1. Ist ein Leistungserbringer nicht aufgrund einer Vereinbarung mit dem Leistungsträger im „eingliederungshilferechtlichen Dreiecksverhältnis“ zur vollständigen Bedarfsdeckung verpflichtet, hat der Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen über zusätzliche Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung der „Bedarfslücke“ zu entscheiden (§ 123 Abs. 5 Satz 1 SGB IX).
2. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Vereinbarung ganz fehlt, nichtig ist - z.B. wegen Verstoßes gegen § 125 SGB IX (§§ 58 Abs. 1 SGB I, 134 BGB) - oder lediglich die im Einzelfall tatsächlich erforderliche bedarfsgerechte Leistung nicht erfasst.
3. Ist eine vollständige Bedarfsdeckung im Rahmen einer Vereinbarung – etwa durch einen anderen Leistungserbringer - objektiv unmöglich oder dem Leistungsberechtigten subjektiv unzumutbar, ist regelmäßig von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen.
- Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vom 01.11.2022 bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung über ihren Überprüfungsantrag vom 02.05.2022, längstens jedoch zunächst bis zum 31.01.2023, Eingliederungshilfe als Geldleistung in Höhe von höchstens 1.500,00 € monatlich zum Zweck der Beschaffung persönlicher Assistenz (face to face) im Umfang von bis zu 5 Stunden wöchentlich durch den Beigeladenen oder einen anderen geeigneten Leistungserbringer zu zahlen. Die Zahlung hat jeweils unverzüglich nach Rechnungsstellung nach Wahl des Antragsgegners entweder an die Antragstellerin oder direkt an den Leistungserbringer zu erfolgen; der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zugleich über die Person des Zahlungsempfängers zu informieren.
- Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
- Der Antragsgegner hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zu umfangreicheren Eingliederungshilfeleistungen im Wege der einstweiligen Anordnung.
Die 1991 geborene Antragstellerin ist insbesondere aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung unstreitig dem Grunde nach leistungsberechtigt i.S.v. § 99 Abs. 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Bis Mai 2021 lebte sie in T. und erhielt vom Antragsgegner Leistungen der Eingliederungshilfe in Form Ambulant Betreuten Wohnens. Zuletzt wurden diese mit Bescheid vom 04.11.2020 als „Assistenzleistungen außerhalb einer besonderen Wohnform“ mit einer Vergütung an den Leistungserbringer in Höhe von monatlich 1.478,00 € bewilligt. Die Antragstellerin gibt in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 28.07.2022 an, der Leistungserbringer in T. habe ihr in einem Umfang von 5 Stunden wöchentlich Assistenz in persönlichem Kontakt erbracht. Zum 21.05.2021 zog die Antragstellerin in eine Wohngemeinschaft nach R. Mit Bescheid vom 29.12.2021 bewilligte der Antragsgegner ihr „Assistenzleistungen außerhalb einer besonderen Wohnform nach § 102 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX“ durch den Beigeladenen für die Zeit vom 01.01.2022 bis auf Weiteres mit einer Vergütung von derzeit 712,99 € „gemäß § 6 Übergangsvereinbarung“ sowie unter Bezugnahme auf einen (erst) auf den 22.01.2022 datierten Gesamtplan.
Mit Schreiben vom 02.05.2022 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Gesamtplan und beantragte die Überprüfung des Bescheides vom 29.12.2021, da die Leistungen, die sie erhalte, nicht ausreichen würden. Sie beantragte, dass der Umfang der Leistungen im Gesamtplan genannt werde, wie es auch im Gesetz stehe (§ 121 Abs. 4 SGB IX). Sie benötige pro Woche 5 Stunden Unterstützung. Der Beigeladene habe ihr aber mitgeteilt, dass der Bescheid vom 29.12.2021 nur 1,5 Stunden pro Woche beinhalte. Hierauf teilte der Antragsgegner unter dem 25.05.2022 per Email mit, dass die Widerspruchsfrist gegen den Gesamtplan bzw. den Bescheid vom 29.12.2021 bereits verstrichen sei. Im Rahmen des Gesamtplanverfahrens werde jedoch eine Bedarfsüberprüfung durchgeführt. Selbst wenn jedoch eine höhere Stundenzahl an Unterstützung im Gesamtplan aufgeführt werde und der Beigeladene die Assistenzleistungen erbringe, so der Antragsgegner weiter, werde es zu keiner höheren Vergütung kommen. Denn mit der vereinbarten Pauschale würden eine Vielzahl von Personen und Hilfebedarfen abgedeckt. Es liege somit im Verantwortungsbereich des Beigeladenen, ob er z.B. einen Monat 1,5 Stunden Unterstützung leiste und in einem anderen Monat mehr.
