- Die Klage wird abgewiesen.
- Kosten sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d
Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nach
§ 8 Abs. 1 SGB VII <Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung>.
Er erlitt am XX.XX.XXXX im Haus seines Schwiegersohnes bei Renovierungsarbeiten einen Unfall und zog sich dabei ganz erhebliche Verletzungen zu. Die Beklagte lehnte es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es habe sich bei der Wohnung nicht um die alleinige Wohnung des Schwiegersohns gehandelt, sondern ebenfalls um die seiner Tochter und des 2‑jährigen Kindes; da er somit auch im Interesse der eigenen Tochter tätig gewesen sei, liege ein enges Familienverhältnis vor; somit handele es sich hier aufgrund der Sonderbeziehung nicht um eine sog. “Wie-Beschäftigung” und stehe somit nicht unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII. Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf den weiteren Inhalt des Bescheides vom XX.XX.XXXX verwiesen.
Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Es könne kein Arbeitsunfall anerkannt werden; es fehle an einer sog. versicherten Tätigkeit; es liege kein Beschäftigungsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vor; auch der Versicherungstatbestand der Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sei nicht erfüllt; das BSG habe in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Wie-Beschäftigung verneint, wenn die konkrete Tätigkeit ihr Gepräge durch eine Sonderbeziehung des Handelnden zu dem Unternehmer geprägt gewesen sei; eine Sonderbeziehung, die eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausschließe, liege bei Erfüllung gesellschaftlicher, insbesondere familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher, mitgliedschaftlicher, gesellschaftlicher oder körperschaftlicher Art vor; für das Eltern-Kind-Verhältnis habe § 1618a BGB Leitbildfunktion; sie bestimme, dass Eltern und Kinder einander zu Beistand und Rücksicht verpflichtet seien. Wegen der näheren Einzelheiten wird auch hier ergänzend auf den weiteren Inhalt des Widerspruchsbescheides vom XX.XX.XXXX Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom XX.XX.XXXX form-frist-gerecht erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, entgegen der Ansicht der Beklagten liege Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII vor; er habe das nahezu komplette Haus renovieren sollen. Wegen der Einzelheiten wird auf den weiteren Inhalt seiner Schriftsätze verwiesen.
Der Kläger stellt folgenden Antrag:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom XX.XX.XXXX in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom XX.XX.XXXX dazu verurteilt, das Ereignis vom XX.XX.XXXX als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt die bereits im Widerspruchsbescheid gegebene Begründung. Ergänzend dazu führt sie aus, dass – selbst wenn man die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII bejahne würde – wegen § 4 Abs. 4 SGB VII kein Versicherungsschutz bestehe. Wegen der Einzelheiten ihres Vortrags wird ergänzend auf ihrer Inhalt der Schriftsätze vom XX.XX.XXXX sowie vom XX.XX.XXXX verwiesen.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird schließlich auf den restlichen Inhalt der Streit- sowie der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, auch dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung der Kammer gewesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Zu Recht hat die Beklagte es abgelehnt, den Unfall des Klägers vom XX.XX.XXXX als Versicherungsunfall anzuerkennen. Der Kläger war bei der zum Unfall führenden Tätigkeit nicht unfallversichert im Sinne des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung. Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit erleidet. Eine freiwillige Versicherung (§ 6 SGB VII) oder eine solche kraft Satzung (§ 3 SGB VII) scheidet hier von vornherein aus und auch keiner der Tatbestände der Versicherung kraft Gesetzes (§ 2 SGB VII) ist erfüllt.
Der Kläger war weder als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) noch wie ein solcher (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) tätig (dazu sogleich näher). Andere in § 2 SGB VII geregelte Tatbestände kommen offensichtlich nicht in Betracht, so dass sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen.
Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sind auch Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter tätig werden. Diese Vorschrift erfordert keine persönliche Abhängigkeit von einem Unternehmer. Vielmehr ist es ausreichend, dass eine ernstliche, dem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit verrichtet wird, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und die ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und die ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter solchen Umständen geleistet wird, dass sich einer Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (siehe hierzu BSG, Urteil – B 2 U 35/04 R – vom 31.05.2005 <juris Rn. 16f.> und Urteil – B 2 U 22/04 R – vom 05.07.2005 <juris Rn. 12> sowie Urteil – B 2 U 35/06 R – vom 26.06.2007 <juris Rn. 18>; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil – L 2 U 29/13 – vom 29.09.2014 <juris Rn. 27 ff.>; siehe auch Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 2 SGB VII (Stand: 27.06.2023) Rn. 557 ff. m.w.N.).
Allerdings wird nicht jede Tätigkeit, die einem Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, beschäftigtenähnlich verrichtet. Vielmehr kommt der mit dem - objektiv arbeitnehmerähnlichen - Verhalten verbundenen Handlungstendenz, welche vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist, ausschlaggebende Bedeutung zu (BSG, Urteil – B 2 U 8/01 R – vom 05.03.2002 <juris Rn. 24> und Urteil – B 2 U 22/04 R – vom 05.07.2005 <juris Rn. 13>; vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil – L 8 U 27/11 – vom 20.03.2013 <juris Rn. 28 m.w.N.>; zum Ganzen siehe auch Krasney, Die „Wie-Beschäftigten“ nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, NZS 1999, S. 577 bis 584).
Grundsätzlich schließen auch Verwandtschafts-, Freundschafts- und Gefälligkeitsdienste den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht aus. Ein Verwandter wird allerdings dann nicht wie ein Beschäftigter tätig, wenn die zum Unfall führende Verrichtung nach ihrer Art und dem Umfang sowie der Zeitdauer durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG, der die Kammer folgt, schließen unter Verwandten vorgenommene Gefälligkeitshandlungen einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII aus, wenn diese ihr gesamtes Gepräge durch die familiären Bindungen erhalten.
Je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist, umso eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um Gefälligkeitsdienste handelt, welche ihr Gepräge allein durch die familiären Beziehungen erhalten und deshalb nicht mehr als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind. Dabei sind die Stärke der tatsächlichen verwandtschaftlichen Beziehungen und die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Art, Umfang sowie Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil – L 4 U 47/06 – vom 02.03.2007 <juris Rn. 31 m.w.N.>). Eine feste Stundengrenze für die Beurteilung der Versicherungspflicht bei Gefälligkeitsdiensten existiert nicht. Entscheidend ist vielmehr stets das Gesamtbild der gegenseitig im Rahmen der Familien- und Freundschaftsbande geleisteten Gefälligkeiten. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, dass – worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat – im Eltern-Kind-Verhältnis besondere Pflichten bestehen (siehe § 1618a BGB), die eine erhöhte Erwartung an die Hilfsbereitschaft rechtfertigen (so schon LSG Bayern, Urteil – L 2 U 28/08 – vom 28.05.2008 <juris Rn. 20 m.w.N.>).
Von der Rechtsprechung wurde beispielsweise ein Zeitaufwand für Renovierungsarbeiten durch Schwiegereltern von 35/40 Stunden noch als im Rahmen rein familiärer Gefälligkeit liegend beurteilt (BSG, Urteil – 2 RU 46/91 – vom 29.09.1992); eine Hilfeleistung bei Bauarbeiten von 74 Stunden unter Brüdern wurde ebenfalls noch als familiär geprägt gewertet (LSG Nordrhein-Westfalen; Urteil – L 17 U 48/98 – vom 24.06.1998). Auch ein insgesamt vorgesehener Zeitaufwand von 140 Stunden bei Bauarbeiten wurde noch als verwandtschaftliche Gefälligkeitsleistung eines Schwiegervaters angenommen (LSG Bayern, Urteil – L 17 U 166/04 – vom 05.12.2006). Und selbst bei einer bereits geleisteten Tätigkeit von 50 bzw. 95 Arbeitsstunden und beabsichtigten weiteren 200 bis 300 Stunden für Maurerarbeiten durch den Vater wurde der Rahmen einer familiär geprägten Hilfeleistung noch nicht als überschritten angesehen (LSG Bayern, Urteil – L 2 U 140/06 – vom 14.02.2007).
Vor diesem Hintergrund kann nach Auffassung des Gerichts dahingestellt bleiben, welcher konkrete zeitliche Aufwand im vorliegenden Fall für die Renovierungsarbeiten anzunehmen sein sollte, da dieser eindeutig geringer ist als in den aufgeführten Beispielsfällen und daher zur Überzeugung der Kammer den Rahmen einer rein familiären Gefälligkeit jedenfalls nicht überschreitet. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob § 4 Abs. 4 SGB VII im vorliegenden Fall überhaupt einschlägig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG <Sozialgerichtsgesetz>.