitragen. Es werde bestritten, dass die Beklagte erst innerhalb eines Jahres vor Erlass des Bescheides Kenntnis davon erlangt habe, dass sich die Verhältnisse bereits 1992 geändert hatten. Die Witwe habe die beiden monatlichen Rentenzahlungen von der Beklagten zum jeweils gleichen Zeitpunkt auf das gleiche Konto erhalten, sämtliche Daten hätten der Beklagten vorgelegen. Es sei daher davon auszugehen, dass im Hause der Beklagten bereits im Jahr 1992 Kenntnis sämtlicher relevanter Tatsachen vorhanden gewesen sei. Zudem sei eine rückwirkende Aufhebung grundsätzlich nur innerhalb von zehn Jahren seit Änderung der Verhältnisse zulässig. Bei dem Verweis in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 Sätze 4 und 5 SGB X handele es sich um eine Rechtsgrundverweisung. Eine rückwirkende Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist sei daher nur zulässig, wenn ein Tatbestand nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X erfüllt sei. Da sich die Beklagte vorliegend nur auf die Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X berufe, komme eine rückwirkende Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist nicht mehr in Betracht. Das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit werde bestritten.

Am 27.04.2016 hat die Witwe Klage vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe bereits lange vor Juni 2015 Kenntnis der aufhebungsrelevanten Tatsachen gehabt, dies ergebe sich beispielsweise aus den Rentenanpassungen zum 01.07.2014 und zum 01.07.2015, in denen jeweils beide Renten genannt worden seien. Der Bescheid vom 14.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2016 sei explizit nur auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt worden. Zudem werde das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bestritten, so dass davon auszugehen sei, dass die Voraussetzung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X nicht vorlägen. Eine rückwirkende Aufhebung sei somit nur innerhalb der Frist von zehn Jahren seit Änderung der Verhältnisse zulässig. Zudem habe die Beklagte nicht erst innerhalb eines Jahres vor Erlass des Bescheides Kenntnis der Änderung der Verhältnisse im Jahr 1992 erlangt, so dass auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht gewahrt sei.

Die Witwe ist am 00.02.2017 verstorben. Das Verfahren ist durch die Klägerin aufgenommen worden, die durch notarielles Testament vom 21.08.2015 durch die Witwe als Erbin eingesetzt worden ist. Ausweislich dieses Testaments hat sich der Notar G., T., von der uneingeschränkten Testierfähigkeit der Witwe überzeugt.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2016 aufzuheben, soweit die Beklagte darin die Bewilligung von Rentenleistungen für den Zeitraum 01.07.1992 bis 31.10.2015 rückwirkend aufhebt und eine Erstattungsforderung in Höhe von 53.857,06 € festsetzt.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig erachtet. Eine Kenntnis der Tatsachen, welche die Aufhebung rechtfertigten im Sinne des § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 SGB X liege dann vor, wenn das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlass eines rechtmäßigen Aufhebungsbescheides ermögliche. Allein ein „Kennenmüssen“ löse den Beginn der Einjahresfrist nicht aus. Vielmehr müsse positive Kenntnis vorhanden sein, welche sie erst im Juni 2015 im Rahmen eines internen maschinellen Bestandsabgleichs erhalten habe. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid sei daher fristgerecht innerhalb der Jahresfrist seit Kenntnisnahme erteilt worden. Die erwähnte Rentenanpassungsmitteilung sei vom Rentenservice versandt worden, eine Vorlage der Akte in der Sachbearbeitung sei zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.

