1. Es liegt kein Impfschaden (hier: Morbus Still im Erwachsenenalter - AOSD) vor, wenn eine Erkrankung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung auftritt, vergleichbare Fälle davor und danach national oder international nicht aufgetreten sind und dem Impfstoff (hier: IPV Mérieux) keine entsprechenden potentiell schädigenden Eigenschaften nachgewiesen sind.
2. Zur Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten sind Ansprüche aus einem geltend gemachten Impfschaden.
Die am ... 1972 geborene Klägerin stellte am 14. August 2008 einen Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Sie gab an, am 14. Dezember 2007 gegen 15:00 Uhr von einem Amtsarzt zur Durchführung einer Polio-Impfung mit dem Impfstoff IPV Mérieux geimpft worden zu sein. Seitdem leide sie an Morbus Still und sei seit Anfang Januar 2008 in ärztlicher Behandlung. Vom 22. Februar bis zum 1. März 2008 habe sie sich in der Klinik für Rheumatheologie V., zur stationären Behandlung befunden.
Der Beklagte zog im Zuge medizinischer Ermittlungen zunächst die Epikrise der Fachklinik V. mbH vom 24. März 2008 über die vom 20. Februar bis zum 1. März 2008 durchgeführte stationäre Behandlung der Klägerin bei. Es sei die Diagnose eines Adulten Morbus Still (AOSD) gestellt worden. Die rheumatologisch-pathologischen Befunde seien gewesen: Makulär papulöser (knotig-fleckig) Hautausschlag fast am ganzen Körper, druckschmerzlos und juckend, Druckschmerzen an den Oberarmen und Schultern beidseits, am Rücken im Bereich der Brustwirbelsäule, an den Hüftgelenken und Oberschenkeln beidseits, keine Gelenkschwellungen, Bewegungsschmerzen in den Schultergelenken beidseits, Wirbelsäule frei beweglich, Temperatur zum Zeitpunkt der Aufnahme 37°. Am Tag nach der stationären Aufnahme habe sich bei der Klägerin ein Fieberschub bis 40° entwickelt. Unter der folgenden Prednisolontherapie sei die Klägerin fieberfrei geblieben. Es sei eine Basistherapieeinstellung auf MTX 25 mg s.c. wöchentlich unter Folsanschutz erfolgt. Im Laufe der stationären Behandlung habe die Klägerin ergo- und physiotherapeutische Anwendungen absolviert und die Therapie insgesamt gut vertragen. Sie sei in deutlich gebessertem Zustand in die hausärztliche Betreuung entlassen worden.
Im Befundbericht der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie M. vom 2. Januar 2009 an die Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten R. wurden zu der ambulanten Behandlung der Klägerin am 22. Januar 2008 die Diagnosen einer chronischen Urtikaria (Nesselsucht), am ehesten infektassoziiert, Erstmanifestation im zeitlichen Zusammenhang mit einer Polio-Impfung am 14. Dezember 2007, ein aktueller Verdacht auf Triggerung durch einen akuten Racheninfekt mit bakteriologischem Nachweis von Staphylococcus aureus (Sepsiserreger) und eine anamnestisch vorbekannte Penizillin-Allergie benannt. Die Klägerin habe von einer Polio-Impfung in den Oberarm links am 14. Dezember 2007 berichtet. Am Abend seien Quaddeln am Oberkörper aufgetreten. Im weiteren Verlauf seien der gesamte Körper und das Gesicht betroffen gewesen. Es hätte ein starker Juckreiz bestanden, die Quaddeln wären an einer Stelle nie länger als 24 Stunden vorhanden gewesen. Sie habe daraufhin für vier Wochen Prednisolon erhalten, ohne dass eine Besserung eingetreten wäre. Am 21. Januar 2008 hätte sie das Medikament Lorano bekommen, Prednisolon sei abgesetzt worden. Daraufhin sei plötzlich Schüttelfrost aufgetreten, starkes Schwitzen zur Nacht, erneut seien viele Quaddeln aufgetreten und es sei zu Gelenk- und Kopfschmerzen gekommen. Bei der dermatologischen Befunderhebung hätten sich keine Quaddeln gefunden, auch nicht im Sinne von Effloreszenzen. Die zuvor als schmerzhaft bezeichneten Gelenke der Extremitäten seien nicht überwärmt, nicht gerötet und wiesen keinen Druckschmerz auf. Am 24. Januar 2008 habe sich die Klägerin telefonisch gemeldet und über Schüttelfrost und Fieber bis 40° am 23. Januar 2008 berichtet. Ihr sei eine Therapie des Infektes durch den Hausarzt empfohlen worden und eine sofortige Wiedervorstellung der Exazerbation der Urtikaria sei angeboten worden. Die Ärzte der Gemeinschaftspraxis Dr. J./B./W. teilten mit Bericht vom 16. März 2009 mit, die Klägerin leide unter einem AOSD . Nach der Impfung seien Fieberschübe bis 40° aufgetreten, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und Gelenkssteifigkeit, Schweißausbrüche, Hautausschlag. Es sei zunächst eine allergische Reaktion zu vermuten gewesen. Im Rahmen einer stationären Abklärung wegen der in der Universitätshautklinik festgestellten erhöhten Rheumafaktoren sei dann ein Morbus Still diagnostiziert worden. Unter der nachfolgenden Therapie hätten sich die Beschwerden gebessert. Diesem Bericht war der Arztbrief der Fachkrankenhaus V. vom 4. Juni 2008 an die Gemeinschaftspraxis beigefügt, wonach die im Anschluss an die stationäre Behandlung der Klägerin durchgeführte Therapie bei ihr zu einem recht guten Allgemeinbefinden geführt habe. Es gebe kaum noch Gelenkbeschwerden und keine Exantheme mehr. Leichte nächtliche Schweißausbrüche gebe es noch. Der Facharzt für Innere Medizin/Hämatologie/Internistische Onkologie Dr. M. teilte mit Bericht vom 12. Mai 2009 mit, die Klägerin hätte sich Anfang Januar 2008 in seiner Sprechstunde zur Abklärung des Verdachtes auf eine systemische Erkrankung vorgestellt. Anamnestisch bedeutsam sei, dass es nach einer Polioimpfung am 14. Dezember 2007 zu einer Urtikaria gekommen sei, die zusätzlich mit diffusen Schmerzen verbunden gewesen sei. Eine Kortisontherapie sei ohne Effekt geblieben. Bei der später festgestellten rheumatologischen Erkrankung eines Morbus Still sei unter systemischer Therapie mit MTX und Prednisolon eine Vollremission erreicht worden.
Der beteiligte versorgungsärztliche Dienst des Beklagten kam in Auswertung der medizinischen Unterlagen in seiner Stellungnahme vom 24. Juni 2009 zu dem Ergebnis, es sei bei der Klägerin nach der Impfung zu Juckreiz und Quaddeln am ganzen Körper gekommen. Im Januar 2008 habe eine ambulante Behandlung stattgefunden und im Februar 2008 seien dann zusätzlich Fieberschübe aufgetreten. Schließlich sei die Diagnose eines AOSD gestellt worden. Dabei handele es sich um eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises mit Gelenkbefall, die überwiegend im Kindesalter auftrete. Typische Symptome seien anhaltendes Fieber, Entzündung eines oder mehrerer Gelenke, Hautausschlag, Lymphknotenschwellungen, Leber- und Milzschwellung sowie Schleimhautentzündungen. Die Ätiologie dieser Erkrankung sei bisher unklar bzw. multifaktoriell bedingt. Genetische Faktoren könnten hier neben Infektionserregern eine Rolle spielen. Bei der Kausalitätsbeurteilung von geltend gemachten Impfschäden seien nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Institutes zu berücksichtigen. Hierzu finde sich im Epidemiologischen Bulletin von Juni 2007, dass als Komplikation in Einzelfällen über allergische Reaktionen berichtet worden sei. Der geltend gemachte Morbus Still werde nicht als Komplikation der Poliomyelitis-Impfung aufgeführt. Daher gebe es keine Schädigungsfolgen nach dem IfSG.
