S 38 KA 230/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 230/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Zur Überprüfung einer untergesetzlichen Norm des Landesrechts (hier: Wirkstoffvereinbarung) ist zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes die Feststellungsklage nach § 55 SGG zulässig, sofern die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006, Az B 6 KA 13/05 R).

II. Bei der Ausgestaltung der Wirkstoffvereinbarung besitzen die Vertragspartner einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. zur Wirkstoffvereinbarung vom 31.10.2014 SG München, Urteil vom 16.07.2019, Az S 20 KA 171/16). Die Gerichte haben deshalb eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit und können den Gestaltungsspielraum nicht durch eigene inhaltliche Regelungen ersetzen.

III. Für die Leitsubstanz-Einstellung gibt es mehrere Kriterien. Dies sind vor allem die Geeignetheit des Wirkstoffes, die Analyse, was die bayerischen Ärzte vermehrt verordnet haben und auch der Kostenfaktor. IV. Die Bepunktung generell und auch konkret in der Wirkstoffvereinbarung dient dazu, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des einzelnen Vertragsarztes zu messen und daraus für den einzelnen Bereich den Istwert zu berechnen. Es handelt sich nach Auffassung des Gerichts um ein taugliches und geeignetes Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit.

V. Die Berücksichtigung der Rabattierung ist nicht nur sachgerecht, sondern im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V, die Intention des Gesetzgebers in § 84 Abs. 1 SGB V und dem Zweck der Wirkstoffvereinbarung (§§ 2, 3) sogar zwingend geboten.

VI. Ziff. 24.1 der Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung ist mit Art. 3, 12 Grundgesetz zu vereinbaren.


