L 1 U 473/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2854/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 1 U 473/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung („Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“ - BK 2102).
Er ist im Jahre 1965 geboren und wohnt im Inland. Von 09/1981 bis 07/1984 absolvierte er eine Ausbildung zum Estrichleger. Von 08/1984 bis 12/1991 arbeitete er in diesem Beruf. Danach war er als Lkw-Fahrer berufstätig, ein Jahr lang selbstständig und ab dann bis 08/1996 angestellt bei seiner Ehefrau. Seit 09/1996 arbeitet er als Disponent.
Eine MRT-Untersuchung am 11. August 2018 bei P1 ergab einen posteromedialen degenerativen Innenmeniskusriss rechts mit einem kleinen, nach peripher kaudal dislozierten Meniskusfragment der hinteren Pars intermedia. Es handele sich am ehesten um eine meniskusassoziierten synovialen Reizzustand mit einem Gelenkerguss. Pannöse Synovialstrukturen seien nicht nachzuweisen. Am 3. September 2018 folgte eine Arthroskopie des Gelenks mit einer Resektion des Innenmeniskus-Hinterhorns bei R1.
Am 20. Mai 2019 zeigte der Kläger einen „vorzeitigen degenerativen Meniskusschaden“ als BK an. Er habe 10,5 Jahre als Estrichleger gearbeitet. Die Arbeitszeit habe anfangs täglich acht Stunden und samstags mindestens sechs Stunden betragen. Von 10/1988 bis 04/1989 habe er in Akkord gearbeitet, ab 05/1989 mehr als zehn Stunden am Tag. Er habe seinen Ausbildungsberuf ab 1991 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können.
Ferner ging Mitte 2019 die ärztliche Anzeige des Verdachts einer BK von H1 ein. Der Kläger habe seinen Beruf als Estrichleger aufgeben müssen, nachdem ab 1990 starke Schmerzen in den Knien und am Rücken aufgetreten seien.
Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei, darunter den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums S1 vom 13. Juni 2019 (u.a. Belastungsgonalgien und Z.n. arthroskopischer Meniskusresektion „links“ 07/2018 bei degenerativem IM-Riss [gemeint wohl: „rechts“]). Auf Nachfrage teilte der Kläger mit, die Kniebeschwerden hätten sich erstmals 1991 beidseitig bemerkbar gemacht. Links sei der Zustand aktuell wie damals. Rechts bestehe das Ausmaß seit Juli 2018. Bei einem privaten Unfall am 20. Juli 2018 habe er sich einen Meniskusschaden rechts zugezogen.
Die Vorerkrankungsverzeichnisse der AOK B1 und der DAK enthielten für die Zeiträume von 11/1982 bis 05/1995 und von 07/2004 bis 05/2018 keine Zeiten der Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen der unteren Gliedmaßen (die Unterlagen für 1997 bis 2004 waren schon vernichtet). Ab dem 23. Juli 2018 bestanden AU-Zeiten wegen Gelenkergusses und Schäden am Unterschenkel sowie ab dem 3. September 2018 wegen des Meniskusschadens rechts.
K1, Rehazentrums der BG-Unfallklinik L1, führte nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 25. November 2019 aus, bei der Operation im September 2018 habe sich ein isolierter degenerativer Schaden am Innenmeniskushinterhorn rechts gezeigt. Eine geeignete kniebelastende Berufstätigkeit habe allerdings zu jenem Zeitpunkt viele Jahre zurückgelegen. Sollte die zeitliche Latenz mehr als zehn Jahre betragen haben, könne ein Zusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und dem Schaden am Innenmeniskushinterhorn nicht mehr hergestellt werden. Außerdem sei der Kläger deutlich zu alt für einen primären degenerativen Meniskusschaden.
Mit Bescheid vom 6. April 2020 stellte die Beklagte fest, dass es sich bei der Erkrankung des Klägers im rechten Kniegelenk nicht um eine BK 2102 handele.