Mit Bescheid vom 13. Juli 2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab: Nach dem Ergebnis der Sachaufklärung und der Beteiligung des versorgungsärztlichen Dienstes lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Poliomyelitis-Impfung am 14. Dezember 2007 und der Erkrankung an Morbus Still nicht wahrscheinlich machen. In den für die Kausalitätsbeurteilung zu berücksichtigenden Empfehlungen der STIKO sei der Morbus Still als Komplikation nicht aufgeführt. Als Impfreaktion könne es selten innerhalb von einem bis drei Tagen nach der Impfung an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen. Auch Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik oder Magen-Darm-Beschwerden seien nur selten zu beobachten. Diese Symptome seien vorübergehender Natur und würden rasch und folgenlos wieder abklingen.
Dagegen wendete sich die anwaltlich vertretene Klägerin mit dem am 13. August 2009 erhobenen Widerspruch und trug vor, der Krankheitsverlauf sei bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Schon unmittelbar nach der Impfung am 14. Dezember 2007 seien zwischen 18:00 und 19:00 Uhr am ganzen Körper ein sichtbarer Ausschlag und eine leicht erhöhte Temperatur aufgetreten. Seit Anfang Januar 2008 sei der Ausschlag dann ununterbrochen und mit ständig wechselnden Körperstellen aufgetreten. Mitte Januar 2008 habe sie dann den Hausarzt aufgesucht, der meinte, es handele sich eventuell um eine Reaktion auf die Impfung. Dieser habe ihr eine Woche lang täglich 5 mg Prednisolon verschrieben. Eine Woche danach sei der Ausschlag unverändert gewesen, sie habe Schüttelfrost und Fieber gehabt, Symptome wie bei einer Grippe. Das rechte Bein habe sie fast gar nicht mehr bewegen können. Wegen der anhaltenden und zunehmenden Beschwerden bei gleichzeitig erfolgloser ärztlicher Behandlung sei sie schließlich zur stationären Behandlung nach G. gelangt, wo es ihr nach zwei Wochen täglich besser gegangen sei. Anfang Juni 2008 habe sie mit der Einarbeitungsphase im Betrieb beginnen können, seit August 2008 arbeite sie wieder voll und könne sich gut bewegen. Unter Berücksichtigung dieses Krankheitsverlaufs sei bereits für einen medizinischen Laien ersichtlich, dass nicht nur eine geringe, sondern vielmehr sehr hohe Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang bestehe. Dafür spreche schon der konkrete zeitliche Ablauf. Denn erste Symptome wie Hautausschlag und Hautflecken sowie erhöhte Temperatur seien bereits wenige Stunden nach der Impfung aufgetreten. Die Beschwerden hätten sich danach täglich verschlimmert. Gerade weil die Krankheit Morbus Still zu den sehr seltenen Erkrankungen gehöre und die Häufigkeit auf weniger als einen Betroffenen pro 100.000 Einwohner geschätzt werde, wobei die Dunkelziffer sicher relativ hoch sei, dürfe nicht pauschal auf das Epidemiologische Bulletin von Juni 2007 des Robert-Koch-Institutes verwiesen werden. Es müssten andere Quellen herangezogen werden, in denen durchaus zahlreiche andere Nebenwirkungen, Komplikationen und unerwartete Reaktionen beschrieben würden. Auszugsweise und beispielhaft sei auf das Portal und die Quelle www.impfschaden.info zu verweisen, wonach es bei der Verabreichung des Impfstoffes IPV Mérieux zum Teil zu erheblichen Nebenwirkungen gekommen sei.
Der erneut beteiligte versorgungsärztliche Dienst des Beklagten kam in seiner Stellungnahme vom 30. März 2010 abermals zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs nicht gegeben sei. Es handele sich hier offenbar um das zufällige Zusammentreffen des Beginns einer schweren rheumatischen Erkrankung mit allen für die betroffene Person nachteiligen und schweren Folgen und der völlig davon unabhängig erhaltenen Impfung. Die Ursachen der rheumatischen Erkrankung seien noch nicht geklärt. Die vorliegende Erkrankung sei als Komplikation der Polio-Impfung nicht wahrscheinlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, es fehle an der erforderlichen Kausalität zwischen der Gesundheitsstörung Morbus Still und der Impfung. Diese Feststellung beruhe im Wesentlichen auf der Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen, Befundberichte des Fachkrankenhauses V. vom 27. März 2008 und 4. Juni 2008, des Universitätsklinikums M. vom 2. Januar 2009, der Gemeinschaftspraxis Dr. J./B./Dr. W. vom 16. März 2009 und des Facharztes für Innere Medizin Dr. M., sowie der Beteiligung des versorgungsmedizinischen Dienstes vom 24. Juni 2009 und 30. März 2010. Nach § 60 Abs. 1 IfSG erhielten Betroffene, die durch eine öffentlich empfohlene, angeordnete oder gesetzlich vorgeschriebene Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 61 IfSG genüge für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Impfereignis und der gesundheitlichen Schädigung. Sei die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, könne mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung anerkannt werden. Wahrscheinlichkeit liege im sozialen Entschädigungsrecht vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche. Wie im Ausgangsbescheid vom 13. Juli 2009 zutreffend ausgeführt werde, sei ein Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung vom 14. Dezember 2007 und dem Morbus Still nicht wahrscheinlich im Sinne des sozialen Entschädigungsrechts. Gegen einen Ursachenzusammenhang spreche insbesondere, dass nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts der Morbus Still nicht zu den Impfkomplikationen nach Polio-Impfung gehört. Ein möglicher Ursachenzusammenhang zwischen der aufgetretenen rheumatischen Erkrankung und der Polio-Impfung werde auch in keinem der vorliegenden ärztlichen Befundberichte dokumentiert. Nach der versorgungsmedizinischen Beurteilung handele es sich hier um das zufällige Zusammentreffen des Beginns einer rheumatischen Erkrankung und dem Impfgeschehen. Soweit die Anerkennung des Morbus Still als Impfschaden im Rahmen der sogenannten Kann-Versorgung geltend gemacht werde, sei festzustellen, dass auch hierfür die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge im Sinne der Kann-Versorgung komme allein in den Fällen in Betracht, in denen die zur Anerkennung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Auch wenn die Ursache des Morbus Still nicht bekannt sei, komme die Anerkennung dieser Gesundheitsstörung als Impfschaden im Sinne der Kann-Versorgung nicht in Betracht, da der medizinische Sachverhalt in seiner Gesamtheit bereits erkennen lasse, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der rheumatischen Erkrankung und dem Impfgeschehen nicht besteht. Nach den Erkenntnissen der STIKO trete der Morbus Still nicht als Komplikation nach Polio-Impfung auf. Zwar könne, wie die Klägerin geltend mache, ein entsprechender Ursachenzusammenhang nicht ausgeschlossen werden, doch begründe dies keineswegs die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs. Auch der der Widerspruchsbegründung beigefügte Auszug aus dem Internet enthalte keinen Hinweis auf eine rheumatische Erkrankung als Impfkomplikation nach einer Polio-Impfung.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 29. September 2010 vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhobenen Klage gewendet und vorgetragen, bei den Empfehlungen der STIKO handele es sich eben nur um Empfehlungen für die Kausalitätsbeurteilung, nicht aber um Recht und Gesetz. Es gehe hier um die objektive Beurteilung eines Einzelfalles, bei dem es zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden nach der Impfung bereits erste Impfreaktionen durch Ausschlag am gesamten Körper und eine leicht erhöhte Temperatur gegeben habe. Anschließend habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin von Tag zu Tag verschlechtert. Wegen dieser unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Nähe von weniger als drei Stunden zwischen dem Auftreten der ersten Impfreaktion und der Schutzimpfung bestehe aus objektiver Sicht eine hohe Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung, Schädigung und Schädigungsfolge. In sämtlichen vorliegenden Arztberichten werde mehr oder weniger beiläufig von einem zumindest zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung am 14. Dezember 2007 und dem Auftreten von Krankheitssymptomen berichtet. So habe nach der Krankheitsschilderung der Klägerin der Hautarzt Dr. H. Mitte Januar 2008 erklärt, bei dem ununterbrochenen Hautausschlag an ständig wechselnden Körperstellen handele es sich eventuell um eine Reaktion auf die Impfung. Ebenso sei von der Universitätshautklinik M. bei der ambulanten Behandlung am 22. Januar 2008 festgestellt worden, es handele sich um die Diagnose einer chronischen Urtikaria im Sinne einer Erstmanifestation im zeitlichen Zusammenhang mit einer Polioimpfung am 14. Dezember 2007. Ebenso hätten die Ärzte der Gemeinschaftspraxis J./B./W. darüber berichtet, es seien nach erfolgter Impfung Fieberschübe bis 40° aufgetreten.
