1. Bei verkündeten Urteilen liegt eine Nichtentscheidung nicht schon deshalb vor, weil am Ende des elektronischen Dokuments keine erneute Namensnennung erfolgt ist.
2. Eine Nichtentscheidung ist hingegen dann gegeben, wenn bei einem Gerichtsbescheid weder im Rubrum noch am Ende des elektronischen Dokuments der Name des entscheidenden Berufsrichters aufgeführt ist, eine zweifelsfreie Zuordnung der Signatur damit nicht möglich ist.
Auf die Berufung des Klägers wird festgestellt, dass es sich bei dem als Gerichtsbescheid bezeichneten Schriftstück des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juli 2023 – S 3 SB 2016/21 – nicht um einen wie ein Urteil wirkenden Gerichtsbescheid im Sinne der §§ 105 Abs. 1 und 4, 125 Sozialgerichtsgesetz handelt.
Im Übrigen wird die Berufung als unzulässig verworfen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren L 6 SB 2273/23 hat die Staatskasse zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Entzug des Grades der Behinderung (GdB) von 50 aufgrund eingetretener Heilungsbewährung.
Bei dem 1977 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 22. August 2013 ein GdB von 50 seit dem 1. Dezember 2012 wegen eines Weichteilsarkoms des linken Oberschenkels (in Heilungsbewährung) festgestellt. Aufgrund des 2020 durchgeführten Nachprüfungsverfahrens ging der Beklagte vom Eintritt von Heilungsbewährung aus und hob, nach Anhörung des Klägers (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]), den Bescheid vom 22. August 2013 auf (Bescheid vom 28. Juni 2021). Ein GdB von mindestens 20 liege ab dem 1. Juli 2021 nicht mehr vor. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2021 zurückgewiesen.
Am 3. September 2021 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, welches nach der Erhebung sachverständiger Zeugenauskünfte und Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des B1 vom 25. Mai 2022 darauf hingewiesen hat, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt ist.
Mit dem als Gerichtsbescheid bezeichneten Schriftstück vom 3. Juli 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Dieses trägt das Aktenzeichen S 3 SB 2016/21 und enthält im Rubrum nur die Angabe „Die 3. Kammer des Sozialgerichts Ulm hat ohne mündliche Verhandlung am 03.07.2023 in Ulm für Recht erkannt“. Eine Namenswiedergabe am Ende des elektronischen Dokuments findet sich nicht, eine elektronische Signatur ist erfolgt. Das Schriftstück wurde den Beteiligten von der 9. Kammer des SG unter dem Aktenzeichen S 9 SB 2016/21 am 4. Juli 2023 (Eingang beim Beklagten) und am 5. Juli 2023 (Eingang beim Kläger) zum Zwecke der Zustellung übersandt. Weiterhin hat das SG am 5. Juli 2023 den Beteiligten mitgeteilt, dass ein Wechsel der Kammerzuständigkeit eingetreten sei und für das Verfahren nunmehr die 9. Kammer zuständig sei.
Am 3. August 2023 hat der Kläger beim SG Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juli 2023 sowie den Bescheid vom 28. Juni 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2023 darauf hingewiesen, dass es sich bei der Entscheidung des SG nur um ein Schein-/Nichturteil handeln dürfte, sodass eine Sachentscheidung durch den Senat nicht in Betracht kommen wird.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, da auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Auf den Schriftsatz des Klägers, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle, hat der Senat mitgeteilt, an der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Das persönliche Erscheinen des Klägers ist nicht angeordnet gewesen.
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 SGG), auch im Übrigen zulässig und in dem Sinne begründet, dass die Feststellung zu treffen ist, dass das als Gerichtsbescheid bezeichnete Schriftstück vom 3. Juli 2023 kein solcher im Sinne der §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 125 SGG ist. Vielmehr handelt es sich hierbei nur um eine Schein-/Nichtentscheidung, die weder das Gericht noch die Beteiligten bindet. Zur Beseitigung des Anscheins einer Entscheidung ist aber ein Rechtsmittel hiergegen zulässig (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 125 Rz. 5c; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 13/20 R –, juris, Rz. 18).