I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das urologische Spasmolytika vertreibt und im Wettbewerb mit anderen pharmazeutischen Unternehmen steht. Der Wirkstoff "Propiverin", den die Klägerin vertreibt, wurde auch für Kinder entwickelt.
Die Klägerin ließ durch ihren Prozessbevollmächtigten vortragen, sie werde durch die Wirkstoffvereinbarung benachteiligt. Diese sei in Ziff. 24.2 rechtswidrig und nichtig. Denn die Ziel-Nummer 24.2 regle urologische Spasmolytika. Darunter befänden sich "Tolterodin" und "Trospium", die als Leitsubstanzen anerkannt seien, nicht aber das von der Klägerin vertriebene "Propiverin". In dem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 16.05.2019 "Propiverin" zur Festbetragsgruppe "urologische Spasmolytika" gehöre. Damit sei "Propiverin" als festbetragsregulierter Wirkstoff im Regelfall als medizinisch gleichermaßen zweckmäßig anzusehen.
Außerdem lege Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung Messgrößen fest, nach denen Rabattvertragsarzneimittel für die Zielerreichung stärker zählten als nicht rabattierte Arzneimittel. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnung eines Rabattvertragsarzneimittels kollidiere mit den Verordnungszielen der Wirkstoffvereinbarung jedenfalls dann, wenn im Rahmen eines Generikaziels das Original oder aber im Rahmen einer Leitsubstanzgruppe eine Nicht-Leitsubstanz rabbatiert und deswegen wirtschaftlich sei. Erreiche ein Arzt das Wirtschaftlichkeitsziel nicht, könne dies zum Regress führen.
Die fehlende Einstufung von "Propiverin" als Leitsubstanz sei auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Kosten (Apothekenverkaufspreise) geringer seien als die Kosten für "Tolterodin" und "Trospium".
Nachdem eine Änderung der Wirkstoffvereinbarung von den Beklagten abgelehnt worden sei, sei Klage geboten. Die erhobene Feststellungsklage nach § 55 SGG sei zulässig, insbesondere bestehe für die Klägerin ein Feststellungsinteresse.
Die Feststellungsklage sei auch begründet.
Die Wirkstoffvereinbarung verstoße in Ziff. 24.2 der Anlage 2 gegen Art. 12 GG. Zudem sei ein Verstoß gegen Art. 3 GG zu besorgen. Denn die Klägerin werde durch das Verordnungsziel 24.2 in Relation zu den Konkurrenzunternehmen mit den Wirkstoffen "Tolterodin" und "Trospium" ungerechtfertigt benachteiligt. So verstoße die Differenzierung gegen den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 Satz drei SGB V). Im Hinblick auf die Zulassung zur Behandlung von Kindern hätte "Propiverin" sogar als Leitsubstanz angesehen werden müssen.
Zudem führe die "Bepunktung" der Verordnungen nach Meßzahlen in Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung dazu, dass die Verordnung von rabattiertem "Propiverin" die Zielerreichung mit dem Faktor 0,67 fördere, während die Verordnung einer rabattierten Leitsubstanz mit dem Faktor 1 gewichtet werde. Die Verordnung einer Nicht-Leitsubstanz mit Rabattvertrag habe ein Gewicht von 1,0/1,5, während die Verordnung einer Leitsubstanz mit Rabattvertrag hingegen mit 1,5/1,5 "bepunktet" werde; d.h., die Verordnung rabattierten "Propiverins" trage nur zwei Drittel so viel zur Zielerreichung und damit zur Vermeidung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung bei wie die Verordnung rabattierten "Trospiums". Die Berücksichtigung von Rabattverträgen bei der Bewertung der Wirkstoffe verstoße somit gegen das in § 12 Abs. 1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot. Denn die Verordnung eines Rabattvertragsarzneimittels statt eines therapeutisch gleichwertigen anderen Arzneimittels führe dazu, das dies stets wirtschaftlich sei. In dem Zusammenhang wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf einen Aufsatz in PharmR 2021, S. 113 ff. hin. Durch den Abschluss eines Rabattvertrages erfolge die Übernahme der Wirtschaftlichkeitsverantwortung auf die Krankenkasse. Rabattverträge mit großen Krankenkassen erhielten unabhängig vom Rabatt eine größere Bedeutung als Rabattverträge mit kleinen Krankenkassen. Dies sei rechtswidrig und veranlasse den Arzt zu einer bei Einzelfallbetrachtung unwirtschaftlichen Verordnungsweise. Diese Benachteiligung lasse sich auch nicht durch das Wirtschaftlichkeitsgebot rechtfertigen. Denn der Vergleich der wirkstoffbezogenen absatzgewichteten Kosten je DDD führe dazu, dass "Propiverin" billiger sei.
Es sei unwirtschaftlich, die Vertragsärzte über die Leitsubstanzklassifizierung hin zu einer Verordnung von "Trospium" und "Tolteredin" zu steuern. Eine solche Verordnungssteuerung könne eine Verzerrung des Wettbewerbs zulasten der Klägerin nicht rechtfertigen.
Auch würden die Beklagten den Wirtschaftlichkeitsbegriff des SGB V verkennen. Es gebe kein "wirtschaftlicher", sondern nur "wirtschaftlich" oder "nicht wirtschaftlich".
Zudem seien die Meßzahlen zu beanstanden, wie an den nachfolgenden Beispielen deutlich werde:
Im Verhältnis zwischen nicht rabattiertem "Propiverin" und nicht rabattiertem "Tolterodin" oder "Trospium" steuert sie (Anmerkung des Gerichts: Wirkstoffvereinbarung) zur Verordnung der Leitsubstanzen "Tolterodin" und "Trospium", obwohl diese Arzneimittel kostenintensiver als "Propiverin" sind;
Im Verhältnis zwischen rabattiertem "Propiverin" und rabattiertem "Tolterodin" oder "Trospium" steuert sie ebenfalls zur Verordnung der Leitsubstanzen "Tolterodin" oder "Trospium", obwohl
"Propiverin" wegen des Rabattvertrags und der damit verbundenen Ungewissheit über die tatsächlichen Kosten als gleichermaßen wirtschaftlich anzusehen ist;
