§ 141 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII findet keine Anwendung, wenn der streitigen Leistungsbewilligung bereits ein sechsmonatiger Bewilligungszeitraum vorangegangen ist, der in den Anwendungsbereich der Norm fällt. Eine darüberhinausgehende Auslegung geht über die Grenzen des Wortlauts hinaus und stellt eine unzulässige Auslegung contra legem dar.
Gerichtsbescheid | Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Grundsicherung in besonderen Wohnformen – Aufhebung und Erstattung von Grundsicherungsleistungen – anfängliche und nachträgliche Rechtswidrigkeit – Anwendbarkeit der Übergangsregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie | § 45, § 48 SGB X, § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16.11.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2023 wird insoweit aufgehoben, als die Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie in Höhe von 200,00 Euro aufgehoben und erstattet verlangt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 15 % zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung der Leistungsbewilligung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) aufgrund von zu berücksichtigendem Vermögen.
Der am 00.00.0000 geborene und in besonderer Wohnform untergebrachte Kläger beantragte am 11.11.2019 – aufgrund der Umstellung durch das Bundesteilhabegesetz (BSHG) – die Gewährung von Grundsicherungsleistungen ab dem 01.01.2020.
Mit Bewilligungsbescheid vom 06.02.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger zunächst für die Zeit vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 Leistungen der Grundsicherung in besonderen Wohnformen nach dem 4. Kapitel SGB XII in Höhe von 1053,22 Euro monatlich. Mit Weiterbewilligungsbescheid vom 15.12.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 01.02.2021 bewilligte jener weitere Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.01.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von 1058,51 Euro monatlich. Ferner bewilligte jener mit Weiterbewilligungsbescheid vom 15.12.2021 Leistungen für die Zeit ab dem 01.01.2022 bis 31.12.2022 in Höhe von 1082,72 Euro monatlich. Der Beklagte bewilligte dem Kläger zudem mit Bescheid vom 27.06.2022 eine Einmalzahlung in Höhe von 200,00 Euro aus Anlass der COVID-19-Pandemie.
Am 20.10.2020 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung und Erstattung der bisher bewilligten Leistungen für die Zeit vom 01.09.2021 bis 13.09.2021, 01.10.2021 bis 25.10.2021, 02.11.2021 bis 07.11.2021, 01.12.2021 bis 16.12.2021, 30.12.2021 bis 13.01.2022, 01.02.2022 bis 23.02.2022, 28.02.2022 bis 10.04.2022 und für die Zeit ab dem 28.04.2022 bis 31.12.2022 und der Einmalzahlung aus Anlass der Pandemie an. Zur Begründung führte er an, dass sich aus am 27.09.2022 eingereichten Unterlagen ergebe, dass in den genannten Zeiträumen die gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zu gewährende Vermögensschongrenze des kleineren Barbetrags in Höhe von 5000,00 Euro überschritten sei.
Der Beklagte hob sodann mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 16.11.2022 die Leistungsbewilligung und die Corona-Einmalzahlung für die genannten Zeiträume gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und forderte einen Betrag in Höhe von (2.188,66 Euro + 9.651,68 Euro =) 11.840,34 Euro erstattet. Zur Begründung führte er die Überschreitung des Vermögensschonbetrags an. Die Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII greife nicht ein. Zwar werde danach Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Der Kläger sei durch die Pandemie aber nicht bedürftig geworden. Seine finanzielle Situation habe sich nicht verändert. Einzusetzendes Vermögen wirke grundsätzlich anspruchsvernichtend. Die Hilfe setze erst taggenau wieder ein, wenn die Vermögensschongrenze unterschritten sei. Ein fiktiver Vermögensverbraucher sei nicht vorgesehen.
Der Kläger legte am 25.11.2022 Widerspruch gegen die vorgenommene Aufhebung und Erstattung ein. Zur Begründung trug er vor, dass sein Vermögen abweichend von den allgemeinen Regeln gemäß § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII für den gesamten Zeitraum nicht zu berücksichtigen sei.
Der Beklagte half dem Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2023 teilweise ab. Er reduzierte die Aufhebungs- und Erstattungsforderungen um einen Betrag in Höhe von 470,39 Euro für den Zeitraum vom 01.09.2021 bis 13.09.2021. Er reduzierte die Aufhebung und Erstattung mithin auf einen Betrag in Höhe von 11.369,95 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf seine bisherigen Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Die Ausnahmevorschrift § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII finde keine Anwendung. Die Überschreitung der Vermögensschongrenze schließe ein Anspruch auf Leistungen aus.
