L 6 SB 1577/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 2598/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1577/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Durch die Neuregelungen der §§ 14, 15 SGB XI bzw. § 72 SGB XIV ab 1.1.2024 haben sich die Beurteilungsmaßstäbe für das Merkzeichen "H" nicht geändert.
2. Der durch eine (geriatrische) Fachklinik bestimmte Barthel-Index (ICD 10 U50.10/U51.00) kann Anhaltspunkte für das Bestehen bzw. das Ausmaß von "Hilflosigkeit" bieten.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. März 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „G“ (besondere Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (ständige Begleitung) und „RF“ (Rundfunkgebührenermäßigung) festgestellt sind, begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „H“ (Hilflos).

Sie ist 1952 in Kasachstan geboren, hat dort 10 Jahre die Schule besucht und eine Ausbildung im Bereich Zement abgeschlossen. Nach der Geburt ihrer vier Kinder, wovon eines bei der Geburt verstarb, ist sie 1985 mit 33 Jahren zur Erzieherin umgeschult worden und hat bis 1991 in diesem Beruf gearbeitet. Seit 1991 lebt sie in der Bundesrepublik Deutschland, war bis zum Jahr 2000 in einer Metallfabrik tätig und bezog seitdem Rente wegen Erwerbsminderung. Seit 2018 steht sie im Bezug von Altersrente. Ihr vier Jahre älterer Ehemann erzielt noch Erwerbseinkommen, sie bewohnen eine Mietwohnung im zweiten Stock mit Aufzug (vgl. Anamnese H1).

Am 7. Dezember 1995 beantragte sie bei dem Versorgungsamt R1 (VA) erstmals die Feststellung des GdB, welches mit Bescheid vom 14. März 1996 wegen des Verlustes des Uterus und der linken Adnexe sowie Narbenadhäsionsbeschwerden einen GdB von unter 20 seit dem 7. Dezember 1995 feststellte.

Auf den Neufeststellungsantrag vom 8. Februar 1999 wurde mit Bescheid vom 15. April 1999 ein GdB von 30 seit dem 8. Februar 1999 (Vestibuläre Gleichgewichtsstörungen und Tinnitus links nach Hörsturz [Teil-GdB 20], Wirbelsäulensyndrom [Teil-GdB 20], arterielle Hypertonie [Teil-GdB 10), Verlust des Uterus [Teil-GdB 10]) festgestellt. Mit Teilabhilfebescheid vom 8. Juli 1999 stellte das VA einen GdB von 40 seit dem 8. Februar 1999 unter Berücksichtigung einer Schwerhörigkeit (Teil-GdB 20) fest. Den aufrechterhaltenen Widerspruch wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 1999 zurück.

Am 24. Oktober 2000 wurde zum zweiten Mal die Neufeststellung des GdB beantragt, woraufhin das VA mit Bescheid vom 9. April 2001 einen GdB von 50 seit dem 24. Oktober 2000 feststellte (Depression mit Fibromyalgiesyndrom [Teil-GdB 30], Gleichgewichtsstörungen/Schwerhörigkeit beidseits [Teil-GdB 30], degenerative Veränderungen der Wirbelsäule [Teil-GdB 20], Bluthochdruck [Teil-GdB 10], Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation [Teil-GdB 10]). Im Widerspruchsverfahren sah A1, nach Einholung eines weiteren Rehabilitationsentlassungsberichtes, versorgungsärztlich alle Behinderungen als erfasst und wohlwollend eingestuft an. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2001 zurück.

Bereits am 27. Februar 2002 wurde zum dritten Mal die Neufeststellung des GdB beantragt. Der Antrag blieb erfolglos (Bescheid des VA 11. Juli 2002).

Auf den vierten Neufeststellungsantrag vom 30. April 2004 stellte das VA mit Bescheid vom 30. September 2004 einen GdB von 80 seit dem 30. April 2004 (Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen [Teil-GdB 50], Depression/Fibromyalgiesyndrom [Teil-GdB 40], degenerative Veränderungen der Wirbelsäule [Teil-GdB 20], Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation [Teil-GdB 20], Bluthochdruck [Teil-GdB 10]) sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „RF“ fest.

Im fünften Neufeststellungsverfahren (Antrag vom 12. Oktober 2004) wurde neben der Erhöhung des GdB die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ beantragt. W1 hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Bewertung fest. Die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei nicht erheblich beeinträchtigt. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Vergabe des Merkzeichens „RF“, da die Hörstörung nicht allein den GdB von 50 begründe, sondern sich dieser nur im Zusammenwirken mit Tinnitus und Gleichgewichtsstörungen ergebe. Den Antrag lehnte das Landratsamt R1 (LRA) mit Bescheid vom 9. Juni 2005 ab. Im Widerspruchsverfahren wurde versorgungsärztlich dargelegt, dass bei vollkommen freier Kniegelenksbeweglichkeit und stabilem Bandapparat sowie ohne Anhalt auf relevante, das Gehvermögen limitierende Behinderungen das Merkzeichen nicht beansprucht werden könne. Der Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2005 zurückgewiesen.

Mit dem sechsten Neufeststellungsantrag vom 8. Mai 2006 wurden die Merkzeichen „G“ und „Gl“ (Gehörlos) beantragt, der Antrag mit Bescheid vom 18. August 2006 abgelehnt.

Im siebten Neufeststellungsverfahren (Antrag vom 22. März 2010) wurde erneut das Merkzeichen „G“ und zusätzlich die Merkzeichen „B“ und „H“ begehrt. D1 bewertete versorgungsärztlich zusätzlich eine Kniegelenksendoprothese (Knie-TEP) mit einem Teil-GdB von 30 und ein Bronchialasthma mit einem Teil-GdB von 20, sodass der Gesamt-GdB 100 betrage. Diesen stellte das LRA mit Bescheid vom 9. Juni 2010 ab dem 22. März 2010 fest, die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ wurde abgelehnt.

Im Widerspruchsverfahren hielt D1 versorgungsärztlich an der bisherigen Bewertung fest. Der Folgezustand nach Knie-TEP links sei mit einem Teil-GdB von 30 angemessen eingestuft. Eine GdB-relevante Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks nach Meniskus-OP sei nicht nachgewiesen. Die degenerativen Wirbelsäulenschäden im Lendenwirbelsäulen- LWS)-Bereich mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen seien mit einem Teil-GdB von 20 ausreichend bewertet. Ein GdB von 50 werde für die Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten und der LWS nicht erreicht. Gestützt hierauf wies das Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2010 zurück.

Den bereits am 9. Dezember 2010 erneut gestellten Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ lehnte das LRA mit Bescheid vom 14. Februar 2011 ab. Im Widerspruchsverfahren führte M1 versorgungsärztlich aus, dass bei der Klägerin eine Herzleistungsminderung mit Bluthochdruck bei Adipositas per magna bestehe. Bei gleichzeitig vorliegendem Bronchialasthma mit leichter Obstruktion, Knie-TEP links und Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenks könne sich die Klägerin maximal 500 Meter fortbewegen. Dem Widerspruch wurde mit Bescheid vom 10. Juni 2011 abgeholfen und das Merkzeichen „G“ ab 9. Dezember 2010 festgestellt.