- Im Verhältnis zwischen rabattiertem "Propiverin" und nichtrabattiertem "Tolterodin" oder "Trospium" ist - im Fall individuell bestehender therapeutischer Gleichwertigkeit - die Verordnung von rabattiertem "Prospium" wirtschaftlich; nach dem von der Beklagten zu 1) angesprochenen Punktesystem ist jedoch rabattiertem "Propiverin" ebenso wie nicht- rabattierten Leitsubstanzen die gleiche Messgröße "1,00" zugeordnet, sodass hier die im Regelfall unwirtschaftliche Verordnung von "Tolterodin" oder "Trospium" ohne rechtfertigenden Grund mit der wirtschaftlichen Verordnung von rabattiertem "Propiverin" gleich behandelt wird.
Letztendlich erfinde die bayerische Regelung ein eigenes Wirtschaftlichkeitssystem, indem Rabattverträge mit großen bayerischen mitgliederstarken Krankenkassen die Anerkennung als Leitsubstanz wahrscheinlich machten, der Abschluss eines Rabattvertrages mit einer kleinen Krankenkasse hingegen nicht. So mache das Bestehen eines "Trospium"-Rabattvertrages mit zum Beispiel der AOK Bayerns eine an sich unwirtschaftliche Verordnung von "Trospium" zulasten einer anderen Krankenkasse nicht wirtschaftlich, wenn mit dieser Krankenkasse kein Rabattvertrag bestehe.
Auch sei das Verordnungsziel in Ziffer 24.2 der Wirkstoffvereinbarung nicht mit § 84 Abs. 6 S. 3 SGB V und den bundesrechtlichen Rahmenvorgaben zu vereinbaren. Denn eine Abweichung von den Rahmenvorgaben sei nur dann zulässig, soweit dies durch die regionalen Versorgungsbedingungen begründet sei.
Schließlich verstoße die pauschalierende Berücksichtigung von Rabattverträgen über alle Kassen hinweg gegen kartellrechtliche Vorgaben (§ 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V in Verbindung mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Folglich liege ein Machtmissbrauch vor, der auch zu einer Wettbewerbsverzerrung führe.
Zumindest wäre es rechtlich geboten, für Kinder-und Jugendärzte in diesem Verordnungsziel keine Verordnungsquote festzulegen, um so zu vermeiden, dass ein rechtswidriger Off-Label-Use gefördert und die medizinisch vorrangige Verordnung des Produkts der Klägerin diskriminiert werde.
In ihrer Klageerwiderung erläuterte die Beklagte zu 2 (AOK)  zunächst die Ziele der Wirkstoffvereinbarung. Diese bewerte die Verordnung von Ärzten positiv, wenn diese Generika, Rabattvertragsprodukte, Leitsubstanzen oder im Idealfall rabattierte Leitsubstanzen verordneten. Sie bezwecke eine Steuerungswirkung des Verordnungsverhaltens der Ärzte ex ante. Es handle sich um eine Handlungsempfehlung. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im Nachgang der Verordnung solle nach Möglichkeit nur bei Ausreißern erfolgen.
Davon seien die Zielmessmethoden zu unterscheiden. Dabei würden zunächst die Wirkstoffgruppen definiert. Innerhalb dieser werde durch "Bepunktung" eine Richtung für Umstellungsempfehlungen festgelegt, um eine insgesamt wirtschaftliche Versorgung zu befördern. Die Zuordnung der Punktzahlen erfolge nach den Kriterien Original, Altoriginal, Generika bzw. Nicht- Leitsubstanz, generische Nicht- Leitsubstanz, Leitsubstanz sowie nicht rabattiert und nicht rabattiert
Das Ziel in 24.2 gelte nur für Ärzte, die in dem betrachteten Quartal mehr als 500 DDD urologische Spasmolytika verordneten.
Rabattverträge seien deshalb zu berücksichtigen, weil es auf die tatsächlichen Verordnungskosten ankomme. Ärzte könnten nur erkennen, für welche Arzneimittel Rabattverträge abgeschlossen wurden. Sie hätten aber keine Kenntnis von der Höhe der Rabatte.
Es sei begründet gewesen, "Propiverin" nicht zu Leitsubstanz zu erklären, weil dieses teurer sei als die beanstandeten Leitsubstanzen "Tolterodin" und "Trospium". Ziel-Nr. 24.2 zeige, dass der Wirkstoff "Propiverin" teurer sei und insoweit als Leitsubstanz nicht in Betracht komme.
Daran ändere auch die Kinderzulassung für "Mictonetten nichts. Denn die Eignung von "Propiverin" für Kinder liefere keinen Anlass für eine besondere Einstufung dieses Wirkstoffes. Im Übrigen werde die festgelegte Mindestmenge von 500 DDD von der Mehrzahl der Kinderärzte nicht überschritten.
Zur Rechtslage wurde ausgeführt, die Vertragspartner der Wirkstoffvereinbarung als Normgeber hätten bei der Ausgestaltung der Vereinbarung einen weiten Gestaltungsspielraum. Ihnen sei gestattet, auch generalisierende Bewertungen vorzunehmen. Die Grenze des Gestaltungsspielraums des Normgebers werde erst überschritten, wenn die jeweilige Gestaltung in Anbetracht des Zwecks der konkreten Ermächtigung unvertretbar und unverhältnismäßig sei. In diesem Sinne habe sich das Sozialgericht München in seinem Urteil vom 16.07.2019 (Az S 20 KA 171/16) geäußert.
Die Wirkstoffvereinbarung bezwecke das Verbessern der Gesamtwirtschaftlichkeit im Bereich der urologischen Spasmolytika. Das Prinzip der Wirkstoffvereinbarung sei es aber nicht, auf die Verordnungen im Einzelfall abzustellen, sondern die gesamte Verordnung eines Vertragsarztes in diversen Wirkstoffgruppen pro Quartal zu analysieren und zu beobachten und diese nach Möglichkeit hin zu einer insgesamt etwas wirtschaftlicheren Verordnungsweise zu steuern. Es handle sich um eine elementare Fehlannahme der Klägerin, Rabattverträge würden per se schon eine Wirtschaftlichkeit der Verordnung garantieren oder sicherstellen. Denn die Wirtschaftlichkeit der Verordnung sei stets vom Einzelfall abhängig. Der einzelne Arzt müsste seine Ziele insgesamt verfehlt haben (§ 5 WSV), um überhaupt auffällig zu werden. Auffälligkeit bedeute aber nicht, dass dies zu einem Regress führe.
Der Abschluss eines Rabattvertrages werde positiv bei der Bepunktung berücksichtigt, stelle aber keine Garantie dafür dar, dass damit automatisch ein wirtschaftliches Produkt verordnet wird. Dies entspreche dem Ziel der Wirkstoffvereinbarung, den Arzt zu einer kostengünstigen Verordnungsweise anhalten. Vielmehr sei es im Sinne des § 12 SGB V sogar geboten, den Vertragsärzten Hilfestellungen zu vergleichsweise wirtschaftlicherer Verordnungsweise anzubieten (§ 73 Abs. 8 SGB V). Auch sei die Behauptung des Prozessbevollmächtigten, die Regelung im Ziel 24.2 fördere die Unwirtschaftlichkeit, falsch, weil das tatsächliche Kostengefüge nicht berücksichtigt werde.
