L 12 SB 104/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 1684/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 12 SB 104/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.12.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Bei dem 1967 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30.01.1985 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem damals gültigen Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit 50 und das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft fest. Dem lag eine versorgungsärztliche Stellungnahme zu Grunde, in welcher die Zuckerkrankheit mit einer MdE von 50 und die chronische Bronchitis mit einer MdE von 10 bewertet wurden.

Am 28.03.2017 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB wegen einer geltend gemachten Verschlimmerung der bisher berücksichtigten Gesundheitsstörungen und dem Hinzutreten neu aufgetretener Gesundheitsstörungen. Seinem Antrag legte er eine ärztliche Bescheinigung von W1, S1 Klinikum K1, , vom Dezember 2016 bei, aus welcher sich entnehmen ließ, dass der Kläger unter einer chronifizierten, ängstlich gefärbten, depressiven Symptomatik leide. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom April 2017 wurde der Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 40, die chronische Bronchitis mit einem Einzel-GdB von 10 und die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von 30 und der Gesamt-GdB weiterhin mit 50 bewertet. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen bei W1 über einen stationären Aufenthalt im S1 Klinikum K1 im Zeitraum vom 25.02.2014 bis 28.02.2014 wurde versorgungsärztlicherseits an der bisherigen Einschätzung festgehalten. Eine höhere Bewertung der seelischen Störung lasse sich durch den nachgereichten Befundbericht nicht begründen. Mit Bescheid vom 24.07.2017 (wurde hierauf gestützt eine Neufeststellung abgelehnt.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2019 nach Beiziehung eines weiteren Befundberichts von W1 vom August 2017 und gestützt auf dessen versorgungsärztliche Auswertung als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 13.05.2019 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zu deren Begründung unter anderem vorgetragen,
es könne nicht richtig sein, dass allein die Zuckerkrankheit und die chronische Bronchitis bisher zu einem GdB von 50 geführt hätten und jetzt, nach zusätzlichem Auftreten der seelischen Störung, der GdB weiterhin nur 50 betrage. Die Zuckerkrankheit sei nach wie vor vorhanden und bedinge die gleiche Beeinträchtigung der Teilhabe am täglichen Leben wie in der Vergangenheit. Entscheidend für die Gesamtbewertung sei die festgestellte mittelgradige depressive Episode, die sich auf sein tägliches Leben massiv auswirke. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass er seinem Beruf als Lehrer nicht mehr nachgehen könne. Der GdB sei mit 70 festzusetzen.

Das SG hat zunächst W1
schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. In seiner Zeugenauskunft vom 11.02.2020 hat dieser ausgeführt, der Kläger sei bei ihm seit Januar 2014 in durchgehender ambulanter Behandlung mit Abständen von jeweils 6 bis 8 Wochen. Der Kläger leide unter einer depressiven Verstimmung mit Freudlosigkeit, innerer Anspannung und Unruhe sowie Ängsten und unter Schlafstörungen. Die Symptome würden vom Kläger selbst auf psychische Belastungen im Kontext mit Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitgeber bezogen. Diagnostisch würden eine mittelgradige depressive Episode und eine Dysthymia bestehen.

Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat das SG von Amts wegen ein Gutachten bei dem S2, M1, in Auftrag gegeben.
Da sich der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Situation und der vorherrschenden Corona-Pandemie nicht in der Lage gesehen hat, zu S2 für eine ambulante Untersuchung anzureisen und er deshalb, teilweise unentschuldigt, 3 ihm angebotene Gutachtenstermine nicht wahrgenommen hat, hat das SG nach wiederholter vorheriger Ankündigung, zuletzt mit schriftlichem Hinweis vom 22.06.2021, S2 veranlasst, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. In seinem Gutachten vom 05.07.2021 hat S2 einen Diabetes mellitus Typ I, mit einer Insulinpumpe versorgt, ohne relevante Folgekrankheiten, eine mittelgradige depressive Episode/Dysthymia, und eine chronische Bronchitis diagnostiziert. Nach Aktenlage sei der Diabetes mellitus bei der Nutzung einer Insulinpumpe mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Der Therapieaufwand mit der Insulinpumpe übersteige nicht das übliche Maß einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT). Die seelische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Es bestünden nach Aktenlage Einschränkungen der Teilhabe am alltäglichen Leben in der Gesellschaft. Das seelische Befinden sei aber vor allem durch die erheblichen Belastungen bei der beruflichen Tätigkeit bedingt. Erhebliche familiäre Probleme, bedingt durch das seelische Leiden, seien nicht belegt. Eine intensive Psychopharmakotherapie bzw. überhaupt eine Psychopharmakotherapie sei nicht aktenkundig. Die allenfalls leicht ausgeprägte chronische Bronchitis sei nach Aktenlage mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB würde bei 50 liegen.