Am 27. März 2012 beantragte die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „B“. Hierzu wies der Versorgungsarzt E1 darauf hin, dass das Wirbelsäulenleiden mit einem Teil-GdB von 20 ausreichend hoch bewertet sei. Eine Verschlimmerung des Asthmas bronchiale sei nicht erkennbar. Nach den hausärztlichen Angaben bestünden keine wesentlichen Residuen nach apoplektischem Insult 2007. Die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung sei nicht nachvollziehbar. Den Antrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 12. Juli 2012 ab.

Auf den erneuten Antrag vom 29. April 2013 und Vorlage unter anderem des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 4. April 2013 (empfohlene Pflegestufe: keine), verneinte W1 versorgungsärztlich eine wesentliche Änderung. Öffentliche Verkehrsmittel könnten ohne regelmäßige Begleitung genutzt werden. Den Antrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 30. August 2013 ab.

Der erneute Antrag vom 27. März 2014 blieb ebenfalls erfolglos (Bescheid vom 16. April 2015). Auf den weiteren Antrag vom 29. Juni 2016 sah M1 die Voraussetzungen nunmehr als gegeben an, sodass das LRA mit Bescheid vom 24. Januar 2017 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „B“ seit dem 29. Juni 2016 feststellte.

Am 15. Mai 2018 beantragte die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „aG“. Nachdem D1 versorgungsärztlich darlegte, dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin einer Beeinträchtigung nach § 229 Abs. 3 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nicht gleichkämen, lehnte das LRA den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2018 ab.
Mit dem Antrag vom 21. August 2019 – hier streitgegenständlich – wurde erneut die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „aG“ sowie des Merkzeichens „H“ beantragt.

Zur Akte gelangte der Entlassungsbericht des Klinikums Landkreis T1 über die stationäre Behandlung vom 6. bis 21. Juli 2019. Danach sei die Entzugstherapie erfolgreich gewesen. Die Klägerin habe deutlich klarer gewirkt, jedoch sei die Unruhe wieder mehr zur Geltung gekommen. Sie habe sehr von der multimodalen Schmerztherapie profitiert, insbesondere von Stoßwellentherapie, Neuraltherapie und Akupunktur. Den anfänglich noch benötigten Rollator habe die Klägerin zum Ende hin nicht mehr gebraucht.

Weiter wurde das Pflegegutachten des MDK vom 7. Juni 2018 vorgelegt, wonach ein Pflegegrad 3 seit dem 7. Mai 2018 empfohlen wurde. Danach lebe die Klägerin mit ihrem Ehemann zusammen, der tagsüber jedoch berufstätig und außer Haus sei. Zusätzliche Hilfen erhalte sie durch die Tochter und eine Nachbarin. Eine Präsenz der Pflegepersonen in Rufnähe am Tag wurde verneint. Während des Gesprächs seien starke Schmerzen „überall“ beklagt worden, die Atmung sei unauffällig gewesen. Beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe benötige die Klägerin Hilfe. Sie leide unter einer Blaseninkontinenz und wechsle mehrmals täglich ihre Vorlagen. Bei den Toilettengängen komme sie zurecht, bei der Intimhygiene nach dem Stuhlgang benötige sie zum Teil Hilfe. Den rechten Arm könne sie lediglich bis auf Schulterhöhe anheben, mit der rechten Hand weder den Nacken, noch das Gesäß endgradig erreichen. Links bestünden keine Einschränkungen. Sie könne beide Hände zur Faust schließen und gezielt greifen. Die Feinmotorik sei unauffällig, es bestünden jedoch teilweise Schwierigkeiten, Knöpfe zu öffnen und zu schließen.

Die Klägerin sei innerhalb und außerhalb der Wohnung am Rollator selbstständig mobil, könne kurze Wegstrecken von 200 Metern gehen. Treppen könne sie derzeit nur mit umfassender Hilfe besteigen. Im Bett liegend könne sie ihre Lage verändern und sich aus der liegenden Position aufrichten. Beim Aufstehen aus der sitzenden Position müsse sie sich abstützen und benötige Hilfe durch den Ehemann. Während der Begutachtung habe sie stabil auf der Couch gesessen und ihre Lage auch immer wieder verändert. In dieser Position habe sie die Füße erreicht.

Die Klägerin trage beidseits Hörgeräte, im Dialog gelinge die Kommunikation in Zimmerlautstärke gut. Zum Telefonieren nehme sie ihr Hörgerät heraus, sie könne das Hörgerät während der Begutachtung selbstständig herausnehmen und wieder einsetzen. Sie sei in allen Bereich orientiert, sie schreibe sich Termine auf und könne sie selbstständig einhalten. Im Vordergrund stehe eine depressive Stimmung, Antrieb und Lust seien gemindert. Bei der Selbstversorgung zeige sie jedoch Eigeninitiative. Sie gehe auch selbstständig aus dem Haus und halte Kontakt zu Nachbarn und Bekannten. Kleinere Einkäufe in naheliegenden Läden könne sie machen.
Der Versorgungsarzt H2 führte aus, dass die Klägerin nach dem Entlassungsbericht am Ende der stationären Behandlung den Rollator nicht mehr gebraucht habe. Das Gehvermögen sei damit nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Bei der Körperpflege bestehe noch eine überwiegende Selbstständigkeit. Nur bei manchen Verrichtungen sei im Alltag bei der Selbstversorgung auch mehrmals täglich eine gezielte Hilfeleistung notwendig. Unter gezielter Schmerztherapie sei eine Besserung möglich gewesen.

Mit Bescheid vom 5. November 2019 lehnte das LRA gestützt darauf den Antrag ab.

Im Widerspruchsverfahren holte das LRA den Befundschein des H3 ein. Dieser beschrieb ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren. Die Klägerin sei ohne Rollator und Gehstöcke gehfähig, über die genaue Gehstrecke könne er derzeit keine Angaben machen. Beeinträchtigt sei sie weiter durch ein chronisches LWS-Syndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in beide Beine sowie durch die Gonarthrose links. Ein aktueller Kniebefund liege ihm nicht vor, die Klägerin gebe an, dass eine weitere Operation geplant sei. Es bestehe eine koronare Herzkrankheit mit formal koronarer Ein-Gefäß-Erkrankung, an den großen Gefäßen, für eine Intervention nicht geeignet. Geklagt werde über einen chronisch ungerichteten Schwindel, eine genauere Untersuchung hierzu sei in der letzten Zeit nicht erfolgt. Hinsichtlich der Fibromyalgie zeige sich eine massive Schmerzverarbeitungsstörung.

