L 2 BA 3827/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 17 BA 3881/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 BA 3827/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17. November 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen; diese tragen ihre Kosten selbst.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 47.610,24 Euro festgesetzt.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01.11.2011 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 47.610,24 Euro (einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 15.931,50 Euro).

Der Kläger führte im hier streitgegenständlichen Zeitraum den Betrieb M1 in S1.

Im Februar 2012 ergaben sich Anhaltspunkte für Schwarzarbeit in dem Betrieb des Klägers, nachdem eine ehemalige Arbeitnehmerin Anzeige erstattet hatte. Daraufhin nahm das Hauptzollamt K1 Ermittlungen auf und unterrichtete die Beklagte hierüber. Auf die beigezogene Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft F1 (xx40/13) wird Bezug genommen.

Die Beklagte führte sodann am 08.10.2014 bei dem Steuerbüro G1 eine Prüfung der Geschäftsunterlagen des Betriebes des Klägers für den Ermittlungszeitraum November 2011 bis 2013 durch.

Mit Schreiben vom 19.03.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das mit den Ermittlungen betraute Hauptzollamt K1 Unterlagen zur sozialversicherungsrechtlichen Auswertung übersandt habe. Die Beklagte habe diese übersandten Unterlagen im Rahmen einer ergänzend am 08.10.2014 durchgeführten Betriebsprüfung ausgewertet. Es sei aufgrund dessen beabsichtigt, für die Zeit vom 01.11.2011 bis zum 31.12.2013 Nachforderungen zur Sozialversicherung zu erheben. In der Nachforderung seien auch Säumniszuschläge enthalten. Die Lohnaufzeichnungen seien nur unvollständig vorgelegt. Der Kläger habe seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt. Es stehe fest, dass Arbeitnehmer beschäftigt worden seien, die nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet worden seien. Insbesondere ließen sich mit dem angemeldeten Personal nicht die Öffnungszeiten des Lokals abdecken. Da die Höhe der gezahlten Arbeitsentgelte nicht bzw. nicht ohne unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand hätten ermittelt werden können, müssten diese geschätzt werden. Es bestehe die Möglichkeit zur Äußerung.

Mit Schreiben vom 22.05.2015 teilte der Kläger mit, dass die Öffnungszeiten, die sich anhand des Schildes an der Tür ergeben würden, nicht stimmten. Das Schild sei alt und er habe bereits ein Bußgeld bezahlen müssen, weil die angegebenen Öffnungszeiten gegen das Feiertagsgesetz verstießen. Die Spielothek habe theoretische Öffnungszeiten von wochentags 7:00 Uhr bis 0:00 Uhr und samstags von 10:00 Uhr bis 0:00 Uhr sowie sonntags von 11:00 Uhr bis 23:00 Uhr. Häufig sei aber abends schon um 21:00 Uhr geschlossen worden. Ferner seien seine eigenen Arbeitszeiten und die seines Bruders nicht berücksichtigt worden. Der Kläger selbst sei mindestens 50 Stunden in der Woche im Einsatz gewesen, sein Bruder durchschnittlich 20 Stunden in der Woche. Die Schadensberechnung sei daher von falschen Zahlen ausgegangen. Man rege daher eine Neuberechnung an.

Am 25.06.2015 teilte der Kläger mit, dass sein Bruder, C1, seit etwa Juni 2012 für ihn tätig gewesen sei.