Der Kläger ist dem Gutachten entgegengetreten. Er habe im September 2020 einen schweren Verkehrsunfall erlitten, welcher auf den Diabetes zurückzuführen sei. Es sei zu einer Unterzuckerung gekommen. Deshalb sei von S3, , ein Gutachten zur Überprüfung der Kraftfahreignung erstellt worden. Der Kläger hat das fachärztliche Gutachten zur Überprüfung der Kraftfahreignung des S3 vom Januar 2021 vorgelegt, in welchem dem Kläger bescheinigt worden ist, unter der derzeitigen Therapie sehr gut eingestellt zu sein und eine Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen verneint worden ist.

Mit Urteil vom 17.12.2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die seelische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. S2 wie auch W1 würden übereinstimmend von einer mittelgradigen depressiven Episode und Dysthymie ausgehen, welche bereits mit einer wesentlichen Störung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einhergehe.
Das seelische Befinden sei aber vor allem durch die erheblichen Belastungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit bedingt. Demgegenüber würden keine familiären Probleme, bedingt durch das seelische Leiden, vorliegen, weswegen S2 überzeugend zu dem Ergebnis gelange, dass ein GdB von 40 aufgrund der beim Kläger vorliegenden depressiven Symptomatik noch nicht gegeben sei. Auch vor dem Hintergrund, dass angesichts eines Behandlungsintervalls von 6 bis 8 Wochen keine engmaschige ambulante Therapie stattfinde und beim Kläger eine medikamentöse Behandlung der depressiven Behandlung bislang nicht erfolge, sei eine höhere Bewertung als mit einem Einzel-GdB von 30 nicht gerechtfertigt. Durch die Verwendung der Insulinpumpe erfülle der Kläger ohne Zweifel das Kriterium eines erhöhten Therapieaufwandes, vergleichbar mit der Gabe von mindestens 4 Insulindosen und der selbständigen Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker. Allein das Bedienen einer Insulinpumpe führe aber nicht zu einem GdB von mindestens 50. Entscheidend sei vielmehr, ob hierdurch auch eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung gegeben sei, so das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 25.10.2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die vom Kläger vorgetragene Therapie oder auch die erkrankungsbedingten Einschränkungen in seiner konkreten Lebensführung würden aber eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht erkennen lassen. Nach den eindeutigen Ausführungen im Gutachten von S3 bestehe beim Kläger keine Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen. Die stattgehabte schwere Unterzuckerung mit dem Verkehrsunfall sei bisher einmalig geblieben. Die Stoffwechsellage unter der derzeitigen Therapie sei sehr gut ausgeglichen. Es bestehe eine sehr gute Einstellung des Diabetes mellitus und eine fachärztliche regelmäßige Kontrolle. Eine höhere Bewertung des Diabetes mellitus als mit einem Einzel-GdB von 40 lasse sich deswegen nicht begründen. Unter Berücksichtigung des weiteren Einzel-GdB von 10 für die chronische Bronchitis sei der bisherige Gesamt-GdB mit 50 weiterhin zutreffend. Die Funktionsstörungen des Klägers würden keine derartigen Wechselwirkungen oder Summationseffekte aufweisen, als dass ein Gesamt-GdB von mehr als 50 erreicht werde. Ausgehend vom höchsten Einzel-GdB von 40 für den Diabetes mellitus sei daher der GdB durch den Einzel-GdB von 30 für das seelische Leiden angemessen auf 50 zu erhöhen. Der Einzel-GdB von 10 führe zu keiner weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB.

Gegen das dem Kläger am 23.12.2021 zugestellte Urteil hat dieser am 11.01.2022 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, insbesondere sei die mittelgradige depressive Episode nicht hinreichend berücksichtigt. Diese habe ja dazu geführt, dass er in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit versetzt worden sei, was natürlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Teilhabe am täglichen Leben habe, da er infolge der depressiven Beeinträchtigung seinen Bekanntenkreis auch im beruflichen Umfeld vollständig verloren habe. Beim Diabetes sei nicht berücksichtigt worden, dass dieser entgegen der Auffassung des SG eben nicht richtig eingestellt werden könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.12.2021 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2019 zu verpflichten, einen Grad der Behinderung von 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Der Berichterstatter hat den Kläger mit Verfügung vom 04.11.2022 um Mitteilung bis 05.12.2022 gebeten, ob dieser jetzt bereit sei, sich einer ambulanten Begutachtung durch S2 zu unterziehen.

Nachdem der Kläger nicht reagiert hat, sind die Beteiligten mit Verfügung vom 06.12.2022 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis 09.01.2023, bis einschließlich 27.01.2023 verlängert, eingeräumt worden.

Der Kläger ist der beabsichtigten Zurückweisung mit Stellungnahme vom 27.01.2023 entgegengetreten. Er hat neuerlich einen höheren Einzel-GdB für die psychische und internistische Erkrankung geltend gemacht und die Begutachtung nach Aktenlage beanstandet, für die es keinen vernünftigen Grund gegeben habe.
Er sei lediglich in Anbetracht einer eingeschränkten Belastungsfähigkeit und in Anbetracht der Corona-Situation nicht in der Lage gewesen, einen Untersuchungstermin in M1 wahrzunehmen. Weshalb das SG nicht, wie von ihm vorgeschlagen, einen Sachverständigen in K2 oder im K3 Raum beauftragt habe, erschließe sich nicht. Auch inhaltlich überzeuge das Gutachten des S2 nicht, der ohnehin nicht kompetent sei, die Auswirkungen der Beeinträchtigungen einer Diabeteserkrankung zu beurteilen.

Der Berichterstatter hat mit Verfügung vom 09.02.2023 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass an der beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss festgehalten werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen nicht vor. Solche Gründe haben auch die Beteiligten nicht vorgebracht.

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.

Streitgegenständlich ist vorliegend das Urteil des SG vom 17.12.2021, mit dem die Klage des Klägers, gerichtet auf die Zuerkennung eines GdB von mindestens 70 (anstelle des bislang festgestellten GdB von 50) unter Aufhebung des dies ablehnenden Bescheids vom 24.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2019, abgewiesen worden ist.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Neufeststellung eines höheren GdB zutreffend dargelegt und ebenfalls zutreffend dargestellt, weshalb diese Voraussetzungen beim Kläger nicht vorliegen und die angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht zu beanstanden sind. Der Senat sieht insoweit von einer eigenen Darstellung ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt auch nicht das Berufungsvorbringen des Klägers.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geltend macht, S2 fehle die Kompetenz zur Bewertung der Auswirkungen der diabetischen Erkrankung, verkennt er, dass S2, wie bereits seine Facharztbezeichnung zum Ausdruck bringt, auch M2 ist und somit die erforderliche Fachkompetenz auch für die Bewertung eines Diabetes mellitus besitzt. Im Übrigen hat das SG auch den im September 2020 erlittenen schweren Verkehrsunfall im Zustand der Unterzuckerung und insbesondere das hierauf erstattete fachärztliche Gutachten zur Überprüfung der Kraftfahreignung des S3 vom Januar 2021 berücksichtigt und ist anhand der beiden Gutachten sowie der weiteren aktenkundigen Unterlagen in Übereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 25.10.2012, B 3 SB 2/12 R, juris) zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass beim Kläger eine gravierende Teilhabeeinschränkung im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG), Teil B, Nr. 15.1 nicht gegeben ist.


