L 8 R 2620/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 2242/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 2620/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15.08.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1961 geborene Kläger hat in Kasachstan eine Qualifikation als Traktorist/Maschinist erworben. Nach seinem Zuzug nach Deutschland im Jahr 1992 war er circa 13 Jahre als Schlosserhelfer tätig. Im Anschluss an eine Umschulung zum Schweißer übte er diese Tätigkeit versicherungspflichtig zuletzt bei der S1 Fertigungstechnik GmbH in G1 aus. Ab dem 20.07.2020 war er arbeitsunfähig und bezog seit dem 31.08.2020 Krankengeld.

Am 07.10.2020 beantragte er die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA). Mit Bescheid vom 24.02.2021 stellte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes als LTA in Aussicht.

Vom 20.01.2021 bis 17.02.2021 absolvierte er eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der R1klinik in R2. Nach dem Entlassungsbericht vom 18.02.2021 bestanden bei ihm Krämpfe mit Hyposensibilität und Beinschwäche rechts bei Bandscheibenprotusion L4/5, ein Zustand nach Unterschenkelfraktur mit Fraktur des linken oberen Sprunggelenkes (OSG) 1997 nach Motorradunfall, osteosynthetisch versorgt, eine fortgeschrittene OSG-Arthrose links mit deutlicher Funktionseinschränkung des linken Sprunggelenks bei Zustand nach OSG-Fraktur links sowie eine chronisch rezidivierende Osteomyelitis (durch Bakterien, Mykobakterien oder Pilze verursachte Entzündung und Destruktion des Knochens) links am Unterschenkel, operativ versorgt im Oktober 2020. Die bisherige Tätigkeit als Schweißer sei aufgrund der Arbeitsschwere nicht weiter zumutbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen oder überwiegend im Sitzen vollschichtig durchgeführt werden. Mehr als gelegentliches Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, mehr als gelegentliche gebückte Haltungen sowie sämtliche Tätigkeiten mit Absturzgefährdung seien zu meiden, weiterhin mehr als gelegentliche Einwirkungen von Stößen oder Erschütterungen. Ebenso seien fixiertes Sitzen und Bewegungsmonotonien nicht zumutbar.

Am 01.03.2021 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten und führte aus, dass er sich seit Mai 2020 infolge einer Taubheit in der Hüfte sowie im Oberschenkel, infolge von Bandscheibenprotrusion, einer fortgeschrittenen OSG-Arthrose links mit deutlicher Funktionseinschränkung des linken Sprunggelenks nach Fraktur Jahr 1979, einer Osteosyntese, einer Osteomyelitis des linkes Unterschenkels, eines Bluthochdrucks, infolge von starken Schmerzen, Schlafstörungen und Depressionen für erwerbsgemindert halte.



Die Beklagte zog ärztliche Befundberichte sowie den Rehaentlassungsbericht vom 18.02.2021 bei und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.04.2021 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger könne noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein.

Hiergegen legte der Kläger am 05.05.2021 Widerspruch ein. Er gab zur Begründung an, nicht arbeiten zu können, da er auf einen Gehstock angewiesen sei, sein Körper immer wieder taub erscheine und er jeden Tag die Kontrolle über seine Beine verliere. Er leide zudem unter Panikattacken und habe Atemnot.

Nach Einholung eines weiteren Befundberichtes wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2021 zurück. Aus den medizinischen Unterlagen ergäben sich folgende Gesundheitsstörungen: eine Radikulopathie im Lumbalbereich, eine Fraktur des Unterschenkels, eine Arthrose und eine chronische Osteomyelitis. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Als Schweißer sei er nur noch unter 3 Stunden täglich einsatzfähig.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 16.07.2021 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten, dies insbesondere wegen seiner Radikulopathie im Lumbalbereich, ferner wegen der chronischen Osteomyelitis mit Fistel im Unterschenkel, der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und Schmerzen in den Extremitäten, im Knöchel und Fuß.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen.

Der B1 hat in seiner Auskunft vom 14.10.2021 als Diagnosen eine Coxarthrose bds., eine posttraumatische OSG-Arthrose links, eine operativ therapierte Osteomyelitis sowie eine Deformität des linken Fußes mitgeteilt. Dem Kläger sei nur noch eine sitzende Tätigkeit für 3 Stunden arbeitstäglich möglich. Die Gehfähigkeit sei eingeschränkt.

Der V1 hat mit Schreiben vom 01.11.2021 ausgeführt, dass glaubhaft schmerzbedingte Bewegungseinschränkungen, teilweise mit Ruheschmerzen als Folge der Kombination von degenerativem LWS-Syndrom, Osteomyelitis am linken Unterschenkel sowie der ausgeprägten Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes bestünden. Das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei massiv eingeschränkt. Einer auch nur leichten Arbeit im zeitlichen Umfang von täglich 6 Stunden könne er sicherlich nicht nachgehen. Auch sei eine tägliche Arbeitszeit von mindestens 3 Stunden nicht mehr möglich.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.12.2021 eine sozialmedizinische Stellungnahme der L1 vom 02.12.2021 eingereicht, wonach es bei der bisherigen Bewertung des Sachverhalts verbleibe.

Das SG hat den S2 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem, aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 03.03.2022 erstellten Gutachten vom 07.03.2022 hat S2 eine schwere Arthrose im OSG links, eine Wirbelsäulen-Fehlhaltung, eine geringe Hüftarthrose beidseits sowie eine minimale Gonarthrose links diagnostiziert. Aufgrund des geschilderten Gesundheitszustandes könne der Kläger noch regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Er könne noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit Heben und Tragen von Lasten von 5 kg bis maximal 8 kg verrichten. Die Tätigkeiten sollten überwiegend sitzend, mit der Möglichkeit zum zeitweisen Umhergehen stattfinden. Häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder an laufenden Maschinen seien nicht zu fordern. Akkord-, Fließband-, Schicht- oder Nachtarbeit seien bei Einhaltung von qualitativen Einschränkungen möglich. Arbeiten in Kälte, in Nässe, im Freien sowie unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen könnten nicht gefordert werden. Mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art, auch mit Publikumsverkehr, werde der Kläger aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse nicht ausüben können. Die noch möglichen Tätigkeiten könne der Kläger noch mindestens 6 Stunden arbeitstäglich verrichten. In absehbarer Zeit sei eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers erreichbar, wenn die seit über einem Jahr verordneten orthopädischen Maßschuhe endlich vorliegen würden. Damit würde sich sein Gangbild und sein allgemeines Befinden mit Sicherheit erheblich verbessern. Die Wegstrecke zur Arbeit zu Fuß sei im gegenwärtigen Zustand mit zumutbarer Strecke von 500 Metern viermal täglich in einem Zeitraum von 20 Minuten nicht eingeschränkt. Die Wegstrecke zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei ebenfalls nicht eingeschränkt.

Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 15.08.2022 abgewiesen. Beim Kläger liege eine volle oder teilweise Erwerbsminderung nicht vor, weil er zur Überzeugung des SG noch in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen mindestens 6 Stunden täglich zu arbeiten. Das SG stütze sich dabei auf das Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere auf den Reha-Entlassungsbericht der R1klinik R2 vom 18.02.2021 und das orthopädische Fachgutachten des gerichtlichen Sachverständigen S2.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 15.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 07.09.2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat zur Begründung unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen ausgeführt, dass der Gerichtsbescheid die ärztlichen Attestierungen der behandelnden Ärzte des Klägers, B1, und V1, nicht ausreichend berücksichtige. Das SG habe den Inhalt dieser eingereichten ärztlichen Begutachtungen nicht ausreichend gewürdigt. Die Voraussetzungen für die begehrte Erwerbsminderungsrente seien erfüllt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15.08.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweise Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

Der Senat hat den F1 mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt. In seinem am 28.03.2023 erstellten Gutachten hat F1 folgende Diagnosen gestellt:
1. aktuell nicht aktivierte destruierende Arthrose mit nahezu Fixierung in 20 Grad Spitzfußstellung des linken OSG,
2. Lumboischialgie rechts mit Parästhesie L5 rechts bei Protrusion und Facettengelenksarthropathie LWK4/5 mit möglicher Enge L5 rechts sowie Protrusion LWK3/4,
3. multiple degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule kaum über das dem Alter entsprechenden Ausmaßes hinausgehend,
4. reaktive myofasziale Dystonien betont über dem Musculus trapezius pars descendens rechts, der Thorakolumbal-Faszie sowie über den Erector spinae longissimus beidseits der Lendenwirbelsäule mit Beckenhochstand links und Schulterhochstand rechts,
5. großbogige rechtskonvexe Skoliose thorakolumbal,
6. eingeschränkte segmentale Beweglichkeit bei aktivierten Facettengelenksarthrosen mit Druckschmerz über den Dornfortsätzen aller Lendenwirbel,
7. Arthralgie des rechten Schultergelenkes mit schmerzhaft eingeschränkter Elevation, Anteversion sowie Hochrotation und Reizung der vorderen Kapsel sowie einem positiven Impingementzeichen bei sonografisch nachgewiesener Tendinose der Supraspinatus- sowie der Infraspinatussehne, einer Tendinitis bicipitalis (Entzündung der Bizepssehne) und einer ACG-Arthrose,
8. Aktivierte Daumensattelgelenksarthrose links,
9. Hüftkapselreizung rechts mit Schmerzen bei kombinierter Innenrotation- und Flexion im Sinne von faszialen Verklebungen im Bereich der Hüftkapsel sowie im Bereich der angrenzenden Muskelbinden am ehesten auf Reaktion auf die Lumboischalgien ohne Nachweis einer relevanten über das Alterstypische Ausmaß hinausgehenden Coxarthrose.
Der Kläger sei nicht in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt „über 6 Stunden“ und mehr an 5 Tagen in der Woche auszuüben. Die Verrichtung von leichten Tätigkeiten für 3 bis weniger als 6 Stunden sollte allerdings möglich sein.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.05.2023 eine sozialmedizinische Stellungnahme des M1 eingereicht, wonach die von F1 aufgeführten Befunde nicht wesentlich von denen im Rehaentlassungsbericht abwichen und letztlich nur leichte Funktionseinschränkungen bzw. überwiegend altersentsprechende Normalbefunde bestünden. Warum das Leistungsvermögen auf 3 bis unter 6 Stunden reduziert sein sollte, erschließe sich nicht.