Das Sozialgericht hat mit Beweisanordnung vom 1. Februar 2013 Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage zu den Beweisfragen „Steht die Erkrankung der Klägerin an Morbus Still wahrscheinlich in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Polio-Impfung der Klägerin am 14. Dezember 2007“ und „Ist der Sachverhalt medizinisch aufgeklärt oder bedarf es weiterer Sachaufklärung? Falls ja, auf welchem Fachgebiet bzw. in welcher Form?“ beauftragt. Der Sachverständige hat die Beweisfragen mit Gutachten vom 10. April 2013 zusammenfassend wie folgt beantwortet: Bei der Klägerin seien nach Polio-Impfung mit dem Impfstoff IPV Mérieux am 14. Dezember 2007 im Verlaufe des Januar 2008 mit der Diagnose AOSD vereinbare Symptome aufgetreten. Die endgültige Diagnose des Morbus Still sei in der Klinik für Rheumatologie das Fachkrankenhauses V. während eines stationären Aufenthaltes vom 20. Februar bis 1. März 2008 gestellt worden. Anamnestisch seien bereits am Tag der Impfung Symptome eines Nesselfiebers bei der Klägerin aufgetreten. Die Symptomatik des Nesselfiebers sei eine bekannte seltene unerwünschte Wirkung der Impfung und stehe daher wahrscheinlich mit der Impfung in kausalem Zusammenhang. Das Auftreten eines AOSD nach Polio-Impfung im Allgemeinen und speziell nach IPV-Mérieux-Polio-Impfung sei hingegen unbekannt. Daher handelte es sich hier wahrscheinlich um eine reine zeitliche Koinzidenz, ein kausaler Zusammenhang des bei der Klägerin diagnostizierten AOSD mit der am 14. Dezember 2007 durchgeführten IPV Mérieux-Impfung sei nicht wahrscheinlich. Bei dem AOSD handele es sich nach derzeitigem Wissensstand um eine entzündliche Erkrankung unklarer Pathogenese und Ätiologie. Die Inzidenz liege bei einem bis drei Fälle auf 1.000.000 Einwohner, wobei weniger als 10 % der Patienten älter als 50 Jahre seien. In der medizinischen Fachliteratur seien bisher zwei Fälle eines AOSD nach Influenza-Impfung beschrieben. Über einen AOSD nach Polio-Impfung fänden sich keine Angaben. In einer 1996 publizierten Studie an 60 AOSD-Patienten sei keine Assoziation des AOSD mit vorausgegangenen Impfungen festgestellt worden. Voraussetzung für einen möglichen kausalen Zusammenhang zwischen AOSD und Impfung sei der zeitliche Zusammenhang von Impfung und klinischer Symptomatik. Das Datum der Impfung stehe mit dem 14. Dezember 2007 fest. Die zeitlich zunächst folgenden ärztlichen Behandlungen seien nicht genau zu ermitteln, weil die Daten der Behandlung durch die Hautärztin R. ebenso wenig feststünden wie die durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. M. Anfang Januar 2008 durchgeführten Behandlungen. Dieser habe als Arbeitsdiagnose die Abklärung einer systemischen Erkrankung ohne weitere Präzisierungen von Symptomen genannt. Fest stehe das Datum der ambulanten Behandlung in der Universitätsklinik für Dermatologie mit der Verdachtsdiagnose einer chronischen Urticaria am 22. Januar 2008. Es sei auffällig, dass nach dem Auftreten von Hautsymptomen am Tag der Impfung des 14. Dezember 2007 die Klägerin erst Anfang Januar einen Arzt aufgesucht habe. Diese primäre Symptomatik vom 14. Dezember 2007 sei daher nur anamnestisch dokumentiert. Nach den Fachinformationen zur IPV Polio-Impfung seien bei mehr als einem Prozent der Patienten Fieber, Myalgien und Arthralgien beobachtet worden. Sehr selten (bei weniger als 0,1% der Fälle) seien Hautausschläge und Nesselfieber als unerwünschte Wirkung der Impfung beobachtet worden. Diese Nebenwirkungen beinhalteten damit die primär von der Klägerin beschriebenen Symptome wie Hautausschlag und Fieber. Somit müsse die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass der sofort nach der Impfung aufgetretene Hautausschlag eine unerwünschte Arzneimittelwirkung der Impfung und kein frühes Symptom des AOSD gewesen sei. In der UAW-Datenbank (Datenbank unerwünschte Arzneimittelwirkungen) des Paul-Ehrlich-Instituts zum Auftreten unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Impfungen sei kein Fall eines AOSD nach Polio-Impfung dokumentiert. Eine vom Sachverständigen durchgeführte Recherche zum Herstellen des Impfstoffes habe ebenfalls keine weitere Meldung eines Falles von AOSD nach Impfung mit IPV Mérieux seit Markteinführung 1997 bei 12.700.000 gegebenen Impfungen ergeben. Nach Herstellerangaben seien 2011 und 2012 ca. 20 % der Impfstoffe in der Pädiatrie angesetzt worden. Durch Extrapolation könne daher abgeschätzt werden, dass seit Markteinführung ca. 10.000.000 Impfdosen an Erwachsenen verwendet worden seien. Da die Ätiologie und Pathogenese des AOSD unbekannt sei, könne die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens alternativer kausaler Ursachen nicht abgeschätzt werden. Die zufällige zeitliche Koinzidenz eines AOSD mit einer Polio-Impfung sei ein sehr seltenes Ereignis. Bei einer Inzidenz des AOSD von durchschnittlich ca. einem bis drei Fälle pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr könne die Wahrscheinlichkeit des zufälligen Auftretens eines AOSD im Zeitraum von 30 Tagen nach einer Impfung auf ca. einen oder zwei Fälle pro 10.000.000 durchgeführte Impfungen geschätzt werden. Bei ca. 10.000.000 bei Erwachsenen durchgeführten Impfungen wären dementsprechend seit der Markteinführung ca. ein oder zwei Fälle eines AOSD nach IPV Mérieux-Impfung zu erwarten gewesen. Aufgrund der Seltenheit des AOSD und des bisher nicht in der Fachliteratur berichteten oder in einschlägigen Datenbanken erfassten Auftretens eines AOSD nach der bei Erwachsenen durchgeführten IPV Mérieux-Impfung erscheine es insgesamt wahrscheinlicher, dass der sofort nach der Impfung aufgetretene urtikarielle Hautausschlag mit Fieber eine direkte unerwünschte Arzneimittelwirkung der Impfung war und nicht Symptom des später diagnostizierten AOSD. Diese Interpretation schließe einen möglichen kausalen Zusammenhang mit der durchgeführten IPV Polio-Impfung und dem bei der Klägerin diagnostizierten AOSD zwar nicht aus, relativiere aber den taggleichen zeitlichen Zusammenhang der Impfung mit dem bei der Klägerin diagnostizierten Adulten Morbus Still. Insgesamt könne der kausale Zusammenhang der bei der Klägerin am 14. Dezember 2007 durchgeführten IPV Merieux-Polio-Impfung mit dem später diagnostizierten Morbus Still zwar nicht generell ausgeschlossen werden, erscheine jedoch aufgrund der fehlenden Hinweise auf eine mögliche Assoziation eines AOSD mit Polioimpfung im Allgemeinen sowie speziell mit der häufig bei Erwachsenen durchgeführten IPV Mérieux-Polio-Impfung als nicht wahrscheinlich.
Dieses Gutachten haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin für unschlüssig erachtet und ausgeführt, angesichts der Feststellung, bei dem AOSD handele es sich um eine entzündliche Erkrankung unklarer Pathogenese und unklarer Ätiologie, sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dieser Erkrankung und der stattgefundenen Impfung unwahrscheinlich sein soll. Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Gutachter meine, die primär von der Klägerin beschriebenen Symptome nach der Impfung wie Hautausschlag und Fieber seien nur als unerwünschte Arzneimittelwirkung der Impfung und kein frühes Symptom des AOSD anzusehen. Denn dabei handele es sich gerade um Symptome eines AOSD, die bei der Klägerin unstreitig unmittelbar nach der Impfung eingetreten seien. Die Tatsache, dass in der UAW-Datenbank des Paul-Ehrlich-Instituts noch kein Fall eines AOSD nach Polioimpfung dokumentiert sei, lasse sich möglicherweise damit erklären, dass es sich bei der Klägerin gerade um den ersten bekannt gewordenen Fall handele. Es sei nicht hinzunehmen, dass die Klägerin nun das Pech habe, der erste Fall zu sein, der als Verdachtsfall in der internationalen Datenbank unter der Nr. E2013-02583 registriert worden sei, sie aber ohne Entschädigung bleibe, während der zweite Fall, der dann irgendwann auftrete, mit Hinweis auf diesen Eintrag in der Datenbank als Impfschadensfall anerkannt werde.
Der Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 61 Satz 2 IfSG in Parallelität zu § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG die Anwendung der sogenannten „Kann-Versorgung“ auch im Rahmen des IfSG ermöglicht und insoweit die Anforderungen an die im Sozialen Entschädigungsrecht erforderliche Kausalität (mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang) in gewissem Umfang herabgesetzt. Maßgeblich für die Anwendung der „Kann-Versorgung“ sei die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 1. Januar 2009, hier Teil C Nr. 4 der Anlage zu § 2. Die dortigen Regelungen seien inhaltsgleich mit der Nr. 57 Abs. 2 i.V.m. Nr. 39 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht (AHP) 2006/2008, sodass die noch unter Geltung der AHP zu § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG und zu § 61 Satz 2 IfSG ergangene Rechtsprechung auch weiterhin Anwendung finde. Danach könne Beschädigtenversorgung im Rahmen der „Kann-Versorgung“ u.a. nur dann in Betracht gezogen werden, wenn in der medizinischen Wissenschaft mindestens eine medizinische Lehrmeinung existiere, wonach der Ursachenzusammenhang wahrscheinlich und nicht nur möglich ist. Es müsse zumindest die gute Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen Impfung, Primärschädigung und Gesundheitsstörung bestehen. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da bisher keine einzige medizinische Lehrmeinung einen AOSD als Impfschadensfolge nach Polio-Impfung beschreibe. Insoweit könne der bei der Klägerin diagnostizierte AOSD auch nicht als erster Impfschadensfall nach einer Polio-Impfung festgestellt werden, weder unter den Voraussetzungen des § 61 Satz 1 IfSG noch unter denen des Satz 2.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 2014 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 2 Nr. 11 IfSG sei ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liege auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft worden sei und eine andere als die geimpfte Person geschädigt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe Anspruch auf Versorgung, wenn durch eine Impfung ein Impfschaden sowie ein darauf beruhender andauernder Gesundheitsschaden nachgewiesen seien. Impfschaden und Gesundheitsstörung müssten jeweils nur wahrscheinlich durch die Impfung verursacht sein, d. h. es müsse mehr für als gegen einen solchen Kausalzusammenhang sprechen, wie das BSG mit Urteil vom 27. August 1998 (Az. B 9 VI 2/97 R) entschieden habe. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Morbus Still der Klägerin auf die am 14. Dezember 2007 durchgeführte Polio-Impfung zurückzuführen ist. Der gerichtliche Sachverständige habe in seinem Gutachten vom 10. April 2013 überzeugend ausgeführt, dass ein ursächlicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei. Beim AOSD handele es sich um eine entzündliche Erkrankung mit unklarer Pathogenese und Ätiologie. In einer 1996 durchgeführten Studie sei keine Assoziation zwischen Morbus Still und vorausgegangenen Impfungen festgestellt worden. In der UAW-Datenbank des Paul-Ehrlich-Instituts zum Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkung nach Impfung sei kein Fall eines Morbus Still nach Polio-Impfung dokumentiert worden. In der medizinischen Fachliteratur fänden sich keine Angaben über das Auftreten einer solchen Erkrankung nach Polio-Impfung, auch keine Verdachtsmomente in diese Richtung. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass lediglich eine reine zeitliche Koinzidenz zwischen der Impfung der Klägerin und dem aufgetretenen Morbus Still vorliegt. Auch die These der Klägerin, es handele sich bei ihrem Fall ggf. um den ersten Fall eines Kausalzusammenhangs, sei schwer haltbar, da dies bei den durchgeführten 12.700.000 Impfungen als äußerst unwahrscheinlich einzustufen sei. Die Tatsache, dass bei Influenza-Impfungen zwei Fälle von Morbus Still diagnostiziert worden seien, führe zu keiner anderen Bewertung, da von Influenza-Impfungen nicht auf Polio-Impfungen geschlossen werden könne. Soweit der Sachverständige davon ausgehe, dass der Hautausschlag eine Reaktion auf die Impfung darstelle, folge dem das Gericht nicht, da der Hautausschlag ein Symptom des Morbus Still sei und erst bei der Behandlung des Morbus Still eine Besserung eingetreten sei. Eine dermatologische Behandlung habe dagegen im Vorfeld keinen Erfolg gezeigt. Es komme auch keine Kann-Versorgung im Sinne von § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Diese sei nur gerechtfertigt, wenn in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit über die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs besteht. Nach wenigstens einer medizinischen Lehrmeinung müsse der Ursachenzusammenhang wahrscheinlich, nicht nur möglich sein (BSG, Urteil vom 10. November 1993, 9/9a RV 41/92, juris). Nach den überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen finde sich in der medizinischen Fachliteratur keine Lehrmeinung, die einen Ursachenzusammenhang zwischen Morbus Still und einer Polio-Impfung diskutiere.
Gegen das ihr am 15. Juli 2014 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 15. August 2014 bei dem Landessozialgericht eingelegten Berufung und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, es sei eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen erforderlich. Zu Unrecht stellten das SG wie auch der Beklagte darauf ab, es gebe angeblich keine einzige medizinische Lehrmeinung, die einen AOSD als Impfschadenfolge nach Polioimpfung beschreibe. Es sei irrelevant, ob ein Arzt vorher über einen solchen Fall oder die Möglichkeit eines solchen Falls berichtet habe, wenn dieser doch tatsächlich bei der Klägerin eingetreten sei. Ebenso sei irrelevant, ob es wirklich keine einzige medizinische Lehrmeinung gebe, die einen AOSD als Impfschadenfolge nach Polioimpfung beschreibe, wenn doch die Klägerin anscheinend der weltweit erste Fall sei, bei dem dies eingetreten sei. Denknotwendig könne über noch nicht eingetretene Fälle nichts berichtet oder veröffentlicht werden. Das SG habe nicht ausreichend begründet, weshalb es den Ursachenzusammenhang als nicht wahrscheinlich erachte bzw. was gegen einen solchen Zusammenhang spreche. Die Urteilsgründe trügen die Entscheidung nicht. Hinsichtlich der Frage, ob der unmittelbar nach der Impfung aufgetretene Hautausschlag lediglich, wie der Gutachter meint, eine Impfreaktion gewesen sei, oder, wie das SG festgestellt habe, bereits die Manifestation des AOSD sei, sei nicht nachzuvollziehen, weshalb das Gericht den berechtigten Anspruch der Klägerin verneine. Die Symptome des Morbus Still seien direkt und unmittelbar nach der Impfung aufgetreten, sodass zu fragen sei, was die Klägerin noch nachweisen müsse. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin offenbar der erste Fall sei, bei der eine derartige Folge nach einer Polioimpfung auftritt. Das SG führe dazu lediglich aus, diese These der Klägerin sei schwer haltbar, da es bei den durchgeführten 12,7 Millionen Impfungen als äußerst unwahrscheinlich einzustufen sei. Dagegen sprächen bereits die vom Gutachter dann doch selbst angeführten zwei Fälle eines AOSD nach Influenzaimpfung, die nach der Studie eingetreten seien. Damit sei nachgewiesen, dass ein AOSD nach einer Impfung grundsätzlich auftreten könne, wie diese beiden nachgewiesenen Fälle aufzeigten. Auf die UAW-Datenbank des Paul-Ehrlich-Instituts zum Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkung nach Impfung, wonach kein Fall von Morbus Still nach Polioimpfung dokumentiert worden sei, hätte nicht verwiesen werden dürfen. Natürlich könne in dieser Datenbank kein Fall enthalten sein, weil es vor der Klägerin noch keinen Fall gegeben habe. Die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs sei hier unzweifelhaft gegeben. Das SG habe den Hautausschlag bereits als Symptom des Morbus Still rechtlich zutreffend gewürdigt, womit feststehe, dass ein untrennbarer enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Polioimpfung und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome und letztlich der Diagnose des Morbus Still gegeben sei. Dann dürfe nicht mehr von einer bloßen Möglichkeit, sondern müsse von einer Wahrscheinlichkeit gesprochen werden, da andere Ursachen nicht in Betracht kämen. Es sei auch nicht ersichtlich, woher angesichts dieses zeitlichen Zusammenhangs die Erkrankung komme, wenn sie nicht durch die Impfung ausgelöst sei. Auch soweit das SG eine Kann-Versorgung ablehne, sei die gegebene Begründung abzulehnen. Das SG verweise darauf, nach der Auffassung des Sachverständigen existiere in der medizinischen Fachliteratur keine Lehrmeinung, die einen Zusammenhang zwischen Morbus Still und einer Polio-Impfung sehe. Dass die Klägerin möglicherweise die erste Patientin weltweit sei, die einen derartigen im Schaden erlitten habe, könne aber schon denknotwendig und logisch nicht dazu führen, dass eine Ursächlichkeit von der Gegenseite oder vom Gericht verneint wird mit der Begründung, es finde sich in der medizinischen Fachliteratur keine Lehrmeinung, die einen Ursachenzusammenhang bejaht und deshalb eine Kann-Versorgung abgelehnt werde. Der Beklagte fordere die gute Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Impfung, Primärschädigung und Gesundheitsstörung. Er meine, diese Voraussetzung wäre im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da bisher keine einzige medizinische Lehrmeinung bekannt sei, die einen AOSD als Impfschadenfolge nach Polio-Impfung beschreibe. Aus diesem Grund könne der bei der Klägerin diagnostizierte AOSD auch nicht als erster Impfschaden nach einer Polioimpfung festgestellt werden. Dies widerspreche sich selbst. Würde man dieser Auffassung folgen, würde es nie „erste Fälle“ geben. Es würde dann niemals irgendeinen Fall geben, der beispielsweise als erster Impfschadensfall anerkannt wird. Hiervon abgesehen existierten sehr wohl medizinische Auffassungen insbesondere der Ärzte, die die Klägerin behandelt haben, die einen ursächlichen Zusammenhang für möglich hielten. Dies ergebe sich aus Gesprächen der Klägerin mit Dr. A. vom Universitätsklinikum M. sowie aus den ärztlichen Berichten von Dr. A. vom 2. Januar 2009 sowie von Dr. M. vom 12. Mai 2009. Selbst der Münchner Kinderarzt Dr. H. habe schriftlich gegenüber der Klägerin erklärt, er habe zwar noch keine schwere rheumatische Erkrankung nach Polio-Impfung erlebt, aber „irgendwann sei immer das erste Mal“ zu. Gerade vor dem Hintergrund der extremen Seltenheit der Erkrankung und die selbst nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen extrem niedrige Rate von ein bis zwei Fällen von Morbus Still nach Polioimpfung, die seiner Meinung nach vorliegen müssten, sei es nachvollziehbar, dass sich in der medizinischen Fachliteratur kein Arzt mit der Thematik des Ursachenzusammenhangs zwischen Morbus Still und einer Polioimpfung beschäftigt habe. Im Rahmen der Kann-Versorgung dürfe nicht gefordert werden, dass in der medizinischen Fachliteratur eine Lehrmeinung existiere, die einen Ursachenzusammenhang zwischen Morbus Still und einer Polioimpfung sehe, wenn zuvor ein derartiger Fall noch gar nicht aufgetreten sei. Dann würde es nie „erste Fälle“ geben, da nie darüber vorher hätte berichtet werden können, da ja noch nie ein derartiger Fall aufgetreten sei. Im Falle der Klägerin seien keine drei Stunden vergangen, bevor die ersten Reaktionen nach der Impfung aufgetreten seien, die sich dann nicht mehr verändert, sondern verschlimmert hätten und schließlich von dauerhafter Natur gewesen seien. Dieser enge zeitliche Zusammenhang könne nicht hinweg diskutiert werden. Es bestehe weiterer Aufklärungsbedarf bei Prof. Dr. S.. vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen, der erklärt habe, nicht ausschließen zu können, dass die Polio-Impfung für den AOSD der Klägerin verantwortlich sei bzw. diese Erkrankung ausgelöst habe. Er habe darauf hingewiesen, für den bei der Klägerin verabreichten Impfstoff seien allergische Reaktionen vom Typ I beschrieben worden. Deshalb müsse zur definitiven Klärung eine Allergietestung auf die Impfstoffbestandteile sowie Neomycin, Streptomycin und Polymyxin erfolgen. Diese Stoffe würden ausweislich der Fachinformation zum Impfstoff im Rahmen der Herstellung verwendet und könnten in Spuren im Impfstoff enthalten sein. Dies könne helfen, den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten des adulten Morbus Still herauszuarbeiten. Ferner habe Prof. Dr. S.. erklärt, ein allgemeiner Zusammenhang von Impfungen mit dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen in Einzelfällen werde in der Literatur immer wieder beschrieben und deren Zusammenhang diskutiert. Für den Anspruch der Klägerin sprächen auch die Ausführungen im Handbuch der Kinderheilkunde, 3. Band, Immunologie, Soziale Pädiatrie von H. Opitz und Prof. Dr. Schmid von 1966. Darin werde ab Seite 206 der Morbus Still behandelt und Frau Prof. Dr. Elisabeth Stoeber habe zur Klinik und vorhergehenden Erkrankungen des Morbus Still ausgeführt, es fänden sich unter den Schutzimpfungen, die als Auslöser für die Erkrankung anamnestisch angegeben werden, im eigenen Krankengut (der Klinik) bzw. in der Literatur vier Fälle nach Pockenimpfung, je ein Fall nach Salkscher Poliomyelitis- und Tetanol-Impfung sowie zwei Fälle nach Sabinscher Impfung. Der Ausbruch der rheumatoiden Arthritis sei in einem Fall unmittelbar nach der Pockenimpfung erfolgt, ein anderer der genannten Pockenimpfungsfälle sei dann bei späterer Diphtherie-Scharlach-Impfung mit rheumatoider Arthritis rezidiviert. Daraus folge, dass schon 1966 von einem Fall des Morbus Still bei Salkscher Poliomyelitis-Impfung im eigenen Krankengut bzw. in der Literatur berichtet werde. Selbst wenn es sich dabei um Beobachtungsfälle bei Kindern handele, bestehe denknotwendig und logisch damit auch die Möglichkeit des Eintritts bei einem Erwachsenen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Juni 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 13. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. August 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. August 2008 Beschädigtenversorgung nach dem IfSG in gesetzlichem Umfang unter Anerkennung der Erkrankung an Morbus Still als Folge der Impfung vom 14. Dezember 2007 mit dem Impfstoff IPV Mérieux zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil und seine Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und von der Hautfachärztin R. den Befundbericht vom 26. Januar 2018 eingeholt. Die Ärztin hat mitgeteilt, die Klägerin habe sich erstmals am 22. Januar 2008 vorgestellt und angegeben, am 14. Dezember 2007 eine Impfung gegen Poliomyelitis erhalten zu haben. Daraufhin habe sich am Abend desselben Tages ein urtikarielles Exanthem am gesamten Integument (Gesamtheit der Hautschichten) entwickelt. Zusätzlich wäre es zu Lippen- und Gesichtsschwellungen gekommen. Ferner hat der Senat einen Befundbericht von Dr. M. vom 5. März 2018 eingeholt, wonach sich die Klägerin erstmals am 28. Januar 2008 vorgestellt habe. Er habe einen Verdacht auf rheumatoide Arthritis gestellt, anschließend sei durch eine Fachklinik ein Morbus Still bestätigt worden. Des Weiteren hat der Senat eine Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts zu der Frage von Verdachtsfällen im