L 18 R 106/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 14 R 362/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 106/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 82/23 B
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 29.10.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Im Streit steht die Gewährung einer Witwenrente.

 

Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1940 geborenen Versicherten L. F.. Bei ihm wurde am 05.06.2019 ein Lungenkarzinom festgestellt. Im August 2019 erkundigten sich die Klägerin und der Versicherte, welche Unterlagen für eine Eheschließung benötigt würden, bestellten am 02.09.2019 das Aufgebot und schlossen am 11.09.2019 die Ehe. Am 00.10.2019 verstarb der Versicherte.

 

Die Klägerin stellte am 11.11.2019 einen Antrag auf Bewilligung einer Witwenrente. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht des C. Krankenhauses X. vom 31.10.2019 für die Behandlung vom 10.10.2019 bis 30.10.2019 bei und lehnte mit Bescheid vom 27.11.2019 den Antrag ob. Sofern die Klägerin mitgeteilt habe, die Heirat sei zur Sicherung der erforderlichen Betreuung erfolgt und der Tod des Versicherten sei auf absehbare Zeit nicht zu erwarten gewesen, sei dieser Vortrag nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Aus dem eingereichten Krankenhausbericht ergebe sich vielmehr, dass der Versicherte letztlich an seiner am 05.06.2019 erstmals festgestellten Grunderkrankung (Lungenkarzinom) verstorben sei. Ein weiteres Indiz hierfür sei auch, dass er mit Hilfe eines Palliativteams nach Hause habe überführt werden sollen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 23.12.2019 Widerspruch eingelegt. Die Eheleute hätten sich bereits seit 1983 gekannt und seit 1991 zusammengelebt. 1996 hätten sie heiraten wollen, die Klägerin habe bereits bei ihrer Freundin B. U., die unter anderem auch Brautmoden vertrieben habe, ein Kleid ausprobiert. Allerdings habe dann die Mutter der Klägerin einen Schlaganfall erlitten und sei pflegedürftig geworden, deswegen sei die Hochzeit zurückgestellt worden. Dann sei 1997/1998 die Schwester des Versicherten pflegebedürftig geworden, weswegen die Eheleute sie bei sich aufgenommen hätten. Auch habe die Klägerin eine behinderte Schwester, bei der der Gesundheitszustand nicht so gewesen sei, dass sie an einer Feier hätte teilnehmen können. Die Klägerin habe auf Besserung gehofft. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2005 sei dann für das Jahr 2006/2008 die Hochzeit geplant worden. Die Klägerin sei wieder zu der Freundin Frau U. gegangen, habe sich mehr oder weniger für ein Brautkleid entschieden und auch schon angezahlt. Die Hochzeit sei dann verschoben worden, weil es dem Vater der Klägerin schlechter gegangen sei. Er habe im Januar 2009 einen Schlaganfall erlitten, sei rechtsseitig gelähmt gewesen und von den Eheleuten betreut worden. Der dritte Anlauf zur Eheschließung sei 2017/2018 erfolgt. Die Klägerin sei wieder wegen des Kleides zu Frau U. gegangen, es habe wieder nicht geklappt. Im Februar 2019 habe der Verstorbene dann gesagt, dass in diesem Jahr jetzt geheiratet werde, auch wenn nicht richtig gefeiert werden könne, die Klägerin solle sich um die Papiere kümmern. Die Klägerin sei aber nicht dazu gekommen, die Unterlagen zusammenzutragen. Von der Erkrankung habe man im Mai 2019 erfahren. Man sei aber nicht davon ausgegangen, dass sie tödlich enden würde. Einer der Gesichtspunkte, warum man zum damaligen Zeitpunkt an der Heirat habe festhalten wollen, sei gewesen, dass die Klägerin ihren Mann habe pflegen und weiterhin betreuen wollen. Sie überreichte dazu eine ärztliche Bescheinigung des Chefarztes der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Krankenhauses C. X. Dr. R. vom 11.11.2018 (richtig: 11.11.2019), in dem dieser mitteilte, dass die Entlassung des Versicherten für den 31.10.2019 geplant gewesen sei und der Versicherte am 30.10.2019 unerwartet verstorben sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Im Hinblick auf die geplante Palliativversorgung in der häuslichen Umgebung sei nicht von einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe auszugehen. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe der Versicherte offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten, so dass im Zeitpunkt der Eheschließung die tödlichen Folgen abzusehen gewesen seien. Auch die Tatsache, dass bereits 1991 ein Zusammenleben ohne im Weiteren erfolgte Heirat vor September 2019 vorgelegen habe, spreche nicht gegen eine Versorgungsehe.

