Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.12.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Zugunstenverfahren die Zahlung von Pflegegeld statt der bewilligten Pflegesachleistung.
Die am 00.00.1936 geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige; sie bezieht eine Rente aus der polnischen Rentenversicherung. Seit dem 27.04.2017 ist die Klägerin über den polnischen Krankenversicherungsträger (Lodzki Oddzial Wojewodzki NFZ) bei der Beklagten im Rahmen der Leistungsaushilfe versichert.
Auf den im Juni 2017 gestellten Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr durch Bescheid vom 29.08.2017 ab dem 19.06.2017 Pflegesachleistungen gemäß § 36 SGB XI nach dem Pflegegrad 3.
Einen auf die Gewährung von Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen (§ 37 SGB XI) anstelle der bewilligten Pflegesachleistungen (ab 19.06.2017) gerichteten Antrag der Klägerin vom 27.03.2018 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29.03.2018 ab. Sie führte zur Begründung an, der EuGH habe im Rahmen der Sachleistungsaushilfe im zwischenstaatlichen Recht entschieden, dass ausschließlich Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden könnten. Bei Geldleistungen sehe das Gemeinschaftsrecht vor, dass diese Leistungen von dem Staat erbracht würden, in dem die Versicherung bestehe. Eine Auszahlung des Pflegegeldes sei somit nicht möglich. Es würden weiterhin Pflegesachleistungen zur Verfügung gestellt.
Mit Schreiben vom 30.10.2018 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides der Beklagten vom 29.03.2018. Sie machte geltend, die Hinweise auf europäische Regelungen träfen nicht zu, da die Klägerin auch im Herkunftsland einen Anspruch auf Pflegegeld habe.
Durch Bescheid vom 27.11.2018 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, nach den europäischen Verordnungen (VO <EG> 883/04) erhalte eine (in einem anderen EU-/EWR-Staat oder der Schweiz) versicherte Person, die im Gebiet eines anderen Staates als des zuständigen Staates wohne, Geldleistungen vom zuständigen (ausländischen) Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften und Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers, bei dem das Mitgliedschaftsverhältnis bestehe, vom Träger des Wohnortes (aushelfender Träger) nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (SGB XI), als ob sie bei diesem Träger versichert wäre. Da Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates zu zahlen seien, scheide die Zahlung von Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI aus.
Hiergegen erhob die Klägerin am 10.12.2018 Widerspruch und machte im Wesentlichen geltend, es liege kein Fall der Leistungsaushilfe vor. Die Klägerin sei nicht in Polen, sondern in Deutschland krankenversichert. Sie habe dauerhaft ihren Aufenthalt in Deutschland genommen. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung würden von ihrer Rente abgehalten. Von polnischer Seite habe man ihr mitgeteilt, dass sie in Polen nicht mehr kranken- und pflegeversichert sei. Zudem kenne die polnische Krankenversicherung keine dem Pflegegeld entsprechende Leistung. Hierzu führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus (Schreiben vom 29.03.2019), diese sei ihr durch die polnische Krankenversicherung zum 27.04.2017 mit dem Vordruck S1 als Betreute im Ausland gemeldet worden. Als betreuende Krankenkasse sei die Lodzki Oddzial Wojewodzki NFZ angegeben worden. Die Beklagte nahm Bezug auf ein am 20.05.2017 bei ihr eingegangenes S1-Formular in polnischer Sprache nebst Anlagen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 02.05.2019 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben und im Wesentlichen unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen vertiefend ausgeführt, sie habe ihren Aufenthalt dauerhaft in Deutschland genommen und werde von ihrer Tochter gepflegt. Von ihrem Renteneinkommen würden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgehalten, die an die Beklagte gingen. In einem solchen Fall sei auch das Pflegegeld in Deutschland auszuzahlen. Der nationale Gesundheitsfonds habe ihr auf wiederholte telefonische Anfrage bestätigt, dass ihr in Deutschland über die Beklagte die Leistungen zustünden, die sie auch in Polen erhalten würde. In Polen erhalte der Pflegebedürftige sowohl Sach- als auch Geldleistungen. Die Klägerin hat Bezug genommen auf zwei Schreiben (in polnischer Sprache) der ZUS Sozialversicherungsanstalt vom 13.11.2019.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019 zu verurteilen, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 ab dem 19.06.2017 Pflegegeld nach dem SGB XI nach Pflegegrad 3, statt Pflegesachleistungen nach diesem Pflegegrad zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an der in den angefochtenen Bescheiden geäußerten Rechtsauffassung festgehalten und wiederholend ausgeführt, sie erbringe Sachleistungen im Auftrag der polnischen Krankenversicherung; Geldleistungen könnten nicht zur Verfügung gestellt werden. Soweit von der polnischen Rente Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten würden, gingen diese nicht an sie, sondern an den polnischen Versicherungsträger. Dieser rechne die Sachleistungen, die die Klägerin in Deutschland in Anspruch nehme, mit der Beklagten ab. Ausweislich des vorliegenden S1-Formulars, bei dem der Punkt 2.1 „Geldleistungen bei Pflegebedürftigkeit“ nicht angekreuzt worden sei, sei lediglich ein Anspruch auf Sachleistungen durch den polnischen Krankenversicherungsträger (Lodzki Oddzial Wojewodzki NFZ) bescheinigt worden. Überdies sei eine Leistung, wie sie von der Klägerin begehrt werde, in Polen nicht bekannt.
Das Sozialgericht hat Schriftstücke in polnischer Sprache, die in der Gerichts- und Verwaltungsakte enthalten sind (S1 Formular nebst Anlage, Schreiben der ZUS Sozialversicherungsanstalt vom 13.11.2019), in die deutsche Sprache übersetzen lassen. Auf ihren Inhalt wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Das Sozialgericht Köln hat die Klage durch Urteil vom 04.12.2020 abgewiesen. Die Beklagte habe den Überprüfungsantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt, denn sie habe auch den Antrag der Klägerin, ihr statt der bewilligten Pflegesachleistungen Pflegegeld nach dem SGB XI zu bewilligen, zu Recht abgelehnt. Die Klägerin sei nach den vorliegenden Unterlagen in Polen gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit versichert. Versicherte in der deutschen Pflegeversicherung sei die Klägerin damit nicht. Von der Beklagten würden Leistungen im Auftrag der polnischen Versicherung erbracht. Die Beklagte rechne die erbrachten Leistungen mit dem polnischen nationalen Gesundheitsfonds ab. Die Leistungserbringung und Abrechnung erfolge auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO EG Nr. 883/04). Ein Versicherter, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat (hier Polen) wohne, erhalte nach Art. 17 VO EG Nr. 883/04 in dem Wohnmitgliedstaat (hier Deutschland) Sachleistungen, die vom Träger des Wohnortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht würden. Der Sachleistungsanspruch richte sich also nach deutschem Recht. Art. 21 VO EG Nr. 883/04, auf den sich die Klägerin beziehe, bestimme, dass ein Versicherter der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohne oder sich dort aufhalte, Anspruch auf Geldleistungen habe, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht würden. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes könnten diese Leistungen jedoch vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden. Der Anspruch auf Geldleistungen setzte also voraus, dass im zuständigen Mitgliedstaat, also in Polen, ein Anspruch auf Geldleistungen bestehe. Die Leistungen würden dann grundsätzlich auch vom zuständigen Träger, also vom polnischen Träger erbracht. Lediglich im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger, also dem polnischen Träger, und dem Träger des Wohnortes, also der Beklagten, könnten die Leistungen vom Träger des Wohnortes nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates, also nach den polnischen Rechtsvorschriften erbracht werden. Welche Geldleistungen nach polnischem Recht in Betracht kämen, sei von der Beklagten aufgelistet worden. Auf den Schriftsatz vom 20.12.2019 werde Bezug genommen. Ein Pflegegeld, so wie es in Deutschland vorgesehen sei und wie es von der Klägerin im vorliegenden Verfahren beansprucht werde, gebe es in Polen danach nicht. Soweit die Klägerin Geldleistungen nach polnischem Recht in Anspruch nehmen wolle, müsse sie sich an den polnischen Träger wenden.
Gegen das ihr am 04.01.2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Köln hat die Klägerin am 01.02.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend führt sie aus, aus Artikel 21 VO EG Nr. 883/04 ergebe sich, dass die Beklagte verpflichtet sei, im Auftrag der polnischen Krankenversicherung Geldleistungen, auf die die Klägerin einen Anspruch habe, an diese auszuzahlen. Solche Geldleistungen stünden der Klägerin nach polnischem Krankenversicherungsrecht zu; sie könne sie jedoch nicht in Polen beantragen, sondern nur in ihrem Aufenthaltsstaat, mithin in Deutschland. Dies ergebe sich aus Artikel 1 und 3 des polnischen Gesetzes über Familienleistungen, wonach eine besondere Pflegebeihilfe oder sonstige Familienleistungen an Personen, die ihren Wohnsitz nicht in Polen haben, nicht ausgezahlt würden. Die Klägerin nimmt insoweit Bezug auf Schreiben in polnischer Sprache des „Ministerstwo Rodziny I Polityki Spolecznej“ vom 04.02.2021 und vom 08.02.2021. Es sei ihr daher nicht möglich, die begehrten Geldleistungen in Polen zu beantragen; lediglich der gewählte Weg über die Beklagte stehe ihr offen. Ergänzend führt sie aus, zwischenzeitlich sei Pflegegrad IV festgestellt worden. Pflegesachleistungen erhalte die Klägerin wegen der Überlastung der örtlich erreichbaren ambulanten Pflegedienste nicht.
Auf einen Höherstufungsantrag der Klägerin aus Februar 2021 hin gewährt die Beklagte ihr auf der Grundlage eines Gutachtens des MDK vom 23.02.2021 seit dem 01.02.2021 (Bescheid vom 25.02.2021) Pflegesachleistungen gemäß § 36 SGB XI nach dem Pflegegrad 4.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.12.2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019 zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI ab dem 19.06.2017 bis zum 31.01.2021 nach dem Pflegegrad 3 und ab dem 01.02.2021 nach dem Pflegegrad 4 an Stelle der gewährten Pflegesachleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
A. I. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
II. Streitgegenständlich ist, nachdem die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 25.02.2021 ab dem 01.02.2021 Leistungen nach dem Pflegegrad 4 gewährt, die Gewährung von Pflegegeld statt der gewährten Pflegesachleistungen in der Zeit vom 19.06.2017 bis zum 31.01.2021. Denn (einzig) streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 ab dem 19.06.2017 Pflegegeld zu gewähren, zeitlich unbegrenzt abgelehnt hat. Der nach Berufungseinlegung ergangene Bescheid vom 25.02.2021 hat den Bescheid vom 29.03.2018 für die Zeit ab dem 01.02.2021 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X). Dieser (neue) Bescheid ist nicht streitgegenständlich; er ist insbesondere nicht Gegenstand des laufenden Berufungsverfahrens geworden (§ 96 SGG), da er keinen identischen Streitgegenstand betrifft (vgl. BSG vom 02.02.2010 – B 8 SO 21/08 R Rn. 9 m.w.N.).
B. Die insoweit (siehe A. II.) zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Köln hat die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) der Klägerin zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 ab dem 19.06.2017 Pflegegeld zu gewähren abgelehnt hat, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Pflegegeldes an Stelle der gewährten Pflegesachleistungen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist auszuführen:
I. Die Klägerin ist nicht berechtigt, Leistungen nach § 37 SGB XI (in den Fassungen vom 23.12.2016 und vom 06.05.2019 – a.F.) ab Juni 2017 gegenüber der Beklagten geltend zu machen, weil die Klägerin nicht zu dem versicherten Personenkreis gezählt hat (dazu unter 1), sondern Ansprüche nur durch die VO (EG) Nr. 883/2004 vermittelt werden (dazu unter 2).
1. Im Zeitraum ab Juni 2017 bis 31.01.2021 (und auch darüber hinaus) bestand kein Anspruch auf Pflegegeld gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F., weil die Klägerin die allgemeine Leistungsvoraussetzung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in den Fassungen ab 01.01.2016 nicht erfüllte (und auch weiterhin nicht erfüllt).
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Die Klägerin war zwar pflegebedürftig. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) vom 23.02.2021, in dem auf ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI (PSG) vom 14.07.2017 Bezug genommen wird, auf dessen Grundlage die Beklagte mit Bescheid vom 29.08.2017 ab dem 19.06.2017 für die Klägerin Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI) nach dem Pflegegrad 3 bewilligt hat. Die Klägerin unterfiel aber im streitigen Zeitraum (und unterfällt auch weiterhin) nicht dem versicherungspflichtigen und damit leistungsberechtigen Personenkreis in der deutschen sozialen Pflegeversicherung im Sinne der §§ 20 ff. SGB XI (in den Fassungen vom 21.12.2015, 04.04.2017 und 14.12.2019 – a.F.).
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten nur Versicherte die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Die Klägerin erfüllte (unstreitig) keinen der in §§ 20 und 21 SGB XI geregelten, eine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung begründenden Tatbestände.
2. Sie könnte daher nur nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts im Wege der Leistungsaushilfe berechtigt sein.
a) Dem Gemeinschaftsrecht kommt auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit nur die Funktion zu, die unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme zu koordinieren, nicht hingegen sie zu harmonisieren (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 33 m.w.N.).
Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit im eigentlichen Sinne sind im einschlägigen Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Bereits die Verordnung des Rates der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige, sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 14.06.1971, enthielt in ihren Art. 13 ff. Kollisionsnormen. Noch unter ihrer Geltung hatte der EuGH mit seiner Entscheidung vom 05.03.1998 (Rs. C-160/96 [Molenaar]) entschieden, dass Leistungen der Pflegeversicherung zu den davon erfassten Leistungen bei Krankheit gehören (s. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 34 m.w.N.). Am 01.11.2009 wurde die Verordnung (EWG) Nr. 1408/17 durch die auch vorliegend einschlägige VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2009 weitestgehend (zu den nicht einschlägigen Ausnahmen vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. a) bis c)) abgelöst (s. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 35).
b) Die VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst persönlich alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates (Art. 2) und damit auch die polnische Klägerin. Der sachliche Geltungsbereich erstreckt sich u.a. nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) auch auf Leistungen bei Krankheit. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des EuGH sind die einzelnen Leistungen der Pflegeversicherung vor allem deshalb als Ergänzung (nicht zwingend integraler Bestandteil) zu denen der Krankenversicherung zu sehen, weil deren Zweck und inhaltliche Ausgestaltung auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Lebenssituation pflegebedürftiger Personen abziele und die beiden Leistungsträger organisatorisch verbunden seien (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 36 m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass die Art. 17 ff. VO (EG) Nr. 883/2004 auch für deutsche Pflegeversicherungsleistungen entsprechend zur Anwendung gelangen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 37 m.w.N.).
c) Aus diesen Kollisionsregelungen lässt sich jedoch zu Gunsten der Klägerin keine Leistungsberechtigung herleiten. Versicherte, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat wohnen, erhalten nach Art. 17 VO (EG) Nr. 883/2004 Sachleistungen, die vom Träger des Wohnortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob sie nach diesen Vorschriften versichert wären. Jedoch handelt es sich bei dem Pflegegeld nicht um eine Sach- sondern um eine Geldleistung (dazu unter aa). Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht insoweit auch nach Art. 21 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht (dazu unter bb).
aa) Bei dem vorliegend begehrten Pflegegeld handelt es sich um eine Geldleistung im Sinne des Art. 21 VO (EG) Nr. 883/2004. Der Begriff der Geld- und der Sachleistung wird in der VO nicht ausdrücklich definiert (s. LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – L 5 P 69/20 Rn. 40); er ist unionsrechtsautonom auszulegen (Leopold in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Artikel 21 Rn. 26 unter Hinweis auf EuGH vom 15.06.2006 – C-466/04 [Herrera] und EuGH vom 16.07.2009 – C-208/07 [von Chamier-Glisczinski]).
Nach der grundlegenden Definition des EuGH in der Entscheidung vom 05.03.1998 (Rs. C-160/96 [Molenaar]) schließt der Begriff der Sachleistungen auch solche Leistungen ein, die durch Zahlung des verpflichteten Trägers, insbesondere in der Form der Kostenübernahme oder -erstattung, erbracht werden. Der Begriff "Geldleistungen" deckt danach im Wesentlichen die Leistungen, die dazu bestimmt sind, den Verdienstausfall des kranken Arbeitnehmers auszugleichen. Zum Teil, so der EuGH, bestehen die Leistungen der Pflegeversicherung in der Übernahme oder Erstattung der durch die Pflegebedürftigkeit des Betroffenen entstandenen Kosten, insbesondere aufgrund ärztlicher Behandlung. Solche Leistungen, die die häusliche oder stationäre Pflege des Versicherten, den Kauf von Pflegehilfsmitteln und bestimmte Maßnahmen decken sollten, fallen danach in jedem Fall unter den Begriff der Sachleistung der Vorgängerverordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Verordnung (EG) Nr. 1408/17. Demgegenüber soll zwar auch das Pflegegeld bestimmte Kosten ausgleichen, die durch die Pflegebedürftigkeit verursacht worden sind (insbesondere Aufwendungen für eine Pflegeperson), und nicht etwa einen Verdienstausfall des Begünstigten. Gleichwohl weist es aber Merkmale auf, die es von Sachleistungen der Krankenversicherung unterscheiden. Dies zeigt sich daran, dass die Zahlung: 1. periodisch erfolgt; sie hängt weder davon ab, dass zuvor bestimmte Auslagen, etwa für Pflege entstanden sind; 2. handelt es sich beim Pflegegeld um einen festen Betrag, der von den Ausgaben unabhängig ist, die der Begünstigte tatsächlich bestritten hat, um für seinen täglichen Lebensunterhalt aufzukommen; 3. verfügt der Begünstigte bei der Verwendung des Pflegegeldes über weitgehende Freiheit. Insbesondere kann danach das Pflegegeld, wie die deutsche Regierung selbst angegeben hat, vom Begünstigten dazu verwendet werden, einen Angehörigen seiner Familie oder seiner Umgebung, der ihn unentgeltlich pflegt, zu belohnen (vgl. zur Zuordnung des Pflegegeldes als Geldleistung auch EuGH vom 30.06.2011 – C-388/09 [da Silva Martins] Rn. 43 m.w.N. und Leopold in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Artikel 21 Rn. 28 m.w.N.).
bb) Ein Anspruch gegen die Beklagte als aushelfende Trägerin gemäß Art. 17 VO (EG) Nr. 883/2004 besteht lediglich für Sachleistungen. Dem ist die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 29.03.2018 nachgekommen. Ist das begehrte Pflegegeld gemeinschaftsrechtlich den Geldleistungen zuzuordnen (s.o.), könnte sich ein Anspruch der Klägerin hierauf nur aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ergeben.
aaa) Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 werden Versicherten und ihren Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen oder sich dort aufhalten, Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht (sog. Leistungsexport). Hieraus folgt, dass für die Gewährung von Geldleistungen, zu denen auch das Pflegegeld gehört, der Träger der polnischen Krankenversicherung (hier die Lodzki Oddzial Wojewodzki NFZ) zuständig wäre.
bbb) Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004. Dort ist lediglich angeordnet, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Letzteres ist hier aber durch Art. 21 VO (EG) Nr. 883/2004 gerade geschehen, der die allgemeine Regelung des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 verdrängt (vgl. (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2022 – L 4 P 2403/20 Rn. 36 m.w.N.).
ccc) Soweit die Klägerin angibt, Geldleistungen vom zuständigen Versicherungsträger (Lodzki Oddzial Wojewodzki NFZ) nicht beziehen zu können, weil sich aus Artikel 1 und 3 des polnischen Gesetzes über Familienleistungen ergebe, dass eine besondere Pflegebeihilfe oder sonstige Familienleistungen an Personen, die ihren Wohnsitz nicht in Polen haben, nicht ausgezahlt würden, folgt daraus nichts anderes. Unabhängig von den Fragen, ob die insoweit von der Klägerin bezeichneten Leistungen mit dem hier begehrten Pflegegeld vergleichbar sind und ob die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen auf diese Leistungen erfüllt, vermittelt ihr dies keinen Anspruch gegen die Beklagte. Hierin liegt weder eine unzulässige Diskriminierung (Art. 18, 45 Abs. 2 AEUV) noch eine ungerechtfertigte (systemwidrige) Ungleichbehandlung (Art. 20 der Grundrechtecharta der EU, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG). Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin (im Verhältnis zu anderen polnischen Versicherten) beruht nach ihrem eigenen Vorbringen nicht auf ihrer Staatsangehörigkeit, sondern ist allein Folge davon, dass die Klägerin bei einem polnischen Versicherungsträger gegen das Risiko der Krankheit und Pflegebedürftigkeit versichert ist und ihren ständigen Aufenthalt nicht in Polen gewählt hat. Dem Gemeinschaftsrecht kommt auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit nur die Funktion zu, die unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme zu koordinieren, nicht hingegen sie zu harmonisieren (s.o.). Da es die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme unberührt lässt, dürfen die nationalen Leistungssysteme formelle und materielle Unterschiede aufweisen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2022 – L 4 P 2403/20 Rn. 36 m.w.N.). Weder das Primärrecht noch die Koordinierungsregelungen der VO (EG) Nr. 883/2004 garantieren vor diesem Hintergrund einem Versicherten, dass die Wahl seines Wohnsitzes in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit neutral ist. Aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, können bei grenzüberschreitenden Sachverhalten vielmehr finanzielle Vorteile oder Nachteile eintreten, die gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich hinzunehmen sind (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2022 – L 4 P 2403/20 Rn. 36 m.w.N.).
ccc) Letztlich liegt auch kein Fall des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 vor. Danach können im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts Geldleistungen vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden (Geldleistungsaushilfe). Soll von dieser Option Gebrauch gemacht werden, erfordert die Vorschrift die Herstellung eines Einvernehmens zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts. Ein solches wird durch inhaltlich übereinstimmende empfangsbedürftige Willenserklärungen hergestellt (s. Leopold in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Artikel 21 Rn. 40). Das Vorliegen eines derartigen Einvernehmens zwischen der Beklagten und dem zuständigen Träger ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte sei im Auftrag des Träger der polnischen Krankenversicherung verpflichtet, Geldleistungen, auf die sie einen Anspruch habe, auszuzahlen, deckt sich dies nicht mit Art. 21 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004. Dahinstehen mag deshalb, ob sich – wie die Klägerin meint – aus dem Vordruck S1 ein derartiger Auftrag des polnischen Trägers der Krankenversicherung ergibt, ohne dass ein Ankreuzen – wie die Beklagte meint – hierzu erforderlich wäre.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
D. Gründe für eine Revisionszulassung im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.