Nachdem das SG am 13.10.2016 darauf hingewiesen hat, dass die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 ausdrücklich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt habe und die in § 44 Abs. 3 Satz 4 SGB X genannte, über den Ablauf der Zehnjahresfrist hinausgehende Aufhebungsmöglichkeit aufgrund ihres Charakters als Rechtsgrundverweisung nicht anwendbar sei und dass eine Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 mit Wirkung für die Vergangenheit aufgrund Fristablaufs ausgeschlossen sei, hat die Beklagte vorgetragen, dass es zutreffend sei, dass es sich bei dem in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X enthaltenen Verweis auf § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X um eine Rechtsgrundverweisung handele. Entgegen der Auffassung des SG sei die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 jedoch nicht ausdrücklich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt worden. Zwar sei als Rechtsgrundlage allein diese Vorschrift genannt worden, dennoch sei die Bescheidaufhebung inhaltlich auch mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB X begründet worden. Die bloße Nennung der Rechtsgrundlage als Teil der Begründung (§ 35 Abs. 1 SGB X) werde im Hinblick auf § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X nachgeholt. Aufgrund der von der Beklagten gegebenen Informationen auf Seite 3 des Bescheides vom 27.09.1990 habe die Witwe den Bezug der Versichertenrente melden müssen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) und erkennen können, dass das Einkommen zur Anrechnung auf die Hinterbliebenenrente führe und es dadurch zu einer Kürzung, zum Wegfall bzw. Ruhen kommen könne (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Der Witwe sei im Bescheid vom 27.09.1990 und in den beigefügten Erläuterungen mitgeteilt worden, dass, wenn eine Hinterbliebenenrente mit Einkommen wie zum Beispiel Versichertenrente zusammentreffe, bei der Hinterbliebenenrente das Einkommen in Höhe von 40 % des Betrages anzurechnen sei, um den das Einkommen einen Freibetrag übersteige. Es bestehe die Verpflichtung, das Hinzutreten von Einkommen anzuzeigen. Der Hinweistext sei klar und leicht verständlich. Ausgehend davon, dass die Witwe sowohl die Ausführungen im Bescheid vom 27.09.1990 als auch in den Erläuterungen vollständig gelesen und verstanden habe, liege mindestens eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht vor. Denn die Witwe habe der Beklagten die Bewilligung der Altersrente nicht angezeigt. Ferner habe der Witwe nicht verborgen geblieben sein können, dass die Hinterbliebenenrente nach Bewilligung der Altersrente nicht neu berechnet worden sei. Die Witwe habe also gewusst, dass die Altersrente nicht auf die Hinterbliebenenrente angerechnet worden sei. Es bestehe kein Zweifel an der Wahrung der Einjahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 SGB X. Der Umstand, dass zwischen dem Versicherungskonto des Versicherten (aus dem die Witwenrente gezahlt werde) und dem Versicherungskonto der Witwe (aus dem die Altersrente gezahlt werde) keine Kontenverknüpfung bzw. kein Datenabgleich erfolgt sei, begründe nach dem Urteil des LSG NRW vom 09.01.2004, Az. L 13 RJ 115/01 keinen atypischen Fall. Sie hat die Erläuterungen und Hinweise zum Rentenbescheid der BfA beigefügt, in der unter Punkt 9 die Einkommensanrechnung nach § 58 Abs. 1 AVG erläutert wird.

Nach Anhörung der Beteiligten am 03.03.2021 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 13.09.2021 der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 14.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2016 insoweit aufgehoben, als die Beklagte den Bescheid vom 27.09.1990 für den Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 hinsichtlich der Rentenhöhe aufgehoben und eine Erstattung in Höhe von 53.857,06 € verlangt habe. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit seien nicht erfüllt. Die Beklagte könne die Aufhebung nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (Erzielung von Einkommen) stützen. Dies sei für eine Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist nicht ausreichend, weil es sich bei dem in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X enthaltenen Verweis nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um eine Rechtsgrundverweisung handele. Es könne dahinstehen, ob die Beklagte durch Nennung von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. 4 SGB X eine Begründung nachgeholt oder Gründe nachgeschoben habe, da das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht nachgewiesen sei. Eine vorsätzliche Kenntnis der Witwe, dass ihr wegen des Bezuges der Altersrente die Witwenrente nicht in voller Höhe zugestanden habe bzw. grob fahrlässige Nichtkenntnis sei nicht nachgewiesen. Auch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten durch die Witwe sei nicht nachgewiesen. Soweit das diesbezügliche Einsichtsvermögen der Witwe nicht mehr ermittelt werden könne, gehe dies nach dem Grundsatz der Beweislast zu Lasten der Beklagten. Zudem liege ein atypischer Fall aufgrund eines Mitverschuldens der Beklagten vor. Diese sei Kontoführer bezüglich der Witwenrente und der Versichertenrente gewesen. Überdies sei die Akte bezüglich der Witwenrente am 08.07.1992 aus dem Archiv angefordert worden. Es seien weder bei Erreichung der Regelaltersgrenze der Witwe noch bei Neuberechnungen der Witwenrente Nachprüfungen bezüglich eines etwaigen Altersrentenbezuges erfolgt. Daher hätte es einer Ermessensentscheidung der Beklagten bedurft. Da diese von einem Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe, sei die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 sowie die Erstattungsforderung in Höhe von 53.857,06 € rechtswidrig.