 

Dagegen hat die Klägerin am 02.04.2020 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Gegen die Annahme einer Versorgungsehe spreche, dass den Eheleuten nicht bekannt gewesen sei, dass das am 05.06.2019 festgestellte Lungenkarzinom kurzfristig zum Tode führen würde. Im Gegenteil habe die eingeleitete Immuntherapie sogar zur Folge gehabt, dass sich der Tumor verkleinert habe. Die Klägerin habe nicht gewusst, was ein Palliativ-Team bedeute. Auf ihre Nachfrage habe sie die Antwort erhalten, dass es sich dabei um eine medizinische Versorgung handele. Auf Nachfrage des SG hat sie mitgeteilt, dass die Zeugen Herr N. und Frau U. an ihrem Geburtstag am 25.02.2019 und Frau O. ebenfalls im Februar 2019 davon unterrichtet worden seien, dass die Hochzeit im Sommer 2019 stattfinden solle.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2020 zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach ihrem am 20.10.2019 verstorbenen Ehemann L. F. zu gewähren.

 

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben.

 

Das SG hat den Zeugen N. und die Zeugin O. vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2021 Bezug genommen.

 

Mit Urteil vom 29.10.2021 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Zahlung der Witwenrente verurteilt. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Umstände des Falles widerlegt, denn es sei nicht der überwiegende Zweck der Heirat gewesen, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer schon aus dem Umstand, dass die Beziehung der Klägerin zum Versicherten bereits seit 1983 bestanden habe und im Laufe der Jahre immer wieder konkrete Hochzeitspläne gefasst worden seien. Zur Überzeugung der Kammer scheide die Annahme einer Eheschließung aus Versorgungsgründen aber in jedem Fall deswegen aus, weil im Jahr 2019 die Hochzeitspläne bereits frühzeitig, d.h. vor Kenntnis der schweren Erkrankung des Versicherten, hinreichend konkret gewesen seien. Der Versicherte habe am Geburtstag der Klägerin am 25.02.2019 in Anwesenheit des Zeugen N. und anderer das Gespräch darauf gebracht, im Sommer 2019 auf jeden Fall heiraten zu wollen. Der Zeuge N. habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, man habe sich an diesem Tag bei der Geburtstagsfeier weiter über die Einzelheiten einer solchen Heirat unterhalten, er habe die Eheleute darauf hingewiesen, dass die Klägerin noch Papiere benötige und dass dann innerhalb von drei Monaten geheiratet werden müsse, weil ansonsten die Papiere neu angefordert werden müssten. Auch mit der Zeugin O. habe die Klägerin im Anschluss an ihren Geburtstag und damit deutlich vor der Krebsdiagnose konkret über Planungen hinsichtlich der Hochzeit und die Art der Feier, die die Zeugin gestalten und organisieren sollte, gesprochen. Ebenso sei es zur Überzeugung der Kammer schlüssig und nachvollziehbar, dass nach Stellung dieser Diagnose entsprechende Planungen zunächst nicht unmittelbar weiterverfolgt worden seien. Sobald aber absehbar gewesen sei, dass der Versicherte körperlich in der Lage sein würde, heiraten zu können, seien die Pläne wieder aufgegriffen worden und die Klägerin habe die entsprechenden Unterlagen angefordert. Insoweit spiele zur Überzeugung der Kammer keine Rolle, dass die Hochzeit nun nicht in einem größeren Rahmen habe stattfinden können. Die Zeugin O. habe die Motivlage überzeugend und zutreffend zusammengefasst, indem sie ausgesagt habe, die Eheleute hätten das nun endlich durchziehen wollen, das Ehepaar habe ja nun schon jahrelang zusammengelebt als Familie. Kinder und Enkel hätten sich gefreut.