Zusammenhang mit dem Impfstoff IPV Mérieux und wissenschaftlichen Erkenntnissen über einen Zusammenhang zwischen IPV Mérieux und Morbus Still bzw. eine entsprechende Diskussion in der Wissenschaft über einen solchen Zusammenhang angefordert. Das Paul-Ehrlich-Institut hat mit Schreiben/E-Mail vom 16. November 2021 (Doktor Ba.) folgendes mitgeteilt: „Leider können wir die Fallzahl der benannten 332 Verdachtsfälle im Zusammenhang mit dem Impfstoff IPV Merieux und der Erkrankung Morbus Still nicht nachvollziehen. Weder in der öffentlich zugänglichen UAW-Datenbank noch der internen Arzneimittelsicherheitsdatenbank sind derartige Fälle nachweisbar. Es lässt sich mit einer Recherche von IPV Mérieux und Still-Erkrankung lediglich ein Fall in der öffentlichen Datenbank (…) finden (Anm.: der Fall der Klägerin). Weitere Fälle liegen uns nicht vor. Darüber hinaus ist uns ein kausaler Zusammenhang zwischen einer IPV Mérieux-Impfung und M. Still nicht bekannt. Auch die Fachinformation zu IPV Mérieux von Sanofi Pasteur MSD enthält keine weiteren Hinweise hierzu. Es sei darauf hingewiesen, dass das PEI keine Impfschäden beurteilt und keine Begutachtung im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechts vornimmt, sondern nach Aktenlage lediglich den gemeldeten Verdacht einer Komplikation im Hinblick auf die Nutzen-Risiko-Bewertung des Impfstoffes beurteilt. Das PEI prüft somit, ob sich aus den Meldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung Signale in Hinblick auf Arzneimittelrisiken ergeben. Dabei geht jede Verdachtsmeldung einer Impfkomplikation, die im PEI eingegangen ist, in die jeweilige Signaldetektion ein unabhängig von der Kausalitätsbewertung des Falles. Für die Anerkennung eines Impfschadens ist bekanntlich nicht das PEI, sondern das jeweilige Versorgungsamt des Landes zuständig.“
Schließlich hat der Senat ein Gutachten von Prof. Dr. R., Facharzt für Innere Medizin, Infektiologie/Tropenmedizin, vom 21. September 2022 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es gebe in der Humanmedizin nie einen einzigen Fall, sehr wohl aber den ersten Fall, dem dann weitere folgen und so durch die Fallzunahme die Evidenz bezüglich einer spezifischen Impfkomplikation wachse. Beispielhaft sei auf den ersten Fall einer Myokarditis (Herzmuskelentzündung) und einer Hirnvenenthrombose nach einer CoV-19-Impfung zu verweisen, denen dann weitere gefolgt seien, sodass ein Zusammenhang mit der Impfung wahrscheinlich geworden sei. Diese Evidenz habe sich aber nur aus der Tatsache ergeben, dass die Komplikationen über der Inzidenz dieser Erkrankungen in einem vergleichbaren Kollektiv ohne die CoV-Impfung gelegen hätten. Ein einzelner Fall bei dieser extrem häufig verabreichten Impfung wäre nie anerkannt worden. Es habe auch erste Fälle einer HIV-Infektion, Legionärskrankheit usw. gegeben, wobei erst die Zunahme der Fallzahlen das Auftreten einer neuen Krankheitsentität angezeigt habe. Dass der Morbus Still zu selten anerkannt werde, sei kein Argument für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Polio-Impfung und dem Morbus Still. Solche Fälle würden wegen ihrer klinischen Symptomatik häufig beim Rheumatologen/Immunologen/Infektiologen „landen“, für die dieses Krankheitsbild sehr vertraut sei. In der Allgemeinmedizin sei die Erfahrung mit dieser Erkrankung weniger präsent. Daher sei der Morbus Still sicher unterdiagnostiziert und wesentlich häufiger als die offizielle Inzidenz von 1/100.000 Personen. Auch sei die Pathogenese des Morbus Still nach heutigem Wissen nicht mehr völlig unklar. Im Falle der Klägerin kranke der Ablauf der klinischen Symptomatik an der Tatsache, dass für die Zeit nach der Impfung bis zur ersten ärztlichen Vorstellung am 22. Januar 2008 nur Beschreibungen der Klägerin vorlägen und damit über ca. fünf Wochen keine belastbare medizinische Dokumentation. Sie beschreibe einen Hautausschlag mit Quaddeln, die kommen und gehen, und einen starken Juckreiz. Es verursache das Exanthem beim Morbus Still aber gerade keinen Juckreiz; dass ein solcher bei der Aufnahme in das Krankenhaus V. dokumentiert ist, werde zur Kenntnis genommen. Die Klägerin vermute, die unmittelbar nach der Impfung aufgetretenen Symptome seien der Beginn des Morbus Still und damit als Beweis für einen Zusammenhang zu werten. Dies sei nicht richtig, da der Morbus Still mit unspezifischer Symptomatik oftmals unbemerkt beginne und meistens erst bei Ausprägung der typischen Symptomatik entdeckt werde. Die von der Klägerin beschriebene Symptomatik sei daher als Immunreaktion zu werten und die spätere Manifestation eines Morbus Still ein zeitlicher Zufall. Möglicherweise habe er unbemerkt mit unspezifischen Symptomen auch schon früher oder überlappend begonnen. Die angeführten zwei Erkrankungen von Morbus Still nach einer Influenzaimpfung könnten im Analogieschluss die Hypothese der Klägerseite nicht stützen. Diese beiden Fälle seien klinisch nur vermutet und die beiden Impfungen bezüglich des Impfstoffkonzeptes nicht vergleichbar. Der Artikel aus dem Lehrbuch von 1966 betreffe den pädiatrischen Morbus Still mit einem nur vermuteten Zusammenhang bei einer ungewöhnlich hohen Sterblichkeit von 20,2 %. Dies und die Angaben „aufgrund eigener Beobachtungen“ machten diesen Beitrag für die vorliegende Fragestellung wissenschaftlich wertlos. Handbuch-Artikel seien früher nicht zweitbegutachtet gewesen und daher, besonders bei der Referierung eigener Beobachtungen, von begrenzter wissenschaftlicher Aussagekraft. Auch die Stellungnahme von Prof. Dr. S.. sei in diesem Zusammenhang nicht hilfreich. Aussagen wie „kann ich nicht ausschließen“ seien keine Grundlage für eine wissenschaftliche Diskussion und Sachaufklärung. Auch er bringe die Influenzaimpfung in die Diskussion und beziehe sich ebenso auf zwei Fälle, wobei die Beschreibung „suggested“ bzw. „bystander“ keinen Zuwachs an Evidenz ergebe. Der Hinweis auf eine Allergie Typ I treffe zu, sei hier aber ohne Belang, da diese nicht Ursache des Morbus Still sei. Die Testung auf die im Impfstoff zur Sterilität enthaltenen Antibiotika sei daher nicht notwendig, zumal diese Antibiotika speziellen Infektionen vorbehalten seien, und die Klägerin bisher mit diesen keinen Erstkontakt gehabt habe. Der unvollständigen Kopie des Impfausweises sei eine Polio-Impfung vom 19. September 1997 zu entnehmen und die hier umstrittene Impfung mit dem monovalenten Polioimpfstoff IPV Mérieux vom 14. Dezember 2007. Da die Klägerin in der DDR aufgewachsen sei, könne angenommen werden, dass sie bei der damaligen Pflicht die vollständige Grundimmunisierung gegen Polio und die Auffrischungsimpfung erhalten hat. Dass sie alle diese Impfungen problemlos toleriert habe, spreche gegen die vorgebrachte Hypothese eines impf-assoziierten Morbus Still. Auch wenn sich die Impfstoffe über die Zeit in ihrer Zusammensetzung verändert hätten, würde dies allenfalls eine allergische Reaktion begründen, aber keinen Morbus Still auslösen. Die Abfrage in den medizinischen Datenbanken zu der Frage, ob Morbus Still zu den Folgeschäden gehöre, die im Zusammenhang mit der Impfung bereits irgendwo national/international aufgetreten sind, habe keine Treffer ergeben. Es sei ausgeschlossen, dass bei einer weltweit so häufig verabreichten Impfung wie der Polio-Impfung der Morbus Still als Impfkomplikation nicht aufgefallen wäre. Akute Impfreaktionen als unspezifische und selbstlimitierende Ereignisse seien hingegen bekannt. Es gebe zu dieser Frage auch keine medizinisch-wissenschaftliche Diskussion in Lehre und Wissenschaft. An Impfkomplikationen habe es bei der früheren oralen Impfung mit abgeschwächten Polioviren die Impf-Polio und das Post-Poliosyndrom gegeben. Solche Fälle seien anerkannt und entschädigt worden. Seit den neunziger Jahren werde nur noch ein trivalenter Totimpfstoff eingesetzt, bei dem dies, wie auch weitere Impfkomplikationen, nicht vorkomme. Unspezifische Impfreaktionen seien kein Anlass für Entschädigungen. Ein Morbus Still sei weder nach einer Polio-Impfung noch nach anderen Impfungen bekannt. Bei einer so zahlreich verabreichten Impfung wäre der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ein solcher Zusammenhang nicht entgangen. Es gebe seit 2013 zum Morbus Still als Impfkomplikation keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Eine weitere Sachaufklärung sei nicht erforderlich.
Hiergegen hat die Klägerin mit ihrer Stellungnahme vom 29. November 2022 vorgetragen, es möge sein, dass bisher kein Fall eines AOSD nach erfolgter Polio-Impfung bekannt geworden ist, schließe es deshalb jedoch nicht aus. Es sei seit jeher bekannt, dass eine AOSD-Erkrankung Reaktion auf Virusinfektionen aufzeigen könne. Wenn Influenza-Impfungen genau wie Polio-Impfungen virale Impfungen seien und bei Influenza-Impfungen AOSD auftreten könne, stelle sich ernstlich die Frage, wieso dies nicht auch bei Polio-Impfungen möglich sein solle. Letztlich habe auch Prof. Dr. S.. nicht ausschließen können, dass die Polio-Impfung für die AOSD der Klägerin verantwortlich sei bzw. diese zumindest ausgelöst habe. Er habe erklärt, dass für den Impfstoff, der der Klägerin verabreicht worden sei, allergische Reaktionen vom Typ I aus der Post-Marketing-Beobachtung beschrieben werden. Er habe deshalb zur Klärung eine Allergietestung auf die Impfstoffbestandteile empfohlen. Durch einen Allergietest auf die Impfbestandteile und die Zusatzstoffe könne nachgewiesen werden, dass es sich bei der Klägerin um keine Allergie handele. Dann könnten es nur noch die reinen Viren sein und damit der kausal-ursächliche Zusammenhang bejaht werden. Insbesondere der zeitliche Verlauf spreche neben der medizinischen Möglichkeit eindeutig für eine Ursächlichkeit der Polio-Impfung mit dem Entwickeln von AOSD. Keine drei Stunden nach der Impfung habe die Klägerin erste Reaktionen gezeigt, die nicht mit einem Allergiemedikament hätten behandelt werden können, obwohl sie symptomatisch gepasst hätten. Stattdessen seien die Symptome dauerhafter Natur gewesen und hätten sich stetig verschlimmert. Das Verfahren sei nicht entscheidungsreif, sondern bis zur Durchführung und Vorliegen der Ergebnisse des von Prof. Dr. S.. empfohlenen Allergietests auszusetzen.
Prof. Dr. R. hat mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 13. Januar 2023 ausgeführt, die Klägerin argumentiere zum wiederholten Male, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Polioimpfung und dem Auftreten eines Morbus Still, sofern eine Allergie auszuschließen sei, auch wenn sich für eine solche Kausalität in der medizinischen Literatur kein Hinweis finde. Der Hinweis auf die Influenzaimpfung sei nicht belastbar, da die angeführte Literatur nicht beweiskräftig sei. Auch die angeführten ärztlichen Äußerungen bleiben in ihren Beschreibungen wie „ist nicht auszuschließen“ ebenfalls im Ungefähren. Bei der millionenfachen Anwendung der Polio- und Influenzaimpfung wäre ein solcher Zusammenhang durch die Häufung solcher Fälle nicht verborgen geblieben und sei daher im vorliegenden Fall definitiv auszuschließen. Der Hinweis auf eine Allergie vom Typ I beziehe sich auf die exanthemische Sofortreaktion nach der Impfung. 90 % aller Allergien gehörten zum Typ I, seien also eine häufige und meist spontan abklingende Reaktion auf zahlreiche Antigene, wie auch bei der Klägerin, bei der ein akut aufgetretene Hautausschlag wieder abgeklungen sei. Jedenfalls seien am 22. Januar 2008 im Universitätsklinikum M. kein Exanthem und auch keine Rest-Effloreszenzen (= Formen pathologischer Hautveränderungen, u.a. auch Quaddeln) mehr nachweisbar gewesen. Auch die Logik, wenn eine Allergie ausgeschlossen werden könne, sei dies dann der Beweis für einen Zusammenhang zwischen Impfung und Morbus Still, entbehre jeder Grundlage. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass bei Nachweis einer Allergie der Morbus Still unabhängig von der Impfung zu sehen sei, da es keine direkte bzw. indirekte Verknüpfung zwischen einer Allergietyp I und einen Morbus Still gäbe, da sie keine gemeinsame Pathogenese hätten. Die Klägerin bemühe zum wiederholten Male die Einzigartigkeit und Einmaligkeit ihres Falles und zweifle auch nicht an ihrer Argumentation, auch wenn weitere Fälle bisher nicht beschrieben seien. Zurückhaltende Äußerungen um eine Einschätzung bemühter ärztlicher Kollegen überinterpretiere sie dabei in ihrem Sinne. Eine weitere Sachaufklärung sei für eine Entscheidungsfindung nicht notwendig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene erstinstanzliche Urteil und die Bescheide des Beklagten erweisen sich als rechtens und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung der Klägerin ist daher unbegründet.
Der Anspruch der Klägerin, der für die Zeit ab Antragstellung im August 2008 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs. 1 IfSG. Diese Norm bestimmt:
Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die
1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3. gesetzlich vorgeschrieben war oder
4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens i.S. des § 2 Nr.11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
Nach § 2 Nr. 11 Halbsatz 1 IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG – u.a. z.B. öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10, juris, Rn. 36, m.w.N.)
Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O., Rn. 37 m.w.N.)
Bei der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen müssen die Impfung und die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – im sog. Vollbeweis – feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O., Rn. 37). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Da die Klägerin den Antrag am 14. August 2008 gestellt hat, ist hier noch auf die AHP 2008 zurückzugreifen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (vgl. nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG a.a.O.). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.
Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008):
Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f. IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr. 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 m.w.N.). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s. BMAS [Hrsg], Einleitung zur VersMedV, S. 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.
In Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist hier im Sinne des Vollbeweises festzustellen, dass die Klägerin am 14. Dezember 2007 eine Polio-Impfung mit dem Impfstoff IPV Mérieux erhalten hat und an Morbus Still in der Form des in der medizinischen Praxis sog. AOSD erkrankt ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Erstmanifestation dieser Erkrankung ist vom 22. Januar 2008 auszugehen, dem Tag der ambulanten Behandlung in der Universitätshautklinik M., weil an diesem Tag die bei der Klägerin aufgetretenen Symptome eindeutig festgestellt und entsprechend diagnostiziert worden sind. Für den Zeitraum davor bis zum Tag der Impfung liegen lediglich die anamnestischen Angaben der Klägerin vor, die für die Feststellung der Erkrankung im Sinne des Vollbeweises nicht ausreichend sind.
Die für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens, nämlich des Morbus Still, als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG) ist jedoch nicht gegeben. Beide gerichtlichen Sachverständigen haben in ihren Gutachten mit überzeugender Begründung herausgearbeitet, dass es für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Impfung mit dem Impfstoff IPV Mérieux und einer Erkrankung an Morbus Still weltweit so gut wie keine Anhaltspunkte gibt. Damit ist die vom Gesetz geforderte Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs nicht nur nicht gegeben, sondern es ist im Gegenteil sogar unwahrscheinlich, dass die Erkrankung der Klägerin von der Impfung verursacht wurde. Prof. Dr. R. hat im Gutachten vom 22. September 2022 auch klar und überzeugend festgestellt, dass seit dem letzten Begutachtungszeitpunkt 2013 im Hinblick auf die streitentscheidende Frage keinerlei neue wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer möglichen Verursachung von Morbus Still durch eine Polioimpfung gewonnen wurden. Auch unter Berücksichtigung dieses zeitlichen Abstands von rund neun Jahren zwischen beiden Begutachtungen ohne Änderung der wissenschaftlichen Erkenntnislage mangels aufgetretener Fälle steht nach Auswertung der beiden Sachverständigengutachten praktisch zweifelsfrei fest, dass der geltend gemachte Anspruch der Klägerin zu verneinen ist, weil sie keinen Impfschaden erlitten hat.