Im Übrigen seien die Vertragsärzte nicht gezwungen, Rabattarzneimittel zu verordnen (§ 129 Abs. 1 Nummer 1 SGB V).
Der Beklagten falle es auch schwer, eine echte spürbare und durch die WSV verursachte wettbewerbsrechtliche Beeinträchtigung bei der Klägerin nachzuvollziehen.
Die Beklagte zu 2 wies darauf hin, die Klägerin habe an einer aktuellen europaweiten Ausschreibung der AOK Bayern über insgesamt 119 Wirkstoffe teilgenommen und nunmehr exklusiv den Zuschlag für den Wirkstoff Propiverin erhalten. Damit seien vom 01.06.2021 bis 31.05.2023 die Präparate Mictonetten und Mictonorm FT für die AOK Bayern rabattiert.
Hinsichtlich des von der Klägerin angegebenen Streitwertes in Höhe von 300.000 € wurde ausgeführt, dieser sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen habe es einen Umsatzrückgang bei der Klägerin schon ab Mitte 2019, also vor Inkrafttreten der Regelungen in der WSV gegeben.
Die beklagte KVB (Beklagte zu 1) betonte ebenfalls, die Vertragspartner der Wirkstoffvereinbarung hätten einen weiten Gestaltungsspielraum.
Zwar sei der von der Klägerin vertriebene Wirkstoff Propiverin medizinisch gleichwertig, wie sich auch aus dem Beschluss des GBA vom 06.05.2019 ergebe.
Die Berücksichtigung von Rabattverträgen sei zulässig. Es ist nicht allein auf die Apothekenpreise abzustellen (vgl. § 130a Abs. 8 SGB V; Wirtschaftlichkeitsgebot §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V = Wirtschaftlichkeitsgebot; § 84 Abs. 6 SGB V in Verbindung mit der Rahmenvorgabe 2 Abs. 3 Satz 1 = Vertragsärzte sollen angeleitet werden, durch die Verlagerung der Verordnung unter anderem hin zu rabattierten Arzneimitteln, noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen.). Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 6 SGB V hätten den Charakter eines Normsetzungsvertrages, dessen Inhalte für die Landesebene bindend sind. Die Einbeziehung von Rabattverträgen in die Zielsteuerung der Arzneimittelausgaben sei normativ daher ausdrücklich gewünscht (§ 2 Abs. 3, erster Spiegelstrich Arzneimittelvereinbarung 2020). Ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 SGB V liege nicht vor. Es gehe um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Das gesetzlich vorgesehene System der Rabattverträge werde nicht durch die Wirkstoffvereinbarung ausgehebelt. Apothekenverkaufspreise seien in der ärztlichen Praxis kein taugliches Orientierungskriterium für eine wirtschaftliche Verordnungsweise. Unzutreffend sei die Behauptung der Klägerseite, Rabattvertragsarzneimittel seien immer wirtschaftlich. Es gebe unter den Rabattvertragsarzneimitteln auch zum Teil gravierende Preisunterschiede. Auch im Rahmen der aut-idem-Regelung nach § 129 Abs. 1 S. 1 Nummer 1 SGB V sei der Apotheker verpflichtet, insoweit Rabattverträge zu berücksichtigen. Die Befugnis des Apothekers zum Ersetzen eines Wirkstoffs nach § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V bestehe nur bei identischer ATC-Klassifikation. Die Auswahl des Wirkstoffs aus therapeutischer Sicht sei und bleibe letztendlich Aufgabe des Vertragsarztes.
Zugrundegelegt werde für Originalpräparate ein Abschlag von 20 % vom Bruttoverkaufspreis und für Altoriginale und Generika mit Rabattvertrag ein Abschlag von 40 % vom Bruttoverkaufspreis. Die lediglich generellen Aussagen zur Höhe des eingeräumten Rabatts beruhten darauf, dass Rabattverträge als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Vertragspartner einzustufen seien.
Es sei darauf hinzuweisen, dass für die Wirkstoffe "Trospium" und "Tolterodin" über alle Krankenkassen hinweg Rabattverträge abgeschlossen wurden.
Der Wirtschaftlichkeitsbegriff entspreche dem Minimalprinzip. Dieses Prinzip werde durch die Wirkstoffvereinbarung bei Vorliegen eines Rabattvertrages mit einer positiven Bepunktung von 1,5 Punkten für die Gruppe der als Leitsubstanz definierten Wirkstoffgruppe der urologischen Spasmolytika (Ziel-Nummer 24.2) unterstützt. Hierdurch werde gerade der Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in besonders zielgerichteter Weise Rechnung getragen. Der Wirkstoff der Klägerin werde, soweit ein Rabattvertrag vorliege, nicht aus der positiv gesteuerten Wirkung der Wirkstoffvereinbarung ausgenommen.
Die Zulassung von "Propiverin" für Kinder ändere daran nichts. Denn das gesamte Verordnungsvolumen durch Kinderärzte sei sehr gering (3,8 % bzw. 4 %). Im Übrigen flossen die "Propiverin" -Präparate in die Wirkstoffvereinbarung mit der korrekten amtlichen Tagesdosis von 20 mg ein, sodass eine fehlerhafte Berechnung des Wirkstoffziels 24.2 nicht vorliege.
Insgesamt liege in der Vorgehensweise der Beklagten kein genereller Ausschluss von der Verordnung von Präparaten mit dem Wirkstoff Propiverin.
Es komme auch zu keiner Wettbewerbsverzerrung. Denn die Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung gemäß § 84 Abs. 1 SGB V in der Wirkstoffvereinbarung sei zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen und der Beklagten gemeinsam und einheitlich abgeschlossen worden. Dabei sei jede Krankenkasse bzw. deren Landesverband gleichwertiger und gleichberechtigter Vertragspartner. Ein Stimmenübergewicht beispielsweise der AOK aufgrund der Versichertenzahlen existiere nicht. Maßstab für die Einordnung als Leitsubstanz seien die Kosten des Wirkstoffs je DDD über alle Krankenkassen und nicht die Versichertenzahlen, etwa orientiert an einer mitgliedstarken Krankenkasse.