Weder der Widerspruch noch der Überprüfungsantrag vom 02.05.2022 wurden bislang verbeschieden. Am 29.07.2022 beantragte die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte beim Sozialgericht Freiburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt (Schriftsatz vom 14.10.2022),
- den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, a) den Bescheid vom 29.12.2021 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen und stattdessen Leistungen der Eingliederungshilfe als Geldleistung gem. § 105 SGB IX in Höhe von mindestens 1.500,00 € monatlich – hilfsweise: einen Vorschuss auf diese Leistung in angemessener Höhe, § 42 SGB des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) - zu bewilligen, b) die Antragstellerin gem. § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX durch geeignete Maßnahmen bei der Inanspruchnahme der Leistungen durch den Beigeladenen zu unterstützen;
- hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Gesamtplan nach § 121 SGB IX vom 11.01.2022 dahingehend abzuändern, dass der Umfang der Leistungen im Gesamtplan genannt und auf 5 Stunden pro Woche der persönlichen Unterstützung (face to face) festgesetzt wird;
- höchst hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Bescheid vom 29.12.2021 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen und Leistungen der Eingliederungshilfe in Form individueller Assistenz im Umfang von 5 Stunden pro Woche der persönlichen Unterstützung (face to face) als Sachleistung (§ 123 Abs. 1 S. 1 SGB IX) durch einen geeigneten Leistungserbringer zu bewilligen.
Der Antragsgegner und der Beigeladene beantragen,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Verfahrensakte des Gerichts Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf die Gerichtsakte und die vom Antragsgegner vorgelegte Verwaltungsakte, insbesondere deren Seiten 457 bis 833, verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und wie aus dem Tenor ersichtlich teilweise begründet. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
Hier ist, da die Antragstellerin die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zu (weiteren) Leistungen begehrt, die Rechtsschutzform der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt die - grundsätzlich lediglich summarisch zu prüfende - Erfolgsaussicht in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung <ZPO>). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je wahrscheinlicher der Erfolg in der Hauptsache, desto geringer können die Anforderungen an den Anordnungsgrund sein und umgekehrt. Völlig fehlen darf aber keine der beiden Voraussetzungen. Auch sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind wegen des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechts-schutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte dem bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (BVerfG, Beschl. v. 06.08.2014, Az. 1 BvR 1453/12, <juris>). Soweit nach Überzeugung des Gerichts Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind, bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Anordnungszwecks erforderlich sind (§ 938 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG). Es kann insbesondere die einstweilige Anordnung von einer Sicherheitsleistung oder sonstigen Mitwirkungshandlungen des Antragstellers zur Vermeidung dem Antragsgegner drohender Nachteile abhängig machen (§ 921 ZPO in entsprechender Anwendung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Entgegen den vom Antragsgegner bzw. vom Beigeladenen geäußerten Bedenken steht der Zulässigkeit des Antrags weder die für die Antragstellerin bestehende Betreuung entgegen (diese berührt die Geschäfts- und Prozessfähigkeit der Antragstellerin mangels Einwilligungsvorbehalts nicht, s. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13.A. 2020, § 71 Rn. 4), noch fehlt es wegen des Bedarfsfeststellungs- bzw. Überprüfungsverfahrens an einem Rechtsschutzbedürfnis: Die Befassung der Behörde lässt das Rechtsschutzbedürfnis für gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz nicht entfallen, wenn das Rechtsschutzziel hierdurch nicht rechtzeitig erreicht werden kann und die Zeitnot nicht aufgrund des Verhaltens des Rechtsschutzsuchenden eingetreten ist (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1.A. 2017, § 86b SGG, Rn. 109-112, m.w.N.). So liegen die Dinge hier, denn Widerspruch und Überprüfungsantrag der Antragstellerin vom 02.05.2022 wurden nunmehr seit fast einem halben Jahr nicht verbeschieden, ohne dass dies allein oder auch nur wesentlich von der Antragstellerin zu vertreten wäre.