Der Kläger hat am 22.02.2023 Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor, dass die Vorschrift des § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII sowohl für Erstanträge, Neuanträge als auch Weiterbewilligungsanträge gelte. Die Leistungsbewilligung sei im temporären Anwendungszeitraum des § 141 SGB XII erfolgt. Weiterhin sei die Vermögensschongrenze in einigen Zeitabschnitten lediglich geringfügig überschritten worden. Eine vollständige Leistungsaufhebung scheide daher aus.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Bescheide des Beklagten vom 16.11.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2023 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er vollumfänglich auf seine bisherigen Ausführungen im Widerspruchsverfahren.
Die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung per Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG beabsichtigt.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und bezüglich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht hat vorliegend durch Gerichtsbescheid entschieden. Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Wesentlich ist, dass im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände nicht offenbleiben (Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 7).
Die zulässige Klage hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG statthaft und im Übrigen zulässig.
Die Klage hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg. Der Kläger ist durch den zweiten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2023 – auch nach erfolgter Teilabhilfe im Widerspruchsverfahren – bezogen auf die Berücksichtigung der Corona-Einmalzahlung beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der angegriffene Bescheid ist insoweit materiell rechtswidrig. Im Übrigen ist der Bescheid formell und materiell rechtmäßig.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist formell rechtmäßig. Er ist nicht wegen eines Anhörungsmangels formal rechtswidrig. Der Beklagte hat den Kläger vor Erlass der streitbefangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheids am 20.10.2022 angehört.
Die Aufhebung der Corona-Sonderzahlung für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.22021 ist materiell rechtswidrig. Im Übrigen erfolgte die Aufhebung materiell rechtmäßig.
Die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist materiell rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung ist § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Der Kläger verfügte im streitbefangenen Zeitraum über ein die Vermögensschongrenze übersteigendes Vermögen in Höhe von mehr als 5000,00 Euro. Dieses stand bei Erlass der streitbefangenen Bescheide nicht von Anfang an fest. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist für Leistungen der Sozialhilfe nach dem 4. Kapitel SGB XII grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Verbindung mit § 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung (DVO § 90 Abs. 2 SGB XII a.F.) sind als kleinerer Barbetrag und als sonstiger Geldwert 5.000,00 Euro geschützt. Soweit die Vermögensschongrenze überschrittenen wird, besteht ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nicht. Das einzusetzende Vermögen wirkt anspruchsvernichtend. Ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen entsteht erst dann wieder, wenn die Vermögensschongrenze unterschritten wird (vgl. zur Grundsicherung für Arbeitsuchende: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20.02.2020, B 14 AS 52/18 R Rn. 34). Tatsächlich vorhandenes Vermögen ist einem möglichen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen vollständig entgegenzuhalten. Bereits eine geringe Überschreitung der Vermögensschongrenze wirkt anspruchsvernichtend. Eine Beschränkung der Aufhebung und Rückforderung auf die Differenz zwischen dem überschrittenen Schonbetrag und der Vermögensschongrenze kommt nicht in Betracht. Ein fiktiver Vermögensverbrauch ist nicht vorgesehen (vgl. A. a. O. Rn. 21).
Einer Berücksichtigung des Girokontoguthabens steht die Übergangsregelung des § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII aus Anlass der COVID-19-Pandemie nicht entgegen. Sie ist auf den streitbefangenen Zeitraum nicht anwendbar. Der Kläger war mit der Leistungsbewilligung ab dem 01.01.2021 bereits seit sechs Monaten – im Anwendungsbereich der Vorschrift – im Bezug von Leistungen bei dem Beklagten. § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII regelt, dass bei der Leistungsbewilligung nach dem 3. und 4. Kapitel SGB XII für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2022 beginnen, abweichend von § 2 Abs. 1, § 19 Abs. 1, 2 und 5, § 27 Abs. 1 und 2, § 39, § 41 Abs. 1, § 43§ 43 Abs. 1, § 43 Abs. 2 und § 90 SGB XII Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt wird. Das gilt gemäß § 141 Abs. 2 S. 2 SGB XII ausnahmsweise dann nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die leistungssuchenden Personen dies im Antrag erklären.