Mit Bescheid vom 23.02.2017 erhob die Beklagte für die Zeit vom 01.11.2011 bis zum 31.12.2013 eine Nachforderung von Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 47.610,24 Euro. In dieser Summe seien Säumniszuschläge i.H.v. 15.931,50 Euro enthalten. Es sei festgestellt worden, dass die anzeigeerstattende Arbeitnehmerin nicht zur Sozialversicherung gemeldet gewesen sei. Darüber hinaus habe sich ergeben, dass bei einer Kontrolle des Ordnungsamtes der Stadt S1 zwei Arbeitnehmerinnen angetroffen worden seien, die beide zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht zur Sozialversicherung gemeldet gewesen seien. Im Rahmen der am 08.10.2014 erfolgten Prüfung der Geschäftsunterlagen seien Lohnunterlagen vorgelegt worden, des Weiteren unterschriebene Arbeitsverträge, welche zum Teil rückwirkend gefertigt worden seien. Der Kläger sei seinen Verpflichtungen als Arbeitgeber nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Weder seien die vorgelegten Lohnaufzeichnungen vollständig gewesen noch habe er seine Meldepflichten vollständig erfüllt. Weil die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt worden sei, könne die Höhe der gezahlten Arbeitsentgelte nicht bzw. nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden. Arbeitsentgelte müssten teilweise geschätzt werden.
Die Beklagte führte weiter aus, sie habe insofern die Öffnungszeiten zugrunde gelegt, die sich im Ermittlungsverfahren ergeben hätten: Montag bis Freitag, 6:30 Uhr bis 0:00 Uhr und am Wochenende von 7:00 Uhr bis 0:00 Uhr. Sie habe aufgrund von Vernehmungen beschäftigter Arbeitnehmer, die für das Wochenende Öffnungszeiten bis 2:00 Uhr bzw. 3:00 Uhr angegeben hätten, zwar weitere Ermittlungen aufgenommen. Dennoch gehe sie zu Gunsten des Klägers von monatlich 526,5 abzudeckenden Arbeitsstunden aus. Mit dem gemeldeten Personal hätten sich die Öffnungszeiten des Lokals aber nicht abdecken lassen. Ausgehend von den Öffnungszeiten und einem gezahlten Mindestlohn von 5,00 Euro - obwohl sich aus den Unterlagen höhere Stundenlöhne von 6,00 Euro bis teilweise 7,50 Euro ergeben würden - und der Annahme, dass zeitgleich lediglich eine Kraft tätig gewesen sei - obwohl die Ermittlungen darauf schließen ließen, dass zumindest teilweise mehr als eine Person zeitgleich tätig gewesen sei - hätten in den Jahren 2012 und 2013 jeweils mindestens 31.590,00 Euro für Löhne anfallen müssen, für 2011 entsprechend anteilig 5.265 Euro. Löhne seien tatsächlich teilweise erheblich verspätet wie folgt abgerechnet worden: Für das Jahr 2011 2.100,00 Euro, für das Jahr 2012 15.972,00 Euro und für das Jahr 2013 12.357,00 Euro. Darin enthalten seien auch die an K2 C gezahlten Löhne, der laut dem vorgelegten Arbeitsvertrag als Spielhallenaufsicht tätig gewesen sei. Dies stehe allerdings im Widerspruch zu dessen Aussage im Rahmen einer richterlichen Vernehmung vom 05.09.2014, in der dieser ausgesagt habe, dass kein schriftlicher Arbeitsvertrag bestehe und er nicht in der Betriebsstätte in S1 tätig gewesen sei. Aufgrund dessen sei sein gemeldetes Entgelt für die Schätzung der Bemessungsgrundlage nicht berücksichtigt worden. Die Differenz zwischen den von dem Kläger bereits abgerechneten Entgelten und den sich aus den Öffnungszeiten ergebenden Mindestentgelten, abzüglich des individuell nachberechneten Arbeitsentgeltes für die Anzeigeerstatterin, ergebe die Schätzungsgrundlage als Lohnsumme. Zudem seien aufgrund der vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung Säumniszuschläge zu erheben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 03.07.2017 Widerspruch und verwies auf die bereits mit Schreiben vom 22.05.2015 vorgebrachten Einwendungen. Insbesondere seien die Arbeitszeiten des Klägers selbst und die seines Bruders nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.11.2018 als unbegründet zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass nach der Stellungnahme der vom 07.11.2011 bis zum 19.01.2012 im Betrieb beschäftigten Anzeigeerstatterin, diese von Montag bis Freitag in der Schicht von 6:30 Uhr bis 15:00 Uhr gearbeitet habe. Danach sei sie von einer anderen Arbeitnehmerin abgelöst worden, die von 15:00 Uhr bis 0:30 Uhr gearbeitet habe. Ein weiterer Zeuge habe im Ermittlungsverfahren ausgesagt, dass C1, der Bruder des Klägers, ab und zu im Betrieb gewesen sei, aber nicht mitgearbeitet habe. Eine weitere Zeugin, die von April 2012 bis Juli 2012 im Betrieb beschäftigt gewesen sei, habe angegeben, dass der Kläger täglich vor Ort gewesen sei, aber nicht mitgearbeitet habe. Der Betrieb habe nach ihren Angaben unter der Woche von 6:00 Uhr bis 24 Uhr und am Wochenende bis 2:00 Uhr bzw. 3:00 Uhr geöffnet. Einen C1 kenne sie nicht. C1 selbst habe angegeben, in einem Umfang von 30 bis 50 Stunden auszuhelfen, ohne klarzustellen, ob es sich um eine wöchentliche oder monatliche Zeitangabe handele. Er habe ferner angegeben, dass drei Mitarbeiter beschäftigt würden und sein Bruder in der Regel zwischen acht und zwölf Stunden mitarbeite. Auch hier seien keine Angaben gemacht worden, ob es sich um einen täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Wert handele. Aus den Zeugenaussagen ergebe sich, dass die Spielothek mindestens zu den auf dem Schild angegebenen Öffnungszeiten geöffnet gehabt habe und dass mindestens eine Arbeitskraft während der Öffnungszeiten dort anwesend gewesen sei. Eine Mitarbeit des Klägers bzw. des Zeugen C1 ergebe sich aus den Zeugenaussagen nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 20.12.2018 Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erheben lassen. Die streitgegenständlichen Bescheide seien nur auf Vermutungen und nicht nachgewiesene,
zumindest nicht nachvollziehbare Tatsachen gestützt worden. Dies beziehe sich insbesondere auf die immer wieder von der Beklagten behaupteten Öffnungszeiten. Generell sei zu den Zeugenaussagen auszuführen, dass nicht ersichtlich sei, wann und wo diese Zeugen ihre dahingehenden Aussagen gemacht haben sollen, geschweige denn, dass ihm die Gelegenheit gegeben worden sei, bei der Vernehmung anwesend zu sein, um entsprechende Fragen zu stellen. Man habe bereits im Schreiben vom 22.05.2017 darauf hingewiesen, dass die Spielothek wochentags nur bis 21:00 Uhr und sonntags in aller Regel maximal bis 23:00 Uhr geöffnet gehabt habe. Auch habe er bereits darauf hingewiesen, dass er selbst im Schnitt wöchentlich 50 Stunden in der Spielothek im Arbeitsansatz gewesen sei und sein Bruder durchschnittlich 20 Stunden pro Woche. Zudem könne die Berechnung nicht stimmen. Aus einem Betrag von 38.016,00 Euro könnten sich keine Versicherungsbeiträge i.H.v. 31.678,74 Euro ergeben.