Die Beklagte hat auf Anforderung der Berichterstatterin einen aktuellen Versicherungsverlauf eingereicht.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 21.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2021 ist nicht rechtswidrig, der Kläger wird nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Daher hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Anspruchsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche - ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Ausgehend hiervon lässt sich für den Zeitraum seit der Antragstellung eine volle oder auch nur teilweise Erwerbsminderung des Klägers nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen, so dass der geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Das Gericht entscheidet dabei nach § 128 Abs. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich, aber an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Gewisse Zweifel sind unschädlich, so lange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (MKLS/Keller SGG 13. Aufl. 2020 § 128 Rn. 3b).

Grundlage dieser Überzeugung sind der Rehaentlassungsbericht vom 18.02.2021, welchen der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie das vom SG eingeholte orthopädische Gutachten von S2 vom 07.03.2022. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 15.08.2022 ausführlich und schlüssig dargelegt, dass dem Kläger noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit Heben und Tragen von Lasten von 5 kg bis maximal 8 kg, überwiegend sitzend, mit der Möglichkeit zum zeitweisen Umhergehen 6 Stunden arbeitstäglich zumutbar sind. Ausgeschlossen sind häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder an laufenden Maschinen, Arbeiten in Kälte, in Nässe, im Freien sowie unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen sowie mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art, auch mit Publikumsverkehr. Akkord-, Fließband-, Schicht- oder Nachtarbeit sind bei Einhaltung von qualitativen Einschränkungen möglich.