 

Gegen das ihr am 20.01.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.02.2022 Berufung eingelegt. Entgegen den Angaben der Klägerin in ihrem Antrag auf Hinterbliebenenrente sei zum Zeitpunkt der Heirat durchaus mit dem Tode des Versicherten zu rechnen gewesen. Der Tod sei nicht plötzlich und unerwartet eingetreten. Das SG habe keine Ermittlungen zum medizinischen Sachverhalt durchgeführt. Das Urteil gründe sich ausschließlich auf den Angaben der Klägerin und der zwei Zeugen, die im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29.10.2021 ausgesagt hätten. Die Angaben der Klägerin im Rahmen der Antragstellung, dass die Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des ständig auf Pflege angewiesenen Lebenspartners erfolgt sei, stehe im Widerspruch zu ihrer Aussage im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung am 29.10.2021. Dort habe sie sinngemäß angegeben, dass der Entschluss zur Eheschließung bereits vor Bekanntwerden der todesursächlichen Erkrankung gefasst worden sei. Unabhängig hiervon habe die Klägerin auch vorgetragen, dass ihr Mann zwar infolge einer Immuntherapie geschwächt gewesen sei, man aber optimistisch gewesen sei, dass die eingeschlagene Immuntherapie erfolgreich würde durchgeführt werden können. Das lasse sich anhand der vorliegenden Befunde jedoch nicht objektivieren. Die Wertung des Sozialgerichts, dass bereits seit 1983 und im Laufe der Jahre immer wieder konkrete Heiratspläne gefasst worden seien, ließe sich nicht nachvollziehen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts handele es sich um unverbindliche Absichtserklärungen. Die Heiratspläne seien niemals so konkret gewesen, dass die Klägerin die notwendigen Urkunden von der Stadt Z. angefordert hätte oder das Aufgebot bestellt bzw. einen konkreten Termin ins Auge gefasst und beim Standesamt vereinbart habe. Dies sei nach der Rechtsprechung jedoch zwingende Voraussetzung dafür, dass die Hochzeitsplanung die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen könnte. Auch das Gespräch am Geburtstag der Klägerin am 25.02.2019 habe keine derart konkrete Hochzeitsplanung nach sich gezogen. Die Klägerin habe nach ihrer eigenen Aussage zwar telefonische Auskünfte zur Beiziehung der notwendigen Urkunden aus ihrer früheren Heimatstadt Z. eingeholt und mit ihrer Freundin, der Zeugin O., über die Ausgestaltung der Hochzeitsfeier gesprochen. Sie habe jedoch weder die Unterlagen aus Z. angefordert noch sei ein Termin zur Heirat abgesprochen worden und insbesondere auch nicht beim Standesamt angemeldet worden. Es sei bereits nicht nachzuvollziehen, dass es in nahezu 30 Jahren keine Zeit gegeben haben soll, in der hätte geheiratet werden können. Erst nach Kenntnis von der Erkrankung des Versicherten im Juni 2019 seien die Hochzeitsplanungen in einem recht kurzen Zeitraum derart konkret geworden, dass die Eheleute letztlich am 11.09.2019 geheiratet hätten. Die angebliche Planung der Hochzeitsfeier als Gartenparty im Sommer spreche eher gegen eine zeitnahe Hochzeit. Für die Organisation und insbesondere die Einladung der Gäste wäre ein konkretes Datum notwendig gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Versicherte ins Krankenhaus gemusst habe, seien nach der Aussage der Klägerin jedoch keine Aktivitäten dahingehend entwickelt worden, einen Hochzeitstermin beim Standesamt zu vereinbaren und Gäste einzuladen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 29.10.2021 aufzuheben und die Klage ab-zuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie trägt vor, nicht gewusst zu haben, dass der Versicherte binnen kürzester Zeit versterben werde. Weiter überreicht sie Arztbriefe des C. Krankenhaus X. vom 28.05.2019 und 31.07.2019 und verweist auf die dortigen Ausführungen, dass „kein Hinweis auf eine ossäre Metastasierung“ bzw. „Keine Progredienz des…. Lingulakarzinoms links seit der Untersuchung vom 15.05.2019“ bestehe. Hinsichtlich der konkreten Hochzeitsvorbereitungen weist sie darauf hin, schon vor dem 02.09.2019 beim Standesamt gewesen zu sein, um sich zu erkundigen, welche Unterlagen benötigt würden. Die Planung für die Hochzeitsfeier sei auch insoweit konkret gewesen, als die einzuladenden Gäste in unmittelbarer Nähe gewohnt hätten. Die Gäste hätten von der bevorstehenden Hochzeit gewusst, sie wären deshalb in der Lage gewesen, auch einer kurzfristigen Einladung Folge zu leisten.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Der die Rentengewährung ablehnende Bescheid vom 27.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

 

Nach § 46 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, u.a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 00.10.2019 verstorbenen L. F., der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet.

 

Zu Recht hält die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf (große) Witwenrente jedoch den Einwand der unterjährigen Ehedauer entgegen (§ 46 Abs. 2a SGB VI). Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, der alleinige oder überwiegende Zeck der Heirat sei es gewesen, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

 

Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich nur vom 11.09.2019 bis 30.10.2019.

 

Die aus dieser unterjährigen Ehedauer kraft Gesetzes zwingend folgende Vermutung, es sei alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat gewesen, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, ist vorliegend - auch ausgehend von dem von der Klägerin behaupteten und von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Geschehensablauf - nicht widerlegt. Besondere Umstände, die die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.

 

Aus § 46 Abs. 2a SGB VI ergibt sich nicht ohne weiteres, was unter „den besonderen Umständen des Falles“ zu verstehen ist, die geeignet sind, die Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften bzw. eine Ausnahme vom gesetzlichen Ausschluss einer Witwen-/Witwerrente bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr zuzulassen. Da § 46 Abs. 2a SGB VI jedoch vom Gesetzgeber bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch, vormals § 594 Reichsversicherungsordnung) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes) nachgebildet ist, kann an die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Begriff der „besonderen Umstände“ in diesen Bestimmungen angeknüpft werden (BSG Urteil vom 05.05.2009 - B 13 R 55/08 R - juris Rdn. 19). Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind daher alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Dabei kommt es grundsätzlich auf die gegebenenfalls auch voneinander abweichenden Beweggründe beider Ehegatten an (BSG, a.a.O., Rdn. 19). Die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat muss dazu führen, dass die anderen Beweggründe insgesamt den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind (BSG, a.a.O., Rdn. 21). In diese Abwägung sind sowohl äußere Umstände der Eheschließung als auch persönliche Gründe der Ehegatten einzustellen, sofern der hinterbliebene Ehegatte diese persönlichen Details darlegen möchte (BSG, a.a.O., Rdn. 23). Maßgeblich für das Vorliegen der besonderen Umstände sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen (BSG, a.a.O., Rdn. 24). Ein wichtiger Gesichtspunkt in der Abwägung ist hierbei immer der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung (BSG, a.a.O., Rdn. 25). Der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI wird nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) der volle Beweis erbracht wird. Dieser erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grad wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, a.a.O., Rdn. 28 m.w.N.).