Im Vorverfahren erstatte der Präventionsdienst (PD) der Beklagten die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 16. Juni 2020. Der PD stützte sich hierbei - da die angeschuldigte Tätigkeit mehrere Jahrzehnte zurücklag und die damaligen Beschäftigungsunternehmen zum Teil nicht mehr bestanden - maßgeblich auf aktenkundige Erkenntnisse („vergleichbare Arbeitsplätze“, Literatur, andere technische Stellungnahmen). In der Stellungnahme genannt ist dabei der IFA-Report 2/2012 „Erfassung arbeitsbedingter Kniebelastungen an ausgewählten Arbeitsplätzen“ der DGUV (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2568). Er führte aus, bei Estrichlegern könne die Exposition im Sinne der BK 2102 nach Aktenlage sicher beurteilt werden. Danach habe der Kläger als Estrichleger in 10,25 Belastungsjahren (09/1981 bis 12/1991) drei kniebelastende Verrichtungen für mehr als je eine Stunde pro Schicht ausgeübt (Verlegen von Sperr- und Dämmschichten zu 25 % einer Schicht [2 h/d], Einbauen von Zementestrich zu 10 % [0,8 h/d], Glätten von Zement­estrich zu 15 % [1,2 h/d]). Andere Tätigkeiten eines Estrichlegers (Baustellen einrichten, Herstellen des Estrichmörtels, Transportarbeiten, Verlegen von Industriefußboden, Höhenmaße festlegen, Wechsel der Räume, Arbeitsplatzsäuberung) seien nicht meniskusbelastend. Diese meniskusbelastenden Tätigkeiten seien in der Ausbildung in 40, 70 und 70 und danach in 60, 90 und 100 Arbeitsschichten pro Jahr angefallen. Danach sei der Kläger als Estrichleger einer Meniskusbelastung von „10 bis 25 % Zeitanteil je Arbeitsschicht - teilweise - ausgesetzt“ gewesen.
Auf Anregung des Klägers erstattete ferner der PD der BG Verkehr die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 31. August 2020 zu den Tätigkeiten des Klägers als Kraftfahrer und Disponent. Danach lagen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 für diesen Zeitraum nicht vor. Der Kläger sei ab 1991 in 3,67 sowie 22,0 Belastungsjahren jeweils weniger als 1 Stunde pro Arbeitsschicht kniebelastend tätig gewesen.
Die Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2019. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK lägen nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger am 6. November 2020 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, der Schaden am rechten Kniegelenk sei bereits 1990 aufgetreten und habe ihn 1991 bzw. 1992 zur Aufgabe des Berufs gezwungen. Er sei bereits ab seinem fünfzehnten Lebensjahr als Estrichleger beschäftigt gewesen, zu einem Zeitpunkt also, zu dem seine körperliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 1. Oktober 2021 abgewiesen. Die Beklagte sei passivlegitimiert, weil die letzte kniebelastende Tätigkeit im Jahre 1991 in einem Unternehmen ausgeübt worden sei, für das sie zuständig sei. Sie habe die Anerkennung der BK 2102 zu Recht abgelehnt. Es fehle an dem notwendigen Wahrscheinlichkeitszusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und dem Mitte 2018 erstmals festgestellten isolierten degenerativen Schaden am Innenmeniskushinterhorn rechts. Zu diesem Zeitpunkt habe die letzte relevante Berufstätigkeit des Klägers mehr als 25 Jahre zurückgelegen. Dass der Schaden bereits früher eingetreten sei, etwa Anfang der 1990er Jahre, wie der Kläger angeführt habe, sei nicht erwiesen. Ferner habe K1 - wie schon einer der behandelnden Ärzte im Frühjahr 2019 - kein Meniskuszeichen erhoben, wie es aber bei einem chronischen Meniskusschaden infolge beruflich bedingter Einwirkungen zu erwarten wäre.
Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 20. Januar 2022 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 18. Februar 2022 Berufung erhoben.
Der Senat hat am 25. April 2022 Hinweise gegeben und um konkreten Vortrag zu Art und genauem Umfang der meniskusbelastenden Tätigkeiten des Klägers als Estrichleger gebeten. Nachdem zunächst keine Stellung genommen worden war, hat der Senat die Beteiligten am 30. Juni 2022 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter beabsichtigt sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29. Juli 2022 gegeben.
Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 28. Juli 2022 sowie vom 24. Juni 2022 (beim LSG zunächst nicht eingegangen und am 30. Juli 2022 nachgereicht) mitgeteilt, er habe in jeder Arbeitsschicht überwiegend meniskusbelastende Tätigkeiten ausgeführt. Er habe Sand, Zement etc. mit der Hand schaufeln und auf dem Boden verteilen müssen. Ferner habe er den ganzen Tag lang Säcke mit einem Gewicht von 50 kg aus den Knien heraus gehoben, auf den Schultern getragen und umgepackt. Hauptsächlich sei Estrichbau mit Arbeiten auf dem Boden behaftet, die stundenlanges Knien erforderten. Hierzu verweist der Kläger auf den „Messwertkataster Kniebelastungen“ der DGUV, der einen hohen Anteil meniskusbelastender Tätigkeiten bei Estrichlegern aufzeige. Ferner hat er ausgeführt, es gebe keine rechtliche Grundlage für die Annahme der Beklagten, eine berufliche Verursachung könne erst ab etwa 20 % Meniskusbelastung in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten, also in 110 pro Jahr, angenommen werden.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Oktober 2021 und den Bescheid vom 6. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihm die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt ergänzend aus, auch die beim Kläger bis 1991 angenommene kniebelastende Tätigkeit von „teilweise 25 %“ der Arbeitszeit erfülle nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen, wonach mindestens ein Viertel solcher Tätigkeiten vonnöten sei.
Wegen des Vortrags der Beteiligten und der ärztlichen Unterlagen im Einzelnen wird auf die Akten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge, insbesondere auf die medizinischen Unterlagen und die Berichte der Präventionsdienste, verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter durch Beschluss über die Berufung gegen das Urteil vom 1. Oktober 2021. Die Beteiligten sind dazu gehört worden. Der Senat trifft seine Entscheidung einstimmig und hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für notwendig.
Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), insbesondere nicht zulassungsbedürftig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Sie ist zwar als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) statthaft und zulässig. Sie ist gerichtet auf die behördliche Feststellung einer BK. Eine solche Anerkennung kann neben der auch denkbaren gerichtlichen Feststellung (vgl. § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 1 SGG) begehrt werden (BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R -, BSGE 111, 37, 38 f.). Das Unfallversicherungsrecht stellt entsprechende Rechtsgrundlagen bereit (BSG, Urteil vom 27. März 2012 - B 2 U 7/11 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 19, Rn. 8, juris). Die Beklagte hat die begehrte Anerkennung in den angefochtenen Bescheiden auch abgelehnt.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Dabei hat das SG zu Recht ausgeführt, dass sich die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs nach dem 1997 in Kraft getretenen SGB VII richtet, nachdem die Veränderungen am Innenmeniskus des rechten Knies, die als Versicherungsfall geltend gemacht werden, erstmals Mitte 2018 nachgewiesen worden sind (vgl. § 212 SGB VII).
Ferner trifft es zu, dass die Beklagte für den geltend gemachten Anspruch passivlegitimiert ist, und nicht die BG Verkehr, die für die Unternehmen zuständig ist, in denen der Kläger seit 1991 gearbeitet hat. Zuständig ist der Unfallversicherungsträger, bei dem jene Unternehmen Mitglied sind, bei denen der Versicherte der letzten geeigneten beruflichen Belastung unterlag (vgl. heute § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Wie der PD der BG Verkehr im Verwaltungsverfahren ermittelt hat, war der Kläger in seinen Tätigkeiten als Lkw-Fahrer und Disponent keinen knie- bzw. meniskusbelastenden Tätigkeiten in fassbarem Umfang ausgesetzt. Die letzte gefährdende Tätigkeit wurde vielmehr 1991 in einem Unternehmen ausgeübt, für das die Beklagte die zuständige BG war.
Jedoch kann die geltend gemachte BK kann nicht festgestellt werden.
Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet (Listen-BK) und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet (Satz 1). Als BK werden Erkrankungen bezeichnet, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Für die Feststellung einer Listen-BK ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung Folgen nach sich zieht, die ggfs. einen Leistungsfall auslösen (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Für die Feststellung einer BK müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rn. 14 m.w.N.). „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange der anderen Ursache keine überragende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 8/06 R -, Rn. 20, juris).