Auch für die beklagte KVB sei der von der Klägerin angegebene Streitwert weder nachvollziehbar, noch belegt. Ein Umsatzrückgang sei nicht auf die Einordnung von Propiverin als Nicht-Leitsubstanz zurückzuführen, sondern auf die günstigen Preise der anderen Generika-Anbieter.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte, festzustellen, dass das Verordnungsziel Nummer 24.2 gemäß Anlage 2 der von der Beklagten geregelten Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020 rechtswidrig und nichtig ist, soweit der Wirkstoff "Propiverin" nicht als Leitsubstanz und die Wirkstoffe "Tolterodin" und "Trospium" als Leitsubstanz klassifiziert sind.
Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf die sonstigen Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 14.09.2023 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Feststellungsklage nach § 55 SGG ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ein Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG wäre unzulässig, da hierfür nur natürliche Personen antragsbefugt sind (§ 55a Abs. 2 S. 1 SGG). Bei der Klägerin handelt es sich um eine juristische Person, sodass diese für ein Verfahren nach § 55a SGG nicht antragsbefugt ist.
Nach § 55 Abs. 1 Ziff. 1 SGG kann mit der Feststellungsklage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Mit dem Verfahren wird hier die Überprüfung begehrt, ob Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung Ziff. 24.2 rechtswidrig oder sogar nichtig ist. Mit einer Leistungs- und Gestaltungsklage kann die Klägerin ihr Begehren nicht verfolgen, da diese Klageart (Gestaltungsklage) ein Verwaltungsverfahren voraussetzen würde. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, verbleibt der Klägerin die Möglichkeit, im Rahmen einer Feststellungsklage ihr Klagebegehren, gerichtet auf die Prüfung der Wirkstoffvereinbarung, bei der es sich um eine untergesetzliche Norm handelt, zu verfolgen (BSG, Urteil vom 31.05.2006, Az B 6 KA 13/05 R). Als pharmazeutisches Unternehmen, das im Wettbewerb mit anderen pharmazeutischen Unternehmen steht, kann die Klägerin ein Feststellungsinteresse dahingehend geltend machen, sie sei durch die Regelungen der Wirkstoffvereinbarung, insbesondere deren Anlage 2 Ziff. 24.2 benachteiligt. Die Regelungen verstießen gegen Art. 3 GG und Art. 12 GG.
Die Rechtsgrundlagen für die Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020, geschlossen zwischen der Beklagten zu 1 (Kassenärztliche Vereinigung Bayerns) und den beklagten Krankenkassen, ergeben sich aus §§ 106b, 84 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr 2 und der Arzneimittelvereinbarung. Danach treffen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztliche Vereinigung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit Leistungen nach § 31 ... Versorgungs-und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, insbesondere Versorgungsanteile für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen im jeweiligen Anwendungsgebiet. Verordnungsanteile für Generika und im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 07.01.2019, S. 24) geändert worden ist, auch zur Verordnung wirtschaftlicher Einzelmengen (Zielvereinbarungen), insbesondere zur Information und Beratung.
Die Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020 ist eine Weiterentwicklung der vorausgegangenen Wirkstoffvereinbarung. Diese wurde erstmalig 2014 zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung verhandelt (WSV vom 31.10.2014). Es folgten der erste Nachtrag vom 14.11.2016 mit Wirkung zum 01.12.2016 und der zweite Nachtrag vom 21.09.2017 mit Wirkung ab dem 01.10.2017. Die Wirkstoffvereinbarung löste die Richtgrößenprüfung ab.
Die Ziele der Wirkstoffvereinbarung sind in §§ 2, 3 formuliert. Danach (§ 2 Abs. 1) streben die Vertragspartner an, durch eine frühzeitige, umfassende und zielgerichtete Information und Beratung den Vertragsärzten zu einer Veränderung ihres Verordnungsverhaltens zu verhelfen, um Nachforderungsbeträge wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise zu vermeiden. Nach § 3 Abs. 1 vereinbaren die Vertragspartner Verordnungsziele mit dem Zweck, das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise positiv zu beeinflussen. Die Vertragsärzte werden nach Ablauf eines jeden Verordnungsquartals auf Basis der Frühinformationsdaten (§ 300 Abs. 2 S. 3 SGB V) über die nach § 3 vereinbarten und in Anlage 2 aufgeführten Verordnungsziele und jeweils erreichten Istwerte in Relation zu den Zielwerten informiert (§ 2 Abs. 2). Die Verordnungsziele gliedern sich insbesondere in Generikaziele, Leitsubstanzziele und Mengenziele. Nur wenn von einer Vergleichsgruppe das globale Vergleichsgruppenziel gemäß § 4 Abs. 3 nicht erreicht wird, findet im betreffenden Verordnungsquartal eine Wirkstoffprüfung nach Abschnitt IV statt (§ 4 Abs. 1). Ist dies der Fall, werden die erreichten Istwerte des einzelnen Arztes mit dem Zielwert abgeglichen. Das Verordnungsziel wird dadurch erreicht, dass der Vertragsarzt den für seine Vergleichsgruppe vereinbarten Zielwert des Verordnungsziels erreicht bzw. überschreitet (§ 5 Abs. 3).
Die Verordnungsziele sind in Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung geregelt, auf die § 3 Abs. 2 S. 3 verweist. Dort ist u.a. unter Ziel-Nr. 24.2 für das Verordnungsziel "Urologische Spasmolytika" als DDD-Menge (defined daily dose) nach § 5 Abs. 2 ein Wert von 500 angegeben und als Leitsubstanzen neben anderen "Trosopium" und "Tolterodin", nicht aber das von der Klägerin vertriebene "Propiverin" genannt. Als Wirtschaftlichkeitsfaktor beim Leitsubstanzziel 24.2 "Urologische Spasmolytika" wurde ein Wert von 0,021 festgelegt und je nach Fachgruppen eine Prozentzahl zwischen 76,9 % (Fachärzte für Allgemeinmedizin) und 70,7 % (Urologen). Die Berechnung des Istwertes des Vertragsarztes erfolgt anhand einer Bepunktung der DDD. Diese wiederum richtet sich nach sogenannten Messgrößen (Messgrößen für Generikaziele - Messgrößen für Leitsubstanzziele = LS-Substanzziele)
Messgrößen für Generikaziele:

