L 8 AL 1648/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 900/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 1648/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Ablehnung von Leistungsanträgen auf Kurzarbeitergeld wird gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens über die Aufhebung der Feststellung, dass ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, soweit beide Verwaltungsakte denselben Zeitraum betreffen.
2. Der nach § 325 Abs. 3 SGB III erforderliche Antrag auf Kurzarbeitergeld wird als empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er der Bundesagentur für Arbeit zugeht. Der Antragsteller trägt ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Ausschlussfrist des § 325 Abs. 3 SGB III kommt nicht in Betracht.

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.05.2022 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung eines Bescheids über die Anerkennung einzelner Voraussetzungen von Kurzarbeitergeld (Kug) für die Zeit ab 01.05.2020 und um die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020.

Die Klägerin ist eine GmbH, die in E1 eine Kinderkrippe und eine Kindertagesstätte betreibt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 17.03.2020 in der Fassung der Fünften Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 17.04.2020 und gemäß § 1a Nr. 2 der Corona-Verordnung vom 09.05.2020 in der Fassung der Dritten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 09.06.2020 war der Betrieb von Kindertageseinrichtungen im Zeitraum vom 17.03.2020 bis zum Ablauf des 30.06.2020 untersagt. Ausgenommen von der Untersagung waren gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 1b Abs. 2 Corona-Verordnung Kinder in Kindertageseinrichtungen, sofern beide Erziehungsberechtigte oder ein alleinerziehender Elternteil in Bereichen der kritischen Infrastruktur tätig und nicht abkömmlich waren (sog. Notbetreuung). Ab dem 01.07.2020 bestand kein Betriebsverbot von Kindertagesstätten mehr (vgl. § 13 der Corona-Verordnung vom 23.06.2020).

Am 26.03.2020 zeigte die Klägerin der Beklagten Arbeitsausfall für den Monat März 2020 bis voraussichtlich Juni 2020 an. Dabei teilte sie mit, dass in ihrem Betrieb 35 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt seien, kein Betriebsrat vorhanden sei und keine Tarifbindung bestehe. Von Kurzarbeit mit einem Entgeltausfall von mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts seien im jeweiligen Kalendermonat voraussichtlich 27 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen.

Mit Bescheid vom 01.04.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, „dass aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind (§ 99 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]). Kurzarbeitergeld wird deshalb den von dem Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Ihres Betriebes, sofern diese die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, ab 01.03.2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis 28.02.2021 bewilligt.“ Ferner wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass Kug gemäß § 104 Abs. 3 SGB III nur nach erneuter Anzeige des Arbeitsausfalls gewährt werden könne, falls seit dem letzten Monat, für den Kug gewährt wurde, drei Monate verstrichen seien. Das Kug sei jeweils für den Kalendermonat zu beantragen. Diese Anträge müssten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bei der Agentur für Arbeit S1 eingereicht werden. Die Ausschlussfrist beginne mit Ablauf des Kalendermonats, für den Kug beantragt werde. Aufgrund von Anträgen, die nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Ausschlussfrist bei der Agentur für Arbeit eingingen, könnten keine Leistungen gewährt werden.

Am 04.05.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für den Monat April 2020 Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für insgesamt 21 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mit Bescheid vom 10.06.2020 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Monat April 2020 vorläufig Kug in Höhe von 9.773,73 € und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 8.076,47 €. Entsprechende Leistungsanträge für nachfolgende Kalendermonate gelangten bis zum Ende des Jahres 2020 nicht zu den Akten der Beklagten.

Mit Bescheid vom 25.01.2021 hob die Beklagte ohne vorherige Anhörung der Klägerin den Bescheid vom 01.04.2020 für die Zeit ab 01.05.2020 auf. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 96 SGB III i.V.m. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beruhe.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28.01.2021 Widerspruch. Sie könne die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2020 nicht nachvollziehen und bitte um Erläuterung der Entscheidung. Gleichzeitig legte sie der Beklagten einen am 29.01.2021 unterzeichneten und mit dem handschriftlichen Zusatz „Zweitschrift“ versehenen Antrag auf Kug in Höhe von 6.655,62 € und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 5.674,75 € für insgesamt 18 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den Monat Mai 2020 und einen ebenfalls am 29.01.2021 unterzeichneten und mit dem handschriftlichen Zusatz „Zweitschrift“ versehenen Antrag auf Kug in Höhe von 3.688,34 € und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 3.251,19 € für insgesamt 18 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den Monat Juni 2020 vor. Mit E-Mail vom 29.01.2021 führte die Klägerin ergänzend aus, dass die Originale der Anträge Anfang Juni und Juli 2020 per Post an die Agentur für Arbeit S1 gesandt worden seien. Ab Juli 2020 sei sie, die Klägerin, wieder in vollem Betrieb gewesen. Sie bitte daher um Korrektur des Bescheides vom 25.01.2021 mit Aufhebung nicht zum 01.05.2020, sondern zum 01.07.2020.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bescheid vom 01.04.2020 für die Zeit ab 01.05.2020 aufzuheben sei, da die Klägerin in den drei auf April 2020 folgenden Monaten kein Kug mehr in Anspruch genommen habe. Wenn seit dem letzten Monat, für den Kug gewährt wurde (hier: April 2020), drei Monate verstrichen seien, könne gemäß § 104 Abs. 3 SGB III Kug nur nach erneuter Anzeige des Arbeitsausfalls gewährt werden. Der Widerspruchsbescheid wurde am 04.02.2021 von der Beklagten zur Post aufgegeben.
Mit Bescheiden vom 10.02.2021 lehnte die Beklagte die Anträge auf Gewährung von Kug für die Monate Mai und Juni 2020 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Kug nur nach erneuter Anzeige des Arbeitsausfalls gewährt werden könne, weil seit dem letzten Monat, für den Kug gewährt worden sei, drei Monate verstrichen seien. Im Übrigen sei auch die dreimonatige Ausschlussfrist nach § 325 Abs. 3 SGB III nicht gewahrt worden, da die Leistungsanträge der Klägerin erstmals zusammen mit der E-Mail vom 29.01.2021 bei ihr, der Beklagten, eingegangen seien. Die beiden Bescheiden vom 10.02.2021 beigefügte Rechtsmittelbelehrung wies die Klägerin auf die Möglichkeit hin, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids schriftlich oder zur Niederschrift bei der Agentur für Arbeit S1 Widerspruch einzulegen. Die Klägerin machte hiervon keinen Gebrauch.