Z1 legte versorgungsärztlich da, dass bei Pflegegrad 3 und einer Punktzahl <50 für die Module 1+2+4+6 die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ fehlten. Dauernde fremde Hilfe für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sei nicht erforderlich. Die Klägerin sei ohne Hilfsmittel mobil, eine außergewöhnliche Einschränkung des Gehvermögens bereits vom ersten Schritt an und nur mit fremder Hilfe bestehe nicht.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2020 zurück. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die Klägerin nicht hilflos sei. Dem MDK-Gutachten lasse sich entnehmen, dass bei der Körperpflege noch überwiegende Selbstständigkeit bestehe. Bei manchen Verrichtungen sei im Alltag bei der Selbstversorgung auch mehrmals täglich eine gezielte Hilfeleistung notwendig. Das Merkzeichen „H“ könne in der Regel erst ab einem Pflegegrad von 4 oder 5 festgestellt werden, der bei der Klägerin nicht bestehe. Das Merkzeichen „aG“ können nicht beansprucht werden, da eine außergewöhnliche Gehbehinderung, die einen GdB von mindestens 80 bedinge, durch die Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und der Fortbewegung nicht bestehe. Die festgestellten Funktionsstörungen führten nicht dazu, dass sich die Klägerin dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeug bewegen könne oder aus medizinischer Notwendigkeit – auch für sehr kurze Entfernungen – auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sei. Nach dem MDK-Gutachten sei die Klägerin innerhalb und außerhalb der Wohnung am Rollator selbstständig mobil, die Wegstrecke auf 200 Meter limitiert. H3 habe mitgeteilt, dass die Klägerin ohne Rollator und Gehstöcke mobil sei, eine genaue Gehstrecke habe er nicht angeben können. Das Gehvermögen sei zwar beeinträchtigt, jedoch könne sie sich mit Hilfsmitteln (Rollator) selbstständig fortbewegen. Die Gehfähigkeit sei damit nicht auf das Schwerste eingeschränkt.

Am 27. November 2020 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und den Entlassungsbericht der Sportklinik S1 über die stationäre Behandlung vom 31. März bis 7. April 2021 vorgelegt. Bei therapieresistentem Knieschmerz nach Knie-TEP sei eine operative Revision erfolgt. Bei reizlosen Wundverhältnissen sei die Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung erfolgt. Die Beweglichkeit am Entlasstag habe für Extension/Flexion 0-0-80° betragen, zur Sicherung des postoperativen Therapieergebnisses und der Gewährleistung einer dauerhaften Beschwerdefreiheit bestehe die Indikation zu einer postoperativen Rehabilitationsmaßnahme.

Weiter hat sie den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H4 über die stationäre Rehabilitation vom 21. Januar bis 10. Februar 2021 vorgelegt. Danach hätten sich die Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft gezeigt. Pathologische Reflexe hätten keine bestanden, ebenso keine Störungen der Oberflächensensibilität und keine Paresen. Das Zeichen nach Lasèque sei beidseits negativ. Psychisch habe eine freundlich zugewandte Stimmungslage bei allseitiger Orientierung bestanden. Wahrnehmungs- und Denkstörungen zeigten sich keine. Das Aus- und Ankleiden sowie das Hinlegen und Wiederaufrichten von der Untersuchungsliege sei regelrecht.

Die Beweglichkeit der rechten Schulter sei eingeschränkt, ansonsten seien die übrigen Gelenke der oberen Extremitäten funktionell frei. An den unteren Extremitäten zeigten sich die Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ebenfalls funktionell frei. Es bestehe ein Druckschmerz über den Zehengelenken, der Fersen- und Einbeinstand sei unsicher, die tiefe Hocke nur bis zur Hälfte durchführbar. Die Zeichen nach Ott und Schober hätten bei 34 cm und 13,5 cm gelegen, der Finger-Boden-Abstand (FBA) bei 28 cm.

Bei Entlassung sei eine Gehstrecke von 300 Metern angegeben worden, das Treppensteigen sei mit Festhalten gut möglich gewesen. An der rechten Schulter habe sich eine gut verheilte OP-Narbe nach Rotatorenmanschettenoperation gezeigt. Die Abduktion der Schulterbeweglichkeit sei bis 90° möglich, die Abduktion bis 70°. Am linken Kniegelenk zeige sich eine gut verheilte OP-Narbe, die Beweglichkeit liege bei 0-0-120°.

Das Pflegegutachten vom 16. Februar 2021 empfahl einen Pflegegrad 3 seit dem 1. Mai 2018. Im strukturierten Telefoninterview habe die Klägerin angegeben, dass sie innerhalb der Wohnung nunmehr ständig den Rollator benutze. Beim Aufsuchen und Verlassen des Bettes benötige sie professionelle Hilfe. Treppensteigen gelinge nur im Nachstellschritt und mit zusätzlichem Stützen. Die Klägerin sei bewusstseinsklar und allseits orientiert. Das Langzeitgedächtnis sei erhalten, das Kurzzeitgedächtnis ausreichend gegeben. Sie benötige gleichbleibende Strukturen im Tagesverlauf und komme mit Veränderungen nicht gut zurecht. Mehrschrittige Handlungsabläufe könnten kognitiv selbstständig gesteuert, Risiken und Gefahren abgeschätzt werden. Tagsüber könne sie in Abwesenheit des Ehemanns mehrere Stunden alleine in der Wohnung bleiben, sich mit Lesen und Fernsehen selbst beschäftigen. Eine Antriebslosigkeit liege nicht vor.

Der Beklagte ist der Klage unter Vorlage der Stellungnahme der Versorgungsärztin G1 entgegengetreten. Danach werde im Rehabilitationsentlassungsbericht eine Gehfähigkeit von 300 Meter beschrieben, im Pflegegutachten von 2018 von 200 Meter. Das Pflegegutachten von Februar 2021 führe im Hinblick auf die Einschätzung des Gehvermögens nicht weiter, da es aufgrund eines Telefoninterviews erfolgt und deshalb keine Beobachtung des Gangbilds möglich gewesen sei. Neurologische Ausfallerscheinungen als Folge des Apoplexes 7/2014 würden im Rehabilitationsentlassungsbericht nicht aufgeführt, ein Teil-GdB von 80 bezogen auf die Mobilität liege nicht vor.

Zur Akte gelangte weiter der Bericht der Sportklinik S1 über die Befundkontrolle vom 17. August 2021 nach Revisions-Operation. Am linken Knie hätten sich reizlose Narbenverhältnisse ohne Hinweis auf einen Infekt, eine Rötung oder eine Überwärmung gezeigt. Die Extension/Flexion sei mit 0-0-110° möglich gewesen, im Seitenvergleich zeige sich eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur. Im Röntgen bestehe kein Hinweis auf eine Lockerung der Knie-TEP.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des B1, Sportklinik S1, aufgrund ambulanter Untersuchung vom 28. Juli 2022 erhoben. Diesem gegenüber hat die Klägerin angegeben, in ihrer Mobilität ausgeprägt eingeschränkt zu sein. Sie komme im täglichen Leben sowie bei der Verrichtung ihres Alltags nicht ohne Hilfe zurecht. Regelhaft benötige sie Hilfe bei Einkäufen, dem Reinigen der Wohnung, beim Kochen und beim Ankleiden. Der Toilettengang sei ohne Hilfe nicht mehr möglich, es bestehe zusätzlich eine ausgeprägte Harninkontinenz. Auch für die Körperpflege benötige sie fremde Hilfe.

Bei der Begutachtung habe sich ein adipöser Ernährungszustand gezeigt, die Klägerin wiege bei einer Größe von 1,62 Meter 95 kg. Die Untersuchungsräume seien am Rollator mit kleinschrittigem Gangbild betreten worden. Das Ablegen der Kleidung sei mit Hilfe der Tochter und deutlich erschwert erfolgt. Es könne mit beiden Händen gegriffen werden, Schwierigkeiten bestünden beim Öffnen und Schließen von Knöpfen. Weiterhin zeige sich ein ausgeprägter Tremor beider Hände. Ein sicherer Stand sei ohne Hilfsmittel nicht möglich.

Im Bereich der rechten Schulter finde sich eine reizlose Narbe bei Zustand nach Implantation einer Schulterendoprothese, die Beweglichkeit betrage aktiv wie passiv für die Abduktion/Adduktion 110-3-30°, für die Anteversion/Retroversion 130-0-40°. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität seien im Bereich der oberen Extremitäten im Wesentlichen unauffällig. Die Wirbelsäule zeige eine weitestgehend lotrechte Stellung mit angedeuteter skoliotischer Fehlhaltung sowie eine deutliche Hyperkyphosierung der BWS.

Die Narbe am linken Kniegelenk sei reizlos, es finde sich eine mäßig ausgeprägte Druckschmerzhaftigkeit. Die Extension/Flexion sei aktiv wie passiv mit 0-0-110° möglich. Die schmerzfreie Gehstrecke werde mit 0 Meter angegeben, beschrieben werde ein Instabilitätsgefühl im linken Knie, eine Kompressionsbandage werde dauerhaft getragen. Es werde dreimal täglich Ibuprofen 600 mg eingenommen. Im Röntgen habe sich ein unveränderter Befund gegenüber den Vorbefunden gezeigt.

Die Bewegungseinschränkungen der LWS seien mit einem Teil-GdB von 20, die der rechten Schulter bei einliegender Schultergelenksendoprothese mit einem Teil-GdB von 30 und die Knie-TEP links mit einem Teil-GdB von 60 zu bewerten. Den Gesamt-GdB schätze er auf 70. Wegen der Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk sei die Klägerin innerhalb der Wohnung dauerhaft auf einen Rollator angewiesen, außerhalb der Wohnung für große Teile der Zeit auch auf einen Rollstuhl. Die Klägerin sei nicht in der Lage, ohne fremde Hilfe ihre Kleidung selbstständig an- oder abzulegen, die notwendige körperliche Grundhygiene einzuhalten, eine Mahlzeit selbstständig zuzubereiten oder einzunehmen oder den Toilettengang selbstständig durchzuführen. Hilflosigkeit sei daher gegeben. Eine Begutachtung auf dem Fachgebiet der Psychiatrie, Neurologie sowie innere Medizin sei zielführend.

Anschließend hat das SG das psychiatrische Sachverständigengutachten der H1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 28. November 2022 erhoben. Dieser gegenüber hat die Klägerin angegeben, dass sie nachts aufgrund der erheblichen Schmerzen kaum einschlafen könne. Gegen sechs Uhr stehe sie auf, messe Blutdruck und nehme ihre Tabletten. Danach beschäftige sie sich mit Lesen. Einmal pro Woche habe sie eine Haushaltshilfe, einmal pro Woche komme der Pflegedienst und stelle die Tabletten zusammen. Das Duschen und Baden sei nur mit dem Ehemann möglich, dieser führe auch häufig Massagen durch oder bringe die Fentanyl-Pflaster an. Abends werde gekocht, dann verbringe man den Abend auf dem Sofa. Meistens lese sie noch auf dem Sofa und schlafe dabei ein. Mit dem Ehemann wechsele sie dann später ins Bett. Schlafen sei wegen der Schmerzen erst ab 2 Uhr nachts möglich. Die Blaseninkontinenz bestehe seit einer Totaloperation 1995. Da sie an einer Schlafapnoe leide, müsse sie seit 10 Jahren nachts mit einer CPAP-Maske schlafen. Depressionen habe sie schon in ihrer Kindheit gehabt, damals sei aber keine Behandlung erfolgt. Im Laufe der Jahre seien immer mehr körperliche Erkrankungen hinzugekommen, beispielsweise die Beschwerden im Knie mit vielfachen Operationen. Sie sei Rechtshänder, nun sei die Armfunktion eingeschränkt. Das Heben über die Horizontale oder der Schürzengriff seien mit dem Arm nicht mehr möglich. Sie benutze einen Rollator, wegen ihrer Schmerzen in der rechten Schulter sei das Fortkommen mit dem Stock nicht möglich. Mit dem Rollator sei das Parken sehr schwierig, sie habe immer wieder Probleme deswegen und strebe daher das Kennzeichen „H“ an, um überhaupt einkaufen zu können.

Neurologisch habe sich ein beidseitiger, eher grober Haltetremor der Hände gezeigt, ansonsten eine Blaseninkontinenz, Kribbelparästhesien im Bereich der Fußsohlen beidseits und insbesondere der Zehen beidseits im Rahmen der vorbekannten Polyneuropathie. Das Gangbild sei schmerzbedingt stark eingeschränkt, die Beweglichkeit des rechten Arms ebenfalls. Das Heben über die Horizontale und der Schürzengriff seien nicht möglich.

Psychopathologisch sei die Klägerin wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten voll orientiert gewesen. Sie habe mit Hilfe einer Bekannten die Untersuchungsräumlichkeiten im zweiten Stock erreicht. Während der Untersuchung wirke sie stark belastet. Die Antriebslage sei reduziert mit Rückzug und ausgiebiger Lustlosigkeit. Im Affekt sei sie schwer depressiv niedergestimmt, weinerlich mit eingeschränkter Modulationsfähigkeit. Die Psychomotorik sei schmerzbedingt durch die multiplen orthopädischen Erkrankungen eingeschränkt. Die Vitalgefühle seien durch die Ganzkörperschmerzen beeinträchtigt, der Schlaf ebenso. Die kognitiven Funktionen seien regelrecht, der Gedächtniszugriff leicht reduziert. Es bestünden keine inhaltlichen Denkstörungen im Sinne von Halluzinationen, Ich-Störungen oder paranoidem Erleben. Im formalen Gedankengang sei die Klägerin geordnet, grüblerisch eingeengt mit Zukunftsängsten.

Der aktuelle psychopathologische Befund zeige einen ausgiebigen somatischen Schmerzvortrag mit seit Jahrzehnten bekanntem Ganzkörperschmerz bei einer Vielzahl orthopädischer Erkrankungen und operativ behandelter Gelenkprobleme. Darüber hinaus bestehe ein antriebsarm-depressives Syndrom mit einer niedergedrückten Stimmung und Einschränkungen der Schwingungsfähigkeit, Antriebsmangel, Lustlosigkeit, Insuffizienzgedanken sowie Grübelneigung, vereinbar mit der vordiagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode. Außerdem liege eine somatoforme Schmerzstörung vor, der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), wie vordiagnostiziert, habe nicht erhärtet werden können.

Die Klägerin benötige täglich mindestens einmal beim Duschen bzw. Baden und Ankleiden Hilfe durch den Ehemann. Die Nahrungsaufnahme, das Trinken und das Verrichten der Notdurft gelängen weitgehend selbstständig. In ihrer Bewegung sei sie auf einen geringen Radius rund um ihre Wohnumgebung eingeschränkt. Das Erreichen eines weiter weg liegenden Ziels, wie beispielsweise der Praxis um zweiten Stock, gelinge nur mit Hilfe. Die Zuordnung zum Merkzeichen „H“ sei grenzwertig. Wende man die Kriterien streng an, müsse die Hilflosigkeit verneint werden, da weite Teile des Tagesablaufs selbstständig möglich seien, ebenso die Kommunikation. Eine Blindheit könne ausgeschlossen werden, da die Klägerin mit einer Brille lesen könne, auch eine Querschnittslähmung liege nicht vor und auch keine Hirnschädigung mit Anfallsleiden.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. März 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei zwar in ihrer Mobilität eingeschränkt, die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung erreiche aber keinen GdB von 80. Am linken Kniegelenk hätten sich zuletzt bei B1 keine Zeichen einer Lockerung der Prothese ergeben und die Beweglichkeit für Extension/Flexion habe bei 0-0-110° gelegen. Reizerscheinungen seien nicht berichtet worden, nur ein Druckschmerz. Es könne von einer suboptimalen Versorgungsqualität der Knie-TEP ausgegangen werden, die bestehende Bewegungseinschränkung für sich bedinge noch keinen GdB. Ob die Instabilität zu objektivieren sei, bleibe unklar. Entgegen der Einschätzung des B1 komme ein höherer Teil-GdB als 30 nicht in Betracht. Eine Beeinträchtigung der Mobilität könne nicht durch die Wirbelsäulenbeschwerden angenommen werden. Es bestünden zwar degenerative Veränderungen, indessen seien weder neurologische noch motorische Ausfallerscheinungen beschrieben. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt führten zu einem Teil-GdB von 20. Die Kribbelparästhesien aufgrund der Polyneuropathie könnten mit keinem höheren Teil-GdB als 10 bewertet werden. Eine schwere Herzleistungsminderung sei ebenso wenig nachgewiesen, wie eine schwere Lungenfunktionseinschränkung.

Ein mobilitätsbezogener GdB von 80 werde nicht erreicht, darüber hinaus habe die Kammer Zweifel an einer erheblichen Einschränkung der Gehfähigkeit. Dem Bericht über die Schmerzbehandlung in T1 2019 sei zu entnehmen, dass die Klägerin am Ende den Rollator nicht mehr benötigt habe. Aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht 2021 folge, dass die Klägerin ohne Rollator 300 Meter gehen könne. Angesichts dieser Angaben sei nicht von einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung auszugehen. Es lägen keine validierten, objektivieren Befunde vor, die dies nachwiesen. B1 stütze sich allein auf die Angaben der Klägerin, die angesichts der Angaben in den Entlassungsberichten nicht konsistent seien.

Ein Hilfebedarf, der die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ begründen könne, sei nicht gegeben. Soweit die Klägerin sich im Rahmen der Begutachtung bei B1 sehr hilflos im eigentlichen Wortsinn präsentiert habe, werde das in dem Rehabilitationsentlassungsbericht nicht bestätigt. Dort sei ihr das Aus- und Ankleiden sowie das Hinlegen und Wiederaufrichten von der Untersuchungsliege regelrecht gelungen. Die Sachverständige H1 habe das Vorliegen von Hilflosigkeit ebenfalls verneint und ausgeführt, dass die Klägerin gelegentlich Hilfe benötige und eingeschränkt mobil sei. Dies sei schon deshalb nachvollziehbar, da der Ehemann bislang noch vollschichtig berufstätig und die Klägerin tagsüber alleine gewesen sei. Die zahlreichen stationären Aufenthalte seien allein bewältigt worden, ohne dass sich ein Hinweis auf einen gesteigerten Hilfebedarf oder gar die Erforderlichkeit einer Pflegeperson ergeben habe.

Am 27. April 2023 hat die Klägerin Berufung beim SG eingelegt. Sie begehre das Merkzeichen „aG“ nicht allein wegen ihrer Kniebeschwerden, sondern sie sei auch sonst in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Seit der letzten Rehabilitation könne sie sich mit ihrem Rollator circa 100 Meter ohne fremde Hilfe fortbewegen. Zum Aufstehen aus dem Bett benötige sie bereits am Morgen fremde Hilfe. Das SG habe alte Angaben des MDK zu Grunde gelegt, ohne sie persönlich anzuhören oder eventuelle Unstimmigkeiten aufzuklären. Sie habe eine Pflegehelferin, die täglich zu ihr komme und ihr bei verschiedensten Bedürfnissen Hilfe leiste. Ihr Ehemann sei zwar im Rentenalter, gehe jedoch einer Beschäftigung nach und pflege sie sowohl tagsüber als auch nachts. Zuletzt hat sie einen Pflegebericht über den Tagesablauf vorgelegt sowie einen Pflegebericht über die Haushaltshilfe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. März 2023 sowie den Bescheid vom 5. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „aG“ und „H“ seit dem 21. August 2019 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Zur Senatsakte gelangt ist der Entlassungsbericht der Geriatrischen Rehabilitationsklinik T2 über die stationäre Behandlung vom 23. März bis 12. April 2023. Bei Aufnahme habe sich die Kraft orientierend rechts vermindert gezeigt, fokal neurologische Defizite hätten keine bestanden. Die Sensibilität sei als seitengleich angegeben worden. Stehfähigkeit bestehe ohne Hilfe, die Gehfähigkeit mit leichter Unterstützung betrage wenige Schritte auf Zimmerebene. An der Wirbelsäule habe sich kein Klopfschmerz gezeigt, die Beweglichkeit sei altersentsprechend endgradig eingeschränkt. Die untere Extremität sei aktiv und passiv altersentsprechend frei beweglich gewesen. An der linken Schulter zeige sich eine altersentsprechende, an der rechten eine eingeschränkte Beweglichkeit. Psychisch sei die Klägerin bei klarem Bewusstsein, zu allen Qualitäten größtenteils orientiert und ohne Auffälligkeiten im formalen Denkablauf. Die Stimmung sei depressiv, die Wahrnehmung normal. Im geriatrischen Assessment habe der Barthel-Index (Score zur Erfassung grundlegender Alltagsfunktionen, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, S. 229) bei Aufnahme 70 betragen, aktuell 85. Im Abschlussbefund sei das Treppensteigen über 20 Stufen möglich, die Gehstrecke mit Rollator betrage mehr als 100 Meter. Die Beweglichkeit der rechten Schulter sowie des linken Knies sei eingeschränkt. Die Klägerin kehre in das häusliche Umfeld zurück, eine Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst bestehe, auch Unterstützung durch Angehörige. Pflegegrad 3 sei anerkannt.

Die Klägerin habe im Verlauf durch das an die aktuellen Fähigkeiten angepasste Übungsprogramm profitieren können. Die Kognitionstestungen hätten eine normale Kognition ergeben. Zum Entlassungszeitpunkt hätten sich die meisten Assessments gebessert. Es sei ihr möglich gewesen, 100 Meter am Rollator ohne Laienhilfe zu gehen. Das Treppensteigen sei über 20 Stufen möglich, pflegerisch sei Unterstützung beim Duschen/Baden erforderlich. Einer Unterstützung bei den Mahlzeiten habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe Strecken von mehr als 100 Metern am Rollator sicher auch im Freien bewältigen können. Innerhalb des Zimmers gehe sie ohne Hilfsmittel. Transfer und Lagewechsel könne sie selbst ausführen. Trotz der motorisch sehr guten Leistung sei über Schmerzen im ganzen Körper geklagt worden.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 
143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 22. März 2023, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „aG“ und „H“ unter Aufhebung des Bescheides vom 5. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 29. Oktober 2020 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 5. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats hat das SG zu Recht die auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „aG“ und „H“ gerichtete Klage abgewiesen, sodass der Senat nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Richtigkeit der Entscheidung des SG ist durch den im Berufungsverfahren vorgelegten Entlassungsbericht über den stationären geriatrischen Aufenthalt nochmals unterstrichen worden.


Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „aG“ ist § 152 Abs. 4 SGB IX. Dieser bestimmt, dass wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 treffen. Zu diesen Merkmalen gehört das im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in den Schwerbehindertenausweis einzutragende Merkzeichen „aG“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung).

§ 229 Abs. 3 SGB IX enthält nunmehr die Legaldefinition des Nachteilsausgleichs „außergewöhnlich gehbehindert“, die zuvor aufgrund Artikel 3 Nr. 13 des Gesetzes zur Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016) seit 30. Dezember 2016 in § 146 Abs. 3 SGB IX enthalten war. Nach § 229 Abs. 3 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht (Satz 1). Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (Satz 2). Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind (Satz 3). Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Satz 4). Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt (Satz 5).

Nach der Gesetzesbegründung (vgl.
BT-Drucks. 18/9522 zu Nr. 13 [§146] S. 318) kann beispielsweise bei folgenden Beeinträchtigungen eine solche Schwere erreicht werden, dass eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vorliegt: zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen, oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung), einem Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder einem Funktionsverlust eines Beines ab Oberschenkelhöhe ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung (insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten), schwerster Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV), schwersten Gefäßerkrankungen (insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV), Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades und einer schwersten Beeinträchtigung bei metastasierendem Tumorleiden (mit starker Auszehrung und fortschreitendem Kräfteverfall).

§ 229 Abs. 3 SGB IX normiert mehrere (kumulative) Voraussetzungen: Zunächst muss bei dem Betroffenen eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen; diese muss einem GdB von mindestens 80 entsprechen. Darüber hinaus muss die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung auch erheblich sein. Mit der Bezugnahme auf mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen wollte sich der Gesetzgeber von der Einengung auf orthopädische Gesundheitsstörungen lösen, so dass „keine Fallgestaltung von vornherein bevorzugt oder ausgeschlossen wird, auch nicht dem Anschein nach“ (BT-Drs. 18/9522, S. 318). Trotz dieser Ausweitung übernimmt die Neuregelung den bewährten Grundsatz, dass das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf und verlangt daher auf der zweiten Prüfungsstufe einen – relativ hohen – GdB von wenigstens 80 für die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung. Dabei ist an den tatsächlich zuerkannten GdB anzuknüpfen (vgl. Senatsurteil vom 3. August 2017 – L 6 SB 3654/16 – n. v.).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin in mehrfacher Hinsicht nicht. Zum einen liegt bei ihr schon kein mobilitätsbezogener GdB von wenigstens 80 vor. Ein solcher ergibt sich weder aus den bisherigen Feststellungen des Beklagten und auch nicht aus den gegenwärtig bestehenden Funktionseinschränkungen. Darauf, dass bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 100 festgestellt ist, kommt es für die die Zuerkennung des Merkzeichens nicht an. Der Beklagte hat bei seiner Bewertung des GdB bislang die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20 und die Knie-TEP mit einem Teil-GdB von 30 bewertet, woraus ein mobilitätsbezogener GdB von 80 nicht folgt. Einen solchen hat der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gehörte Sachverständige B1 ebenfalls nicht gesehen, sondern diesen auch nur mit 70 eingeschätzt. Unabhängig davon korrespondieren dessen Ausführungen nicht mit den Bewertungsvorgaben der VG, wie das SG bereits zutreffend dargelegt hat, sodass ihnen nicht gefolgt werden kann. Der von ihm postulierte Teil-GdB von 60 für die Kniebeschwerden wird von den VG in keiner Weise getragen, vielmehr sind selbst stärkergradige Bewegungseinschränkungen beidseits (Streckung/Beugung 0-30-90°) nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 nur mit einem GdB von 50 zu bewerten. Ein GdB von 60 entspricht einem Verlust des Beines im Unterschenkel bei ungenügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke. Ein dem auch nur annähernd vergleichbarer Zustand besteht bei der Klägerin nicht. Vielmehr ist die Beweglichkeit des linken Kniegelenks mehrfach, zuletzt durch B1 selbst, mit wenigstens 0-0-110° befundet worden, was nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 einer nicht einmal geringgradigen Bewegungseinschränkung entspricht (Streckung/Beugung nur bis 0-0-90°). Die einseitige Knie-TEP führt nach VG, Teil B, Nr. 18.12 nur zu einem Teil-GdB von 20. Selbst wenn mit der versorgungsärztlichen Einschätzung eine nicht optimale Versorgungsqualität angenommen wird, rechtfertigt dies jedenfalls keinen höheren Teil-GdB als 30, wie das SG ebenfalls dargelegt hat.

Die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule hat B1 selbst nur mit einem Teil-GdB von 20 bewertet, wobei schon fraglich bleibt, auf welchen Befund er diese Einschätzung, die nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 mittelgradigen Funktionseinschränkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt entspricht, stützt. Jedenfalls hinsichtlich der LWS entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht der Klinik H4 ein Zeichen nach Schober von 10:13,5 cm und damit keine wenigstens hälftige Einschränkung (Norm: 10:15 cm), einen abweichenden Befund hat B1 nicht erhoben. Neurologische Ausfallerscheinungen sind nicht objektiviert, auch nicht infolge des wohl stattgehabten Apoplexes, wie die Versorgungsärztin G1 überzeugend herausgestellt hat.

Soweit die Klägerin Schulterbeschwerden geltend macht, stehen diese schon in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem mobilitätsbezogenen GdB. B1 hat aber auch eine mögliche Anteversion/Retroversion von 130-0-40° befundet und damit keine Funktionseinschränkungen in einem nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 GdB-relevanten Ausmaß. Den Schweregrad hat er korrespondierend hierzu als leicht eingeschätzt und seine GdB-Bewertung ist lediglich der endoprothetischen Versorgung (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.12) geschuldet, durch die die Beweglichkeit aber nicht relevant einschränkt wird.