 

Solche besonderen Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI, die geeignet sind, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten zu entkräften, liegen nicht vor. Vielmehr sprechen die besonderen Umstände des Einzelfalls - insbesondere die Anmeldung der Eheschließung kurz nach Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung im Juni 2019 - dafür, dass der überwiegende Zweck der Heirat die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin war. Die Heirat eines zur Zeit der Eheschließung bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel als ein die gesetzliche Annahme der Versorgungsehe bestätigender (objektiver) Umstand anzusehen (BSG, a.a.O., Rdn. 32). Allerdings ist auch in einem solchen Fall der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet überwiegend oder zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Dabei sind alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen (BSG, a.a.O., Rdn. 32). In einem solchen Fall müssen allerdings bei einer Gesamtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit dieses Umstands zum Zeitpunkt der Eheschließung steigt nämlich der Grad des Zweifels am Vorliegen solcher besonderen Umstände (BSG, a.a.O., Rdn. 27). Nach den dargestellten Grundsätzen müssen daher ganz besonders gewichtige innere und äußere Umstände vorliegen, die im Rahmen der Gesamtabwägung gegen eine Versorgungsehe sprechen.

 

Hiervon ausgehend war der Senat im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vom Vorliegen „besonderer Umstände“ im Sine von § 46 Abs. 2a SGB VI nicht überzeugt, § 128 Abs. 1 SGG bzw. 202 SGG i.V.m. § 292 ZPO. Die im sozialgerichtlichen Verfahren ermittelten und einer Abwägung unterzogenen Beweggründe beider Lebenspartner sowie alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls ergeben hier, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe des Paares insgesamt gesehen nicht zumindest gleichwertig sind. Zunächst ist festzustellen, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung am 11.09.2019 bzw. bei der Bestellung des Aufgebots am 02.09.2019 offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung litt. Dabei ist im Falle des Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung und auch der Anmeldung der Ehe von einem besonders hohen Grad der Lebensbedrohlichkeit und der Offenkundigkeit der Erkrankung auszugehen. Denn bereits die Erstdiagnostik des Lungenkarzinoms des Versicherten am 05.06.2019 ergab einen 7 cm großen Tumor im Stadium UICC: IVB mit Metastasen in der Nebenniere und im Darm. Der Versicherte wies damit die höchstmöglich Klassifikation der Tumorstadien auf. Ein Lungenkrebs in diesem Stadium ist in der Regel nicht heilbar. Die Therapie zielt in der Regel auf eine Verlängerung der Lebenszeit bei guter Lebensqualität ab (https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/lungenkrebs/therapie/therapioe-nichtkleinzelliger-lungenkarzinome-nsclc.html). Derart gewichtige Gründe, die die Annahme der Versorgungsehe unter diesen Umständen widerlegen könnten, sind von der Klägerin nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

 