Mit Schreiben vom 10.02.2021 beantragte die Klägerin ihre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung legte sie die eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers L1 vom 10.02.2021 vor, wonach dieser „den vom Sekretariat, namentlich von Frau [I1] vorbereiteten Antrag zur Auszahlung von Kurzarbeitergeld für den Monat Mai 2020 am 08.06.2020 eigenhändig unterzeichnet“ und „Frau [I1] diesen Antrag noch am selben Tag postalisch an die Bundesagentur für Arbeit, Niederlassung S1 auf den Weg gegeben“ habe. „Den Antrag für Juni 2020 habe [er] am 07.07.2020 ausgefüllt, unterzeichnet und ebenfalls an die Bundesagentur für Arbeit, Niederlassung S1 postalisch verschickt.“ Ferner legte sie die eidesstattliche Versicherung der Sekretärin I1 vom 10.02.2021 vor, wonach sie „den Antrag zur Auszahlung von Kurzarbeitergeld am 08.06.2020 für den Monat Mai 2020 für [L1] vorbereitet, zur Unterschrift vorgelegt und noch am selben Tag postalisch an die Bundesagentur für Arbeit, Niederlassung S1 auf den Weg gegeben“ habe.

Mit Bescheid vom 24.02.2021 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand der Ausschlussfrist nach § 325 Abs. 3 SGB III zurück. Die Anträge auf Kug für Mai und Juni 2020 seien ihr, der Beklagten, nicht innerhalb der Ausschlussfrist, sondern erst im Januar 2021 zugegangen. Für die Einhaltung der Ausschlussfrist sei der tatsächliche Eingang des Antrags bei der Agentur für Arbeit maßgebend. Die Klägerin trage das Übermittlungsrisiko der Postbeförderung. Im Falle der Versäumung der Ausschlussfrist könne keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil sich aus dem Inhalt und Zweck des § 325 Abs. 3 SGB III ergebe, dass die Ausschlussfrist die äußerste zeitliche Grenze definiere, innerhalb der die Anträge einzureichen seien.

Am 04.03.2021 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage gegen den Bescheid vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 erhoben und dessen Aufhebung sowie die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 begehrt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass mit dem Bescheid vom 25.01.2021 nicht nur der Bescheid vom 01.04.2020 mit Wirkung ab 01.05.2020 aufgehoben, sondern auch Anträge der Klägerin auf Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 abgelehnt worden seien. Die Leistungsanträge für diese Monate seien rechtzeitig zur Post gegeben worden hätten deshalb auch rechtzeitig bei der Beklagten ankommen müssen. Dies werde durch die eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der Klägerin sowie der Mitarbeiterin I1 nachgewiesen. Zumindest hätte die Beklagte eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewähren und dabei berücksichtigen müssen, dass die in der Zwischenzeit nachgereichten Abrechnungen für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 bei der Beklagten mittlerweile eingegangen seien. Es handele sich dabei nicht um neue Anträge, sondern um nachgereichte Zweitschriften. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung, der konkludent im Widerspruch enthalten gewesen sei, habe die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft betätigt. Warum die Anträge bei der Beklagten nicht angekommen seien, könne sie, die Klägerin, sich nicht erklären. Jedenfalls habe sie alles in ihrer Macht Stehende getan, damit die Anträge rechtzeitig bei der Beklagten eingingen. Sie habe auch keinen Anlass gehabt, die Zustellungsfähigkeit der Deutschen Post zu bezweifeln oder dieser zu misstrauen. Nachfragen bei der Beklagten nach dem Stand der Antragsbearbeitung habe sie unterlassen, da sie die zeitliche Verzögerung im Hinblick auf die besondere Corona-Belastungssituation für normal gehalten habe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin habe bei ihr nie nachgefragt oder beanstandet, dass für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 kein Kug bezahlt worden sei, obwohl sie entsprechende Anträge gestellt zu haben behaupte. Eine Reaktion der Klägerin sei erst nach Erlass des Aufhebungsbescheides vom 25.01.2021 erfolgt.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04.05.2022 abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass allein der Bescheid vom 25.01.2021, mit dem die grundsätzliche Kug-Bewilligung vom 01.04.2020 aufgrund der Anzeige von Arbeitsausfall vom 31.03.2020 aufgehoben worden sei, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2021 streitbefangen sei. Nicht streitbefangen seien hingegen die Bescheide vom 10.02.2021 über die Ablehnung der Gewährung von Kug für die Monate Mai bis Juli 2020. Diese Verwaltungsakte seien ausdrücklich nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht und bereits bestandskräftig geworden, da die Klägerin gegen die Bescheide vom 10.02.2021 keinen Widerspruch eingelegt habe. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufhebungsentscheidung sei § 48 SGB X i.V.m. § 104 Abs. 3 und § 95 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Der Bescheid vom 01.04.2020 entfalte ab 01.05.2020 keine Bindungswirkung mehr, weil der Klägerin Kug zuletzt im Monat April 2020 und in den darauffolgenden Monaten unstreitig nicht mehr gewährt worden sei. Die mit Bescheid vom 01.04.2020 festgestellten Anspruchsvoraussetzungen hätten seit dem 01.05.2020 nicht mehr vorgelegen. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die unterbliebene Bewilligung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 materiell-rechtlich rechtswidrig gewesen sei. Die entsprechenden Ablehnungsbescheide vom 10.02.2021 seien bestandskräftig geworden. Außerdem habe die Klägerin die in § 325 Abs. 3 SGB III geregelte materiell-rechtliche Ausschlussfrist nicht gewahrt, da sie Leistungsanträge für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 nicht innerhalb von drei Kalendermonaten nach Ablauf dieser Zeiträume gestellt habe. Entsprechende Leistungsanträge seien frühestens am 29.01.2021 zur Verwaltungsakte der Beklagten gelangt. Für den allein entscheidenden Zugang – und nicht den von der Klägerin durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Versand – der entsprechenden Anträge sei die Klägerin beweispflichtig. Einen früheren fristwahrenden Zugang der Leistungsanträge könne die Klägerin unstreitig nicht nachweisen. Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Wiedereinsetzung in eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist sei nach § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig. Dies ergebe sich aus § 325 Abs. 3 SGB III. Schließlich sei die Beklagte auch nicht im Wege eines Bescheidungsurteils zu verpflichten gewesen, die ermessensgebundene Zulassung einer verspäteten Antragstellung nach § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III zur Vermeidung unbilliger Härten zu prüfen. Diese Regelung finde hier keine Anwendung, weil Kug nicht gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses, sondern gemäß § 324 Abs. 2 Satz 2 SGB III nachträglich zu beantragen sei.

