L 14 R 889/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 39 KR 512/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 889/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 191/22 B
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.08.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.                        

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe:

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist die erneute Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab November 2018 streitig. Dabei erfüllt der Kläger die besonderen versicherungs-rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer solchen Rente letztmalig nur noch bis Mai 2020.

 

Der 1970 in der Türkei geborene Kläger zog 1981 in die BRD; er ist verheiratet und Vater von zwei mittlerweile erwachsenen Kin­dern. Nach Absolvierung einer von September 1986 bis Juli 1989 durchgeführten Ausbildung zum Beton- und Stahlbetonbauer arbeitete er bis 1997, in den Jahren 2001 und 2002, von Mai 2005 bis Juli 2006 und von November 2007 bis September 2009 versicherungspflichtig; ansonsten bezog er Sozialleistungen. Im Anschluss an einen Sozialleistungsbezug bis zuletzt Mai 2011 weist sein Versicherungskonto nur noch Zeiten des Rentenbezugs von Juni 2011 bis Oktober 2018 und danach keine weiteren Zeiten mehr aus.

 

Nachdem der Kläger aus einer Anfang 2011 auf Veranlassung des ihn behandelnden Facharztes für Nervenheilkunde Z. - psychosomatisch durchgeführten stationären Rehabilitationsbehandlung insbesondere wegen der funktionellen Auswirkungen einer schweren depressiven Episode (ohne psychotische Symptome) mit einem Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden arbeitstäglich entlassen worden war, gewährte ihm die Beklagte auf seinen Rentenantrag von November 2010 hin eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit von Juni 2011 bis April 2012. Auf der Basis von Befundberichten von Herrn Z. vom 30.01.2012 und 09.02.2015 verlängerte die Beklagte die Rentengewährung zunächst bis April 2015 und dann bis Oktober 2016. Nachdem sich der Kläger im Mai 2016 auf Eigeninitiative (notfallmäßig) wegen rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig schwerer Episode, in die stationäre Behandlung des U. Hospitals P. begeben hatte, aus der er mit der Empfehlung der Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie zur weiteren Stabilisierung entlassen wurde, verlängerte die Beklagte auf Basis des Entlassungsberichts des U. Hospitals P. vom 09.06.2016, eines weiteren Befundberichts von Herrn Z. vom 22.06.2016 und eines Befundberichts des Hausarztes Herrn C. (Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 06.09.2016 die Rentengewährung für die Zeit bis Oktober 2018.

 

Im Mai 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die erneute Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab November 2018 unter Vorlage medizinischer Berichte aus den Jahren 2016 bis 2018, u.a. eines Entlassungsberichts des N. Hospitals J. vom 22.11.2017 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der dortigen Kardiologie vom 20.11. bis 22.11.2017.

 

Die Beklagte holte einen Befundbericht von Herrn Z. vom 17.06.2018 und von Herrn C. vom 07.06.2018 sowie ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Allgemeinmedizin Herrn A. vom 14.09.2018 und des Arztes für Nervenheilkunde Dr. D. vom 12.12.2018 ein. Herr A. diagnostizierte bei dem Kläger aufgrund ambulanter Begutachtung im September 2018 eine rezidivierende depressive Episode, zuletzt 2016, einen Zustand nach Schrittmacherimplantation 2017 sowie ein Zervikalsyndrom und eine Zervikalbrachialgie; er gelangte zu dem Ergebnis, dass aus allgemeinmedizinisch-orthopädischer Sicht keine Anhaltspunkte für eine relevante Leistungseinschränkung vorlägen; der Kläger sei von nahezu athletischer Gesamterscheinung; bei der körperlichen Untersuchung hätten sich keinerlei Anzeichen für kardio-pulmonale Dekompensationserscheinungen gefunden; aktenkundig sei durch den Entlassungsbericht des N. Hospitals J. vom 22.11.2017 auch ein Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit mit unauffälliger Schrittmachersituation sowie guter linksventrikulärer Funktion; die Schilderung des Klägers im Rahmen der Anamneseerhebung, seit praktisch acht Jahren den Tag mit nichts anderem als im Wesentlichen aus dem Fenster schauen und Grübeln zu verbringen, sei nur schwerlich in Einklang zu bringen mit der Befundsituation, konkret der muskulären Befundsituation und der Beschwielungssituation der Hände; die psychiatrische Situation müsste daher reevaluiert werden; er hielt den Kläger, bezogen auf den allgemei­nen Arbeitsmarkt, für in der Lage, körperlich mittelschwere bis gelegentlich schwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Dr. D. diagnostizierte bei dem Kläger aufgrund ambulanter Begutachtung im Dezember 2018 eine Angst- und depressive Störung, gemischt, gegenwärtig eher leichtgradig ausgeprägt, eine primär ängstliche und vermeidende Persönlichkeit, somatoforme Störungen, ein degeneratives Wirbelsäulenleiden mit leichter bis mittelgradiger Funktionsstörung ohne neurologische Ausfallsymptome und ein leichtes Sulcusulnaris-Syndrom rechts; er führte aus, dass erhebliche Inkontinenzen bezüglich der Einnahme der aktuellen Medikation bestünden; die angegebene Medikation habe unterhalb der Nachweisgrenze gelegen; objektiv habe sich aktuell kein eindeutig schweres seelisches Leiden nachweisen lassen; der Kläger sei in der Lage, einer körperlich leichten Tätigkeit sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nachzugehen; die ambulanten therapeutischen Maßnahmen vor Ort seien zu ergänzen durch eine ambulante psychotherapeutische Behandlung, die berufsbegleitend möglich sei. Im Rahmen der Begutachtung nahm Dr. D. u.a. auch die Angabe des Klägers auf, dieser habe einen Führerschein und fahre auch selbst.

 

Mit Bescheid vom 22.01.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf erneute Rentengewährung ab; der Kläger erfülle die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht, § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI); die Einschränkungen, die sich aus den Erkrankungen des Klägers ergäben, würden nicht mehr zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung führen, weil der Kläger nach der medizinischen Beurteilung wieder mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des Allgemeinarbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

 

Am 25.01.2019 ließ sich der Kläger - erneut auf Eigeninitiative (notfallmäßig) -  in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des N.-Hospitals P. aufnehmen, in der er zuvor zuletzt 2016 stationär behandelt worden war; die Klinik diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome; am 14.02.2019 wurde der Kläger auf eigenen Wunsch in psychopathologisch gebessertem Zustand nach Hause entlassen.

 

Mit seinem Widerspruch vom 04.02.2019 gegen den Bescheid vom 22.01.2019 machte der Kläger geltend, das Ausmaß seiner psychischen Erkrankung sei nicht ausreichend erfasst worden. Er übersandte eine ärztliche Stellungnahme von Herrn Z. vom 29.01.2019, in der dieser im Wesentlichen ausführte, dass er den Kläger seit Jahren wegen einer schweren depressiven Episode behandele und dass der Kläger aufgrund der Schwere der psychischen Gesundheitsstörung keine gewinnbringende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt umsetzen könne; außerdem einen Bericht der Fachärztin für Neurochirurgie Dr. T. vom 03.12.2018, der HNO-Praxis M. vom 13.11.2018 und den Entlassungsbericht über die vom 25.01.bis 14.02.2019 erfolgte stationäre Behandlung im U. Hospital P..