Punkte

 

 

 

 

Original

Altoriginal

Generikum

nicht rabattiert

0,00

0,50

1,00

rabattiert

0,50

1,50

1,50



Messgrößen für Leitsubstanzziele:

Punkte

 

 

 

 

Nicht – LS

generische Nicht - LS

Leitsubstanz

nicht rabattiert

0,00

0,50

1,00

rabattiert

1,00*

1,00

1,50

 

Dies bedeutet, dass nicht nur zwischen LS, Nicht-LS und generischen Nicht-LS unterschieden wird, sondern auch eine höhere Bepunktung für rabattierte Substanzen stattfindet. Mit der höchsten Punktzahl wird die rabattierte Leitsubstanz mit einer Punktzahl von 1,50, während die nicht-rabattierte Nicht-Leitsubstanz mit 0,00 Punkten bewertet ist. Diese unterschiedliche, gestufte Bepunktung erscheint sachgerecht, um die Ziele der Werkstoffvereinbarung (§§ 2, 3) zu erreichen und überschreitet nicht den den Vertragspartnern zugestandenen Gestaltungsspielraum zur Zweckerreichung der positiven Beeinflussung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise.
Bei der Ausgestaltung der Wirkstoffvereinbarung besitzen die Vertragspartner einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. zur Wirkstoffvereinbarung vom 31.10.2014 SG München, Urteil vom 16.07.2019, Az S 20 KA 171/16). Im Zuge dessen sind Verallgemeinerungen, Typisierungen und Pauschalierungen zulässig. Die Gerichte haben deshalb eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit und können den Gestaltungsspielraum nicht durch eigene inhaltliche Regelungen ersetzen. Erst wenn die Grenze des Gestaltungsspielraums überschritten wird, sind die Gerichte befugt, korrigierend einzugreifen. Die Grenze des Gestaltungsspielraums ist dann überschritten, wenn "in Anbetracht des Zwecks der konkreten Ermächtigung die Gestaltung unvertretbar oder unverhältnismäßig ist" (Hauck/Noftz, SGB V, § 85 Rz. 163 ff.).
Für die Leitsubstanz-Einstellung gibt es mehrere Kriterien. Dies sind vor allem die Geeignetheit des Wirkstoffes, die Analyse, was die bayerischen Ärzte vermehrt verordnet haben und auch der Kostenfaktor. Dass der Wirkstoff "Propiverin" medizinisch gleichwertig ist, ergibt sich aus dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 16.05.2019. Die Beurteilung der weiteren Kriterien hat dazu geführt, dass der von der Klägerin vertriebene Wirkstoff nicht als Leitsubstanz in die Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung aufgenommen wurde. So ist nach der unwidersprochenen Darstellung der Beklagten zu 2 der Wirkstoff "Propiverin" der Klägerin teurer als andere Wirkstoffe wie zum Beispiel "Trosopium" und "Tolterodin". Dies hat dazu geführt, dass "Propiverin" von den Vertragsparteien nicht als Leitsubstanz in die Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung aufgenommen wurde.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hinweist, der Wirkstoff "Propiverin" besitze anders als die anderen Wirkstoffe auch die Zulassung zur Behandlung von Kindern (" Mictonetten") und deshalb sei "Propiverin" ebenfalls als Leitsubstanz einzuordnen, ist dem nicht zu folgen. Denn von der Mehrzahl der Kinderärzte wird die festgelegte Mindestmenge von 500 DDD nicht überschritten. Das Verordnungsvolumen bei Kinderärzten beträgt nämlich lediglich 3,8 % bis 4 %. Von daher bestand unter dem Aspekt der Kinderzulassung keine Veranlassung, den Wirkstoff "Propiverin" als Leitsubstanz aufzunehmen.
Nach Auffassung der mit zwei Vertragsärzten besetzten Kammer spielt im Übrigen die Einordnung als Leitsubstanz für die Vertragsärzte, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Denn für den Arzt sei nicht zu erkennen, ob es sich um eine Leitsubstanz tatsächlich handelt. Generell richte man sich danach, ob Rabattverträge bestünden. Dies sei im System hinterlegt.
In Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung werden die Wirkstoffe "bepunktet". Dagegen bestehen generell keine rechtlichen Bedenken. Die Bepunktung dient generell dazu, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des einzelnen Vertragsarztes zu messen und daraus für den einzelnen Bereich den Istwert zu berechnen. Es handelt sich nach Auffassung des Gerichts um ein taugliches und geeignetes Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit, das die vorausgehende Richtgrößenprüfung ersetzte und deutlich aussagekräftiger ist als letztere. Dabei kann dahinstehen, ob anderen möglichen Regelungen der Vorzug einzuräumen wäre, weil sie eventuell genauer und differenzierter wären. Hierüber hat das Gericht nicht zu befinden, zumal den Vertragspartnern ein Gestaltungsspielraum zusteht.
Ebenfalls rechtlich unbedenklich erscheint, wie die Bepunktung konkret erfolgte unumgesetzt wurde, insbesondere, dass die Höhe der Bepunktung davon abhängig gemacht wird, ob der Wirkstoff rabattiert ist oder nicht. Rabattierte Wirkstoffe sind, wie sich aus der tabellarischen Darstellung ergibt, mit einem höheren Punktwert bewertet. Dies hat im konkreten Fall zur Folge, dass die Wirkstoffe "Trosopium" und "Tolterodin", da sie sowohl als Leitsubstanzen eingestuft wurden, als auch Rabattverträge über alle Krankenkassen hinweg abgeschlossen wurden, deutlich höher bepunktet werden als der Wirkstoff "Propiverin". Nach Auffassung des Gerichts ist die Berücksichtigung der Rabattierung nicht nur sachgerecht, sondern sogar zwingend geboten. Fände eine solche Berücksichtigung nicht statt, würde dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V, der Intention des Gesetzgebers in § 84 Abs. 1 SGB V und dem Zweck der Wirkstoffvereinbarung (§§ 2, 3) nicht angemessen Rechnung getragen.
