Der Umstand, dass ein Opfer krankheitsbedingt das schädigende Ereignis nicht hinreichend konkret beschreiben kann, begründet weder eine Beweiserleichterung noch eine Beweislastumkehr.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund behaupteter sexueller Übergriffe in ihrer Kindheit.
Sie ist 1994 als einziges Kind ihrer nicht verheirateten Eltern, Z1 und P1, geboren. Das alleinige Sorgerecht lag bei der Mutter. Nach dem Besuch des Kindergartens und der Grundschule wechselte sie ab der fünften Klasse auf das Gymnasium. Sie hat gekifft und THC konsumiert (Angaben bei S1). 2009 fand die erste stationäre Behandlung der Klägerin statt, während weiterer Aufenthalte legte sie ihren Realschulabschluss ab. Nach einem Praktikum in einem Kindergarten wurde ein erneuter stationärer Aufenthalt notwendig.
Am 20. Juli 2012 beantragte sie bei dem Landratsamt R1 (LRA) – vertreten durch ihre Mutter – die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Die schädigenden Ereignisse ergäben sich aus den Behandlungsberichten der L1, schädigende Personen seien eine – unbekannte – Stewardess im Flugzeug der ägyptischen Airline sowie der Großvater P2 gewesen. Eine Zeugenaussage von ihr – der Mutter – wegen des sexuellen Missbrauchs im Flugzeug und wegen des sexuellen Missbrauchs des Vaters väterlicherseits werde jederzeit abgegeben.
Das LRA zog die Behandlungsberichte der L1 – Zentrum für Verhaltensmedizin – über die stationären Aufenthalte der Klägerin bei:
Danach fand die erste stationäre Behandlung vom 7. August bis 14. Dezember 2009 statt. Zur psychiatrischen Anamnese wurde angegeben, dass die Klägerin zwischen ihrem fünften und achten Lebensjahr innerhalb und außerhalb der Familie sexuelle Übergriffe erfahren habe. Über das Geschehene habe sie vor der stationären Behandlung aufgrund von Schamgefühlen und Ängsten niemanden berichtet. Weitere belastende Ereignisse seien der Tod des Großvaters mütterlicherseits 2003 und die Mobbing-Erfahrungen in der Schule ab der fünften Klasse gewesen. Seit diesem Zeitpunkt hätten sich die sozialen Ängste wie ihre Unzufriedenheit mit sich im Allgemeinen und vor allem mit ihrem Aussehen entwickelt. Ab da seien immer wieder Bilder des sexuellen Missbrauchs hochgekommen. Es sei eine ambulante Therapie begonnen worden, in deren Rahmen die Klägerin aber nie über die belastenden Themen gesprochen habe.
Die Klägerin beschreibe Angst und Selbstmordgedanken wegen des Verhaltens eines zwei Jahre älteren Mädchens in ihrer Schule. Diese gebe an, in sie – die Klägerin – verliebt zu sein und stelle ihr nach. Die Mitschülerin habe sie sogar gezwungen, Tabletten zu nehmen.
Die Integration in den Kindergarten und die Grundschule sei problemlos gelungen, die Probleme hätten mit dem Wechsel auf das Gymnasium begonnen. Die Klägerin sei von einer Mitschülerin schikaniert worden und habe es nicht geschafft sich zu wehren. Lehrer hätten sie wegen ihrer Probleme bloßgestellt.
Im Verlauf der Behandlung hätten sich neben der sozialen Ängstlichkeit ausgeprägte Schwierigkeiten mit dem Essen gezeigt. Ihrer Therapeutin habe die Klägerin anvertraut, sexuell missbraucht worden zu sein, ohne sich zu Ausmaß und Täter zu äußern. Im weiteren Verlauf habe sie hiervon den Eltern berichtet, die davon bislang nichts gewusst hätten. In den Eltern- und Familiengesprächen sei die eigene Belastung der Mutter der Klägerin deutlich und dieser zur Inanspruchnahme von Hilfe und Unterstützung geraten worden. Der Klägerin sei es angesichts der häuslichen Situation (Aufnahme eines 16-jährigen Jungen in der Familie) und der angespannten Situation zur Mutter schwergefallen, nach Hause zurück zu kehren. Im häuslichen Umfeld bestünden für die Klägerin Bedingungen, die eine angemessene Entwicklung gefährdeten. Es werde eine intensive Behandlung in einer therapeutischen Mädchenwohngruppe empfohlen.
Nach weiterer ambulanter Behandlung gab die Klägerin am 22. Januar 2010 an, sich wieder deutlich schlechter zu fühlen und nicht mehr zur Schule gehen zu können. Da Schwierigkeiten mit dem Essen und Suizidabsichten beschrieben worden seien, die Beziehung zur Mutter sehr belastet sei, sei eine erneute stationäre Aufnahme (bis 8. April 2010) erfolgt. Die Klägerin habe sich im geschützten Rahmen der Station wohl und entlastet gefühlt. Trotz des geschützten Rahmens sei es nicht gelungen, sie vom familiären Umfeld abzugrenzen. Sie sei immer wieder von verschiedenen Familienmitgliedern angerufen worden, habe sich leicht beeinflussbar gezeigt und aus verschiedenen Richtungen unterschiedliche Botschaften erhalten. Kontakte mit dem Vater hätten zur Destabilisierung geführt, sodass eine Kontaktsperre zu diesem verhängt worden sei. Die eigenen Probleme der Mutter seien immer wieder deutlich geworden, diese habe letztlich zugestimmt, dass die Klägerin künftig in einer Jugendhilfeeinrichtung leben solle.
Diagnostisch werde von einer Identitätsentwicklungsstörung mit Selbstunsicherheit und ängstlichen Zügen sowie selbstverletzendem Verhalten vor dem Hintergrund dramatischer Erlebnisse ausgegangen. Es bestehe der dringende Verdacht auf eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit emotional instabilen Zügen. Eine Distanzierung vom bisherigen Umfeld werde empfohlen.
Bereits am 16. April 2010 wurde die Klägerin erneut stationär aufgenommen, nachdem sie sich am 15. April 2010 in Begleitung ihrer Großmutter vorgestellt und von einer übermäßigen Tabletteneinnahme berichtet hatte. Sie habe nicht klar benennen können, weshalb sie die Tabletten eingenommen habe. Die Dosis sei nicht lebensbedrohlich gewesen, habe aber eine 24-stündige Überwachung in der Kinderklinik notwendig gemacht.
Die Klägerin habe sich während des stationären Aufenthaltes gut stabilisieren können. Zusammen mit dem Jugendamt sei eine Übernahme in das Haus „N1“ in S2 vereinbart worden. Während der gesamten Behandlungszeit sei deutlich geworden, dass die notwendige Unterstützung durch die Familie nicht gegeben sei. Die Entlassung in das häusliche Umfeld habe zu einer erneuten Destabilisierung und einem Suizidversuch geführt. Es bestehe weiter der dringende Verdacht auf eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit emotional instabilen Zügen. Eine Essstörung sei nicht zu beobachten gewesen. Der Verbleib zu Hause werde weiterhin als kontraindiziert und als ein potentieller Faktor für die Entwicklung einer seelischen Behinderung, mit nicht behebbarer Beeinträchtigung des seelischen Befindens, der sozialen und schulischen Integration sowie der begabungsadäquaten Leistungsfähigkeit, gesehen.
Vom 13. Mai 2010 bis 28. August 2010 und vom 1. bis 10. September 2010 wurde die Klägerin erneut vollstationär und vom 13. September bis 3. Dezember 2010 teilstationär behandelt. Sie habe sich bereits am ersten Abend aus der Jugendhilfeeinrichtung abholen lassen und angegeben, die anderen zum Teil deutlich sozialverhaltensgestörten Jugendlichen als extrem übergriffig und deutlich grenzüberschreitend erlebt zu haben. Es habe sich eine tiefe narzisstische Krise gezeigt.
Bei Entlassung sei im formalen Gedankengang immer wieder phasenweise eine noch gewisse Grübelneigung aufgefallen, ebenso eine Einengung auf bestimmte Themen. Im inhaltlichen Denken hätten intrusive Gedanken bestanden, Wahrnehmungsstörungen seien aktuell keine vorhanden. In den letzten Wochen seien aber sowohl die Geruchswahrnehmung als auch die optische und akustische Wahrnehmung beeinträchtigt gewesen.
Während der Behandlung habe sie in der Gruppe der Jugendlichen, die sie zum großen Teil aus ihren Vorbehandlungen gekannt habe, schnell eine zentrale und aktive Rolle eingenommen. Neben ihrer guten sozialen Kompetenz in der Unterstützung anderer Jugendlicher mit ähnlicher Symptomatik habe sich eine erhebliche Durchlässigkeit für die Problematik anderer mit immer wieder deutlicher Überforderung und dem eindeutigen Wunsch, sich besser abgrenzen zu können, gezeigt.
In der Einzelpsychotherapie habe die Klägerin erstmals die klare Aufforderung an die Therapeutin ansprechen können, nicht nur die Stabilisierung im Auge zu haben, sondern intensiv an den Hintergründen für die Problematik zu arbeiten. Im Rahmen der Traumatherapie seien immer wieder Labilisierungen aufgetreten, psychopathologische Symptome hätten sich ebenso verstärkt wie dissoziative Momente.
Bei der Klägerin bestehe eine bereits chronifizierte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit dissoziativen Symptomen, Wahrnehmungsverzerrungen, heftigen Intrusionen, körperlichen Symptomen, Hyperarousal und kognitiven Einschränkungen. Im Rahmen der langmonatigen Krankenhausbehandlung habe eine deutliche Stabilisierung und ein Beginn der Aufarbeitung der traumatischen Hintergründe erfolgen können.
Eine weitere vollstationäre Behandlung fand vom 14. Februar bis 20. April 2011 statt. Im ambulanten Rahmen habe sich die Klägerin über einen gewissen Zeitraum recht stabil entwickelt. Trotz der Veränderung der Medikation habe sich eine regelrechte Erschöpfung mit einer deutlich gedrückten Stimmungslage, massiven Ein- und Durchschlafproblemen sowie dissoziativen Symptomen eingestellt, die es der Klägerin unmöglich gemacht hätten, gegen die konstant vorhandene Symptomatik der intrusiven Wahrnehmungsstörung (akustisch, optisch, haptisch) anzukämpfen. Um eine drohende suizidale Dekompensation abzuwenden bzw. eine Intensivierung der medikamentösen Unterstützung zu erreichen, sei eine erneute stationäre Aufnahme erfolgt.
Im Verlauf habe sich ein massiver Stimmungseinbruch bei dem Versuch ergeben, ihre seit letzten Mai durchgängig betreuende Therapeutin in das Ausmaß ihrer inneren Wahrnehmungsstörungen (Erstauftreten von Intrusionen im circa 11. Lebensjahr), ihrer Psychopathologie, einzuweihen, sodass es zu einer Verstärkung der suizidalen Gedanken gekommen sei. Dennoch habe sich die Klägerin in der Klinikschule auf den Realschulabschluss vorbereitet. Der Übergang in die Erzieherinnenschule sei vorbereitet worden.
Im Bericht vom 4. Januar 2012 (stationärer Aufenthalt vom 28. November bis 30. Dezember 2011) wurde ausgeführt, dass die erneute stationäre Aufnahme erforderlich geworden sei, da die Klägerin im Zuge ihrer neuen Tätigkeit mit Kindern im Kindergartenalter im Sinne von Triggerfaktoren an ihre offensichtlich erlebten traumatischen Erfahrungen in der frühen Kindheit erinnert worden sei. Die aufkommenden verstärkten Intrusionen und auch Dissoziationen habe sie zunehmend versucht, durch restriktive Ernährungsmaßnahmen kombiniert mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsreduktion zu kompensieren.
Während des Aufenthaltes habe sie ohne Magensonde ein etwas normaleres Essverhalten entwickelt. Nach wie vor bestehe ein klarer Zusammenhang zwischen der Nahrungszunahme und der Verstärkung der intrusiven Wahrnehmungsstörungen. Sie leide unter schweren Schuldgefühlen, die ihr verböten sich zu ernähren. Im Rahmen einer hochfrequenten, engmaschigen Psychotherapie sei eine langsame Stabilisierung deutlich geworden. Die Kontakte zu den Bezugspersonen seien regelmäßig erfolgt.
Im Rahmen der stationären Behandlung habe eine Stabilisierung des massiv gestörten Essverhaltens und eine leichte Reduktion des Erbrechens erreicht werden können. Die im ambulanten Rahmen begonnene Umstellung der Medikation sei fortgesetzt worden, die Prognose als vorsichtig positiv zu bewerten.
Die erneute Aufnahme am 1. Februar 2012 (Bericht vom 19. Juli 2012) sei erforderlich geworden, nachdem die Klägerin erkannt habe, dass sie ihr Vorhaben, das Essverhalten im ambulanten Rahmen zu stabilisieren, nicht umsetzen könne. Eine Verstärkung sei bereits im Herbst 2011 im Zusammenhang mit dem Praktikum beschrieben worden. Das Zusammensein mit den Kindergartenkindern habe offensichtlich erlebte traumatische Erinnerungen aus ihrer eigenen frühen Kindheit im Sinne einer Triggerfunktion aktiviert. Gleichzeitig stelle die enge, liebevolle, aufgrund ihrer sexuellen traumatischen Vorerfahrungen sie aber auch an ihre Grenze bringende Beziehung zu ihrem Freund eine zunehmende Belastung dar. Die Klägerin gehe zunehmend auf Distanz, da sie die Nähe nicht aushalte. Die aufkommenden verstärkten Intrusionen, Flashbacks und dissoziativen Zustände habe sie zunehmend versucht, durch restriktive Ernährungsmaßnahmen zu kompensieren.
Sie beschreibe, seit vielen Jahren unter der Symptomatik einer schweren Körpergefühlsstörung zu leiden, die sich vergegenständlicht habe. Sie habe das Gefühl, in ihr lebe ein feindliches Wesen, dass sie dirigiere, sich durch sie ernähre, ihr Aufträge gebe, sie am Reden hindere, sodass sie sich zunehmend unfrei und wie ausgeliefert fühle. Im Zuge der Versuche, dieser Symptomatik eigenständig zu begegnen, sei die massive Essstörung als ein Abwehrversuch der zugrundeliegenden Traumafolgestörung zu sehen.
Im formalen Gedankengang werde von einer erhöhten Grübelneigung berichtet. Im inhaltlichen Denken setze sich die Klägerin mit ihrer Angst vor dem Kontrollverlust, vor dem „Verrücktwerden“ auseinander, es werde ein abnormes Beeinflussungserleben beschrieben. Im Wahrnehmungsbereich bestünden massive akustische und szenische intrusive Wahrnehmungsstörungen, Derealisations- und Depersonalisationserleben, Störungen der Körperfühlsphäre.
Bei den dissoziativen Momenten sei bekannt, dass sie die inzwischen im Rahmen der Therapie mitgeteilten Erfahrungen einer frühkindlichen (4./5. Lebensjahr) langjährigen sexuellen Misshandlung durchlebe. Die im magischen Entwicklungsalter begonnene sexuelle Misshandlung habe zur Entstehung eines so genannten inneren Parasiten im Sinne eines Täterintrojektes geführt, welches phasenweise durch mögliche äußere Bedrohungen gestärkt werde. Über letztere könne die Klägerin sprechen. So führten alle ungeklärten und problematischen Situationen in ihren Beziehungen zur Verstärkung der inneren traumassoziierten Realität. Sie sei aktuell von einem konstanten affektiv-emotionalen Anspannungszustand geprägt, der sich phasenweise noch verstärke.
In Phasen der Klarheit bestehe die gute Fähigkeit, sich schriftlich und durch Zeichnungen mitzuteilen und auf ihre Problematik hinzuweisen. Vorherrschende emotionale Äußerung sei nach wie vor die Todessehnsucht, Bedrohung von innen und außen wie Resignation. Es sei weiterhin von einer akuten Eigengefährdung auszugehen, da die Patientin sowohl aufgrund des Ausmaßes der Problematik zu resignieren drohe, auch immer wieder äußere, dass ihre Situation unerträglich sei, sodass eine gewisse Todessehnsucht im Sinne einer Erlösung entstehe. Andererseits bestünden sehr aktive suizidale Impulse, da sie sich weiterhin für unterschiedliche Ereignisse der Vergangenheit massiv verantwortlich fühle. Absprachefähigkeit bestehe derzeit keine.
Zu keinem Zeitpunkt habe ein kompletter Realitätsverlust bestanden. Lediglich in Phasen der Dissoziation passiere es, dass die Klägerin ihr positiv zugewandte Bezugspersonen verkenne und sich dann nur noch versuche zu schützen. Die Problematik von Nähe und Distanz stelle sich immer wieder neu in ihrem ganzen Ausmaß dar.
Sie sei zunehmend in der Lage, über die Erlebnisse der frühen Kindheit – ausgehend von ihren aktuellen Erinnerungen – von einem langjährigen sexuellen Missbrauch im Alter von vier bis fünf Jahren und dann wieder im Alter von 8 bis 12 Jahren durch eine Person, und durch ein einmaliges übergriffiges Erlebnis im Alter von circa 7 Jahren konkret zu berichten. Die Traumafolgestörungen und die Symptome seien inzwischen recht eindeutig diesem Ereignis zuzuordnen. So sei die Entstehung des „inneren Parasiten“ im Sinne eines magischen Erinnerungs- und Erklärungsversuchs der Erfahrungen aus dem Kindergartenalter zu sehen. Ereignisse, die etwas später stattgefunden hätten, würden in Form von Flashbacks und intrusivem szenischem Wahrnehmungen immer wieder nacherlebt, wobei die Klägerin phasenweise kaum in der Lage sei, Reales von Irrealem zu trennen.
Sie habe nach einer langjährigen frühkindlichen sexuellen Traumatisierung, einem einmaligen sexuellen Übergriff im 7. Lebensjahr und einer unguten ersten sexuellen Erfahrung mit einem Gleichaltrigen das Bild einer komplexen Traumafolgestörung mit massiver Symptomatologie entwickelt. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Klägerin nicht in der Lage, in einem offener geführten Rahmen zu überleben, sodass die oberste Priorität darin bestehe, sie soweit zu stabilisieren, dass sie wieder eigenverantwortlicher ihre Wege gehen könne.
Die L1 teilte dem LRA mit, dass sich die Klägerin seit dem 30. Januar 2012 erneut und durchgängig in stationärer Behandlung befinde. Sie weise entschieden darauf hin, von einer Strafanzeige gegen den Täter Abstand zu nehmen. Sie mache ausdrücklich von ihrem Recht auf gesetzliche Zeugnisverweigerung Gebrauch. Eine Regressforderung gegenüber dem Täter sei für die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit einer massiven psychischen Belastung und einer nochmaligen Verstärkung ihrer ohnehin schweren Problematik verbunden. Bei der jetzigen stationären Behandlung habe die Klägerin sehr viel deutlicher als in der Vergangenheit konkrete Hinweise zum Hergang des sexuellen Kindesmissbrauchs machen können. Sie erinnere sich, soweit dies aufgrund des frühen Lebensalters des stattgefundenen Missbrauchs möglich gewesen sei, an einen sehr frühen kindlichen Missbrauch ab dem Alter von vier Jahren. Hierzu könne sie altersbedingt nur bruchstückhafte Angaben machen. Erst bezüglich der Missbrauchserfahrungen im frühen Schulalter habe sie sich präzise geäußert. So habe sie berichtet, im Alter von 8 bis 12 Jahren sexuellen Übergriffen durch ihren Großvater väterlicherseits ausgesetzt gewesen zu sein, die sie selbst im Alter von 12 Jahren, durch ihre Weigerung, den Großvater zu besuchen, beendet habe. Die Übergriffe hätten recht regelmäßig im Rahmen von Familienbesuchen bei den Großeltern circa zwei- bis dreimal im Monat und dann fast eigentlich jedes Mal stattgefunden. Sie habe allerdings keine zeitliche Vorstellung, wie lange die Übergriffe gedauert hätten.
Sie hätten in zwei unterschiedlichen Räumen stattgefunden. Die anwesenden anderen Personen wie Papa, Tante und Oma seien zwar im Haus gewesen, hätten aber nie etwas mitbekommen. Manchmal hätten die Übergriffe stattgefunden, während die Großmutter das Essen vorbereitet habe, sodass die Klägerin einen massiven Ekel vor dem Essen entwickelt habe, was niemand habe nachvollziehen können. Wenn die Mutter bei den Familienbesuchen dabei gewesen sei, sei diese oft während der Ereignisse spazieren gewesen.
Im Zusammenhang mit diesen Erfahrungen würden fremdanamnestisch immer wieder Phasen kindlicher Ängste und psychosomatische Beschwerden beschrieben, die in der Präpubertät und Pubertät zu einer ausgeprägten Psychopathologie geführt hätten. Die Klägerin berichte darüber hinaus, dass sie sich an konkrete Situationen erinnere, wo sie durch eine männliche Person auf das Bett gelegt werde, die Person sich zu ihr gelegt und gesagt habe, dass sie etwas ausprobieren wolle, was sie nicht verstehe, was aber normal sei. Später habe sie berichten können, dass sie bei den regelmäßigen Kontakten im Haus des Großvaters in der Grundschule und frühen Gymnasialzeit nicht jedes Mal eine Penetration erfahren habe, dies werde offensichtlich erinnert.
Da die Klägerin schwer traumatisiert sei und eine schwere Traumafolgestörung mit wieder auftretenden dissoziativen und heftigen Angstattacken aufweise, könne sie nur rudimentär zu den Dingen berichten. Die von ihr gezeigte Psychopathologie unterstreiche den frühen Beginn der Symptomatik. Darüber hinaus gebe es noch eine Situation, in denen sie Übergriffen ausgesetzt gewesen sei. Einmal im Alter von 7 Jahren sei sie auf dem Urlaubsflug nach Ägypten von einer Stewardess zur Toilette begleitet worden, die dort sexuellen Handlungen an ihr vorgenommen habe.
Der Großvater habe eine klare Drohung in Richtung der Klägerin ausgesprochen, dass sie nichts mitteilen dürfe. Sie habe Angst gehabt, dass ihrer Mutter oder ihrer geliebten Mutter (richtig wohl: Großmutter) mütterlicherseits etwas passieren könne. Diese Drohung habe der Großvater nochmals bei einem Besuch im 14. Lebensjahr der Klägerin in der Klinik ausgesprochen. Die Klägerin berichte glaubhaft, dass sie den Eindruck gehabt habe, dass er offensichtlich davon ausgegangen sei, dass sie niemals etwas erzählen werde.
Diagnostisch sei von einem sehr frühen Stadium einer dissoziativen Identitätsstörung auszugehen, die eine langjährige und umfangreiche Psychotherapie bzw. immer wieder notwendig werdende therapeutische Hilfen nach sich ziehe. Die Klägerin sei durch die erfahrenen Traumatisierungen massiv in ihrer altersgemäßen Entwicklung beeinträchtigt und werde weiterhin vielfältige zusätzliche Unterstützungen, im schulischen wie im beruflichen Bereich, brauchen.
Das LRA zog das jugendpsychiatrische Sachverständigengutachten des K1, für das Amtsgericht O1 (AG) aufgrund ambulanter Untersuchung vom 27. September 2012 in der L1 bei. Dieser führte aus, dass in den vorliegenden Akten dokumentiert sei, dass der Vater von P1, P3 (der Großvater der Klägerin), das Jugendamt 2010 darauf hinwies, dass sich die Klägerin nach mehreren Suizidversuchen im häuslichen Umfeld in der geschlossenen Psychiatrie befinde. Zwischen der Klägerin und ihrem Vater habe es keine Konflikte gegeben, solche seien vielmehr im Haushalt der Mutter aufgetreten. P4 habe mehrfach auf eine seiner Meinung nach gegebene Kindeswohlgefährdung im Haushalt der Mutter, in den die Klägerin nicht zurückkehren wolle, hingewiesen.
Die behandelnde Therapeutin habe, vor dem Amtsgericht am 18. Juni 2012 als Zeugin gehört, erklärt, dass die Klägerin unter einer komplexen PTBS nach mehrjährigem sexuellem Missbrauch leide, der in der Vorschulzeit begonnen habe. Weitere traumatische Erfahrungen seien dazu gekommen. Erste direkte Erkenntnis von der Klägerin habe sie seit zwei Jahren. Damals habe diese in der Therapie einzelne traumatische Erinnerungen schildern können, über diese langjährige Belastung wisse sie seit den letzten Wochen. Es handele sich um eine chronifizierte komplexe Traumafolgestörung. In Situationen, in denen sich die Klägerin mit den Problemen auseinandersetze, z. B. in der Therapie, verstärkten sich die Symptome.
Die Klägerin habe es ihm – dem Gutachter – gestattet, mit ihrer Mutter zu sprechen, aber ein Gespräch mit dem Vater und dem Großvater abgelehnt. Sie habe angegeben, dass sie schulisch weiter machen wolle, aber nicht wisse, ob sie es schaffe. Sie wolle Psychologie studieren und Therapeutin werden.
Wenn sie zu Hause wäre und alles wieder ganz normal sei, würde sie mit ihrem Freund zusammen wohnen wollen. Diesen Freund habe sie seit zwei Jahren, er sei 20 Jahre alt, gehe noch zur Schule und mache sein Abitur. Sie habe ihn in der Klinik auf der Station kennengelernt. Wenn sie etwas Spitzes in die Hände bekomme, müsse sie sich selbst verletzen. Die Stimmen sagten ihr das, nicht sie selbst. Auf weiteres Befragen habe die Klägerin angegeben, dass sie die Stimmen auch sehen könne, sie würden ihr Bilder schicken. Es seien Männer und Frauen, eine Stimme komme ihr bekannt vor, sie wolle nicht sagen, an wen sie die Stimme erinnere. Während der Untersuchung habe die Klägerin einen schwer depressiven Eindruck gemacht.
Die Therapeutin L2 habe ihm gegenüber beschrieben, dass die Klägerin von einem jahrelangen sexuellen Missbrauch zwischen dem achten und dem zwölften Lebensjahr berichtet habe, wobei sie sehr präzise Angaben habe machen können. Im Alter zwischen vier und fünf Jahren seien eindeutige sexuelle Handlungen vorgekommen, die Klägerin könne aber den Täter nicht sicher greifen bzw. benennen. Auffällig sei gewesen, dass sich die Klägerin Zeit ausbedungen habe, damit sie über die Missbrauchserlebnisse sprechen könne. Bezüglich der sexuellen Missbrauchsgeschehnisse habe sich die Klägerin in der Pubertät einer Therapeutin anvertraut. Diagnostisch nehme die Therapeutin eine komplexe PTBS, differentialdiagnostisch eine dissoziative Identitätsstörung an. Der Kindsvater und die Kindsmutter besuchten die Klägerin auch gemeinsam. Die Klägerin wolle nicht, dass der Vater das Sorgerecht bekomme. Die Mutter übe einen guten Einfluss auf die Klägerin aus, vertreibe „die Gespenster“, die die Klägerin sehe und setze sich auch zu ihr ans Bett. Die Klägerin beschuldige Personen wegen des sexuellen Missbrauchs nur dann, wenn sie sich ganz sicher sei. Bezüglich dieser Sicherheit seien die Vorkommnisse zwischen dem achten und dem zwölften Lebensjahr wohl vorgekommen.
Auf weiteres Befragen habe die Therapeutin angegeben, dass die Klägerin auch sog. psychotische Fragmentierungen habe, also immer wieder psychotische, wahnhafte Gedankeninhalte zum Vorschein kämen, die aber nicht ständig vorhanden seien. Eine Behandlung im offenen Setting sei derzeit wegen der akuten Gefahr der Selbstverletzung noch nicht möglich.
Zur schulischen Anamnese ergebe sich, dass sich die Klägerin nach einem problemlosen Kindergartenbesuch in die Grundschule integriert habe. Sie sei aufgrund ihres sozialen Engagements oft von ihren Grundschullehrern gelobt worden. Mit dem Wechsel aufs Gymnasium in der fünften Klasse hätten die Probleme begonnen. Sie sei von den Mitschülern schikaniert worden und habe es nicht geschafft sich zu wehren. Sie habe sich im Unterricht kaum konzentrieren können, die Noten seien immer schlechter geworden. 2010 sei es während eines dreimonatigen Aufenthaltes mehrfach zu selbstverletzendem Verhalten gekommen. Die Entlassung aus dem ersten stationären Aufenthalt ins häusliche Umfeld habe zu einer Labilisierung der Klägerin geführt und zu einem erneuten Suizidversuch. Diagnostisch sei die Klinik von einer Indentitätsentwicklungsstörung mit Selbstunsicherheit und ängstlichen Zügen sowie selbstverletzendem Verhalten vor dem Hintergrund dramatischer Erlebnisse ausgegangen. Es sei der dringende Verdacht auf eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit emotional instabilen Zügen geäußert worden.
Im Rahmen der stationären Aufenthalte sei deutlich geworden, dass die notwendige Unterstützung durch die Familie nicht gegeben sei. Die Klägerin sei in eine erhebliche Auseinandersetzung und unterschiedliche Positionierung, gleichsam zwischen zwei „Mühlräder“ geraten. Auf der einen Seite stünden die Mutter und Großmutter mütterlicherseits, auf der anderen Seite der Vater und der Großvater väterlicherseits. Letztere machten der Klinik den Vorwurf, das Behandlungskonzept sei unzureichend und die Klinik würde sich einseitig mit der Kindsmutter verbinden. Diese beeinflusse die Klägerin unnötig und wirke letztlich krankheitsfördernd. Klinik und Kindsmutter hätten Vater und Großvater aus der Behandlung ausgeschlossen. Das Jugendamt sei untätig und verschließe die Augen.
L2 habe dargelegt, dass ein sexueller Missbrauch, den die Klägerin erlitten haben könne, seit mindestens zwei Jahren im Raum stehe. Erst vor wenigen Wochen habe die Klägerin präzise berichtet, vom achten bis zwölften Lebensjahr durchgehend zwei- bis dreimal im Monat sexuell missbraucht worden zu sein. Möglicherweise sei dies auch schon ab dem vierten Lebensjahr für einen Zeitraum von zwei Jahren der Fall gewesen, wobei sich die Klägerin hier nicht ganz sicher sei.
Es bestehe ein hohes selbstaggressives Potential, ein Drang, sich selbst zu verletzen oder umzubringen. Der derzeitige Gesundheitszustand sei besorgniserregend. Sie sei schwer depressiv, leide ganz offensichtlich unter Stimmen und Bildern, die sich ihr aufdrängten, denen sie folgen müsse und die ihr offenbar befehlten, sich etwas anzutun, sich selbst zu bestrafen. Aus der Sicht der Therapeuten sei neu, dass sie seit wenigen Wochen sehr konkret über den sexuellen Missbrauch berichten könne. Ob diese Berichte Mitteilungen eines realen Missbrauchs seien, Ausdruck eines psychotischen Geschehens oder eines sogenannten „False-Memory“ – Patienten mit einem „False-Memory“ erinnerten sich scheinbar an Dinge, die sich aber so nicht zugetragen hätten, hielten diese aber für wahr – bleibe offen. Diagnostisch bestehe eine schwere depressive Episode mit fraglich psychotischen Symptomen und eine fragliche PTBS nach chronischem sexuellen Missbrauch zwischen dem achten und dem zwölften Lebensjahr.
Die Kindsmutter habe derzeit das alleinige Sorgerecht. Diese sei mit dem Vater und dem Großvater väterlicherseits in Bezug auf die Einschätzung des Gesundheitszustands der Klägerin und der notwendigen Maßnahmen zerstritten. Würde die Kindsmutter die Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus übernehmen, werde der Konflikt zwischen den Eltern wohl weiter schwelen. Bei einem „neutralen“ Vormund ergebe sich das Problem, dass dieser zunächst wohl nicht das Vertrauen der Klägerin haben werde.
Das LRA zog die Akte der Staatsanwaltschaft R1 bei. Danach gab die Mutter der Klägerin bei ihrer Geschädigtenvernehmung in anderer Sache am 18. August 2010 bei der Polizeidirektion R1 an, dass sie im privaten Bereich Probleme gehabt habe, da ihre jetzt 15 Jahre alte Tochter von deren Großvater, P3, sexuell belästigt worden sei und aus diesem Grund eine soziale Phobie entwickelt habe. Sie traue eine solche Tat aber weder dem Großvater, noch dem Kindsvater zu. Ein solch derart schlechtes Verhältnis habe sich aus der Angelegenheit nicht ergeben, dass sie das für möglich erachte. Sie habe in dieser Sache damals keine Anzeige erstattet, behalte sich dies aber vor. Sie könne im Augenblick noch nicht sagen, wie schwer diese Sache für ihre Tochter gewesen sei. Erst wenn sich diese ihr gegenüber öffnen und sie entsprechende Äußerungen von ihr übernehmen könne, werde sie gegebenenfalls eine Anzeige machen.
Die StA leitete aufgrund dieser Angaben ein Ermittlungsverfahren ein und ließ die Mutter der Klägerin – telefonisch – erneut befragen. Diese gab am 25. August 2011 an, dass nur vage Verdächtigungen bestünden. Die Klägerin sei beim Anblick des Großvaters in der Klinik vollkommen ausgetickt. Auf weiteres Befragen habe die Mutter angegeben, dass die Klägerin ihr gesagt habe, dass ihr Großvater sie immer angetatscht habe. Die Großeltern kämen aus dem Osten und dort seien Badebesuche am FKK-Strand normal gewesen. Der Klägerin seien diese Badeaufenthalte wohl sehr unangenehm gewesen.
Eine telefonische Nachfrage in der L1 ergab die Auskunft, dass sich die Klägerin gegenwärtig nicht äußern wolle. Das Verfahren wurde mit Verfügung vom 29. November 2011 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO – kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage) eingestellt.
Mit Bescheid vom 15. April 2013 lehnte das LRA die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Die Klägerin habe wegen des sexuellen Missbrauchs keine Strafanzeige erstattet. Bei der ersten Behandlung 2009 sei noch nicht von einer PTBS gesprochen worden. Aufgrund der Feststellungen des K1 und des Hinweises der behandelnden Ärztin, dass die Klägerin phasenweise nicht in der Lage sei, Reales von Irrealem zu unterscheiden, könnten die Angaben nicht als glaubhaft angesehen werden.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, dass K1 sie nur kurz kennengelernt und sie mit ihm nicht über den Missbrauch gesprochen habe. Mit einem Mann würde sie hierüber sowieso nicht sprechen. Seine Einschätzung stehe in klarem Widerspruch zu der langjährigen Therapeutin L2, die von einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung ausgehe und nicht von einer paranoid gefärbten. Ihr gegenüber habe sie sich tatsächlich offenbaren können, dies aber nur stückchenweise, da sie schwer traumatisiert sei und das Geschehene massiv verdränge. Es entspreche dem Krankheitsbild, dass sie nicht gleichmäßig über das Geschehene berichten könne, was nicht zu einer Unglaubwürdigkeit führe.
Klargestellt werden müsse, dass zu keinem Zeitpunkt ein sexueller Missbrauch auf einem Urlaubsflug nach Ägypten behauptet worden sei. Berichtet worden sei lediglich von einem Kuss durch die Stewardess. Von einer Missbrauchshandlung könne keine Rede sein, eine solche habe ihre Mutter auch nie geschildert. Insoweit handele es sich um ein Missverständnis.
Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2013 zurück. Bei bestimmten psychischen Erkrankungen gehörten Pseudoerinnerungen und unbeabsichtigte Verfälschungen von Gedächtnisinhalten zum Krankheitsbild. Bei der Klärung der Frage, ob die Möglichkeit derartiger Pseudoerinnerungen bestehe, komme es nicht auf die Aufarbeitung und Beurteilung eines mutmaßlichen Psychotraumas an. Deshalb sei nicht maßgeblich, dass K1 mit der Klägerin nicht über den Missbrauch selbst gesprochen habe.
Im Bericht über die Behandlung ab 1. Februar 2013 sei ausgeführt, dass die Klägerin phasenweise kaum in der Lage sei, Reales von Irrealem zu trennen. K1 sei deshalb zu der Einschätzung gelangt, dass eine PTBS nach chronischem sexuellen Missbrauch fraglich sei. Als gesichert diagnostiziere er dagegen eine beginnende kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, zwanghaften und impulsive sowie histrionischen Anteilen. L2 spreche von dissoziativer Identitätsstörung mit psychotischen Elementen. Bei der beschriebenen Persönlichkeitsorganisation bestehe klar die Möglichkeit einer absichtslosen Verfälschung von Gedächtnisinhalten und Pseudoerinnerungen, die einen erheblichen Zweifel am Realitätsgehalt der Aussagen bestehen ließen. Dazu passe die Aussage, wonach im Alter von 7 Jahren im Flugzeug von einer Stewardess sexuelle Handlungen stattgefunden haben sollten.
Am 24. Juli 2013 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung das Sachverständigengutachten der S1, Universität des S3 – Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie –, aufgrund ambulanter Untersuchung am Wohnort der Klägerin vom 4. Februar 2012 eingeholt hat.
Dieser gegenüber hat die Klägerin angegeben, dass sie bis 19. Dezember 2013 in stationärer Behandlung gewesen sei. Es ginge ihr zur Hause besser als in der Klinik. Entweder ihre Mutter oder ihr Freund schliefen bei ihr im Zimmer, sie sei nie alleine.
Die Klägerin sei in einem Haushalt mit der Mutter, der Oma und dem Opa aufgewachsen. In den Kindergarten sei sie gerne gegangen. Mit sechseinhalb Jahren sei sie eingeschult worden. Sie habe gerne die Schule besucht, mit Mathe habe sie sich mit Freude beschäftigt und sei gut damit zurechtgekommen. Ihr Hobby sei Jazz-Tanz gewesen, sie habe Leistungs- und Kunstturnen gemacht und Tennis gespielt. Nach der Grundschule sei sie aufs Gymnasium gewechselt. Ein paar Freundinnen aus der Grundschule seien mitgegangen. Mit 14 Jahren sei sie erstmals in Behandlung in ambulanter Psychotherapie gewesen. Damals habe sie unter Schulangst, allgemeinen Ängste und Panikattacken gelitten. Eigentlich hätten die Ängste schon in der Grundschulzeit begonnen und seien immer stärker geworden. Die Schulleistungen seien durchschnittlich gewesen, ob diese schlechter geworden seien, sei unklar geblieben. Der Grund für die Aufnahme in die Klinik seien Ängste und Magersucht gewesen. Ihr niedrigstes Gewicht habe 40 kg bei 165 cm betragen, mit dem Leistungssport habe dies nichts zu tun gehabt. Sie sei oft per Magensonde ernährt worden.
Mit 12 Jahren habe sie sich erstmals selbst verletzt. Sie habe Panikattacken und fange an zu zittern. Der Kopf werde ganz laut, sie höre dann die Stimmen. Die Stimmen seien im Kopf, es gebe drei bis vier Gruppen von Stimmen, mit jeweils mehreren Stimmen. Die Gruppen unterschieden sich durch Alter und Thematik der Gespräche. Die Stimmen redeten miteinander über alles, auch über sie. Sie gäben ihr Anweisungen und sprächen Drohungen aus, die anderen in ihr klauten den Kopf und machten Sachen mit ihr. Die Stimmen seien immer da, sie selber schaffe es schlecht sich abzulenken. Wenn jemand da sei, sei es ein bisschen besser. Sie könne nichts zum Inhalt der Stimmen sagen. Was die Bilder angehe, so kämen die manchmal einfach. Es gebe bestimmte Situationen, die es auslösten. Die Bilder seien etwas von früher.
Die Klägerin habe angegeben, sieben bis acht Zigaretten täglich zu rauchen, dies seit sie 14 oder 15 Jahre alt sei. Alkohol trinke sie nicht, sie habe ein paar Mal gekifft und früher riskante Sachen gemacht. Früher habe sie häufiger THC konsumiert, aber nicht täglich.
Die Mutter der Klägerin habe angegeben, dass sich diese seit dem Alter von 11 bis 12 Jahren verändert habe. Im Kleinkindalter hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt. In der Grundschule sei keine Schulangst aufgefallen. Im Gymnasium habe die Klägerin viele Umwege gehen müssen, um ins Klassenzimmer zu kommen. Irgendwann habe sie nicht mehr in Anwesenheit anderer Personen gesprochen, die Freundinnen hätten bei ihr übernachten müssen, umgekehrt sei das nicht gegangen. Sie habe einmal geäußert, dass der Mathe-Lehrer sie piesackte, weil er wisse, dass sie im Unterricht nichts sage. Sie habe ihr Zimmer verwahrlosen lassen, im Vordergrund habe eine soziale Angst gestanden.
Die Pubertät sei ab dem Alter von 12 Jahren sehr schwierig gewesen, sie habe dann nicht mehr zu den Großeltern väterlicherseits gehen wollen. Der Vater der Klägerin lebe mittlerweile in H1, die Klägerin wolle ihn aber nicht besuchen, wahrscheinlich wegen des Opas. Eine stationäre Behandlung sei erfolgt, nachdem die Klägerin ein Kindergartenpraktikum gemacht habe.
Psychopathologisch sei die Klägerin allseits orientiert gewesen, sie wirke sediert, jedoch bewusstseinsklar. Die Stimmungslage sei schwer einschätzbar, nicht explizit zu explorieren, tendenziell subdepressiv. Es finde sich eine deutliche Verlangsamung aller psychischen Funktionen. Der formale Gedankengang und das Sprechen seien verlangsamt, ebenso die motorischen Funktionen. Sie nehme kurzzeitig Blickkontakt auf, schaue die meiste Zeit nach unten. Während der Exploration seien mehrere Pausen notwendig gewesen. Da die anwesende Therapeutin den Eindruck gehabt habe, dass sich die Klägerin nicht mehr in der Realität befinde, was für sie – die Sachverständige – nur schwer beurteilbar gewesen sei, habe die Therapeutin die Klägerin aufgefordert, aus der „Notfallkiste“ Ingwer-Bonbons zu lutschen, um sich zu spüren und in die Realität zurückzufinden. Es sei dann zu einer Situation gekommen, in der die Klägerin sich kaum noch habe bewegen können und nicht mehr mit ihr gesprochen habe. Die Klägerin habe von der Therapeutin dann erst Senf erhalten, um sich besser zu spüren, dann sei mit ihr mit einem Softball ein Ballspiel gemacht worden.
Die Klägerin habe selbst nachgefragt, wer das Gutachten erhalten werde. Sie habe dabei erschöpft und belastet gewirkt. Auf Nachfrage nach dem Inhalt der benannten Bilder, sei die Klägerin aus dem Kontakt ausgestiegen, habe die Augen verdreht, durchgehend unter sich geschaut, nach und nach habe sich die Handmotorik verkrampft. Es sei somit deutlich geworden, dass eine weitere Exploration zu den Inhalten der Bilder und den Stimmen eine erhebliche Belastung darstelle und aus Fürsorgegründen diesbezüglich keine weitere Exploration möglich sei. Die intellektuelle Befähigung der Klägerin sei schwer einschätzbar, sie liege wahrscheinlich im durchschnittlichen Bereich. Eine grobe klinische Überprüfung der Merkfähigkeit und des Konzentrationsvermögens sei nicht möglich. Die Gedächtnisspeicherfunktionen seien grob unauffällig, eine differenzierte Prüfung nicht möglich. Schwer einschätzbar sei, ob Halluzinationen, Pseudohalluzinationen oder Flashbacks vorlägen. Eigentliche Wahrnehmungsstörungen wie paranoides Erleben fänden sich nicht, eine Ich-Störung sei nicht auszuschließen.
Bei der aktuellen Begutachtung sei eine schwer psychisch-kranke Frau vorgefunden worden. Sie benötige eine Eins-zu-eins-Betreuung wegen der ständigen Gefahr, sich Selbstverletzungen zuzufügen. Die Kontaktaufnahme sei erschwert, da die Klägerin ständig unter sich schaue und nur sehr leise spreche. Dennoch habe sie die Untersuchung gut durchgehalten, allerdings habe die Therapeutin Dissoziationszustände, also ein Abtriften in Zustände verminderter kognitiver und emotionaler Ansprechbarkeit ohne bewusstlos zu sein, befürchtet. Immer wieder habe die Klägerin Pausen benötigt, um mit der Therapeutin Übungen durchzuführen. Die Stimmungslage sei gedrückt, die Klägerin schildere vor allen Dingen das Hören verschiedener Stimmen. Es hätten sich aufdrängende Bilder bestanden, die beängstigend seien. Es werde eine Vielzahl von Psychopharmaka eingenommen, unter anderem mit neuroleptischer und sedierender Wirkung.
Diagnostisch scheine es sich nach Durchsicht der Arztberichte am ehesten um eine schwere Persönlichkeitsstörung zu handeln, weniger um eine schizophrene Psychose. Gerade die Wahrnehmungsstörungen der Klägerin und das Stimmenhören ließen hier durchaus daran denken, dass es sich um eine Schizophrenie handeln könne.
Hauptmerkmale der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung (Borderline-Persönlichkeitsstörung) seien eine Störung der Affektregulation und der Impulsivität. Impulsivität könne sich auch im Bereich der Sexualität, Substanzmissbrauch, Essattacken mit Erbrechen und in rücksichtslosem Fahren zeigen. Als Hauptrisikofaktoren seien neben einer genetischen Disposition psychosoziale Risikofaktoren zu nennen, insbesondere eine frühe Traumatisierung, allerdings könne sich die emotional instabile Persönlichkeitsstörung auch bei Menschen entwickeln, die keine Traumatisierung erlebt hätten.
Ob hier alternativ eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach PTBS vorliege, könne nicht mit Sicherheit diagnostiziert werden, da nicht feststehe, ob die traumatischen Ereignisse sich tatsächlich zugetragen hätten. Wenn man es mit Intrusionen und Flashbacks zu tun habe, müsse an diese Diagnose gedacht werden. Dabei sei insgesamt festzuhalten, dass die meisten PTBS zeitlich begrenzt seien und remittierten, nur bei einem kleinen Teil komme es zu einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung.
Zuletzt sei von Seiten der behandelnden Psychotherapeutin eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert worden. Dieses Störungsbild werde kontrovers diskutiert. Festzuhalten sei, dass sich bei der Klägerin über fünf Jahre hinweg eine erhebliche Verschlimmerung der Symptomatik zeige und zwar trotz intensiver psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Die Klägerin sei bis auf ein halbes Jahr fast ständig in stationärer Behandlung gewesen. Dabei müsse durchaus kritisch hinterfragt werden, ob sich die Störung vielleicht wegen des aufwändigen Therapieangebots verschlechtert habe. Dies wiederum gehe in Richtung der Diagnosestörung (richtig wohl: Diagnosestellung) einer Borderline-Störung. Jedem Kliniker sei bekannt, dass Borderline-Störungen unter stationären Bedingungen häufig massiv dekompensierten.
Man habe es mit einem Teufelskreis zwischen extremem selbstgefährdetem Verhalten und negativer Wirkung der Behandlung zu tun, in dem stationäre Behandlungsmaßnahmen das Krankheitsbild sekundär verstärken könnten. Aussagetüchtigkeit sei bei der Klägerin nicht gegeben. Zum einen liege eine kognitive Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit vor, da an verschiedenen Stellen von Behandlern festgehalten sei, dass die Klägerin Reales nicht von Irrealem trennen könne. Dies sei neben der Fähigkeit, tatsächlich Erlebtes korrekt wahrzunehmen, es zu speichern und (sprachlich) korrekt wiederzugeben, einer der wesentlichen Teilaspekte der Aussagetüchtigkeit. Insofern sei nach Begutachtung der Klägerin recht schnell klargeworden, dass hier eine aussagepsychologische Begutachtung weder sinnvoll noch zielführend sei.
Gerade im Hinblick auf die Entstehung der Aussage durch die Klägerin ergäben sich so viele Unstimmigkeiten, dass allein aufgrund der Aussagegenese eine aussagepsychologische Begutachtung nicht zu dem Ergebnis kommen könne, dass die Angaben mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien. Allein schon bei der Angabe, wann es zu Übergriffen gekommen sein solle, fehle das Konstanzmerkmal im zeitlichen Verlauf der verschiedenen Aussagen. Hier falle auf, dass zunächst genannt worden sei, dass die Klägerin von traumatischen Erfahrungen im Alter von fünf bis acht Jahren gesprochen habe. Damals sei noch kein Täter benannt worden.
Im Hinblick auf die Aussagegenese sei die psychiatrische Situation bei erster Behandlung der Klägerin von hohem Interesse. Es sei hier deutlich geworden, dass sie im Grundschulalter, also im Alter, in dem der Missbrauch regelmäßig stattgefunden haben solle, psychisch und im Verhalten völlig unauffällig gewesen sei. Die Mutter habe sogar berichtet, das die Klägerin wegen ihres sozialen Verhaltens gelobt worden sei. Mit dem Wechsel auf das Gymnasium hätten die psychischen Probleme, auch in Form von Mobbing durch andere Schüler, aber auch mit Ängsten vor Erwachsenen angefangen. Aus den Berichten ergäben sich weiter Probleme zu Hause. Es gäbe Hinweise dafür, dass die Mutter ihre Probleme versucht habe, über die Tochter zu lösen. Allerdings könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche schwere psychische Störung ausschließlich durch soziale und familiäre Probleme ausgelöst werde, sondern dass hier eine entsprechende biologische Vulnerabilität vorhanden sein müsse. Am Anfang habe eine erhebliche Essstörung gestanden, also ein Verhalten, was sich bei vielen jugendlichen Mädchen finde.
Patienten, die unter starken psychischen Problemen litten, die beunruhigend seien und die sie sich selbst häufig nicht erklären könnten, seien sozusagen in Erklärungsnot. Natürlich stelle sich in solchen Situationen die Frage nach traumatischen Erfahrungen in der Kindheit. In einem Teil der Fälle sei dies mit Sicherheit so, aber in einem anderen Teil sicher nicht. Auch Intrusionen und Flashbacks, also Bilder, die traumatische Inhalte hätten, seien kein Beweis dafür, dass solche Erlebnisse tatsächlich stattgefunden hätten. Solche Bilder kämen vor, wenn traumatische Erlebnisse vorgelegen hätten. Sie könnten aber auch auto- oder fremdsuggeriert werden. Gerade bei lang anhaltenden psychischen Störungen sei dann für den Probanden nicht mehr zu unterscheiden, was ursprünglich gewesen sei, was sich durch viele Gespräche und durch das wiederholte Durch-Erleben von Bildern verändert habe. Dies seien die Situationen, in denen es zu Scheinerinnerungen und zum sogenannten False-Memory-Syndrom komme.
Die Ursache der Erkrankung bleibe unklar, mitberücksichtigt werden müsse auf jeden Fall eine erhöhte biologische Vulnerabilität für das Ausbilden einer solch schweren psychischen Störung. Den Ausführungen des K1 schließe sie sich an, allerdings sei darauf hinzuweisen, dass bei dessen Begutachtung andere Krankheitssymptome im Vordergrund gestanden hätten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das Sachverständigengutachten des S4, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, nach Aktenlage erhoben. Danach sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer dissoziativen Identitätsstörung auszugehen. Es handele sich um eine schwere Traumafolgestörung ausgehend von anzunehmender schwerer Kindesmisshandlung. Das Symptomprofil sei häufig diskret, werde durch Komorbitäten gut verdeckt und müsse aktiv, aber vorsichtig erfragt werden. Die individuelle Psychotherapie habe die Integration der verschiedenen Persönlichkeitsanteile zum Ziel.
Bei der dissoziativen Identitätsstörung sei im Gegensatz zu den anderen dissoziativen Erkrankungen das Identitätserleben beeinträchtigt. Es komme beim Wechsel in einen anderen Zustand zur Amnesie oder es werde als Handeln einer fremden Person erlebt. Menschen mit dissoziativen Identitätsstörungen verhielten und/oder erlebten sich so, als gäbe es mehrere Personen in ihnen. Leidensdruck entstehe durch die erhebliche Alltagsamnesie, durch die mangelnde Kontrolle über das eigene Fühlen, Erleben und Handeln sowie durch die hieraus bedingten gestörten sozialen Interaktionen. Oft würden erst im Laufe der Therapie die bewusstseinsfernen, schambesetzten dissoziativen Symptome offenbart, wodurch dann das Vorhandensein anderer Persönlichkeitszustände deutlich werde.
Ab August 2009 sei die Klägerin in der L1 mit wenigen Unterbrechungen bis Oktober 2012 behandelt worden. Es werde zunächst von starken Ängsten berichtet, vor allem in sozialen Situationen, von erheblichen Konzentrationsstörungen, von Panikattacken. Es lägen regelmäßige Selbstverletzungen und Essstörungssymptome mit restriktivem und impulsiven Charakter vor. Von Beginn an seien das emotionale System ebenso wie die Impulskontrolle, die Stressregulationsfähigkeit und kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis betroffen. Psychiatrische und psychosomatische Diagnosen seien jeweils prozesshaft zu verstehen. Zu beachten sei, dass die Persönlichkeitsentwicklung aller Menschen erst mit Ausreifung des Frontalhirns abgeschlossen sei, die zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr zu erwarten stehe. Aus diesem Grunde sei es umstritten, eine Persönlichkeitsstörung im Jugendalter zu diagnostizieren.
Hinweise auf sexuelle Übergriffe seien der Akte vom ersten Kontakt mit dem Behandlersystem an zu entnehmen. Somit sei die Wahrscheinlichkeit, dass diese suggestive Pseudoerinnerungen sein könnten, eher unwahrscheinlich. Typisch für die Diagnosestellung der dissoziativen Identitätsstellung sei, dass diese Diagnose erst im Verlauf der schweren und komplexen Störung gestellt werde. Eine Traumafolgestörung werde in den Vorgutachten für nicht auszuschließen erachtet, eine spezialisierte Diagnostik oder gar Testpsychologie finde sich nicht.
Nahezu täglich sei sexueller Missbrauch Thema in den Medien. Die Verdächtigenstatistik der Polizei weise jährlich seit dem Jahr 2006 zwischen 12000 bis über 13000 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern aus. Die Dunkelziffer gelte als hoch. Ein spezifisches „Täterprofil“ gebe es nicht. Im Unterschied zu Gewaltdelikten werde der sexuelle Missbrauch geplant und das Kind vom Täter in psychische Mitverantwortung genommen. Die körperlichen Folgen bei den Opfern von Gewalt seien bei den Überlebenden je nach Art und Schwere der Verletzung unterschiedlich. Die psychischen Folgen seien, wenn auch unzureichend untersucht, unspezifisch und schwerwiegend.
Umfassende Literaturrecherchen kämen zu einem ernüchternden Ergebnis. In über 90 % der begutachteten Fälle sei es nicht möglich, aus fachgerecht kinder- und jugendgynäkologisch erhobenen Befunden Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu ziehen. Normalbefunde seien häufig. Die qualifiziert erhobene, glaubwürdige Aussage des Kindes sei in erster Linie diagnostisch entscheidend. Wichtig sei es umso mehr, die psychischen Folgen sexueller Missbrauchserfahrung zu eruieren und medizinisch zu beachten.
Das schwere, über Jahre dokumentierte Störungsmuster der Klägerin sei von Beginn an mit kindlichen traumatischen Erfahrungen in Verbindung gebracht worden. Seien die primären Bindungspersonen Täter, entstehe im Kind die beschriebene psychische Spaltung und ein extrem hoher Loyalitätsdruck, es werde im Kind gleichzeitig das Bindungs- und das Verteidigungssystem aktiviert. Die parallele Aktivierung des Bindungssystems und des Verteidigungssystems sei in jedem Kontakt dokumentiert.
In ärztlichen Berichten, Therapieprotokollen und den Feststellungen des AG würden wiederholt psychische Misshandlungen, Vernachlässigung und sexualisierte Gewalt beschrieben. Aufgrund der traumatischen Einwirkungen in der frühen Kindheit sei ein im expliziten Gedächtnis gespeichertes Narrativ sehr unwahrscheinlich. Es handele sich eben nicht um ein einzelnes manifestes Ereignis, sondern um eine über Jahre anhaltende innerfamiliäre Tathandlung. Bei fast regelhaft anzutreffender psychischer Mitverantwortung werde das Kind in der Regel vom Täter zum Komplizen seiner Taten bzw. für diese sogar noch verantwortlich gemacht. Dies erzeuge neben der traumatischen Situation selbst höchste Verwirrung und ausgeprägte Scham- und Schuldgefühle, die im therapeutischen Prozess sehr sorgfältig beachtet werden müssten. Aus diesem Grund sei es nur selten möglich, gerichtsfeste Beweise oder aussagepsychologisch sicher zu erhebende Befunde zu erzielen. Aufgrund der typischen Konstellation bei sexueller Gewalt ausgeübt durch eine primäre Bindungsperson seien reale Vorgänge als Gründe für die schweren anhaltenden psychischen Störungen wahrscheinlich. Neben den geäußerten szenischen Erinnerungen seien aus der Akte weiter Belastungsfaktoren zu erkennen.
Ein False-Memory-Syndrom sei kein medizinischer oder psychologisch-wissenschaftlicher Begriff, sondern ein Begriff, den eine amerikanische Interessengemeinschaft kreiert habe. Es sei in keiner einzigen Diagnosesammlung vorhanden und keine Fachgesellschaft habe es je anerkannt. Wie bei jeder anderen Straftat sei das zu Unrecht bezichtigen in einem gewissen Prozentsatz genauso gegeben, wie Lügen, Täuschen oder Verschleiern ein fast schon zu erwartendes Täterverhalten darstelle.
Traumatische Erfahrungen seien grundsätzlich mit toxischem Stress verbunden. Dabei würden Stresshormone so intensiv ausgeschüttet, dass sie die Verarbeitungskapazität vor allem des jugendlichen Gehirns überforderten. Veränderungswirksame Psychotherapie könne die Rekonstruktion und Transformation von impliziten Gedächtnisinhalten in explizite beeinflussen und verändern helfen. Dies sei in der Regel mit Entlastung und Heilungsprozessen für die Betroffenen verbunden.
Die Klägerin weise in allen dokumentierten stationären Behandlungen schwere Störungen der Affektivität, der Emotionalität und der Impulskontrolle auf. Sie zeige darüber hinaus dem desorganisierten Bindungsstil entsprechende interpersonelle Störungscharakteristika. In allen psychopathologischen Befunden sei das für psychotisches Geschehen charakteristische Ausbilden eines Wahns, eines Verlustes der Realitätsprüfung aktiv erfragt und ausgeschlossen worden. Kein einziges Mal sei eine Psychose oder Schizophrenie diagnostiziert worden. Depersonalisation und Derealisation seien integrale Bestandteile der dissoziativen Identitätsstörung. Hierbei erlebe der betroffene Mensch sich selbst oder Teile seines Innenlebens als fremd oder wie eine andere Person. Selbstverständlich sei dies nicht real in dem Sinne, wie die Patienten empfänden.
Der Störungsverlauf stelle sich so dar, dass die Klägerin zunächst mit Essstörungen und selbstschädigendem Verhalten in Behandlung gekommen sei. Von Anfang an seien die Behandler von intrafamiliären sexuellen Gewalterfahrungen ausgegangen. Im Laufe sich wiederholender stationärer Aufenthalte sei die Situation für die Klägerin eher schlechter geworden. Dies habe die Behandler zu einer genaueren Diagnostik und zur Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung geführt. Selbstverständlich sei es nicht möglich, aus Diagnosen eindeutig auf verursachende Ereignisse zu schließen. Umgekehrt sei die strukturelle Dissoziation 3. Grades nur möglich, wenn anhaltende schwere und erhebliche Belastungsfaktoren in Kindheit und Jugend vorlägen, die so lange und anhaltend toxischen Stress erzeugten, dass es zu den strukturellen Änderungen im mentalen System der Betroffenen komme. Epidemiologische Studien zeigten, dass es in der Regel ein Ursachenbündel aus dysfunktionalem Familiensystem und physischen, emotionalen und sexuellen Gewalterfahrungen sei, die diese Störung hervorzurufen im Stande sei. Unter den genannten Belastungseinträgen sei die sexuelle Gewalterfahrung besonders toxisch für die Persönlichkeitsentwicklung, da das unreife Kindergehirn selbstverständlich die verwirrenden Handlungen der oder des Erwachsenen der/die gleichzeitig für Schutz und Sicherheit zuständig sei, nicht verstehen und nicht integrieren könne. Dissoziative Störungen seien grundsätzlich Integrationsdefizite. Sexuelle Handlungen am Kind seien deshalb besonders verwirrend, weil neben schmerzhaften häufig auch lustvolle Empfindungen erzeugt würden. Da vernachlässigte Kinder oft ein hohes Bedürfnis nach Gesehenwerden und Aufmerksamkeit hätten, sei dies eine sehr häufige Kombination.
Es gebe zahlreiche getrennte Eltern, deren Kinder sich völlig ungestört und normal entwickeln könnten. Im Familiensystem der Klägerin sei es von Anfang an zu heftigen innerfamiliären Spannungen gekommen, bei denen die Klägerin wie ein Schutzschild vor sich hergetragen worden sei. K1 habe dies mit den beiden Mühlenrädern zu charakterisieren versucht. Dies sei ein typisches Kriterium für Täterfamilien: zu Lasten des Kindes werde die Auseinandersetzung mit allen Mitteln weitergeführt. Beide Parteien zeigten sich weder im Stande noch in der Lage, die Situation aufzuklären.
Daraus sei die Schlussfolgerung zu ziehen, dass chronische frühkindliche Belastungsfaktoren dokumentiert seien, die in der Lage seien, eine so schwere und anhaltende Störung wie die dissoziative Identitätsstörung zu erzeugen. In diesem Ursachenbündel sei die vermutete sexuelle Gewalterfahrung die für das mentale System toxischste. Da von einer hohen Dunkelziffer auszugehen sei, könne die Wahrscheinlichkeit nur indirekt abgewogen werden. Es seien typische Reaktionen der Klägerin bei Täterkontakt dokumentiert, ebenso seien die anhaltenden Auseinandersetzungen im Familiensystem eher dazu geeignet, die Schwere der Übergriffe nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich werden zu lassen. Deshalb halte er die Vorgänge für wahrscheinlich.
Die Klägerin entstamme einem dysfunktionalen Familiensystem. Die Eltern bekämpften sich, die Seite der Mutter und die Seite des Vaters bildeten die von K1 beschriebenen Mühlräder. Im Zuge dieser Dysfunktionalität komme es zu chronischen Konflikten und zu psychischem Missbrauch. Das Kind werde von beiden Parteien funktionalisiert. Durch den Verlust der jeweils wichtigsten Bindungsperson und Abgeben des Kindes auf der jeweils anderen Seite, die es anfordere, entstehe ein früher tiefer und chronifizierter Loyalitätskonflikt. In dieser Situation sei ein Kind besonders anfällig und deutlich schwerer in der Lage, sexuelle Grenzverletzungen zu benennen und abzuwehren.
S1 stelle Diagnosen, die seit Jahrzehnten in internationalen Diagnoseschlüsseln verwendet würden, als „unter Experten“ umstritten dar, was auf eine Voreingenommenheit schließen lasse. Sie verweise weiter auf biologische Ursachen, ohne dies näher zu begründen. Wahrscheinlich meine sie eine genetische Vulnerabilität, die bei bestimmten Menschen zu einer erhöhten Anfälligkeit für psychische Störungen führe. Dies lasse die Bedeutung von psychologischen, sozialen und biologischen Faktoren bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen habe jedoch im Ungewissen.
Es habe gezeigt werden können, dass Persönlichkeitsstörungen, insbesondere die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine hohe ätiologische, also krankheitsgeschichtliche Übereinstimmung mit anderen Traumafolgestörungen hätte. Dies bedeute, dass es wahrscheinlich eine hohe Komorbidität zwischen Menschen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litten und Menschen, die andere Traumafolgestörungen aufwiesen, gebe. Die überwältigende Mehrzahl der Borderline-Erkrankten habe in der Vorgeschichte schwere traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend gemacht. Die unbegrenzte Komplexität des mentalen Systems erzeuge unterschiedliche Schädigungsprofile bei einer begrenzten, aber leider viel zu oft und regelmäßig auftauchenden Anzahl an Belastungsfaktoren.
In beiden Vorgutachten finde sich keine störungsspezifische Testdiagnostik. Es werde ausschließlich der klinische Eindruck wiedergegeben und dieser sei, obwohl die Symptome klar beschrieben seien, noch falsch interpretiert worden. Es sei von einer Voreingenommenheit der Sachverständigen auszugehen, die darüber hinaus noch den Eindruck erwecke, als gebe es das False-Memory-Syndrom tatsächlich. Keine wissenschaftliche Fachgesellschaft erkenne dieses an.
Bei den anzunehmenden traumatischen Erfahrungen handele es sich nicht wie in der Beweisfrage formuliert, um einen Unfall und nicht um ein einzelnes Ereignis. Vielmehr bezeichne es über einen langen Zeitraum immer wieder auftretende, höchstwahrscheinlich geplante sexuelle Grenzverletzungen, die die Integrationsfähigkeit des kindlichen Gehirns durch den entstandenen toxischen Stress nachhaltig und anhaltend beeinträchtigt hätten. Genau aus diesem Grund sei die Aussage falsch, dass traumatische Erfahrungen zeitlich begrenzt seien.
Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten durch die versorgungsärztliche Stellungnahme des G1 entgegengetreten. Danach seien relevante neue Erkenntnisse zur Frage der Glaubhaftigkeit allenfalls durch ein aussagepsychologisches Gutachten zu erwarten. Ein solches habe S1 für notwendig, aber nicht durchführbar erachtet. Auf dieser Grundlage sei derzeit nicht zu klären, ob der von der Klägerin angegeben sexuelle Missbrauch tatsächlich erlebnisfundiert sei. Die Gutachterin S1 habe einen kausalen Zusammenhang zwischen der vorliegenden psychischen Erkrankung und den angeschuldigten Vorgängen nicht mit Wahrscheinlichkeit bestätigen können.
Anhand der Tatsachengrundlage lasse weder die Diagnosestellung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung noch die einer dissoziativen Identitätsstörung eine rückwärts gerichtete Kausalitätsbeurteilung der angeschuldigten Vorgänge mit Wahrscheinlichkeit zu. Auch wenn man diagnostisch eine dissoziative Identitätsstörung zugrunde lege, so sei nach den Angaben von S4 und nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand in der Regel von einem potenziellen Ursachenbündel aus dysfunktionalem Familiensystem, physischen, emotionalen und sexuellen Gewalterfahrungen auszugehen. Eine indirekte Abwägung der Wahrscheinlichkeit der vorliegenden möglichen Ursachen genüge indessen nicht.
Zur Akte gelangten schriftliche Ausführungen der D1. Ihr sei bewusst, dass sie als Behandlerin in Bezug auf das Verfahren befangen sei und ihre Stellungnahme als „Gefälligkeit“ betrachtet werden könne. Die ärztliche Ethik gebiete es ihr vorliegend, sich klar zu äußern und Stellung zu beziehen. Die Klägerin sei weit von einer Prozessfähigkeit entfernt, sie werde einem Verfahren nicht standhalten können und negative Effekte stünden zu erwarten. Dass die Klägerin und ihre Mutter den Weg trotzdem, entgegen besseren Wissens und bei großen Bedenken von therapeutischer Seite, beschritten, sei eine reine Überlebensstrategie und Ausdruck tiefster Verzweiflung angesichts fehlender finanzieller Unterstützung. Es müsse abgewogen zwischen der baldigen Aufhebung der 1:1 Betreuung mangels weiterer Finanzierung durch öffentliche Mittel oder einem retraumatisierenden Prozess mit unweigerlich schlimmen Folgen für die psychische Verfassung der Klägerin.
Es werde Vergütung für 50 Therapieminuten pro Woche in Anspruch genommen und die übrige Arbeit ehrenamtlich geleistet. Aufgrund massiver Dissoziation und drastisch zunehmender Suizidalität habe ein Klinikaufenthalt abgebrochen werden müssen. Nur durch einen unermüdlichen Einsatz des Behandlungsteams sei es möglich, die ambulante Behandlung überhaupt zu leisten und langsame Fortschritte zu machen.
Aufgrund der Langzeitbeobachtung und der Therapiebeziehung bestehe eine Sicherheit bezüglich der sexualisierten Gewalt. Nicht möglich sei es aber, den oder die Täter zu benennen. Die Gründe für die Unfähigkeit der Klägerin, den/die Täter zu benennen, seien vielfältig. Bei Menschen mit einer DIS sei es naturgemäß si, dass sie aufgrund der Zersplitterung des Bewusstseins in mehrere Teilpersönlichkeiten sowohl für die Vergangenheit als auch in der Gegenwart nicht über einen kontinuierlichen, fortlaufenden Bewusstseinsstrom und damit eine fortlaufende Erinnerung verfügten. Die Erinnerung an die Vergangenheit sei in vielen unterschiedlichen Anteilen gespeichert und für die Patienten nicht gezielt abrufbar. Zudem sei die Erinnerung an traumatische Ereignisse nicht als Narrativ gespeichert. Stattdessen bestünden bruchstückhafte Erinnerungen, die sich zudem mehr auf periphere Ereignisse konzentrierten als auf den Kern der Erinnerung, also z. B. eine konkrete Person. Die Erinnerungen seien in kleinen Teilen und unterschiedlichen Qualitäten abgespeichert. Die Erinnerung an Fragmente oder Gruppen von Fragmenten sei immer sehr leidvoll für die Betroffenen und gehe in der Regel mit einem Wiedererleben der traumatischen Situationen einher. Die Erinnerung an sexualisierte Gewalt sei bei der Klägerin implizit vorhanden, könne aber nicht explizit abgerufen werden.
Ob die Klägerin zu einem späteren Zeitpunkt die Identität des/der Täter offenbaren könne, bleibe unklar. Sicher sei jedoch, dass der Staat die Klägerin vor diesen entsetzlichen Schädigungen ihres Körpers und ihrer Seele nicht habe schützen können, sodass nun der Schutz des Staates dringend erforderlich und die Forderung danach berechtigt sei. Es bestehe eine reale hohe Gefahr, dass kriminalistische Ermittlungen im Umfeld der Klägerin massive Selbsttötungsmechanismen in Gang setzen könnten. Dies könne bereits schon allein durch das aktuelle Gerichtsverfahren geschehen. Ihr sei die prozentuale Wahrscheinlichkeit eines positiven Ausgangs des Verfahrens für die Klägerin sehr wohl bekannt, dennoch könne sie nicht anders, als alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegende zu tun, um die Klägerin bei ihrem Weg zurück ins Leben zu unterstützen.
Mit Beschluss vom 13. Mai 2015 hat das SG das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Dieses ist im Oktober 2019 wieder angerufen worden.
Der beschuldigte Großvater P2 ist am 8. März 2021 verstorben.
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass sie sich durch intensive therapeutische Arbeit etwas habe stabilisieren können. Dies habe es ihr ermöglicht, einen kontrollierten Kontakt zu einzelnen Anteilen der Identitätsstruktur herzustellen sowie auf einige Erinnerungen zuzugreifen. Die Erinnerungen an die massiven Traumata (brutalste Methoden der Konditionierung, Folter, sexuelle Gewalt, Zwangsprostitution und seelische Folter) stellten eine extreme Belastung für sie dar. Infolge der kindlichen Missbrauchserlebnisse hätten sich multiple Persönlichkeiten ausgebildet, die in Reizsituationen bis heute unkontrolliert zum Vorschein kämen und eine gewisse Zeitspanne im Vordergrund blieben. Die Folge sei eine dissoziative Amnesie, d.h. sie erinnere nicht, was oder wo sie in der Zeit gewesen sei, in der eine andere Persönlichkeit „übernommen“ habe. Insbesondere in Angstsituationen träten Persönlichkeitsanteile in den Vordergrund, die zu stereotypen Selbstverletzungshandlungen oder Flucht neigten. Die sexuelle Gewalt und Folter habe schon im Säuglingsalter begonnen. Sie sei durch stringente Konditionierung darauf abgerichtet worden, nichts über die Taten oder gar Informationen über die Täter preiszugeben. Bei Zuwiderhandlungen seien schlimmste Bestrafungen gefolgt („Verräter werden gehäutet“) oder die Tötung geliebter Menschen und Tiere angedroht oder teils sogar durchgeführt (ein Haustier sei gehäutet und enthauptet worden). Der Großvater, führende Persönlichkeit der Tätergruppe, sei in den Erinnerungsarbeiten immer wieder aufgetaucht.
Dass ein kausaler Zusammenhang bisher nicht habe hergestellt werden können, sei dem Umstand geschuldet, dass eine umfassende Begutachtung wegen ihres Gesundheitszustandes bislang nicht möglich gewesen sei. Das Klageverfahren sei seinerzeit ruhend gestellt worden, da sie massiv auf den angedachten, selbst indirekten Täterkontakt reagiert habe. Der Großvater, der offenbar einen ganz wesentlichen Anteil an den Taten getragen habe, sei zwischenzeitlich verstorben. Ihre Sicht vieler Anteile auf den Großvater sei die eines Kindes, welches einem allmächtigen Wesen, das über Leben und Tod herrsche, ausgeliefert sei. Sein Tod stelle, obwohl sie um weitere Täter wisse, eine gewisse Befreiung dar, die es ihr ermöglicht habe, sich weiterer Erinnerungsarbeit zu stellen und deren Weitergabe zuzulassen. So habe die alternative Therapeutin, Frau R2, die Trauma- und Erinnerungsarbeit behutsam wieder aufnehmen können.
Frau R2 habe unter Aufsicht der D1 ihre unter Hypnose berichteten Erinnerungen dokumentiert. Die Arbeiten zeigten die Erinnerungen einzelner Anteile auf, die von Übergriffen betroffen gewesen seien. Andere Anteile hätten keinen oder nur teilweisen Zugang zu diesen Erinnerungen. Das sei ein von den Tätern bei der Konditionierung der Anteile gewolltes System, das der Sicherheit der Täter diene und die Gefügigkeit des Opfers sichere.
In den geschützten Sitzungen habe sie einzelne Bilder und Vorgänge bzw. Rituale benennen können. Insbesondere sei dabei der Name P2 gefallen. Bei diesem handele es sich um den Großvater. Dieser werde als eine Art Herrscher oder Vorsitzender einer Gruppierung oder eines Netzwerks mit Rangordnung bestehend aus mehreren Menschen, die Kinder konditionierten und auf Funktion und Gehorsam programmierten, beschrieben.
Ohne das eine Vereinigung genannt werde könne, dränge sich auf, dass sie Opfer organisierter ritueller Gewalt gewesen sei. Dabei werde in der Regel schon ab der Geburt absichtlich eine dissoziative Identitätsstruktur mit voneinander abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen erzeugt. Ziel der systematischen Abrichtung sei es, eine innere Parallelwelt zu erschaffen, die für die Täter jederzeit abrufbar und steuerbar sei und für die das Kind und später der Erwachsene im Alltag keine bewusste Erinnerung habe. Den Alltag bewältige ein System aus Funktionspersönlichkeiten, die von den Tätern hierzu konditioniert würden. Dieses Konstrukt führe immer wieder dazu, dass Betroffenen nicht geglaubt werde. Betrachte man die bisherigen Feststellungen im Verfahren, insbesondere die Feststellung, dass tatsächliches Geschehen Auslöser der Identitätsstörung sei, sei ein kausaler Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen, zumindest durch den Großvater, zwischen dem 3. und 14. Lebensjahr überwiegend wahrscheinlich.
Sie habe ab dem Säuglingsalter bis zum 14. Lebensjahr jedes Jahr die Sommerferien bei ihrem Großvater verbracht. Auch sei der Großvater immer wieder bei ihnen zu Hause zu Besuch gewesen. Ihre Mutter erinnere, dass die Großeltern oft lange Zeit in deren Gartenhäuschen mit ihr – der Klägerin – alleine gewesen seien. Ihre Eltern und der Großvater hätten in dieser Zeit regelmäßig andere Verwandte besucht oder Ausflüge unternommen. Darüber hinaus habe sie grundsätzlich im Bett der Großeltern nächtigen müssen, die Eltern hätten auf einer Ausziehcouch im Esszimmer geschlafen. Außerhalb der Ferienbesuche sei es eine Pflicht gewesen, den Großvater regelmäßig anzurufen.
Frau S5, der Leistungen nach dem OEG gewährt worden seien, habe bei der Polizei angegeben, dass sie in der Klägerin ein weiteres Opfer der Tätergruppe, die rituelle sexuelle Gewalt praktiziert habe, wiedererkannt habe. Die Polizei habe sich damals mit der Klägerin in Verbindung gesetzt, die Anzeige sei aber zum Ruhen gekommen, da die Angst und die Belastung der Klägerin für diese nicht aushaltbar gewesen seien. Ein Vergleich mit den Gegebenheiten aus dem Verfahren der S5 sei deshalb dringend indiziert. Weil die Klägerin selbst die massive Verfahrensbelastung erlebe, wolle sie vermeiden, dass S5 erneut eine Aussage zu dem, was sie erlebt habe, abgeben müsse.
Der Beklagte ist den Ausführungen entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu den geltend gemachten schädigenden Vorgängen aus eigener Erinnerung keine näheren Angaben machen könne. S1 habe in ihrem Sachverständigengutachten bereits festgestellt, dass eine Aussagetüchtigkeit der Klägerin nicht gegeben sei und schließe aufgrund vieler Unstimmigkeiten aus, dass die gemachten Angaben mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien.
Berücksichtigt werden müsse weiter, dass abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie auf- und damit wiederentdeckt worden sein könnten, oder dass es sich bei den aufgetretenen Sinneseindrücken im Folgen einer Gedächtnistäuschung oder Suggestion handele. Damit lasse sich die erforderliche Wahrscheinlichkeit in keinem der geltenden Beweismaßstäbe erbringen.
Die Auffassung, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Identitätsstörung mit sexuellen Übergriffen zwischen dem 3. und 14. Lebensjahr überwiegend wahrscheinlich sei, lasse sich nicht nachvollziehen. G1 habe bereits dargelegt, dass weder die Diagnosestellung einer emotional instabilen Persönlichkeit, noch die Diagnosestellung einer dissoziativen Identitätsstörung eine rückwärts gerichtete Kausalitätsbeurteilung der angeschuldigten Vorgänge zulasse. Dafür, dass die Klägerin sexueller und ritualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen sein könnte, fehle es an jeglichen Anhaltspunkten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2022 (vgl. Protokoll) hat der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt, dass seines Wissens nach ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren im Hinblick auf die Geschädigte S5 und mögliche andere Geschädigte anhängig sei. Wie dieses Strafverfahren ausgegangen sei, wisse er nicht. Er sei sich auch nicht sicher, ob die beschuldigte Person P3 gewesen sei. Die Klägerin und S5 würden sich aus der L1 kennen. Auf die Frage, ob der Vater oder Großvater mit dem Tatvorwurf bereits konfrontiert worden sei, hat der Bevollmächtigte erklärt, dass er davon ausgehe. Dem Vater und dem Großvater sei in einer Klinik Hausverbot erteilt worden, dazu gebe es auch einen Schriftwechsel evtl. sogar ein Gerichtsverfahren.
Die Klage hat das SG mit Urteil vom gleichen Tag abgewiesen. Unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung könne nicht von mehr als einer reinen Möglichkeit bezüglich des behaupteten sexuellen Missbrauchs ausgegangen werden. Das Gericht verkenne nicht, dass die Therapeutinnen davon überzeugt seien, dass der behauptete sexuelle Missbrauch auf tatsächlichen Vorgängen beruhe und dass S4 dies für wahrscheinlich halte. Ein Rückschluss von der Diagnose auf die traumatisierenden Erfahrungen sei indessen unzulässig, was S4 selbst darlege, aber bei seiner Wertung nicht beachte.
S1 habe überzeugend dargelegt, dass die Klägerin wegen der Schwere ihrer Störung gar nicht aussagetüchtig sei. Dies korreliere mit den Auskünften der L2, wonach die Klägerin zeitweise nicht im Stande sei, Reales von Irrealem zu trennen.
Weder seien die eigentlichen Taten konkretisiert worden, noch fänden sich konsistente Angaben, was ebenfalls der Glaubhaftigkeit entgegenstehe. Dies werde insbesondere an den Darlegungen hinsichtlich des vermeintlichen Übergriffs durch eine Stewardess auf einer Flugzeugtoilette deutlich. Für die nunmehr im Klageverfahren geltend gemachte Mehrzahl von Täter fehle es an jeglichen Anhaltspunkten.
Am 1. Juli 2022 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Das SG habe zutreffend den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zu Grunde gelegt, jedoch verkannt, dass sich die Beweisnot nicht nur auf die Abwesenheit von Zeugen, sondern auch auf das krankheitsbedingte Unvermögen zu einer „klaren“ Schilderung der Tathergänge beziehe. Das SG erkenne die typischen Folgen eines erlebten kindlichen Missbrauchs nicht, die sich in dem Fehlen der Erinnerung bzw. einer lückenhaften Erinnerung äußerten. Wenn eine unvollständige oder fehlende Erinnerung an die behaupteten traumatischen Erlebnisse Folge dieser sei, verlange das SG hier mit der Glaubhaftmachung schlicht Unmögliches. Wenn das SG davon ausgehe, dass die Angaben nicht konsistent seien, sei auch dies auf die traumatischen Erfahrungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf das Gehirn zurückzuführen, wodurch eine vollständige, zusammenhängende Schilderung des Erlebten einfach ausgeschlossen sei.
Es überzeuge nicht, wenn das SG ausführe, die Inkonsistenz zeige sich an den Angaben zu den Vorfällen in der Flugzeugtoilette. Ein Kuss stelle ein übergriffiges Verhalten dar, insbesondere gegenüber einem Kind. Der gegenständliche Missbrauch habe bereits im Alter von vier Jahren, ggf. schon im Säuglingsalter begonnen. Es Kuss stelle ebenso einen sexuellen Übergriff dar und die Schilderungen seien damit konsistent. Die Angaben könnten sich im Grad der Darstellung unterscheiden, der Übergriff werde aber nicht revidiert. Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens der S1 stütze ihren Anspruch und trage die Ablehnung entgegen der Auffassung des SG nicht. Diese gelange dazu, dass die sexuellen Übergriffe möglicherweise Ursache für die psychische Erkrankung sei, dies im vorliegenden Fall aber nicht aufgeklärt werden könne, sodass der Beweismaßstab der Glaubhaftmachung erfüllt sei. Dieser lasse es zu, dass gewisse Zweifel verblieben.
Anders als das SG darlege, könne die Begegnung mit S5 in zeitlicher Hinsicht nicht Auslöser für ihre Behauptungen gewesen sei, da diese erst deutlich später, in der L1, gewesen sei, der Verdacht der sexuellen Übergriffe aber bereits Jahre früher aufgetaucht sei. Die Begegnung habe nur die Vermutung ritueller Gewalt verstärkt. Das werte das SG zu Unrecht als eine Ausweitung des Tatgeschehens und ziehe dies zu ihren Lasten heran. Es habe beachten müssen, dass es hierfür eine nachvollziehbare Erklärung gebe, nämlich Hypnose und die Begegnung mit S5.
Weshalb das SG nur von einer reinen und nicht von einer guten Möglichkeit ausgehe, erschließe sich nicht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass die Mehrzahl der fachkundigen Meinungen einen Missbrauch für wahrscheinlich halte, darunter auch der Sachverständige S4.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Mai 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2013 Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtengrundrente, aufgrund erlittener sexueller Übergriffe durch den Großvater nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 zu gewähren,
hilfsweise F1, Universitätsklinikum U1, als Sachverständigen zu hören, dass das Leidensbild der Klägerin ein Beleg dafür ist, dass sie tatsächlich Angriffe erlebt hat und dass das zunächst gut möglich ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG 19. Mai 2022, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung von Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtengrundrente, unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 21. Juni 2013 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 15. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats, ebenso wie des SG, besteht nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit, dass die Klägerin Opfer sexueller Übergriffe geworden ist, sodass Beschädigtenversorgung nicht beansprucht werden kann.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13 –, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz. 23 ff.).
In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176, § 176a StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also eine sexuelle Handlung, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4 3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der „gewaltlose“ sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (vgl. BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 4/93 –, BSGE 77, 7, <8 f.> und – 9 RVg 7/93 –, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R –, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 17).
Nach diesen Maßstäben besteht zur Überzeugung des Senats nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit, dass sich ein sexueller Missbrauch zu Lasten der Klägerin zugetragen hat, sodass dieser nicht wenigstens glaubhaft gemacht ist. Von diesem Beweismaßstab geht der Senat aus, da die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG auch dann anwendbar ist, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31.5.1989 – 9 RVg 3/89 –, juris, Rz. 12). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. §§ 383 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R –, juris, Rz. 30).
Die Klägerin hat indessen schon kein nach Sachverhalt, Ort und Tatzeit hinreichend konkretes Geschehen beschrieben (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 2018 – L 6 VG 2096/17 –, juris, Rz. 73), anhand dessen die Frage nach möglichen Zeugen überhaupt hätte geprüft werden können. Soweit die Mutter der Klägerin in dem OEG-Antrag angegeben hat, Aussagen zu dem vermeintlichen Missbrauch machen zu können, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass diese aus eigener Wahrnehmung irgendwelche Beobachtungen gemacht hat. Vielmehr entnimmt der Senat ihren Angaben gegenüber der Polizei, dass sie noch 2010 nicht in der Lage gewesen ist, Details zu den vermeintlichen Vorfällen mitteilen zu können, sondern nur darauf verwiesen hat, dass sich die Klägerin ihr gegenüber noch nicht geöffnet hat, sich also mit anderen Worten nur auf Vermutungen stützt.
Soweit die Klägerin meint, die Beweisnot könne nicht nur aus dem Fehlen von Tatzeugen folgen, sondern auch daraus, dass sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, eine klare Schilderung der Tathergänge abzugeben, verkennt sie einerseits, dass es sich bei § 15 KOVVfG lediglich um eine Beweiserleichterung handelt, die Norm aber keine Beweislastumkehr enthält. Genau eine solche beansprucht die Klägerin aber für sich, wenn sie meint, dass der Glaubhaftmachung keine „klare“ Schilderung der Tathergänge zu Grunde liegen müsse. Andererseits berücksichtigt sie nicht, dass sich die Glaubhaftmachung darauf bezieht, dass sich der schädigende Vorgang so zugetragen haben kann, mithin dieser hinreichend konkret dargelegt sein muss. Letztlich liegt der Beweisverlust ohnehin im Zurechnungsbereich der Klägerin, denn sie hat 2010 zeitnah zur Aufklärung des Sachverhalts bei der Polizei nicht beigetragen, als ihr damals noch lebender Großvater hätte vernommen werden können. Das hat dann in Folge zu der Einstellung des Strafverfahrens geführt und zwar ausdrücklich, weil sie sich noch nicht einmal selbst äußern wollte. Wenn dieses Verhalten, auch wenn sie damals noch minderjährig war, eine Beweislastumkehr begründete, stellte das einen eklatanten Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Rechtsgedanke des § 162 Abs. 2 BGB, wonach, wenn der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt wird, der Eintritt als nicht erfolgt gilt) dar.
Dass Täter der vermeintlichen Übergriffe der Großvater, P3, gewesen sein könnte, bewegt sich nur im Bereich des Spekulativen. Zwar hat die Mutter der Klägerin diesen im OEG-Antrag ausdrücklich als Täter benannt, gegenüber der Polizei aber selbst noch 2010 und damit zeitnah eingeräumt, dass sie diesem eine solche Tat nicht zutraue. Die D1 hat ausdrücklich dargelegt, dass der Klägerin keine Angaben zu möglichen Tätern möglich seien, was sie als krankheitsspezifisch bewertet.
Daneben hat die Sachverständige S1, für den Senat überzeugend, herausgearbeitet, dass die Klägerin nicht in Lage ist, Reales von Irrealem zu differenzieren und dass Intrusionen und Flashbacks kein Beweis dafür sind, dass solche Erlebnisse tatsächlich stattgefunden haben, sondern ebenso ohne Realitätsbezug vorkommen (vgl. auch Senatsurteil vom 16. März 2023 – L 6 VG 1749/22 –, juris, Rz. 159). Ihre Schlussfolgerungen untermauert sie schlüssig durch anamnestische Erhebungen und die Aussagegenese. Sie verweist darauf, dass obwohl der Missbrauch bereits ab dem 4. Lebensjahr begonnen haben soll, sowohl der Kindergartenbesuch als auch die Grundschulzeit als völlig unauffällig beschrieben worden sind und die Klägerin wegen ihres sozialen Verhaltens sogar von den Lehrern gelobt worden ist. Psychische Beeinträchtigungen sind somit – trotz behauptetem fortgesetztem Missbrauch – in dieser Zeit gerade keine beschrieben worden, was die Sachverständige nachvollziehbar als gegen ein reales Geschehen sprechend wertet. Von körperlichen Folgen, die bei einer häufigen Vergewaltigung eines nicht geschlechtsreifen Kindes zu erwarten stehen, ganz zu schweigen.
Generell gilt insoweit, dass eher von einer – objektiv zutreffenden – Erinnerung auszugehen ist, wenn die Schilderungen über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während Geschehensabläufe, die sich nicht zugetragen haben, an die aber subjektiv ein Gedächtnisinhalt besteht, im Laufe der Zeit eher auszuufernd beschrieben werden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris, Rz. 28; Senatsurteil vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 90; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 2012, § 1 OEG Rz. 49 m. w. N.; generell zur Konsistenz mit früheren Aussagen auch Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1101). Auf nicht bewusst Erlebtes deutet demgegenüber die ernsthafte Möglichkeit suggestiver Einflüsse hin, insbesondere bei intensiven Gesprächen, Befragungen und Nachforschungen durch andere Autoritätspersonen mit entsprechenden Voreinstellungen und Erwartungen (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, Rz. 324). Dabei besteht mitunter das Bedürfnis, die massiven psychischen und körperlichen Beschwerden, welche über die Jahre hinweg aufgetreten sind, erklären zu können (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, a. a. O., Rz. 28; Senatsurteil vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 44f.).
Auf eine solcher Erklärungsnot verweist S1 auch bei der Klägerin und ergänzend darauf, dass die initiale Behandlung wegen einer Essstörung erfolgt ist, wobei es sich – so die Sachverständige weiter – um ein häufiges Erkrankungsbild bei Mädchen im damaligen Alter der Klägerin gehalten hat. Der Einwand der Klägerin, dass die ausufernden Schilderungen Ausdruck des Krankheitsbildes seien und weiter durch Hypnose und die Begegnung mit S5 zu erklären seien, deshalb nicht gegen die Glaubhaftmachung sprächen, geht fehl. Das unterstreicht vielmehr, dass nicht von einem erlebnisbasierten Vorbringen der Klägerin ausgegangen werden kann, was schließlich in der Schilderung ritueller Schändung mehrerer Kinder seinen Ausdruck findet (dazu siehe unten).
Die von der Sachverständigen beschriebene Suche nach Erklärungsmodellen wird durch die Berichte der L1 gestützt, wonach die Entstehung des „inneren Parasiten“ im Sinne eines magischen Erinnerungs- und Erklärungsversuchs der Erfahrungen aus dem Kindergartenalter zu sehen seien, ohne dass eine Auseinandersetzung mit der unauffälligen Kindergarten- und Grundschulzeit (vgl. oben) stattfindet und nicht berücksichtigt wird, dass aus der Diagnose keine Rückschlüsse auf tatsächliche Ereignisse gezogen werden können, wie G1 versorgungsärztlich herausgestellt hat. Die L1 weist in diesem Zusammenhang nämlich selbst darauf hin, dass die Klägerin phasenweise nicht in der Lage ist, Reales von Irrealem zu trennen. Schon vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, wie plausibel eine Erinnerung der Klägerin ab dem vierten Lebensjahr – bzw. ggf. sogar ab dem Säuglingsalter – an einen vermeintlichen sexuellen Missbrauch überhaupt ist (zur sog. kindlichen Amnesie vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16. März 2023 – L 6 VG 1749/22 –, juris, Rz. 156).
Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen werden gestützt durch das Gutachten des K1 das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO). Dieser hat ebenfalls dargelegt, dass offen bleibt, ob die Berichte der Klägerin Mitteilungen eines realen Missbrauchs sind oder Ausdrucks eines psychotischen Geschehens und/oder eines sogenannten „False-Memory“. Wie S1 weist auch er, nach eigener Befragung der Mutter und der Therapeutin, darauf hin, dass die Probleme erst ab der fünften Klasse begonnen haben und eben nicht schon im Kindergartenalter, wobei die Therapeutin darauf hingewiesen hat, dass sich die Klägerin hinsichtlich der Übergriffe ab dem vierten Lebensjahr nicht sicher gewesen sei.
Dem Sachverständigengutachten des S4 folgt der Senat, ebenso wie das SG, schon deshalb nicht, da dieses in sich widersprüchlich ist. Zwar legt er selbst dar, dass aus der Diagnose nicht auf stattgehabte Ereignisse geschlossen werden kann (vgl. auch die versorgungsärztlichen Ausführungen des G1), zieht aber genau diesen Rückschluss, wenn er aufgrund der Ausprägung der Symptomatik von einem sexuellen Missbrauch ausgeht, ohne überhaupt benennen zu können, was geschehen sein soll. Nicht überzeugen kann es deshalb weiter, wenn er den fehlerhaften Rückschluss von der Diagnose/Symptomatik auf das tatsächliche Geschehen damit untermauern möchte, dass umfassende Literaturrecherchen ergeben haben, dass es in über 90 % der Fälle nicht möglich gewesen ist, aus fachgerecht erhobenen kinder- und jugendgynäkologischen Befunden auf Rückschlüsse auf einen sexuellen Missbrauch zu ziehen und deshalb zu dem Zirkelschluss gelangt, dass die psychischen Folgen sexueller Missbrauchserfahrungen zu eruieren und medizinisch zu betrachten seien. Der Sachverständige hat nämlich selbst kein erlebnisbasiertes tatsächliches Geschehen im Sinne eines sexuellen Missbrauchs beschreiben können, sondern weicht nur auf allgemeine Thesen zu den Belastungen im Kinder- und Jugendalter und deren – vermeintliche – Folgen aus.
Dabei übersieht er insbesondere den Schutzbereich des OEG, das in erster Linie vor rechtswidrigen tätlichen Angriffen schützt, die im Falle von Kindern zwar auch den „gewaltlosen“ sexuellen Missbrauch umfassen können (vgl. oben), aber eben nicht jegliche Vernachlässigung. Insbesondere reicht ein behaupteter Konflikt zwischen Mutter und Vater, in dessen Mittelpunkt die Klägerin gerückt sein soll, nicht aus, wie S4 hingegen meint. Dass es der Klägerin unangenehm gewesen sein mag, wie die Mutter gegenüber der Polizei bekundet hat, mit den Großeltern am FKK-Strand gewesen zu sein, ist ebenfalls nicht entschädigungsrelevant.
Soweit S4 über eine seit Jahren anhaltende innerfamiliäre Tathandlung spekuliert, bei der das Kind in der Regel vom Täter zum Komplizen seiner Taten und dafür verantwortlich gemacht werde, bleibt der Sachverständige in tatsächlicher Hinsicht jegliche Anknüpfungstatsachen schuldig, auf die sich seine Schlussfolgerungen stützen. Seine allgemeinen Thesen bleiben daher ohne Fallbezug und sind damit rein spekulativ. Insbesondere setzt er sich nicht mit den Erhebungen des K1 auseinander, der im familiengerichtlichen Verfahren im Einzelnen erhoben hat, dass seitens des Vaters und des Großvaters väterlicherseits durchaus Sorge um das Wohlergehen der Klägerin geäußert worden ist, die sich nach den dokumentierten Befunden als nicht unbegründet erwiesen hat. Tatsache ist nämlich, dass im ersten Bericht der L1 auf das problematische häusliche Umfeld bei der erziehungsberechtigten Mutter verwiesen wird und dieser selbst zur Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe geraten wurde. Anlass zur erneuten stationären Aufnahme im Januar 2010 soll die belastete Beziehung zur Mutter gewesen sein, an deren Ende die Mutter einer weiteren Betreuung der Klägerin in einer Jugendhilfeeinrichtung zugestimmt hat. Korrespondierend hierzu hat diese die Untersuchung ihrer Tochter bei K1 sogar dazu nutzen wollen, bei ihr selbst einen entsprechenden Untersuchungsbefund zu erheben. Schwierigkeiten im Verhältnis zu Vater und Großvater sind in dem familiengerichtlichen Verfahren indessen nicht beschrieben worden, sodass S4 diese zu Unrecht unterstellt und seinen Schlussfolgerungen fälschlicherweise zu Grunde legt.
Soweit sich S4 darauf stützt, dass die Klägerin von Beginn der Therapie an sexuellen Missbrauch angegeben habe, geht er schon von falschen Anknüpfungstatsachen aus. Dem Bericht der L1 ist nämlich zu entnehmen, dass die Klägerin bislang derartige Angaben gerade nicht gemacht hat, insbesondere nicht gegenüber der ambulanten Therapeutin. Aussagen sind nach dem Bericht erstmals während dieser stationären Therapie erfolgt, wobei ausdrücklich vermerkt ist, dass sich die Klägerin gerade nicht zu Ausmaß und Täter geäußert hat.
S4 verkennt unter Kausalitätsgesichtspunkten weiter, dass seine Aufzählung einer Vielzahl von Belastungsfaktoren und sonstiger Umstände, die er als mögliche Ursachen einer psychischen Erkrankung beschreibt, gerade dagegen spricht, dass ein – vermeintlicher sexueller Missbrauch – mit Wahrscheinlichkeit die Ursache der jetzigen gesundheitlichen Problematik ist. Dass einem vermeintlichen sexuellen Missbrauch eine besondere „toxische Wirkung“ zukommt, wie S4 meint, ändert nichts daran, dass die Ereignisse selbst im jeweiligen Beweismaßstab feststehen müssen, um hierauf eine Kausalitätsbetrachtung stützen zu können. Das gilt umso mehr, als klägerseits ein deutliches Motiv benannt wurde, nämlich das Erfordernis finanzieller Entschädigung um die Therapie weiter bezahlen zu können, was Anlass für ein kritisches Hinterfragen sein müsste.
Ebenso geht seine Kritik an den Ausführungen der Sachverständigen S1 hinsichtlich der „False Memory“, der Begriff wird im Übrigen auch vom Sachverständigen K1 wie in der Fachliteratur verwendet, fehl. Die Sachverständige hat in keiner Weise behauptet, dass es sich hierbei um eine anerkannte Diagnose handelte, sondern hat lediglich bei der Würdigung der tatsächlichen Anknüpfungstatsachen darauf verwiesen, dass sie nicht feststellen kann, ob es sich um tatsächliche Erinnerungen oder eben nur um Pseudoerinnerungen handelt. Sie hat schlüssig aufgezeigt, dass Intrusionen und Flashbacks kein Beweis dafür sind, dass solche Erlebnisse tatsächlich stattgefunden haben und dass gerade bei lang anhaltenden psychischen Störungen für den Probanden nicht mehr zu unterscheiden ist (vgl. oben), was ursprünglich war und was sich durch viele Gespräche und das wiederholte Durch-Erleben von Bildern verändert hat.
Mit diesen tatsächlichen Fragen und dem beschriebenen therapeutischen Einfluss setzt sich S4 erst gar nicht auseinander, sondern schließt unzulässig von der Symptomatik auf vermeintlich stattgehabte Ereignisse – ohne diese auch nur annähernd zu benennen oder gar zeitlich einzuordnen (vgl. oben). Für eine solche zeitliche Einordnung hätte aber schon aufgrund der von S1 und K1 herausgearbeiteten Biographie mit einer unauffälligen Kindergarten- und Grundschulzeit der Klägerin Veranlassung bestanden. Daneben hat S1 schlüssig die Bedeutung der Aussagegenese herausgestellt, die eine deutliche Ausweitung im Laufe der Zeit erkennen lässt. Während zunächst in der ambulanten Therapie überhaupt keine Angaben zu einem vermeintlichen Missbrauch gemacht wurden, wird in den ersten Berichten der L1 vermerkt, dass keine Äußerungen zu Ausmaß und Täter erfolgt sind. Erst später sollen detailliertere Angaben gemacht worden sein, ohne dass eine klare Benennung des/der Täter erfolgt wäre.
Die Ausweitung des Geschehens wird letztlich an den Ausführungen der Klägerin beim SG deutlich, ausweislich derer sie zwischenzeitlich davon überzeugt zu sein scheint, Opfer „brutalster Methoden der Konditionierung, Folter, sexueller Gewalt, Zwangsprostitution und seelische Folter“ geworden zu sein. Dass Haustiere gehäutet und enthauptet werden, um das Missbrauchsopfer einzuschüchtern, ist ein solches Detail, das eher einem Horrorfilm entsprungen zu sein scheint, ohne jegliche tatsächlichen Anknüpfungspunkte. Das untermauert die Ausführungen der Sachverständigen S1, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, zwischen Realem und Irrealem zu differenzieren. Für ein derartiges Ausmaß an Übergriffen und für eine „systemische Konditionierung“ ab dem Säuglingsalter bestehen nicht die geringsten Anhaltspunkte, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat. Einer solchen Annahme stehen die biographischen Erhebungen mit einer unauffälligen Entwicklung bis zum 11./12. Lebensjahr, von der auch die Mutter der Klägerin berichtet hat, entgegen.
S4 setzt sich im Übrigen mit den überzeugenden differentialdiagnostischen Überlegungen der S1 nicht auseinander. Diese hat nämlich aus fachlicher Sicht darauf hingewiesen, dass es typisch für Borderline-Persönlichkeitsstörungen, die gerade nicht zwingend mit Traumata assoziiert sind, ist, dass die therapeutischen Bemühungen nicht zu einer Besserung, sondern vielmehr zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen, wie dies bei der Klägerin durch Umfang und Verlauf der stationären Behandlungen ebenfalls ersichtlich ist. Die Ausführungen der Sachverständigen lassen die im Rahmen eines Sachverständigengutachtens gebotene kritische Auseinandersetzung mit den tatsächlichen und diagnostischen Umständen erkennen und belegen mitnichten eine Voreingenommenheit der Sachverständigen, wie S4 zu Unrecht meint. Soweit S1 sich zu den Ursachen von psychischen Störungen äußert, wird daraus lediglich deutlich, weshalb eine monokausale Betrachtungsweise, wie sie von therapeutischer Seite zugrundegelegt wird, gerade nicht weiterführt. Der Feststellung von Alternativursachen bedarf es im Übrigen nicht.
Ebenso wie S4 werden die Voraussetzungen des OEG auch von der L1 verkannt, wenn darauf hingewiesen wird, dass sich die Klägerin ausdrücklich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufe und eine Regressforderung gegenüber dem Täter eine weitere Belastung darstelle. Die Anerkennung und Entschädigung eines schädigenden Ereignisses nach dem OEG geht damit einher, die Täterschaft einer anderen Person anzunehmen, die dann von Gesetzes wegen Regressforderungen ausgesetzt ist. Für eine weitere Absenkung des Beweismaßstabes, wie sie sich die Therapeuten vorzustellen scheinen und wie sie die Klägerin in der Berufungsbegründung für sich beansprucht, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage und eine solche ist mit dem System des OEG nicht vereinbar. Die Behauptung der D1, dass sicher sei, das der Staat die Klägerin vor „diesen entsetzlichen Schädigungen ihres Körpers und ihrer Seele“ nicht habe schützen können, sodass der Schutz des Staates dringend erforderlich sei und die Forderung danach berechtigt sei, entbehrt – wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt – jeder tatsächlichen und rechtlichen Grundlage. Im Übrigen geht sie selbst davon aus, dass die Erinnerungen der Klägerin an sexualisierte Gewalt nur implizit vorhanden sind, aber nicht explizit abgerufen werden kann. Wenn sie im Weiteren ausführt, dass die Klägerin nicht über einen kontinuierlichen, fortlaufenden Bewusstseinsstrom und damit keine fortlaufende Erinnerung verfügt, werden die Ausführungen der S1 untermauert, dass es den Angaben der Klägerin am Konstanzkriterium fehlt.
Der Umstand, dass weitere Sachaufklärung im gerichtlichen Verfahren ebenso eine Belastung für die Klägerin darstellen mag, wie ein negativer Verfahrensausgang, wie die Fachärztin D1 darlegt, ändert an den rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem OEG nichts. Unabhängig davon, dass eine weitere Absenkung des Beweismaßstabes nicht in Betracht kommt, verkennen die Therapeuten, dass im Grundsatz die Klägerin die Beweislast trägt. Mögliche Reaktionen der Klägerin auf die gerichtliche Entscheidung sind kein Entscheidungskriterium, an denen sich das SG oder der Senat zu orientieren haben. Ebenso liegt es nicht im gerichtlichen Verantwortungsbereich, wenn sich durch ein von der Klägerin angestrengtes Klageverfahren oder dessen Ausgang eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation deshalb einstellt, weil die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht im erforderlichen Beweismaßstab festgestellt werden können.
Letztlich spricht gegen ein erlebnisbasiertes Vorbringen der Klägerin ihre Schilderung, im Alter von sieben Jahren Opfer sexueller Übergriffe einer Stewardess auf einem Flug nach Ägypten geworden zu sein. Unabhängig davon, ob dieser vermeintliche Übergriff überhaupt im Geltungsbereich des OEG stattgefunden hat (vgl. § 1 OEG), ist dieser im Antrag nach dem OEG ausdrücklich behauptet worden und findet sich in den Berichten der L1 ebenso ausdrücklich als von der Klägerin berichtet. In dem Bericht der L1 an das LRA wird nämlich beschrieben, dass die Klägerin einmalig im Alter von sieben Jahren auf dem Urlaubsflug nach Ägypten von einer Stewardess zur Toilette begleitet worden sie, die dort sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe. Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu überzeugen, wenn die Klägerin diesen – nicht glaubhaften – Übergriff im Widerspruchsverfahren nur als Missverständnis hinzustellen versucht und nunmehr geltend macht, die sexuelle Handlung habe in einem Kuss der Stewardess bestanden. Durch diese Schilderungen werden vielmehr die Darlegungen der S1 und des K1 untermauert, dass sich nicht feststellen lässt, ob und in welchem Umfang die Schilderungen der Klägerin erlebnisbasiert sind.
Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Die eingeholten Sachverständigengutachten und sonstigen Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Insbesondere hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ermittlungsvorgänge betreffend der S5 nicht beizuziehen gewesen sind. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat die Klägerin nämlich selbst angegeben, keine konkreten Angaben zu dem Inhalt dieses Ermittlungsverfahrens und dessen Ausgang machen zu können wie noch nicht einmal mit Sicherheit zu wissen, wer überhaupt Beschuldigter im dortigen Verfahren gewesen ist. Die Klägerin verlangt somit nichts anderes als die Beschaffung von Grundlagen für weitere Tatsachenbehauptungen, sodass es sich um reine Beweisermittlung und eine Ausforschung des Sachverhaltes handeln würde, zu der keine Veranlassung besteht (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – B 9 V 20/18 B –, juris, Rz. 19).
Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens war ebenfalls nicht geboten. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. April 2013, a. a. O.) steht das Ausmaß von solchen Ermittlungen grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens, dessen Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen. Da eine solche Beurteilung an sich zu den ureigenen Aufgaben des Gerichts gehört, kommt die Einholung eines solchen Gutachtens nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Die Erhebung eines aussagepsychologischen Gutachtens kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson und deren Behandlung beeinflusst sein können. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an, denn die Angaben der Klägerin zu den geltend gemachten Vorfällen sind nach den Ausführungen von S1 und des K1 bereits aufgrund des fehlenden bzw. jedenfalls nicht derart detailliert möglichen Erinnerungsvermögens nicht glaubhaft (so Urteil des LSG Hamburg vom 29. November 2022 – L 3 VE 8/20 –, juris, Rz. 49).
Letztlich hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bei F1 abgelehnt. Abgesehen davon, dass das Antragsrecht nach § 109 SGG bereits durch das erstinstanzlich erhobene Sachverständigengutachten verbraucht ist, wäre der erst in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag jedenfalls verspätet und deshalb abzulehnen (§ 109 Abs. 2 SGG). Weiter hat keine Veranlassung zur Einholung des Sachverständigengutachtens von Amts wegen bestanden, da es sich um einen reinen Beweisermittlungsantrag gehandelt hat. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw. unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw. die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, sind als Beweisermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Juli 2019 – B 5 R 191/18 B, juris, Rz. 7). Dies ist hier der Fall. Nachdem es an hinreichend konkreten Vorbringen der Klägerin zu der vermeintlichen Tat fehlt, wie oben im Einzelnen aufgezeigt, soll – nach Vorstellung der Klägerin – von dem medizinischen Sachverständigen allein aus dem jetzigen Beschwerdebild ein Rückschluss auf die vermeintliche(n) Tat(en) gezogen werden. Das medizinische Sachverständigengutachten soll damit erst tatsächliche Anhaltspunkt für entschädigungsrelevante Sachverhalte liefern. Zu einer solchen Ausforschung des Sachverhaltes besteht keine Veranlassung, unabhängig davon, dass der Rückschluss von dem jetzigen medizinischen Bild auf hinreichend konkretisierte Taten durchgreifenden Bedenken begegnet, wie oben bereits dargelegt.
Die Berufung der Klägerin konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.