S 34 KR 727/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 727/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 223/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin gewährten Krankengeldes.

Die Klägerin ist 1994 geboren und seit dem 1. Juni 2020 als hauptberuflich selbstständige Kindertagespflegeperson bei der Beklagten freiwillig versichert mit dem Anspruch auf Krankengeld ab der 7. Woche der Erkrankung. Im Erhebungsbogen gab sie an, dass sie für ihre selbstständige Tätigkeit noch keinen Einkommenssteuerbescheid erhalten habe und ihre Bruttoeinkünfte monatlich 744,00 Euro betragen würden.

Ab dem 12. Januar 2021 wurde ihr von ihrem behandelnden Arzt Arbeitsunfähigkeit attestiert. Am 12. Februar 2021 beantragte sie bei der Beklagten Krankengeld und gab an, dass ihre monatlichen Einnahmen 2.251,53 Euro betragen würden. Das Formular der Beklagten, das die Klägerin für ihren Antrag nutzte, enthielt unter Ziff. 2, der Höhe des Arbeitseinkommensausfalls wegen der aktuellen Arbeitsunfähigkeit, folgenden Hinweis: „Bitte fügen Sie entsprechende Belege (z.B. Bestätigung Steuerberater) bei, die ihre Angaben belegen. Belege für ihr Einkommen fügte die Klägerin dem Antrag jedoch nicht bei. 

Mit Bescheid vom 9. April 2021 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 23. Februar 2021 ein kalendertägliches Krankengeld von 17,36 Euro brutto und 15,49 Euro netto. 

Die Klägerin legte am 3. Mai 2021 Widerspruch ein. Sie gab an, dass das Krankengeld zu niedrig berechnet sei. Die Beklagte habe den Monat mit dem niedrigsten Einkommen zugrunde gelegt und nicht eine Durchschnittsberechnung der letzten drei Monate vorgenommen. Sie legte eine (selbst erstellte) Tabelle mit ihren Einkünften für die Monate Juni 2020 bis Januar 2021 vor. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe zu Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit angegeben, dass ihr monatliches Einkommen 744,00 Euro betrage. Dies sei für die Beitragsberechnung zugrunde gelegt worden. Das Krankengeld sei korrekt berechnet worden. 

Die Klägerin hat am 23. Juni 2019 Klage erhoben.

Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. 

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Erkrankung ab dem 12. Januar 2021 unter Neuberechnung der Einkommensgrundlage Krankengeld in gesetzlicher Höhe und Dauer zu gewähren. 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend trägt sie vor, dass für die Berechnung des Krankengeldes bei freiwillig Versicherten das Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich war, zugrunde zu legen sei. Dies berücksichtige, dass der Versicherte typischerweise auf zeitnahe Bewilligung des Krankengeldes angewiesen sei, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies sei rasch und verwaltungspraktikabel, als widerlegbare Vermutung, unter Bezugnahme auf das zuletzt der Beitragsbemessung zugrundeliegende Regelentgelt zu erreichen. 

Die Klägerin hat den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020 vom 24. Juni 2021 vorgelegt (Bl. 27 der Gerichtsakte (GA)). Daraus hat sich ein Einkommen von 12.732,00 Euro aus selbstständiger Arbeit ergeben, was einen monatlichen Betrag von 1.818,86 Euro ergibt. Die Beklagte hat den Beitragsbescheid vom 13. September 2021 vorgelegt, wonach u.a. die Beiträge der Klägerin zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum Juni bis Dezember 2020 auf Basis des Steuerbescheids für das Jahr 2020 rückwirkend festgesetzt wurden (Bl. 51 ff. d. GA). 

Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023, die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. Mai 2023 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Klägerin bei der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. 

Der Bescheid vom 9. April 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat das Krankengeld der Klägerin für ihre ab dem 12. Januar 2021 begonnene Arbeitsunfähigkeit zutreffend berechnet. 

Nach § 47 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) beträgt das Krankengeld 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Nach § 47 Abs. 1 S. 5 SGB V wird das Regelentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet und nach § 47 Abs. 1 S. 6 für Kalendertage gezahlt. Für Versicherte, die – wie die Klägerin – nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war.

Der Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin lag nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße zu Grunde. Dieses fiktive Mindesteinkommen ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 unter Hinweis auf BSG, Urteile vom 30. April 2004 – B 1 KR 32/02 R und 7. Dezember 2004 – B 1 KR 17/04 R, nach juris) jedoch nicht für die Berechnung des Krankengeldes maßgeblich. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.

Nach dem Urteil des BSG vom 6. November 2008 (a.a.O.) bemisst sich das Krankengeld bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen. Krankengeld kann grundsätzlich nur als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen (tatsächlich) bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. Dies gilt auch für Versicherte, die – wie die Klägerin – keine Arbeitnehmer sind. Das BSG hat an der Rechtsprechung festgehalten, dass ein Anspruch auf Gewährung eines Mindestkrankengeldes für diesen Personenkreis aus dem Gesetz nicht herzuleiten ist.

Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das Krankengeld nach § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Die Vermutung kann demnach widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war. Gerade bei der Zahlung von Mindestbeiträgen wird regelmäßig Anlass bestehen, vom tatsächlichen Arbeitseinkommen auszugehen, weil dessen Nachweis der Grund für die Zahlung der Mindestbeiträge ist. Wegen der Entgeltersatzfunktion ist die Höhe des Krankengeldes dann auf den Ersatz des tatsächlich entfallenen, nach der Referenzmethode zu berechnenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens begrenzt.

Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, gilt nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch (grundsätzlich) mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Der Nachweis der tatsächlich erzielten, niedrigeren Einnahmen, der grundsätzlich durch den Einkommensteuerbescheid erbracht wird, liegt der Krankenkasse mithin in der Regel vor, wenn sie über die Höhe des Krankengeldes zu entscheiden hat. Sind die Beiträge vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach dem Mindesteinkommen erhoben worden, muss das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen konkret ermittelt werden.

Die Ermittlung des Arbeitseinkommens erfolgt nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts. Liegt der Beitragsbemessung ein vom Finanzamt erlassener Einkommensteuerbescheid zugrunde, ist die konkrete Höhe des Arbeitseinkommens grundsätzlich diesem Bescheid zu entnehmen, und zwar auch dann, wenn der Steuerbescheid nicht das Kalenderjahr betrifft, das dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit eintritt, unmittelbar vorausgeht (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07, juris). Liegt kein Steuerbescheid vor, dem der Gewinn entnommen werden kann, muss die Krankenkasse das Arbeitseinkommen selbst ermitteln (BSG, Beschluss vom 24 Juli 2009 – B 1 KR 85/08 B, juris). Demnach lag der Beklagten nur die Angabe der Klägerin im Erhebungsbogen zur Versicherung vor, in dem diese ihr monatliches Einkommen mit 744,00 Euro angab. Dieses Einkommen führte auch zur Beitragsbemessung anhand der Mindestbemessungsgrundlage.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem im Klageverfahren vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020, ausgestellt am 24. Juni 2021. Zwar ergibt sich aus diesem Bescheid ein höheres monatliches Einkommen für das Jahr 2020, dies führt aber nicht zur rückwirkenden Korrektur der Berechnung des Krankengeldes der Klägerin. Zwar ist die die Vermutung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V auch zugunsten des Versicherten widerlegbar, also der Nachweis höherer Einnahmen möglich (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. September 2006 – L 16 KR 195/05, juris; SG Koblenz, Urteil vom 18. September 2019 – S 11 KR 607/18, juris; SG Aachen, Urteil vom 13. Oktober 2020 – S 14 KR 115/20, juris). Dies ist aber nur dann möglich, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Krankengeldanspruch konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass das Einkommen nicht dem der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Einkommen entspricht (SG Koblenz, Urteil vom 18. September 2019 – S 11 KR 607/18). Referenzjahr für die Bestimmung des Einkommens ist das Jahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (SG Koblenz a.a.O.). Bei der Klägerin trat die Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2021 ein, Referenzjahr ist das Jahr 2020. Sie hatte allerdings vor der Entscheidung der Beklagten über den Krankengeldanspruch im April 2021 keine aussagekräftigen Unterlagen über ihr abweichendes Einkommen im Jahr 2020 vorgelegt. So hatte sie ihm Krankengeldantrag zwar angegeben, dass ihr Einkommen monatlich 2.241,53 Euro betrage, jedoch keinerlei Belege hierfür beigefügt, trotz eines entsprechenden Hinweises im Formular der Beklagten. Zudem ergibt sich aus den Bescheiden des Stadtschulamts der Stadt A-Stadt, die die Klägerin im Widerspruchsverfahren vorlegte nicht zuverlässig die Höhe der Einnahmen, sondern nur die gewährte Förderung. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020 wurde erst Ende Juni 2021 und damit erst nach der Entscheidung der Beklagten über die Gewährung von Krankengeld erlassen. Eine Vorlage im Widerspruchsverfahren erfolgte nicht. Die Nachberechnung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Basis des Steuerbescheids vom 24. Juni 2021 erfolgte erst am 13. September 2021 und damit sogar nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens am 6. August 2021. 

Gegen eine rückwirkende Korrektur der Krankengeldberechnung spricht auch der Wille des Gesetzgebers. Im Rahmen der Änderung des § 240 SGB V im Jahr 2018, wonach ein zweistufiges Verfahren zur Beitragsfestsetzung eingeführt wurde, hat er insoweit ausgeführt, dass sich in Hinblick auf das im Zusammenhang mit einer nach § 44 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB V abgegebenen Wahlerklärung bei Arbeitsunfähigkeit zu berechnende Krankengeld durch die Neuregelungen keine Änderungen ergäben. Das Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich gewesen sei, sei unabhängig von Beitragsnachberechnungen nach dem neuen § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V endgültig festzustellen. Dabei werde berücksichtigt, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krankengeld angewiesen sei und die Bewilligung zeitnah zum Ausfall des zu ersetzenden Einkommens erfolgen müsse. Dem werde Rechnung getragen, wenn als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit auf diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt werde, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden könnten. Dies trage der Funktion des Krankengeldes Rechnung, den Entgeltersatz bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsfähigkeit sicherzustellen (BT-Drs. 18/11205, S. 72). Würde man aber eine Änderung bzw. Nachberechnung des Krankengeldes nach Vorlage eines entsprechenden Steuerbescheides auch dann zulassen, wenn bereits über die Höhe des Krankengeldes entschieden worden ist, so liefe dies im Ergebnis auf ein zweistufiges Verfahren der Krankengeldberechnung hinaus, nämlich vorläufige Festsetzung und spätere Anpassung bei Vorlage des entsprechenden Einkommensteuerbescheids. Dies ist aber gerade nicht vom Gesetzgeber gewollt gewesen und läuft dem Zweck der Krankengeldzahlung zuwider. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
 

Rechtskraft
Aus
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