 

Nach Auswertung dieser Behandlungsunterlagen durch ihre sozialmedizinische Abteilung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2019 zurück; nach der Auswertung der sozialmedizinischen Abteilung lasse sich aus den vorgelegten Unterlagen in Zusammenschau mit den Begutachtungsergebnissen ein Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden arbeitstäglich nicht belegen; aus der stationären Behandlung sei der Kläger in psychopathologisch gebessertem Zustand und auf eigenen Wunsch entlassen worden.

 

Am 30.05.2019 ließ sich der Kläger – erneut auf Eigeninitiative (notfallmäßig) - in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des N.-Hospitals P. aufnehmen; die Klinik diagnostizierte erneut eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome; am 24.06.2019 wurde der Kläger,- der schon bald angegeben hatte, wieder nach Hause zu wollen, auch weil er seine Katze vermisse und zu Hause weiter auf dem Hometrainer Fahrradfahren wolle,- auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen.

 

Mit der am 13.06.2019  erhobenen Klage hat der Klägerbevollmächtigte geltend gemacht, die zeitlich befristete Rente wegen Erwerbsminderung sei dem Kläger bereits viermal gewährt worden; bis dahin sei vom behandelnden Facharzt und der Einrichtung, in der der Kläger stationär behandelt worden sei, fortlaufend ein schweres psychisches Krankheitsbild – eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode - bestätigt worden; eine Besserung der Erkrankung und der Leistungsfähigkeit des Klägers lasse sich den Berichten des U.-Hospital P. aus 2019 nicht entnehmen. Er hat den Entlassungsbericht über die vom 30.05. bis 24.06.2019 erfolgte stationäre Behandlung des Klägers im U. Hospital P. und eine notarielle Urkunde vom 17.04.2014 übersandt; mit letzterer hat der Kläger seiner Tochter notariell eine Generalvollmacht und Vorsorgevollmacht erteilt; auf Blatt 1 der Urkunde ist aufgeführt, der Kläger sei ohne Zweifel geschäftsfähig.

 

Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten (Dr. Q., Herr Z. und Herr M.) eingeholt, jeweils auch mit der Fragestellung, ob der Kläger von Seiten des jeweiligen Fachgebietes noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dr. Q., Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, hat im Bericht vom 07.11.2019 mitgeteilt, er habe den Kläger von 2009 bis zuletzt August 2011 behandelt; seit 2012 seien lediglich Überweisungen zur Schrittmacherkontrolle ausgestellt und keine Untersuchungen durchgeführt worden; eine Leistungsbeurteilung hat Dr. Q. vor diesem Hintergrund nicht abgegeben. Herr Z. hat im Bericht vom 02.12.2019 ausgeführt, er behandele den Kläger seit 2010 regelmäßig, zuletzt habe er ihn im September 2019 behandelt; bei dem Kläger sei eine rezidivierende depressive Störung, im Wechsel zwischen einer mittel- bis schwergradigen depressiven Episode, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome - als Dauerzustand - zu diagnostizieren; im Rahmen der ambulanten nervenärztlichen Behandlung habe sich der Zustand des Klägers nicht wesentlich gebessert bzw. stabilisiert; es bestehe ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Herr M., Facharzt für HNO-Heilkunde, hat im Bericht vom 08.12.2019 mitgeteilt, er behandele den Kläger seit November 2018; die Frage, ob der Kläger von Seiten des HNO-Fachgebietes noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten, hat Herr M. bejaht.

 

Das SG hat von Amts wegen gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arzt für Nervenheilkunde; Chefarzt der Klinik für Psy­chiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des H. Klinikums L.) vom 07.05.2020 eingeholt. Im Rahmen der im April 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung durch Prof. Dr. K., die unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache erfolgt ist, hat der Kläger u.a. angegeben, dass er keine staatliche Unterstützung beziehe, weil er Vermögen habe, und dass ein Pkw auf seinen Namen zugelassen sei. Prof. Dr. K. ist für die zu beurteilende Zeit seit November 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger unter Berücksichtigung der funktionellen Auswirkungen der diagnostizierten Gesundheitsstörungen – Neurasthenie und ein vertebragenes Schmerzsyndrom - regelmäßig körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr arbeitstäglich unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten könne unter Berücksichtigung bestimmter qualitativer Einschränkungen, die Prof. Dr. K. im Einzelnen aufgeführt hat. Hinsichtlich geistiger Tätigkeiten sowie Ar­beiten mit Anforderungen an Konzentration, Reaktion, Übersicht und Aufmerksamkeit bestünden keine Einschränkungen; der Kläger sei bewusstseinsklar, allseits orientiert und habe keine Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen; er könne sich an Regeln und feste Abläufe anpassen, könne seine Arbeit strukturieren, sei ausreichend umstellungsfähig, ausreichend flexibel und könne Beurteilungen im Alltag vornehmen; er könne sich ferner selbst behaupten; der Kläger sei in der Lage, eine Tätigkeit wahrzunehmen, sich darauf zu kon­zentrieren und diese Konzentration für einen Arbeitstag hinweg aufrechtzuerhalten. Die volle Gebrauchsfähig­keit der Hände sei gegeben. Der Kläger könne viermal täglich Wegstrecken von jeweils mehr als 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zurücklegen, öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen und sei aus medizinischer Sicht bei der Kfz-Benutzung nicht eingeschränkt. Die Neurasthenie, welche bei dem Kläger durch Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit, muskuläre Schmerzen, Angespanntheit, Schwindel, Spannungskopfschmerzen, Niedergeschlagenheit und Angst in Erscheinung trete, sei unter Berücksichtigung des Querschnitts- und des Längsschnittbefund leicht ausgeprägt; weiter sei ein ausgeprägter theatralischer Verhaltensmodus zu regressiven Tendenzen zu erwähnen. Der Leistungsbeurteilung von Herrn Z., dass bei dem Kläger ein aufgehobenes Leistungsvermögen vorliege, könne er sich nicht anschließen; die Beurteilung von Herrn Z. werde weder durch eine differenzierte Beschwerdeanamnese noch durch einen differenzierten psychopathologischen Befund nachgewiesen; letzterer sei darüber hinaus widersprüchlich; so heiße es an einer Stelle bei Herrn Z., es lägen keine formalen Denkstörungen vor, an anderer Stelle werde eine Verlangsamung und Einengung des Denkens sowie ein Grübeln beschrieben; dokumentiert würden auch Gedächtnisstörungen und Konzentrationsstörungen; diese habe er als Sachverständiger bei seiner stundenlangen Begutachtung nicht ansatzweise erkennen können. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.

Das Sachverständigengutachten vom 07.05.2020 ist dem Klägerbevollmächtigten am 29.05.2020 mit der Anfrage, ob die Klage zurückgenommen werde, zugegangen.

 

Am 17.06.2020 hat sich der Kläger in der Notaufnahme des O. Krankenhauses J., Innere Medizin, aufnehmen lassen, nachdem es im Wartezimmer einer neurochirurgischen Praxis zu einer Hyperventilation unklarer Genese gekommen war. Am 08.07.2020 hat sich der Kläger zur elektiven stationären Behandlung in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des N.-Hospitals P. aufnehmen lassen; die Klinik diagnostizierte erneut eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome; am 13.07.2020 wurde der Kläger, nachdem er den dringenden Wunsch geäußert hatte, vorzeitig entlassen zu werden, gegen ärztlichen Rat nach Hause entlassen mit der Empfehlung der Weiterführung der aktuellen Medikation und der Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie.