Gegen den Gerichtsbescheid vom 04.05.2022, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am selben Tag zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 07.06.2022 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie begehrt die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 im beantragten Umfang. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass auch die Anträge auf Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 streitgegenständlich seien, da sich der allein streitgegenständliche Bescheid vom 25.01.2021 auf die Gewährung von Kug ab Mai 2020 beziehe. Das SG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass sie, die Klägerin, alles getan habe, um einen sicheren Zugang der Anträge auf Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 zu gewähren. Es lägen eidesstattliche Versicherungen vor, dass sie die Anträge auf Gewährung von Kug für den Monat Mai 2020 am 08.06.2020, für den Monat Juni 2020 am 07.07.2020 und für den Monat Juli 2020 am 28.10.2020 zur Post aufgegeben habe. Diese Anträge seien als der Beklagten zugegangen zu werten. Jedenfalls hätte ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Antragsfrist gewährt werden müssen. Bei den Fristen im Kurzarbeitergeldgesetz (sic!) handle es sich nicht um Ausschlussfristen. Die Vorschrift des § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) finde auch auf Ausschlussfristen Anwendung. Es sei nicht einzusehen, warum eine Wiedereinsetzung nicht möglich sein solle, wenn Anträge, wie sie hier vorbereitet worden seien, rechtzeitig bei der Beklagten hätten eingehen können und ein Bedarf nach Förderung durch Kug unzweifelhaft bestanden habe.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich ausgelegt),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.05.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kurzarbeitergeld und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Mai 2020, Juni 2020 und Juli 2020 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Anspruch auf Kug setze die Anzeige des Arbeitsausfalls voraus. Dabei handle es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die gemäß § 130 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Zugang bei der Agentur für Arbeit wirksam werde. Das Übermittlungsrisiko und damit auch das Risiko des Verlusts auf dem Postweg trage die Klägerin. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, da die Vorschriften über die Anzeige des Arbeitsausfalls (§ 95 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 99 SGB III) keine Fristen für die Anzeige festsetzten, sondern die Anzeige des Arbeitsausfalls als materiell-rechtliche Voraussetzung eines Anspruchs auf Kug bestimmten. Soweit § 99 Abs. 2 SGB III regle, dass Kug frühestens von dem Kalendermonat an geleistet werde, in dem die Anzeige über den Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist, handle es sich um eine Rechtsfolgenregelung, die an den Zeitpunkt der Anzeige anknüpfe, nicht aber um eine gesetzliche Frist zur Anzeige des Arbeitsausfalls. Soweit § 325 Abs. 3 SGB III bestimme, dass Kug innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen sei, handle es sich bereits nach dem Wortlaut der Norm um eine Ausschlussfrist. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da das Vorliegen einer Anzeige als fehlende materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung nicht fingiert werden könne.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Sie ist gemäß §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und am 07.06.2022 auch fristgerecht eingelegt worden. Der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist beginnt gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 05.05.2022, da der mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Gerichtsbescheid vom 04.05.2022 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 04.05.2022 zugestellt worden ist, und endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGG mit Ablauf des 07.06.2022, da der 04.06.2022 ein Samstag, der 05.06.2022 ein Sonntag und der 06.06.2022 ein gesetzlicher Feiertag (Pfingstmontag) gewesen ist. Die Berufung der Klägerin bedarf nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, da bereits der Wert des von der Klägerin dem Grunde nach begehrten Kug für die Monate Mai und Juni 2020 den Betrag von 750 Euro übersteigt. In den vom Geschäftsführer der Klägerin am 29.01.2021 unterzeichneten Leistungsanträgen werden Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 12.330,37 € für Mai 2020 und in Höhe von insgesamt 6.939,53 € für Juni 2020 geltend gemacht.