Ein Anordnungsanspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Eingliederungshilfe als Geldleistung ist glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin erhielt an ihrem früheren Wohnort T. persönliche Assistenz im wöchentlichen Umfang zwischen 4 Stunden 7 Minuten (Hilfeplan vom 09.09.2019, S. 63 Vw.A.) bzw. 4 Stunden 11 Minuten zuzüglich punktueller Mehrstunden in Krisenzeiten (Feststellung des Antragsgegners, S. 815f. Vw.A.) und 5 Stunden (eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 28.07.2022). Im Entwicklungsbericht des Beigeladenen vom 13.07.2022 wird ein objektiver persönlicher Assistenzbedarf von 4 Wochenstunden angenommen. Laut Attest der behandelnden Psychotherapeutin N. L. vom 29.07.2022 liegt dieser bei „mindestens 5h/Woche“. Das Gericht hält es daher für wahrscheinlich, dass die Antragstellerin gegenwärtig objektiv einer persönlichen Assistenz im Umfang von mindestens 4 bis 5 Stunden bedarf. Der Beigeladene erbringt - soweit ersichtlich unstreitig - tatsächlich lediglich 1 bis 1,5 Stunden persönlicher Assistenz wöchentlich. Der objektiv bestehende Bedarf wird also lediglich teilweise, in einem Umfang von weniger als der Hälfte, gedeckt.
Die Antragstellerin könnte eine vollständige Bedarfsdeckung wohl auch im Erfüllungsverhältnis gegen den Beigeladenen nicht rechtlich durchsetzen. Denn weder die auf den 15.08.2022 datierte Vereinbarung im Erfüllungsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und der Antragstellerin noch die „Vereinbarung nach §§ 123ff. SGB IX“ vom 29.10.2021 zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen („Übergangsvereinbarung“) einschließlich der dort in § 2 Abs. 2 inkorporierten Leistungsbeschreibung des Beigeladenen vom 16.10./01.11.2007 und der ebenfalls dort erwähnten „Eckpunkte zu ambulanten Leistungen in fachlich betreuten Wohnformen“ vom Juli 2006 enthalten Regelungen, aus denen sich eine Verpflichtung des Beigeladenen zu einem bestimmten Leistungsumfang ableiten ließe.
Die Übergangsvereinbarung behauptet zwar in ihrem § 1 Abs. 1, Regelungen zum Umfang der Leistungen zu enthalten. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall. In der Übergangsvereinbarung selbst vermochte das Gericht keine diesbezügliche Regelung zu finden. Aber auch die „Leistungsbeschreibung“ enthält in Ziff. 6. lediglich einen Katalog der je nach individuellem Bedarf in Betracht kommenden Leistungsarten, aber keine Aussage zum Leistungsumfang. Dasselbe gilt für die „Eckpunkte“, in deren Ziff. 5. und 6. nur Formen und Art der Angebote beschrieben werden.
Demgegenüber bestimmt der in § 2 Abs. 2 der Übergangsvereinbarung als „Rahmenvereinbarung“ ebenfalls erwähnte „Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII“ vom 15.12.1998 in der aktualisierten Fassung Stand 09.05.2006 in § 11 („Umfang der Leistungen“) zwar, dass die Leistungen „ausreichend“ sein müssen, was dann der Fall sei, wenn der sozialhilferechtlich anzuerkennende Bedarf jedes Leistungsberechtigten in der Maßnahme vollständig gedeckt werden könne. Dies würde eine hinreichende Regelung des Umfangs der Leistungen dergestalt darstellen, dass dieser bedarfsdeckend sein muss. § 11 des Rahmenvertrags dürfte aber nicht Bestandteil der Übergangsvereinbarung geworden sein. Denn deren § 2 Abs. 2 bestimmt lediglich, dass sich „Art, Ziel und Qualität der Leistungen sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung“ u.a. aus der Rahmenvereinbarung ergeben. Vom Umfang der Leistungen ist an dieser Stelle nicht die Rede. Diese Verweisung dürfte sich lediglich auf § 3 („Art der Leistungen“), §§ 9 und 10 („Räumliche und sächliche“ bzw. „Personelle Ausstattung“) sowie § 12 („Qualität der Leistung“), aber eben nicht auf § 11 des Rahmenvertrages beziehen, aus dem allein sich die Verpflichtung des Beigeladenen zu Leistungen bedarfsdeckenden Umfangs ergeben könnte.
Die Antragstellerin hat nach all dem einen weiteren Eingliederungshilfebedarf in Form von zusätzlicher persönlicher Assistenz, der durch die vom Antragsgegner bewilligten Leistungen nicht gedeckt wird. Sie hat aber einen Anspruch auf vollständige Deckung ihres Bedarfs. Dieser beruht auf §§ 99 Abs. 1, 104 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 und 2 Nr. 2, 76 Abs. 1 und 2 Nr. 2, 78 SGB IX.