Der Senat lässt offen, ob bei dem Kläger die medizinischen Voraussetzungen der BK 2102 vorliegen. Nicht jeder Meniskusschaden erfüllt das medizinische Bild, das diese BK fordert. So ist ein degenerativer Meniskusschaden von anderen Meniskusanomalien, einer Osteochondrosis dissecans, primären Arthopathien spezifischer und unspezifischer Genese, retropatellaren Chon­dromalazien sowie Einklemmungen von Synovialfalten- und -zotten des Hoffa’schen Fettkörpers abzugrenzen (vgl. das Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung [BMA] zur BK 2102 vom 11. November 1989, BArbBl. 2/1990, S. 135). Bei dem Kläger nun hat K1 in seiner Stellungnahme vom 25. November 2019 lediglich ausgeführt, dass das „komplexe“ Schadensbild am Innenmeniskus-Hinterhorn rechts einer BK 2102 entsprechen „kann“. Eine sichere Zuordnung war nicht möglich, zumal bei mehreren Untersuchungen 2019 die Meniskuszeichen beidseits negativ waren, auch bei K1.
Nach Einschätzung des Senats fehlt es bei dem Kläger aber an den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102.
Erforderlich ist nach dem Wortlaut dieser Regelung eine mehrjährige andauernde oder häufig wiederkehrende, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit. Diese Begriffe werden in ständiger Rechtsprechung nach den Hinweisen ausgelegt, die das Merkblatt des BMA vom 11. November 1989 nennt (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R -, Rn. 19, juris).
Als mehrjährig kommen dabei Belastungen ab etwa zwei Jahren an in Fragen.
Belastende Tätigkeiten sind Arbeiten in Dauerzwangshaltung, insbesondere im Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, oder aber eine häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage (vgl. im Einzelnen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Januar 2022 - L 3 U 98/19 -, Rn. 32, juris). Andauernd oder häufig wiederkehrend und die Kniegelenke überdurchschnittlich belastend ist die Tätigkeit dann, wenn die relevanten meniskusbelastenden Verrichtungen (vor allem die Dauerzwangshaltung) etwa einen Zeitanteil von einem Viertel bis zu einem Drittel der Arbeitszeit ausmacht und in der Mehrzahl der Schichten pro Arbeitsjahr auftritt. Kürzere Belastungen pro Schicht reichen in der Regel nicht, da die Menisken bei einem geringeren Zeitanteil belastender Tätigkeit Zeit haben, sich zu regenerieren (LSG Nordrhein-West­falen, Urteil vom 25. Februar 2015 - L 17 U 734/12 -, Rn. 61, juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 13. September 2012 - L 18 U 349/09 -, juris; ebenso Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Auflage 2009, S. 565). Diese Auslegung der Voraussetzungen der BK 2101 bildet die rechtliche Grundlage für die Anforderung, dass für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Beruf und einem Meniskusschaden ein gewisser Zeitanteil meniskusbelastender Tätigkeiten pro Schicht gefordert wird.
Bei dem Kläger kommt dabei nur eine Einwirkung nach der ersten der beiden alternativen Tätigkeiten der BK 2102 („Arbeiten in Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung“) in Betracht. Eine solche Belastung kann bei Fliesen- und Parkettlegern und auch bei Estrichlegern auftreten (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Diese Belastung umfasst Arbeiten im Hocken oder im Fersensitz mit maximaler Knieabwinklung (Kniebeugung), insbesondere unter beengten räumlichen Verhältnissen. Es genügt dabei nicht - anders als bei der BK 2112 - bloßes Knien, Hocken oder Kriechen. So werden die Menisken bei Arbeiten in kniender Position mit rechtwinkliger Beugung des Kniegelenkes weder stark verschoben noch stark verformt oder erheblich druckbelastet (Mehrtens/Bran­denburg, BKV, Kommentar, Stand: April 2021, M 2102 Rn. 3). Ferner reichen Einzeltätigkeiten und kurzfristige Arbeiten nicht aus, ebenso nicht Arbeiten in einem Wechsel zwischen Be- und Entlastung, auch wenn diese grundsätzlich meniskusbelastend sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 665). Erfasst werden danach vor allem Tätigkeiten in endgradiger Kniebelastung, also einem Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel während einer Kniebelastungsphase von ≤ 40 Grad (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 36, vgl. IFA-Report 2/2012, Anlage 18, S. 126).
Vor diesem Hintergrund war die Berufstätigkeit des Klägers von 1981 bis 1991 mit über zehn Jahren zwar mehrjährig im Sinne der BK 2102. Die knie- und meniskusbelastenden Verrichtungen machten aber keinen ausreichenden Anteil der Arbeit aus.