Der „Gerichtsbescheid“ vom 3. Juli 2023 ist nicht wirksam unterschrieben und damit nicht mehr als ein Entwurf einer gerichtlichen Entscheidung. Gemäß §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 134 Abs. 1 SGG ist der Gerichtsbescheid vom Vorsitzenden zu unterschreiben. Werden, wie vorliegend, die Akten elektronisch geführt und ist eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, nachdem eine Namenswiedergabe am Ende der Entscheidung nicht erfolgt ist, sondern nur eine elektronische Signatur angebracht wurde.
Der Senat hat bereits entschieden, dass bei einem verkündeten Urteil die Nichtwiedergabe des Namens am Ende der Entscheidung nur zu einer Fehlerhaftigkeit führt, die Wirksamkeit aber nicht berührt, da diese bereits mit der Verkündung eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 2021 – L 6 U 1890/19 – n. v.). Ebenso teilt der Senat die Auffassung, dass bei einem Gerichtsbescheid, der nach § 105 Abs. 2 Satz 1, 133 Satz 2 SGG mit Zustellung wirksam wird, die fehlende Namenswiedergabe allein nicht zu einer Scheinentscheidung führt, da in einem solchen Fall durch das Rubrum und die Signatur dem gesetzlich bestimmten Richter die Entscheidung ohne jeden Zweifel zugeordnet werden kann. Die Nennung des Namens des Kammervorsitzenden im Rubrum ermöglicht den Abgleich der Personenidentität (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. September 2021 – L 8 SB 1856/20 –, juris, Rz. 26). Ein solcher Abgleich scheitert vorliegend aber daran, dass es nicht nur an der Namenswiedergabe am Ende der Entscheidung fehlt, sondern auch im Rubrum der entscheidende Richter nicht genannt ist. Dort findet sich nur die Angabe „Die 3. Kammer des Sozialgerichts Ulm hat ohne mündliche Verhandlung am 03.07.2023 in Ulm durch für Recht erkannt“. Die angebrachte elektronische Signatur allein ermöglicht die erforderliche zweifelsfreie Zuordnung nicht.
Die richterliche Urteilsunterzeichnung gehört zu den Anforderungen, die eine ohne mündliche Verhandlung ergehende Entscheidung erfüllen muss, damit sie gemäß § 133 Satz 2 SGG durch Zustellung an die Beteiligten wirksam werden kann (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Juni 2021 – L 9 AS 1447/21 B –, juris, Rz. 11). Die Unterschrift des Richters soll u.a. dafür bürgen, dass die Formel des schriftlichen Gerichtsbescheides mit der getroffenen Entscheidung übereinstimmt. Deshalb ist es für die Beteiligten nicht nur wichtig zu wissen, wer den Gerichtsbescheid unterzeichnet hat, sondern auch, ob er überhaupt unterzeichnet ist. Einer Ausfertigung, der nicht zu entnehmen ist, ob das Urteil/der Gerichtsbescheid von Richtern unterschrieben ist, bietet keine Gewähr dafür, dass sie das Urteil/den Gerichtsbescheid so wiedergibt, wie es tatsächlich gefällt worden ist. Sie kann ebenso gut von einem Urteilsentwurf/Gerichtsbescheidsentwurf hergestellt worden sein, der gar nicht oder nicht in diesem Umfang zum Urteil geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 1981 – 2 RU 37/80 – juris, Rz. 28). Diese Prüfung einer wirksamen Entscheidung scheidet vorliegend, unbeschadet des Umstandes, dass es in elektronischen Akten keine handschriftlichen Unterschriften mehr gibt, aber daran, dass dem Gerichtsbescheid weder im Rubrum, noch am Ende zu entnehmen ist, wer entschieden haben soll. Das Signaturprotokoll selbst gibt nur den Namen des Signierenden wieder, aber schon keine Dienstbezeichnung. Ob die Signatur überhaupt von einem Richter stammt, ist daher für die Beteiligten vorliegend nicht erkennbar.