Diesem Anspruch steht § 123 Abs. 1 S. 1 SGB IX voraussichtlich nicht entgegen. Danach darf der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen der Eingliederungshilfe (mit Ausnahme der Leistungen nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 78 Abs. 5 und § 116 Abs. 1, um die es hier nicht geht) durch Dritte (Leistungserbringer) nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht. Zwar besteht zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen als Leistungserbringer eine schriftliche Vereinbarung. Diese dürfte aber wegen Verstoßes gegen § 125 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IX - Fehlen einer Regelung zum Umfang der Leistungen, vgl. o. - nichtig sein (§ 58 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches <SGB X> i.V.m. § 134 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>), vgl. Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3.A., § 125 SGB IX (Stand: 04.08.2022) Rn. 14. Zumindest fehlt es aber darin an einer Regelung des Leistungsumfangs, so dass die Vereinbarung nicht die für den Bedarf der Antragstellerin objektiv erforderlichen Leistungen umfasst. Nach § 123 Abs. 5 Satz 1 SGB IX darf der Träger der Eingliederungshilfe aber die Leistungen durch Leistungserbringer, mit denen keine schriftliche Vereinbarung besteht, unter weiteren Voraussetzungen (dazu sogleich) erbringen, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist (Nr. 1 a.a.O.). Wie sich aus der Formulierung „soweit“ ergibt, erfasst diese Vorschrift nicht nur vollständig fehlende Vereinbarungen, sondern gilt auch dann, wenn der Leistungserbringer zwar eine Vereinbarung hat, die tatsächlich erforderliche, bedarfsgerechte Leistung hiervon aber nicht erfasst wird, und deshalb insoweit vertragslos zu erbringen wäre (Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3.A., § 123 SGB IX <Stand: 19.09.2022>, Rn. 76). Dies ist genau die vorliegend zu beurteilende Konstellation.
Bei Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung ist der Eingliederungshilfeträger somit zwar nicht zur Übernahme der Vergütung verpflichtet („darf“), der Anspruch kann sich aber aufgrund einer Ermessensreduktion auf Null aus § 123 Abs. 5 S. 1 SGB IX ergeben (vgl. zur Vorgängervorschrift 75 Abs. 4 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches <SGB XII> LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.06.2013, Az. L 7 SO 1931/13 ER-B, <juris>). Der hierfür vorausgesetzte vertraglose Zustand dürfte, wie ausgeführt, vorliegen; es werden derzeit auch keine Verhandlungen über Vereinbarungen für Hilfen wie die streitigen geführt, so dass keine Sperrwirkung während einer Verhandlungsphase besteht (hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.06.2011, Az. L 7 SO 797/11 ER-B, <juris>). Besonderheiten des Einzelfalls, die die Leistungserbringung außerhalb einer Vereinbarung gebieten, liegen vor, wenn der Bedarf nicht im Rahmen einer Vereinbarung gedeckt werden kann - objektive Unmöglichkeit - oder dem Hilfeempfänger die Inanspruchnahme der Leistungen eines vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers nicht zumutbar ist - subjektive Unmöglichkeit (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.06.2013, Az. L 7 SO 1931/13 ER-B a.a.O.). Hier ist objektive Unmöglichkeit anzunehmen, da der Antragsgegner jedenfalls keine wirksame Vereinbarung mit dem zur Bedarfsdeckung notwendigen Leistungsumfang mit vereinbarungsgebundenen Leistungserbringern unterhält.
Liegen die Voraussetzungen des § 123 Abs. 5 Satz 1 SGB IX vor, muss die Leistung auch durch einen hierzu nicht durch Vereinbarung verpflichteten Leistungserbringer erbracht und die hierfür entstehende Vergütung übernommen werden. Das dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmende Ermessen („darf … nur erbringen, soweit …“) ist hier voraussichtlich auf Null reduziert. Auch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gilt zwar die nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte bei einem Ermessensspielraum der Verwaltung. Zu einem bestimmten Verhalten, insbesondere einer bestimmten Leistung, darf das Gericht den Leistungsträger daher auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nur bei einer Ermessensreduktion auf Null verpflichten. Der Grad der Eilbedürftigkeit und das Gewicht der betroffenen materiellen Positionen beeinflussen aber - wie allgemein - den Entscheidungsmaßstab: Nach dem Wechselspiel zwischen Anordnungsgrund und -anspruch (s.o.) sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ermessensreduktion auf Null umso niedriger, je größer die Gefahr des Rechtsverlusts durch Zeitablauf oder je schwerer die drohenden Folgen sind (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Hier spricht Vieles dafür, dass die Übernahme einer Vergütung im tenorierten Umfang die einzige dem Normzweck entsprechende Entscheidung sein dürfte. Bei § 123 Abs. 5 SGB IX handelt sich um eine Ausnahme zu der in Abs. 1 a.a.O. normierten Leistungserbringung durch vereinbarungsgebundene Einrichtungen, die restriktiv auszulegen ist. Hier ist jedoch zu beachten, dass der Antragsgegner seit Anmeldung des höheren Bedarfs mit Schreiben der Antragstellerin vom 02.05.2022 nichts unternommen hat, um eine (vollständige) Vereinbarung oder zumindest ein Leistungsangebot des Beigeladenen i.S.d. § 123 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 SGB IX zu erreichen. Auch hat der Antragsgegner keine anderen Möglichkeiten der Bedarfsdeckung aufgezeigt. Beides ist angesichts seiner Rechtsauffassung, wonach der Beigeladene bereits aufgrund der bestehenden Vereinbarung zu bedarfsdeckenden Leistungen verpflichtet wäre, zwar konsequent. Diese Rechtsauffassung ist jedoch aus den o.g. Gründen wahrscheinlich unzutreffend. Die Antragstellerin hätte daher im Falle einer anderslautenden Ermessensentscheidung letztlich allein den Nachteil zu tragen, dass ihr individueller Hilfebedarf zu einem erheblichen Teil ungedeckt bliebe. Dies würde gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz des § 104 Abs. 1 SGB IX verstoßen.
Soweit der Anordnungsanspruch besteht, ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich aus der bereits seit Monaten andauernden objektiven erheblichen Bedarfsunterdeckung und der hieraus laut psychotherapeutischem Attest vom 29.07.2022 resultierenden erheblichen Gefahr einer massiven psychischen Dekompensation mit möglichem erneuten stationären Behandlungsbedarf, die auch das langfristige Ziel einer eigenständigen Lebensführung der Antragstellerin und ihrer Integration in den Arbeitsmarkt gefährden könnte.
Diese im Falle einer fortdauernden Bedarfsunterdeckung drohenden Nachteile sind ihrer Art nach teils irreversibel, sie tangieren mehrere Grundrechte der Antragstellerin und sind von erheblichem Gewicht. Sie überwiegen daher auch bei einer Folgenabwägung die ihnen gegenüber zu stellenden rein monetären Belastungen des Antragsgegners durch eine ggf. ungerechtfertigte vorläufige Zahlungsverpflichtung, zumal dieser im Falle eines Unterliegens der Antragstellerin in der Hauptsache ein Erstattungsanspruch gegenüberstünde. Aus diesem Grund handelt es sich bei der vorliegenden Entscheidung auch nicht um eine Vorwegnahme der Hauptsache, wie der Beigeladene meint. Eine solche liegt bei der Verpflichtung zur vorläufigen Gewährung von Geldleistungen nur vor, wenn eine spätere Rückforderung im Falle des Unterliegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren ausnahmsweise rechtlich ausgeschlossen ist, was hier nicht der Fall ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt a.a.O., § 86b, Rn. 31).
Das Gericht hat die einstweilige Anordnung im Rahmen seines Ermessens nach § 938 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG zunächst auf den Zeitraum bis zum 31.01.2023 beschränkt, da bis dahin mit dem Abschluss der Bedarfsüberprüfung zu rechnen ist. Sollte dies nicht so eintreten, steht es der Antragstellerin frei, erneut eine einstweilige Anordnung zu beantragen. Für den Zeitraum vor dem 01.11.2022 hat das Gericht von einer Verpflichtung abgesehen: wegen des nur noch kurzen Zeitraums bis dahin, im Interesse einer kalendermonatlichen Abrechnung und um den Beteiligten Gelegenheit zur organisatorischen Vorbereitung zu geben.
Unbegründet ist der Antrag, soweit die Verpflichtung des Antragsgegners beantragt wird, den Bescheid vom 29.12.2021 zurückzunehmen. Dabei würde es sich tatsächlich um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln. Auch vermag das Gericht insoweit keinen Anordnungsgrund zu erkennen. Anlass, den Antragsgegner zur Unterstützung der Antragstellerin gemäß Antrag Ziff. 1 b) zu verpflichten, besteht nicht, weil aufgrund des (auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkten) Einverständnisses des Beigeladenen (Schriftsatz vom 19.10.2022) mit dem Vergleichsangebot der Antragstellerin vom 14.10.2022 davon auszugehen ist, dass er die streitigen Leistungen im tenorierten Zeitraum und Umfang sowie zu der tenorierten Vergütung zu erbringen bereit und in der Lage ist. Auch insoweit fehlt es daher am Anordnungsgrund.
Aufgrund der Verpflichtung des Antragsgegners gemäß Antrag Ziff. 1 a) bedarf es keiner Entscheidung über die Hilfsanträge mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Sie entspricht dem lediglich teilweisen Obsiegen der Antragstellerin.