L 2 R 279/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2513/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 279/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger ist 1968 in Polen geboren. Dort absolvierte er Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Nach seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1989 war er von 1990 bis 1998 als LKW-Fahrer und anschließend von Januar 1999 bis Mai 2016 als Busfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit März 2016 war er arbeitsunfähig krank, erhielt zunächst Krankengeld und danach Arbeitslosengeld. Die Beklagte erkannte zudem die Zeit vom 28.09.2018 bis zum 30.03.2019 zusätzlich als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit an (vgl. Bescheid vom 14.11.2022). Weitere Versicherungszeiten sind nicht vermerkt.

Beim Kläger besteht seit 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 (vgl. Bl. 57 VA med. Aktenteil).

Bereits vom 29.10.2016 bis 08.12. 2016 hat sich der Kläger in stationärer medizinsicher Rehabilitation in der V1 Klinik in R1 befunden. Die Ärzte der dortigen Klinik hatten im Rehaentlassbericht vom 29.12.2016 folgende Diagnosen gestellt:
1. Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
2. Adipositas
3. Hypertonie
4. V.a. Obstruktive Schlafapnoe
Die Entlassung erfolge zwar arbeitsunfähig für die Dauer von vier Wochen. Der Kläger sei aber noch leistungsfähig für sechs Stunden und mehr in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Busfahrer. Zumutbar seien insgesamt mittelschwere Tätigkeiten, überwiegen im Stehen, Gehen und Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht. Einschränkungen bestünden hinsichtlich psychomentaler Funktionen und relevanter Belastungsfaktoren. Nachtschichten seien nicht zu empfehlen, ebenso nicht rasch wechselnde Arbeitszeiten.

Einen ersten Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2018 ab.

Im Rahmen dieses Antragsverfahren hatte die Beklagte ein Gutachten bei der B1 eingeholt. Diese hatte in ihrem Gutachten vom 19.03.2018 folgende Diagnosen gestellt:
Leichte bis mittelgradige depressive Episode
Schlafapnoe-syndrom, kompensiert mit CPAP
Unspezifische somatoforme Störung
Aus nervenärztlicher Sicht seien dem Kläger leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne besondere Anforderungen an seine Daueraufmerksamkeit, besondere Verantwortung für Menschen und Maschinen, ohne Nachtschichten und ohne längere Zwangshaltungen noch sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Busfahrer im Linienverkehr sei aufgrund dieser Einschränkungen nicht mehr zumutbar.

Am 20.09.2019 beantragte der Kläger erneut bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger wurde daraufhin im Auftrag der Beklagten am 12.12.2019 von dem H1 untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 23.12.2019 folgende Diagnosen:
- Angststörung mit Panikattacken
- leichtgradige depressive Episode
- Schlafapnoesyndrom (nCPAP Therapie)
- anhaltende Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren
- Reizdarm
- Adipositas
Die bisherige Tätigkeit sei dem Kläger wegen der Angststörung nicht mehr zuzumuten. Der Kläger habe zudem schon einige ambulante Maßnahmen durchlaufen. Dennoch sehe sich der Kläger nicht in der Lage, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Bei einer Angststörung sei es aber nicht ratsam, die angstauslösenden Situationen zu vermeiden. Der Kläger erscheine auch durchaus in der Lage, diese Willensanstrengung (ggf. mit Unterstützung) zu meistern, so dass er unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes selbst schwere Tätigkeiten noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne, so lange Zwangshaltungen der Wirbelsäule vermieden würden.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 30.01.2020 ab.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die durchgeführten Ermittlungen.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.09.2020 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. Zur Begründung ist auf eine Schmerzerkrankung, aufgrund derer er weder längere Zeit stehen, noch sitzen oder gehen könne, verweisen worden. Dazu liege eine schwere Depression vor und es komme zu Panikattacken.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.
Die S1 hat am 21.01.2021 angegeben, dass der Kläger erstmals 2016 in Behandlung in der Tagesklinik und der P1 K1 gewesen sei. Seither fänden 4-wöchig fachärztliche Gespräche statt. Es bestehe eine rezidivierend auftretende depressive Erkrankung, sowie eine psychosomatische Schmerzerkrankung, die vor allem Ängste und Unsicherheit hervorrufe. Sie gehe daher davon aus, dass der Kläger aufgrund psychischer Beschwerden maximal eine Stunde lang eine leichte körperliche Tätigkeit verrichten könne. Eine wesentliche Veränderung seit Ende 2019 sei nicht eingetreten.

Der K2 ist von einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden für leichte Tätigkeiten ausgegangen. Der Schwerpunkt der Einschränkungen liege im Fachgebiet der Neurologie.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem S2 von Amts wegen. Dieser hat den Kläger am 26.07.2021 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 28.07.2021 folgende Diagnosen gestellt.
1. Laut Aktenlage und anamnestisch Depressionen, remittiert
2. Bluthochdruckleiden, medikamentös behandelt,
3. Adipositas Grad II,
4. Verdacht auf Reizdarm, Verdacht auf Reizmagen,
5. Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates ohne relevante sensomotorische Ausfälle,
6. Anamnestisch obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, gegenwärtig keine nächtliche Ventilationstherapie.
Für eine Erkrankung auf neurologischem Fachgebiet bestünden keine Anhaltspunkte. Die Ausübung leichter körperlicher Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei dem Kläger für mindestens sechs Stunden täglich möglich. Tätigkeiten in Nachtschicht seien im Hinblick auf ein (aktuell nicht therapiertes) Schlafapnoesyndrom zu vermeiden. Auch Arbeiten mit vermehrten psychischen Belastungen seien aufgrund einer erhöhten seelischen Vulnerabilität nicht leidensgerecht. Hierzu gehörten Tätigkeiten mit vermehrten emotionalen Belastungen und mit einem erhöhtem Konfliktpotential. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten seien ebenfalls zu vermeiden. Aus psychiatrischer Sicht sei auch eine vermehrte Lärmexposition als psychogener Stressor nicht mehr leidensgerecht.
Zum Tagesablauf befragt hat der Kläger beim Gutachter angegeben, dass er morgens zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr wach werde. Er lese gegebenenfalls noch vor dem Aufstehen. Er frühstücke gemeinsam mit den Eltern. Er kaufe dann Brot. Die Mutter koche. Um 12.00 Uhr sei das Mittagessen. Er schaue noch die Nachrichten. Er halte einen Mittagsschlaf für eine Stunde. Ansonsten löse er Kreuzworträtsel oder mache Sudoku.
Er fahre gegebenenfalls einen Kollegen zum Einkaufen. Er helfe dann auch Freunden für etwa eine halbe Stunde. Länger gehe nicht. Er verweist hier auf das Wirbelsäulenleiden. Er habe insgesamt gute soziale Kontakte. Vereinstätigkeiten nehme er nicht wahr. Gegen 17.00 Uhr schaue er dann die Nachrichten. Er lese die Zeitung. An manchen Tagen könne er zwei bis drei Stunden lesen. An manchen Tagen könne er nur für eine halbe Stunde lesen. Er gehe ansonsten noch spazieren. Er mache die Erledigungen. Ab 20.00 Uhr schaue er dann zuhause Fernsehen. Am Wochenende treffe er sich mit seinem Bruder und einem Kollegen. Er gehe auch mit dem Hund des Kollegen spazieren. Weitere besondere Aktivitäten unter der Woche oder am Wochenende verneinte er. Der letzte Urlaub sei schon längere Zeit vorbei. Vor einem Jahr sei er zuletzt in Polen für drei Tage gewesen. Er habe damals etwas abholen müssen.
Die festgestellten Einschränkungen in dem qualitativen Leistungsbild bestehen nach S2 schon längere Zeit. Eine genaue Bestimmung in zeitlicher Hinsicht sei nicht möglich. Für eine wesentliche Änderung des Leistungsvermögens in dem aktuellen Rentenverwaltungsverfahren bzw. in dem Rechtsstreit ergebe sich kein Anhalt.
Der Kläger sei uneingeschränkt in der Lage, die üblichen Wege zu und von einer Arbeitsstelle zurückzulegen. Er könne täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Meter zu Fuß zurücklegen. Er könne auch eine einzelne Wegstrecke von etwas mehr als 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurücklegen. Zudem sei es dem Kläger möglich einen PKW zu führen. So sei er auch heute zur Begutachtung alleine mit dem Auto angereist.

Der Kläger hat sodann mit Schreiben vom 07.10.2021 mitteilen lassen, dass er mit dem Gutachten von S2 nicht einverstanden sei. Es werde weiter von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen. Die Beschwerden verschlechterten sich zusehends. Er hat ein Attest des behandelnden K2 vom 05.10.2021 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass trotz „ca. 50 % Besserung“ der Beschwerden immer wieder bei leichten Belastungen Beschwerden vorlägen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.12.2021 abgewiesen. Die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Auf das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen komme es hier nicht an, denn der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe für das Gericht fest, dass der Kläger -trotz der vorliegenden Gesundheitsstörungen- noch in der Lage ist, sechs Stunden am Tag zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Im Vordergrund stünden bei ihm Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Die beim Kläger früher bestehenden psychischen Beschwerden seien aber zwischenzeitlich remittiert und führten nicht zur Annahme eines in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögens.
Diese Einschätzung stützte sich auf die Feststellungen im schlüssigen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten von S2. Dieser habe anhand des erhobenen Befundes nachvollziehbar dargelegt, dass weder der körperliche, noch der psychische Befund relevante Störungen aufwiesen. Zudem ergebe sich aus dem vom Kläger geschilderten Tagesablauf eine verbliebene Gestaltungsfähigkeit im Alltag, die darauf hindeute, dass der Kläger auch einer leichten Tätigkeit nachgehen könnte. Es lasse sich eine rentenrechtlich relevante Gesundheitsstörung daher nicht objektivieren.
Die vom Gutachter konkret benannten Einschränkungen bedingten ebenfalls keine erheblichen Zweifel an der Fähigkeit des Klägers, weiterhin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig ausüben zu können. So seien die vom Gutachter genannten qualitative Einschränkungen (keine Nachtschicht, keine Arbeiten mit vermehrten psychischen Belastungen wie Tätigkeiten mit vermehrten emotionalen Belastungen und mit einem erhöhtem Konfliktpotential, keine Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten sowie der Verzicht auf eine vermehrte Lärmexposition) bereits allesamt vom Begriff der „leichten“ Tätigkeiten umfasst. Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen lägen nicht vor. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit habe der Gutachter glaubhaft nicht erkennen können. Die von der Auffassung des Gerichts abweichenden Bewertungen der behandelnden Ärzte überzeugten nicht. Die Einschätzungen seien nicht eingehend anhand von Befunden begründet worden. Damit fehle ihren Bewertungen eine belastbare Basis für eine sozialmedizinische Leistungseinschätzung. Das zuletzt eingereichte Attest belege zudem keine Verschlechterung, sondern attestiere ausdrücklich eine Verbesserung. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) komme von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei.

Gegen dem seinem Bevollmächtigten am 03.01.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.02.2022 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, man gehe - gestützt auf die Einschätzung der als sachverständige Zeugin befragten S1 und des als sachverständigen Zeugin befragten K2 - weiter davon aus, dass der Kläger wegen seiner rezidivierend auftretenden depressiven Erkrankung, unterhalten durch multiple Belastungsfaktoren, vor allem die psychosomatische Schmerzerkrankung, die vor allem Ängste und Unsicherheit hervorrufe, auf nicht absehbare Zeit außerstande sei, die geforderten leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden oder mehr auszuüben. Die Einschätzungen des Verwaltungsgutachters H1 und des gerichtlichen Sachverständigen S2 überzeugten demgegenüber nicht. So sei die Depression nicht remittiert, der Gutachter sei Dissumalationsneigungen des Klägers nicht nachgegangen und habe die beim Kläger bestehende Unruhe nicht ausreichend geschildert und gewürdigt.


Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2021 sowie den Bescheid vom 30. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. September 2019 eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der Berufungserwiderung vom 19.05.2022 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (36 in 60) nicht mehr erfülle. Er habe nach dem vorliegenden Versicherungskonto zuletzt im September 2018 eine rentenrechtliche Zeit (Beitragszeit) zurückgelegt. Insoweit werde auf den bereits im Klageverfahren übersandten Versicherungsverlauf verwiesen. Letztmalig erfülle der Kläger bei einem fiktiv angenommenen Leistungsfall im Oktober 2020 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Die ehemalige Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 04.08.2022 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Hier hat der Kläger u.a. auf Nachfrage mitgeteilt, dass er durchgehend von S1 arbeitsunfähig geschrieben worden sei und kündigte die Vorlage weiterer Nachweise an.

Im Anschluss ist zudem die behandelnde S1 erneut als sachverständige Zeugin befragt worden. Diese hat am 12.08.2022 u.a. erklärt, dass seit der Behandlung in der P1 keine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Es habe durchgehend Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Depression und somatoformen Schmerzstörung bestanden. Der Kläger könne nach eigenen Angaben maximal eine halbe bis eine Stunde am Tag einer leichten körperlichen Tätigkeit nachkommen. In der Regel würden nach einer halben bis einen Stunde somatische Beschwerden wahrgenommen und der Kläger ziehe sich zurück. Die psychosoziale Belastbarkeit sei aufgrund der schweren psychiatrischen Erkrankung deutlich reduziert. Geringste Belastungen über seine Leistungsgrenze führten zur Verschlechterung seines gesamten Gesundheitszustands. Die Beantwortung der Leistungsfähigkeit des Klägers bedürfe eines sozialmedizinischen Gutachtens. Die Arbeitsfähigkeit sei jedoch mit Aufnahme in die Behandlung in die Tagesklinik am 21.06.2016 nicht mehr gegeben gewesen. Die psychotherapeutische Behandlung habe nicht zu einer ausreichend gesteigerten Belastbarkeit und Fähigkeit der Bewältigung alltäglicher, insbesondere arbeitstechnischer Belange geführt.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 15.09.2022 weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat, hat die Beklagte mit Bescheid vom 14.11.2022 (vgl. Bl. 130 ff; 136 LSG-Akte) die Zeit vom 28.09.2018 bis 30.09.2019 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit anerkannt. Eine berücksichtigungsfähige Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI könne maximal für die Dauer von drei Jahren nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit (31.03.2016) anerkannt werden. Eine Anerkennung der Zeit ab 31.03.2019 als Anrechnungszeit erfolgte daher nicht. Mit Schreiben vom 17.11.2022 hat sie weiter ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der zusätzlichen Anrechnungszeit die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig beim Eintritt eines Leistungsfalls im April 2021 erfüllt seien.

Der Senat hat sodann auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 SGG bei der E1 eingeholt. Diese hat den Kläger am 14.02.2023 ambulant untersucht und in ihrem Gutachten vom selben Tag folgende Diagnosen gestellt:
Somatoforme Schmerzstörung
leicht- bis mittelgradige depressive Episode
Die Beschwerden des Klägers hätten ihren Ausgang in einem Unfall im Jahre 2015 genommen, weshalb er seit Januar 2016 nicht mehr arbeitsfähig in seiner Tätigkeit als Busfahrer sei. Es sei seither zu einer Besserung der Intensität der Schmerzen und der psychischen Symptomatik gekommen. Hinweise für eine schwergradige depressive Symptomatik wie völlige Antriebslosigkeit und Aufgabe aller täglichen Aktivitäten ergäben sich nicht.
Die Gutachterin ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger aufgrund der Ängste und der damit zusammenhängenden körperlichen Beschwerden, insbesondere der Oberbauchbeschwerden, die eine somatische Reaktion auf die Ängste rsp. ein Angstäquivalent darstellten, nicht mehr in der Lage sei, seiner beruflichen Tätigkeit als Busfahrer weiterhin nachzugehen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gäbe es jedoch keine Einschränkungen für leichte bis mittelschwere berufliche Tätigkeiten im Wechsel von gehen, stehen und sitzen. Diese seien ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit noch möglich. Zu vermeiden seien ständig sitzende Tätigkeiten sowie Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an die Belastbarkeit und Stresstoleranz. Der Kläger sei in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen der Woche auszuüben. Bei Berücksichtigung der Einschränkungen im qualitativen Leistungsbild bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass besondere Arbeitsbedingungen notwendig seien.

Der Kläger hat sodann nochmals ein Attest der behandelnden S1 vorgelegt. Diese hat am 12.05.2023 erklärt, dass sie weiterhin an einer Arbeitsfähigkeit des Klägers von unter einer Stunde festhalte. Der Kläger berichte, dass er weiterhin leicht erschöpfbar sei. Er brauche auch bei geringfügigen Aktivitäten (z.B. Brötchen kaufen, Hund spazieren führen) sehr häufig Ruhepausen

Der Kläger hat mit Schreiben vom 07.06.2023 und die Beklagte mit Schreiben vom 13.06.2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Eiverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 17.12.2021 und der Bescheid vom 30.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Berufungsverfahren. Der Senat kann sich nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage ist, einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sechs Stunden und mehr nachzugehen. Wie auch das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass keine so weitreichenden Einschränkungen bestehen, als dass das Leistungsvermögen des Klägers hier auf unter sechs Stunden herabgesunken ist.

Zu einem anderen Ergebnis führen insbesondere auch nicht die Ermittlungen im Berufungsverfahren. Vielmehr hat auch das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten der E1 zwar ein aufgehobenes Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit festgestellt, für leichte bis mittelschwere berufliche Tätigkeiten im Wechsel von gehen, stehen und sitzen, ohne hohen Anforderungen an die Belastbarkeit und Stresstoleranz, aber ein noch mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen bestätigt.
Die Ausführungen der Gutachterin sind schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Senat hat daher keinen Anlass, wie auch an den Feststellungen des in erster Instanz eingeholten Gutachtens bei S2, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und an der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung zu zweifeln.
Die Gutachterin hat den Krankheitsverlauf ausführlich geschildert, ist den Beschwerden nachgegangen und haben den Kläger sorgfältig und umfassend untersucht. Sie hat eine ausführliche Anamnese erhoben, hat den Kläger umfassend zu seinen Beschwerden, seiner Biographie und Krankheitsgeschichte, dem Tagesablauf und zur aktuellen Therapie befragt sowie testpsychologische Untersuchungen durchgeführt.

Nicht zu überzeugen vermochte den Senat die Einschätzung der behandelnden S1, die von einer Arbeitsfähigkeit des Klägers von unter einer Stunde ausgeht. Zum einen konnte keiner der Gutachter eine schwere depressive Störung feststellen. E1 hat hierzu u.a. ausgeführt, dass die drei Hauptsymptome der Depression (depressiver Affekt, Interessenverlust, Antriebsminderung) nicht vorgelegen hätte und auch keine depressive Denkstörung habe festgestellt werden können. Zudem beruft sich die behandelnde Ärztin bei ihrer Leistungsbeurteilung ganz wesentlich auf die Eigenangaben des Klägers. Das Leistungsvermögen ist aber nach objektiven Kriterien zu ermitteln ist, weshalb die subjektive Einschätzung der betroffenen Versicherten zum Umfang und zur Intensität der Leistungseinschränkungen keinesfalls ausreicht. Vielmehr ist anhand der vorliegenden Befunde und durch eine gründliche Befragung und Untersuchung die Konsistenz der geltend gemachten Einschränkungen anhand objektiver Kriterien zu ermitteln und mit dem Untersuchungsbefund abzugleichen.

Der Senat ist nach alledem der Überzeugung, dass der Kläger noch leichte Tätigkeiten mit den bereits vom SG aufgeführten qualitativen Einschränkungen, aus denen sich auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ableiten lässt, noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar verrichten kann.

Anhaltspunkte dafür, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes - beispielsweise wegen eingeschränkter Wegefähigkeit oder dem Erfordernis betriebsunüblicher Pausen - beeinträchtigt ist, liegen nicht vor. Alle Gutachter haben die Wegefähigkeit bejaht und keine Einschränkungen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und der Fähigkeit vier Mal täglich jeweils mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, festgestellt. Dem Kläger ist es zudem möglich ein Auto zu führen, so ist er z.B: alleine zur Begutachtung bei S2 nach M1 mit dem Auto angereist. Der Senat kann auch keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Kläger betriebsunübliche Pausen benötigt. Auch dies entnimmt er den genannten Gutachten.

Weitere Ermittlungen waren nicht geboten. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die eingeholten Gutachten in erster und zweiter Instanz, im Verwaltungsverfahren sowie dem vorherigen Rentenverfahren als umfassend aufgeklärt an, zumal die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim Kläger letztmals im April 2021 bestanden haben.

Nach alledem besteht kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht schon deshalb nicht, weil der Kläger 1968 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geboren ist.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).  


 

Rechtskraft
Aus
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