 

Mit zwischenzeitlichem Schriftsatz vom 23.06.2020 hat der Klägerbevollmächtigte im Hinblick auf das Sachverständigengutachten vom 07.05.2020 eingewandt, bei dem Kläger sei in der Vergangenheit durchgehend eine depressive Störung mit unterschiedlicher Ausprägung angenommen worden; Prof. Dr. K. habe sich mit dem widersprüchlichen Vorgutachten von Dr. D. und den divergierenden Fremdbefunden nur unzureichend auseinandergesetzt; es werde daher angeregt, eine Oberbegutachtung unter Einbeziehung der medizinischen Fachbereiche Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie zu veranlassen. Er hat die Entlassungsberichte des O. Krankenhauses J., Innere Medizin, vom 17.06.2020 und des N.-Hospitals P. vom 13.07.2020 übersandt.

 

Das SG hat den Klägerbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass das SGG einen allgemeinen Anspruch auf ein sogenanntes „Obergutachten“ nicht vorsehe; die mit Schriftsatz vom 23.06.2020 wiedergegebene Behandlungshistorie sei dem Sachverständigen Prof. Dr. K., der den Kläger im April 2020 eingehend untersucht habe, bekannt gewesen; auf Seite 3 ff. des Gutachtens vom 07.05.2020 werde verwiesen.

 

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG ein Sachverständigengutachten von Dr. Y. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie) vom 12.10.2020 eingeholt. Dr. Y. hat im Rahmen der im Oktober 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung des Klägers an technischen Untersuchungsbefunden einen TSG-Test durchgeführt, bei dem es sich um einen Selbsteinschätzungstest handelt; der Kläger schätzte hierbei seine depressiven Symptome im Sinne einer schweren Depression ein. Dr. Y. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger unter Berücksichtigung der funktionellen Auswirkungen der diagnostizierten Gesundheitsstörungen – Angst und Depression gemischt, gegenwärtig mittelgradig ausgeprägt - regelmäßig körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten könne. Hinsichtlich Reaktion, Übersicht und Aufmerksamkeit könnten nur geringe Anforderungen gestellt werden. Aufgrund der Untersuchung und dem gewonnenen Eindruck sei davon auszugehen, dass die von Dr. D. gestellte Diagnose einer gemischten rezidivierenden Angst/depressiven Störung zutreffe, allerdings scheine es im Vergleich zu Dr. D. jetzt zu einer Verschlechterung gekommen zu sein, dabei sei von einer mittelschweren Störung auszugehen. Die Erkrankung sei rezidivierender Na­tur, d.h. die Stärke dieses Leidens sei erfahrungsgemäß Schwankungen unterworfen und würde auch von äußeren Ereignissen abhängen. Seiner Auffassung nach sei es jetzt zu einer Verschlechterung gekommen, sodass von einer mittelgradigen Störung auszugehen sei. Unter Beachtung dieser Verschlechterung halte er die Leistungsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden reduziert. Seiner Auffassung nach bestehe die Verschlechterung seit ca. einem Jahr. Die von Prof. Dr. K. erfolgte Diagnostik einer Neurasthenie stehe in Widerspruch zu den im Rahmen der stationären Aufenthalte des Klägers und der durch den behandelnden Nervenarzt erfolgten Diagnostik einer Depression; insofern könne er dem Gutachten von Prof. Dr. K. nicht zustimmen; da der behandelnde Nervenarzt den Kläger sicherlich genau kenne, sollte man dessen Diagnose einen gewissen Stellenwert zukommen lassen; ansonsten handele es sich bei dem Gutachten vom Prof. Dr. K. um ein Gutachten, das wissenschaftlichen Kriterien entspreche; er könne aber dessen Diagnose nicht nachvollziehen und stimme mit der Diagnose des Dr. D. überein.

 

Die Beklagte hat dem Sachverständigengutachten von Dr. Y. die sozialmedizinische Stellungnahme der beratenden Ärztin Dr. G. vom 03.11.2020 entgegengehalten, mit der diese vorgetragen hat, dass Dr. Y. die vom Kläger angegebene Medikation nicht durch eine Medikamentenspiegelbestimmung objektiviert habe, obwohl Prof. Dr. K. im April 2020 einen zu hohen Medikamentenspiegel für ein bestimmtes Medikament festgestellt habe und von Dr. D. ein Medikamentenspiegel unter der Nachweisgrenze festgestellt worden sei; auch habe Dr. Y. zur Beurteilung der Schwere der Depression lediglich einen reinen Selbstbeurteilungstest verwendet; testpsychologische Verfahren zur Beschwerdevalidierung habe er nicht angewandt; ferner sei die Auffassung von Dr. Y., dass es jetzt zu einer Verschlechterung gekommen sei, nicht hinreichend belegt.

 

Das SG hat von dem Sachverständigen Prof. Dr. K. eine ergänzende Stellungnahme vom 08.12.2000 eingeholt, in der dieser im Wesentlichen ausgeführt hat, dass die Anamneseerhebung von Dr. Y., insbesondere die Beschwerdeanamnese, sehr knapp ausfalle; die Beschwerdeanamnese sei jedoch der wichtigste Teil der gesamten Anamnese, um eine angemessene sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vornehmen zu können. Hinsichtlich der von Dr. Y. gestellten Diagnose sei kritisch anzumerken, dass die hier­für erforderlichen ICD-10 Kriterien nicht nachgewiesen oder begründet seien; er habe eine andere psychiatrische Diagnose gestellt und diese auch anhand der ICD-10 Kriterien begründet. Nicht nach­vollziehbar sei dann die Schlussfolgerung von Dr. Y. zum zeitlich eingeschränkten Leistungsvermö­gen. In der ICD-10 werde bezüglich Angst und depressiver Störung, gemischt, festgehalten, dass sich diese Diagnose lediglich durch milde Symptome auszeichne, häufig nur eine Primärversorgung stattfinde und noch viel häufiger sich in der Bevölkerung Patienten dieser Störung befänden, ohne je in medizinische oder psychiatrische Behandlung zu gelangen. Dies zeige schon an, dass die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung von Dr. Y. nicht nachvollziehbar sei. Auch könne dem psychischen Befund von Dr. Y. in wesentlichen Punkten nicht gefolgt werden. So sei in seinem Gutachten davon die Rede, dass Kurz- und Langzeitgedächtnis sowie Konzentrationsfähigkeit mäßig vermindert erschienen seien. Seine Aufzeichnungen über die stundenlangen Untersuchungen und insbesondere die anamnestischen Angaben des Klägers würden jedoch belegen, dass bei dem Kläger keine kognitiven Störungen feststellbar gewesen seien. Auch gehe Dr. Y. nicht darauf ein, dass er lediglich eine Angst und depressive Störung, gemischt, diagnostiziert habe im Sinne einer milden psychischen Störung, der Kläger aber im Selbsteinschätzungstest eine ganz andere Krankheitssymptomatik angegeben habe, und zwar eine depressive Erkrankung und dies auch noch schwerer Ausprägung. Aus seiner Sicht reflektiere dieser Selbsteinschätzungstest das, was er in seinem Gutachten als schwer theatralisch im psychischen Befund beschrieben habe. Aus alledem ergebe sich, dass er dem Gutachten von Dr. Y. nicht folgen könne und auch in zentralen Punkten widersprechen müsse; die von diesem behauptete quantitative Minderung des Leistungsvermögens habe dieser nicht begründet und habe auch keine Fakten vorgelegt, aus denen man eine solche Leistungseinschätzung ableiten könne.