Dafür, dass nur ein bloßer Entwurf übersandt worden ist, sprechen auch die Umstände, unter denen das SG das Dokument an die Beteiligten zum Zwecke der Zustellung übersandt hat. Der Gerichtsbescheid trägt das Aktenzeichen S 3 SB 2016/21 und weist aus, dass die 3. Kammer des SG entschieden hat. Die Anschreiben, mit denen das Dokument an die Beteiligten übersandt worden ist, tragen im Briefkopf jedoch die Angabe „Sozialgericht Ulm 9. Kammer“ und auch das Aktenzeichen S 9 SB 2016/21. Dieses Aktenzeichen ist weiter auf dem Empfangsbekenntnis für den Beklagten und der Postzustellungsurkunde für den Kläger vermerkt. Das Aktenzeichen der Zustellnachweise stimmt damit nicht mit der zuzustellenden Entscheidung überein. Zwar ist senatsbekannt, dass bei einem Wechsel der Kammerzuständigkeit nur die Ordnungszahl hinter dem „S“ geändert wird und die laufende Nummer des Verfahrens erhalten bleibt, für die Verfahrensbeteiligten ist dies jedoch nicht erkennbar. Für diese bleibt vielmehr schon offen, ob es sich um ein- und dasselbe Verfahren handelt. Darüber, dass ein Kammerwechsel stattgefunden hat, sind die Beteiligten erst mit dem Schreiben vom 5. Juli 2023 und damit nach der „Entscheidung“ unterrichtet worden. Der Umstand, dass diese Mitteilung noch erfolgte, obwohl das Verfahren am 3. Juli 2023 bereits statistisch abgeschlossen worden ist, wie der Senat der Abschlussverfügung entnimmt, unterstreicht, dass es sich nur um einen Entwurf einer Entscheidung gehandelt hat.
Ein bloßer Zustellmangel, der die Wirksamkeit des Gerichtsbescheides selbst unberührt lässt (vgl. BSG, Beschluss vom 24. Juli 2019 – B 5 R 31/19 B –, juris, Rz. 18), liegt deshalb nicht vor, da schon keine gerichtliche Entscheidung zum Zwecke der Zustellung übersandt worden ist, sondern nur ein Entwurf.
Der „Gerichtsbescheid“ stellt damit nur eine Scheinentscheidung dar, was zur Vermeidung eines anderweitigen Rechtsscheins festzustellen ist.
Das Verfahren ist daher weiterhin beim SG anhängig. Dieses wird vor einer erneuten Entscheidung zunächst zu prüfen haben, bei welcher Kammer das Verfahren am 3. Juli 2023 anhängig gewesen ist. Da dem Senat die SG-Akte ebenfalls unter dem Aktenzeichen S 9 SB 2016/21 übersandt worden ist, dürfte einiges dafür sprechen, dass das Verfahren jedenfalls an die 9. Kammer übertragen worden ist.
Nachdem eine Sachentscheidung vom SG nicht vorliegt, war die hierauf gerichtete Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat in entsprechender Anwendung von § 21 Gerichtskostengesetz (GKG) die Staatskasse zu tragen, da diese durch die unrichtige Sachbehandlung des SG entstanden sind (vgl. Senatsurteil vom 18. Februar 2021 – L 6 SB 486/20 –, juris, Rz. 68; Sächsisches LSG, Urteil vom 15. Januar 2015 – L 3 AS 861/14 –, juris, Rz. 21, a. A. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2022 – L 4 AS 586/21 –, juris, Rz. 26).