Der Senat kann - ebenso wie das SG - anhand der von S2 auf orthopädischem Fachgebiet erhobenen Befunde keine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten feststellen. S2 hat bei der Begutachtung des Klägers eine schwere Arthrose im OSG links, eine Wirbelsäulen-Fehlhaltung, eine geringe Hüftarthrose beidseits sowie eine minimale Gonarthrose links diagnostiziert. Das Gangbild ist zwar durch die schwere Arthrose im OSG links mit Versteifung beeinträchtigt. Dieser Zustand kann jedoch durch eine Versorgung mit orthopädischen Hilfsmitteln gebessert werden. Der Belastbarkeitsminderung der LWS durch die Verhärtungen und Schmerzen insbesondere im Übergang zwischen LWS und Steißbein ist durch die Annahme von qualitativen Leistungseinschränkungen, wie dem Ausschluss von Tätigkeiten mit schweren Heben und Tragen, in Zwangshaltungen, mit häufigem Bücken oder Arbeiten auf Leitern und Gerüsten Rechnung zu tragen. Schwergradige und andauernde Blockierungen sowie Nervenwurzelreizsyndrome konnte S2 nicht bestätigen. Er kommt daher schlüssig zum Ergebnis, dass dem Kläger noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit von Haltungswechseln 6 Stunden arbeitstäglich zumutbar sind. Diese Einschätzung entspricht auch der Leistungseinschätzung im Rehaentlassungsbericht vom 18.02.2021, welcher sogar noch leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten für zumutbar erachtet hat. Der Senat kann daher kein Absinken des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf unter 6 Stunden arbeitstäglich feststellen. Der Senat vermag insofern auch nicht der Leistungseinschätzung des behandelnden B1 in dessen sachverständiger Zeugenaussage gegenüber dem SG vom 14.10.2021 zu folgen, wonach nur noch eine sitzende Tätigkeit im zeitlichen Umfang von 3 Stunden vorliegt. B1 teilt insofern auch keine abweichenden Befunde mit, welche nicht nachfolgend bei der Begutachtung durch S2 gewürdigt worden sind. Der Senat schließt sich daher der Leistungseinschätzung des SG unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die der Senat nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage für zutreffend erachtet, an (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers sowie die durchgeführte Beweiserhebung im Berufungsverfahren rechtfertigen keine anderslautende Beurteilung. Soweit F1 in seinem Gutachten vom 28.03.2023 anführt, dass das Leistungsvermögen des Klägers auch für leichte Tätigkeiten auf unter 6 Stunden gesunken sei, überzeugt dies den Senat nicht. F1 hat im Bereich der Wirbelsäule und der Sprunggelenke keine abweichenden Befunde im Vergleich zu S2 erhoben. Hierauf weist auch der M1 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 19.04.2023 hin. Sofern F1 das Absinken des Leistungsvermögens auf unter 6 Stunden für leichte Tätigkeiten mit der schmerzhaften Bewegungseinschränkung, der OSG-Arthrose sowie den schmerzhaften Störungen der LWS begründet, bezieht er dies auf die Dauer der Arbeiten in unveränderter Position sowie die Länge der Wegstrecke. Der Bewegungseinschränkung der LWS sowie der OSG-Arthrose kann jedoch durch die Ermöglichung von Haltungswechsel bei überwiegendem Arbeiten im Sitzen Rechnung getragen werden. Eine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten ist nach dem Ausmaß der Funktionseinschränkungen beim Kläger nicht gegeben. Die Bewegungseinschränkung der rechten Schulter führt durch den Ausschluss von Tätigkeiten mit schwerem Heben und Tragen, Überkopfarbeiten und schulterbelastenden Tätigkeiten zur Annahme einer qualitativen Leistungseinschränkung, rechtfertigt jedoch für sich noch nicht die Annahme einer Erwerbsminderung. Die eingeschränkte Gehfähigkeit ist durch die - bereits verordnete - Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk besserbar. Auch aus der Arthrose des linken Daumensattelgelenkes folgt nur der Ausschluss von Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Feinmechanik. Eine völlige Gebrauchsunfähigkeit der Fingergelenke sowie des Handgelenkes lag jedoch nicht vor. Der Pinzettengriff war beidseits ungestört möglich.

Insgesamt konnte der Senat unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen feststellen, dass der Kläger noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes leichte Tätigkeiten arbeitstäglich 6 Stunden auszuüben. Er hat jedoch die im Rehaentlassungsbericht vom 18.02.2021 sowie in dem Gutachten von S2 vom 07.03.2022 dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen zu beachten. Der Senat konnte dieses Leistungsvermögen bezogen auf den Zeitpunkt des Rentenantrages sowie seither ununterbrochen feststellen. Insoweit führen auch weder körperliche und seelische Erkrankungen und Behinderungen zu einer zeitlichen, also quantitativen Limitierung des Leistungsvermögens noch ergibt sich aus den qualitativen Leistungseinschränkungen einzeln oder in Kombination eine solche zeitliche (quantitative) Einschränkung der Leistungsfähigkeit oder eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Es liegt auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die trotz zeitlich nicht relevant eingeschränktem Leistungsvermögen eine rentenrechtliche Erwerbsminderung annehmen lassen.

Der Senat kann auch keine Einschränkung der Wegefähigkeit feststellen. Fehlende Wegefähigkeit liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.10.2017 – L 1 R 435/14 –, juris). Die Gehfähigkeit des Klägers ist zwar infolge der Arthrose im linken OSG eingeschränkt. Jedoch ist er nach den Feststellungen des Gutachters S2 noch in der Lage, die geforderte Gehstrecke, gegebenenfalls mit Gehstock, zu absolvieren. Zudem ist eine Verbesserung des Gehvermögens durch die bereits veranlasste orthopädische Schuhversorgung zu erwarten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt somit nicht vor.

Der Kläger ist damit nicht erwerbsgemindert. Er hat daher keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI. Auch für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI liegen die Voraussetzungen nicht vor.

Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem 1961 geborenen Kläger schon aus Rechtsgründen nicht zu (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben zusammen mit dem Rehaentlassungsbericht vom 18.02.2021 sowie dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten von S2 vom 07.03.2022 dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren hat keinen Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen gegeben.

Die Berufung des Klägers war daher in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.


 

Rechtskraft
Aus
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