Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.02.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der 1966 geborene Kläger ist gelernter Schreiner, absolvierte eine Umschulung zum Bürokaufmann und war als Dachdecker, Holzmechaniker, Produktionshelfer/-leiter, EDV-Dozent, Kraftfahrer und zuletzt als Disponent versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 28.06.2017 ist er arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 90 seit 10.02.2020 anerkannt bei den Funktionsbeeinträchtigungen Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Migräne, Persönlichkeitsstörung, Depression, Verhaltensstörungen, Schlafapnoe-Syndrom, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten, Leberschaden, Bluthochdruck und Schuppenflechte.
Vom 29.11.2017 bis 10.01.2018 wurde der Kläger stationär in der Privatklinik G1 behandelt. Im Entlassbrief vom 12.01.2018 wurden als Diagnosen eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, psychische und Verhaltensstörungen durch Amphetamine, Abhängigkeitssyndrom, psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein: Entzugssyndrom sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung genannt (Bl. 500 - 503 eVerwA Sozialmedizin). Im Anschluss war der Kläger vom 14.02.2018 bis 20.04.2018 in teilstationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie der Uniklinik H1. Dort zeigte sich im Behandlungsverlauf eine deutliche Verbesserung der depressiven Episode ohne Eigen- und Fremdgefährdung mit zum Entlasszeitpunkt noch verminderter Belastbarkeit und leichtgradiger Einschränkung der Konzentration (vorläufiger Entlassbrief v. 18.04.2018).
In einer sozialmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage der Agentur für Arbeit H1 vom 22.11.2018 kam W1 zu dem Ergebnis, dass der Kläger täglich weniger als 3 Stunden leistungsfähig sei.
Am 29.11.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Vom 18.01.2019 bis 30.01.2019 war der Kläger wegen einer schweren Episode der rezidivierenden depressiven Störung erneut in teilstationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie der Uniklinik H1. Im Verlauf zeigte sich eine Teilremission (vorl. Arztbrief v. 30.01.2019).
Die Beklagte ließ den Kläger durch den B1 am 08.04.2019 begutachten. In seinem Gutachten vom 06.05.2019 diagnostizierte dieser eine Persönlichkeitsstörung, zurückliegende Spielsucht und zurückliegenden Amphetamin-Abusus. In der Untersuchung zeigten sich Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit ungestört. Der Gutachter sah keinen Hinweis auf eine hirnorganische Leistungsstörung oder anders begründete kognitive Störung. Eine richtungsweisende überdauernde depressive Symptomatik sei nicht abzubilden. Aus der Differenz zwischen Beschwerdeschilderung und Beobachtungen während der Begutachtung sowie aus dem Beschwerde-Validierungstest ergäben sich erhebliche Hinweise für negative Antwortverzerrungen bzw. simulative Tendenzen. Es bestehe ein Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen sowie Tätigkeiten unter Zeitdruck, in regelmäßiger nervöser Anspannung, mit besonderer Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit fordernden sozialen Interaktionen und mit Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht. Eine Tätigkeit als Sachbearbeiter sei nicht ausgeschlossen. K1 schloss sich dieser Einschätzung in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 16.05.2019 an.
Mit Bescheid vom 23.05.2019 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab und führte aus, beim Kläger lägen folgende Erkrankungen vor: Persönlichkeitsstörung, pathologisches Spielen, psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, Adipositas, Z.n. Spondylodese-Operation Halswirbelkörper 5-7 mit noch rezidivierend angegebenen Schulter-/Armbeschwerden links, Z.n. Schultergelenkseingriffen beidseits 2006, essentielle Hypertonie, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Er könne noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein.