Soweit sie demgegenüber geltend macht, es seien immerhin zwei Fälle von Morbus Still nach Influenzaimpfungen aufgetreten, macht dies die angeblich schädigende Wirkung des Impfstoffs IPV Mérieux nicht wahrscheinlicher. Denn wie die Sachverständigen mit Recht hervorheben, handelt es sich bei dem Impfstoff zur Vorbeugung gegen Influenza um einen anderen Wirkstoff, sodass selbst dann, wenn ein Impfstoff für eine Influenzaimpfung einen Morbus Still in zwei Fällen hervorgerufen haben sollte, für die Frage, ob auch IPV Mérieux einen Morbus Still verursachen könne, nichts gewonnen wäre. Hierzu hat Prof. Dr. R. mit auch für einen medizinischen Laien überzeugender Begründung dargelegt, dass bei der millionenfachen Verwendung von IPV Mérieux eine eventuelle schädliche Geeignetheit zur Verursachung von Morbus Still weitere Fälle hätte hervorbringen müssen, sodass der Fall der Klägerin spätestens im weiteren Verlauf des nationalen und internationalen Impfgeschehens nicht der einzige geblieben wäre. Soweit die Klägerin für sich beansprucht, weltweit der erste Fall von Morbus Still nach einer Polioimpfung zu sein, weshalb naturgemäß noch keine Erfahrungen mit anderen Fällen vorliegen könnten, wird dadurch der Ursachenzusammenhang nicht wahrscheinlicher. Denn sie ist nach der Datenlage nicht der weltweit erste Fall, dem weitere Fälle gefolgt sind, sondern der einzige Fall, was klar gegen einen Ursachenzusammenhang spricht. Denn wie Prof. Dr. R. plausibel dargelegt hat, bleibt es in den Fällen, in denen ein Impfstoff bestimmte Impfkomplikationen nach sich ziehen kann, nie bei einem ersten und einzigen Fall. Zwar gebe es immer einen ersten Fall, dem aber dann, denn diese Wirkung ist dem Impfstoff immanent, zwangsläufig weitere folgen müssen, sodass eine gewisse Häufung von Impfkomplikationen dafür spricht, dass eine unerwünschte Arzneimittelwirkung eingetreten ist. In Anbetracht von vielen Millionen Polioimpfungen mit dem Wirkstoff IPV Mérieux liegt keine Wahrscheinlichkeit vor, wenn weltweit nur ein einziger Fall von Morbus Still im Zusammenhang mit dem Impfstoff gemeldet wurde.
Davon abgesehen gibt es zu den angeführten beiden Fällen von Morbus Still nach Influenzaimpfungen keinerlei weitere wissenschaftlichen oder rechtlichen Informationen. Möglicherweise handelt es sich lediglich um Verdachtsfälle und nicht um anerkannte Impfschäden. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Einschätzungen ihrer behandelnden oder um Rat gefragten Ärzte berufen. Denn wie Prof. Dr. R. nach Auswertung dieser ärztlichen Meinungen überzeugend herausgearbeitet hat, bleiben diese Ansichten so weit im vagen Bereich, dass sich daraus keinerlei Anhaltspunkte für eine Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs ableiten lassen. So hat sich Prof. Dr. S.. in seiner schriftlichen Antwort vom 24. Juli 2017 auf eine Anfrage der Klägerin dahingehend geäußert, es käme vom zeitlichen Verlauf bezüglich der initialen Symptomatik mit einer Urtikaria wenige Stunden nach der Impfung eine allergische Sofortreaktion als mögliche Ursache infrage. Diese ärztliche Mutmaßung gibt aber keinen Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Impfung und Morbus Still, weil es sich bei Morbus Still um keine allergische Reaktion handelt. Soweit Prof. Dr. S.. weiter ausführt, für den genannten Impfstoff (IPV Mérieux) seien allergische Reaktionen vom Typ I aus der Post-Marketing-Beobachtung beschrieben, ist hiergegen einzuwenden, dass auch diese Frage für die Beurteilung der streitentscheidenden Frage keine Rolle spielt, weil es nicht um einen Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und allergischer Reaktion, sondern zwischen Impfung und Morbus Still geht. Hinsichtlich der weiter geäußerten Ansicht von Prof. Dr. S.., wonach eine Allergietestung helfen könnte, den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten des AOSD herauszuarbeiten, ist ebenfalls festzustellen, dass diese Frage für die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen der Impfung und der Erkrankung der Klägerin nicht maßgeblich ist. Denn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und dem Auftreten von Morbus Still ist in diesem Fall die einzige hinreichend sichere Erkenntnis, die sich im Verlaufe der mehrjährigen Ermittlungen bestätigt hat. Sie macht allerdings, wie die Ermittlungen ebenfalls ergeben haben, die ursächliche Verknüpfung nicht wahrscheinlicher. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob die nachgewiesene Erstmanifestation vom 28. Januar 2008 den tatsächlichen Beginn der Erkrankung der Klägerin an Morbus Still darstellt oder ob die Erkrankung nicht doch schon früher und in noch engerem Zusammenhang mit der Impfung begonnen hat. Die Klägerin beruft sich seit Antragstellung im Jahre 2008 darauf, die ersten Symptome des Morbus Still seinen am Tag der Impfung aufgetreten und dann nie wieder abgeklungen. Auch ein noch engerer zeitlicher Zusammenhang macht den Ursachenzusammenhang aus den genannten Gründen nicht wahrscheinlicher. Zur möglichen Erstmanifestation hat Prof. Dr. R. mit auch insoweit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung ausgeführt, dass der Beginn der Erkrankung an Morbus Still nicht zwangsläufig mit dem Feststellen der ersten körperlich spürbaren Symptome und Merkmale einhergeht, sondern oftmals zeitlich davor und im noch unmerklichen Bereich liegt. Daher lässt sich auch nicht ausschließen, dass die Klägerin schon vor der Impfung an Morbus Still erkrankt war, dies aber mangels entsprechender spürbarer körperlicher Symptome nicht hat bemerken können. Aus diesen Gründen ist selbst der enge zeitliche Zusammenhang, auf den sich die Klägerin immer wieder beruft, nicht frei von allen Zweifeln. Letztlich bleibt dies aber unerheblich. Denn sofern der zeitliche Zusammenhang das einzige Anknüpfungsmerkmal bleibt und daneben keine weiteren medizinisch-wissenschaftlichen Anhaltspunkte für einen ursächlichen Zusammenhang sprechen, reicht ein nur zeitlicher Zusammenhang für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht aus.
Aus diesen Gründen und wiederum unter Berücksichtigung der gutachterlichen Ausführungen lässt sich der Entschädigungsanspruch der Klägerin auch nicht unter Heranziehung der sogenannten Kann-Versorgung begründen. Nach § 61 Satz 2 IfSG kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. In diesem Fall lässt das Gesetz wegen dieser allgemeinen Unsicherheit einen geringeren Überzeugungsgrad als die Wahrscheinlichkeit genügen. Das führt zu einer gegenüber der Wahrscheinlichkeit weniger gesicherten Kausalitätserkenntnis (Meßling in LPK-SGB XIV, 1. Auflage 2022, § 24 Rn. 119). In Anbetracht der hier gegebenen hohen Unwahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs bleibt aber für diesen abgeschwächten Kausalitätszusammenhang kein Raum. Abgesehen davon ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. die Ätiologie und Pathogenese des Morbus Still bei Erwachsenen nicht mehr ungewiss, sodass im fachärztlichen Bereich mittlerweile genügende Erkenntnisse über Herkunft und Verlauf dieser Erkrankung vorhanden sind. Für eine wissenschaftliche Diskussion, ob Morbus Still durch eine Polioimpfung hervorgerufen werden kann, gibt es weder Anlass noch sind dafür Ansätze in der Literatur ersichtlich. Der Entschädigungsanspruch der Klägerin ist zu verneinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).