Das langjährige Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft stellt gerade keinen solchen gewichtigen Umstand dar (vgl. hierzu Bayerisches Landessozialgericht (LSG) Urteil vom 20.02.2013 - L 1 R 304/11 - juris). Die Tatsache, dass die Klägerin und der Versicherte bereits seit langem ein Paar waren und bislang keine Heirat erfolgte, spricht dafür, dass eine Partnerschaft ohne Trauschein von der Klägerin und dem Versicherten über einen langen Zeitraum als zufriedenstellend angesehen wurde. Ein langjähriges Zusammenleben ohne Eheschließung ist vielmehr Ausdruck der Entscheidung, eben nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen. Allein das Bestehen einer innigen Liebesbeziehung und die wiederholte Äußerung von Heiratsabsichten reichen für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht aus (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 08.04.1999 - L 3 U 99/97 - juris). Hochzeitspläne können nur dann die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen, wenn sie hinreichend konkret waren und sich als konsequente Verwirklichung einer schon vor Bekanntwerden der Erkrankung gefasst Heiratsabsicht darstellen. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss zu beweisen (erkennender Senat Urteil vom 25.08.2015 - L 18 KN 104/14 - juris Rdn. 34 m.w.N.). Kenntnis von der Krankheit haben die Eheleute im Juni 2019 erlangt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Klägerin, dass die Eheleute zu diesem Zeitpunkt von einer deutlich längeren Lebenserwartung des Versicherten ausgegangen sind und der Eintritt des Todes innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung keineswegs zu erwarten gewesen sei. Denn angesichts der deutlich zutage tretenden objektiven Umstände ist eine solche Behauptung zum Beweis eines von der mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich verlaufenden Erkrankung abweichenden Beweggrundes nicht ausreichend. Die Hochzeitspläne der Eheleute waren vor dem Zeitpunkt der Erstdiagnose jedenfalls nicht hinreichend konkret. Es stand nur die Ankündigung des Versicherten im Raum, dass im laufenden Jahr tatsächlich geheiratet werde. Allerdings hatten dies die Eheleute in der Vergangenheit bereits mehrmals angekündigt und dann aufgrund wechselnder Umstände nicht umgesetzt. So haben sich die Eheleute selbst dann noch von der Eheschließung abhalten lassen, als bereits ein Hochzeitskleid ausgesucht und bereits angezahlt war. Dass die Eheschließung dann trotz aller Widrigkeiten im Jahr 2019 vollzogen worden ist, spricht aus Sicht des Senates eher dafür, dass die Versorgung der Klägerin im Angesicht der tödlichen Erkrankung des Versicherten doch noch sichergestellt werden sollte, zumal die weiteren rechtlichen Folgen einer Eheschließung (Unterhaltsverpflichtung, Zugewinngemeinschaft, Scheidungsfolgen etc.) angesichts des bevorstehenden Todes des Versicherten ihre Bedeutung für die Ehepartner nahezu völlig verloren hatten.

 

Auch liegen hier die Voraussetzungen einer sog. Pflegeehe, im Übrigen der einzige ausdrücklich von der Klägerin benannte abweichende Beweggrund, nicht vor. Zwar hat das BSG in seinem Urteil vom 03.09.1986 (9a RV 8/84 - juris Rdn. 14) darauf verwiesen, dass jedenfalls ein Beschädigter, der dauernd auf fremde Hilfe angewiesen ist und Pflegezulage erhält, mit der Heirat seine Wartung und Pflege sicherstellen möchte, um dadurch seine Lebenssituation eindeutig zu verbessern. Diese Erwartung, die der Beschädigte an die Eheschließung knüpfe, basiere auf einer gesetzlichen Grundlage. Mit der Eheschließung obliege dem Ehepartner die gesetzliche Verpflichtung, die eheliche Lebensgemeinschaft einzugehen (§ 1353 Bürgerliches Gesetzbuch), die als Wesensinhalt die Beistandspflicht in allen Lebenslagen beinhalte. Im Vergleich zu einer zur Verfügung stehenden fremden Pflegekraft erlange der Beschädigte durch die Heirat unschätzbare Vorteile. Nicht nur, dass die Pflege keiner bestimmten zeitlichen Beschränkung mehr unterliege, sondern in Notfällen rund um die Uhr sichergestellt sei, sei auch die Aufgabenzuweisung in keiner Weise mehr begrenzt. Allerdings hat das BSG eine solche typisierende Betrachtungsweise nur dann für gerechtfertigt gehalten, wenn „das Ableben des Beschädigten auf Grund seiner gesundheitlichen Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung nicht in absehbarer Zeit zu erwarten ist, mithin die Ehe, wie es ihrem Wesen entspricht, auf unbegrenzte Zeit - auf Lebenszeit - geschlossen ist (§ 1353 Abs 1 Satz 1 BGB)“. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Die Eheleute wussten bei der Eheschließung, dass der Versicherte nur eine begrenzte Lebenserwartung hatte.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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