Gegen den ihr am 20.09.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 07.10.2021 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 auch mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X begründet worden sei. Dem stehe die fehlende Nennung der einschlägigen Rechtsvorschriften nicht entgegen. Es bestehe keine rechtliche Verpflichtung zur einer Paragrafen-Angabe. Entgegen der Auffassung des SG führe der Umstand, dass die Witwe wegen ihres Todes nicht mehr zu ihrem Einsichtsvermögen und zu ihrer persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit befragt werden könne, [nicht] dazu, dass „automatisch“ von einer Nichterweislichkeit auszugehen sei, die zu Lasten der Beklagten gehe. Anhaltspunkte dafür, dass die Witwe im Juli 1992 in ihrem Einsichtsvermögen oder ihren intellektuellen Fähigkeiten eingeschränkt gewesen sei, seien nicht vorgetragen oder aus der Akte ersichtlich. Die Witwe sei als Sachbearbeiterin bei der A. hinreichend mit Verwaltungsangelegenheiten vertraut gewesen. Ihr sei mehrfach mitgeteilt worden, dass sie den Empfang, Erhalt oder Hinzutritt einer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung unverzüglich anzuzeigen habe. Bereits der Umstand, dass die Witwe über ihre Mitwirkungspflichten unmissverständlich belehrt worden sei und diese dennoch verletzt habe begründe nach der Rechtsprechung des BSG grobe Fahrlässigkeit (BSG, Urteil vom 21.07.1988 – 7 Rar 21/86). Dies gelte umso mehr, als in dem Hinweis auf die Mitteilungspflicht in den dem Rentenbewilligungsbescheid beigefügten Erläuterungen eine Ausnahme nur für die Fallgestaltung der Einkommensänderungen bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgeführt sei. Hierzu werde auf das Urteil des erkennenden Senats vom 10.04.2019 (L 3 R 243/18) hingewiesen. Soweit die Witwe angenommen habe, dass die von der Beklagten gezahlte Versichertenrente von der Mitteilungspflicht nicht erfasst werde, begründe gerade dies den Umstand grober Fahrlässigkeit. Es entlaste die Witwe auch nicht, dass nicht ausdrücklich dargelegt worden sei, dass die Mitteilung des Rentenbezugs an die für die Hinterbliebenenrente zuständige Abteilung erfolgen müsse, zumal diese überhaupt keine Mitteilung gemacht habe. Aufgrund des einfach zu verstehenden Hinweises habe die Witwe auch wissen müssen, dass die Versichertenrente auf die Witwenrente anzurechnen sei. Da sie keinen Bescheid über die Neuberechnung der Witwenrente bekommen habe, habe sie wissen müssen, dass die Versichertenrente nicht angerechnet werde. Ihr sei in der Anlage 3a des Rentenbewilligungsbescheides der ab dem 01.08.1990 geltende Freibetrag in Höhe von 1.044,81 DM mitgeteilt worden. Der Witwe habe ins Auge springen müssen, dass ihre Versichertenrente rund doppelt so hoch gewesen sei. Es sei nicht erforderlich, dass die Witwe komplexe Rentenberechnungen nachvollziehen könne, es reiche aus, dass diese habe feststellen können, dass ihre Versichertenrente bei der Witwenrente immer unberücksichtigt geblieben sei. Es liege auch kein atypischer Fall vor. Es sei typisch, dass ein Rentenversicherungsträger Witwen- und Versichertenrente zahle. Soweit das SG ausführe, dass die Akten zum Versicherungskonto am 08.07.1992 und somit in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erreichen der Altersgrenze des § 39 SGB VI (a.F.) aus dem Archiv angefordert worden seien, habe der Kontospiegel keine