 

Im Termin der mündlichen Verhandlung am 05.08.2021 ist der Kläger persönlich erschienen, hat auf den Einsatz des ebenfalls anwesenden Dolmetschers verzichtet und erklärt, er beziehe keine Leistung, sondern lebe zurzeit vom Erwerbseinkommen der Tochter; er sei auch nicht arbeitslos gemeldet.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2019 zu verurteilen, ihm über den 31.10.2018 hinaus Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften weiter zu gewähren.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Nach mündlicher Verhandlung hat das SG die Klage durch Urteil vom 05.08.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg … Die Voraussetzungen für die Wei­tergewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung liegen nicht mehr vor. Die Beklagte hat die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung zu Recht abgelehnt. Über den 31.10.2018 hinaus ist der Kläger weder teilweise noch voll erwerbsgemindert … Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Kläger zur Überzeugung des Gerichts in Ansehung seines Gesundheitszustandes sowie des hierdurch bedingten Leistungsvermögens weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne der vorgenannten Vorschriften. Dies folgt vor allem aus den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K.. Hingegen überzeugt insbesondere die Leistungsbeurteilung des Vertrauensarztes nicht … Im Vordergrund steht die Neurasthenie - d.h. ein chronisches Erschöpfungsleiden, welches durch von der Wirbelsäule ausgehende Schmerzen begleitet wird. Anders gewendet leidet der Kläger vor allem unter Ermüdbarkeit, Erschöpfbarkeit, muskulären Schmerzen, Schwindel, Spannungskopfschmerzen, Reizbarkeit, Freudlosigkeit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit und Angst. Allerdings ist ein Fall der Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 1 SGB VI nicht mehr gegeben. Denn der vom Sachverstän­digen festgestellte Gesundheitszustand erlaubt seit dem 31.10.2018 wieder die regelmä­ßige Ausübung von leichten Arbeiten im Sitzen oder mit der Möglichkeit des Wechsels zwi­schen Gehen, Stehen und Sitzen, sowie jedenfalls geistig einfache Arbeiten und Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die Konzentration, die Reaktion, die Übersicht und die Aufmerksamkeit arbeitstäglich für sechs Stunden und mehr … Diese Feststellungen zum Gesundheitszustand sowie des hieraus resultierenden Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben stützt das Gericht auf die ausführlichen und überzeugend begründeten Schlussfolgerungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. … Insbesondere mit Blick auf den psychopathologischen Befund sowie das Untersuchungsverhalten überzeugt die Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens ... Zwar mag sich bei dem Kläger ein sozialer Rückzug eingestellt haben, allerdings lassen die festgestellten Gesundheitsstörungen in der Gesamtschau durchaus leichte körperliche und geistige einfache Tätigkeiten oder Tätigkeiten mit geringen Anforderungen an die Konzentration, Aufmerksamkeit, Reaktion und Übersicht zumutbar erscheinen. Dies gilt selbst dann, wenn die Diagnosestellung des Vertrauensarztes zugrunde gelegt würde. Soweit der Prozessbevollmächtige der Diagnose des Sachverständigen entgegenhält, dass die Behandler in der Vergangenheit bei dem Kläger immer eine depressive Störung - unterschiedlicher Ausprägung - angenommen hätten, vermag dies die Beurteilung des Sachverständigen nicht zu entkräften. Denn zunächst ist es Aufgabe eines medizinischen Sach­verständigen die bisherigen Diagnosen nicht ungefragt zu übernehmen, sondern die vorlie­genden Befunde vor dem Hintergrund der persönlichen Untersuchung und Anamneseerhe­bung zu hinterfragen. Dies hat der Sachverständige - wie im Gutachten insbesondere auf Seite 40 ff. festgehalten - nachvollziehbar getan. Die Beschwerdeschilderung, das Unter­suchungsverhalten sowie insbesondere der psychopathologische Befund (siehe S. 41 des Gutachtens vom 07.05.2020) lassen die Diagnosestellung einer Neurasthenie durchaus plausibel erscheinen. Dagegen fehlt beispielsweise dem Befundbericht von Dr. Z. vom 02.12.2019 welcher eine rezidivierende depressive Störung als Dauerzustand ausweist- eine kritische Auseinandersetzung mit dem Längs- und Querschnittsbefund. Vielmehr wird eine „in der Vergangenheit“ diagnostizierte depressive Störung vorausgesetzt bzw. über­nommen … Dagegen vermag die Leistungsbeurteilung des Vertrauensarztes - selbst wenn man die Diagnose „Angst und Depression gemischt, ggw. mittelgradig ausgeprägt“ zugrunde legt - nicht zu überzeugen. Zum einen handelt es sich hierbei um eine psychiatrische Diagnose leichterer Natur, welche nach Meinung des Vertrauensarztes auch nur „mittelgradig“ ausge­prägt sei. Eine derartige Diagnose, welche sich in der Regel durch eher milde Symptome auszeichnet und die in der Regel lediglich im Wege der - hausärztlichen - Primärversorgung behandelt wird und wegen der noch häufiger sogar keine medizinische oder psychiatrische Behandlung in Anspruch genommen wird (siehe ergänzende Stellungnahme des Sachver­ständigen vom 08.12.2020) erscheint jedoch nicht geeignet, eine relevante Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens zu rechtfertigen. Dessen ungeachtet weist das Gutachten des Vertrauensarztes vom 12.10.2020 auch nicht unerhebliche Mängel auf, die an der Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden täglich Zweifel aufkommen lassen … Zu Lasten der Überzeugungskraft des vertrauensärztlichen Gutachtens geht zunächst der Umstand, dass der psychiatrische Befund - siehe S. 10 des Gutachtens vom 12.10.2020 - äußerst kurz bzw. eher stichwortartig ausfällt. Dagegen erstreckt sich im Gutachten des Sachverständigen der psychische Befund auf fünf Seiten (S. 27 bis 32 des Gutachtens vom 07.05.2020). Weiter verwendet der Vertrauensarzt zur Testung der Schwere der Depression lediglich einen Selbsteinschätzungstest. Hierbei mag es sich zwar auch um einen klinischen Test handeln, allerdings gründet dieser auf den subjektiven Angaben des Betroffenen. Wei­tere Verfahren zur Beschwerdevalidierung oder Zusatzuntersuchungen wurden hingegen nicht durchgeführt“.