Daneben ist nicht objektiviert, dass sich die Klägerin nur mit großer Mühe außerhalb des Kraftfahrzeuges bewegen könnte oder für nur sehr kurze Strecken auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen ist. Das SG hat nämlich zu Recht herausgestellt, dass nach dem Entlassungsbericht des Klinikums Landkreis T1 am Ende der Behandlung die Nutzung eines Rollators als nicht mehr notwendig beschrieben worden ist. Damit einhergehend hat H3 in seinem Befundbericht im Widerspruchsverfahren die Klägerin als ohne Rollator und Gehstöcke gehfähig beschrieben hat. Ferner weist der Entlassungsbericht der
Rehabilitationsklinik H4 eine Gehstrecke von sogar 300 Metern aus und beschreibt das Treppensteigen als gut möglich. Insbesondere letzteres ist mit einer schweren Einschränkung des Gehvermögens in keiner Weise vereinbar. Nachdem die Feststellung des Merkzeichens seit 2019 streitig ist, hat das SG zu Recht die Verlaufsberichte herangezogen und ausgewertet und sich nicht, wie die Klägerin glauben machen will, zu Unrecht nur auf veraltete Befunde bezogen. Dies gilt im Übrigen auch schon deshalb nicht, da sich die Befunde durch die eingeholten Sachverständigengutachten bestätigt haben. Auf die mit den Bewertungsvorgaben der VG nicht vereinbaren Ausführungen des B1 kommt es nicht entscheidungserheblich an, da es sich um eine rechtliche Bewertung handelt, die nicht dem Sachverständigen obliegt, abgesehen davon, dass dieser einen mobilitätsbezogenen GdB von 80 ebenfalls nicht bestätigt hat.

Nichts Anderes folgt aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Entlassungsbericht über die geriatrische stationäre Behandlung. Aus diesem ergibt sich vielmehr, dass die Gehfähigkeit der Klägerin auch im Freien am Rollator bei mehr als 100 Metern liegt und das Treppensteigen über 20 Stufen möglich ist. Innerhalb des Zimmers wird sogar ein Gehen ohne Hilfsmittel beschrieben, was die im Pflegeverfahren behaupteten Einschränkungen eindrucksvoll und fachkundig widerlegt. Ein auf das schwerste eingeschränkte Gehvermögen besteht damit auch weiterhin hin nicht. Ferner sind Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet, die sich relevant auf das Gehvermögen auswirken, zuletzt von der Klinik ebenfalls nicht objektiviert worden.

Ebenso liegen die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „H“ nicht vor.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens „H“ ist § 152 Abs. 4 SGB IX i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Danach treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Im Ausweis ist auf der Rückseite das Merkzeichen „H“ einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b des EStG oder entsprechender Vorschriften ist. § 33b Abs. 3 Satz 4 EStG bestimmt, dass hilflos eine Person ist, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 4 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist, § 33b Abs. 3 Satz 5 EStG.

Der Gesetzgeber hat sich dabei bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt, sondern wollte vielmehr deutlich machen, dass die steuer- und versorgungsrechtlich bedeutsame Hilflosigkeit von der versicherungs- und sozialhilferechtlich bedeutsamen Pflegebedürftigkeit unabhängig bleibt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris, Rz. 12). Die Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei ist § 35 BVG seit seinem Inkrafttreten mehrfach neu gefasst worden, ohne dass sich der Maßstab für den Begriff „hilflos“ dadurch geändert hat (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 17).

Der in § 35 BVG geforderte Hilfebedarf liegt in jedem Falle dann vor, wenn sein Umfang mindestens zwei Stunden täglich erreicht. Ebenso wenig wie für den Begriff der Hilflosigkeit setzt das Gesetz eine zeitliche Grenze, von der an ein Pflegebedarf „außergewöhnlich“ ist. Ein solcher Grenzwert lässt sich jedoch aus der Gesetzgebungsgeschichte verbunden mit einem Blick auf die soziale Pflegeversicherung bestimmen. Das dort entwickelte und seit langer Zeit angewendete und bewährte System zur Quantifizierung des Pflegebedarfs ist auf das BVG zu übertragen und der „Umfang der notwendigen Pflege“ in erster Linie an dem täglichen Zeitaufwand für die notwendigen Betreuungsleistungen zu messen. Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, erscheint es geboten, nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen, sondern auch den weiteren Umständen der Hilfeleistung insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert Bedeutung beizumessen. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2006 – B 9a V 9/05 R –, juris, Rz. 11 ff.).

Zu den zu berücksichtigenden Verpflichtungen zählen zunächst die von der Pflegeversicherung in § 14 Abs. 4 SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (aF) genannten Verrichtungen in den Bereichen Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Nicht umfasst werden indessen die hauswirtschaftliche Versorgung (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 SGB XI [a. F.] – vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 1997 – 9 RV 19/95), während Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zur Interaktion) zusätzlich zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 18; BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/91 –, juris, Rz. 19).
Letzteres ist durch § 45a Abs. 1 SGB XI (a. F.) im Übrigen auch berücksichtigt worden. Dieser bestimmte, dass Leistungen nach diesem Abschnitt Pflegebedürftige in häuslicher Pflege betrafen, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben war. Dies waren Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III (Nr. 1) sowie Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung hatten, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreichte (Nr. 2), mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. § 45a SGB XI (a. F.) hat damit einen nicht speziell verrichtungsbezogenen, deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs nach § 14 SGB XI (a. F.) nicht zu berücksichtigenden allgemeinen Pflegebedarf umfasst (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Januar 2011 – L 5 P 36/10 –, juris, Rz. 14) und damit ebenso einen Betreuungsbedarf berücksichtigt.

Wiederkehrende Hilfe bei einer Reihe von Verrichtungen kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt. Daneben ist ein Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich. Dies richtet sich nach dem Verhältnis der dem Beschädigten ohne fremde Hilfe nicht mehr möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe noch bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris, Rz. 14). Die Erheblichkeit des Hilfebedarfs ist in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos ist derjenige, der nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilfslosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr ist ein Zeitaufwand erst dann hinreichend, wenn er mindestens zwei Stunden erreicht. Diese Grenzziehung soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen. Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit und der Hilflosigkeit nicht völlig übereinstimmen (vgl. oben), können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung (§§ 14, 15 SGB XI [a. F.]) nur als gewisse Orientierungspunkte dienen. Immerhin decken sich die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereich insoweit, als es die sogenannte Grundpflege betrifft. Im Rahmen des § 35 BVG kommen noch die Bereiche der geistigen Anregung und Kommunikation hinzu, außerdem sind hier auch Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird, als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die – vormalige – Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 24 ff.).

Nachdem das EStG weiterhin den Begriff der Hilflosigkeit verwendet und nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit anknüpft, ergeben sich keine Änderungen im Prüfungsmaßstab daraus, dass durch die Neufassung des § 14 SGB XI zum 1. Januar 2017 der Begriff der Pflegebedürftigkeit gänzlich neu gefasst worden ist und der Pflegegrad im Gegensatz zur vorherigen Pflegestufe nicht mehr anhand von zeitlichen Mindestanforderungen zu bewerten ist, sondern die qualitativen Mindestanforderungen gänzlich neu geregelt worden sind. Dementsprechend konnte und kann aus der Bejahung von Hilflosigkeit nicht auf Pflegebedürftigkeit geschlossen werden und folglich auch nicht umgekehrt. Dass mit dem ab 1. Januar 2024 geltenden § 72 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) im sozialen Entschädigungsrecht der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff des SGB XI ausdrücklich zum Maßstab gemacht wird und es eine dem § 35 BVG entsprechende Regelung dann nicht mehr gibt (vgl. zu Vorstehendem insgesamt: Meßling, in: jurisPK-SGB XI, 3. Aufl. 2021, §§ 14 Rz. 78 ff., 15 Rz. 3), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Vielmehr wird deutlich, dass nach § 72 SGB XIV die eigenständige Ausfüllung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit entfällt, wie es zuvor durch die „Hilflosigkeit“ in § 35 BVG der Fall war (vgl. Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Das neue soziale Entschädigungsrecht – SGB XIV, 1. Aufl. 2020, Rz. 235), was die Eigenständigkeit des Tatbestandsmerkmals der „Hilflosigkeit“ unterstreicht.

§ 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV enthält, wie § 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, einen identischen Verweis auf „entsprechende Vorschriften“, wozu die Bestimmungen zur Pflegezulage bei Hilfslosigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVG zu rechnen sind. Nachdem § 30 Abs. 16 BVG die Hilflosigkeit ausdrücklich als möglichen Regelungsgegenstand einer Rechtsverordnung nennt, gelten für die Feststellung der Hilflosigkeit ergänzend die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten VG, dort Teil A, Nr. 4 (vgl. zu § 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX: Masuch in: Hauck/Noftz, SGB IX, 08/17, § 228 Rz. 30). Danach ist für die Gewährung einer Pflegezulage im sozialen Entschädigungsrecht Grundvoraussetzung, dass Beschädigte infolge der Schädigung „hilflos“ sind (Buchst. a). Hilflos sind diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen – nach dem SGB IX und dem EStG „nicht nur vorübergehend“ – für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (Buchst. b). Häufige und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege sowie Verrichten der Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (Buchst. c). Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehrend benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht (z. B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr, einfache Wund- oder Heilleistung). Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z. B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) müssen außer Betracht bleiben (Buchst. d). Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind (Buchst. e). Dies gilt stets bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung (Buchst. e aa) und Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig – auch innerhalb des Wohnraums – die Benutzung eines Rollstuhls erfordern (Buchst. e bb) sowie in der Regel auch (Buchst. f aa) bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen GdS von 100 bedingen oder Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beiderseits (Buchst. f bb).

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt. Ein Katalogfall im Sinne der VG liegt bei ihr nicht vor, da sie weder blind noch hochgradig sehbehindert ist, bei ihr keine Querschnittslähmung besteht und sie auch nicht dauerhaft auf die Nutzung eines Rollstuhls, noch nicht einmal auf eine solche eines Rollators (s.o.), angewiesen ist. Dass weder ein Hirnschaden noch ein Anfallsleiden besteht, ist durch die Sachverständige H1 ausdrücklich bestätigt worden.

Die Sachverständige hat daneben schlüssig herausgearbeitet, dass zwar Hilfe beim Duschen, Baden und Anziehen benötigt wird und die Bewegung auf einen Radius um die Wohnung eingeschränkt ist, die Nahrungsaufnahme, das Trinken und das Verrichten der Notdurft aber weitgehend selbstständig erfolgt. Einschränkungen in drei Bereichen sind somit nicht objektiviert, sodass die Sachverständige die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens schlüssig abgelehnt hat. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Sachverständige erhoben hat, dass sich die Klägerin mit Lesen beschäftigen und ihren Tagesablauf selbstständig gestalten kann. Kommunikative Hilfen sind somit ebenfalls keine erforderlich. Korrespondierend hierzu ist dem Entlassungsbericht der Geriatrischen
Rehabilitationsklinik T2 zu entnehmen, dass sich eine normale Kognition zeigte, es keiner Unterstützung bei den Mahlzeiten bedurfte und eine solche nur beim Duschen/Waschen erforderlich gewesen ist. Transfers und Lagewechsel konnten selbständig ausgeführt werden und der Bericht betont ausdrücklich die sehr guten motorischen Leistungen der Klägerin. Die Einschätzungen der Sachverständigen H1  sind somit durch die stationäre Beobachtung in einer geriatrischen Fachklinik und somit äußerst fachkundig bestätigt worden. Die gegenteiligen Ausführungen des Sachverständigen B1 überzeugen daher nicht, zumal dieser sich insoweit nur auf die subjektiven Angaben der Klägerin gestützt und diese nicht hinterfragt hat. Dementsprechend folgt auch aus ihrer zuletzt vorgelegten Aufstellung über die Pflegetätigkeiten nichts anderes, abgesehen davon, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, welche pflegerische Hilfe in Anspruch genommen wird, sondern welche sich als medizinisch erforderlich erweist. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass schon deswegen begründete Zweifel am Ausmaß der tatsächlichen pflegebegründenden Einschränkungen bestehen, weil die Klägerin bereits 2018 teilweise Schwierigkeiten, Knöpfe zu öffnen und zu schließen, behauptete. In der Rehabilitationsklinik H4 2021war ihr dann aber das Aus- und Ankleiden ohne weiteres möglich, was auch zu dem berichteten Lesen als Hobby passt, wozu ebenfalls eine Feinmotorik der Hände erforderlich ist.

Das SG hat ebenso zutreffend darauf hingewiesen, dass das letzte Pflegegutachten 2021 nur aufgrund eines Telefoninterviews erfolgte, die Angaben – insbesondere zu motorischen Einschränkungen – also nicht überprüft werden konnten (vgl. auch die Stellungnahme der Versorgungsärztin G1), vielmehr als wahr zugrunde gelegt werden mussten, was im Gegensatz dazu bei der stationären Behandlung möglich gewesen ist. Diese hat daher naturgemäß mehr Aussagekraft.

Die Plausibilität der Ausführungen der außerordentlich fachkundigen Geriatrischen Rehabilitationsklinik wird darüber hinaus deutlich durch deren erhobenen Barthel-Index, der ein Bewertungsverfahren zur Erfassung der Alltagsfähigkeit von Menschen mit Behinderung darstellt, unterstrichen. Dieser ist, wie es dem korrekten Ablauf entspricht, jeweils zu Beginn und Ende des Klinikaufenthaltes erfasst worden, dabei werden die grundlegenden Alltagsfunktionen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen bewertet. Zu Beginn der Maßnahme ist er bei der Klägerin mit 70, zum Ende mit 85 angegeben worden. Ein solcher Index von 85 entspricht nach der Klassifikation der ICD-10 einer leichten motorischen Funktionseinschränkung (vgl. ICD-10 U50.10) bzw. keiner oder leichten kognitiven Funktionseinschränkung (vgl. ICD-10 U51.00). Auch dies widerspricht einer schwerwiegenderen Einschränkung und stützt den von der Sachverständigen H1 erhobenen Befund. Ob und in welchem Umfang die Klägerin Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, ist für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht relevant. Auf die von ihr vorgelegte Aufstellung zu den Tätigkeiten der Haushaltshilfe kommt es daher nicht an. Dass sich das Vorbringen der Klägerin gegenüber der Sachverständigen H1, dass das Merkzeichen benötigt werde, um überhaupt Einkäufe tätigen zu können, nicht erschließt, kann dahinstehen und passt viel eher zu dem noch 2018 eingeräumten selbständigen Einkaufen.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.







 

Rechtskraft
Aus
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