Zwar ist die Frage der Wirkungsdauer der Übergangsvorschriften zur Nichtberücksichtigung von Vermögen für eine Dauer von sechs Monaten ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. So wird bei der Prüfung der Leistungsberechtigung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu § 67 Abs. 2 S. 1 SGB II teilweise angenommen, dass sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus dem Willen des Gesetzgebers Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die in § 67 Abs. 2 S. 1 SGB II angeordnete Nichtberücksichtigung von Vermögen nur einmalig gilt und durch eine Bewilligung „verbraucht“ ist. Vielmehr soll der vereinfachte Zugang mit den erleichterten Bedingungen mehrmals im Anwendungsbereich der Norm anwendbar sein. Begründet wird dies mit der Gesetzesbegründung zur Verlängerung der Ausnahmevorschriften des vereinfachten Zugangs bis zum 31.03.2022 (vgl. BT-Drucksache 20/15, S. 35f.), wonach die Auswirkungen der Pandemie absehbar auch in nächster Zukunft noch bestehen und die Regelungen verlängert werden, um den Betroffenen die Sorge von einem Wegfall der oft noch immer nötigen Unterstützung zu nehmen. Dies schaffe Rechts- und Planungssicherheit für die Betroffenen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 11.02.2022 – L 21 AS 66/22 B ER Rn. 29). Andererseits wird auf dem Gebiet der Sozialhilfe zu § 141 Abs. 2 S. 1 SGB II vertreten, dass die Nichtberücksichtigung von Vermögen (nur) für die Dauer von sechs Monaten, beginnend mit dem ersten Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2022, gilt. Wenn dieser Zeitraum abgelaufen sei, komme der erweiterte Vermögensschutz nicht mehr zum Tragen. Einem weiteren Verständnis stehe die Gesetzesbegründung zu der ursprünglichen Regelung entgegen, wonach nach Ablauf von sechs Monaten Leistungen unter Berücksichtigung von Vermögen nach den üblichen Vorschriften erbracht werden sollen (vgl. Bundestag (BT)-Drucksache. 19/18107, S. 25). Zwar seien die Regelungen zwischenzeitlich mehrfach verlängert worden, aktuell bis zum 31.03.2022, es gebe jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dadurch von seinem ursprünglichen Plan habe abweichen wollte, den erweiterten Vermögensschutz nur für einen Zeitraum von sechs Monaten einzuräumen (LSG NRW, Beschluss vom 28.06.2022 – L 9 SO 140/22 B ER Rn. 8).
Nach Überzeugung der Kammer findet § 141 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII nach seinem Wortlaut und nach der Gesetzesbegründung keinerlei Anwendung, wenn der streitigen Leistungsbewilligung bereits ein sechsmonatiger Bewilligungszeitraum vorangegangen ist, der in den Anwendungsbereich der Norm fällt. Ausweislich des Wortlauts der Vorschrift, wird vorhandenes Vermögen lediglich für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Zwar wählt der Gesetzgeber nicht ausdrücklich die Formulierung, dass eine Nichtberücksichtigung nur einmalig nicht stattfinden soll. Nach dem natürlichen Wortsinn kann § 141 Abs. 2 S. 1 SGB XII aber nicht so verstanden werden, dass nach Ablauf von sechs Monaten Vermögen weiterhin nicht berücksichtigt wird, wenn der Bewilligung ein mindestens sechs Monate andauernder Bewilligungszeitraum vorangegangen ist, der grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Norm fällt. Der Wortlaut der Norm beschränkt die Nichtberücksichtigung von vorhandenen Vermögen nach dem natürlichen Wortsinn auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Damit kommt eine Begrenzungsfunktion zum Ausdruck. Dem gesetzlich kodifizierten Tatbestandsmerkmal „für die Dauer von sechs Monaten“ würde bei der Möglichkeit mehrmaliger Verlängerungen keine begrenzende Funktion mehr zukommen. Die Beschränkung des erweiterten Vermögensschutzes auf die Dauer von sechs Monaten liefe im Ergebnis leer (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 67, 1. Überarbeitung Rn. 18). Grenze der Auslegung einer Vorschrift ist der Wortlaut einer Norm. Eine darüber hinausgehende Auslegung stellt regelmäßig eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem dar. Eine Auslegung dahin gehend, dass die im Wortlaut angelegte zeitliche Befristung auf sechs Monate erweitert wird und dadurch auf Folgezeiträume anwendbar ist, nimmt dem Wortlaut vollständig seine Bedeutung. Eine solche Auslegung geht über die Grenzen des Wortlauts hinaus und ist unzulässig. Gründe für eine ausnahmsweise zulässige verfassungskonforme Auslegung contra legem liegen nicht vor.
Eine solche Interpretation der Übergangsvorschrift steht auch im Einklang mit dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, dass der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz für einen begrenzten Zeitraum nur eingeschränkt Anwendung findet. „Während eine Einkommensprüfung weiterhin erfolgt, sollen für einen Zeitraum von sechs Monaten, die Leistungen unabhängig vom Einsatz des Vermögens erbracht werden.“ Der Gesetzgeber führt weiter aus, dass „nach Ablauf von sechs Monaten, gerechnet ab dem ersten Tag des maßgeblichen Bewilligungszeitraums nach Absatz 1, […] die existenzsichernden Leistungen unter Berücksichtigung von Vermögen nach den üblichen Vorschriften erbracht“ werden (BT Drucksache, 19/18107, S. 28f.). Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber eine Fortwirkung auf mehrere Bewilligungszeitraume gerade nicht gewollt hat. Dem steht auch nicht die Gesetzesbegründung zur Verlängerung der Übergangsvorschriften entgegen. Der Gesetzgeber äußert sich zwar im Gesetzgebungsverfahren dazu, dass die Regelungen aufgrund der weiterhin bestehenden Auswirkungen der Corona-Pandemie noch fortbestehen sollen und den Betroffenen damit die Sorge vor einem Wegfall einer oft noch immer nötigen Unterstützung genommen werden soll. Der Gesetzgeber hat sich aber bewusst dazu entschieden, an der ursprünglichen Formulierung mit der Begrenzung auf sechs Monate keine Änderung vorzunehmen, sondern lediglich den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm zu verlängern. Eine über einen Zeitraum von insgesamt sechs Monaten hinausgehende Nichtberücksichtigung von Vermögen findet im Gesetz keine Stütze. Für eine restriktive Auslegung spricht im Übrigen auch, dass die bereits in der Überschrift der Vorschrift ausdrücklich bezeichnete Ausnahme- und Übergangsvorschrift aus Anlass der COVID-19-Pandemie, als Abweichung vom sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz, restriktiv auszulegen ist. Demzufolge war das Vermögen des Klägers nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII nach Ablauf der ersten sechs Monate, in diesem Fall, bei Beginn der Leistungsbewilligung im Januar 2021, nach Ablauf des 30.06.2021, berücksichtigungsfähig.
Der Aufhebung steht im konkreten Fall nicht entgegen, dass § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X in seiner Rechtsfolge vorsieht, dass eine Aufhebung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen „soll“. Trotz der Formulierung „soll“ in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB XI hat im Regelfall eine rückwirkende Aufhebung zu erfolgen. Mit dem Begriff „soll“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die Aufhebung die Regel ist. § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X ist einer Mussvorschrift angenähert auszulegen (Lang in: LPK-SGB X, 6. Aufl. 2023, SGB X § 48 Rn. 48). Nur in begründeten Ausnahmefällen ist eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gegebenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen werden kann. § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X enthält nur für „atypische Fälle“ eine Verpflichtung des Leistungsträgers zu einer Ermessensausübung (BSG), Urteil vom 06.11.1985 – 10 RKg 3/84, m.w.N.) Die Prüfung, ob ein solcher "atypischer Fall" vorliegt, ist nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar. Wann ein "atypischer Fall" vorliegt, in dem die Behörde eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend aufgehoben wird, hängt von dem jeweiligen Zweck der Regelung des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X und den Umständen des Einzelfalles ab. Diese müssen vom typischen Regelfall signifikant zum Nachteil des Betroffenen abweichen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1986 – 7 Rar 55/84). Allein die finanzielle Belastung mit der vorliegenden Aufhebung reicht für das Begründen einer besonderen Härte nicht aus, da es den Regelfall darstellt, dass der Leistungsberechtigte durch die verfügte Aufhebung und Erstattung finanziell belastet wird. Darüberhinausgehende Gründe sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger im Klageverfahren vorgetragen, dass sie eine Rückforderung der vollen Leistungen unbillig sei und lediglich die Differenz zwischen dem den Schonbetrag übersteigendem und tatsächlichen Vermögen zu fordern sei. Das einzusetzende Vermögen wirkt jedoch grundsätzlich anspruchsvernichtend, sodass die vollständige Rückforderung den Regelfall darstellt. Erst nach dem tatsächlichen Verbrauch des überschreitenden Betrages sind existenzsichernde Leistungen wieder zu gewähren. Auch eine geringe Überschreitung der Vermögensfreigrenze wirkt anspruchsvernichtend. Ein fiktiver Vermögensverbrauch ist nicht vorgesehen (BSG, Urteil vom 16. Februar 2022 – B 8 SO 17/20 R –, SozR 4 (vorgesehen) Rn. 27, m.w.N.)
Eine besondere Härte des Einsatzes des Vermögens des Klägers im Sinne des § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII liegt nicht vor. Die Sozialhilfe darf gemäß § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine Unterhaltsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Vermögensberücksichtigung an sich stellt keine besondere Härte, sondern den gesetzlichen Regelfall dar. Für das Vorliegen einer besonderen Härte sind im Einzelfall darüber hinausgehende besondere Gründe notwendig. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Überschreitung der Vermögensfreigrenze und zur Nichtberücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs verwiesen.
Die Aufhebung der am 27.06.2022 bewilligten Corona-Sonderzahlung in Höhe von 200,00 Euro ist in Ermangelung von Ermessenserwägungen materiell rechtswidrig erfolgt und war daher aufzuheben. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung für den Monat Juli 2022 kann im konkreten Fall nur § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2, oder Nr. 3 SGB X, nicht aber § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X sein, da der Kläger mit Bescheid vom 27.06.2022 Leistungen bewilligt worden sind und im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids das zu berücksichtigende Vermögen seit dem 28.04.2022 vollständig die Vermögensschongrenze überschritten hatte. Anders als bei den Leistungsbewilligungen kam es in der Folgezeit nicht mehr zu einem temporären zeitlichen Unterschreiten des Vermögensschonbetrags, sodass keinerlei anfängliche Rechtswidrigkeit vorlag. Die Abgrenzung zwischen § 45 SGB X und § 48 SGB erfolgt danach, ob ein Bescheid anfänglich bei dessen Erlass rechtswidrig ist, oder eine nachträgliche Änderung eintritt. Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er mit dem anzuwendenden Recht formell oder materiell nicht im Einklang steht und er nicht nach § 40 SGB X nichtig ist. Von § 45 SGB X sind alle begünstigenden Verwaltungsakte erfasst, die von vornherein rechtswidrig sind. Anfänglich rechtswidrig ist ein Bescheid, wenn er schon bei seinem Erlass mit dem anzuwendenden Recht nicht im Einklang steht. Es kommt auf die objektive Sachlage bei Erlass des Bescheids an (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X Rn. 50) Gerade im Bereich der Grundsicherung kann es dazu kommen, dass Bescheide mehrfach geändert werden. Dann ist auf die Sachlage im Zeitpunkt des letzten Änderungsbescheids abzustellen (Padé in: A.a.O. Rn. 58). Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dem Leistungsberechtigten ist grundsätzlich Vertrauensschutz zu gewähren. § 45 Abs. 2 SGB regelt dazu, dass ein begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte sich nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die Rücknahme von Verwaltungsakten eröffnet der Behörde ausdrücklich des Wortlauts des § 45 Abs. 1, 2 SGB X („darf“) Ermessen. Das bedeutet, dass der Leistungsträger auch Ermessenserwägungen anstellen muss. Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung muss der Leistungsträger gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) das ihm zustehende Ermessen überhaupt betätigt haben und es entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ausüben, § 39 Abs. 1 S. 1 SGB I. Ob Ermessensfehler in Gestalt eines Ermessensnichtgebrauchs, Ermessensfehlgebrauchs oder einer Ermessensüberschreitung vorliegen, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. Der Aufhebungsbescheid muss erkennen lassen, dass Ermessen ausgeübt wurde und welche Aspekte in das Ermessen eingestellt wurden. Allein die Tatsache, dass Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht besteht, führt nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten, die in der Begründung des Bescheids zu erkennen sein müssen (Padé in: A.a.O. Rn. 125). Anders als im Bereich des Grundsicherungsrechts nach dem SGB II ist auch ein nachträgliches Stützen auf die Vorschriften des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X ohne die Ausübung von Ermessenserwägungen nicht möglich. Im Bereich des SGB II wird § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X durch § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) regelmäßig zu einem gebundenen Anspruch konkretisiert. Eine Parallelvorschrift zu § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II findet sich im SGB XII jedoch nicht (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 40 Rn. 3). Eine Ermessensbetätigung bleibt daher regelmäßig notwendig. Im konkreten Fall greift auch nicht die richterrechtlich entwickelte Ausnahme, dass ein Ermessensmangel dann nicht zur Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsaktes führen kann, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsgehalt rechtsfehlerhaft wäre (vgl. BSG, Urteil vom 9. September 1998 – B 13 RJ 41/97 R). Einer möglichen Umdeutung steht im Bereich des Grundsicherungsrechts entgegen, dass selbst im Falle einer Bösgläubigkeit eine Ermessensausübung im Hinblick auf das in Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerte Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 1987 – 7 RAr 22/86 –, Rn. 31 f.).
Die Erstattungsforderung ist in Höhe der unrechtmäßig aufgehobenen Corona-Sonderzahlung in Höhe von 200,00 Euro rechtswidrig. Im Übrigen ist sie materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen vor. Die festgesetzte Erstattungsforderung entspricht insoweit der Differenz zwischen den gewährten und den nach dem streitgegenständlichen Bescheid zustehenden Leistungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den prozessualen Teilerfolg des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren.