Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 17.01.2005 vorläufig, längstens bis zum 17.03.2005, Arbeitslosengeld II in Höhe eines Tagessatzes von 11,50 € unter Anrechnung der bereits gezahlten Tagessätze in Höhe von 9,75 € zu gewähren, soweit sich der Antragsteller im Bereich der Antragsgegnerin aufhält. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
G r ü n d e :
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Auszahlung ungekürzter Tagessätze auf Grundlage einer monatlichen Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 345,00 €.
Der im Jahre 1968 geborene Antragsteller ist obdachlos. Auf seinen Antrag hin erhielt er am 06.01.2005 von der Antragsgegnerin einen Tagessatz von 9,75 € ausbezahlt. Am selben Tag legte er hiergegen schriftlich „Beschwerde“ bei der Antragsgegnerin ein und bat um Auszahlung des „Restbetrages“. Am 07.01.2005 erhielt er von der Antragsgegnerin für den Zeitraum bis zum 09.01.2005 29,25 € ausbezahlt, wogegen er sich am selben Tag schriftlich wandte. Am 12. und 13.01.2005 erhielt er von der Antragsgegnerin jeweils einen Tagessatz von 9,75 € ausbezahlt. Hiergegen wandte er sich schriftlich am 13.1.2005 mit der Bitte um Auszahlung des „Restbetrages“. Am 14.01.2005 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin erneut 29,25 € für drei Tage. In seinem Widerspruch vom 14.01.2005 bat er um Auszahlung des „Differenzbetrages“ zu den ihm für 3 Tage zustehenden 34,50 Euro in Höhe von 5,25 €.
Am 17.01.2005 hat der Antragsteller Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Kassel gestellt.
Der Antragsteller versichert an Eides Statt, sich seit dem 12.1.2005 im Schwalm-Eder-Kreis aufzuhalten, um mit den Mitarbeitern der Fachberatungstelle für Wohnungslose in A-Stadt seine Ansprüche auf ungekürzte Tagessätze zu erörtern, wobei er sich tagsüber bei der Fachberatungsstelle aufhalte und unter der Ederbrücke übernachte. Wo er sich zukünftig aufhalte werde, wisse er noch nicht. Er ist der Auffassung, in der Auszahlung geringerer Tagessätze an ihn läge eine Ungleichbehandlung gegenüber Beziehern von Sozialhilfe mit festem Wohnsitz vor. Im übrigen sei eine Minderung seines Tagessatzes weder nach dem SGB II noch nach dem SGB XII rechtmäßig.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung in der Hauptsache einen Tagessatz von 11,50 € zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben, da der dem Antragsteller gewährte Tagessatz in Höhe von 9,75 € den laufenden Lebensunterhalt sicherstelle. Durch Erhöhung des Eckregelsatzes von 297,00 € auf 345,00 € zum 01.01.2005 sei der Antragsteller verpflichtet, die höhere Regelleistung anteilig zur Ansparung für Anschaffungen zu nutzen. Durch die Auszahlung des geringeren Tagessatzes sei der Antragsteller damit lediglich an der Vornahme von Ansparungen gehindert, ohne dass ihm dadurch akut irgendein Nachteil entstünde. Ferner bestehe kein Anordnungsanspruch. In dem Regelsatz von 345,00 € seien 48,00 € für Ansparungen zur Anschaffung von Kleidung und Hausrat vorgesehen. Hausrat werde von durchreisenden Obdachlosen grundsätzlich nicht benötigt. Soweit im Einzelfall doch Hausrat benötigt werde und Kleidung angeschafft werden müsse, sei nach lebensnaher Betrachtung nicht davon auszugehen, dass der Personenkreis der Obdachlosen aus dem Tagessatz tatsächlich entsprechender Ansparungen vornehme. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass nach Erhalt und Verbrauch der vollen Regelleistung Anträge auf darlehensweise Deckung gestellt und die Rückführung dieser Darlehen i. S. d. § 23 Abs. 1 SGB II gegenüber Tagessatzbeziehern praktisch ausgeschlossen sei. Es verbleibe also die einzige Möglichkeit, bei Tagessatzbeziehern den geringeren laufenden Bedarf für die Leistungsberechnung zugrunde zu legen und den für Ansparungen bestimmten Anteil der Regelleistung für den Bedürftigen zurückzuhalten, um ihm diesen im Falle eines akuten Bedarfs an Hausrat oder Bekleidung in Form einer konkreten Kostenübernahme zur Verfügung zu stellen. Die Antragstellerin stellt schließlich grundsätzlich die Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Arbeitsförderung Schwalm-Eder Nord als Trägerin der Leistungen nach dem SGB II im Falle von durchreisenden Obdachlosen, da ein durchreisender Obdachloser gerade keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.
II.
1. Der zeitlich nicht eingegrenzte Antrag auf Zahlung eines ungekürzten Tagessatzes ist so auszulegen, dass der Antragsteller eine Zahlung des Differenzbetrages zu den von der Antragsgegnerin gewährten Tagessätzen rückwirkend zum frühest möglichen Zeitpunkt, d. h. zum 06.01.2005 begehrt.
2. Der Antrag ist zulässig und im wesentlichen auch begründet.
a) Der Antrag ist zulässig.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ergibt sich aus § 51 Abs. 1 Nr. 4 a, 6a Sozialgerichtsgesetz – SGG i. d. F. des 7. Sozialgerichtsänderungsgesetz vom 09.12.2004, BGBl. I S. 3302. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Kassel ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG, weil der Antragsteller im Bezirk des Gerichts seinen Aufenthaltsort hat. Denn er verweilt tatsächlich und nicht nur rein zufällig in der Fachberatungsstelle A-Stadt und unter der Ederbrücke in A-Stadt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung) statthaft. Die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsförderung Nord ist auch richtige Antragsgegnerin, da der Antragsteller ihr gegenüber Ansprüche geltend macht, die diese durch geminderte Zahlung abgelehnt hat. Die Arbeitsgemeinschaft ist sowohl beteiligtenfähig i. S. d. § 70 SGG als auch prozessfähig i. S. d. § 71 SGG (§ 44 b Abs. 3 SGB II).
Das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers liegt schließlich vor, weil dieser zuvor einen Antrag gegenüber der Antragsgegnerin auf Auszahlung höherer Tagessätze gestellt hat und dem jeweiligen Antrag nicht entsprochen wurde.
b) Der Antrag ist für den Zeitraum ab 17.01.2005 begründet und im Übrigen unbegründet.
aa) Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hiernach ergeht eine einstweilige Anordnung, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei wird unter dem Anordnungsanspruch der materiell-rechtliche Anspruch, d. h. die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, und unter dem Anordnungsgrund die besondere Eilbedürftigkeit der Entscheidung verstanden.
(1) Ein Anordnungsanspruch besteht, da überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorliegen. Der Antragsteller hat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld II gegenüber der Antragsgegnerin nach §§ 20, 7 ff. SGB II i.H.v 345,- Euro monatlich bzw. 11,50 Euro täglich.
Der Antragsteller ist offensichtlich erwerbsfähig i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 SGB II und offensichtlich hilfebedürftig i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 9 SGB II.
Ferner hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar in A-Stadt und damit im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin. Dort hält er sich unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Hierbei ist unter „Ort“ die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus oder gar eine bestimmte Wohnung (vgl. BVerwGE 42, 196, 198).
Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I kann die bloße Tatsache des Verweilens von gewisser Dauer und regelmäßig an einem Ort genügen; jedoch ist der Wille, an diesem Ort einen Daseinsmittelpunkt für die Zukunft zu begründen, nicht zwingend erforderlich. Andererseits bleibt ein Aufenthalt an einem Ort etwa dann vorübergehend, wenn Lebensbeziehungen des Betroffenen mit seinem bisherigen Aufenthaltsort, an den er zurück will, verbunden bleiben oder der ernsthafte Wille zur nicht nur vorübergehenden Niederlassung fehlt. Zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt zwar nicht erforderlich, andererseits muss sich aber der Betroffene an einem Ort bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens aufhalten und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen haben. Auch Obdachlose können trotz Fehlens einer festen Unterkunft am Ort ihres dauernden Aufenthaltes einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Auf die Unterkunftsverhältnisse am Ort des dauernden Aufenthaltes kommt es nicht an (VGH München, Urteil vom 25.01.2001, Az.: 12 B 99.512, juris).
Der Antragsteller hat eidesstattlich versichert, sich seit dem 12.01.2005 im Schwalm-Eder-Kreis aufzuhalten, und zwar tagsüber in der Fachberatungsstelle B-Stadt und nachts unter der Ederbrücke. Pläne für eine Niederlassung an einem anderen Ort hat er nicht. Hieraus ergibt sich, dass er seit dem 12.01.2005 „bis auf Weiteres“ dort verbleiben will und dort zur Zeit den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Damit ist glaubhaft gemacht, dass er in A-Stadt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Aus diesem gewöhnlichen Aufenthalt folgt ferner die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin (§ 36 SGB II).
Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, dem Antragsteller lediglich eine geminderte Regelleistung auszuzahlen. Nach § 20 Abs. 2 SGB II beträgt die monatliche Regelleistung für Personen, die alleinstehend sind, in den alten Bundesländern 345,00 €. Hieraus errechnet sich ein Tagessatz von 11,50 €. Die Voraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 SGB II sind nicht erfüllt. Sonstige Möglichkeiten einer Reduzierung des Regelsatzes des § 20 SGB II existieren nicht. Die Motive der Antragsgegnerin für eine Reduzierung des Tagessatzes genügen nicht dem Vorbehalt des Gesetzes. Hiernach ist für eine Absenkung des gesetzlich geregelten monatlichen Arbeitslosengeld II-Anspruch in Höhe von zur Zeit 345,00 € eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Das Verhalten der Antragsgegnerin ist daher rechtswidrig.
Ein Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin besteht allerdings nur für den Zeitraum, in dem er sich in deren Zuständigkeitsbereich befindet. Dies war im Tenor des Beschlusses klarzustellen.
(2) Für den Zeitraum ab Antragstellung, d. h. ab 17.01.2005, besteht auch ein Anordnungsgrund. Die besondere Dringlichkeit der begehrten Regelung ergibt sich aus der Rechtsnatur des Arbeitslosengeldes II. Wie bei den Regelleistungen des BSHG ist auch für den Regelsatz des SGB II davon auszugehen, dass bei einem anerkannten Bedarf grundsätzlich die besondere Dringlichkeit der begehrten Regelung gegeben ist. Wer sich in einer akuten Notlage befindet, ist zur Sicherung seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz auf sofortige Hilfe angewiesen. Das Hauptsacheverfahren käme, auch wenn es mit größter Beschleunigung durchgeführt werden würde, für den Antragsteller vorliegend zu spät.
Da die einstweilige Anordnung nur die Funktion hat, eine gegenwärtige Notlage zu begegnen, kann eine Verpflichtung der Antragsgegnerin allerdings nur für die Zeit vom Eingang des Antrages bei Gericht an ausgesprochen werden (VGH Kassel, Beschluss vom 09.07.1994, FEVS 45, 335). Daher musste der Antrag, soweit er sich auf einen Zeitraum vor dem 17.01.2005 bezog, abgelehnt werden.
bb) Der Inhalt der einstweiligen Anordnung steht im Ermessen des Gerichts (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 938 ZPO). Grundsätzlich darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Etwas anderes gilt allerdings, wenn sonst für den Antragsteller unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden müsste. So liegen die Dingen hier. Daher ergeht die einstweilige Anordnung in der Höhe des Regelbedarfes. Eine Beschränkung der Hilfe auf das Notwendigste ist nach Auffassung des Gerichts nicht angezeigt. Zwar sind die Regelsätze des SGB II als Folge der Pauschalisierung einmaliger Beihilfen höher als die des BSHG. Dennoch wird auch für das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II an der Auffassung festgehalten, dass Inhalt der einstweiligen Anordnung die Gewährung des Regelbedarfs in voller Höhe ist und insoweit auch eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgt.
Die Dauer der Verpflichtung zur Zahlung der ungeminderten Tagessätze wurde zeitlich begrenzt, weil durch die einstweilige Anordnung allein eine gegenwärtige Notlage abgewendet werden soll.
c) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.