Im Verfahren über die Gewährung von Kug ist grundsätzlich die Betriebsvertretung gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG notwendig beizuladen, weil die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.1989 – 7 Rar 18/87 – juris, Rn. 22 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2022 – L 3 AL 1175/21 – juris, Rn. 25). Indes gilt dies nicht, wenn wie hier eine Betriebsvertretung nicht vorhanden ist (BSG, a.a.O., m.w.N.). Die Klägerin hat in der zur Verwaltungsakte gelangten, am 25.03.2020 von ihrem Geschäftsführer unterzeichneten Anzeige über Arbeitsausfall auf die entsprechende Frage angegeben, dass in ihrem Betrieb kein Betriebsrat vorhanden ist. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer der Klägerin sind nicht notwendig beizuladen, da keine Gefahr divergierender Entscheidungen besteht, weil die Klägerin die Gewährung von Kug als Prozessstandschafterin ihrer Kurzarbeit leistenden Arbeitnehmer im eigenen Namen geltend macht und die Kurzarbeit leistenden Arbeitnehmer nicht klagebefugt sind (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.1974 – 7 Rar 17/72 – juris, Rn. 18).

Die Berufung der Klägerin ist zum Teil begründet. Der Gerichtsbescheid vom 04.05.2022 ist abzuändern. Das SG hätte den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 aufheben müssen. Im Übrigen hat das SG die Klage jedoch zu Recht abgewiesen.

1. Gegenstand des Verfahrens ist das erkennbare Begehren der Klägerin (§ 123 SGG) nach Aufhebung des Bescheids vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 und das Begehren nach Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 in gesetzlicher Höhe. Hierbei handelt es sich um mehrere Klagebegehren (§ 56 SGG).

Soweit das Klageziel auf die Aufhebung des Bescheids vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 (§ 95 SGG) gerichtet ist, begehrt die Klägerin die Kassation der Aufhebung des Bescheids vom 01.04.2020 über die Anerkennung einzelner Voraussetzungen von Kug für die Zeit ab 01.05.2020.

Maßstab der Auslegung des Inhalts eines Verwaltungsakts ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 7/19 R – juris, Rn. 13, dazu auch im Folgenden; vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R – juris, Rn. 21 f. m.w.N.). Ausschlaggebend ist über den Wortlaut hinaus der objektive Sinngehalt der Erklärung nach dem objektivierten Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG, a.a.O., m.w.N.).

In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte mit dem klagegegenständlichen Bescheid vom 25.01.2021 geregelt, dass „die Entscheidung über die Gewährung von Kurzarbeitergeld (vgl. Bescheid vom 01.04.2020) … ab 01.05.2020 aufgehoben“ wird. Dieser Verfügungssatz formuliert nur den (teilweisen) Entzug der Rechtsposition, die der Klägerin zuvor mit Bescheid vom 01.04.2020 eingeräumt worden ist. Über die Beseitigung der mit Bescheid vom 01.04.2020 getroffenen Bestimmungen hinaus können dem Bescheid vom 25.01.2021 keine weiteren Regelungen entnommen werden. Insbesondere regelt der Bescheid vom 25.01.2021 keine Ablehnung der Gewährung von Kug für die Zeit ab 01.05.2020. Der Wortlaut des Bescheides vom 25.01.2021 enthält keinen Anhaltspunkt für eine Ablehnung von Leistungsanträgen auf Kug. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit Bescheid vom 25.01.2021 Leistungsanträge ablehnen wollte, zumal ihr die am 29.01.2021 unterzeichneten Leistungsanträge für die Monate Mai und Juni 2020 frühestens vier Tage nach Erlass des Bescheids vom 25.01.2021 zugegangen sein können, zuvor keine Leistungsanträge für die Monate Mai bis Juli 2020 zu ihren Akten gelangt sind und die von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen, dass Leistungsanträge für den Monat Mai 2020 am 08.06.2020, für den Monat Juni 2020 am 07.07.2020 und für den Monat Juli 2020 am 28.10.2020 zur Post aufgegeben worden seien, nicht geeignet sind, den Zugang dieser Leistungsanträge bei der Beklagten vor Erlass des Bescheides vom 25.01.2021 zu beweisen. Vor allem aber regelt der Bescheid vom 25.01.2021 auch seinem objektiven Sinngehalt nach keine Ablehnung von Leistungsanträgen auf Kug für die Zeit ab 01.05.2020. Denn bei dem Bescheid vom 01.04.2020, der durch den streitbefangenen Bescheid vom 25.01.2021 mit Wirkung ab 01.05.2020 aufgehoben worden ist, handelt es sich nicht um einen Bewilligungs- oder Leistungsbescheid, sondern um einen Bescheid über die Anerkennung einzelner Voraussetzungen von Kug. Die mit Bescheid vom 25.01.2021 verfügte Aufhebung eines solchen Anerkennungsbescheides ist von der Aufhebung eines Leistungsbescheides und von der Ablehnung von Leistungsanträgen auf Kug zu unterscheiden. Denn das Verfahren für die Gewährung von Kug ist zweistufig ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 14.09.2010 – B 7 AL 29/09 R – juris Rn. 16; LSG Hamburg, Urteil vom 18.01.2023 – L 2 AL 17/22 – juris, Rn. 26). Nach § 99 Abs. 3 SGB III erteilt die Agentur für Arbeit dem den Arbeitsausfall Anzeigenden (Arbeitgeber oder Betriebsvertretung) unverzüglich einen schriftlichen Bescheid (Anerkennungsbescheid) darüber, ob auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall (§ 95 Satz 1 Nr. 1, § 96 SGB III) vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen (§ 95 Satz 1 Nr. 2, § 97 SGB III) erfüllt sind. Dem Anerkennungsverfahren schließt sich üblicherweise erst das Leistungsverfahren an, in dem in der zweiten Stufe jeweils für Zeiträume, die durch den Leistungsantrag (§ 323 Abs. 2 SGB III) bestimmt werden, durch Bescheid (Bewilligungs- oder Leistungsbescheid) das den Arbeitnehmern zustehende Kug bewilligt wird (§§ 104 ff. SGB III). Bei diesem zweistufigen Verfahren werden im ersten Schritt (Anerkennungsverfahren) allein die betrieblichen Voraussetzungen und die Frage des Arbeitsausfalls geprüft, während die Prüfung der persönlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmer (§ 95 Satz 1 Nr. 3, § 98 SGB III) und die Wahrung der Ausschlussfrist für den Leistungsantrag (§ 325 Abs. 3 SGB III) erst auf der zweiten Stufe (Leistungsverfahren) erfolgt (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Hamburg, a.a.O.). Aufgrund der im Anerkennungsbescheid geregelten Feststellung über das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und die Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen erfolgt gerade noch keine Leistungsgewährung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.09.2020 – L 20 AL 109/20 B ER – juris, Rn. 29). Im vorliegenden Fall beinhaltet der Verfügungssatz des Bescheids vom 01.04.2020 nach seinem Wortlaut und auch vom Empfängerhorizont aus deutlich erkennbar lediglich die Feststellung des Vorliegens eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 18.01.2023 – L 2 AL 17/22 – juris, Rn. 26 zur Auslegung einer gleichlautenden Formulierung in der Bescheidvorlage der Bundesagentur für Arbeit). Die weiteren Hinweise im Bescheid vom 01.04.2020 zur Antragstellung entsprechen der Verpflichtung der Beklagten zur Aufklärung, Beratung und Auskunft nach §§ 13 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I – (LSG Hamburg, a.a.O.). Dass auch die Klägerin diese Hinweise und den Verfügungssatz des Bescheids vom 01.04.2020 zutreffend aufgefasst hat, ergibt sich bereits daraus, dass sie kurz darauf am 04.05.2020 der Beklagten den Leistungsantrag für den Monat April 2020 mit den die Arbeitnehmer betreffenden Unterlagen vorgelegt hat.

Soweit die Klägerin außerdem die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 in gesetzlicher Höhe begehrt, ist nicht der Bescheid vom 25.01.2021 streitbefangen, da dieser keine Leistungsgewährung regelt (s.o.). Klagegegenstand sind vielmehr die Bescheide der Beklagten vom 10.02.2021, mit denen sie die Anträge der Klägerin auf Gewährung von Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für den Monat Mai 2020 und für den Monat Juni 2020 abgelehnt hat. Für den Monat Juli 2020 liegt weder ein entsprechender Leistungsantrag der Klägerin noch eine Entscheidung der Beklagten hierüber vor. Unschädlich ist, dass die Klägerin die Bescheide vom 10.02.2021 nicht ausdrücklich in ihren Klageantrag aufgenommen hat. Denn gemäß § 123 SGG ist das Gericht an den Wortlaut der Anträge nicht gebunden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Klägerin in der Klageschrift zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die Gewährung von Kug für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 begehrt.

2. Soweit sich die Klägerin gegen die Aufhebung des Anerkennungsbescheids vom 01.04.2020 für die Zeit ab 01.05.2020 wendet, ist die
als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässige Klage begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Für eine Anfechtungsklage sind grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier bei Erlass des Widerspruchsbescheids am 04.02.2021 – maßgeblich (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 15.08.1996 – 9 RVs 10/94 – juris, Rn. 10; Beschluss vom 27.05.2020 – B 9 SB 67/19 B – juris, Rn. 13).

Der Bescheid vom 25.01.2021
ist formell rechtswidrig. Die Klägerin wurde vor Erlass dieses Bescheids nicht angehört, obwohl dies gemäß § 24 Abs. 1 SGB X erforderlich gewesen wäre, weil ihr durch die Aufhebung des Anerkennungsbescheids vom 01.04.2020 eine hierdurch begründete Rechtsposition (Feststellung des Vorliegens eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug) entzogen worden ist. Ein ausnahmsweises Absehen von einer vorherigen Anhörung nach § 24 Abs. 2 SGB X kam nicht in Betracht. Dieser Anhörungsmangel führt zur Aufhebung des Bescheids vom 25.01.2021 (§ 42 Satz 2 SGB X), weil die Anhörung weder im Rahmen des Widerspruchsverfahrens noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Senats am 21.07.2023 wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X). Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, sofern der Betroffene dort hinreichende Gelegenheit hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2021 – B 6 KA 12/20 R – juris, Rn. 25 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall gewesen. Die Beklagte hat im Aufhebungsbescheid vom 25.01.2021 keine entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt, sondern nur ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 96 SGB III i.V.m. § 48 SGB X beruhe. Damit ist die Klägerin nicht in der Lage gewesen, sich vor einer abschließenden Verwaltungsentscheidung sachgerecht zu äußern. Das Widerspruchsschreiben der Klägerin vom 28.01.2021 verdeutlicht dies. Der Geschäftsführer der Klägerin hat darin der Beklagten mitgeteilt, dass er die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2020 nicht nachvollziehen könne und deshalb um Erläuterung dieser Entscheidung und um Darlegung der Beweggründe hierfür bitte. Soweit der Geschäftsführer der Klägerin mit E-Mail vom 29.01.2021 auf ein am 28.01.2021 mit einem Mitarbeiter der Beklagten geführtes Telefongespräch Bezug genommen hat, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass und welche für den Erlass des Bescheids vom 25.01.2021 erheblichen Tatsachen der Klägerin mitgeteilt worden sind.

Der Bescheid vom 25.01.2021 ist auch materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen einer Aufhebung des Anerkennungsbescheids vom 01.04.2020 für die Zeit ab dem 01.05.2020 liegen nicht vor.

Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheids vom 25.01.2021 ist § 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (§ 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2017 – B 5 R 2/16 R – juris, Rn. 11). Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Dies ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie zu einer anderen rechtlichen Bewertung führt (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rn. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rn. 11). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des (teilweise) aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung (also grundsätzlich bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung betreffend die Aufhebung) voraus (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2010 – B 9 V 2/10 R –, juris, Rn. 38).

In Anwendung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen für die Aufhebung des Anerkennungsbescheids vom 01.04.2020 nicht erfüllt.


Der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist eröffnet (zur Aufhebbarkeit von Anerkennungsbescheiden nach § 99 Abs. 3 SGB III unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X vgl. BSG, Urteile vom 14.09.2010 – B 7 AL 21/09 R – juris, Rn. 20, und – B 7 AL 29/09 R – juris, Rn. 19). Der Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 enthält einen feststellenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die Beklagte hat damit festgestellt, dass im Zeitraum „ab 01.03.2020 …, längstens jedoch bis 28.02.2021“ ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind.“ Diese Verfügung (Elementenfeststellung) bindet die Beklagte (BSG, Urteil vom 14.09.2010 – B 7 AL 29/09 R – juris, Rn. 17) im Hinblick auf die rechtliche Bewertung des Sachverhalts in Bezug auf die Erheblichkeit des Arbeitsausfalls und die betrieblichen Voraussetzungen (Kühl, in: Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 99 Rn. 15).

Allerdings ist in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 01.04.2020 vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten. Bis zum hier maßgebenden Beurteilungszeitpunkt (04.02.2021) sind keine Tatsachen eingetreten, die der am 26.03.2020 gestellten Anzeige über Arbeitsausfall widersprechen. Dass sich die vom Anzeigenden aufgestellten Tatsachenbehauptungen zur Erheblichkeit des Arbeitsausfalls und zu den betrieblichen Voraussetzungen geändert hätten, wird von der Beklagten nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat die von der Klägerin am 26.03.2020 angezeigte Ursache des Arbeitsausfalls – die Untersagung des Betriebs von Kindertageseinrichtungen aufgrund der Coronapandemie – auch im Zeitraum vom 16.12.2020 bis mindestens 14.02.2021 fortbestanden (§ 1f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Verordnung vom 30.11.2020 in der Normfassung der Zweiten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 15.12.2020, der dritten Änderungsverordnung vom 08.01.2021, der vierten Änderungsverordnung vom 16.01.2021 und der sechsten Änderungsverordnung vom 30.01.2021). Die von der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 04.02.2021 genannten Gründe sind nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der mit Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 getroffenen Elementenfeststellung zu begründen, da sie nicht das Anerkennungs-, sondern das Leistungsverfahren betreffen. Die Regelung des § 104 Abs. 3 SGB III über den Beginn einer neuen Bezugsdauer, falls seit dem letzten Kalendermonat, für den Kug gezahlt worden ist, drei Monate vergangen sind, enthält, wie ihre Stellung im Dritten Titel („Leistungsumfang“) des Ersten Unterabschnitts („Kurzarbeitergeld“) zeigt, Vorgaben allein für die Entscheidung über die Bewilligung von Kug. Die gesetzlichen Maßstäbe für die Beurteilung des Vorliegens von erheblichem Arbeitsausfall (§ 95 Satz 1 Nr. 1, § 96 SGB III) und der betrieblichen Voraussetzungen (§ 95 Satz 1 Nr. 2, § 97 SGB III) bleiben davon unberührt.

Der Senat muss nicht entscheiden, ob sich der im Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 verkörperte feststellende Verwaltungsakt nach Ablauf von drei Kalendermonaten nach dem letzten Monat, für den Kug gezahlt worden ist, gemäß § 39 Abs. 2 SGB X teilweise auf andere Weise erledigt hat, weil § 104 Abs. 3 SGB III nach Ablauf des dritten Kalendermonats das erneute Vorliegen aller in § 95 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB III genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kug verlangt und aufgrund dieser Zäsurwirkung frühere Anzeigen, Anträge und Entscheidungen nicht über den Ablauf der dreimonatigen Karenzzeit hinauswirken (vgl. Müller-Grune, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Auflage, § 104 Rn. 31), weshalb auch ein früherer Anerkennungsbescheid keine Bindungswirkung für Zeiträume nach Ablauf des dritten Kalendermonats mehr entfalten könnte. Denn selbst im Falle einer (teilweisen) Erledigung des im Anerkennungsbescheid enthaltenen Verwaltungsakts dürfte letzterer nicht (insoweit) nach § 48 SGB X aufgehoben werden, da Gegenstand der Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X nur ein wirksamer Verwaltungsakt sein kann (ebenso zu §§ 48, 49 VwVfG vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.03.2015 – 12 ZB 12.1640 – juris, Rn. 17 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2012 – 12 A 337/12 – juris, Rn. 2, 6; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 48 VwVfG Rn. 77, Stand August 2022). Im Falle einer (teilweisen) Erledigung des im Anerkennungsbescheid enthaltenen Verwaltungsakts (ab Beginn des vierten Kalendermonats nach dem Monat, für den zuletzt Kug gezahlt worden ist,) hätte von der Beklagten allenfalls die (teilweise) Unwirksamkeit analog § 40 Abs. 5 SGB X festgestellt werden können. Eine solche Regelung hat die Beklagte hier jedoch nicht getroffen.


3. Das SG hat die Klage im Übrigen zu Recht abgewiesen. Soweit die Klägerin die Gewährung von Kug und die pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 dem Grunde nach begehrt, ist die darauf gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Abs. 4, § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) nur teilweise zulässig und im Übrigen unbegründet.

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die mit Bescheiden vom 10.02.2021 verfügten Ablehnungen der Leistungsanträge der Klägerin auf Kug für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 nicht in einem Vorverfahren überprüft worden sind, da diese Verwaltungsakte nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind (zur Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens in den von § 96 Abs. 1 SGG erfassten Fällen vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 8 SO 23/16 R – juris, Rn. 21; BSG, Urteil vom 06.10.1977 – 7 Rar 82/76 – juris, Rn. 30). Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Von dieser Regelung werden nicht nur Fälle erfasst, in denen ein neuer Verwaltungsakt (erst) nach Erhebung der Klage ergeht. Vielmehr wird auch ein nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangener neuer Verwaltungsakt einbezogen, selbst wenn eine Klageerhebung zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht erfolgt ist (Klein, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGG, 2. Auflage, § 96 Rn. 24, Stand: August 2023; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 96 Rn. 3a; Bienert, § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes, in: NZS 2011, 732, 733). Dies entspricht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, der die Vorschrift des § 96 Abs. 1 SGG auf den Zeitraum zwischen Erlass des Widerspruchsbescheides und Klageerhebung erstrecken wollte (BT-Drs. 16/7716, S. 19). Der Wortlaut der Norm steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Formulierung „nach Klageerhebung“ verlangt für die Einbeziehung eines neuen Verwaltungsakts lediglich, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 8 SO 23/16 R – juris, Rn. 21, offen gelassen lediglich für den Fall einer wegen Verfristung unzulässigen Klage).

Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die mit Bescheid vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 geregelte Aufhebung der mit Bescheid vom 01.04.2020 verfügten Feststellung des Vorliegens einzelner Voraussetzungen von Kug für die Zeit ab 01.05.2020 ist Gegenstand der am 04.03.2021 beim SG erhobenen Klage (s.o.). Auch sind die Bescheide vom 10.02.2021 nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2021 ergangen. Die Ablehnungen der Leistungsanträge auf Kug für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 (Bescheide vom 10.02.2021) ersetzen die Aufhebung der Feststellung des Vorliegens einzelner Voraussetzungen von Kug für die Zeit ab 01.05.2020 (Bescheid vom 25.01.2021). Mit Rücksicht auf das zweistufig ausgestaltete Verfahren der Gewährung von Kug (s.o.) hat das BSG bereits entschieden, dass die Ablehnung der Leistung von Kug gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens über die Ablehnung der Anerkennung der betrieblichen Voraussetzungen wird (BSG, Urteil vom 15.02.1990 – 7 Rar 22/89 – juris, Rn. 16). Die Ablehnung des Leistungsantrags ersetzt nämlich, soweit die Leistungsentscheidung reicht, die Ablehnung der Anerkennung, weil die Ablehnung eines geltend gemachten Leistungsantrags zwingende Folge der Ablehnung des Anerkennungsantrags ist (BSG, Urteil vom 15.02.1990 – 7 Rar 22/89 – juris, Rn. 16). Dies gilt ebenso im vorliegenden Fall, in dem die Anerkennung, d.h. die Feststellung des Vorliegens einzelner Voraussetzungen von Kug, nicht abgelehnt, sondern aufgehoben wird. Denn die Ablehnung der Leistungsanträge auf Kug für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 ist in gleicher Weise zwingende Folge der mit Wirkung ab 01.05.2020 verfügten Aufhebung der Feststellung, dass ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt (vgl. § 95 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 96 SGB III) und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug erfüllt sind (vgl. § 95 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 97 SGB III). Daher ersetzt im vorliegenden Fall die Ablehnung der Leistungsanträge für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 die Aufhebung der Anerkennung für die Zeit ab 01.05.2020 und wird deshalb gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens über die Aufhebung der Anerkennung.

Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin die Gewährung von Kug und die pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für den Monat Juli 2020 begehrt. Es fehlt insoweit das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, das als Zulässigkeitsvoraussetzung einer jeden Klage vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 41/12 R – juris, Rn. 24 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 42/12 R – juris, Rn. 23 – dazu auch im Folgenden). Dadurch sollen zweckwidrige Prozesse verhindert und eine unnötige Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte verhindert werden. Das Rechtsschutzbedürfnis ist grundsätzlich zu verneinen, wenn der Rechtsweg unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich beschritten wird oder wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (BSG, a.a.O.). Soweit die Klägerin die Gewährung von Kug für den Monat Juli 2020 begehrt, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mit einem entsprechenden Leistungsantrag an die Beklagte herangetreten ist. Weder die Verwaltungs- noch die Gerichtsakten enthalten Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten ein Leistungsantrag für den Monat Juli 2020 zugegangen ist. Auch der Geschäftsführer der Klägerin hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 10.02.2021 keine Angaben zu einem Leistungsantrag für den Monat Juli 2020 gemacht, sondern vielmehr der Beklagten mit E-Mail vom 29.01.2021 mitgeteilt, dass die Einrichtungen der Klägerin ab Juli 2020 wieder in vollem Betrieb gewesen seien.

Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin die Gewährung von Kug und die pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 begehrt. Die Klägerin hat hierauf keinen Anspruch. Denn sie hat die Leistung für diese Monate jedenfalls nicht fristgemäß beantragt.

Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III in der vom 01.04.2012 bis 28.05.2020 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I S. 2854, 2911) sind Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 SGB III für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen; die Frist beginnt mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die die Leistungen beantragt werden. Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III in der vom 29.05.2020 bis 31.12.2021 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20.05.2020 (BGBl. I S. 1044, 1049) sind Kurzarbeitergeld, die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für Bezieherinnen und Bezieher von Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 SGB III für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen; die Frist beginnt mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die die Leistungen beantragt werden. Der Antrag ist eine empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung und wird gemäß § 130 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er dem Empfänger, hier also der Beklagten zugeht (LSG Hamburg, Urteil vom 18.01.2023 – L 2 AL 17/22 – juris, Rn. 24). Der Antragsteller trägt somit ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung (BSG, Urteil vom 21.02.1991 – 7 RAr 74/89 – juris, Rn. 30). Wegen des Charakters als Ausschlussfrist kommt bei Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 05.02.2004 – B 11 AL 47/03 R – juris, Rn. 12; LSG Hamburg, a.a.O., Rn. 27; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.02.2011 – L 3 AL 2195/10 – juris, Rn. 23).

Die Klägerin hat die Ausschlussfrist gemäß § 325 Abs. 3 SGB III vorliegend nicht eingehalten. Diese endet für den streitbefangenen Monat Mai 2020 mit Ablauf des 31.08.2020 und für den streitbefangenen Monat Juni 2020 mit Ablauf des 30.09.2020. Der Beklagten sind die Leistungsanträge auf Kug für die Monate Mai und Juni 2020 jedoch frühestens am 29.01.2021 zugegangen. Dies entnimmt der Senat der Verwaltungsakte der Beklagten. Die darin enthaltenen Anträge der Klägerin auf Kug für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 sind mit einer auf den 29.01.2021 datierten Unterschrift des Geschäftsführers der Klägerin versehen. Dies spricht dafür, dass die der Beklagten zugegangenen Leistungsanträge nicht vor diesem Zeitpunkt gestellt worden sind. Die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass Leistungsanträge für die Monate Mai und Juni 2020 der Beklagten zu einem früheren Zeitpunkt und insbesondere innerhalb der o.g. Ausschlussfristen zugegangen sind. Nichts anderes ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen ihres Geschäftsführers und dessen Sekretärin. Die an Eides statt versicherten Tatsachen, dass ein Leistungsantrag für den Monat Mai 2020 am 08.06.2020 unterzeichnet und zur Post aufgegeben und ein Leistungsantrag für den Monat Juni 2020 am 07.07.2020 unterzeichnet auf den Postweg gebracht worden sei, können als wahr unterstellt werden, ohne dass hieraus der für eine Antragstellung nach § 325 Abs. 3 SGB III erforderliche Zugang dieser Postsendungen bei der Beklagten folgt. Nachweise hierfür konnte die Klägerin nicht vorlegen. Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 103 Rn. 19a). Für den Zugang der Leistungsanträge bei der Beklagten vor Ablauf des 31.08.2020 (für den Monat Mai 2020) bzw. des 30.09.2020 (für den Monat Juni 2020) trägt mithin die Klägerin die objektive Beweislast. Somit hat die Nichterweislichkeit eines Zugangs vor Ablauf des 31.08.2020 bzw. 30.09.2020 zur Folge, dass der geltend gemachte Anspruch auf Kug für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 nicht besteht.

Die Beklagte hat zu Recht nicht geprüft, ob sie nach § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine verspätete Antragstellung zulassen kann. Diese Vorschrift bezieht sich auf § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III, der vorschreibt, dass Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht werden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Von diesem Grundsatz, der sicherstellen soll, dass vor Leistungserbringung oder -bewilligung die Voraussetzungen der Leistung überprüft werden können, lässt § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III eine Ausnahme zu. Die Vorschrift ist auf das Kug, das nach § 324 Abs. 2 Satz 2 SGB III nachträglich zu beantragen ist, nicht anzuwenden (LSG Hamburg, Urteil vom 18.01.2023 – L 2 AL 17/22 – juris, Rn. 28 m.w.N.).

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für Mai und Juni 2020. Gemäß § 109 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 SGB III (in der vom 15.03.2020 bis 31.03.2022 geltenden Normfassung des Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld vom 13. März 2020 <BGBl. I. S. 493>) i.V.m. § 2 Abs. 1 Kurzarbeitergeldverordnung vom 25.03.2020 (BGBl. I. S. 595) werden dem Arbeitgeber für Arbeitsausfälle bis zum 31.12.2020 die von ihm während des Bezugs von Kug nach § 95 SGB III allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung auf Antrag von der Agentur für Arbeit in pauschalierter Form erstattet. Hierbei handelt es sich um eine Annexleistung zum Kug. Nach dem klaren Wortlaut der Regelung setzt sie dessen „Bezug“ voraus. Besteht kein Anspruch auf Kug, scheidet auch die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung aus. Wie ausgeführt, steht der Klägerin für die Monate Mai und Juni 2020 kein Kug zu. Deshalb kann sie auch keine pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für diese Monate beanspruchen (vgl. Senatsurteil vom 23.09.2022 – L 8 AL 2469/21 – nicht veröffentlicht; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2022 – L 3 AL 1175/21 –, juris, Rn. 39; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.02.2011 – L 3 AL 2195/10 – juris, Rn. 24).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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