L 10 KR 28/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 712/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 28/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 20/22 B
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.10.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

 

I.

Die Beteiligten streiten über die Versagung häuslicher Krankenpflege für den verstorbenen Vater des Klägers.

 

Der am 00.00.1928 geborene und am 00.07.2016 verstorbene Vater des Klägers, O. B. (nachfolgend: Versicherter), war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und zuletzt bis zu seinem Tod pflegebedürftig. Infolgedessen erhielt er von der gesetzlichen Pflegeversicherung Leistungen nach der Pflegestufe II. Unter Vorlage ua von zwei von dem Allgemeinmediziner Dr. T. am 18.04.2016 und 03.05.2016 ausgestellten Verordnungen beantragte der Versicherte bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine 24-Stunden-Betreuung für den Zeitraum vom 29.04.2016 bis zum 30.06.2016 bzw für eine 24-Stunden-Pflege. Ausweislich der Verordnungen habe der multimorbide Versicherte unter Panikattacken gelitten, es habe ferner eine Kollapsneigung und Sturzgefährdung bestanden. Der von der Beklagten mit einer medizinischen Stellungnahme beauftragte Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gelangte ausweislich einer Stellungnahme vom 04.05.2016 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die begehrte häusliche Krankenpflege – Intensivpflege über 24 Stunden – nicht erfüllt seien.

 

Gestützt auf diese Feststellungen teilte die Beklagte mit Bescheid vom 18.05.2016 gegenüber dem Versicherten mit, dass eine Kostenübernahme für die verordneten Maßnahmen durch die Beklagte nicht erfolgen könne. Mit der Verordnung solle primär die pflegerische Situation sichergestellt werden. Dies sei jedoch eine Aufgabe der Pflegeversicherung.

 

Hiergegen wandte sich der Versicherte mit seinem am 03.06.2016 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch gleichen Datums. Auf entsprechende Nachfrage teilte der Kläger gegenüber der Beklagten mit, dass in der Zeit vom 29.04.2016 bis zum 30.06.2016 (Verordnungszeitraum) Kosten für die Betreuung des Versicherten in Höhe von 868,70 EUR entstanden seien. Es handelt sich dabei um den vom Versicherten selbst zu tragenden Eigenanteil für die im Juni 2016 erfolgte pflegerische Betreuung. 

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass für den fraglichen Zeitraum die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht vorgelegen hätten. Es hätten keine gesundheitlichen Einschränkungen bestanden, die eine permanente Überwachung durch Pflegepersonal erforderlich gemacht hätten. Es seien nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit infolge der Erkrankung täglich gesundheits- oder lebensbedrohliche Situationen unplanbar aufgetreten. Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege habe nicht vorgelegen. Die Kosten für die Grundpflege und für die hauswirtschaftliche Versorgung seien aufgrund der anerkannten Pflegestufe bereits durch die gesetzliche Pflegeversicherung übernommen worden.

 

Der Kläger, der der Sohn des Versicherten ist und mit diesem bis zu dessen Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, hat am 02.07.2018 Klage erhoben.

 

Er ist der Ansicht, dass der Bescheid rechtswidrig ist und die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Kosten für die verordneten Maßnahmen zu übernehmen. Auf Grundlage der streitgegenständlichen Verordnungen seien zwar keine anderweitig bezahlten Leistungen zur häuslichen Krankenpflege von Dritten erbracht worden, da er – der Kläger selbst – die Pflege übernommen habe. Der verstorbene Versicherte sei jedoch durch die Nichtgewährung der häuslichen Krankenpflege in seinen Rechten verletzt worden, da ihm die verordnete 24-Stunden-Pflege nicht bewilligt worden sei, obgleich die medizinische Notwendigkeit bestanden habe. Aufgrund dieser Rechtsverletzung sei dem verstorbenen Versicherten ein immaterieller Nachteil entstanden, sodass auch jetzt ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit bestehe.

 

Nachdem der Kläger sein Begehren zunächst im Wege eines Verpflichtungsantrages verfolgt hatte, hat er – auf Hinweis des Gerichts – zuletzt beantragt,

 

  1.  festzustellen, dass die Versagung der häuslichen Krankenpflege durch den Bescheid vom 18.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2018 für den Zeitraum vom 29.04.2016 bis 30.06.2016 für den verstorbenen Vater des Klägers rechtswidrig war und

 

  1. für den Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit die Beklagte zu verurteilen, eine billige Entschädigung in Geld zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

 

Mit Urteil vom 28.10.2020 hat das Sozialgericht Münster die Klage abgewiesen.

 

Die Klage sei jedenfalls unbegründet, weil der angegriffene Bescheid nicht rechtswidrig sei und den Kläger nicht im Sine von § 54 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwere. Zur weiteren Begründung hat sich das Sozialgericht die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid zu Eigen gemacht und gem § 136 Abs 3 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Ergänzend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass bereits die auf den Verordnungen aufgeführten Erkrankungen eine permanente Überwachung durch fachliches Pflegepersonal nicht begründen würden.

 

Gegen das am 02.12.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 04.01.2021 Berufung eingelegt.

 

Das Sozialgericht habe die medizinische Notwendigkeit der seinerzeit begehrten Maßnahme verkannt, was durch die vorgelegten Verordnungen Atteste sowie den Umstand belegt werde, dass der Versicherte am 00.07.2016 verstorben sei. Grundlage der Entscheidung des MDK sei seinerzeit ein mehrere Monate zuvor durch eine Pflegekraft erstelltes Pflegegutachten gewesen. Die Ermittlungen seien vor diesem Hintergrund unzureichend durchgeführt worden und von dem Willen getragen gewesen, die Leistung nicht erbringen zu wollen. Es müsse daher klargestellt werden, dass das Verhalten der Beklagten rechtswidrig gewesen sei und jedenfalls ein immaterieller Ausgleich zu leisten sei.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich wörtlich,

 

  1. das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.10.2020, zugestellt am 02.10.2010, aufzuheben und

 

  1. festzustellen, dass die Versagung der häuslichen Krankenpflege durch den Bescheid der Beklagten vom 18.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2018 für den Zeitraum vom 29.04.2016 bis 30.06.2016 für den verstorbenen Vater des Klägers rechtswidrig war und

 

  1. für den Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit die Beklagte zu verurteilen, eine billige Entschädigung in Geld zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie erachtet die Entscheidung des Sozialgerichts als zutreffend.

 

Am 07.07.2021 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht zu erkennen sei und es hinsichtlich des begehrten Schmerzensgeldes jedenfalls an einem pflichtwidrigen Verhalten der Beklagten fehlen dürfte. Trotz mehrfach gewährter Fristverlängerung hat der anwaltlich vertretene Kläger eine Stellungnahme in der Sache bis zuletzt nicht abgegeben.

 

II.

Der Senat konnte über die zulässige Berufung des Klägers durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs 4 SGG). Den Beteiligten ist hierzu mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2021 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. 

 

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

 

Diese ist hinsichtlich der vom Kläger begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides vom 18.05.2016 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 29.05.2018 gefunden hat (§ 95 SGG) bereits unzulässig.

 

1.

Voraussetzung für eine  Entscheidung in der Sache ist stets, dass die Verfahrensvoraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechts im Prozess gegeben sind. Grundsätzlich kann eine Entscheidung in der Sache nur ergehen, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dh die Klage zulässig ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, Vorbem vor § 51 Rn 12 ff). Daran fehlt es hier im Hinblick auf den Klageantrag zu Ziffer 1. Der Kläger hat nicht das erforderliche (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse (für die Möglichkeit, die Frage des Rechtsschutz- und des Feststellungsinteresses im Rahmen der von Amts wegen zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen offen lassen zu können etwa Keller, aaO, Rn 13c).  

 

Gem § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn sich der Verwaltungsakt vorher (gemeint ist vor einer Entscheidung des Gerichts) durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Intereses an dieser Feststellung hat. Ausgehend von diesem Wortlaut ist die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, wenn sich ein Verwaltungsakt während eines laufenden Klageverfahrens durch Zurücknahme oder anders erledigt hat. Darüber hinaus wird die Vorschrift allgemein auch dann (entsprechend) angewendet, wenn sich der Verwaltungsakt – wie hier durch die nur bis zum 30.06.2016 beantragte 24-Stunden-Betreuung – bereits vor Klageerhebung erledigt hat (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28.08.2007 – B 7/7a AL 16/06 R).

 

Ausweislich des Wortlauts von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG ist ferner jedoch das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns erforderlich (sog Fortsetzungsfeststellungsinteresse). Rechtsschutz wird nämlich selbst im Lichte von Art 19 Abs 4 Grundgesetz nicht als Selbstzweck gewährt, sondern verlangt immer auch ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung (BSG, Urteil vom 24.07.1996 – 7 KlAr 1/95 – zitiert nach juris, Rn 43). Ein solches schutzwürdiges Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Ein Feststellungsinteresse kann mithin in vier verschiedenen Weisen in Betracht kommen: als Präjudizinteresse (dh wenn die Entscheidung auch in einem anderen Rechtsverhältnis von Bedeutung sein kann) als Schadensinteresse (dh zur späteren Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen), als Rehabilitationsinteresse (bei Entscheidungen mit diskriminierender oder die Menschenwürde bzw Persönlichkeitsrechte oder das Ansehen erheblich beeinträchtigender Wirkung, ggf auch generell bei Verletzung von Grundrechten) und als Interesse, einer Wiederholung der Entscheidung vorzubeugen. Dabei sind vom Rechtsuchenden naturgemäß die Umstände darzulegen, die sein Feststellungsinteresse begründen (vgl etwa BSG aaO – juris, Rn 44).

 

Dass hier ein derartiges Interesse auf Seiten des Klägers besteht – und ggf welches –, hat dieser – trotz mehrfach erfolgter Hinweise – weder in seinem erstinstanzlichen Vortrag noch im Rahmen des hiesigen Berufungsverfahrens dargelegt. Der Senat vermag ein solches auch nicht zu erkennen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in einem gesonderten Verfahren etwaig bestehende Schadensersatzansprüche geltend zu machen beabsichtigt, sind für den Senat ebenso wenig ersichtlich, wie das Bestehen eines Präjudizinteresses. Eine Wiederholungsgefahr besteht vor dem Hintergrund, dass der Versicherte am 00.07.2016 verstorben ist, nicht. Schließlich besteht auch kein Rehabilitationsinteresse. Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass seinem Vater – dem Versicherten – ein immaterieller Schaden entstanden sei, infolgedessen ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns der Beklagten bestehe, fehlt es – ungeachtet der Frage, ob darin überhaupt ein vom Kläger durchsetzbares, berechtigtes Interesse zu sehen wäre – bereits an jeglichem Vortrag dazu, worin konkret dieser immaterielle Nachteil liegen soll. Der Senat hat Verständnis dafür, dass der Kläger mit der Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden ist und die Umstände der Entscheidungsfindung durch die Beklagte jedenfalls als kritikwürdig erachtet. Die Unzufriedenheit eines Antragstellers mit einer für ihn negativen Entscheidung der Behörde ist einer ablehnenden Entscheidung jedoch immanent und kann allein nicht zu der Annahme des hier erforderlichen berechtigten Interesses an der nachträglichen Feststellung führen. Ein darüber hinausgehendes (Feststellungs-)Interesse, insbesondere eine Grundrechtsbeeinträchtigung ist nicht zu erkennen.

 

2.

Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren weitergehend beantragt hat, die Beklagte für den Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit zu verurteilen, eine billige Entschädigung in Geld zu zahlen, hat das Sozialgericht hierüber zu Recht nicht entschieden, weil die Bedingung nicht eingetreten ist. Das Sozialgericht hat die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts gerade nicht festgestellt.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

IV.

Anlass, die Revision zuzulassen besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

 

Rechtskraft
Aus
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