Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 07.04.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die1963 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt in Vollzeit als Arbeiterin/Kontrolleurin in der Metallindustrie versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr Versicherungskonto (Bl. 73 ff. Senatsakte) weist bis zum 12.02.2019 Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen auf, zuletzt wegen des Bezuges von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Seit Juni 2020 bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld II.
Einen Antrag der Klägerin vom 29.04.2016 auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens bei der E1 (Gutachten vom 26.07.2016, Diagnosen: Dysthymie, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten; Bl. 246 ff. Verwaltungsakte) mit Bescheid vom 08.08.2016 (Bl. 57 Verwaltungsakte) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2017 ab. In dem beim Sozialgericht Ulm (SG) sich anschließenden Klageverfahren (S 13 R 2937/17) wurde u.a. das Gutachten des K1 vom 06.08.2018 (Bl. 83 ff SG-Akte S 13 R 2937/17) eingeholt. Dieser kam nach ambulanter Untersuchung der Klägerin zu einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Er führte insbesondere aus, dass eine schwere depressive Symptomatik nicht zu belegen sei. Allerdings sei die Erwerbsfähigkeit gefährdet. Die Beklagte verpflichtete sich daraufhin im Wege eines Vergleichs im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.01.2019, der Klägerin eine stationäre, psychosomatisch ausgerichtete Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren, welche die Klägerin anschließend vom 21.05.2019 bis zum 25.06.2019 in der Reha-Klinik K2 durchlief. Im Entlassungsbericht (Bl. 464 ff. Verwaltungsakte) wurden eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, dissoziative Krampfanfälle, benigne essenzielle Hypertonie und ein Diabetes mellitus Typ II diagnostiziert. Es bestehe ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich sowohl für die letzte Tätigkeit als Kontrolleurin am Fließband als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Zwischenzeitlich hatte die Beklagte einen ersten Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 20.03.2017 (Bl. 100 Verwaltungsakte) abgelehnt (Bescheid vom 13.07.2017, Bl. 79 Verwaltungsakte).
Am 14.08.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte wertete diverse Befundberichte und Entlassungsberichte, insbesondere des C1 G1, aus und holte das Gutachten vom 20.01.2020 der H1 ein (Bl. 778 Verwaltungsakte, die im Verfahren S 7 R 2752/20 vorgelegt wurde). Nach einer ambulanten Untersuchung diagnostizierte H1 im Wesentlichen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht- bis mittelgradiger Ausprägung, eine Dysthymia und dissoziative Krampfanfälle. Sie attestierte der Klägerin ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung bei Beachtung diverser qualitativer Leistungseinschränkungen hinsichtlich der psycho-mentalen Belastbarkeit. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 11.02.2020 die Gewährung einer Rente ab (Bl. 179 Verwaltungsakte) und wies den Widerspruch der Klägerin, in dem diese - vor allem unter Berufung auf den Reha-Entlassbericht - Einschränkungen in der Umstellungsfähigkeit, Motivation, im Durchhalte- und Anpassungsvermögen sowie der Konzentration geltend machte (Widerspruchsbegründung Bl. 217 Verwaltungsakte), mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2020 (Bl. 226 Verwaltungsakte) als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 03.11.2020 beim SG Ulm Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, sie leide an einer Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen. Im August 2018 habe K1 im Zusammenhang mit streitigen Leistungen zur Teilhabe ein Gutachten erstellt, welches aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes an Aktualität nichts verloren habe. Wegen mittelgradiger depressiver Symptomatik sei in der Vergangenheit wiederholt eine stationäre Einweisung in die Neurologie und auch in die Psychiatrie der Klinik C1 erfolgt. K1 habe zum Untersuchungszeitpunkt noch eine gewisse Chance konstatiert, eine Stabilisierung bei weiteren sozial flankierenden Maßnahmen zu erreichen, aber diese sei nicht eingetreten. Auch die Ärzte der Rehabilitationsklinik hätten kaum eine Möglichkeit gesehen, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das seitens der Beklagten eingeholte Gutachten der H1 zeuge lediglich von erheblichem Zweckoptimismus, zumal im Widerspruchsverfahren eine Überprüfung durch die gleiche Ärztin erfolgt sei, welche die fragliche Begutachtung durchgeführt habe.