Informationen dazu enthalten, dass der Witwe eine Versichertenrente bewilligt worden sei. Auslöser für den Kontospiegel vom 08.07.1992 sei eine maschinelle Mitteilung aus dem Versicherungskonto der Witwe über Einkommensdaten für die Jahre 1989 bis 1991 in Höhe von 0,00 DM gewesen. Da diese Daten bereits bekannt gewesen seien, sei die Verwaltungsakte wieder in das Archiv verfügt worden. Entgegen der Auffassung des SG habe sich ihr auch nicht aufdrängen müssen, einen Altersrentenbezug spätestens mit Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren nachzuprüfen. Wie sich aus dem BSG-Urteil vom 03.07.1991 (9b Rar 2/90) ergebe, bestünden keine behördlichen Kontrollpflichten. Es habe auch keine Veranlassung zur Nachprüfung bei Erteilung der Bescheide vom 04.06.2004 und 20.02.2007 gegeben, als die Witwe fast 72 bzw. 75 Jahre alt gewesen sei. Dies gelte umso mehr, als mit diesen Bescheiden lediglich Beitragssatzänderungen in der Krankenversicherung Rechnung zu tragen gewesen sei. Sie verweist auf das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 07.03.2019 (L 5 R 1112/15), wonach es nicht Aufgabe der Beklagten sei, sich Kenntnisse zu beschaffen. Unbeachtlich sei, welche Angaben im Rahmen des Antrags auf Altersrente gemacht worden seien, da dies ein getrennter, unabhängiger Vorgang sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 13.09.2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte habe den Bescheid ausschließlich nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erteilen und aufheben wollen. Der Witwe sei auch keine Kenntnis oder grob fahrlässige Nichtkenntnis vom Ruhen oder Wegfall des sich aus dem Witwenrentenbescheid vom 27.09.1990 ergebenen Anspruchs im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X nachzuweisen, weiterhin sei auch keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht gegeben. Soweit die Beklagte sich darauf zurückziehe, dass die Sachbearbeiterin sich am 08.07.1992 nur mit dem Kontospiegel befasst habe, reiche dies nicht zu ihrer Entlastung aus. Bei Stellung des Altersrentenantrages habe die Witwe zudem auch die Witwenrente auf dem Antragsformular angegeben. Es habe der Beklagten oblegen, eine interne Klärung herbeizuführen. Aus dem Verwaltungsvorgang sei auch ersichtlich, dass Prüfungsschritte zu den Einkünften eingeleitet worden seien. Aufgrund der Tatsache, dass die Witwe auch die Witwenrente bei Beantragung der Altersrente angegeben habe, habe sie davon ausgehen dürfen, dass die BfA das Zusammenspiel der Renten prüfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten zu Versicherungsnummern N01 (Witwenrente) und N02 (Versichertenrente, Ausdruck noch vorhandener Mikroverfilmung), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide zu Unrecht insoweit aufgehoben als die Beklagte den Bescheid vom 27.09.1990 für den Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 hinsichtlich der Rentenhöhe aufgehoben und eine Erstattung in Höhe von 53.857,06 € verlangt hat.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2016 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten, wobei streitig vorliegend allein die Rücknahme für die Vergangenheit ist. Die Beklagte hat zurecht den Bescheid vom 27.09.1990 hinsichtlich der Rentenhöhe vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 aufgehoben und die Erstattung des überzahlten Betrages in Höhe von 53.857,06 € verlangt.

Der Bescheid vom 14.10.2015 ist formell rechtmäßig. Die zunächst im Verwaltungsverfahren nicht erfolgte Anhörung nach § 24 SGB X, die erforderlich gewesen ist, da in die Rechte der Witwe eingegriffen worden ist, ist gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X mit dem Widerspruchsverfahren nachgeholt worden (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011 – B 13 R 9/11 R –, Rn. 14). Der Bescheid vom 14.10.2015 hat alle Tatsachen enthalten, auf die es nach Rechtsansicht der Beklagten für den Verfügungssatz objektiv ankommt, so dass die Witwe im Widerspruchsverfahren Gelegenheit hatte, sich hierzu sachgerecht zu äußern. Während eines Widerspruchsverfahrens ist ein förmliches Anhörungsverfahren entbehrlich (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 15).

Weiterhin ist der Bescheid vom 14.10.2015 auch materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 hinsichtlich der Rentenhöhe vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 ist § 48 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder

4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Die Voraussetzungen für die Rücknahme hinsichtlich der Rentenhöhe vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse für den hier streitigen Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 sind vorliegend erfüllt. Bei dem die Gewährung einer unbefristeten Witwenrente regelnden Bescheid vom 27.09.1990 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch die mit Bescheid vom 02.07.1992 gewährte Altersrente für Frauen an die Witwe ab dem 01.07.1992, zunächst in Höhe eines Zahlbetrages von 2.076,77 DM monatlich, haben sich die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber dem Witwenrentenbewilligungsbescheid vom 27.09.1990 nachträglich wesentlich geändert. Die durch die Witwe bezogene Altersrente hat ab dem 01.07.1992 zu einer Minderung ihres Anspruchs auf Zahlung der Witwenrente geführt.

Gem. § 58 AVG in der Fassung vom 11.07.1985, gültig bis zum 31.12.1991, ruhte die Rente in Höhe von 40 vom Hundert des Betrags, um den das nach den §§ 18a bis 18e des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ermittelte monatliche Einkommen den Freibetrag übersteigt, wenn eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten im Sinne von § 18a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zusammentrifft. Der Freibetrag betrug gem. § 58 Abs. 1 Satz 2 AVG monatlich 3,3 vom Hundert der jeweils geltenden allgemeinen Bemessungsgrundlage (§ 32 Abs. 2 AVG). Seit dem 01.01.1992 ist die Anrechnung von Einkommen auf Witwen- und Witwerrenten in § 97 SGB VI geregelt. Gem. § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist anrechenbar das Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwertes übersteigt. Von dem anrechenbaren Einkommen werden 40 vom Hundert angerechnet (§ 97 Abs. 2 Satz 3 SGB VI).

Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist das anzurechnende Einkommen der Witwe im Bescheid vom 14.10.2015 für die Zeit vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 zutreffend ermittelt worden, woraus sich eine Überzahlung von insgesamt 53.857,06 € ergibt. Berechnungsfehler sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.

Es liegen auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vor, da die Witwe wusste oder nicht wusste, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Witwenrentenbescheid vom 27.09.1990 ergebende Anspruch kraft Gesetzes teilweise zum Ruhen gekommen ist.

Die Beklagte hat die Aufhebung des Bescheides vom 27.09.1990 im Bescheid vom 14.10.2015 auch auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr: 4 SGB X gestützt, wobei die namentliche Bezeichnung dieser Vorschrift nicht zwingend erforderlich gewesen ist. Auch wenn die Beklagte zunächst die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X benannt hat, hat sie zudem ausdrücklich ausgeführt, dass die Witwe den Bezug der Versichertenrente hätte melden müssen und hätte erkennen können, dass das Einkommen zur Anrechnung auf die Hinterbliebenenrente führe und es dadurch zu einer Kürzung, zum Wegfall bzw. Ruhen führen könne. Damit hat sie zusätzlich die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr: 2 und 4 SGB X benannt und die Rücknahme auch auf diese Vorschriften gestützt, weswegen die Beklagte auch weder eine Begründung nachzuholen noch Gründe nachzuschieben hatte (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X).

Die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sind erfüllt, da die Witwe seit dem Bezug der eigenen Altersrente aufgrund des Bescheides vom 02.07.1992 wusste oder nicht wusste, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der Witwenrentenanspruch teilweise zum Ruhen gekommen ist (grobe Fahrlässigkeit). Die Witwe hat zumindest grob fahrlässig gehandelt, weil sie aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen das teilweise Ruhen des Witwenrentenanspruchs hätte erkennen können (vgl. BSG, Urteil vom 26.08.1987 - 11a RA 30/86-, Rn. 19). Im Bescheid vom 27.09.1990 ist ihr die Anrechnung von Einkommen ausführlich erläutert worden. Dabei lag im Monat August 1990 tatsächlich ein Fall der Einkommensanrechnung wegen des Bezuges von Erwerbsersatzeinkommen vor, welches den Freibetrag überstieg, weswegen für diesen Monat auch eine Einkommensanrechnung vorgenommen worden und erläutert worden ist. Zudem ist die Einkommensanrechnung nach § 58 Abs. 1 AVG in Nr. 9 der Erläuterungen und Hinweise zum Rentenbescheid ausführlich dargelegt worden. Insoweit ist nicht nachvollziehbar und auch nicht dargelegt, aufgrund welcher Überlegungen die Witwe der Auffassung gewesen sein könnte, ihr stehe trotz des Bezuges von Altersrente, die den Freibetrag um das Doppelte übersteigt, weiterhin die ungekürzte Witwenrente zu.

Dass die Witwe aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten nicht dazu in der Lage gewesen wäre, das teilweise Ruhen des Witwenrentenanspruchs nachzuvollziehen, ist zur Überzeugung des Senats nicht festzustellen. Wie sich aus den beigezogenen Versichertenakten der Witwe ergibt, war diese zuletzt bis Dezember 1987 als Sachbearbeiterin bei der A. tätig, so dass sich aus dieser Tätigkeit kein Anhaltspunkt für eine intellektuelle Überforderung herleiten lässt. Soweit im Schriftsatz vom 27.04.2016 vorgetragen worden ist, die Witwe sei an Demenz erkrankt, ergibt sich hieraus keine geistige Einschränkung bei Hinzutritt der Rente aus eigener Versicherung ab dem 01.07.1992. Zudem ist die Witwe durch den Notar G., T., am 21.03.2013 als uneingeschränkt geschäftsfähig und am 21.08.2015 als uneingeschränkt testierfähig beurteilt worden, welches ebenfalls gegen eine maßgebliche Einschränkung ihrer geistigen Fähigkeiten in dem hier streitigen Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 spricht. Dabei sind durch die Witwe am 21.08.2015 insbesondere detaillierte Regelungen zur Erbeinsetzung vorgenommen worden, was ebenfalls gegen geistige Einschränkungen spricht. Weiterhin ist durch die Witwe auch nicht geltend gemacht worden, dass sie die Hinweise der Beklagten auf die Mitteilungspflichten nicht verstanden hätte. Nach alledem liegt entgegen der Auffassung des SG hinsichtlich des Vorliegens von grober Fahrlässigkeit kein Fall des nicht zu erbringenden Beweises vor, da nach allen zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten die Witwe grob fahrlässig gehandelt hat. Lediglich ist die Vernehmung der bereits verstorbenen Witwe nicht mehr möglich, so dass dies als weitere Erkenntnismöglichkeit ausscheidet. Die Vernehmung des Betroffenen ist jedoch neben anderen nur eine Erkenntnismöglichkeit.

Da bereits die Voraussetzungen für die Rücknahme hinsichtlich der Rentenhöhe vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse für den hier streitigen Zeitraum vom 01.07.1992 bis zum 31.10.2015 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt sind, kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 3 SGB X ebenfalls vorliegen.

Schließlich liegt auch entgegen der Auffassung des SG kein sogenannter atypischer Fall vor, der eine Ermessensentscheidung der Beklagten erforderlich gemacht hätte. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine solche Ermessensentscheidung gebietet, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu entscheiden und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser muss Merkmale aufweisen, die im Hinblick auf die mit der Rückwirkung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 SGB X deutlich abweichen, so dass der Leistungsempfänger in besondere Bedrängnis gerät (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.1991 – 9b Rar 2/90 – Rn. 14f m.w.N.). Das Vorliegen einer besonderen Bedrängnis ist weder bei der Witwe, die ein Vermögen von mehr als 100.000,- € vererbt hat, noch bei der Klägerin als ihrer Erbin dargelegt oder ersichtlich.

Das Vorliegen eines atypischen Falls ergibt sich auch nicht aus einem mitwirkenden Fehlverhalten der Beklagten bei grobem Verschulden (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.1986 – 7 RAr 126/84 –, Rn. 16). Soweit wegen einer fehlenden Kontenverknüpfung bzw. Datenabgleichs zwischen dem Konto des verstorbenen Versicherten und dem eigenen Versicherungskonto der Witwe die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin sowohl die Witwenrente als auch die Versichertenrente gewährt hat, ergibt sich hieraus kein grob schuldhaftes Verhalten. Denn der eine Sozialleistung empfangene Bürger ist zu einem eigenverantwortlichen Handeln verpflichtet. Dadurch wird grundsätzlich eine überwachende und nachforschende Verwaltung entbehrlich. Unterlässt die Verwaltung eine regelmäßige Kontrolle, kann ihr kein Fehlverhalten durch Unterlassen vorgeworfen werden (BSG, Urteil vom 03.07.1991 – 9b Rar 2/90 – Rn. 15).

Auch aus der Archivanforderung vom 08.07.1992 ergibt sich nichts anderes. Denn es ist die Witwenrentenakte aus dem Archiv angefordert worden und nicht etwa die eigene Versichertenakte der Witwe, so dass weiterhin kein Anhaltspunkt für einen eigenen Altersrentenbezug der Witwe bestanden hat. Wie die Beklagte überzeugend dargelegt hat, ist Auslöser für die Erstellung des Kontospiegels eine maschinelle Mitteilung aus dem Versicherungskonto der Witwe über Einkommensdaten für die Jahre 1989 bis 1991 in Höhe von 0,00 DM gewesen. Dies stimmt auch mit dem Inhalt des Kontospiegels überein, in dem angegeben worden ist, dass nachträglich Daten zur Einkommensermittlung übermittelt worden sind (Schlüssel 1450). Dieser Schlüssel 1450 bezieht sich jedoch nur auf den Einkommensersatzbezug der Witwe für den Monat August 1990, welcher jedoch schon im Bescheid vom 27.09.1990 berücksichtigt worden ist.

Unzutreffend führt das SG ebenfalls aus, dass die Beklagte bei Erreichen der Regelaltersgrenze der Witwe oder bei nachfolgenden Änderungen hinsichtlich des Krankenversicherungsbeitrages von sich aus Nachforschungen hätte anstellen müssen. Abgesehen davon, dass der eine Sozialleistung empfangene Bürger zu einem eigenverantwortlichen Handeln verpflichtet ist (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.1991 – 9b RAr 2/90 – Rn. 14f), wodurch gerade eine nachforschende Verwaltung entbehrlich gemacht wird, ist auch nicht ersichtlich, dass wegen des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze eine Witwe eine Rente aus eigener Versicherung tatsächlich auch bezieht. Aus Änderungen des Krankenversicherungsbeitrages bei der Witwenrente lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für einen eigenen Altersrentenbezug herleiten.

Weiterhin ist bei der Rücknahme mit Bescheid vom 14.10.2015 auch die Jahresfrist nach §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt worden, da der zuständige Sachbearbeiter erst am 17.06.2015 vom Altersrentenbezug der Witwe erfahren hat.

Die Rücknahme des Bescheides vom 27.09.1990 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ist auch nicht ausgeschlossen, weil seit Bescheiderteilung mehr als zehn Jahre vergangen wären. Nach der Rechtsgrundverweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 77/09 R –, Rn. 42) ist bei einer Rücknahme nach Ablauf der Frist von zehn Jahren nach Bescheiderteilung (§ 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X) entsprechend zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X vorgelegen haben. Die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind bei entsprechender Anwendung vorliegend gegeben. Hiernach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Wie bereits dargelegt, wusste die Witwe, dass der Witwenrentenanspruch teilweise zum Ruhen gekommen ist, bzw. wusste dies nicht, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Damit wusste sie auch, dass der Bescheid vom 27.09.1990 wegen der unterbliebenen Einkommensanrechnung rechtswidrig geworden war bzw. wusste dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht.

Im Übrigen ist eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 14.10.2015 weder ersichtlich noch dargelegt.

Der Erstattungsanspruch der Beklagten ergibt sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 197a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Im erstinstanzlichen Verfahren war dieses für die Klägerin als sonstige Rechtsnachfolgerin, die das Verfahren aufgenommen hat, gem. § 183 Abs. 1 Satz 2 SGG kostenfrei; da sie unterlegen ist, hat sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Im Berufungsverfahren gehören weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen, so dass Kosten nach dem Gerichtskostengesetzes (GKG) zu erheben und die Vorschriften der §§ 154 bis 162 VwGO entsprechend anzuwenden sind. Gem. § 154 Abs. 1 VwGO trägt die Klägerin insoweit als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens. 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

Der Streitwert ist für das Berufungsverfahren endgültig gem. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG auf 53.857,06 € festzusetzen.

 

Rechtskraft
Aus
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