Die Möglichkeit der Rabattierung von Arzneimitteln hat der Gesetzgeber in § 130a SGB V vorgesehen. Danach können die Krankenkassen oder ihre Verbände mit pharmazeutischen Unternehmen Rabatte vereinbaren. Es handelt sich zwar um keine Verpflichtung der Krankenkassen durch den Gesetzgeber, Rabattverträge abzuschließen, aber diese sind im Zusammenhang mit dem Ziel des Gesetzgebers zu sehen, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise zu fördern (§ 12 Abs. 1 SGG). Vor dem Hintergrund erscheint es sachgerecht, wenn nicht sogar geboten, rabattierte Wirkstoffe höher zu bewerten (0,5 Punkte für Original, 1,5 Punkte für Altoriginal, 1,5 Punkte für Generika = Messgrößen für Generikaziele; 1,00 Punkte für rabattierte Nicht-Leitsubstanzen, 1,00 Punkte für generische Leitsubstanzen und 1,5 Punkte für rabattierte Leitsubstanzen). Dem steht eine niedrige Bepunktung bei nicht rabattierten Wirkstoffen gegenüber, nämlich 0,00 Punkte für nicht rabattierte Originale, 0,5 Punkte bei nicht rabattierten Altoriginalen, 0,00 Punkte bei nicht rabattierten Nicht-Leitsubstanzen, 0,5 Punkte bei nicht rabattierten generischen Nicht-Leitsubstanzen und 1,00 Punkte bei nicht rabattierten Leitsubstanzen. Die Unterscheidung bei der Bewertung zwischen Leitsubstanz und Nicht- Leitsubstanz ist genauso sachgerecht wie die weitere Differenzierung nach rabattiert und nicht rabattiert unter dem Aspekt und dem Ziel der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Gleiches gilt für die jeweils ausgewiesenen konkreten Punktwerte.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kommt es nicht auf die Apothekenabgabepreise an. Vielmehr ist zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit maßgeblich, welche Kosten für die Krankenkassen entstehen. Dies sind die tatsächlichen Kosten, die den Indikator für die Wirtschaftlichkeit darstellen (vgl. § 73 Abs. 8 SGB V). Insofern sind die Meßzahlen, wie sie sich aus Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung ergeben, nachvollziehbar. Auf die Kenntnis von der Höhe des eingeräumten Rabattes - dem Vernehmen nach zwischen 20 % und 40 % - kommt es nicht an. Denn ausschlaggebend sind die tatsächlichen Kosten. Hinzu kommt, dass die Höhe des eingeräumten Rabattes dem Betriebs-und Geschäftsgeheimnis unterfällt. Insofern kann sich das Gericht nicht der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin anschließen, die Wirkstoffvereinbarung verstoße in Anlage 2. unter 24.2 gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V.
Ebenso wenig nachvollziehbar ist die Auffassung der Klägerseite, die Wirkstoffvereinbarung sei mit den bundesrechtlich vorgegebenen Rahmenvorgaben nicht zu vereinbaren. Nach § 84 Abs. 6 S. 3 SGB V vereinbaren die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ... für das jeweilige folgende Kalenderjahr Rahmenvorgaben für die Inhalte der Arzneimittelvereinbarungen nach Abs. 1 sowie für die Inhalte der Informationen und Hinweise nach § 73 Abs. 8. Von den Rahmenvorgaben dürfen die Vertragspartner der Arzneimittelvereinbarung nur abweichen, soweit dies durch die regionalen Versorgungsbedingungen begründet ist. Eine Abweichung von den Rahmenvorgaben ist nicht ersichtlich. Denn dort ist sogar unter Ziffer 2 III explizit bestimmt, dass mit den regionalen Zielvorgaben die Vertragsärzte dazu angeleitet werden sollen, eine Verlagerung der Verordnungen hin zu Leitsubstanzen und zu rabattierten bzw. preisgünstigen Arzneimitteln sowie zu wirtschaftlichen Versorgungsalternativen noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Folglich liegt ein Verstoß gegen die Rahmenvorgaben nicht vor.
Im Übrigen kommt es auf die Wirtschaftlichkeit der Verordnung im Einzelfall an. Nach § 5 Abs. 8 der Wirkstoffvereinbarung ist für die Anwendung von Abschnitt IV (§§ 7 ff. Wirkstoffprüfung, Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und Liefersituation (§ 11), § 12 Ermittlung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes für jede zu betrachtende Wirkstoffgruppe - Möglichkeit des Ausgleichs unwirtschaftlicher Mehraufwände durch Übererfüllung von Zielen (§ 12 Abs. 3) Voraussetzung, dass die Fachgruppe ihr Ziel verfehlt hat, der einzelne Arzt ebenfalls das Ziel verfehlt hat mit der Möglichkeit, dies mit einer Übererfüllung ausgleichen (§ 12 Abs. 3), keine Praxisbesonderheiten vorliegen. Es handelt sich also um eine mehrstufiges Verfahren, das in der Praxis bisher kaum zu einem Regress bei dem einzelnen Vertragsarzt geführt hat. Auffälligkeit bedeutet noch nicht, dass es letztendlich zu einem Regress bei dem Vertragsarzt kommt.