Mit Widerspruch vom 04.06.2019 machte der Kläger unter Vorlage eines Attests seines behandelnden S1 vom 24.10.2019 geltend, er leide ausweislich der Berichte der behandelnden Ärzte an einer schweren Depression und sei nicht kommunikationsfähig. Er benötige Begleitung für alles. Wenn er unter Menschen gehe, bekomme er Panikattacken. Es seien Gedächtnislücken im Lang- und Kurzzeitgedächtnis beschrieben worden sowie eine Antriebsarmut. Er könne selbst einfachste Tätigkeiten nicht 6-stündig täglich ausüben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2019, zugestellt an die Klägerbevollmächtigte am 04.12.2019, wies die Beklagte den Widerspruch nach Einholung einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme zurück. Ausweislich des Gutachtens von B1, des Gutachtens der Agentur für Arbeit und der beigezogenen Arztberichte leide der Kläger an folgenden Gesundheitsstörungen: Zustand nach rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig remittiert, dissoziale Persönlichkeitsstörung, vorbeschriebene Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung, obstruktives Schlafapnoesyndrom, Zustand nach Amphetaminmissbrauch, Spielsucht kompensiert, Bluthochdruck, Adipositas, Zustand nach Spondylodese Halswirbelsäule 2016, Zustand nach Schulteroperation beidseits. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Dem Kläger seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ständig im Stehen, ständig im Gehen, ständig im Sitzen, in Tagesschicht, in Frühschicht/Spätschicht, ohne häufige Rumpf-Zwangshaltungen, ohne häufiges Knien/Hocken, ohne häufiges Überkopfarbeiten, ohne besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, ohne Einbindung in komplexe Arbeitsvorgänge, ohne Akkord und taktgebundene Arbeit sowie ohne besonderen Zeitdruck 6 Stunden und mehr täglich zumutbar. Als Disponent sei er noch 6 Stunden und mehr einsatzfähig.
Am 02.01.2020 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Das SG hat den S1 sowie den S2 schriftlich als Zeugen befragt.
S1 hat in seiner Auskunft vom 16.03.2020 geschildert, der Kläger leide an einer rezidivierend depressiven Störung gegenwärtig mit schwerer Episode, im gesamten Behandlungszeitraum seit September 2017 nie vollständig remittend, einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, ADHS, Z.n. multiplem Substanzkonsum, Z.n. Suizidversuch 1989, obstruktiver Schlafapnoe und wechselnd ausgeprägter rezidivierender Gastritis. Trotz verschiedentlicher Behandlungsbemühungen sei es nicht zu einer wesentlichen Zustandsbesserung gekommen. Wegen Konzentrationsminderung, rascher Erschöpfbarkeit, Stressintoleranz, ausgeprägter psychomotorischer Unruhe, verminderter Fokussierungsfähigkeit, weitgehend aufgehobenen Durchhaltevermögens u.a. könne der Kläger keine 3 Stunden täglich mehr arbeiten.
. S2 hat am 07.04.2020 angegeben, im Vordergrund stünden die psychischen Beschwerden. Es sei widerholt zu Panikattacken gekommen. Seit einiger Zeit sei der Kläger stark antriebsgehemmt und gehe nicht mehr aus dem Haus. Zudem bestünden persistierende Rückenschmerzen, eine operierte Spinalkanalstenose der HWS, Schulterbeschwerden, Schlafapnoe und Hypertonus. Der psychische Zustand habe sich seit 2018 verschlechtert. Der Kläger könne sich nicht motivieren, liege fast den ganzen Tag auf der Couch, habe deutlich an Gewicht zugenommen und klage über Vergesslichkeit. Der Kläger sei nicht in der Lage, eine Berufstätigkeit auszuüben.
Das SG hat zudem beim Amtsgericht S3 – Betreuungsgericht das Kurzgutachten zur Einrichtung einer Betreuung des F1, Universitätsklinikum H1, Zentrum für Psychosoziale Medizin, vom 12.03.2019 bei einer letzten Untersuchung am 31.01.2019 beigezogen. Darin ist eine Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern befürwortet worden. Der Kläger hat zudem ein Gutachten des MDK vom 17.04.2020 vorgelegt, in dem ein Pflegegrad 2 seit 01.03.2020 empfohlen wird.