Dass sich der PD der Beklagten bei der Ermittlung der meniskusbelastenden Tätigkeiten auf die Akten und allgemeine Erkenntnisse gestützt hat, war vertretbar. 30 Jahre nach dem Ende der angeschuldigten Beschäftigung hätten Ermittlungen zu den konkreten Bedingungen am Arbeitsplatz keinen Erfolg mehr gehabt, zumal die Betriebe nicht mehr bestanden. Auch der Kläger hatte im Verwaltungsverfahren nur Angaben zur Anzahl und Dauer seiner Arbeitsschichten gemacht, aber nicht zu den einzelnen Tätigkeiten. Und sein Vortrag aus dem Schriftsatz vom 28. Juli 2022 ist ebenfalls keine Grundlage für eine Beweiserhebung: Zum sind einige der Tätigkeiten, die er dort nennt (Hochheben von Säcken, Tragen auf der Schulter, Umfüllen), nicht meniskusbelastend, insbesondere keine Arbeit in Dauerzwangshaltung wie im Knien, Hocken oder Kriechen. Zum anderen sind seine Angaben zu seinen meniskusbelastenden Tätigkeiten („Arbeiten auf dem Boden … stundenlangens Knien“) zu ungenau für eine Überprüfung.
Zutreffend hat sich der PD vor allem auf die (durchschnittlichen) Werte des IFA-Reports 2/2012 gestützt. Diese Studie hat unter anderem die Ergebnisse des Messwertkatasters „Kniebelastungen“ der DGUV aufgenommen, auf die der Kläger am 28. Juli 2022 hingewiesen hat (IFA-Report 1/2010, vgl. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2067). Die Ergebnisse des IFA-Reports 2/2012 bilden nach wie vor eine geeignete Grundlage für die Überprüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2102 bei Estrichlegern. Der Report hat auch diese Berufsgruppe untersucht (a.a.O., Nr. 2.2, S. 23). Und seine Ergebnisse entsprechen weiterhin dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (zuletzt LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 35 ff., juris).
Nach diesen Vorgaben erreicht die im engeren Sinne meniskusbelastende Tätigkeit des Klägers nicht das geforderte Viertel bis Drittel der Arbeitszeit in der Mehrzahl der Schichten. Legt man die vom PD ermittelten Werte zu Grunde, ergeben sich Zeitanteile von 12,5 % in der Ausbildung (Verlegen 2 h/d x 40 Schichten/a = 80 h/a, Einbauen: 0,8 h/d x 70 Schichten/a = 56 h/a, Glätten: 1,2 h/d x 70 Schichten/a = 84 h/a; Summe: 220 h/a. Verteilt auf 220 Schichten [Arbeitstage] im Jahr ist dies 1 h/d bei einer achtstündigen Schicht, also 12,5 %) und 17,7 % als Geselle (Verlegen: 2 h/d x 60 Schichten/a = 120 h/d, Einbauen: 0,8 h/d x 90 Schichten/a = 72 h/a, Glätten: 1,2 h/d x 100 Schichten/a = 120 h/a; Summe: 312 h/a, bei 220 Schichten/a 1,42 h/d, das sind 17,7 %).
Die Begründung für diese Ergebnisse überzeigt. Insbesondere hat der PD zu Recht darauf hingewiesen, dass Estrichleger zu einem größeren Anteil auch Tätigkeiten ohne Meniskusbelastung ausüben (vgl. die Aufstellung auf S. 3 ebd.). Zu Recht wurden daher das Verlegen von Sperr- und Dämmschichten, der Einbau von Zementestrich und das Glätten von Zementestrich als meniskusbelastend berücksichtigt (vgl. IFA-Report, S. 35; zu der Tätigkeit „Verlegen von Sperr- und Dämmschichten vgl. S. 40 oben: „Dämmarbeiten bei Estrichlegern“). Unberücksichtigt blieb daher unter anderem „Zementestrich anmischen“, weil diese Tätigkeit nur zu 0,4 % meniskusbelastend ist und daher unter der Erheblichkeitsschwelle liegt (a.a.O., S. 35). Die Zeitanteile mit einer relevanten Meniskusbelastung während der genannten Verrichtungen, nämlich einer endgradigen Kniebelastung, hat der PD zutreffend dem IFA-Report entnommen (Anhang 18, S. 126). Die Annahmen, in wievielen Arbeitsschichten pro Jahr der Kläger diese Arbeiten ausgeführt hat, erscheinen ebenfalls überzeugend. Insbesondere der geringere Ansatz während der Ausbildung ist begründet, weil der Kläger damals einen Teil der Arbeitszeit in der Berufsschule verbrachte. Insgesamt hält sich der genannte Zeitanteil mit meniskusbelastenden Tätigkeiten auch noch im erwartbaren Rahmen: für Estrichleger hatte der IFA-Report Arbeitszeitanteile mit meniskusbelastenden Tätigkeiten von durchschnittlich 26,1 % bzw. 29,1 % bei einer Streuung von 10 bis 43 % ergeben (a.a.O., Abb. 30 und 31, S. 38 sowie Anhang 17, S. 125; zum Vergleich: durchschnittlich 44,1 % bei Fliesen- oder 39,0 % bei Parkettlegern).
Eine höhere Belastung als errechnet kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die meniskusschädigenden Einwirkungen zu einer Zeit begannen, als der Kläger - nach seinen Angaben - noch nicht ausgewachsen war. Berufliche Belastungen sind grundsätzlich während des gesamten Arbeitslebens gleichermaßen zu berücksichtigen.
In der weiteren Berufstätigkeit nach 1991 hat sich überhaupt keine relevante Knie- oder Meniskusbelastung mehr ergeben. Dies entnimmt der Senat dem weiteren Bericht Arbeitsplatzexposition des PD der BG Verkehr vom 31. August 2020.
Unabhängig von den medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 verneint der Senat den Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Meniskusschädigung. Dass die meniskusbelastenden Tätigkeiten mit Wahrscheinlichkeit den wesentlichen Ursachenbeitrag für den Schaden gesetzt haben, kann nicht angenommen werden.
Gegen diesen Zusammenhang spricht ausschlaggebend der lange zeitliche Abstand von 25 Jahren zwischen der Aufgabe der Berufstätigkeit und der erstmaligen Feststellung eines Meniskusschadens im Jahre 2018. In dieser Bewertung folgt der Senat den Ausführungen K2 in seiner Stellungnahme vom 25. November 2019 und der daran anschließenden Entscheidung des SG (§ 153 Abs. 2 SGG) an. K2 Untersuchungsbericht kann dabei als Urkunde mit öffentlichem Glauben (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 418 ZPO) verwertet werden. Als Sachverständiger war er nicht beauftragt worden.
Auch im Berufungsverfahren haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass der Schaden schon deutlich früher entstanden war, etwa schon bei der Aufgabe der Tätigkeit 1991. Der Senat hat auf die (materielle) Beweislast zu diesem Punkt hingewiesen, jedoch konnte der Kläger - nach so langer Zeit verständlicherweise - keine ärztlichen Unterlagen oder sonstigen Beweismittel mehr beibringen. Festzuhalten bleibt aber, dass zumindest aus mehreren Jahren seit damals - nämlich bis 1995 und erneut ab 2004 - aus den Vorerkrankungsverzeichnissen die AU-Zeiten des Klägers ermittelt werden konnten und dabei nirgendwo Beschwerden der unteren Gliedmaßen verzeichnet sind. Dies spricht dafür, dass die Beschwerden erstmals 2018 aufgetreten sind, unter Umständen in Zusammenhang mit dem privaten Unfall am 20. Juli 2018, der nach dem Vorerkrankungsverzeichnis der DAK zu der AU ab dem 23. Juli 2028 geführt hat.
Vor diesem Hintergrund kann es offenbleiben, ob auch das Alter des Klägers bei der Erstmanifestation bzw. Erstdiagnose des Meniskusschadens gegen eine berufliche Verursachung spricht. Hierzu hatte K1 ausgeführt, das absolute Alter des Klägers zu diesem Zeitpunkt sei ein Argument gegen eine primäre Meniskopathie, spreche also für eine degenerative Entstehung. Allerdings fehlen hierzu Belege, z.B. statistische Untersuchungen zum durchschnittlichen Alter beim Auftreten berufsbedingter Meniskuserkrankungen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


 

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