 

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 02.09.2021 zugestellte Urteil hat dieser am 30.09.2021 Berufung eingelegt und (mit Schriftsatz vom 09.11.2021) im Wesentlichen vorgetragen, dass erstens bei dem Kläger seit 2011 ein schweres psychisches Krankheitsbild durch den behandelnden Facharzt (Herrn Z.) und die Fachklinik (U. Hospital P.) diagnostiziert worden sei, was in Widerspruch zu der gutachterlichen Diagnostik aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren durch die Dres. A., D. und K. stehe; dass zweitens deren gutachterliche Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens im Erwerbs-leben in Widerspruch zu der durch den behandelnden Facharzt für Nervenheilkunde Herrn Z. vorgenommenen Beurteilung stehe; dass drittens die widersprüchlichen Feststellungen zum Krankheitsbild des Klägers i.V.m. den sich daraus ergebenden Leistungseinschränkungen nicht zweifelsfrei geklärt seien und sich eine weitere medizinische Sachermittlung aufdränge, zu der sich bereits das erstinstanzliche Gericht habe gedrängt fühlen müssen.

 

Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte einen Versicherungsverlauf vom 18.01.2022 übersandt und mit Schriftsätzen vom 24.01.2022 und 18.02.2022 mitgeteilt, die besonderen versicherungs-rechtlichen Voraussetzungen seien zuletzt nur noch bis zum 31.05.2020 erfüllt.

 

Mit Schreiben vom 25.03.2022, das dem Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 31.03.2022 zugegangen ist, hat die Berichterstatterin diesem mitgeteilt, dass das Gericht die Akten eingehend gesichtet habe und – auch unter Berücksichtigung des Berufungsschriftsatzes vom 09.11.2021 - keine Erfolgsaussicht für die Berufung des Klägers und keinen Ansatz zur Beanstandung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.08.2021 sehe. Hierzu hat die Berichterstatterin weiter ausgeführt:

„Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet bei dem 1970 geborenen Kläger schon wegen der Stichtagsregelung des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aus; auf die Frage, ob der Kläger die berufliche Qualifikation für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit erfüllt, kommt es insofern nicht an.

Der Kläger hat auch das erneute Vorliegen einer vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI für die Zeit ab November 2018 nicht nachweisen können.

Dabei ist hier allein zu klären, ob bei dem Kläger, der bis Oktober 2018 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen hat, in dem Zeitfenster von November 2018 bis Mai 2020 (erneut) ein Leistungsfall einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung eingetreten ist. Die Prüfung ist auf die Zeit bis Mai 2020 beschränkt, weil der Kläger nur noch bis dahin die sog. versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente erfüllt, wie die durch das Gericht erfolgte Befragung der Beklagten ergeben hat (Schriftsätze der Beklagten vom 24.01.2022 und 18.02.2022; siehe auch Versicherungsverlauf vom 18.01.2022). Das Gericht hat die Auskunft der Beklagten anhand des vorliegenden Versicherungsverlaufs überprüft (siehe auch Schreiben des Gerichts vom 04.02.2022); die Auskunft der Beklagten zum letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bis einschließlich Mai 2020 ist (insbesondere unter Berücksichtigung des nicht belegten Zeitraums vom 07.05.2008 bis zum 02.11.2008) zutreffend. Insofern darf hier ausschließlich das bis Mai 2020 vorliegende Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben aufgrund etwaiger funktioneller Einschränkungen des Klägers, wie sie sich zwischen November 2018 und Mai 2020 dargestellt haben, beurteilt werden; Ermittlungen zu dem nach Mai 2020 vorliegenden Leistungsvermögen des Klägers sind daher nicht vorzunehmen und etwaige Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers seit Mai 2020 dürfen nicht (mehr) berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass der Kläger im ermittlungsrelevanten Zeitraum im Verwaltungsverfahren von Dr. A. (allgemeinmedizinisch und chirurgisch) und von Dr. D. (nervenärztlich) sowie im erstinstanzlichen Verfahren im April 2020 nach § 106 SGG von Prof. Dr. K. (unter Hinzuziehung eines Dolmetschers) ambulant begutachtet worden ist. Alle drei Gutachter sind für die Zeit ab Auslaufen der Rentengewährung zu einem Leistungsvermögen des Klägers von 6 Stunden und mehr arbeitstäglich gelangt. Die drei Gutachter haben i.ü. alle Aktenunterlagen berücksichtigt und gewürdigt. Dr. K. hat insbesondere auch die Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere auch von Dr. Z., als auch die Berichte über die im ermittlungsrelevanten Zeitraum erfolgten zwei stationären psychiatrischen Behandlungen des Klägers (ab dem 25.01.2019 bzw. ab dem 30.05.2019) mit gewürdigt. Die Berichte über die zunächst am 17.06.2020 erfolgte internistische und dann am 08.07.2020 erfolgte erneute psychiatrische stationäre Aufnahme liegen hingegen außerhalb des hier rechtlich allein relevanten Zeitraums und sind daher nicht zu berücksichtigten. Ihre zum Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. gemachten Ausführungen hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil bereits umfassend und zutreffend gewürdigt.

Das nach § 109 SGG erstellte Gutachten von Dr. Y. hingegen ist auf der Grundlage einer erst im Oktober 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung des Klägers ergangen (dem Gutachten lässt sich ein Hinweis auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht entnehmen) und damit zu einem außerhalb des hier rechtlich allein relevanten Zeitraums liegenden Zeitpunkt. Zudem führt Dr. Y. in seinem Gutachten im Rahmen der Beweisfrage 3 aus, dass es „jetzt zu einer Verschlechterung gekommen“ sei (Seiten 14 und 15 oben) und dass „unter Beachtung dieser Verschlechterung“ … „die Leistungsfähigkeit auf 3 bis unter 6 Stunden reduziert“ sei (Seite 14 oben). Bezogen auf den Zeitpunkt seiner Begutachtung im Oktober 2020 wäre daher ein 3 bis unter 6-stündiges Leistungsvermögen des Klägers erst seit einem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen; selbst unter hypothetischer Zugrundelegung der Ausführungen von Dr. Y. unter Beweisfrage 3 könnte es insofern nicht zu einem Rentenanspruch des Klägers kommen. Die schließlich von den Ausführungen in Beweisfrage 3 abweichende Annahme von Dr. Y. unter der späteren Beweisfrage 6, die Verschlechterung bestehe seit ca. 1 Jahr, hat er weder begründet noch lässt sich dies anhand der Aktenunterlagen nachvollziehen; insbesondere steht einer solchen Annahme das Ergebnis der noch im April 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung durch Prof. Dr. K. entgegen. Dr. Y. hat auch keine Auswertung im Hinblick auf etwaige funktionelle Einschränkungen vorgenommen, vielmehr Diagnosen festgestellt und deren Überreinstimmung/Abweichung zu Vordiagnosen gewürdigt (Seiten 10 f. und 13 ff. des Gutachtens von Dr. Y.); im Erwerbsminderungsrecht kommt es aber nicht auf Diagnosen, sondern allein auf die damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen an. Anders hat jedoch Prof. Dr. K. eine ausführliche Auswertung im Hinblick auf etwaige funktionelle Einschränkungen vorgenommen (siehe etwa Seiten 41 und 42 des Gutachtens von Prof. Dr. K.). Im Übrigen wird auf die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. G. vom 03.11.2020 sowie auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 08.12.2020 verwiesen, in denen sich diese mit dem Gutachten von Dr. Y. auseinandersetzen; die dortigen Ausführungen werden für zutreffend erachtet.