Die Beklagte ist dem Begehren entgegen getreten und hat unter Wiederholung ihrer Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid erwidert, dass sie bei ihrer bisherigen Auffassung bleibe. Der Vortrag des Klägers werde als Schutzbehauptung gewertet. Im Übrigen sei sie zu Gunsten des Klägers bei der Berechnung der abzudeckenden Arbeitsstunden lediglich von den sich aus der Beschilderung ergebenden Öffnungszeiten ausgegangen. Sie weise zudem darauf hin, dass die Höhe der Beitragsforderung unter Anwendung der Lohnsteuerklasse VI berechnet worden sei. Dementsprechend habe sich die Beitragsbemessungsgrundlage im Vergleich zur reinen Bruttolohndifferenz erhöht.

Das SG hat sodann am 23.09.2021 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage unter Einvernahme von drei Zeugen durchgeführt. Auf das Sitzungsprotokoll (SG-Akte Bl. 68-69) wird insoweit Bezug genommen.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG dann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2021 abgewiesen. Die Beklagte habe vorliegend zu Recht vom Kläger Beiträge zur Sozialversicherung nachgefordert. Streitig sei vorliegend vor allem die Höhe der nachgeforderten Summe. Die von der Beklagten vorgenommene Schätzung sei nicht zu beanstanden.
Nach § 28f Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) habe der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten - getrennt nach Kalenderjahren - Entgeltunterlagen in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Habe ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und könne dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, könne die Beklagte nach § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Soweit die Beklagte die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln könne, habe sie diese gemäß § 28f Abs. 2 S. 3 SGB IV zu schätzen. Gemessen an diesen rechtlichen Maßstäben hätten die Voraussetzungen für eine Schätzung vorgelegen und die Beklagte habe die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geschätzt.
Die Lohnbuchhaltung des Klägers sei im hier streitgegenständlichen Zeitraum unvollständig gewesen. Dadurch sei der Kläger seiner gemäß § 28f Abs. 1 SGB IV obliegenden Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen und die Versicherungs- und Beitragspflichten sowie die Beitragshöhe seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer habe nicht festgestellt werden können. Es sei dann eine Schätzung geboten gewesen.
Im Rahmen dieser Schätzung habe sich die Beklagte - obgleich sich im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass einzelne Angestellte höhere Stundenlöhne bezogen hätten - zulässigerweise an einem Stundenlohn i.H.v. 5,00 Euro orientiert. Anhaltspunkte dafür, dass der Stundenlohn zu hoch angesetzt worden sei, bestünden nicht. Dies sei letztlich vom Kläger auch nicht behauptet worden.
Hinsichtlich der Öffnungszeiten habe sich die Beklagte - obwohl sich im Ermittlungsverfahren sogar Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Betrieb an den Wochenenden teilweise bis 2:00 Uhr bzw. 3:00 Uhr geöffnet gewesen sei - zulässigerweise an dem im Ermittlungsverfahren vor Ort fotografierten Schild "Neue Öffnungszeiten ab 2. Januar 2012" orientiert. Danach habe der Betrieb des Klägers montags bis freitags von 6:30 Uhr bis 0:00 Uhr und samstags und sonntags von 7:00 Uhr bis 0:00 Uhr geöffnet gehabt. Insoweit beziehe sich die Beklagte auch nicht, wie der Kläger vortrage, ausschließlich auf diverse Zeugenaussagen. Vielmehr beziehe sie sich zulässigerweise auf ein vom Kläger selbst erstelltes Schild über die Öffnungszeiten, dessen Inhalt von den im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen bestätigt worden sei. Die Bezugnahme auf die ausgewiesenen Öffnungszeiten gründe damit auf ermittelte Tatsachen, wobei sich der Verwaltungsaufwand als verhältnismäßig darstelle. Sodann sei die Beklagte sogar zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen, dass innerhalb der ausgewiesenen Öffnungszeiten jeweils nur eine angestellte Person alleine gearbeitet habe, obwohl beispielsweise bei der Kontrolle des Ordnungsamtes S1 zwei Arbeitnehmerinnen gleichzeitig gearbeitet hätten, was diese Einschätzung in Frage stelle, dem Kläger aber nicht zum Nachteil gereicht werden könne. Ausgehend von einem gezahlten Mindestlohn von 5,00 Euro, den ermittelten Öffnungszeiten und der Prämisse, dass jeweils eine angestellte Person gearbeitet habe, sowie abzüglich der für Angestellte des Betriebes tatsächlich gemeldeten Arbeitsentgelte habe die Beklagte sodann die Schätzung vorgenommen.
Nach § 28f Abs. 2 Satz 5 SGB IV habe die Beklagte den ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht bzw. Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Ein solcher Nachweis sei hier nicht erfolgt. Bis zuletzt habe der Kläger keine genaue Lohnbuchhaltung und auch im Übrigen keine sonstigen Unterlagen vorgelegt, aus denen sich nachträglich eine Versicherungs- oder Beitragspflicht bzw. Versicherungsfreiheit ergebe und in denen die Höhe der jeweiligen Arbeitsentgelte nachgewiesen worden seien. Damit hänge die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten vorgenommenen Schätzung gemäß § 28f Abs. 2 S. 2 SGB IV einzig davon ab, ob die Beitragshöhe ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt bzw. Arbeitsentgelt einem bestimmten Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin zugeordnet werden könne. Diese Verhältnismäßigkeit des Schätzbescheides könne auch im gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Wolle der Kläger als Arbeitgeber von einer niedrigeren Summe als der von der Beklagten geschätzten ausgehen, liege die Beweislast bei ihm: Der Arbeitgeber, der nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet habe, trage die objektive Beweislast dafür, dass statt einer Schätzung der eigentlich richtige Betrag ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden könne.
Diesen Nachweis habe der Kläger nicht führen können. Dass es möglich sein solle, nachzuweisen, dass der Betrieb - wie der Kläger in seiner Klagebegründung ausführt - wochentags nur bis 21:00 Uhr und sonntags in aller Regel maximal bis 23:00 Uhr geöffnet gehabt habe, habe im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht bestätigt werden können. Der Zeuge C1 habe zwar berichtet, dass der Betrieb am Ende des Monats früher geschlossen worden sein soll. Die Ausführungen hätten sich aber insgesamt im Vagen gehalten. Auf der Grundlage seiner Aussage habe gerade nicht ermittelt werden können, in welchen Monaten genau die Öffnungszeiten abgewichen haben sollten und um wie viele Stunden genau. Auch der Zeuge V1 habe lediglich vage davon berichtet, dass der Kläger an manchen Tagen früher geschlossen habe. Hinzu komme, dass keiner der Zeugen die vom Kläger in der Klagebegründung behaupteten Öffnungszeiten bestätigt habe. Des Weiteren habe der Kläger auch weiterhin keine genaue Lohnbuchhaltung vorgelegt. Auch die Zeugen hätten nicht bestätigen können, dass die nach Auffassung des Klägers richtigen Beiträge ohne unverhältnismäßig hohen Aufwand festgestellt werden könnten. Keiner der Zeugen habe auch nur annähernd dazu aussagen können, wer in dem streitgegenständlichen Zeitraum wann und in welchem Umfang gearbeitet habe und in welcher Höhe er bzw. sie bezahlt worden seien. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er bzw. der Zeuge C1 ebenfalls in einem hohen Umfang im Betrieb tätig gewesen seien und sich deshalb die Nachforderungssumme einschließlich der Säumniszuschläge zu reduzieren habe.
Zum einen habe er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum keine schriftlichen Nachweise dazu vorgelegt, wann und in welchem Umfang er bzw. der Zeuge C1 in dem Betrieb tätig gewesen seien. Hinsichtlich des Zeitraumes und des Umfangs der Mitarbeit wichen die Aussagen des Klägers und des Zeugen C1 auch erheblich voneinander ab. Der Kläger habe mitgeteilt, dass sein Bruder etwa seit Juni 2012 für ihn tätig sei. Der Zeuge C1 habe im Erörterungstermin mitgeteilt, dass er während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraumes für den Kläger gearbeitet habe, ab Mitte 2012 aber nur noch abends und an den Wochenenden. Der Kläger selbst habe schriftlich darauf hingewiesen, dass er im Schnitt wöchentlich 50 Stunden in der Spielothek im Arbeitseinsatz gewesen sei und sein Bruder durchschnittlich 20 Stunden pro Woche. Der Zeuge C1 habe dagegen berichtet, dass der Kläger zwischen 50 und 80 Stunden in der Woche gearbeitet habe und er selbst ca. 30 bis 50 Stunden in der Woche. Die Zeugen D1 und V1 hätten weiter keine Angaben zu den Arbeitszeiten des Klägers und des Zeugen C1 machen können. Unabhängig davon, dass der Umfang der Mitarbeit nicht feststellbar sei, könne zum anderen - was ganz maßgeblich sei - nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu Gunsten des Klägers festgestellt werden, dass er bzw. der Zeuge C1 ausschließlich in Abwesenheit anderer Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen tätig gewesen seien, sprich alleine in dem Betrieb gearbeitet hätten. In Betracht komme insoweit auch, dass sie jeweils zusätzlich zu einer angestellten Person (beispielsweise zur Aufsicht bzw. zum Leeren der Automaten) anwesend gewesen seien. Zweifel hieran bestünden, nachdem etwa der Zeuge D1 berichtet habe, dass vormittags - bei gleichzeitiger Anwesenheit des Klägers - eine S2 gearbeitet habe. Auch habe der Zeuge V1 mitgeteilt, dass teilweise andere Mitarbeiter gleichzeitig mit dem Kläger anwesend gewesen seien.
Dass statt einer Schätzung der eigentlich richtige Betrag ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden könnte, sei bei dieser Sachlage gerade nicht zu bejahen.
Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. der Vernehmung weiterer Zeugen bedürfe es nicht. Den durch Schreiben vom 29.01.2019 und vom 26.10.2021 gestellten Anträgen sei nicht nachzugehen gewesen, nachdem sich die angegebenen Beweismittel nicht auf eine bestimmte Tatsachenbehauptung bezogen hätten, die für die hier zu überprüfenden Bescheide von Relevanz wären.
Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sei für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt habe, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf fünfzig Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, auch angesichts der mit der Regelung verbundenen Zielsetzung (= Ausgleich dafür, dass die Beiträge den Versicherungsträger nicht rechtzeitig zur Verfügung gestanden und Druck auf die Beitragsschuldner, die Beiträge rechtzeitig zu entrichten) nicht.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 20.11.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.12.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung hat er u.a. ausführen lassen, dass es zwar sein möge, dass der Kläger in dem fraglichen Zeitraum November 2011 bis Dezember 2013 keine vollständigen Aufzeichnungen für die Buchhaltung über die angefallenen Arbeitszeiten gemacht habe und daher die Beklagte grundsätzlich zu einer entsprechenden Schätzung berechtigt gewesen sei. Dies könne aber nicht dazu führen, dass die Beklagte hierbei von Öffnungszeiten und Arbeitszeiten ausgehe ohne auf den dahingehenden konkreten Vortrag des Klägers einzugehen. Insbesondere seien die Öffnungszeiten vor allem gegen Monatsende deutlich kürzer gewesen. Auch sei nach wie vor nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger selbst und auch sein Bruder im Lokal mitgearbeitet hätten. Darüber hinaus weise man nochmals darauf hin, dass hinsichtlich der festgesetzten Säumniszuschläge ganz erhebliche Bedenken an deren Höhe bestünden, die immerhin einen Zinssatzsatz von 12% pro Jahr beinhalteten. In Anbetracht der schon seit längerem anhaltenden Niedrigzinsphase, erschiene dies keinesfalls rechtmäßig und vertretbar.
Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid sowie ihren bisherigen Vortrag.

Die Berichterstatterin hat am 08.03.2023 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes mit den Beteiligten durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Beklagte hat in diesem Termin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Mit Schreiben vom 05.04.2023 hat der inzwischen in die Türkei verzogene Kläger ebenfalls sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklären lassen.

Mit Beschluss vom 10.05.2023 sind die Einzugsstellen, die DAK- G2 (im Folgenden Beigeladene zu 1) und AOK R1/ S3 (im Folgenden Beigeladene zu 2) zum Verfahren beigeladen worden.

Die Beigeladene zu 1 hat mit Schreiben vom 15.05.2023 und die Beigeladene zu 2 hat am 30.05.2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und die auch im LSG-Verfahren beigezogenen Strafakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 17.11.2021 und der Bescheid vom 23.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte fordert damit zu Recht vom Kläger die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen inklusive Säumniszuschlägen in Höhe von 47.610,24 Euro.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für einen im Anschluss an eine Betriebsprüfung und die darin aufgrund einer Schätzung festgesetzte Beitragsforderung dargelegt (§ 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 sowie § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV) und zutreffend ausgeführt, dass vorliegend der Kläger als Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können, so dass die Beklagte den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen konnte (sog Summenbescheid). Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag im Berufungsverfahren. Der Kläger hat hier sogar letztlich selbst eingeräumt der Aufzeichnungspflicht nicht nachgekommen zu sein. Andere Erkenntnismöglichkeiten, aus denen sich die genaue Stundenanzahl aller Mitarbeiter ergibt, nennt er aber nicht und sind auch nicht ersichtlich. Wie das SG bereits ausgeführt hat, führt allein der Vortrag, das Lokal sei gelegentlich zum Ende des Monats früher geschlossen worden bzw. der Kläger selbst und sein Bruder hätten auch im Lokal mitgearbeitet, zu keinem anderen Ergebnis. Die Zeugen konnten diese Angaben zum einen zum Teil nicht bestätigen, nicht zuletzt war auch der Vortrag des Klägers vage und kann keinesfalls eine ausreichende Grundlage dafür bieten, um anhand dieser Angaben eine Festsetzung der Sozialversicherungsbeiträge vorzunehmen. Auch kann aus den gemachten Angaben nicht geschlossen werden, dass - selbst wenn der Kläger und sein Bruder tatsächlich im Lokal mitgearbeitet haben - zur selben Zeit nicht auch (teilweise) andere Mitarbeiter anwesend waren. Ein Nachweis für die tatsächlich geleisteten Stunden der Arbeitnehmer stellt dies nicht dar. Lohnaufzeichnungen sind nach wie vor nicht vorhanden, so dass auch nach dem Vortrag des Klägers und den Angaben der Zeugen, die Beklagte nicht in der Lage ist, die Höhe der Arbeitsentgelte festzustellen, so dass sie nach wie vor berechtigt ist, die Arbeitsentgelte zu schätzen (vgl. § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV). Die von der Beklagten herangezogenen Schätzungsgrundlagen sind nicht zu beanstanden. Nicht zuletzt wird die Schätzung selbst dann nicht rechtswidrig, wenn das Lokal an einzelnen Tagen möglicherweise früher geschlossen wurde. Denn zum einen ist nach den Zeugenaussagen nicht auszuschließen, dass es dafür an anderen Tagen länger als von der Beklagten zugrunde gelegt geöffnet war und zum anderen verkennt der Klägervertreter, dass bei einer Schätzung gerade keine genaue tagegenaue Bestimmung der Arbeitszeiten und - entgelte notwendig und auch nicht möglich ist.

Nicht zu beanstanden ist ferner die Festsetzung der Säumniszuschläge. Die Voraussetzungen des § 24 SGB IV liegen, wie das SG zu Recht festgestellt hat, vor. Der Senat hat auch keine Bedenken gegen diese Regelung aufgrund der über einige Jahre bestehenden Niedrigzinsphase. Denn Säumniszuschläge haben letztlich eine doppelte Funktion: Zum einen sollen sie zum Ausgleich des durch die verzögerte Beitragsentrichtung bewirkten Schadens insbesondere in Form des Zinsnachteils auf Seiten der Sozialleistungsträger dienen. Ihre Aufgabe beschränkt sich aber nicht auf einen den Ausgleich dieses Schadens. Lediglich ein Teil der nach § 24 SGB IV zu erhebenden Säumniszuschläge soll diesem Zweck dienen. Der restliche (jedenfalls angesichts der langjährigen Niedrigzinsphase deutlich überwiegende) Anteil soll hingegen eine zusätzliche Bestrafung bewirken. Die Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV beinhalten damit einerseits einen Anteil, der auf einen Ausgleich des Zinsnachteils auf Seiten der Sozialleistungsträger und des damit korrespondierenden Zinsvorteils auf Seiten des Beitragsschuldners gerichtet ist (Zinsausgleichskomponente) und zum anderen einen Anteil, der zielgerichtet im Sinne einer zusätzlichen Bestrafung den Pflichtverstoß auf Seiten des Beitragsschuldners sanktionieren soll (Strafkomponente). Insoweit verfolgen die Säumniszuschläge das Ziel einer Ahndung eines sozialethischen Fehlverhaltens in Form der Nichtbeachtung der Beitragsabführungsvorschriften. Gerade auch die Ausgestaltung eines Verschuldens als tatbestandliche Voraussetzung in § 24 Abs. 2 SGB IV bringt das den Säumniszuschlägen innewohnende sozialethische Unwerturteil zum Ausdruck (vgl. dazu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.07.2021 - L 2 BA 26/21 -, juris, Rn. 113,). Der Gesetzgeber hat dadurch eine effektive Maßnahme ergriffen, um Benachteiligungen von sich rechtstreu verhaltenen Unternehmen zu vermeiden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2018 - L 2 BA 39/18 -, juris). Nicht zuletzt dauert die Niedrigzinsphase inzwischen nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beigeladenen tragen gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Kosten aus Billigkeit dem unterliegenden Kläger aufzuerlegen, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 197a Rn. 29 m.w.N.).

Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht der streitigen Nachforderung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


 

Rechtskraft
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