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt. Der D1 hat in seinem Schreiben vom 20.03.2021 (Bl. 52 SG-Akte) ausgeführt, dass eine wesentliche Veränderung der gesundheitlichen Situation seit Januar 2020 nicht feststellbar sei. Seines Erachtens sei die Klägerin nicht in der Lage, Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten. Der H2 hat in der Zeugenauskunft vom 23.03.2021 (Bl. 80 SG-Akte) die Auffassung vertreten, der Klägerin seien sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Dies entsprach auch der Auffassung des behandelnden F1 in seiner Stellungnahme vom 14.10.2020 (Bl. 106 SG-Akte). Die H3 hat im Schreiben vom 12.07.2021 (Bl. 127 SG-Akte) u.a. angegeben, seit Januar 2020 sei keine wesentliche Veränderung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten. Ihres Erachtens sei die Klägerin nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Das Gericht hat weiter Beweis erhoben und das nervenärztliche Gutachten der A1 vom 20.10.2021 eingeholt (Bl. 181 ff. SG-Akte). Diese hat die Klägerin am 03.08.2021 ambulant untersucht und eine rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht bis mittelschwer ausgeprägt, sowie eine Dysthymie diagnostiziert. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten - unter Beachtung näher aufgeführter qualitativer Einschränkungen - mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.04.2022, der dem Klägerbevollmächtigten am 14.04.2022 zugestellt wurde, hat das SG die Klage maßgeblich unter Verweis auf das Gutachten der A1 abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 09.05.2022 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung. Die Klägerin leide seit Jahren unter einer depressiven Störung mit Antriebslosigkeit, Ängsten und dissoziativen Krampfanfällen. Es werde auf den Bericht des Klinikums C1 vom 12.03.2020 verwiesen, aus dem sich ergebe, dass die Klägerin unter erheblicher Traurigkeit und Antriebslosigkeit leide, zudem berichte sie von imperativen Stimmen, die sie beschimpfen würden. Zu verweisen sei auch auf den Bericht des D1 vom 02.02.2021, aus dem sich eine schizoaffektive Störung ergebe. Zu den Akten gegeben ist u.a. ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 03.05.2022 (Bl. 47 Senatsakte) gegeben worden, wonach seit dem 01.03.2022 ein Pflegegrad 1 bestehe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 07.04.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2020 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten bei der M1 eingeholt. Diese hat die Klägerin am 07.10.2022 ambulant untersucht und in ihrem Gutachten vom 10.01.2023 (Bl. 91 ff. Senatsakte) die Diagnose einer Dysthymie gestellt. Es liege vollschichtige Leistungsfähigkeit vor.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die beigezogene Akte des Verfahrens S 13 R 2937/17 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da die Beklagte in ihrem Bescheid vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2020 zu Recht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt und das SG die hiergegen gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage aus zutreffenden Gründen abgewiesen hat.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.
Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Der Nachweis für die den Anspruch begründenden Tatsachen muss hierbei im Wege des sog. Vollbeweises erfolgen. Dies erfordert, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann, d.h. das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können; es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen. Von dem Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen muss insoweit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können (vgl. BSG 14.12.2006, B 4 R 29/06 R; Bayerisches LSG 26.07.2006, L 16 R 100/02; beide in Juris; BSGE 45, 285; BSGE 58, 80). Können die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte. Für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erwerbsminderung trägt insoweit der Versicherte die Darlegungs- und objektive Beweislast (vgl. BSG 23.10.1996, 4 RA 1/96, Juris).
Der Senat stellt nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung fest (§ 128 Abs. 1 SGG), dass eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß bei der Klägerin nicht nachgewiesen ist.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen liegt hier auf nervenärztlichem Fachgebiet. Hier leidet die Klägerin vor allem an einer Dysthymie, weiterhin traten in der Vergangenheit rezidivierende depressive Episoden auf. Hierbei stützt sich der Senat auf das aktuelle Gutachten der M1 sowie das vom SG bei A1 eingeholte Gutachten. Tätigkeiten mit dauerndem Stehen, Gehen und Sitzen sind der Klägerin weiterhin zumutbar, nicht jedoch anhaltend mittelschwere Arbeiten, Heben und Tragen von Lasten nur noch gelegentlich bis 10 kg. Häufiges Bücken und anhaltende Zwangshaltungen sollten gemieden werden, Gleiches gilt für Tätigkeiten in Kälte oder unter Wärmeeinfluss sowie unter Staubeinfluss, Gasen und Dämpfen, auf Leitern und Gerüsten. Auch Akkord, Fließband und Nachtarbeit sowie Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung sind zu meiden. Bei Beachtung dieser Einschränkungen sind die noch zu verrichtenden Tätigkeiten in einem Umfang von mehr als sechs Stunden möglich. Dies folgt aus dem überzeugenden Gutachten der M1, die die Klägerin untersucht und ausführlich befragt hat, und entspricht auch den Einschätzungen der E1 und der H1, deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie den Gutachten des K1 und der A1.
