L 5 R 2204/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 993/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2204/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31.05.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1970 in K geborene Klägerin zog am 16.12.1992 in die Bundesrepublik Deutschland zu und ist Inhaberin eines Vertriebenenausweises B. Sie absolvierte im Heimatland erfolgreich eine Ausbildung zur Buchhalterin und war dort als solche tätig. Nach ihrem Zuzug war sie als Produktionsmitarbeiterin, Aushilfe und zuletzt als Verkäuferin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit März 2016 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Nach dem Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld I steht sie seit 03.09.2018 nicht mehr im Sozialleistungsbezug. Der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit Juli 2017 zuerkannt.

Nachdem die Klägerin einen Herzinfarkt erlitten hatte, befand sie sich in der Zeit vom 07. bis 28.04.2016 in der M Klinik in K1 in stationärer Anschlussheilbehandlung. W führte in seinem Reha-Entlassungsbericht vom 02.05.2016 aus, die Klägerin leide an einem akuten transmuralen Myokardinfarkt der Vorderwand, einer artherosklerotischen Herzkrankheit (Ein-Gefäß-Erkrankung), dem Vorhandensein eines Implantates oder Transplantates nach koronarer Gefäßplastik, einer nicht näher bezeichneten Hyperlipidämie sowie einer hypertensiven Herzkrankheit mit (kongestiver) Herzinsuffizienz. Des Weiteren bestehe ein Diabetes mellitus Typ II. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig entlassen. Im Ergebnis gelangte W zu der Einschätzung, die körperliche Belastbarkeit der Klägerin werde aufgrund der vorhandenen medizinischen Daten weiter zunehmen. Sie könne in der Folge ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin weiter ausüben. Nach Abschluss der Anschlussheilbehandlung sei die Klägerin bereits wieder in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich ohne qualitative Leistungseinschränkungen auszuüben.

Am 09.08.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage diverser Arztbriefe die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie aus, der erlittene Herzinfarkt, ein Bandscheibenvorfall, Depressionen, eine Zuckerkrankheit und Bluthochdruck belasteten sie sehr. Sie könne keiner Tätigkeit mehr nachgehen.

Die Beklagte holte zunächst einen ärztlichen Befundbericht der die Klägerin behandelnden V ein. Diese führte unter dem 01.09.2017 aus, die Klägerin leide an einer „Stemi“ 3/2016 bei Eingefäßerkrankung, einem Diabetes mellitus Typ II, einer cervicalen Spinalkanalstenose, einem cervicalen Bandscheibenvorfall, einer Depression sowie einer somatoformen Schmerzstörung durch psychische und organische Ursachen. Seit März 2016 sei die Klägerin in ihrer Behandlung; eine Verschlechterung der Befunde sei im Dezember 2016 eingetreten.

Anschließend veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch die S. Diese legte in ihrem Gutachten vom 25.09.2017 dar, bei der Klägerin liege eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine koronare Zweigefäßerkrankung mit leichtgradig eingeschränkter Pumpleistung ohne Zeichen einer Herzinsuffizienz, sensible Ausfälle entlang des linken Armes bis zu den Fingerspitzen links bei cervicalem Bandscheibenvorfall mit Spinalkanaleinengung in Höhe HWK 5/6 links, eine Belastungsminderung der Kniegelenke beidseits bei dokumentierter Chondropathie und Meniskopathie, eine depressive Störung bei derzeit mittelgradiger Episode sowie ein medikamentös therapierter Diabetes mellitus Typ II vor. Des Weiteren leide die Klägerin an einer arteriellen Hypertonie, einer Adipositas, einem Zustand nach CTS-Operation beidseits sowie einem Zustand nach mikrozytärer Anämie im Mai 2016. Die Klägerin könne zwar ihre letzte berufliche Tätigkeit als Kassiererin/ Lagerarbeiterin in einem Discounter lediglich drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben; leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit ständigem Sitzen, überwiegendem Stehen und teilweise im Gehen in einem zeitlichen Umfang von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich seien ihr hingegen noch möglich. Auszuschließen seien schweres Heben und Tragen von Lasten, Überkopftätigkeiten, Akkordarbeit, Nachtschichttätigkeit, Wirbelsäulenzwangshaltungen, Armvorhaltearbeiten sowie häufiges Knien und Hocken. Letztlich empfahl sie die Durchführung eines psychosomatisch und orthopädisch ausgerichteten Heilverfahrens sowie die anschließende Prüfung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

In der Zeit vom 11.04. bis 09.05.2018 absolvierte die Klägerin daraufhin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Fklinik B. K stellte im Reha-Entlassungsbericht vom 09.05.2018 bei der Klägerin rezidivierende Cervicobrachialgien, eine Spinalkanalstenose C5/6, einen BSV C5/6 sowie rezidivierende Omalgien beidseits fest. Ferner leide die Klägerin an einem Zustand nach CTS-OP 2002, 2003, rezidivierenden Gonalgien beidseits, einem Zustand nach Meniskus-OP links 2012, 2015 und einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Des Weiteren liege bei der Klägerin eine mittelgradige depressive Episode, eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine Zweigefäß-KHK, ein Zustand nach Stemi Vorderwand 3/2016, ein 3-DES-Stent 3/2016, 6/2016 sowie eine arterielle Hypertonie vor. Ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Kassiererin könne die Klägerin deswegen nicht mehr ausüben; leichte Tätigkeiten ständig im Sitzen und in allen Schichtformen seien ihr jedoch noch mehr als sechs Stunden täglich möglich. Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten sowie schweres Heben und Tragen sollten jedoch vermieden werden.

Mit Bescheid vom 21.06.2018 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2019 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.04.2019 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Beklagte habe ihre Restleistungsfähigkeit falsch beurteilt. Die bei ihr festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien in der Summe so gravierend, dass nennenswerte Arbeit nicht mehr verrichtet werden könne. Sie teile die Einschätzung von T – hierzu später – nicht. Dieser habe die bei ihr vorhandenen Gesundheitsstörungen nicht ordnungsgemäß gewürdigt. Letztlich sei sie aufgrund des gesamten Krankheitsbildes und der massiven Einschränkungen bei Arbeitsbelastung schlicht nicht mehr vermittelbar.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Eine Änderung ihres Standpunktes sei nicht veranlasst.

Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.

Der S1 hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 23.09.2019 vom Bestehen eines Diabetes mellitus Typ II, einem Verdacht auf diabetische Neuropathie, einer arteriellen Hypertonie, einer Hypercholesterinämie, einer koronaren Herzerkrankung mit Zustand nach Myokardinfarkt im März 2016, einer Depression sowie einer Cephalgie berichtet. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten noch mehr als sechs Stunden täglich ausüben.

Der A hat ausgeführt (Schreiben vom 24.09.2019), die Klägerin leide an einem pseudoradikulären Cervicalsyndrom bei Bandscheibenprotrusionen im Bereich C4 bis C7 mit Spinalkanalstenose, an Blockierungen der Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule, an einem pseudoradikulären Lumbalsyndrom sowie an diskreter Polyarthrose der Fingergelenke. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten noch mehr als sechs Stunden arbeitstäglich ausüben.

Die V hat mit Schreiben vom 06.10.2019 von einem Zustand nach Vorderwandinfarkt bei koronarer Eingefäßerkrankung im März 2016, sehr gut eingestelltem Diabetes mellitus Typ II ohne Notwendigkeit einer Insulinbehandlung, einer chronischen schweren Schmerzverarbeitungsstörung mit somatischen, aber auch ganz erheblichen depressiven Anteilen, rezidivierenden Schmerzen in beiden Schultern und beiden Armen bei bekannter relativer Enge des cervicalen Spinalkanals und bekanntem nicht operationsbedürftigen Bandscheibenvor- fall im Bereich C5/C6 links, chronischen, nicht sicher zuzuordnenden Schmerzen im Bereich des Unterbauches und der Bauchdecke rechts, des linken Knies, der gesamten Wirbelsäule, hinter dem Brustbein sowie beider Brustkorbhälften sowie einer gut eingestellten arteriellen Hypertonie berichtet. Aus ihrer Sicht gebe es keinen verifizierbaren Grund, warum die Klägerin nicht eine sehr leichte bis leichte körperliche Tätigkeit ausüben könne.

Der E hat dargelegt (schriftliche Zeugenaussage vom 14.10.2019), bei der Klägerin liege eine koronare Eingefäßerkrankung mit geringer bis mittelschwerer linksventrikulärer Schädigung nach Vorderwandinfarkt im März 2016, ein Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie sowie eine Hypercholisterinämie vor. Anamnestisch und fremdbefundlich lägen zudem eine Depression, eine Bandscheibenerkrankung und eine Spinalkanalstenose vor. Aufgrund der Befunde auf kardiologischem Fachgebiet habe er keine Bedenken gegen leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich.

Die G hat in ihrem Schreiben vom 18.12.2019 ausgeführt, die Klägerin habe sich bis zum 30.11.2017 in ihrer Behandlung befunden und sei nun seit dem 29.11.2019 wieder bei ihr in Behandlung. Bei der Klägerin bestehe eine schwere depressive Episode, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine chronische Cervicobrachialgie links, eine Spinalkanalstenose HWK 5/6 links mit intraforaminalem Bandscheibenvorfall HWK 5/6 links, ein Verdacht auf eine sekundäre somatoforme autonome Funktionsstörung mit Herzbezug, eine koronare Zweigefäßerkrankung, ein Diabetes mellitus sowie eine arterielle Hypertonie. Im Jahr 2017 sei aus motivationalen Gründen eine sechsstündige leichte Tätigkeit nicht möglich gewesen. Allerdings spiegele dies nicht die Situation im Jahr 2019 wieder; diese könne von ihr nicht ausreichend beurteilt werden.

Die A1 hat angegeben (Schreiben vom 01.04.2020), dass sie die Klägerin zwischen November 2017 und Februar 2018 (insgesamt fünf Stunden) behandelt habe. Bei der Klägerin habe eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, ein Schmerzmittelabusus, ein schädlicher Gebrauch von Sedativa, ein Zustand nach Herzinfarkt sowie ein Bandscheibenvorfall im Bereich der HWK 5/6 und ein Diabetes mellitus sowie eine Hypertonie bestanden. Sie halte eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens sechs Stunden nicht für möglich.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG den T mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 26.10.2020 hat dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 22.10.2020 ausgeführt, bei der Klägerin bestehe auf nervenärztlichem Fachgebiet eine rezidivierende depressive Störung, eine Somatisierungsstörung und ein chronisches Schmerzsyndrom bei somatischen und psychischen Faktoren. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Zeitdruck und Akkordanforderungen mehr als sechs Stunden täglich auszuführen. Die Arbeit solle im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen erfolgen. Schwere Anforderungen, wie z.B. Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten unter Nässe- oder Kälteeinfluss seien nicht mehr möglich. Auch Nachtschichtarbeiten schieden wegen der Neigung der Klägerin zu depressiven Beschwerden aus. Zu beachten seien auch die qualitativen Leistungseinschränkungen aufgrund der Einschränkungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet. An dieser Einschätzung hat T auch im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme, die er unter dem 01.02.2021 abgegeben hat, festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Soweit das orthopädische und das internistisch/kardiologische Fachgebiet betroffen sei, äußerten sich die behandelnden A und E dahingehend, dass aus den von ihnen festgestellten Gesundheitsstörungen keine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht resultiere. Dies decke sich im Ergebnis auch mit der Einschätzung der S2 aus dem Verwaltungsverfahren. Auch diese habe keine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht in ihrem Gutachten feststellen können. Soweit das im Vordergrund stehende neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betroffen sei, habe das Gericht ebenfalls nicht zu der Auffassung gelangen können, dass der hierfür beweisbelasteten Klägerin der Nachweis des Bestehens einer Erwerbsminderung gelungen sei. Die behandelnde G habe sich nicht zum Leistungsvermögen äußern können. Der von der Klägerin ausgewählte Gutachter T habe in seinem schlüssig und nachvollziehbaren Gutachten für das Gericht überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin zwar qualitative Einschränkungen bestünden, jedoch keine quantitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens nachweisbar seien. Soweit die bis zum Februar 2018 die Klägerin behandelnde A1 ein aufgehobenes Leistungsvermögen gesehen habe, sei darauf hinzuweisen, dass Frau A1 zum einen die Klägerin seit mehr als zwei Jahren nicht mehr behandelt habe und zum anderen die von ihr durchgeführte ambulante Psychotherapie gerade einmal einen Zeitraum von knapp drei Monaten umfasst habe. T weise in seinem Gutachten zudem schlüssig daraufhin, dass von Frau A1 Diagnosen genannt würden, die nicht mit den vorliegenden Befunden übereinstimmten. So habe sie u.a. auf eine relevante Herzinsuffizienz verwiesen, die vom kardiologischen Behandler so gerade nicht gesehen werde. Auch für die vorliegenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule bestehe nach den Angaben des behandelnden Facharztes für Orthopädie und der behandelnden Hausärztin gerade keine Operationsindikation oder schwerwiegende Spinalkanalstenose, wie sie von Frau A1 zugrunde gelegt werde. Vor diesem Hintergrund erscheine die Einschätzung von Frau A1 nicht überzeugend. Soweit die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten von T erhoben habe, würden diese nach gerichtlicher Auffassung durch dessen ergänzende Stellungnahme ausgeräumt. Soweit die Klägerin schließlich darauf verweise, dass ihrer Auffassung nach aufgrund der bestehenden qualitativen Einschränkungen eine Verschlossenheit des Arbeitsmarkts bestehe, überzeuge dies nicht. So würden als qualitative Einschränkungen eine Beschränkung auf leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten ohne Zeitdruck und Akkordanforderung angegeben. Zudem solle die Arbeitshaltung nach Möglichkeit im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen erfolgen. Schwerere Anforderungen wie z.B. Heben und Tragen von schweren Lasten und Arbeit unter Nässe oder Kälte seien nicht möglich, ebenso wenig wie Nachtarbeit. Dies seien Einschränkungen, die sich bei sehr vielen Personen mit orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen fänden, die jedoch nach gerichtlicher Auffassung keinesfalls geeignet seien, eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes anzunehmen. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass sie mit diesen Einschränkungen Schwierigkeiten haben werde, eine konkrete Arbeitsstelle zu finden, sei darauf hinzuweisen, dass dies kein für die Frage der Beurteilung, ob eine Erwerbsminderung bestehe oder nicht, maßgeblicher Umstand sei. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Erfolgsaussichten der Arbeitsvermittlung nicht ausschlaggebend und bei der Frage der Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsminderung nicht zu berücksichtigen.

Gegen den ihr am 04.06.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 01.07.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung führt sie unter dem 22.11.2021 aus, es liege bei ihr eine vollständige, hilfsweise erheblich geminderte Erwerbsfähigkeit vor. Unabhängig von den vorhandenen körperlichen Beeinträchtigungen bestünden bei ihr schwere Depressionen. Physische und psychische Erkrankungen hätten sich in Abhängigkeit zueinander entwickelt. Sie sei deshalb seit etwa einem Jahr wieder in laufender Behandlung bei A1, die schon in ihrem Bericht vom 01.04.2020 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
diagnostiziert habe. Die Beurteilung sei aufgrund der Behandlung vom 23.11.2017 bis 19.02.2018 erfolgt. Auch G vom Schmerztherapiezentrum V1 gehe in ihrem Bericht vom 18.12.2019 zumindest schon für das Jahr 2017 davon aus, dass sie (die Klägerin) schwer depressiv erkrankt und damit nicht in der Lage gewesen sei, eine mindestens sechsstündige leichte Tätigkeit auszuüben. Zudem sei sie wegen anhaltender Beschwerden zu einer weiteren MRT-Untersuchung am 19.07.2021 in die MVZ-Radiologie in T1 überwiesen worden. Nach dem vorgelegten Bericht hierüber vom 20.07.2021 ergäbe sich aufgrund der festgestellten Diagnosen (absolute Spinalkanalstenose im Segment LWK 3/4,5 mm, bei breitbasiger Bandscheibenprotrusion nach dorsal und deutlich hypertrophen Facettengelenksarthrosen, Affektion der Nervenwurzel S1 links präforaminal bei fokaler Bandscheibenprotrusion nach paramedian links im Segment LWK 5/SWK 1 sowie fokale Bandscheibenprotrusion auch nach paramedian rechts im Segment LWK 4/5 mit möglicher Irritation der Nervenwurzel L 5 rechts proforaminal) die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zur ergänzenden Beurteilung der dahinterstehenden Beschwerden (starke Schmerzen insbesondere beim Gehen) und der zu veranlassenden Maßnahmen. Es sei sogar eine OP denkbar, jedoch mit mäßigen Erfolgsaussichten und weiterer Behandlungsbedürftigkeit. Die entscheidungserheblichen Tatsachen seien daher weiter und von Amts wegen zu ermitteln.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31.05.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2019 zu verurteilen, ihr ab dem 01.08.2017 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest und teilt zudem mit, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente seien letztmalig bei Eintritt eines Leistungsfalls bis zum 31.10.2020 erfüllt.

Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten für die Klägerin geführte Leistungsakte verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2019, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen oder teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.


Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind hierbei bezogen auf den Leistungsfall, den Eintritt der Erwerbsminderung, zu bestimmen. Mit dem Erfordernis, dass innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren drei Jahre (36 Monate) mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen, geht einher, dass der Versicherungsschutz betreffend den Leistungsfall der Erwerbsminderung nur für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Wegfall eines Bezuges zum Erwerbsleben aufrechterhalten bleibt. Liegt hingegen ein längerer Zeitraum zwischen der Erwerbsminderung und dem Erwerbsleben (auch dem Bezug von Lohnersatzleistungen), ist eine eventuelle Erwerbsminderung nicht mehr durch die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert. Diese Voraussetzung ist nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf und den Angaben der Beklagten im Erörterungstermin zuletzt am 30.10.2020 erfüllt gewesen. Denn für die Zeit ab dem 03.09.2018 wurden keine Zeiten mehr in das Versicherungskonto der Klägerin übermittelt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin seit Rentenantragstellung und auch bis zum 30.10.2020 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein konnte. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die der Senat nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage für zutreffend erachtet (§ 153 Abs. 2 SGG).


Nur ergänzend wird hinsichtlich des Vorbringens im Berufungsverfahren auf Folgendes hingewiesen:

Da die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lediglich bis zum 30.10.2020 erfüllt hat, sind die von ihr zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen für den Ausgang des Verfahrens nicht von Relevanz.

Soweit die Klägerin vorträgt, A1 habe schon in ihrem Bericht vom 01.04.2020 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert, so hat dies keine weiteren Auswirkungen auf den Ausgang des Berufungsverfahrens. Denn der Bericht lag bereits im Verfahren vor dem SG vor und wurde vom anschließend beauftragten Sachverständigengutachter T in dessen Beurteilung miteinbezogen. Nach dessen Auffassung ist die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mehr als sechs Stunden arbeitstäglich auszuführen. Der Senat folgt dieser schlüssigen und nachvollziehbaren Leistungseinschätzung. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf die Auskunft von G vom 18.12.2019.

Auch führen die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbriefe aus dem Sommer 2021 nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage; denn die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr die für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Für den Senat besteht daher kein Anlass zur Durchführung weiterer Ermittlungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved