Zu den Voraussetzungen für die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens im Zusammenhang mit einem möglichen Begründungsmangel des angefochtenen Rentenbescheides.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Mai 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein isoliertes Widerspruchsverfahren und mittelbar darüber, ob die Beklagte den der Klägerin erteilten Rentenbescheid ausreichend begründet hat.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 11.05.2020 (Bl. 161a VA) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2019 befristet bis zum 31.10.2021 mit einem monatlichen Zahlbetrag für die laufende Zahlung in Höhe von 1.327,50 Euro. Dem Rentenbescheid beigefügt waren die Anlagen „Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“ und „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ (Entgeltpunkte für Beitragszeiten 34,5803 Punkte + Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten 13,2484 Punkte + zusätzliche Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten 1,1064 Punkte = 48,9351 Summe aller Entgeltpunkte). Nicht beigefügt waren nach dem Vortrag des Bevollmächtigten und der Beklagten die Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ (vgl. Bl. 15 SG-Akte).
Mit Schreiben vom 15.05.2020 (Bl. 178 VA) erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch und trug zur Begründung vor, dass sich aus dem Bescheid nicht ergebe, wie die Entgeltpunkte hinsichtlich der Versicherungszeit vom 09.08.1982 bis 20.09.2018 berechnet worden seien. Es werde um Nachholung der Begründung (§ 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]) und Vorlage der entsprechenden Anlagen gebeten.
Die Beklagte übersandte daraufhin mit Schreiben vom 27.05.2020 dem Bevollmächtigten weitere Berechnungsanlagen zum angefochtenen Bescheid (Bl. 179 VA); u.a. die Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ (vgl. Bl. 15 SG-Akte).
Der Bevollmächtigte bedankte sich mit Schreiben vom 04.06.2020 (Bl. 182 VA), welchem seine Kostenrechnung vom selben Tag in Höhe von 380,80 Euro beigefügt war, für die Übersendung der Anlagen zum Rentenbescheid, aus denen sich die Entgeltpunkte, die wesentlich für die Rentenhöhe seien, ergeben würden. Erst durch die Übersendung der Anlagen sei die Klägerin nun in der Lage, die Rentenhöhe zu prüfen. Durch die Übersendung der Anlagen habe die Beklagte den Bescheid vom 11.05.2020 im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X begründet. Die im Widerspruchsverfahren nachgeholte Begründungspflicht (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X) löse nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Kostenerstattungspflicht aus. Sollte die Beklagte dem Widerspruch nicht abhelfen bzw. die geltend gemachten Kosten nicht erstatten, werde ein Widerspruchsbescheid innerhalb der gesetzlichen Frist des § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erwartet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2020 (Bl. 192 VA) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und lehnte die Erstattung der von der Klägerin geltend gemachten für das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass sich die Begründungspflicht darauf beschränke, dem Betroffenen eines Verwaltungsakts die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen hätten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Begründung brauche sich demnach nicht mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinander zu setzen. Sie dürfe sich auf die Mitteilung der wesentlichen Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang beschränken, dass der Betroffene seine Rechte sachgemäß wahrnehmen könne (mit Hinweis auf Urteile des Bundessozialgerichts <BSG> vom 09.12.2004, B 6 KA 44/03 R und B 6 KA 71/03 R). Bestandteil des angefochtenen Rentenbescheids seien die Anlagen „Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“ und „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“. Diese Anlagen würden die im Sinne der Begründungspflicht wesentlichen Gründe für die Entscheidung über die Rentenhöhe, die mit dem Rentenbescheid getroffen worden sei, insbesondere sämtliche der Rentenberechnung zugrunde gelegten rentenrechtliche Zeiten und Werte, enthalten. Kosten für das Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB X könnten damit nicht übernommen werden, weil der Widerspruch nicht erfolgreich gewesen sei.
Am 27.07.2020 hat die Klägerin hiergegen Klage beim Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben und hat ihr Begehren auf Erstattung der Kosten im Widerspruchsverfahren weiterverfolgt. Zur Begründung der Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vortragen lassen, dass der ursprüngliche Bescheid ohne Übersendung aller Anlagen nicht ausreichend begründet gewesen sei. Für den Betroffenen müsse ersichtlich sein, wie sich die Rentenhöhe zusammensetze, weshalb dem Rentenbescheid sämtliche Berechnungsgrundlagen, insbesondere die Summe der Entgeltpunkte und deren Ermittlung zu entnehmen sein müssten. Dies sei bei der ersten Übersendung des Bescheids ohne Anlagen nicht erkennbar gewesen. Diese mangelhafte Begründung sei zwar rückwirkend im Widerspruchsverfahren über § 41 SGB X geheilt worden. Diese Heilung des Verfahrensfehlers im Urprungsbescheid löse dann aber die zwingende Kostenfolge des § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X aus.
Die Beklagte ist dem Begehren der Klägerin entgegengetreten und hat ausgeführt, dass die Deutsche Rentenversicherung an einer Neugestaltung ihrer Rentenbescheide mit dem vornehmlichen Ziel, die Bescheide für die Adressaten verständlicher zu formulieren und übersichtlicher zu gestalten, arbeite, da die bisherigen Bescheide als zu umfangreich empfunden worden seien. Man sei davon überzeugt, dass die seit März 2018 erstellten Rentenbescheide aus der Perspektive der Adressaten verständlicher seien als die vorherigen Bescheide und auch der in § 35 Abs. 1 SGB X normierten Begründungspflicht entsprächen. Wegen hierzu bereits bei unterschiedlichen Landessozialgerichten anhängigen Berufungen rege man das Ruhen des Verfahrens an.
Nachdem die Klägerin dem Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt hat, haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Klägerin mit Schreiben vom 29.04.2021 und Beklagte mit Schreiben vom 30.04.2021) erteilt.
Das SG hat sodann ohne mündliche Verhandlung die Beklagte mit Urteil vom 10.05.2021 unter Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2020 verurteilt, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 11.05.2020 dem Grunde nach zu erstatten. Der Kläger habe einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des erfolglosen Widerspruchsverfahrens gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X, denn der Rentenbescheid vom 11.05.2020 sei in seiner ursprünglich übersandten Form aufgrund der nicht beigefügten Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ nicht hinreichend begründet im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X gewesen. Mit Übersendung dieser Anlagen im Widerspruchsverfahren sei der geltend gemachte Verfahrensfehler geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X), so dass der Widerspruch erfolglos geblieben sei mit der Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Die Kammer schließe sich nach eigener Prüfung den diesbezüglichen Ausführungen in dem von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Urteil des SG Freiburg vom 18.12.2020, S 3 R 3376/19, an und nehme darauf Bezug. Ergänzend sei noch auszuführen, dass die Zuziehung des Bevollmächtigten in dem hier in Rede stehenden Widerspruchsverfahren im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X notwendig gewesen sei. Es gebe hier keinen Grund, von dem Grundsatz, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Regelfall notwendig sei, abzuweichen. Dass die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 22.07.2020 keine Entscheidung darüber getroffen habe, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren erforderlich gewesen sei, sei von ihrem Standpunkt aus zutreffend, denn eine solche Entscheidung sei nur dann erforderlich, wenn im Widerspruchsverfahren eine (zumindest teilweise) positive Kostengrundentscheidung getroffen worden sei. Die Berufung ist vom SG nicht zugelassen worden.
Am 07.06.2021 hat die Beklagte gegen das ihr gegen elektronisches Empfangsbekenntnis am 12.05.2021 zugestellte Urteil beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Mit Beschluss vom 21.07.2021 hat der Senat die Berufung (- L 2 R 1968/21 -) zugelassen und mit weiterem Beschluss vom 04.10.2021 nach Zustimmung der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Die Beklagte hat das Verfahren am 22.03.2023 wieder angerufen (nunmehriges Aktenzeichen: L 2 R 905/23) und zur Berufungsbegründung vorgetragen, nach den zwischenzeitlich vorliegenden Entscheidungen des BSG vom 06.07.2022 (- B 5 R 21/21 R -; - B 5 R 22/21 R - und - B 5 R 39/21 R -) habe die Klägerin keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Mai 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht vereinbar. Das BVerfG habe in den Beschlüssen vom 04.04.1962 - 2 BvL 9/60 -, - 2 BvL 10/60 - und vom 8.2.2023 - 1 BvR 311/22 - klargestellt und entschieden, dass es bei einem rechtswidrigen Verhalten des Staates und einer zulässigen und begründeten Klage mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - Willkürverbot - und Art. 20 Abs. 3 GG - Grundsatz des fairen Verfahrens - nicht vereinbar ist, wenn der Staat eine Kostenerstattung verneine. Ausgehend von diesen Beschlüssen sei das Urteil des BSG vom 06.07.2022 - B 5 R 21/21 R - nicht haltbar. Im vorliegenden Fall seien der Widerspruch und die Klage der Klägerin, gerichtet gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.7.2020, zulässig und begründet, so dass eine Kostenerstattung (die vom BSG verneint worden sei) zu erfolgen habe. In einem weiteren Schreiben vom 09.07.2023 hat der Bevollmächtige weiter ausgeführt, dass § 63 SGB X nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen dem (späteren) § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entspreche. In der zu dieser Vorschrift vorhandenen Gesetzesbegründung sei aber explizit darauf hingewiesen worden, dass es der Billigkeit entspreche, „die Kosten auch dann der Behörde aufzuerlegen, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Behörde eine unterlassene Verfahrenshandlung nach § 35 nachgeholt hat (Satz 2)“. Auch daraus ergebe sich, dass das BSG die Norm des § 63 SGB X falsch auslege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Der Senat hat mit Beschluss vom 12.08.2021 die Berufung zugelassen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin, ihr unter Änderung der Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22.07.2020 die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 11.05.2020 zu erstatten. Streitbefangen ist damit allein der Widerspruchsbescheid vom 22.07.2020 hinsichtlich der Kostenentscheidung. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) unmittelbar gegen die Entscheidung im Widerspruchsbescheid über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zulässig (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 95 Rn. 3). Eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG hinsichtlich der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht (BSG, Urteil vom 19.06.2012 - B 4 AS 142/11 R - juris, Rn. 10). Eine Entscheidung durch Verwaltungsakt darüber, ob im Widerspruchsverfahren die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 SGB X), hat die Klägerin weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren beantragt und die Beklagte auch nicht getroffen (zu den unterschiedlichen Verfügungssätzen im isolierten Vorverfahren vgl. etwa BSG, Urteil vom 20. 11.2001 - B 1 KR 21/00 R - juris, Rn. 13). Ein solches Begehren ist damit nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Abänderung des angefochtenen Widerspruchsbescheids verurteilt, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach zu erstatten. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 SGB X.
Zwar genügte der Rentenbescheid vom 11.05.2020 unter Beachtung des Urteils des BSG vom 06.07.2022 (- B 5 R 21/21 R -), dem sich der Senat nach eigener Überprüfung uneingeschränkt anschließt, nicht den Begründungsanforderungen nach § 35 Abs. 1 SGB X. Dies führt jedoch entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht zu einer Erstattungspflicht bezüglich der notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens.
§ 63 SGB X ist zwar grds. dann einschlägig, wenn die Kosten für ein isoliertes Vorverfahren im Streit sind, an das sich in der Hauptsache kein gerichtliches Verfahren anschloss (vgl. dazu u.a. BSG Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 50/15 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 25, juris Rn. 15). Die weiteren Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X sind vorliegend jedoch nicht erfüllt.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Ein Widerspruch hat jedoch nur dann Erfolg im Sinne dieser Vorschrift, wenn und soweit ihm die Behörde stattgibt (sog. Formale Betrachtungsweise, vgl. BSG Urteil vom 06.07.2022, a.a.O, Rn. 13 m.w.N.). Dies war hier gerade nicht der Fall, denn der angefochtene Rentenbescheid war auf den Widerspruch der Klägerin vorliegend weder zur Rentenart, zur Rentenhöhe, zum Rentenbeginn oder zur Rentendauer geändert worden, zumal der Klägervertreter selbst nach Vorlage der angeforderten Unterlagen seinen Widerspruch in der Sache selbst nicht weiterverfolgt, sondern allein noch die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens begehrt hat.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich auch nicht aus § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Danach sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Es kann offenbleiben, ob der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X eine förmliche Zurückweisung des Widerspruchs voraussetzt oder auch dann bestehen kann, wenn der Widerspruch für erledigt erklärt wird. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Kausalität der Unbeachtlichkeit der Verletzung von Formvorschriften. Der angefochtene Rentenbescheid war zunächst nicht in allen Punkten hinreichend begründet (vgl. zu den Anforderungen an die Begründetheit von Rentenbescheiden, insbesondere zur Notwendigkeit der Übersendung von Anlagen ausführlich BSG, Urteil vom 06.07.2022 a.a.O, dem sich der Senat vollumfänglich anschließt). Erst mit Übersendung der fehlenden Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten", "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" und "Versorgungsausgleich" ist dieser Formfehler nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X geheilt und damit unbeachtlich geworden. Der Widerspruch ist jedoch nicht "nur deshalb" ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin hätte die Aufhebung des Verwaltungsakts auch aus einem anderen Grund nicht beanspruchen können, weil offensichtlich ist, dass der Begründungsfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X).
Wie auch im vom BSG entschiedenen Fall war vorliegend die Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X nicht der einzige Grund für die Erfolglosigkeit des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 11.05.2020. Der Widerspruch wäre auch unabhängig von der Nachholung der Begründung erfolglos gewesen. Insofern fehlt es an der von § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X geforderten Kausalität. Dabei findet § 42 SGB X auch Berücksichtigung, wenn ein Begründungsfehler nach § 41 SGB X geheilt worden ist (vgl. BSG a.a.O.). Dafür spricht nicht zuletzt die in § 42 Satz 2 SGB X normierte Ausnahme, die nur den Anhörungsmangel von der Regelung des Satzes 1 ausnimmt.
Einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente hätte die Klägerin aus dem Begründungsfehler nicht herleiten können. Nach § 42 Satz 1 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Diese Bestimmung ist hier anwendbar, weil nach der Systematik des Gesetzes auch das Fehlen einer erforderlichen Begründung zu den Verfahrens- und Formfehlern i.S. des § 42 Satz 1 SGB X zählt (vgl. BSG a.a.O. Rn. 34 mit Verweis auf BSG Urteil vom 3.12.1997 - 6 RKa 21/97 - BSGE 81, 213, 215 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 149 f unter Hinweis auf BSG Urteil vom 17.4.1991 - 1 RR 2/89 - BSGE 68, 228, 231 = SozR 3-2200 § 248 Nr 1 S 4 f).
Dass ein etwaiger Begründungsmangel des angefochtenen Rentenbescheides die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, ist offensichtlich. Bloße Begründungsmängel oder Begründungsfehler wirken sich bei gebundenen Verwaltungsakten auf die Rechtmäßigkeit der Regelung selbst nicht aus und rechtfertigen grundsätzlich nicht deren Aufhebung. So verhält es sich auch bei den gebundenen Entscheidungen über eine Rentengewährung (vgl. auch hierzu BSG a.a.O, Rn. 35 m.w.N.).
Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch folgt schließlich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Für eine Analogie besteht kein Raum, da schon keine planwidrige Regelungslücke vorliegt (BSG, a.a.O., Rn. 38).
Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten führen auch die von ihm zitierten Entscheidungen des BVerfG zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Klägerin hat vorliegend, anders als die Beteiligten in den aufgeführten Entscheidungen, gerade nicht „obsiegt“. Ihr Widerspruch war nämlich gerade nicht „erfolgreich“ (s.o.). Ebenso führen die Ausführungen im Schreiben vom 09.07.2023 zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat kann hier offen lassen, ob in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren eine Kostenerstattung nach § 80 VwVfG nach dem Willen des Gesetzgebers auch in den Fällen wie dem vorliegenden, d.h. wenn die fehlende Begründung im Rahmen des Widerspruchsverfahren nachgeholt wird, zu erfolgen hat. Denn auch wenn die Norm des § 63 SGB X an die des § 80 VwVfG angelehnt ist, so hat das für die Sozialgerichtsbarkeit maßgebliche oberste Bundesgericht, das BSG, hier nämlich in den Entscheidungen vom 06.07.2022 explizit entschieden, dass eine Kostentragung nach § 63 SGB X in einem sozialrechtlichen Verfahren hier gerade nicht in Betracht kommt. Der Senat schließt sich auch nach dem weiteren Vortrag des Klägervertreters weiterhin der Auffassung des BSG an und sieht keine Veranlassung von dieser (aktuellen) Rechtsprechung abzuweichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen. Der Rechtssache ist insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG mehr beizumessen. Das BSG hat mit Urteilen vom 06.07. 2022 (- B 5 R 21/21 R -, - B 5 R 39/21 R – und - B 5 R 22/21 R -) die hier streitgegenständliche Frage der Erstattung der Kosten für ein (isoliertes) Widerspruchsverfahren nach Heilung eines Begründungsmangels eines Rentenbescheids durch nachträgliche Übersendung der Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Entgeltpunkte abschließend und grundsätzlich geklärt.