Das SG hat sodann von Amts wegen ein Gutachten durch die S4 vom 29.09.2020 aufgrund einer Untersuchung am 16.09.2020 eingeholt. Die Gutachterin hat eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien: Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Die kognitiven Funktionen seien nicht beeinträchtigt. Es liege eine gute Auffassungsgabe vor. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen seien gut, die Gedächtnisfunktion ungestört. Der formale Gedankengang sei ungestört. Eine depressive Symptomatik lasse sich im Untersuchungsbefund insgesamt nicht feststellen. Die Grundstimmung sei ausgeglichen, die affektive Resonanzfähigkeit gut. Ein Versagens- oder Insuffizienzerleben lasse sich nicht erfassen; Gestik und Mimik seien durchgehend normal lebendig, eine Antriebstörung liege nicht vor. Andere psychotische Symptome hat die Gutachterin ebenfalls nicht feststellen können. Insgesamt liege ein psychopathologischer Normalbefund vor. In der erweiterten Diagnostik zur Persönlichkeit würden ausreichend Kriterien für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorliegen. Die von dem Kläger geschilderten ganz erheblichen psychischen Beeinträchtigungen ließen sich nicht stimmig mit dem erhobenen psychischen Befund in Deckung bringen. Insbesondere die geschilderte schwere Antriebsstörung lasse sich nicht i.S.e. psychischen Störung im Befund wiederfinden. Noch möglich seien leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zeit- und Leistungsdruck wie Akkordarbeit, Fließbandarbeit und ohne Änderung des Tag-Nachtrhythmus, keine Tätigkeiten mit hoher Verantwortung wie Tätigkeiten in Leitung und Führung oder solche, die ein besonders hohes Einfühlungsvermögen erforderten. Aufgrund der Abhängigkeitserkrankung seien Tätigkeiten mit erleichtertem Zugang zu Medikamenten auszuschließen. Diese Tätigkeiten könnten bis zu 8 Stunden täglich ausgeübt werden.
Vom 05.11.2020 bis 17.12.2020 hat sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie der Uniklinik H1 befunden (Arztbrief v. 12.01.2021).
Das SG hat ferner auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers nach § 109 SGG beim H2 ein Gutachten mit Untersuchungen des Klägers am 21.04.2021 und 12.05.2021 eingeholt. In seinem am 29.07.2021 erstatteten Gutachten diagnostizierte H2 eine rezidivierende depressive Störung, zum Untersuchungszeitpunkt mittel- bis schwergradige Episode, DD: bipolare Störung, ADHS im Erwachsenenalter, dissoziale Persönlichkeitsstörung, Z.n. Polytoxikomanie. Im psychopathologischen Befund hat H2 den Kläger während beider Untersuchungstermine als psychomotorisch unruhig beschrieben, während der ersten Untersuchung stärker als während der zweiten. Die Kontaktaufnahme sei möglich, wobei während der ersten Untersuchung eine deutliche Hemmung bestanden habe, der Kläger während der zweiten Untersuchung besser erreichbar und sein Bericht flüssiger gewesen sei. Während der ersten Untersuchung sei die Aufmerksamkeitsleistung sowie die Konzentrationsfähigkeit deutlich beeinträchtigt, während der zweiten Untersuchung sei diese im geringeren Maße zu diagnostizieren. Der Kläger sei während der ersten Untersuchung spürbar gedrückt, während der zweiten Untersuchung subdepressiv. Während der ersten Untersuchung sei er deutlich emotional eingeschränkt schwingungsfähig, nahezu flach, während der zweiten Untersuchung emotional besser spürbar und affektiv reagibler. Der formale Gedankengang sei während der ersten Untersuchung teilweise gehemmt, während der zweiten Untersuchung geordneter gewesen. Es habe sich kein Hinweis auf inhaltliche Denkstörung, Sinnestäuschung oder Ich-Störung gezeigt. Der Kläger könne aufgrund seiner Störungsbilder und der in diesem Zusammenhang zu betrachtenden psychopathologischen Befunde nur noch unter 3 Stunden täglich arbeiten. Bei ihm bestehe seit 2017 eine rezidivierende depressive Störung, aufgrund derer er sich seitdem in kontinuierlicher Behandlung befinde und mehrfach stationär aufgenommen worden sei. Es sei durchaus möglich, dass sich bei den Begutachtungen durch B1 und S4 ein Normalbefund gezeigt habe. Dies entspreche dem möglichen Verlauf eine rezidivierenden depressiven Störung. Im Längsschnitt zeige sich jedoch ein Krankheitsgeschehen, welches keine anhaltende Remission zeige.
Sodann hat das SG die S4 unter Vorlage des Gutachtens von H2 um ergänzende Stellungnahme gebeten. In ihrer Stellungnahme vom 19.08.2021 hat sie darauf hingewiesen, dass durch H2 keine Überprüfung der Angaben des Klägers und insbesondere kein Drogenscreening erfolgt sei. Nur so könne ausgeschlossen werden, dass das Verhalten des Klägers bei der Begutachtung nicht auf einen aktuellen Substanzmittelgebrauch zurückzuführen sei und sich einer depressiven Störung zuordnen lasse. Ebenso sei der Serumspiegel der angegebenen Medikamente nicht überprüft worden. Eine Plausibilitätsprüfung habe der Gutachter ebenfalls nicht vorgenommen. Zudem begründe das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung alleine noch keine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens. Es hänge vom jeweiligen Verlauf der Störung und der Häufigkeit der Episoden ab, ob in der überwiegenden Zeit das Leistungsvermögen erheblich gemindert sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.02.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Gutachten von S4 und B1 gestützt. Beim Kläger lägen eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, rezidivierende depressive Störung, psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien: Abhängigkeitssyndrom, ausgeprägtere degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule bei Z. n. Versteifungsoperation Halswirbelkörper 5 - 7 2016 und bei Z. n. Schultergelenkseingriffen beidseitig 2006, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, Bluthochdruck, Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 vor. Diese Beeinträchtigungen führten jedoch nur zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Die behandelnden S1 und S2 hätten keinen gutachterlich objektivierbaren Befund mitgeteilt, der die von ihnen unter Hinweis auf das psychiatrische Fachgebiet behauptete quantitative Leistungsminderung stütze. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen S4 ließen sich keine Beeinträchtigungen im Bereich der kognitiven Funktionen objektivieren, die eine rentenrelevante quantitative Minderung des arbeitstäglichen Leistungsvermögens begründen könnten. Die Ausführungen von H2, wonach der Kläger nur unter 3 Stunden täglich arbeiten könne, seien nicht nachvollziehbar. Es mangele dem Gutachten an der Durchführung einer Plausibilitätsprüfung wie beispielsweise der Bestimmung der Serumspiegel für die angegebenen Medikamente. Bei nicht objektivierten subjektiven Beschwerdeangaben und nicht überzeugenden Anknüpfungstatsachen könnten den Ausführungen des H2 keine überzeugenden Anhaltspunkte für eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung entnommen werden. Dies stehe im Einklang mit dem Gutachten von F1, der bei vorbeschriebener Überschuldung nur eine Betreuung in finanziellen Angelegenheiten, aber nicht gegen den Willen des Klägers für erforderlich erachtet habe. Bei dem MDK-Pflegegutachten vom 17.04.2020 handele es sich nicht um ein ärztliches Gutachten und es sei überdies ohne persönliche Untersuchung des Klägers nach Aktenlage erstellt worden.
Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigten am 26.02.2022 zugestellte Urteil am 03.03.2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und erneut das Pflegegutachten vom 17.04.2020 sowie einen Zwischenbericht des PZN W2 vom 21.03.2022 vorgelegt. Die Einwände von S4 gegen das Gutachten von H2 seien nicht nachvollziehbar. Zwischenzeitlich sei bei ihm Pflegegrad 2 festgestellt worden. Zudem sei er seit dem 25.02.2022 aufgrund von suizidalen Absichten stationär im PZN W2.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.02.2022 sowie den Bescheid vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von N1 vom 06.05.2022 für zutreffend.
Der Senat hat den Entlassbericht vom 27.04.2022 über den stationären Aufenthalt des Klägers im PZN W2 vom 25.02.2022 bis 27.04.2022 zur Akte genommen. Darin ist eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert worden mit notfallmäßiger Aufnahme bei konkreter Suizidabsicht. Im Verlauf wird eine Besserung der Symptomatik mit Rückgang der Depressivität beschrieben.
Der Senat hat ein neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten von G2 eingeholt, der den Kläger am 30.09.2022 und 04.10.2022 untersucht hat. In seinem am 07.11.2022 erstellten Gutachten ist G2 unter Berücksichtigung der Aggravations-/Simulationsdiagnostik auf nervenärztlichem Fachgebiet von einer Dysthymia mit leicht gedrückter Stimmung, leicht verminderter Aktivität, sozialem Rückzug und vermindertem Interesse, einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert mit anhand der Vorbefunde nachzuvollziehenden depressiven Episoden 2017/18, 2018/19 und Ende 2020 sowie einem Abhängigkeitssyndrom bei Störungen durch multiplen Substanzgebrauch, nach eigenen Angaben gegenwärtig abstinent ausgegangen. Der Kläger könne körperlich und geistige Tätigkeiten unter diversen qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Zu meiden seien Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit, unter besonderer nervlicher Beanspruchung, mit besonderer Verantwortung für Menschen und Maschinen, mit Publikumsverkehr, in Nacht- oder Wechselschicht, auf Leitern oder Gerüsten, an laufenden Maschinen mit Verletzungsgefahr oder in Griffnähe zu psychotrop wirksamen Substanzen.
Der Kläger hat ein Attest des behandelnden S1 vom 30.11.2022 sowie einen Bericht vom 03.02.2022 vorgelegt. Der Senat hat den Entlassbericht über einen erneuten stationären bzw. teilstationären Aufenthalt des Klägers vom 29.11.2022 bis 20.12.2022 bzw. 21.12.2022 bis 03.01.2023 aufgrund einer schweren depressiven Episode mit suizidalen Gedanken beigezogen und eine Auskunft von S1 vom 06.02.2023 eingeholt. Diese Unterlagen hat der Senat G2 zur ergänzenden Stellungnahme vorgelegt. In seiner Stellungnahme vom 24.02.2023 hat G2 an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche - ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage ist, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter den in den Sachverständigengutachten genannten qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers betrifft das psychiatrische Fachgebiet. Der Kläger leidet hauptsächlich an einer rezidivierenden depressiven Störung in wechselnder Ausprägung. Zudem besteht bei ihm ein Abhängigkeitssyndrom mit Z.n. Amphetaminmissbrauch und Spielsucht. Dies entnimmt der Senat dem Verwaltungsgutachten von B1, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, den Gerichtsgutachten von S4, H2 und G2 sowie den Entlassberichten über die stationären Aufenthalte des Klägers in den Jahren 2017/18, 2020 und 2022. In sämtlichen Berichten wird über einen stationären Aufenthalt des Klägers bei einer akuten depressiven Phase im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung berichtet. Sämtliche Gutachter sowie S1 haben ein bestehendes Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert.
Der Senat stellt fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden psychiatrischen Beeinträchtigungen nicht zu einer Absenkung des Leistungsvermögens selbst für leichte körperliche Tätigkeiten auf unter 6 Stunden täglich führen. B1 hat zum Zeitpunkt seiner Begutachtung am 08.04.2019 keine richtungsweisende überdauernde depressive Symptomatik gesehen. Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit sind ungestört gewesen. S4 hat bei ihrer Untersuchung am 16.09.2020 ebenfalls keine aktuelle depressive Symptomatik feststellen können. Dies deckt sich damit, dass im Entlassbericht vom 12.01.2018 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 29.11.2017 bis 10.01.2018 und im Entlassbericht vom 18.04.2018 über den teilstationären Aufenthalt vom 14.02.2018 bis 20.04.2018 in der Klinik für Psychiatrie der Uniklinik H1 von einer deutlichen Besserung der zur stationären Aufnahme führenden schweren depressiven Episode berichtet wird. Erst vom 05.11.2020 bis 17.12.2020 ist es wieder zu einer stationären Aufnahme aufgrund einer durch die negativen Gutachten ausgelösten mittelgradigen depressiven Episode gekommen, die sich jedoch ausweislich des Entlassberichts vom 12.01.2021 nach Umstellung der Medikation gebessert hat. Im Rahmen der Begutachtung durch H2 hat der Gutachter bei zweimaliger Untersuchung bei der ersten Untersuchung am 21.04.2021 eine deutliche Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit sowie eine spürbar gedrückte Stimmung des Klägers festgestellt, während bei der zweiten Untersuchung am 12.05.2021 eine bessere Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit sowie nur noch eine sudepressive Stimmungslage zu finden gewesen ist. Vom 25.02.2022 bis 27.04.2022 ist der Kläger erneut aufgrund einer schweren depressiven Episode mit Suizidgedanken in stationärer Behandlung im PZN W2 gewesen, wobei als Auslöser das klageabweisende Urteil und das damit verbundene Ungerechtigkeitserleben gesehen worden ist. Im Verlauf hat sich unter Änderung der Medikation eine rasche und deutliche Besserung der psychischen Situation gezeigt. Damit übereinstimmend hat G2 bei seinen Begutachtungen am 30.09.2022 und 04.10.2022 ebenfalls nur eine leicht gedrückte Stimmung mit leicht verminderter Aktivität gesehen und eine gegenwärtige Remission der rezidivierenden depressiven Störung gesehen. Der erneute stationäre bzw. teilstationäre Aufenthalt vom 29.11.2020 bis 03.01.2023 ist wiederum aufgrund einer schweren depressiven Episode mit Suizidgedanken, ausgelöst durch das negative Gutachten von G2, erfolgt. Auch hier hat sich im Behandlungsverlauf eine deutliche Besserung der Befunde gezeigt.
Bei der Beurteilung von psychischen Erkrankungen ist eine längsschnittliche Betrachtung angezeigt, um die Entwicklung der Erkrankung und ihre Auswirkungen auf das Leben und das Erwerbsvermögen der bzw. des Erkrankten erkennen und nachzeichnen zu können. Dabei kann sich die sozialmedizinische Beurteilung nicht nur auf den aktuellen psychischen Befund stützen, sondern muss in der Zusammenschau aller erhobenen Befunde und Informationen erfolgen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.01.2021 – L 21 R 597/20 -, juris). Aufgrund der oben dargestellten Befunde zeigt sich ein phasenhafter Verlauf der Erkrankung mit zwischenzeitlicher längerdauernden vollkommener Remission. Die letzten stationären Aufenthalte sind ausweislich der Entlassbriefe ausschließlich durch im Gerichtsverfahren vom Kläger als negativ und kränkend empfundene Beurteilungen und daraufhin folgende depressive Episoden mit Suizidgedanken ausgelöst worden. Im Längsschnitt zeigt sich daher in Übereinstimmung mit B1, S4 und G2 unter Berücksichtigung der stabilen Phasen ein wenigstens 6-stündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung der von den Gutachtern beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen, namentlich Tätigkeiten ohne Zeit- und Leistungsdruck wie Akkordarbeit, Fließbandarbeit und ohne Änderung des Tag- Nachtrhythmus, keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit oder unter besonderer nervlicher Beanspruchung, mit besonderer Verantwortung für Menschen und Maschinen, mit Publikumsverkehr, auf Leitern oder Gerüsten, an laufenden Maschinen mit Verletzungsgefahr oder mit erleichtertem Zugang zu Medikamenten. Dem Abhängigkeitssyndrom wird durch diese quantitative Einschränkung ausreichend Rechnung getragen.
Die Gutachter G2 und S4 haben nachvollziehbar in ihren Gutachten auf die Inkonstistenz der Beschwerdeangaben des Klägers hingewiesen und entsprechende Hinweise auf Aggravation berücksichtigt. Dagegen hat H2 in seiner Einschätzung der Leistungsfähigkeit auf eine Beschwerdevalidierung verzichtet, weshalb der Senat sich seiner Einschätzung nicht anschließt, sondern der Einschätzung von S4 und G2 folgt, die sich mit der Einschätzung von B1 im Verwaltungsverfahren deckt.
Bei den von sämtlichen Gutachtern beschriebenen Leistungseinschränkungen handelt es sich auch weder um eine Summierung mehrerer ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, noch liegt eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, welche ausnahmsweise – trotz vollschichtigen Leistungsvermögens – die Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit und – falls dies nicht möglich ist – einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach sich ziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R -, juris m.w.Nw.). Nach Überzeugung des Senats sind die beim Kläger vorliegenden Leistungseinschränkungen weder als ungewöhnlich noch als spezifisch zu bezeichnen.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere die Gutachten von S4 und G2 haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO).
Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem 1966 geborenen Kläger schon aus Rechtsgründen nicht zu (§ 240 Abs. 1 SGB VI).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.