Im Ergebnis liegt hier auch weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die trotz eines arbeitstäglich mehr als sechsstündigen Leistungsvermögens für zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu einer Benennungspflicht zumindest einer geeigneten Tätigkeiten führen kann, liegt hier nicht vor. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Eine solche erhebliche einzelne schwere spezifische Behinderung hat der Kläger nicht. Auch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit eines Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern, liegt hier nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die Summierung - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht. Das Vorliegen einer ungewöhnlichen Leistungseinschränkung ist beim Kläger aber nicht ersichtlich. Insofern fehlt es vorliegend erst recht an einer Summierung mindestens zweier ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen durch den Senat im Rahmen des anhängig gemachten Berufungsverfahrens sind nicht erforderlich; der Sachverhalt ist ausermittelt. Von seinem Antragsrecht nach § 109 SGG hat der Kläger bereits Gebrauch gemacht. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Der Kläger konnte den Nachweis des Eintritts einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung in dem hier für die Beurteilung seines Leistungsvermögens im Erwerbsleben streitrelevanten Zeitraum November 2018 bis Mai 2020 nicht erbringen“.

Diese Ausführungen hat die Berichterstatterin mit der Bitte um Besprechung mit dem Kläger und um Mittteilung (bis zum 29.04.2022) verbunden, ob das Verfahren aufgrund der obigen richter-lichen Hinweise für beendet erklärt werde; alternativ, ob Einverständnis bestehe, ihr als konsen-tierter Einzelrichterin die Entscheidung der Hauptsache (durch Urteil, ggs. ohne mündliche Verhandlung) zu übertragen; §§ 155 Absätze 3 und 4 SGG; alternativ sei eine Entscheidung des Senats über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter nach § 153 Absatz 4 SGG beabsichtigt; danach habe der Senat die Möglichkeit, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zurückzuweisen, wenn der Senat die Berufung einstimmig nicht für begründet halte; es sei vorliegend beabsichtigt, davon nach Fristablauf Gebrauch zu machen, sofern die Berufung nicht für erledigt erklärt werden und kein Einverständnis mit der Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin durch Urteil ohne mündliche Verhandlung bestehen sollte; gemäß § 153 Absatz 4 Satz 2 SGG bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme (bis zum 29.04.2022).

 

Das Schreiben vom 25.03.2022 ist der Beklagten in Durchschrift übersandt worden, verbunden mit der Mitteilung, dass für den Fall, dass der Kläger keine Beendigungserklärung abgebe bzw. kein Einverständnis mit einer Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin durch Urteil ohne mündliche Verhandlung bestehe, Gelegenheit zur Stellungnahme zur dann beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter nach § 153 Absatz 4 SGG (ebenfalls bis zum 29.04.2022) gegeben werde.

 

Die Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, dass sowohl mit einer Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin durch Urteil ohne mündliche Verhandlung als auch mit einer Entscheidung des Senats durch Beschluss nach
§ 153 Abs. 4 SGG Einverständnis bestehe.

 

Der Klägerbevollmächtigte hat (mit Schriftsatz vom 28.04.2022) mitgeteilt, die Ausführungen im richterlichen Hinweis vom 25.03.2022 zu den relevanten Zeiträumen dürften grundsätzlich zutreffend sein; allerdings werde die Ansicht, dass nach Mai 2022 erhobene Befunde irrelevant seien, nicht geteilt; sie könnten vielmehr auch einen starken Indizcharakter für den Zeitraum November 2018 bis Mai 2020 haben; insbesondere dann, wenn sie Feststellungen und Diagnosen enthalten würden, die für die bisherige Rentenbewilligung ausschlaggebend gewesen seien; es stelle sich dann nämlich die Frage, ob es plausibel sei, dass ein Krankheitsbild, das für die Rentengewährung bis Oktober 2018 ausschlaggebend gewesen sei, ab November 2018 verschwunden sei, um dann etwa ab Juni 2020 unverändert wieder aufzutauchen; man halte den medizinischen Sachverhalt noch nicht für ausermittelt; es werde beantragt, von Amts wegen ein Gutachten des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes zu den Fragen einzuholen, ob der Kläger im Sinne einer chronifizierten Krankheitsentwicklung an einer rezidivierenden depressiven Störung mit schwergradigen Episoden leide, seit wann das der Fall sei und ob dieser gesundheitliche Zustand im Zeitraum von November 2018 bis aktuell bestehe, und - bei Bejahung der Diagnose - welche körperlichen Arbeiten der Kläger noch leisten könne und in welchem zeitlichen Ausmaß und mit welchen sonstigen Einschränkungen er noch tätig sein könne; eine Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin durch Urteil ohne mündliche Verhandlung werde gegenwärtig nicht für sachdienlich gehalten.

 

Mit Schreiben vom 29.04.2022, das dem Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 06.05.2022 zugegangen ist, hat die Berichterstatterin diesem mitgeteilt:

Unter Bezugnahme auf Ihren Schriftsatz vom 28.04.2022, in dem Sie die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen wegen einer rezidivierenden depressiven Störung des Klägers im Sinne einer chronifizierten Krankheitsentwicklung anregen, wird auf das richterliche Schreiben vom 25.03.2022 verwiesen. Darin hatte der Senat u.A. auch darauf hingewiesen: „Weitere Ermittlungen von Amts wegen durch den Senat im Rahmen des anhängig gemachten Berufungsverfahrens sind nicht erforderlich; der Sachverhalt ist ausermittelt. Von seinem Antragsrecht nach § 109 SGG hat der Kläger bereits Gebrauch gemacht“. Letzteres ist im Wege der Einholung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. Y. erfolgt. Da Sie mit Schriftsatz vom 28.04.2022 vorgetragen haben, die Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin (ggs. ohne mündliche Verhandlung) -  wie es vom Gericht im Schreiben vom 25.03.2022 für den Fall mangelnder Bereitschaft zur Rücknahme abgefragt worden war - gegenwärtig nicht für sachdienlich zu halten, wird der Senat nunmehr – wie bereits im Schreiben vom 25.03.2022 für den Fall  mangelnder Bereitschaft zur Rücknahme der Berufung und mangelndem Einverständnis mit einer Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin (ggs. ohne mündliche Verhandlung) angekündigt – über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Fall ist von normaler Verfahrensdauer und ist weder rechtlich noch tatsächlich schwierig. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt worden. Zudem hat der Senat mit Schreiben vom 25.03.2022 seine Einschätzung der Rechtslage umfassend dargelegt. Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beschlussfassung nach § 153 Abs. 4 SGG ist Ihnen bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 25.03.2022 eingeräumt worden“.

 

Das Schreiben vom 29.04.2022 ist der Beklagten in Durchschrift übersandt worden; es ist ihr gegen Empfangsbekenntnis am 09.05.2022 zugegangen und war mit der Mitteilung der Berichterstatterin verbunden, dass der Senat nunmehr – wie bereits im Schreiben vom 25.03.2022 für den Fall mangelnder Bereitschaft des Klägers zur Rücknahme der Berufung und mangelndem Einverständnis mit einer Übertragung der Entscheidung der Hauptsache auf die Berichterstatterin angekündigt – über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter entscheiden werde, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Der Fall sei von normaler Verfahrensdauer und weder rechtlich noch tatsächlich schwierig. Der Sachverhalt sei umfassend ermittelt worden. Zudem habe der Senat mit Schreiben vom 25.03.2022 seine Einschätzung der Rechtslage umfassend dargelegt. Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beschlussfassung nach § 153 Abs. 4 SGG sei auch der Beklagten bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 25.03.2022 eingeräumt worden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Betei­ligten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genom­men, der Gegenstand von Beratung und Ent­schei­dung gewesen ist.

 

II.

 

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen.

 

Gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

 

Das SG hat nicht durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG, sondern durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden; der Kläger ist im Verhandlungstermin des Sozialgerichts auch persönlich anwesend gewesen.

 

Die Beteiligten sind durch gerichtliche Schreiben vom 25.03.2022 – mit der Ge­legenheit zur Stellungnahme zu einer Entscheidung durch Be­schluss – sowie vom 29.04.2022 zu einer Entscheidung durch Be­schluss angehört worden (§ 153 Abs. 4 S. 2 SGG). Im Anschluss an die letzte Anhörung vom 29.04.2022, die dem Klägerbe­vollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 06.05.2022 und der Beklagten gegen Empfangsbe­kenntnis am 09.05.2022 zugegangen ist, ist keine weitere Einlassung der Beteiligten erfolgt.

 

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hält der Senat nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht für erforderlich. Der Fall ist von normaler Verfahrensdauer und weder rechtlich noch tatsächlich schwierig. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt worden. Zudem ist den Beteiligten durch das gerichtliche Schreiben vom 25.03.2022, mit dem auch eine Würdigung der Einlassungen der Beteiligten erfolgt ist, eine Einschätzung des Senats zur Erfolglosigkeit der Berufung mit umfassender Begründung dargelegt worden, auf die im weiteren Schreiben vom 29.04.2022 hingewiesen worden ist. Angesichts des bereits erfolgten umfangreichen Vortrags der Beteiligten lässt eine mündliche Verhandlung das erstmalige Vorbringen noch nicht vorgetragener Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte nicht erwarten. Andere Aspekte, die nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheinen lassen, sind ebenfalls nicht erkennbar.

 

Der Senat hält die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.08.2021 ist nicht zu beanstanden, weil das Sozialgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen hat. Der Bescheid der Beklagten vom 22.01.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2019 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten, weil die Beklagte zutreffend ent­schieden hat, dass der Klä­ger für die hier streitige Zeit ab November 2018 keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI (dazu 1.) bzw. nach § 240 SGB VI (dazu 2.) hat.

 

1.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI.

Nach § 43 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB VI), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI; sog. 3/5-Belegung) und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI).

 

Der Kläger erfüllt unter Berücksichtigung der in seinem Versicherungskonto enthaltenen Beitragszeiten die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB VI) für den Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

 

Für die hier streitige Zeit ab November 2018 - dann allerdings zuletzt nur noch bis einschließlich Mai 2020 - sind zudem ausweislich des vorliegenden Versicherungsverlaufs vom 18.01.2022 und der Auskunft der Beklagten in den Schriftsätzen vom 24.01.2022 und 18.02.2022 auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der sog. 3/5-Belegung erfüllt. Der Kläger weist die erforderlichen drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt bis Mai 2020 auf. Dieser Zeitpunkt ergibt sich unter – den eigentlichen Fünf-Jahres-Zeitraum verlängernder - Berücksichtigung der im Versicherungsverlauf vom 18.01.2022 ausgewiesenen Anrechnungszeiten nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, und die den einschlägigen Zeitraum so weit in die Vergangenheit verlängern, dass die zuletzt im Zeitraum von Dezember 2006 bis Dezember 2010 vorliegenden 36 Monate mit Pflichtbeiträgen zum Tragen kommen. Eine Verlängerung des einschlägigen Zeitraums über Mai 2020 hinaus kommt infolge des im Versicherungsverlauf nicht belegten Zeitraums vom 07.05.2008 bis zum 02.11.2008 nicht in Frage, wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.02.2022 zutreffend dargelegt hat.

Auf das Vorliegen der sog. 3/5-Belegung kann hier nicht verzichtet werden.

Eine Verzichtbarkeit nach § 241 Abs. 2 SGB VI, nach dem Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung unter den dort genannten Voraussetzungen nicht erforderlich sind, scheidet aus, weil der Kläger nicht vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hat; sein Versicherungsverlauf weist vielmehr erstmals für die Zeit ab September 1986 Beitragszeiten aus. Auch eine Verzichtbarkeit nach §§ 43 Abs. 5 i.V.m. 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI scheidet aus, da hier keiner der in den Absätzen 1 bzw. 2 des § 53 SGB VI genannten Tatbestände vorliegt.

 

Der Bewilligung der vom Kläger begehrten Rente steht entgegen, dass der Kläger den Eintritt eines Leistungsfall einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB VI in dem hier für die Beur­teilung seines Leistungsvermögens im Erwerbsleben streitrelevanten Zeitraum zwischen November 2018 und Mai 2020 nicht nachweisen konnte.

 

Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsge­mindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üb­lichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist demgegenüber gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann; bei diesem Personenkreis ist die jeweilige Arbeitsmarktlage für den Rentenanspruch ohne Bedeutung.

 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger weder teilweise noch voll erwerbsgemin­dert, weil er bezogen auf die streitrelevante Zeit zwischen November 2018 und Mai 2020 nicht nachweisen konnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmark­tes nur noch weniger als sechs Stun­den arbeitstäglich erwerbstätig sein zu können.

 

Der Senat verweist hierzu zunächst auf die ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des SG Gelsenkirchen vom 05.08.2021, denen er sich - zur Vermeidung von Wiederholungen – vollumfänglich anschließt, § 153 Abs. 2 i.V.m. § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.

 

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Würdigung des wesentlichen Berufungsvortrags des Klägerbevollmächtigten, dass erstens bei dem Kläger seit 2011 ein schweres psychisches Krankheitsbild durch den behandelnden Facharzt (Herrn Z.) und die Fachklinik (U. Hospital P.) diagnostiziert worden sei, was in Widerspruch zu der gutachterlichen Diagnostik aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren durch Dres. A., D. und K. stehe; dass zweitens deren gutachterliche Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens im Erwerbsleben in Widerspruch zu der durch den behandelnden Facharzt für Nervenheilkunde Herrn Z. vorgenommenen Beurteilung stehe; dass drittens die widersprüchlichen Feststellungen zum Krankheitsbild des Klägers i.V.m. den sich daraus ergebenden Leistungseinschränkungen nicht zweifelsfrei geklärt seien und sich eine weitere medizinische Sachermittlung aufdränge, zu der sich bereits das erstinstanzliche Gericht habe gedrängt fühlen müssen.

 

Die im Anschluss an die 2011 auf Basis des damaligen Rehabilitationsberichts erfolgte - zeitlich befristete - Berentung des Klägers erfolgten erneuten zeitlich befristeten Berentungen sind – betreffend die Zeit bis Oktober 2016 - jeweils allein auf der Basis von Befundberichten des den Kläger behandelnden Facharztes für Nervenheilkunde Herrn Z. vorgenommen worden; die zuletzt erfolgte erneute Berentung bis Oktober 2018 fußte neben Befundberichten von Herrn Z. und von Herrn C. auf einer Vorlage des Entlassungsberichts des U. Hospitals P. vom 09.06.2016, nachdem sich der Kläger im Mai 2016 und damit kurz vor Ablauf des Befristungszeitraums auf Eigeninitiative (notfallmäßig) selbst in die stationäre Behandlung des U. Hospitals P. begeben hatte. Eine Begutachtung des Klägers ist mithin für die gesamte Zeit der Rentengewährung von Juni 2011 bis Oktober 2018 nicht erfolgt. Erstmals ist eine Begutachtung des Klägers vielmehr im hiesigen Verwaltungsverfahren durch die Dres. A. und D. im September bzw. Dezember 2018 erfolgt; anschließende Begutachtungen sind im hiesigen Klageverfahren durch Dres. K. und Y. im April 2020 bzw. Oktober 2020 erfolgt. Da hier ausschließlich das bis Mai 2020 vorliegende Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben aufgrund etwaiger funktioneller Einschränkungen des Klägers, wie sie sich zwischen November 2018 und Mai 2020 dargestellt haben, beurteilt werden darf,- denn nur bis Mai 2020 erfüllt der Kläger noch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen,- dürfen etwaige Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers seit Juni 2020 nicht (mehr) berücksichtigt werden. Im ermittlungsrelevanten Zeitraum ist der Kläger somit von Dr. A. (allgemeinmedizinisch und chirurgisch) und Dr. D. (nervenärztlich) sowie Prof. Dr. K. (unter Hinzuziehung eines Dolmetschers) ambulant begutachtet worden. Alle drei Gutachter sind für die Zeit ab Auslaufen der Rentengewährung jedoch zu einem Leistungsvermögen des Klägers von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich gelangt.

 

Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass diese drei Gutachter bei dem Kläger zu einer anderen Diagnostik gelangt sind als der den Kläger behandelnde Facharzt Herr Z. und als das U. Hospital P., ist schon deshalb nicht weiterführend, weil es im Erwerbsminderungsrecht nicht (allein) auf Diagnosen, sondern auf die damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen ankommt. Eben diese haben die Dres. A., D. und K. jedoch in ihren Gutachten für den Senat nachvollziehbar dargestellt und zur Grundlage ihrer für den Senat nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung gemacht. Insbesondere Prof. Dr. K. hat eine ausführliche Auswertung im Hinblick auf etwaige funktionelle Einschränkungen vorgenommen (siehe etwa Seiten 41 und 42 des Gutachtens von Prof. Dr. K.).

 

Auch der weitere Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass die gutachterliche Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens im Erwerbsleben durch die Dres. A., D. und K. in Widerspruch zu der durch Herrn Z. vorgenommenen Beurteilung stehe, führt nicht weiter. Denn Prof. Dr. K. hat insbesondere auch die Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere auch von Herrn Z., mit gewürdigt. Dabei hat er für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Beurteilung von Herrn Z. weder durch eine differenzierte Beschwerdeanamnese noch durch einen differenzierten psychopathologischen Befund nachgewiesen werde; letzterer sei darüber hinaus widersprüchlich; so heiße es an einer Stelle, es lägen keine formalen Denkstörungen vor, an anderer Stelle werde eine Verlangsamung und Einengung des Denkens sowie ein Grübeln beschrieben; dokumentiert würden auch Gedächtnisstörungen und Konzentrationsstörungen; diese habe er, Dr. K., bei seiner stundenlangen Begutachtung aber nicht ansatzweise erkennen können.

 

Auch hat Prof. Dr. K. die Berichte über die im ermittlungsrelevanten Zeitraum erfolgten zwei stationären psychiatrischen Behandlungen des Klägers (ab dem 25.01.2019 bzw. ab dem 30.05.2019) mit berücksichtigt (siehe Seite 8 f. seines Gutachtens). Diese beiden stationären Behandlungen sind dabei – wie auch schon die 2016 erfolgte stationäre Behandlung im U. Hospital P. - jeweils auf Eigeninitiative des Klägers (notfallmäßig) erfolgt; nachdem die Beklagte dem Kläger den Ablehnungsbescheid vom 22.01.2019 erteilt hatte, hat sich der Kläger auf seine Initiative hin am 25.01.2019 (notfallmäßig) in die stationäre Behandlung im U. Hospital P. begeben, aus der er sich auf eigenen Wunsch hin bereits am 14.02.2019 in psychopathologisch gebessertem Zustand nach Hause entlassen ließ; nachdem die Beklagte dem Kläger den Widerspruchsbescheid vom 24.05.2019 erteilt hatte, hat sich der Kläger erneut auf Eigeninitiative (notfallmäßig) am 30.05.2019 in die stationäre Behandlung im U. Hospital P. begeben, aus der er sich ebenfalls auf eigenen Wunsch hin am 24.06.2019 nach Hause entlassen ließ. Die Berichte über die zunächst am 17.06.2020 erfolgte internistische und dann am 08.07.2020 erfolgte erneute psychiatrische stationäre Aufnahme – in diese beiden stationären Aufnahmen hatte sich der Kläger begeben, nachdem das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. vom 07.05.2020 dem Klägerbevollmächtigten Ende Mai 2020 mit der Anfrage, ob die Klage zurückgenommen werde, zugegangen war - liegen hingegen außerhalb des hier rechtlich allein relevanten Zeitraums und sind daher nicht zu berücksichtigten.

 

Das nach § 109 SGG erstellte Gutachten von Dr. Y. ist auf der Grundlage einer im Oktober 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung des Klägers ergangen und damit zu einem außerhalb des hier rechtlich allein relevanten Zeitraums liegenden Zeitpunkt. Zudem führt Dr. Y. in seinem Gutachten im Rahmen der Beweisfrage 3 aus, dass es „jetzt zu einer Verschlechterung gekommen“ sei und dass „unter Beachtung dieser Verschlechterung“ … „die Leistungsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden reduziert“ sei. Bezogen auf den Zeitpunkt seiner Begutachtung im Oktober 2020 wäre daher ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers erst seit einem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen; selbst unter hypothetischer Zugrundelegung der Ausführungen von Dr. Y. unter Beweisfrage 3 könnte es insofern nicht zu einem Rentenanspruch des Klägers kommen. Die schließlich von den Ausführungen in Beweisfrage 3 abweichende Annahme von Dr. Y. unter der späteren Beweisfrage 6, die Verschlechterung bestehe seit ca. 1 Jahr, hat Dr. Y. weder begründet noch lässt sich dies anhand der Aktenunterlagen nachvollziehen; insbesondere steht einer solchen Annahme das Ergebnis der zuvor noch im April 2020 erfolgten ambulanten Begutachtung durch Prof. Dr. K. entgegen.

 

Vor dem geschilderten Hintergrund verfängt daher auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten nicht, dass die widersprüchlichen Feststellungen zum Krankheitsbild des Klägers i.V.m. den sich daraus ergebenden Leistungseinschränkungen nicht zweifelsfrei geklärt seien und sich eine weitere medizinische Sachermittlung aufdränge, zu der sich bereits das erstinstanzliche Gericht habe gedrängt fühlen müssen.

 

2.

 

Dem Kläger steht für die Zeit ab November 2018 auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI zu. Der 1970 geborene Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 240 SGB VI schon dadurch nicht, dass er nach dem maßgeblichen Stichtag des 02.01.1961 geboren ist. Auf eine Einordnung der beruflichen Qualifikation des Klägers kommt es insofern nicht an.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Revision ist nicht nach §§ 153 Abs. 4 S. 3, 158 S. 3, 160 Abs. 1 SGG zuzulassen, da die Voraussetzun­gen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

Rechtskraft
Aus
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