Das weitere Vorbringen des Klägers, auch ein gut eingestellter Diabetes stelle eine Belastung dar, weil es eine erhebliche Mühe und sehr viel Zeit koste, um einen gut eingestellten Diabetes mellitus zu erreichen und zu erhalten, führt nicht weiter. Vielmehr stellt eine schlechte Einstellungsqualität eine Beeinträchtigung der Lebensführung dar, wohingegen bei einer guten Einstellung die Voraussetzung von gravierenden und erheblichen Einschnitten der Lebensführung regelmäßig nicht erfüllt sein dürfte (Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 10. Aufl. 2020, S. 328; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.07.2011, L 4 SB 182/10, juris). Dementsprechend hat S2 die auch von S3 in seinem Gutachten bestätigte, sehr gute Einstellung des Diabetes mellitus neben den weiteren relevanten Gesichtspunkten, die gegen eine gravierende Beeinträchtigung sprechen  (wie die auch von S3 ausgeschlossene Neigung zu häufigen und schweren Stoffwechselentgleisungen, das Fehlen diabetischer Folgeschäden und den Umstand, dass der Therapieaufwand mit Insulinpumpe nicht das übliche Maß einer intensivierten konventionellen Insulintherapie übersteigt), zu Recht in die Betrachtung des Ausmaßes der Einschnitte in die Lebensführung eingestellt und ist schlüssig und nachvollziehbar und bestätigt durch das nachfolgende Gutachten des S3 zum Ergebnis gelangt, dass gravierende Einschnitte in der Lebensführung nicht ersichtlich sind.

Auch das Vorbringen des Klägers gegen die Bewertung der seelischen Erkrankung im Urteil des SG ist nicht stichhaltig. S2 ist in seinem Gutachten in sorgfältiger Auswertung der Aktenlage schlüssig und nachvollziehbar zum Ergebnis gelangt, dass die beim Kläger unstreitig bereits gegebenen stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit noch nicht im oberen Bereich des Bewertungsrahmens nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 einzuordnen, sondern (nur) mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Der Sachverständige hat dies insbesondere darauf gestützt, dass die erheblichen seelischen Belastungen ganz maßgeblich in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit vorliegen und durch die berufliche Tätigkeit bedingt sind, wohingegen familiäre Probleme, bedingt durch das seelische Leiden, wie auch ein relevanter sozialer Rückzug nicht belegt sind. Die letzte (und bislang einzig erforderliche) stationäre Behandlung erfolgte im Februar 2014 und für 3 Tage, wobei bei Entlassung keine Psychopharmakotherapie für erforderlich erachtet worden ist. Akutstationäre psychiatrische Aufenthalte waren seitdem nicht mehr notwendig. Bei, was die Terminfrequenz angeht, weitmaschig angelegter psychiatrischer Betreuung durch W1 (alle 6 bis 8 Wochen) findet auch aktuell keine Psychopharmakotherapie statt. Wie das SG ausführlich dargelegt hat, wird die Einschätzung des Sachverständigen auch durch die Feststellungen des W1 als behandelnder P1 getragen, mag dieser auch in Verkennung der Bewertungsmaßstäbe der VG zu einer anderen Bewertung des GdB gelangen. Soweit der Kläger vorträgt, eine berufliche Betroffenheit könne gar nicht vorliegen, da er Mitte 2013 wegen arbeitgeberseitig behaupteter Dienstunfähigkeit gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt worden sei und hiergegen seitdem ankämpfe, stellt dies die Beurteilung durch den Sachverständigen nicht infrage. Denn der Kläger führt im selben Atemzug aus, dass er durch das langjährig andauernde Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit, welches aus seiner Sicht fehlerhaft durchgeführt worden sei (was dazu geführt habe, dass die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit jetzt wieder aufgehoben worden sei), und auch durch die unterbliebene Bearbeitung der von ihm bereits im Jahr 2014 erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde seit vielen Jahren und bis zum heutigen Tage ungemein belastet sei. Er bestätigt damit gerade die Einschätzung des Sachverständigen und des behandelnden Arztes W1, wonach
das seelische Befinden ganz maßgeblich durch die erheblichen Belastungen im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer bedingt ist.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht geboten. Eine neuerliche Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes auf seelischem Gebiet, des W1, war nicht angezeigt, nachdem es keine Anhaltspunkte für eine Änderung in der Qualität oder Ausprägung der seelischen Erkrankung gibt und solche vom Kläger auch nicht behauptet werden, dieser vielmehr geltend macht, die seelische Erkrankung sei unverändert gleich. Auch eine vom Kläger angeregte Begutachtung auf nervenärztlichem Gebiet mit ambulanter Untersuchung ist entbehrlich. Die sehr ausführliche schriftliche zeugenschaftliche Aussage des W1 gegenüber dem SG und die dieser Stellungnahme beigefügten umfangreichen Befundberichte haben dem Sachverständigen S2 ein ausreichendes Krankheitsbild verschafft, um die Erkrankung des Klägers auf seelischem Gebiet zutreffend zu bewerten.


Nachdem damit die Notwendigkeit weiterer Aufklärung von Amts wegen schon nicht mehr bestand, weist der Senat lediglich der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die zunächst beabsichtigte weitere Aufklärung des Sachverhalts durch die Weigerung des Klägers, sich einer ambulanten Begutachtung durch S2 zu unterziehen, verhindert worden ist. Die Folgen dieser Weigerung gehen zu Lasten des Klägers. Nach § 103 Abs. 1 2. Halbsatz SGG sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung verpflichtet. Dementsprechend ist der Kläger grundsätzlich verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, soweit dies zumutbar ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 14a, m.w.N.). Es steht für den Senat außer Frage, dass die ärztliche Untersuchung durch den Sachverständigen S2 für den Kläger zumutbar war. Dieser hat gegen eine Begutachtung durch S2 in M1 pauschal ein gegenüber einer möglichen Begutachtung in K2 erhöhtes Infektionsrisiko im Hinblick auf die Corona-Pandemie und seine körperliche Erschöpfung eingewandt. Wie aber bereits das SG im erstinstanzlichen Verfahren zutreffend dargelegt hat, ist nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Begutachtung in K2 zu einem geringeren Gefährdungspotential führen würde als eine Begutachtung in M1. Bei einer Anreise mittels eigenem Pkw dürfte eine Gesundheitsgefährdung aufgrund der Pandemiesituation in beiden Fällen wohl nahezu ausgeschlossen sei. Bei einer Anreise zu dem Begutachtungstermin von K1 aus, dem Wohnort des Klägers, mit öffentlichen Verkehrsmitteln würde, wie bereits vom SG ermittelt und dem Kläger mitgeteilt, die Fahrtdauer nach M1 mit der kürzesten Verbindung 1 Stunde und 13 Minuten betragen und diejenige nach K zwischen 46 Minuten und 65 Minuten. Weder was die zeitliche Inanspruchnahme angeht, noch in Bezug auf ein mögliches Infektionsrisiko, war dem Kläger daher die Wahrnehmung eines Begutachtungstermins bei S2 in M1 unzumutbar; zumal nach Abschluss der umfangreichen Impfkampagne im Jahr 2021 bzw. Frühjahr 2022 und angesichts der flächendeckenden Ausstattung der Bevölkerung mit FFP2-Masken im Zusammenspiel mit der gesetzlichen Pflicht zum Tragen im öffentlichen Personennahverkehr bis zu Beginn dieses Jahres die Ansteckungsrisiken im öffentlichen Raum deutlich gemindert waren. Andererseits hat bereits das SG dem Kläger dargelegt, weshalb S2 als Sachverständiger auf Grund seiner Qualifikationen und Erfahrungen sowohl auf dem nervenärztlichen wie auch internistischen Gebiet im besonderen Maße zur Begutachtung geeignet ist. Der Bevollmächtigte des Klägers ist mit Verfügung des SG vom 04.09.2020 auch eingehend über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung belehrt worden. Da der Kläger, der bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine Begutachtung durch S2 abgelehnt hat bzw. zu anberaumten Untersuchungsterminen unentschuldigt nicht erschienen ist, dessen ungeachtet auch im Berufungsverfahren einer Begutachtung durch S2 entgegengetreten ist, hat er seine Mitwirkungslast verletzt. Das Gericht verletzt umgekehrt in diesem Fall nicht seine Pflicht aus § 103 SGG, wenn es dann keine weiteren Ermittlungen mehr anstellt; unbeschadet dessen, dass, wie bereits dargelegt, weitere Amtsermittlungen ohnedies nicht mehr erforderlich waren.

Nach alledem erweisen sich die angefochtenen Bescheide des Beklagten als rechtmäßig und war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

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