Im Rahmen der Untersuchung durch M1 war die Stimmung lediglich dysthym, in den Bewegungen und psychomotorisch zeigte sich die Klägerin nicht auffällig, im Kontakt und in der Kommunikation gab es keine Beeinträchtigung. Das Durchhaltevermögen war gut, Schonhaltungen oder Unruhe traten nicht auf, eine Tagesmüdigkeit war nicht verifizierbar. Die Klägerin war wach, klar, spontan reagierend, zur Zeit, zum Ort, zur eigenen Person und situativ orientiert. Eine Auffassungsstörung oder Umstellungsstörung konnte M1 nicht feststellen. Während der gutachterlichen Untersuchung traten keine Konzentrationsmängel auf und auch kein Hinweis auf grobe Minderung der Stressbelastbarkeit. Eine Antriebsstörung bestand nicht, formalgedanklich zeigte sich die Klägerin unauffällig, Denken und Handeln waren zielgerichtet, spontane Antworten möglich. Ihr Selbstwert war nicht reduziert, das Denken nicht eingeengt auf körperliche Beschwerden.
Wie sich den umfangreichen Akten entnehmen lässt, ist die Klägerin vor allem durch familiäre Probleme und finanzielle Nöte belastet. Zu benennen sind hier die gescheiterte Ehe zu ihrem gewalttätigen Ehemann, dem sie immer noch gelegentlich im Ort begegnet (vgl. Gutachten des K1, Bl. 96 SG-Akte S 13 R 2937/17), Konflikte mit ihrem Sohn, der sich weigert, den im Gegenzug zur Schenkung des Hauses vereinbarten monatlichen Unterhalt an sie zu begleichen, der aufgrund des Streits hierüber nicht mehr mit seiner Mutter spricht und vor dem sie mittlerweile Angst hat, außerdem der fehlende Kontakt zur einen Tochter, die sich auf die Seite des Sohnes gestellt hat (vgl. Gutachten der M1). Finanziell ist die Klägerin - auch weil ihr Sohn ihr nicht wie vereinbart Unterhalt zahlt - auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Vor dem Hintergrund dieser vor allem innerfamiliären Konflikte, die - in unterschiedlicher Form und Ausprägung - seit Jahren das Leben der Klägerin prägen, in sämtlichen Gutachten im Mittelpunkt stehen und somit gleichsam den Nährboden für die psychischen Probleme der Klägerin bilden, ist es für den Senat nachvollziehbar, dass die Klägerin psychisch belastet ist und unter der Situation leidet. Allerdings sieht der Senat angesichts der von sämtlichen Gutachtern gestellten Diagnosen, erhobenen Befunde und gutachterlichen Einschätzungen der Leistungsfähigkeit keinen Grund, warum die Klägerin nicht weiterhin einer leichten Tätigkeit vollschichtig nachgehen könnte - zumal die Aufnahme einer solchen ein Hauptproblem der Klägerin, nämlich die prekäre finanzielle Situation, nachhaltig verbessern würde.
Die entgegengesetzten Einschätzungen des behandelnden D1 sowie ihrer H3, die ein vollschichtiges Leistungsvermögen verneint haben, vermögen vor dem Hintergrund der übereinstimmenden Gutachten des K1, der H1, der A1 sowie der M1 nicht zu überzeugen. Gleiches gilt für die Ärzte der Reha-Klinik K2. Wesentlich ist vor allem Folgendes: Aufgabe behandelnder Ärzte ist es, ihren Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten zu untersuchen, seinen Wünschen und Vorstellungen zu entsprechen und gemeinsam mit dem Patienten eine wirksame Behandlung für die gesundheitlichen Einschränkungen zu finden. Die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens spielt - anders als bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen - in diesem Arzt-Patienten-Verhältnis demgegenüber keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu ist ein Sachverständiger gehalten, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen, ohne hierbei Gefahr zu laufen, durch eine kritische Beurteilung das Vertrauen des Patienten zu verlieren. Vor diesem Hintergrund kommt der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche und damit objektive Sachverständige nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953; 30.06.2020, L 11 R 4342/18) und auch anderer LSG (vgl. Hessisches LSG 28.03.2017, L 2 R 415/14, Rn. 65, Juris; Hessisches LSG, 04.09.2019, L 6 R 264/17, Rn. 85, Juris; LSG Berlin, 20.10.2004, L 17 RA 101/03, Rn. 24, Juris) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte.
Gravierende Erkrankungen auf anderen Fachgebieten, die zu einer quantitativen Leistungsminderung führen, bestehen nicht. Dementsprechend hat auch der behandelnde H2 im Bericht vom 23.03.2021 (Bl. 80 SG-Akte) eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für möglich gehalten. Zum gleichen Ergebnis kam auch der behandelnde F1 (Bericht vom 14.10.2020, Bl. 106 SG-Akte).
Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin wiederholt stationär im Klinikum C1 behandelt wurde, zuletzt vom 19.12.2019 bis 19.02.2020 (Entlassbrief Bl. 142 ff. Senatsakte, wiederum ausgelöst durch die Konfliktsituation mit den Kindern [vgl. Bl. 144 Senatsakte]). In diesen Zeiten akuter Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht mit Erwerbsminderung gleichzusetzen. Vielmehr führt eine Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingende Erkrankung nur dann auch zur Erwerbsminderung, wenn die Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt ist, so dass eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist (BSG 31.10.2012, B 13 R 107/12 B, SozR 4-2600 § 43 Nr. 19). Geklärt hat das BSG, dass diese Mindestanforderungen jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen sind, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (BSG 31.10.2012 a.a.O. unter Verweis BSG 05.03.1959, 4 RJ 27/58, BSGE 9, 192; BSG 23.03.1977, 4 RJ 49/76, SozR 2200 § 1247 Nr. 16 S 27, BSG 21.07.1992, 4 RA 13/91, Juris Rn. 17 ff). Bei Arbeitsunfähigkeitszeiten von geringerer Dauer, die aber dafür gehäuft auftreten (etwa jede Woche über mehrere Tage), ist jedenfalls eine Verweisungstätigkeit zu benennen (BSG, 31.03.1993, 13 RJ 65/91, SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14, Rn. 18). Von einer solchen dauerhaften bzw. rezidivierenden Arbeitsunfähigkeit in dem vom BSG beschriebenen Ausmaß konnte sich der Senat nicht überzeugen. So ergibt sich aus dem Entlassbericht des C1 vom 12.03.2020 (Senatsakte a.a.O.) anamnestisch eine Verschlechterung der depressiven Symptomatik seit ca. zwei Monaten und konnte die Klägerin in gutem Allgemeinzustand und stabilisiertem psychischen Zustand entlassen werden. Dies zeigt, dass das Krankheitsbild der Klägerin schwankt und keinesfalls durchgängig gleich zu bewerten ist. Von einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ist daher nicht auszugehen. Da der letzte Besuch der Klinik C1 mittlerweile schon drei Jahre zurückliegt, tritt die Arbeitsunfähigkeit auch nicht in einer Häufigkeit auf, die nach der Rechtsprechung des BSG eine Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderte.
Aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg (MDK) vom 03.05.2022 (Bl. 47 ff. Senatsakte), in dem Pflegegrad 1 seit dem 01.03.2022 festgestellt wurde, folgt nichts anderes. Ein solches Pflegegutachten stellt eine zusätzliche Erkenntnisquelle dar, die zur Einschätzung der Sachverständigen und zur Bildung der richterlichen Überzeugung beitragen kann (so auch LSG Bayern 22.07.2020, L 13 R 102/18, Rn. 78, juris). Vorliegend nennt der Gutachter als pflegebegründende Diagnose die Depression mit psychotischen Syndromen - und damit eine Diagnose, die M1 anlässlich ihrer Begutachtung gerade nicht gestellt hat. Wie sich zudem aus dem Gutachten ergibt, ist die Klägerin - die keine Pflegeperson hat - zudem im Alltag noch in der Lage, sich selbst zu versorgen.
Die Klägerin ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Da eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr. 2 m.w.N.; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr. 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R). Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca. 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit ergibt sich vorliegend nicht.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr. 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 5). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, BSGE 129, 274-290 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 22). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, a.a.O., juris Rn. 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden zu der Frage, welche konkrete Tätigkeit für die Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden Gutachten der M1, der A1, der H1 sowie des K1 haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 2752/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1372/22
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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