L 1 KR 146/19

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 30 KR 967/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 146/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Wenn eine Mehrfachkodierung im Kreuz-Stern-System nur gemäß DKR (2011) D012i Nummer 1 Buchstabe d über den Sekundär-Kode (Stern-Kode) möglich ist, setzt dies voraus, dass der Stern-Kode überhaupt als Diagnose - also nach DKR (2011) entweder als Hauptdiagnose gemäß D002f oder als Nebendiagnose gemäß D003i - verschlüsselt werden kann.

2. Da in DKR (2011) D012i Nummer 1 Buchstabe d der Begriff der Diagnose nicht unabhängig von DKR (2011) D002f und D003i zu bestimmen ist, besteht für die Verschlüsselung eines Stern-Kodes als Nebendiagnose kein Raum, wenn für diesen kein zusätzlicher Ressourcenverbrauch belegt ist.

Bemerkung

Mehrfachkodierung im Kreuz-Stern-SystemMehrfachkodierung im Kreuz-Stern-System

      1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. März 2019 wird zurückgewiesen.
      2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.
      4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.335,34 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

 

Der bei der Klägerin versicherte Y.... (im Folgenden: Versicherter) wurde wegen einer primär sklerosierenden Cholangitis vom 14.11.2011 bis zum 21.11.2011 im nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Beklagten vollstationär behandelt. Die stationäre Aufnahme erfolgte zur angiographischen TIPS-Kontrolle bei Zustand nach TIPS-Anlage bei Leberzirrhose und zur ERCP-Verlaufskontrolle bei bekannter primär sklerosierender Cholangitis (TIPS: transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt; ERCP: endoskopisch retrograde Cholangio-Pankreatikographie). Im Entlassungsbrief vom 21.11.2011 führte die Beklagte als Diagnosen auf:

            "Primär sklerosierende Cholangitis ED 2002

        • Leberzirrhose
        • Z.n. DHC-Prothesenimplantation 2001, Prothesenexplantation 2002
        • Z.n. Post-ERCP-Pankreatitis
        • Z.n. Ösophagusvarizenligatur bei Ösophagusvarizen II° 01/2010

Z.n. Pabzytopenie mit führender Neutropenie bei Splenomegalie

 

Aktuell:

        • ERCP

Post-ERCP-Pankreatitis"

 

Die stationäre Krankenhausbehandlung stellte die Beklagte der Klägerin am 09.12.2011 in Rechnung, wobei sie die DRG-Fallpauschale H41A (komplexe therapeutische ERCP mit äußerst schweren CC oder photodynamische Therapie) zugrunde legte. Bei der Kodierung nach ICD-10-GM Version 2011 brachte sie als Hauptdiagnose K74.4† (sekundäre biliäre Zirrhose) sowie als Nebendiagnosen u. a. I98.2* (Ösophagus- und Magenvarizen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, ohne Angabe einer Blutung) in Ansatz. Die Klägerin beglich die Rechnung zunächst. Der von ihr beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hielt im Gutachten vom 12.03.2012 den Ansatz der Nebendiagnose I98.2* für nicht korrekt. Die kodierrelevante Nebendiagnose I98.2* sei nicht belegt. Durch diese Nebendiagnose habe sich laut Unterlagen im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) kein relevanter Mehraufwand ergeben.

 

Die Klägerin hielt daraufhin die DRG-Fallpauschale H41B (komplexe therapeutische ERCP mit schweren CC, ohne photodynamische Therapie oder Alter < drei Jahre oder transgastrale Pankreaszystendrainage) für zutreffend und teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 25.05.2012 mit. Gleichzeitig wurde um Korrektur und erneute Übermittlung der Datensätze gebeten.

 

Die Beklagte trat der Bewertung der Klägerin mit Schreiben vom 17.07.2012 entgegen. Bei dem ICD-Kode I98.2* handele es sich nicht um eine Nebendiagnose, sondern um einen Sekundärkode als Bestandteil der Hauptdiagnose. Sternkodes würden in der Regel dazu verwendet, einer Grunderkrankung eine Manifestation in einem speziellen Organgebiet zuzuordnen. Sekundärkodes könnten niemals ohne Primärkode verschlüsselt werden. Sie stellten keine eigenständigen Diagnosen dar. In der Datenübermittlung nach § 301 SGB V würden Sekundärkodes im Datensatz des Primärkodes übermittelt. Kriterien für die Kodierung von Sekundärdiagnosen (z.B. analog zur Kodierung von Nebendiagnosen) existierten nicht. Die Selbstverwaltungspartner hätten trotz Kenntnis der Problematik bislang noch keine Einschränkung der Kodierung von Sekundärkodes im Rahmen der DKR vorgenommen. Die Anwendung der Nebendiagnosedefinition oder der Verschlüsselung von Symptomen (DKR D003d) auf Sekundärkodes sei daher auch nicht ableitbar. Kodiertechnisch sei eine Primär-Sekundär-Diagnosekombination eine einzige Diagnose, die aus zwei Kodes bestünde. Entsprechend seien die DKR auf die Diagnosekombination und nicht auf die Einzelkodes anzuwenden. Auch die sozialmedizinische Expertengruppe (SEG) 4 habe keine Kodierempfehlung für die Kodierfähigkeit von Sternkodes in Abhängigkeit von anderen als klassifikatorischen Zusammenhängen veröffentlicht. Die SEG 4 fordere demnach konsequenterweise ebenfalls keinen (eigenständigen) Ressourcenverbrauch.

 

Nachdem der MDK in einem weiteren Gutachten vom 20.12.2012 an seiner Bewertung festgehalten hatte, da Sternkodes eine eigenständige Diagnose darstellten, für deren nebendiagnostische Abbildung ein eigenständiger Ressourcenverbrauch entsprechend DKR erforderlich sei, vorliegend ein Mehraufwand aber nicht entnommen werden könne, forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 01.03.2013 erneut zur Korrektur und erneuter Übermittlung der Datensätze auf und verlangte mit weiterem Schreiben vom 24.04.2013 eine Erstattung des zu viel gezahlten Betrages i. H. v. 2.335,34 €. Dem trat die Beklagte mit Schreiben vom 24.04.2013 entgegen und erachtete eine sozialgerichtliche Klärung der aufgeworfenen Frage als wünschenswert.

 

Am 24.12.2014 hat die Klägerin beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage auf Erstattung eines Betrages i. H. v. 2.335,34 € erhoben. Im Klageverfahren hat sie weitere Gutachten des MDK vom 16.03.2015, 02.09.2015, 27.01.2016, 06.06.2016 sowie 05.10.2016 zur Akte gereicht, wonach zur Diagnose I98.2* bestätigt werde, dass ein Sternkode nicht allein stehen dürfe, es gebe aber auch Kombinationen, in denen der Sternkode die Regelungen erfülle und der Primärkode nur entsprechend DKR D012 zusätzlich kodiert werde. Bei einem Kreuz-Stern-System bestehe ein bundesweiter Dissens, wobei eine Änderung von DKR D012 mit genereller Öffnung der Doppelkodierung weiterhin nicht konsensfähig sei. Im DRG-System würden ressourcenabhängig Diagnosen entsprechend der Haupt- oder Nebendiagnosendefinition kodiert. Nicht die Schwere einer Erkrankung werde abgebildet, sondern die Erkrankungen und Symptome, die einen Ressourcenaufwand während des stationären Aufenthaltes bewirkten. Dieser könne im vorliegenden Fall bezüglich der Ösophagusvarizen nicht gesehen werden. Es habe eine portale Hypertension mit liegendem TIPS bestanden; die stationäre Aufnahme sei zur Kontrolle des TIPS erfolgt, die aufgrund einer komplizierend aufgetretenen Pankreatitis nicht habe erfolgen können. Die portale Hypertension werde mit K76.6 abgebildet, die Notwendigkeit der Abbildung des Kodes I98.2* sei nicht erkennbar. Die primär sklerosierende Zirrhose sei vollständig über den Kode K74.4 abgebildet; dieser dürfe, da er bzw. die gesamte Rubrik kein Kreuz-Symbol trage, unstrittig allein stehen und müsse nicht durch einen Stern-Kode ergänzt werden. Der Kode K76.6 könne nach DKR D007f ("Aufnahme zur Operation/Prozedur, nicht durchgeführt") kodiert werden. Der Dissens "Kreuz-Stern-System" bestehe auf Bundesebene. Soweit in DKR D012 bei möglichen Mehrfachkodierungen die Reihenfolge Ätiologie/Manifestation festgelegt werde, hebe dies die Nebendiagnose-Regelung D003 nicht auf. Die Anwendung der Nebendiagnosedefinition auch auf Stern-Kodes ergebe sich aus der Einleitung der DKR: "Für den Fall, dass zwischen den Hinweisen zur Benutzung der ICD 10 (Bd. 2 der WHO-Ausgabe) bzw. des OPS-301 und den Kodierrichtlinien Widersprüche bestehen, haben die Kodierrichtlinien Vorrang." Damit sei eine Nebendiagnose (Sternkode) ohne entsprechenden Mehraufwand nicht zu kodieren. Ausnahmen würden lediglich die obligaten Ausrufezeichen-Kodes, die in der DKR benannt seien, bilden, was auf den Kode I98.2 nicht zutreffe. Auch aus DKR D004d ("Syndrome") ergebe sich nichts anderes, da ein Syndrom nicht vorgelegen habe. Auch bei der Kodierung von Komplikationen im Kreuz-Stern-System – z. B. bei Diabetes mellitus – würden die Komplikationen als Stern-Kodes nur als kodierfähig angesehen werden, wenn die einzelnen Manifestationen/Komplikationen die Nebendiagnosendefinition erfüllten. Die DKR beschränkten sich dabei nicht auf den Diabetes mellitus, sodass auch außerhalb dieser Erkrankung die Nebendiagnosendefinition bei Stern-Kodes erfüllt sein müsse.

 

Eine Klageerweiterung vom 14.06.2017 auf Erstattung eines Betrages i. H. v. 3.575,66 € hat die Klägerin am 14.03.2019 wieder zurückgenommen.

 

Auf Veranlassung des SG hat am 05.07.2018 Dr. X...., Facharzt für Innere Medizin, ein Gutachten erstattet und im Ergebnis seiner Begutachtung ausgeführt, dass der Sternkode I98.2* in Kombination mit dem als Hauptdiagnose zu kodierenden Kreuz-Kode K74.4 als Nebendiagnose zu kodieren sei. Maßgeblich für diese Einschätzung sei der Umstand, dass der Sternkode I98.2* im hier vorliegenden Einzelfall die Nebendiagnosendefinition erfülle, insbesondere sei ein erhöhter Betreuungsaufwand erforderlich geworden, da der stationäre Aufenthalt ausdrücklich (auch) der angiographischen Kontrolle des zur Rezidivblutungsprophylaxe bei Ösophagusvarizen gelegten TIPS gedient habe. Demgegenüber sei der Sternkode I98.2* nicht obligatorisch zu verwenden und könne nur bei Erfüllung der Nebendiagnosendefinition kodiert werden – analog zu der von der Klägerin beispielhaft angeführten Verwendung von Stern-Kodes bei Kodierung eines Diabetes mellitus. Nicht zu folgen sei der Auffassung der Beklagten, wonach es sich bei diesem Kode nicht um eine Nebendiagnose handele und ein diesbezüglicher Ressourcenverbrauch für die Kodierung nicht zwingend erforderlich sei.

 

Nachgehend hat die Klägerin ein weiteres Gutachten des MDK vom 28.08.2018 vorgelegt, wonach sich den Unterlagen bezogen auf die Diagnose I98.2* eine spezifische Therapie oder ein sonstiger diagnostischer, therapeutischer oder pflegerischer Ressourcenverbrauch im Sinne der DKR D003 nicht entnehmen lasse.

 

Dr. X.... hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.01.2019 insofern von seinem Gutachten vom 05.07.2018 Abstand genommen. Mangels eines relevanten Ressourcenverbrauchs im Rahmen der Diagnose I98.2* sei diese als Nebendiagnose zu streichen, abzurechnen sei nach DRG H41B.

 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat neben der Wiederholung der bereits vorgerichtlich dargelegten Argumente und einem Herausstellen der Unterschiede zwischen Sekundärkodes nach DKR D012i und Nebendiagnosen nach D003i sowohl auf die Diagnosen K70 bis K71† als auch auf die Diagnosen K74.-† verwiesen. Ein Kreuz-Stern-Kode sei auch dann möglich, wenn sowohl Kreuz- als auch Sternkodes jeweils mit unterschiedlichen Stern- und Kreuzkodes kombiniert werden könnten. Zur ergänzenden Stellungnahme von Dr. X.... hat die Beklagte ausgeführt, dass ein zusätzlicher Ressourcenverbrauch im Sinne der Definition für Nebendiagnosen nicht von Bedeutung sei, da Ösophagusvarizen vorgelegen hätten und daher I98.2* korrekt kodiert worden sei.

 

Mit Urteil vom 14.03.2019 hat das SG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i. H. v. 2.335,34 € nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 28.12.2011 zu erstatten. Zur Begründung hat das SG unter Darlegung der maßgeblichen rechtlichen Grundlagen ausgeführt, dass als Hauptdiagnose nach der ICD-10-GM allein die sekundäre biliäre Zirrhose (K74.4) habe kodiert werden können, nicht aber eine Kreuz-Stern-Kombination K74.4†, I98,2* (sekundäre biliäre Zirrhose mit Ösophagusvarizen Grad II° und Ösophagusvarizen und Magenvarizen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, ohne Angabe einer Blutung) und auch nicht I98.2* als Nebendiagnose. Der Versicherte sei ausweislich der Unterlagen am 14.11.2011 geplant zur angiographischen TIPS-Kontrolle bei Zustand nach TIPS-Anlage im November 2010 bei Leberzirrhose und zur ERCP aufgenommen worden; damit sei die stationäre Aufnahme wegen der sekundären biliären Zirrhose (K74.4) erfolgt. Ösophagus- oder Magenvarizen hätten die stationäre Aufnahme des Patienten nicht maßgeblich beeinflusst und kämen insoweit nicht als Hauptdiagnose in Betracht. Die Anwendung der Regelungen zum Kreuz-Stern-System komme nicht in Betracht, da die Hauptdiagnose K74.4 weder ein Kreuz- noch ein Sternsymbol aufweise. Dieser Kode könne als Hauptdiagnose und damit allein ohne Ergänzung eines weiteren Kodes kodiert werden. Die Ergänzung durch den Kode I98.2* sei entgegen der Auffassung der Beklagten hier auch nicht erforderlich, da die Hauptdiagnose, die Veranlassung zur Aufnahme gab, bereits durch den Kode 74.4 umfänglich dargestellt werde. Der Zustand nach Ösophagusvarizenligatur und Ösophagusvarizen II° sei für den aktuellen Behandlungsfall nicht relevant gewesen, da dieser Zustand für die stationäre Aufnahme und damit für die auszuwählende Hauptdiagnose keine Relevanz gehabt habe. Daher komme eine Kodierung nur in Betracht, wenn hinsichtlich dieser Diagnose die Voraussetzungen einer Nebendiagnose nach den DKR erfüllt seien, woran es nach den Ausführungen des Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme, im Ergebnis den MDK bestätigend, mangels einer diesbezüglichen therapeutischen, diagnostischen Maßnahme oder an einem nachgewiesenem erhöhten Betreuungs-, Pflege- oder Überwachungsaufwand fehle. Eine Kodierung als Nebendiagnose komme auch nicht vor dem Hintergrund in Betracht, dass der Kode I98.2* mit einem Stern versehen sei, denn die Regelungen des Kreuz-Stern-Systems führten nur dann zu einer zwingenden Beachtung der Manifestation, wenn eine Schlüsselnummer angesteuert werde, die mit einem Kreuz-Symbol versehen ist, was bei K74.4 nicht der Fall sei. Dass I98.2* mit einem Stern-Symbol gekennzeichnet sei und damit nicht alleine verschlüsselt werden dürfe, führe zu keinem anderen Ergebnis, da I98.2* schon nicht kodiert werden dürfe, weil die Diagnose mangels Relevanz für die stationäre Aufnahme nicht als Hauptdiagnose in Betracht komme und die Nebendiagnose-Voraussetzungen ebenfalls nicht erfüllt seien.

 

Hiergegen richtet sich die Beklagte mit ihrer am 31.05.2019 beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung. Streitentscheidend sei allein die Frage, ob neben der unstreitigen Hauptdiagnose K74.4 zusätzlich der Sekundärkode I98.2* zu kodieren sei. Das SG verkenne, dass ICD-Kodes mit einem Stern nie allein verwendet werden dürften, sondern nur in Kombination mit einem Primärkode zu kodieren seien und es eines gesonderten, durch den Sternkode begründeten Ressourcenverbrauches nicht bedürfe. Der mit dem Primärkode zusammen zu kodierende Sternkode müsse die stationäre Krankenhausbehandlung auch nicht in irgendeiner Weise veranlasst haben. Weder der DKR D012i noch der DKR D003i sei zu entnehmen, dass der Sternkode die Nebendiagnosekriterien erfüllen müsse, während der Primärkode ressourcenverbrauchsunabhängig zu kodieren wäre. Nach diesen Regelungen sei eine Kreuz-Stern-Diagnosekombination nur als eine einzige Diagnose bestehend aus zwei Kodes zu verstehen. Die durch die Kombination K74.4, I98.2* abgebildete Hauptdiagnose habe den Anlass für die Aufnahme zur stationären Krankenhausbehandlung gegeben und sei deshalb in dieser Kombination – als Einheit – zu kodieren. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.07.2020 – B 1 KR 16/19 R – stehe dieser Ansicht nicht entgegen, da hier – wie unter Rn. 20 der Entscheidung angesprochen – eine Mehrfachkodierung der Hauptdiagnose im Streit stehe. Eine Doppelklassifizierung sei in der GM-Version des ICD-10 ausdrücklich vorgesehen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. März 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte setze sich weder eingehend mit dem Urteil des SG auseinander noch mit der Feststellung des Sachverständigen im Gutachten vom 05.07.2018, wonach der Stern-Kode I98.2* ausdrücklich nicht obligatorisch zu verwenden sei. Nach dem Urteil des BSG vom 16.07.2020 bestimmten die Kodierrichtlinien, ob eine Nebendiagnose zusätzlich zur Hauptdiagnose zu kodieren sei. Dies sei nach den DKR (2011) dann der Fall, wenn die fragliche Diagnose überhaupt als Nebendiagnose zu kodieren sei. Da bezüglich der Diagnose I98.2* ein Ressourcenverbrauch nicht vorgelegen habe, scheide eine Kodierung als Nebendiagnose aus. Das Urteil des BSG bestätige, wann eine Nebendiagnose zusätzlich zur Hauptdiagnose zu kodieren sei. Nach den in der DKR D012i abschließend aufgeführten Fallgruppen könne die Nebendiagnose I98.2* im streitigen Behandlungsfall nicht kodiert werden.

 

Dem Senat haben die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Klägerin und die Patientenakte der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 2.335,34 € nebst Zinsen verurteilt, weil diese für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten in der Zeit vom 14.11.2011 bis 21.11.2011 von der Klägerin die Zahlung einer Vergütung nur auf der Grundlage der DRG H41B und nicht auf der Grundlage der DRG H41A beanspruchen kann.

 

1. Der Klägerin steht der von ihr im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (dazu nur BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 9; Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 18/20 R – juris Rn. 9) verfolgte Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten i.H.v. 2.335,34 € zu. Denn die Beklagte hatte für die Krankenhausbehandlung des Versicherten in der Zeit vom 14.11.2011 bis 21.11.2011 keinen Anspruch auf die hier letztlich streitige, von der Klägerin zunächst gezahlte Vergütung von 5.873,59 € nach der DRG H41A, sondern nur auf eine Vergütung von 3.538,25 € nach der DRG H41B. Hinsichtlich des Differenzbetrages steht der Klägerin ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu (vgl. hierzu grundlegend BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 9 ff.).

 

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs des Beklagten gegen die Klägerin für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 14.11.2011 bis 21.11.2011 ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Fallpauschalenvereinbarung 2011 (FPV 2011) sowie Anlage 1 der FPV 2011 (Fallpauschalenkatalog 2011). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R – juris Rn. 11; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 25.09.2019 – L 1 KR 142/14 – juris Rn. 17).

 

2. Der Vergütungsanspruch der Beklagten für die streitige Krankenhausbehandlung ist dem Grunde nach entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entstehen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 10; Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 8). Dies war hier der Fall.

 

Streitig ist nur die Höhe des Vergütungsanspruchs. Diese bemisst sich im DRG-Vergütungssystem, in welches das Krankenhaus der Beklagten einbezogen ist, nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normenverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschlägen. Ferner vereinbaren sie auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG Abrechnungsbestimmungen in der FPV.

 

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2011 rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten – insbesondere von Diagnosen und Prozeduren – in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (näher dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 19 ff.). Dabei greift das Programm auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die FPV selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM – hier in der Version 2011) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS). Ebenso gehört zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2011. Die Verbindlichkeit der in der FPV und den DKR angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in das vertraglich vereinbarte Fallpauschalensystem und insbesondere in dessen Kern, den Grouper, einbezogen sind (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 31).

 

Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich ICD und OPS ist nicht automatisiert und unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R – juris Rn. 21; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 18/17 R – juris Rn. 14; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn 27). Abrechnungsbestimmungen können Begriffe entweder ausdrücklich definieren oder deren spezifische Bedeutung kann sich ergänzend aus der Systematik der Regelung ergeben (BSG, Urteil vom 27.10.2020 – B 1 KR 25/19 R – juris Rn. 18). Ferner kann der Wortlaut ausdrücklich oder implizit ein an anderer Stelle normativ determiniertes Begriffsverständnis in Bezug nehmen. Fehlt es an solchen normativen definitorischen Vorgaben, gilt der Grundsatz, dass medizinische Begriffe im Sinne eines faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauchs zu verstehen sind; ergeben sich danach keine eindeutigen Ergebnisse, ist der allgemeinsprachliche Begriffskern maßgeblich (BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R – juris Rn. 7).

 

Hiervon ausgehend gilt vorliegend Folgendes: Maßgebend für den vorliegenden Abrechnungsfall sind die DKR 2011 und die ICD-10-GM in der vom DIMDI für das Jahr 2011 herausgegebenen Version. Streitig und für die Abrechenbarkeit der von der Beklagten zugrunde gelegten Fallpauschale DRG H41A entscheidend ist, ob die Beklagte die ICD I98.2* (Ösophagus- und Magenvarizen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, ohne Angabe einer Blutung) zutreffend kodiert hat. Die Beteiligten sind darüber einig, dass der Anspruch der Beklagten auf die höhere Vergütung für die streitige Krankenhausbehandlung nach der DRG H41A statt nach der DRG H41B allein davon abhängt, ob die ICD I98.2* kodiert werden durfte. Soweit Berechnungsergebnisse keinem Streit zwischen Beteiligten mit insoweit besonderer professioneller Kompetenz ausgesetzt sind, sind weitere Ermittlungen des Gerichts entbehrlich (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 9; Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 9/15 R – juris Rn. 29).

 

Nach der im Jahr 2011 geltenden Version der ICD-10-GM durfte die Beklagte die ICD I98.2* weder als Nebendiagnose (2.1) noch (wegen des Stern-Kodes) als Sekundär-Diagnoseschlüssel (2.2) kodieren, sodass die DRG-Fallpauschale H41B angesteuert wird.

 

2.1. Die Beklagte durfte die ICD I98.2* nicht als Nebendiagnose in Ansatz bringen. Gemäß DKR 2011 D003i (Nebendiagnosen) gilt:

"Die Nebendiagnose ist definiert als:

Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.

Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:

  • therapeutische Maßnahmen
  • diagnostische Maßnahmen
  • erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand"

 

Von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird, dass für die Diagnose I98.2* die Nebendiagnose-Kriterien nicht erfüllt werden, da durch diese kein zusätzlicher Ressourcenverbrauch belegt werden kann. Der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. X.... hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.01.2019 – die Bewertungen des MDK bestätigend – insofern das Fehlen eines relevanten Ressourcenverbrauchs im Rahmen der Diagnose I98.2* bestätigt. Die Voraussetzungen der Nebendiagnose-Definition fehlen damit. Für den Senat ergeben sich keine Ansatzpunkte, diese Bewertung in Frage zu stellen.

 

2.2. Auch die Voraussetzungen für die Kodierung als Sekundär-Diagnose sind nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG findet eine Mehrfachkodierung nur in den in der DKR D012i abschließend aufgeführten Fallgruppen statt. Das sind zum einen die Schlüsselnummern im sogenannten "Kreuz-Stern-System", zum anderen Fälle, in denen im ICD-10-GM bzw. in den DKR eine Doppelklassifizierung ausdrücklich vorgesehen ist, wobei eine Doppelklassifizierung von vornherein nur dann in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen eines Kodes auch tatsächlich vorliegen (BSG, Urteil vom 16.07.2020 – B 1 KR 16/19 R – juris Rn. 20 ff.). Im Einzelnen bestimmen die DKR (2011) unter D012i für die Mehrfachkodierung:

 

"D012i Mehrfachkodierung

Anmerkung: Erläuterungen, die mit den entsprechenden Abschnitten aus dem Regelwerk für die WHO-Ausgabe der ICD-10 (Band II) identisch sind, sind am Ende mit '(WHO)' gekennzeichnet.

Mehrfachkodierung ist in den folgenden Fällen erforderlich:

1. Ätiologie- und Manifestationsverschlüsselung: ‚Kreuz - Stern – System‘

Schlüsselnummern für Ätiologie (zugrunde liegende Ursache) werden durch das Kreuz-Symbol (†) und Manifestations-Schlüsselnummern durch das Stern-Symbol (*) gekennzeichnet. Zu kodieren ist in derselben Reihenfolge, in der sie im Alphabetischen Verzeichnis oder im Systematischen Verzeichnis der ICD-10-GM erscheinen, d.h. die Ätiologie-Schlüsselnummer, gefolgt von der Manifestations-Schlüsselnummer.

Diese Reihenfolge für die Ätiologie-/Manifestationsverschlüsselung gilt nur für das Kreuz-/Stern-System. Die Hauptdiagnosenregelung der DKR D002 erfährt somit außerhalb der Kreuz-/Stern-Systematik in Bezug auf die Reihenfolge von Ätiologie-/Manifestationskodes keine Einschränkung.

Beispiel 1

Rubriken, die Diagnosebezeichnungen mit einer Kreuz-Kennung enthalten, treten in unterschiedlichen Formen auf (WHO):

a) Das Symbol (†) und die zugehörige Stern-Schlüsselnummer erscheinen beide in der Rubriküberschrift. Sämtliche in dieser Rubrik zu klassifizierenden Bezeichnungen unterliegen der Doppelklassifizierung und haben alle dieselbe Sternschlüsselnummer, z. B.:

Beispiel 2
                     A17.0†  Tuberkulöse Meningitis (G01*)
                                  Tuberkulöse Leptomeningitis
                                  Tuberkulose der Meningen (zerebral) (spinal)

b) In der Rubriküberschrift erscheint das Symbol (†), aber nicht die zugehörige Stern-Schlüsselnummer. Sämtliche in dieser Rubrik zu klassifizierenden Bezeichnungen unterliegen der Doppelklassifizierung, haben jedoch unterschiedliche Stern-Schlüsselnummern (die bei jeder Bezeichnung aufgeführt sind), z.B.:

Beispiel 3
                     A18.0†  Tuberkulose der Knochen und Gelenke

                                  Tuberkulös:
                                  • Arthritis (M01.1-*)
                                  • Knochennekrose (M90.0-*)

                                   …

c) In der Rubriküberschrift erscheinen weder das Symbol (†) noch die zugehörige Sternschlüsselnummer. Die Rubrik als Ganzes unterliegt nicht der Doppelklassifizierung, jedoch können einzelne darunter aufgeführte Bezeichnungen doppelt klassifiziert werden. In diesen Fällen sind die Bezeichnungen mit dem Symbol (†) und ihrer Stern-Schlüsselnummer gekennzeichnet, z. B.:

Beispiel 4
                     A54.8    Sonstige Gonokokkeninfektionen

                                  durch Gonokokken:
                                  • Peritonitis† (K67.1*)
                                  • Pneumonie† (J17.0*)

                                   …

d) Wenn bei der Verschlüsselung der Diagnose die ICD-10-Verzeichnisse auf einen Stern-Kode (Manifestation) führen, dann muss anschließend die Ätiologie geklärt werden. Dazu sind in der Systematik und im Alphabetischen Verzeichnis für viele Schlüsselnummern Hinweise aufgenommen worden (siehe Beispiel 5). Dabei können auch Schlüsselnummern zur Kodierung der Ätiologie benutzt werden, die in der ICD-Systematik keine Kreuz-Kodes sind. Auch sie werden in diesem Fall mit einem Kreuz (†) gekennzeichnet.

Beispiel 5
                     G63.3*  Polyneuropathie bei sonstigen endokrinen und
                                  Stoffwechselkrankheiten
                                  (E00–E07†, E15–E16†, E20–E34†, E70–E89†)

                                  Hier findet sich in der Systematik ein Hinweis auf
                                  mögliche Schlüsselnummern zur Kodierung der
                                  Ätiologie, und zwar mit einem † gekennzeichnet,
                                  obwohl diese Schlüsselnummern, wie z.B. E05.0
                                  Hyperthyreose mit diffuser Struma, in der Systematik
                                  nicht als Kreuzkode definiert sind.

e) An anderer Stelle (siehe Beispiel 6) fehlen Hinweise auf mögliche Schlüsselnummern zur Kodierung der Ätiologie. Hier ist dann vom behandelnden Arzt die zugrunde liegende Krankheit zu bestimmen.

Beispiel 6

                     J91* Pleuraerguss bei anderenorts klassifizierten
                    
    Krankheiten
                         Hier findet sich kein Hinweis auf entsprechende
                         Kreuzkodes. Jede Schlüsselnummer, die die Ätiologie
                         des Pleuraergusses kodiert, kann verwendet werden, wie
                         z.B. I50.1- Linksherzinsuffizienz, und wird mit einem
                         Kreuz (†) gekennzeichnet.

2. Hinweise zur Doppelklassifizierung

Für bestimmte Situationen ist eine andere Form der Doppelklassifizierung als die des Kreuz-Stern-Systems anwendbar, um den Gesundheitszustand einer Person vollständig zu beschreiben. Der Hinweis im Systematischen Verzeichnis 'Soll ... angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen', kennzeichnet viele solcher Situationen (WHO).

Hier sind aufzuzählen:

  • Lokale Infektionen bei Zuständen, die den Kapiteln der ‚Organkrankheiten‘ zuzuordnen sind. Schlüsselnummern des Kapitels I zur Identifizierung des Infektionserregers werden hinzugefügt, sofern dieser im Rubriktitel nicht enthalten ist. Am Ende von Kapitel I steht für diesen Zweck die Kategoriengruppe B95!–B98! zur Verfügung (siehe Tabelle 2 (Seite 27)).
  • Neubildungen mit funktioneller Aktivität. Eine geeignete Schlüsselnummer aus Kapitel IV kann zur Kennzeichnung der funktionellen Aktivität der jeweiligen Schlüsselnummer aus Kapitel II hinzugefügt werden.
  • Morphologie von Neubildungen. Obwohl der Morphologieschlüssel (siehe Band 1, Abschnitt 'Morphologie der Neubildungen') nicht Bestandteil der Hauptklassifikation ICD ist, kann er zur Kennzeichnung der Morphologie (Histologie) von Tumoren zusätzlich einer Schlüsselnummer von Kapitel II hinzugefügt werden.
  • Ergänzungen für Zustände, die Kapitel V, F00–F09 (Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen) betreffen. Die zugrunde liegende Krankheit, Verletzung oder andere Hirnschädigung kann durch Hinzufügen einer Schlüsselnummer aus einem anderen Kapitel angegeben werden.
  • Zwei Schlüsselnummern zur Beschreibung einer Verletzung, einer Vergiftung oder einer sonstigen Nebenwirkung. Zu einer Schlüsselnummer aus Kapitel XIX, die die Art der Verletzung beschreibt, kann auch eine Schlüsselnummer aus Kapitel XX für die Ursache zusätzlich angegeben werden.

Anmerkung: Sowohl die Kodes für die Morphologie von Neubildungen als auch die Kodes aus Kapitel XX sind für die DRG-Gruppierung nicht relevant.

 

Reihenfolge von Diagnoseschlüsseln bei Mehrfachkodierung

ICD-Kodes ohne Kennzeichen oder mit einem Kreuz (Ätiologie, '†') als Kennzeichen werden im Folgenden als Primär-Diagnoseschlüssel bezeichnet, da diese alleine verwendet werden dürfen.

ICD-Kodes mit einem Stern (Manifestation, '*') oder mit einem Ausrufezeichen (Sonstiges, '!') als Kennzeichen werden im Folgenden als Sekundär-Diagnoseschlüssel bezeichnet, da sie nie alleine verwendet werden dürfen, sondern nur in Kombination mit einem Primär-Kode.

Für die Reihenfolge der ICD-Kodes bei Mehrfachverschlüsselung mit Primär- und Sekundär-Diagnoseschlüssel gelten folgende Regeln:

  • Primär-Diagnoseschlüssel vor Sekundär-Diagnoseschlüssel
  • Ein Primär-Diagnoseschlüssel gilt für alle folgenden Sekundär-Diagnoseschlüssel bis zum Auftreten eines neuen Primär-Diagnoseschlüssels.
  • Ein Sekundär-Diagnoseschlüssel darf nie einem Sekundär-Diagnoseschlüssel zugeordnet werden. (D.h. ein Ausrufezeichenkode darf nie einem Sternkode zugeordnet werden und umgekehrt.)

 

Kreuz-Stern-System

In den Kodierrichtlinien, insbesondere in den Beispielen, sind die Diagnoseschlüssel gemäß obiger Regeln angeordnet.

Beispiel 7 (aus DKR 0401 Diabetes mellitus)
Ein Patient mit Diabetes Typ 1 mit peripheren vaskulären Komplikationen in Form einer Atherosklerose der Extremitätenarterien mit Ruheschmerz wird zur Bypass-Operation aufgenommen. Zusätzlich besteht eine Retinopathie mit erheblicher Einschränkung des Sehvermögens.

Hauptdiagnose:          E10.50† Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus
             [Typ-1-Diabetes] mit peripheren vaskulären
             Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet

Nebendiagnose(n):     I79.2*   Periphere Angiopathie bei anderenorts
              klassifizierten Krankheiten

I70.22   Atherosklerose der Extremitätenarterien,
              Becken-Bein-Typ, mit Ruheschmerzen

E10.30† Diabetes mellitus mit Augenkomplikationen,
              nicht als entgleist bezeichnet

H36.0*   Retinopathia diabetica

Hinweis: Der Kode I70.22 Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit Ruheschmerzen dient in diesem Beispiel zur näheren Spezifizierung der durch das Kreuz-Stern-System beschriebenen Diagnose. Er ist nicht als Hauptdiagnose anzugeben.

Das Beispiel 7 ist gemäß Datenübermittlungsvereinbarung nach § 301 SGB V für die Entlassungsanzeige in der Segmentgruppe SG 1 (ETL-NDG) wie folgt aufzubereiten (siehe auch Redaktionelle Hinweise (Seite XVII)):

 

Diagnosen                   Primär-Diagnoseschlüssel                  Sekundär-Diagnoseschlüssel
                                    (Primär-Diagnose)                                (Sekundär-Diagnose)

Hauptdiagnose             E10.50†                                               I79.2*
Nebendiagnose            I70.22
Nebendiagnose            E10.30†                                               H36.0*

 

Beispiel 8 (aus DKR 0401 Diabetes mellitus)
Ein Patient mit Diabetes Typ 1 mit multiplen Komplikationen in Form einer Atherosklerose der Extremitätenarterien, einer Retinopathie und einer Nephropathie wird wegen einer schweren Entgleisung der Stoffwechsellage aufgenommen.

Hauptdiagnose:          E10.73† Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus
                                               [Typ-1-Diabetes] mit multiplen Komplikatio-
                                               nen, mit sonstigen multiplen Komplikationen,
                                               als entgleist bezeichnet

Nebendiagnose(n):     I79.2*   Periphere Angiopathie bei anderenorts klassi
                                               fizierten Krankheiten

                                 H36.0*   Retinopathia diabetica
                                 N08.3*   Glomeruläre Krankheiten bei Diabetes melli
                                               tus

Anmerkung: Der Kode E10.73 ist mit einem '†' zu kennzeichnen, da er die Ätiologie der nachfolgenden Stern-Kodes (Manifestationen) kodiert. Gemäß den Regeln ist der 'Ätiologiekode' stets vor den 'Manifestationskodes' anzugeben. Gilt ein Ätiologiekode für mehrere Manifestationen, wie in diesem Beispiel, so gilt er für alle folgenden Stern-Kodes (Manifestationen) bis zum Auftreten eines neuen Kreuz-Kodes oder eines Kodes ohne Kennzeichen. Somit ist mit E10.73† die Ätiologie der Manifestationen I79.2*, H36.0* und N08.3* kodiert.

 

Das Beispiel 8 ist gemäß Datenübermittlungsvereinbarung nach § 301 SGB V für die Entlassungsanzeige in der Segmentgruppe SG 1 (ETL-NDG) wie folgt aufzubereiten (siehe auch Redaktionelle Hinweise (Seite XVII)):

Diagnosen                   Primär-Diagnoseschlüssel                  Sekundär-Diagnoseschlüssel
                                    (Primär-Diagnose)                                (Sekundär-Diagnose)

Hauptdiagnose             E10.73†                                               I79.2*
Nebendiagnose            E10.73†                                               H36.0*
Nebendiagnose            E10.73†                                               N08.3*

 

Ausrufezeichenkodes

Sowohl in der ICD-10-GM als auch in der Datenübermittlungsvereinbarung nach § 301 SGB V werden die Ausrufezeichenkodes (z.B. S31.83!) als 'optionale' Schlüsselnummern bezeichnet. Mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete sekundäre Schlüsselnummern sind zum Teil optional, in anderen Fällen obligatorisch anzugeben.

Einen Überblick über die mit Ausrufezeichen gekennzeichneten ICD-Kodes/Kategorien bieten Tabelle 1 und 2.

Die in Tabelle 1 aufgeführten Ausrufezeichenkodes können angegeben werden, wenn dies aus klinischer Sicht sinnvoll ist.

Tabelle 1: Optional anzugebende mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete Kategorien/Kodes:

Alle Ausrufezeichenkodes, die in Tabelle 2 aufgeführt sind, sind obligat anzugeben.

Tabelle 2: Mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete Kategorien/Kodes, die obligatorisch anzugeben sind (nicht optional):

Es kann vorkommen, dass ein Ausrufezeichenkode unter klinischen Aspekten mehreren Primär-Diagnoseschlüsseln zugeordnet werden kann (siehe Beispiel 10). In diesem Fall ist es notwendig den Sekundär-Diagnoseschlüssel einmal anzugeben und ihn ans Ende der Liste der zutreffenden Primär-Diagnoseschlüssel zu stellen.

…"

 

Ausgehend von den dargelegten Voraussetzungen einer Mehrfachkodierung ist von Bedeutung, ob in den jeweiligen Rubriken oder den einzelnen Bezeichnungen der ICD-10-GM eine Kennzeichnung für eine Mehrfachkodierung vorhanden ist. Für den vorliegenden Fall sind mithin die Rubriken K74.- sowie I98.-* maßgeblich.

 

Die Rubrik, in der der vorliegend von der Beklagten kodierte Primär-Diagnoseschlüssel enthalten ist, lautet nach ICD-10-GM (2011):

K74.-    Fibrose und Zirrhose der Leber
Exkl.:   Alkoholische Fibrose der Leber (K70.2)

Kardiale Lebersklerose (K76.1)
Mit toxischer Leberkrankheit (K71.7)
Zirrhose (Leber):

  • alkoholisch (K70.3)
  • angeboren (P78.8)

K74.0   Leberfibrose

K74.1   Lebersklerose

K74.2   Leberfibrose mit Lebersklerose

K74.3   Primäre biliäre Zirrhose
            Chronische nichteitrige destruktive Cholangitis

K74.4   Sekundäre biliäre Zirrhose

K74.5   Biliäre Zirrhose, nicht näher bezeichnet

K74.6   Sonstige und nicht näher bezeichnete Zirrhose der Leber
Zirrhose (Leber):

kryptogen

  • makronodulär
  • mikronodulär
  • Mischform
  • portal
  • postnekrotisch
  • o.n.A.

 

Die Rubrik des im Streit stehenden Sekundär-Diagnoseschlüssels lautet nach ICD-10-GM (2011):

I98.-*    Sonstige Störungen des Kreislaufsystems bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
Exkl.:   Krankheiten, die unter anderen Sternschlüsselnummern des vorliegenden
            Kapitels klassifiziert sind.

I98.0*    Kardiovaskuläre Syphilis

Kardiovaskuläre:

  • Spätsyphilis, konnatal (A50.5†)
  • Syphilis o.n.A. (A52.0†)

I98.1*    Störungen des Herz-Kreislaufsystems bei sonstigen anderenorts klassifizierten i nfektiösen und parasitären Krankheiten

Kardiovaskuläre:

  • Beteiligung, anderenorts nicht klassifiziert, bei Chagas-Krankheit (chronisch) (B57.2†)
  • Veränderungen bei Pinta [Carate] (A67.2†)

I98.2*    Ösophagus- und Magenvarizen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, ohne
Angabe einer Blutung

Ösophagus- und Magenvarizen bei:

  • Leberkrankheiten (K70-K71†, K74.-†)
  • Schistosomiasis (B65.-†)

I98.3*    Ösophagus- und Magenvarizen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, mit Angabe einer Blutung

Ösophagus- und Magenvarizen bei:

  • Leberkrankheiten (K70-K71†, K74.-†)
  • Schistosomiasis (B65.-†)

I98.8*    Sonstige näher bezeichnete Störungen des Kreislaufsystems bei anderenorts
klassifizierten Krankheiten

 

Unter Heranziehung dieser Kodes ergibt sich in Anwendung von DKR (2011) D012i, dass eine Ätiologie- und Manifestationsverschlüsselung im Kreuz-Stern-System nach Nummer 1 Buchstaben a bis c nicht vorzunehmen ist, da sich weder in der Rubriküberschrift der Rubrik K74.- noch in der darunter aufgeführten Bezeichnung K74.4 das Kreuzsymbol (†) findet.

 

Auch nach D012i Nummer 1 Buchstabe d der DKR (2011) scheidet der Ansatz von I98.2* aus. Zwar kommt danach eine Verschlüsselung im Kreuz-Stern-System in Betracht, wenn ausgehend von einer Manifestation nachgehend die Ätiologie geklärt werden muss, wie es in I98.2* der Fall ist. Ausgehend vom Wortlaut, der für die Auslegung der DKR von grundlegender Bedeutung ist, findet die Regelung in D012i Nummer 1 Buchstabe d aber nur dann Anwendung, wenn "bei der Verschlüsselung der Diagnose die ICD-10-Verzeichnisse auf einen Stern-Kode (Manifestation) führen". Voraussetzung ist danach, dass der Stern-Kode überhaupt als Diagnose vorliegt. Als Diagnosen bezeichnen die DKR (2011) D002f Hauptdiagnosen und D003i Nebendiagnosen. Dass der Kode I98.2* vorliegend als Hauptdiagnose in Betracht zu ziehen wäre, ergibt sich weder aus dem Vortrag der Beklagten noch sonst aus dem Inhalt der Akten. Auch eine Kodierung als Nebendiagnose scheidet aus, da die diesem Kode zugrundeliegenden Varizen keinen Ressourcenverbrauch begründet haben (vgl. oben 2.1).

 

Dass in D012i Nummer 1 Buchstabe d DKR (2011) der Begriff der Diagnose unabhängig von Haupt- und Nebendiagnose – und damit unabhängig von D002f und D003i – zu bestimmen wäre, erschließt sich nicht. Auszugehen ist dabei davon, dass für die Abrechnung der erbrachten Krankenhausleistung die medizinisch relevanten Diagnosen abgebildet werden. Rein anamnestisch vorliegende Erkrankungen, die die genannten Diagnosekriterien nicht erfüllen, werden in den DKR (2011) nicht als Diagnosen erfasst. Für die Kodierung nach den DKR ist grundsätzlich der Zustand maßgeblich, der für die Krankenhausbehandlung bedeutsam war. Dies gilt sowohl für die Haupt- als auch für die Nebendiagnose. Für die Hauptdiagnose wird dies klargestellt in DKR (2011) D002f (S. 4 unten), wonach die Krankheit zu kodieren ist, die hauptverantwortlich für den Krankenhausaufenthalt war. Für Nebendiagnosen wird in DKR (2011) D003i (S. 10 unten sowie Beispiel 2) explizit klargestellt, dass anamnestische Diagnosen, die das Patientenmanagement gemäß der Nebendiagnose-Definition nicht beeinflusst haben, nicht kodiert werden, auch wenn sie für die medizinische Dokumentation und die ärztliche Kommunikation von Bedeutung sind. Insofern kann im Rahmen der DKR dem Wortlaut folgend als Diagnose nur kodiert werden, was den Diagnoseanforderungen der DKR entspricht.

 

Vorliegend wurde im Entlassungsbrief "Z.n. Ösophagusvarizenligatur bei Ösophagusvarizen II° 01/2010" angegeben, also die Diagnose I98.2* als anamnestische Erkrankung gekennzeichnet, ohne dass ein Bezug zur aktuellen Behandlung hergestellt wurde.

 

Bezogen auf die Kreuz-Stern-Kodes bedeutet dies, dass zwar bei Kodierung eines als Diagnose i.S. einer Haupt- oder Nebendiagnose angesteuerten Kreuz-Kodes zwingend auch ein Stern-Kode anzugeben ist. Obwohl dieser Fall vorliegend nicht zu entscheiden ist, liegt es wegen der Verpflichtung zur Angabe eines Stern-Kodes nahe, dass auch anamnestisch bekannte Erkrankungen herangezogen werden können. Wenn sich aber ein Kreuz-Stern-Kode nur über den Sekundär-Kode definiert (DKR D012i Nummer 1 Buchstabe d), die Diagnose des Sekundär-Kodes mangels Erfüllung der (Neben-)Diagnose-Kriterien im Einzelfall aber gar nicht kodiert werden kann, besteht für die Kodierung des Sternkodes (und nachgehend des Kreuzkodes als Kombination) von vornherein keine Veranlassung.

 

Aus dem Grundsatz, dass so spezifisch wie möglich zu kodieren ist (vgl. ICD-10-GM [2011], Anleitung zur Verschlüsselung, Nr. 2 "Wie wird verschlüsselt?"), folgt keine andere Bewertung. Dieser Grundsatz legt fest, wie zu verschlüsseln ist, trifft aber keine Aussage darüber, was zu verschlüsseln ist, also insbesondere welche Diagnosen überhaupt bei einer Kodierung heranzuziehen sind. Rein anamnestisch geführte Erkrankungen, die keinen Bezug zum aktuellen Behandlungsgeschehen haben, sind aber – wie dargelegt – nach den DKR (2011) für Kodierungen zu Abrechnungszwecken nicht zu berücksichtigen.

 

Auch eine Doppelklassifizierung nach D012i Nummer 2 der DKR (2011) scheidet aus. Diese Regelung gilt für eine "andere Form der Doppelklassifizierung als die des Kreuz-Stern-Systems", nämlich für Kodes, die einen Hinweis darauf enthalten, dass zur vollständigen Beschreibung eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen ist, also die sog. Ausrufezeichenkodes. Von den in D012i Nummer 2 – einschließlich der Tabellen 1 und 2 – der DKR (2011) aufgezählten Erkrankungen und Rubriken wird weder der Kode K74.4 noch der Kode I98.2* erfasst. In diesen beiden Kodes bzw. deren Rubriken ist auch kein von D012i Nummer 2 der DKR (2011) verlangter Hinweis ("Soll ... angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen") vermerkt, aus dem sich die Notwendigkeit einer näheren Betrachtung ergeben könnte.

 

Diese Bewertungen stehen im Einklang mit den Ausführungen des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Prof. Dr. X...., der in seinem Gutachten vom 05.07.2018 ausgeführt hat, dass der Sternkode I98.2* nicht obligatorisch zu verwenden ist und nur bei Erfüllung der Nebendiagnosendefinition kodiert werden kann. Soweit er auf die obligatorisch zu verwendenden Kodes verweist, sind diese in D012i Tabelle 2 der DKR (2011) aufgezählt, wobei – wie ausgeführt – weder der Kode K74.4 noch der Kode I98.2* darin enthalten ist.

 

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Abschnitt "Reihenfolge von Diagnoseschlüsseln bei Mehrfachkodierung" in D012i der DKR (2011). Insofern sind hier nur Vorgaben für den Fall enthalten, dass eine Mehrfachkodierung vorzunehmen ist. Wenn aber bereits die Voraussetzungen für eine Mehrfachkodierung i.S.d. Kreuz-Stern-Systems oder aufgrund von Ausrufezeichenkodes nicht vorliegen, erübrigen sich Erwägungen zu Einzelheiten der Mehrfachkodierung ("Reihenfolge von Diagnoseschlüsseln"). Das gilt insbesondere für das von der Beklagten aus diesem Abschnitt entnommene Argument, dass ICD-Kodes mit einem Stern nie allein verwendet werden dürfen, sondern nur in Kombination mit einem Primärkode. Dieses Argument geht ins Leere, wenn der Stern-Kode schon nicht kodiert werden darf.

 

Eine erweiternde Auslegung, die ggf. im Sinne der Beklagten zum Ansatz der Diagnose I98.2* führen könnte, verbietet sich. Für Mehrfach- oder Doppelkodierungen bleibt angesichts der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.07.2020 – B 1 KR 16/19 R – juris) nicht mehr viel Raum, sofern man dazu nicht klare Anweisungen in den DKR und in der ICD-10 findet (Schütz, jurisPR-SozR 24/2020 Anm. 3). Für den vorliegenden Fall fehlen solche klaren Anweisungen. Insbesondere erschließt sich nicht, woraus eine Kreuz-Stern-Diagnose folgen soll, wenn die fragliche Kreuz-Diagnose (vorliegend als Hauptdiagnose) allein stehen kann und für die Stern-Diagnose, die vorliegend überhaupt erst die Möglichkeit der Mehrfachkodierung eröffnen könnte, die (Neben-)Diagnose-Kriterien der DKR nicht erfüllt sind und auch sonst kein Bedarf für eine Kodierung zu rechtfertigen ist.

 

Soweit die Klägerin eine Berechtigung für die Kodierung von I98.2* auch nach den DKR (2011) D007f ("Aufnahme zur Operation/Prozedur, nicht durchgeführt") sowie D004d ("Syndrome") verneint hat, ist die Beklagte dem nicht entgegengetreten. Auch dem Senat erschließt sich eine Kodierung von I98.2* auf dieser Grundlage nicht, da bezogen auf die zugrundeliegende anamnestisch geführte Diagnose weder eine Operation/Prozedur abgebrochen wurde noch es sich nicht um ein (abzuklärendes) Syndrom handelt.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

 

5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 47 Abs. 1 und 2, § 43 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Rechtskraft
Aus
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