Soweit von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgeführt wird, Rabattverträge mit mitgliederstarken Kassen, zum Beispiel der AOK Bayern machten die Anerkennung als Leitsubstanz wahrscheinlicher als der Abschluss eines Rabattvertrages mit einer kleinen Kasse, trifft dies nicht zu. Denn ein Stimmenübergewicht einer mitgliederstarken Kasse existiert nicht, zumal die Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung gemäß § 84 Abs. 1 SGB V in der Wirkstoffvereinbarung zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und der Kassenärztlichen Vereinigung erfolgt.
Nachdem den Vertragspartnern der Wirkstoffvereinbarung ein Gestaltungsspielraum zuzugestehen ist, dieser nicht überschritten wurde, keine Unvertretbarkeit und keine Unverhältnismäßigkeit vorliegt, vielmehr die Regelungen auch hinsichtlich der Messgrößen als sachgerecht und ausgewogen anzusehen sind, liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Grundgesetz nicht vor.
Auch ist nicht von einem Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz auszugehen. Da weder unmittelbar, noch mittelbar die Regelungen der Wirkstoffvereinbarung dazu führen, dass die Verordnung von "Propiverin" ausgeschlossen wird, kann allenfalls ein mittelbarer Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen, indem Ärzte zur Vermeidung von Regressen bei Beachtung der Wirkstoffvereinbarung andere Wirkstoffe anderer pharmazeutische Unternehmen verordnen als "Propiverin" und die Konkurrenten begünstigt werden könnten. Dieser Eingriff ist aber als verhältnismäßig anzusehen. Es wird damit ein legitimer Zweck verfolgt, nämlich das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise positiv zu beeinflussen (Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 40 zu Art. 12). Außerdem ist der behauptete Umsatzrückgang - vorgetragen wird ein solcher über 300.000 € p.a. - nicht nachvollziehbar. Zum einen war bereits ein Umsatzrückgang vor Inkrafttreten der streitgegenständlichen Wirkstoffvereinbarung zu beobachten. Zum anderen sind für einen Umsatzrückgang in der Regel mehrere Faktoren verantwortlich. Insofern erscheint eine Kausalität zwischen Wirkstoffvereinbarung und Umsatzrückgang äußerst fraglich.
Die Klägerin hat von 23 Produkten für 6 Produkte Rabattverträge abgeschlossen. Es liegt in ihrer Sphäre, Rabattverträge auch für "Propiverin" abzuschließen und damit eine höhere Bepunktung nach der Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung zu erzielen (vgl. BSG, Beschluss vom 19.04.2007, Az L 12 B 475/06). Offensichtlich wurde für einen nachfolgenden Zeitraum zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 ein Rabattvertrag für Mictonetten und Mictonorm FT abgeschlossen. Rabattierte Arzneimittel sind nicht aus sich heraus nach den Messgrößen für Leitsubstanz Ziele wirtschaftlich. Denn rabattierten Nicht-Leitsubstanzen wird wie bei nicht rabattierten Leitsubstanzen eine Punktwert von 1,00 zugeordnet.
Ebenfalls ist eine Verletzung von § 69 SGB V in Verbindung mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nicht zu besorgen. Denn der Anwendungsbereich ist nicht eröffnet. Die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns sind nach § 84 Abs. 1 SGB V gesetzlich verpflichtet, Regelungen mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Verordnungsweise der Vertragsärzte zu treffen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
I. Zur Überprüfung einer untergesetzlichen Norm des Landesrechts (hier: Wirkstoffvereinbarung) ist zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes die Feststellungsklage nach § 55 SGG zulässig, sofern die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006, Az B 6 KA 13/05 R).
II. Bei der Ausgestaltung der Wirkstoffvereinbarung besitzen die Vertragspartner einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. zur Wirkstoffvereinbarung vom 31.10.2014 SG München, Urteil vom 16.07.2019, Az S 20 KA 171/16). Die Gerichte haben deshalb eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit und können den Gestaltungsspielraum nicht durch eigene inhaltliche Regelungen ersetzen.
III. Für die Leitsubstanz-Einstellung gibt es mehrere Kriterien. Dies sind vor allem die Geeignetheit des Wirkstoffes, die Analyse, was die bayerischen Ärzte vermehrt verordnet haben und auch der Kostenfaktor.
IV. Die Bepunktung generell und auch konkret in der Wirkstoffvereinbarung dient dazu, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des einzelnen Vertragsarztes zu messen und daraus für den einzelnen Bereich den Istwert zu berechnen. Es handelt sich nach Auffassung des Gerichts um ein taugliches und geeignetes Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit.
V. Die Berücksichtigung der Rabattierung ist nicht nur sachgerecht, sondern im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V, die Intention des Gesetzgebers in § 84 Abs. 1 SGB V und dem Zweck der Wirkstoffvereinbarung (§§ 2, 3) sogar zwingend geboten.
VI. Ziff. 24.1 der Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung ist mit Art. 3, 12 Grundgesetz zu vereinbaren.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved